GESCHICHTE

LOGIK

IM

ABENDLANDE.

VON

Dr. CARL PRANTL,

PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT UND MITGLIED DER AKADEMIE ZU MÜNCHEN.

ZWEITER BAND.

LEIPZIG,

VERLAG VON S. H I R Z E L.

1861.

rl

'S/

MEINEM LIEBEN FREUNDE UND COLLEGEN

D» JOSEPH POEZL

GEWIDMET.

 

VORWORT.

Nach einem längeren Zwischenraume, als mir selbst lieb ist, folgt

hiemit eine Forlsetzung meiner mühevollen Arbeit, bezüglich deren ich

im Ganzen auf das Vorwort des ersten Bandes verweisen könnte.

Doch wenn ich schon dort es aussprach, dass für die „Geschichte

der Logik" überall die Forschung erst von vorne habe beginnen müssen,

so knüpft sich hieran betreffs des Miltelalters eine doppelte Bemerkung.

Einerseits nemlich lagen hier in einigen einzelnen Theilen allerdings

höchst dankenswerlhe Vorarbeiten vor, und namentlich sind es V. Cousin,

A. Jourdain und B. Haureau, welche bekanntlich durch Veröffent

lichung oder Benützung handschriftlicher Quellen sich die grössten Ver

dienste erworben haben. Aber andrerseits handelte es sich noch um

kritische Untersuchung des gesammten zugänglichen Materiales, sowie

um Auffindung des wirklichen geschichtlichen Verlaufes. Und in letz

terer Beziehung zeigte sich bald, dass gerade die Geschichte der Logik

den Beruf haben könne, die Einsicht in die sog. Philosophie des Miltel

alters zu berichtigen oder zu ergänzen. Sowie nemlich bezüglich des

Streites über die Universalien eine bisher unbekannte Manigfaltigkeil

der Parteispallung zu Tag trat, so konnte hinwiederum nicht bloss das

Maass der logischen Lilteratur-Kennlniss jener Jahrhunderle seine rich

tige Abgrenzung finden, sondern auch der unbestreitbare Nachweis

geliefert werden, dass im ganzen Mittelalter ohne alle Ausnahme kein

einziger Aulor einen eigenen Gedanken aus sich selbst schöpfte, sondern

die gesaminte Litteralur jener Zeit von dem Umfange eines dargebotenen

traditionellen Materiales abhängig und bedingt war. Indem ich mich

der unsäglichen Mühe unterzog, gleichsam bei jedem Satze die Frage

vi Vorwort.

aufzuwerfen und zu beantworten , woher derselbe entnommen sei,

konnte ich den objectiv 'richtigen Entwicklungsgang darlegen , nmsste

aber hiebei allerdings jene Illusionen zerstören, in welchen man von

„Verdiensten" einzelner Autoren zu sprechen gewohnt ist, insoferne

man meint, Dieser oder Jener habe von sich aus einen Forlschritt her

beigeführt. Auch wo ich einmal (bei Pscllus) jene Frage des „Woher?"

nicht mehr beantworten konnte, ist hiedurch die Richtigkeit meiner

allgemeinen Behauptung nicht alterirt, sondern in jenem speciellen Falle

gebricht es der Forschung nur an dem erforderlichen Materiale.

Erhält aber durch eine solche geschichtliche Betrachtungsweise die

sog. Philosophie des Mittelallcrs eine, wenn auch nicht schmeichelhafte,

doch neue Beleuchtung, so sage ich hiemit wahrlich nicht, dass etwa

• Alles, was von Anderen, und insbesondere von B. Haureau geleistet

wurde, verfehlt und unrichtig sei. Aber es schien mir auch überflüssig,

bei jedem Schritte der Entwicklung ausdrücklich anzugeben, wo und

worin ich von Anderen abweichen müsse. Daher zieht sich auch na

mentlich gegen Heinr. Ritler , dessen ebenso wortreiche als schiefe

Darstellung bei Vielen in grossem Ansehen zu stehen scheint, grossentheils

nur eine stillschweigende Polemik durch mein ganzes Buch hin

durch; denn hätte ich, — wozu fast überall Gelegenheit war — ,

Riller's Angaben berichtigen wollen , so wäre eine solche nachträgliche

Recension für den Leser wohl ebenso langweilig gewesen wie für

mich selbst.

Wenn ich übrigens grundsätzlich mich auf jene Lilteratur-Erzeugnisse

beschränkte, welche gedruckt vorliegen, so gestehe ich gerne zu,

dass möglicher Weise aus mancher Bibliothek durch Benutzung liai^dschrifllichen

Materiales Berichtigungen oder Ergänzungen meiner For

schung zu Tage gefördert werden können, und an mehreren Stellen

habe ich auch ausdrücklich den Wunsch geäussert, dass Solches ge

schehen möge. Ich darf vielleicht annehmen, meine wissenschaftliche

Pflicht erfüllt zu haben, wenn ich den Anstoss und etwa die richtigen

Gesichtspunkte zu einer derartigen Durchforschung der vorhandenen

Handschriften gegeben habe. Doch in Einem Falle machte ich von

jenem meinem Grundsatze eine Ausnahme; nemlich , — abgesehen da

von, dass ich die Schätze der Münchner Staatsbibliothek nicht unbe

Vorwort. TU

achtet liess — , benützte ich jene Andeutung, welche Haureau in

seinem trefflichen Werke (ße la philosophie scolaslic/ue. Paris 1850.

2 Bände) zuweilen über einige Pariser Handschriften gab, und nachdem

dieselben auf Vermittlung des königl. Staatsminisleriums mir hieher

übersandl worden waren, ersah ich zu meiner Freude die Pflicht, das

dort vorliegende Material heiziehen zu müssen; denn es ergab sich ein

ebenso neuer als interessanter Aufschluss über das Verhültniss des

Psellus zu Petrus Hispanus oder vielmehr zu den Vorgängern und Zeit

genossen des Letzteren, ein Aufschluss, welcher durch die gedruckte

Litteratur nie hätte gewonnen werden können.

Wenn die in den Anmerkungen reichlich angeführten Quellen-

Stellen häufig (namentlich in dem die Araber beireffenden Abschnitte)

noch mehr zu enthalten scheinen, als'ich im Haupllexte darlegte, so

wird der Leser diess dadurch entschuldigen, dass ich durchweg nach

möglichster Kürze strebte und darum im Texte weder eine blosse Uebersetzung

noch auch ein Excerpl, sondern den innersten Kern der Origi

nal-Stellen zu geben versuchte. Dem gleichen Zwecke der Kürze dienen

auch die zahlreichen wechselseitigen Verweisungen, welche der Leser

nicht als eine müssige Verzierung oder Verunzierung, sondern als ein

compendiöses Mittel betrachten wird, in vielen Fällen einen weiteren

Zusammenhang im Auge zu liehalten.

Nachdem die ersten Bogen dieses Bandes bereits gedruckt waren,

erschien nicht bloss das Werk meines Freundes und Collegen Dr. Joh.

Huber über Scotus Erigena (München 1861), sondern auch Haureau's

Ausgabe des bisher unedirten Commenlares des Scotus Erigena zum

Marcianus Capella (Nolices et Extrails des Manuscripls, Vol. XX, Abthlg.

2.), und ich bedauere, dass ich dieses neuaufgel'undene Material, welches

einzelne Bestätigungen meiner Darstellung des Scotus darbietet, nicht

mehr benützen konnte.

Der dritte und zugleich letzte Band meiner Arbeit wird dem gegen

wärtigen hoffentlich in Bälde nachfolgen.

München, im October 1861.

C. Prantl.

 

ÜBERSICHT DES INHALTES.

Seite

XIH. Abschnitt. Das Mittelalter in unvollstän

diger Renntniss der aristotelischen Logik l —97

Die Verbreitung der späteren römischen Logik in den Schalen 2.

Beschränktheit dieser Tradition bezüglich der Uebersetzungen des

Boethius und Unkenrilniss der logischen Hauptwerke des Aristote

les 4. Stellung der Orthodoxie zur Logik 6. Die Isagoge des

Porphyrins 7. Ueberwiegen eines platonischen Rralismus 9.

Isidoras Hispalensis 10. Alcuin 14. Fredegisus 17. Hrabanus

Maurns 19. Pseudo-Bocthius De Irinilate 20. Johannes Scolus

Erigena 20, seine logisch-formelle Gewandtheit 21, sein theo

logischer Realismus neben Wertschätzung der vox 25, hiednrch

nominaiistische Anschauungen 30, und ein gewisser Intellectualismus

32. Die Quellen der logischen Partcispaltiing nachweisbar

in zwei Stellen des Boethius vorliegend 35. Stellung des Scotus

Erigena 37. Steigerung der norainalisliscben Wendung des Scotus

bei Pseudo-Hrabanus 38, und noch mehr hei Eric von Auxerre

41. Mathematisirender Aristotelismus des Psoudo-Eric oder Jepa(?)

43. Platonismus des Remigius v. Auxerre 44, und des Otto v.

Chigny 45. Thätigkeit iu St. Gallen 46, das Glossarium Salomonis

47. Unfruchtbarkeit des zehnten Jabrhundertes 48, Poppo

in Fulda, Reinhard in Würzhurg, Johann von Gorz 49, bewusste

Parteistellung des Gunzo Iialus 50 ; Wolfgang in Regensburg, Abbo

v. Orleans, Bernward in Hildeshcim 51, Walther v. Speier 52.

Gerbert 53, änsserste Unbedeutendheit desselben 57. Adalbero

v. Laon 58, Fulbert v. Chartres 59. Anonymus sec. 11 mit nominalistischer

Färbung 60. Reiche Thätigkeit in St. Gallen, Notker

Labeo 61 ; doriiger Nominalismus 63, Bedeutsamkeit des Anonymus ,

De syüogismis 64. Franco in Lattich 67, Othlo in Regensburg,

Petrus Damiani 68.

Frischere Bewegung in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhundertes.

Rechtswissenschaft, Papias 69 ; Lanfrancns, Irnerius, die Formel

bücher 71. Theologie, Berengarius als Nominalist in derAbendrnahls-

Frage und der Ketzer-Richter Lanfrancus 72. Partei-Gegen

satz 75. Alhericus v. Monte Casino 76. Die Lehre des Scotus

x Uebersicht rtes Inhaltes.

Seite

Erigena und Robert v. Paris und Arnulph von Laon 77, und Roscellinus

als Vertreter einer „neuen" Logik 78; die gehässigen

Berichte über Letzteren seitens seiner orthodoxen Gegner 79.

' Raimhert in Lilie und die „alte" Logik des Otto v. Cambray 82.

Wilhelm v. Hirschau und Konstantin der Karlhager 83. Ansei

mus v. Canterbury 85, der ontologische Beweis und Gaunilo 86,

der unwissenschaftliche Realismus des Anselnuis 88 , und der

kläglich niedrige Standpunkt seines Dialogus de grammatico 89.

Honorins v. Autun 97.

XIV. Abschnitt. Allmälige Vervollständigung der

Kenntniss der aristotelischen Logik . . 98— 260

Bekanntwerden der beiden Analytiken und der Topik nebst den

Soph. Elenehi 98. Jacobus v. Venedig 99. Während der Text

jener aristotelischen Bücher zwar selbst nicht vorliegt, transspiriren

anderswoher sporadische Notizen 100; Adam v. Petit-l'ont bear

beitet die erste Analytik 104. Otto v. Freising bringt (nicht aus

Italien , sondern aus Frankreich) jene Bücher nach Deutschland

105. Zur Zeit des Johannes v. Salesbury ist das ganze Organon

bekannt 106; Drogo in Troyes bearbeitet die Topik 107. Neue .

Uebersetzungen des Organons entstehen in Unleritalien und im

byzantinischen Reiche 107.

Gesteigerter Betrieb der Logik 108. Theologie, Pseudo-Boethius

DK trinitale 109. Gegensatz der Logik und des Dogma's

110. Pelrus Lomhardus, Hugo v. St. Victor 111. Grosse Aus

dehnung und zugleich Einseitigkeit der logischen Litteratur 114;

eigentümlicher Gegensatz zwischen „alter" und „neuer" Logik

116. Der Streit über die Universalien, Spaltung in weuigstens

dreizehn nachweisbare Partei-Ansichten 118.

Nominalismus an sensualistische Ansichten streifend 122, Abstu

fungen desselben (GarmuridJ 123. Die Lehre, dass die Universalien

„maneries" seien, — Huguccio — 125. Die Platoniker,

Bernhard v. Chartres 125, und Wilhelm v. Conches 127. Der

Realismus des Wilhelm v. Champeaux 128; die Schwierigkeiten

und Abstufungen des Realismus 131, Controversen über Definition

und ThrilbegrifT 134. Vermittlungsversuch durch die Lehre von

„slalus", Walter v. Mortagne 137. Die Lehre von der „Indiffe

renz" 138; platonische Wendung derselben durch Adelard v.

Bath 140. Die Ansicht des Gauslenus oder Josceliinus v. Soissons

bezüglich des „colligere" 142. Die Ansicht des Verfassers

der Schrift De generibus et specicbus 143, seine Auffassung des

Urtheiles und Hinneigung zum Platonismus ]48. Controversen

über die Kategorien 152, und über die Lehre vom Urtheile 154;

Syllogistik 158, Topik 159.

Abälard 160; seine Begabung 161, seine logischen Schriften

162; theologische Auffassung und innerer Zwiespalt seiner Lehre

'64; er ist Aristoteliker 166, und zugleich Plaloniker 167, und

Uehersiclil des Inhaltes. xr

Seile

zuletzt keines von beiden, sondern Kheloriker 168. Gliederung

seines Hauptwerkes 169. Die Isagoge oder „Aiilepracdicatncnta"

nach seinen ,,Glossae" und besonders nach den „Glosxulae" 172;

Auffassung des „sermo praedicabilis" 175; das Universale als das

jenige, quoll natum est Je pluribus pracdicari, in platonischer 177,

und zugleich in aristotelischer Verwendung 181; aus letzterer

folgt seine Betonung des Unheiles (praedicari) 182, und sein an

geblicher Intelleclualismus 185. Sein Ithetorismiis 187. Die

Kategorien 188. Die ftilpratditatttnla 190. Die Lehre von der

Definition und dem Theilbegrifle nach seinem Über Vivtstonum 192.

Die Lehre vom Urtheile 195. Die Syllogislik 199. Die Topik

200. Die hypothetischen Syllogismen 202.

Steigerung der aristotelischen Seite Abälard's bei einem Ano

nymus De interpr. 204, sowie hei dem scharfsinnigen Pscudo-

Abälard De inlellectibus 205. Ueberwiegen der Lehre vom Ur

theile bei Adam v. Petit-Pont 211. Logischer Skepticismus des

Robert Pulleyn 213, und theologische Reaction durch Petrus v.

Poitiers und Robert v. Melun 214.

Gilbertus Porrelanus und seine Lehre von den /braue nativac

215, die Stümperhafligkeü seiner Schrift De sei principüs 223.

Otto v. Freising ein Anhänger Gilbert's 227. Pseudo-Boethius de

unilate et i/no 228. Alberich in Paris , Williram v. Soissons

229, und mehrere andere, bei Walter Mapes angeführte Autoren

230; der sog. Cornificius des Joh. v. Salesbury 231.

Jobannes v. Salesbury 232, sein ciceronianisclier Ulilismus 233,

und Rhetorismus 235; Verwandtschaft mit Ahälard 239, Beurthei-

Iting des Aristoteles 241 ; seine ,,ratio indi/forentiae" als unwissen

schaftlicher Indifferentismus 243; sein gröblicher Eklecticismus

bezüglich der Universalien 246, und der unbestimmte Begriff der

„nud'o" 251; seine Erörterungen über die Kategorien 253, über

das Urtheil 255, über die Syllogistik 256. Eine unbedeutende

Schrift des Alanus v. Lilie 259.

XV. Abschnitt. Einfluss der Byzantiner . . . .261 — 296

Berührung des Abendlandes mit den Byzantinern 262; reiche Litleratur

zur Zeit der Anna Comnena 263. Die Synopsis des Psel-

1ns, welche durch Wilhelm Shyreswood, Petrus Hispanus uiid

Andere dem lateinischen Abendlande zugänglich wurde 264; die

dort entwickelte Lehre vom Urtheile 265, mit Benützung techni

scher Memorial -Worle und -Verse 272, die Isagoge 272, die

Kategorien 273; die Lehre vom Syllogismus, gleichfalls unter

Anwendung technischer Worle, in welchen die Entstehung des

logischen Schulgebrauches der vier Vokale (4, E, I, O) sich

kundgibt und zugleich das Original der bekannten lateinischen

Nomenclalur vorliegt 275; die Topik; der Abschnitt „De terminorum

proprietatibus" oder „Syncategoreumala"', welcher die Lehre

von der siynißcalio in ausführlichster Gliederung der „supposilio"

XII Uebersieht des Inhaltes.

Seite

darlegt 279. Der aus den Lateinern zu ergänzende verlorene Rest

der Synopsis 287. Die Frage über die Quellen oder Vorbilder

des Psellus 290. Johannes Ilalus 293. Nicephorus Blemmides 295.

XVI. Abschnitt. Einfluss der Araber 297—396

Beschränkung auf die lateinisch-arabische Litleratur 298, und zwar

auf den Umkreis der eigentlichen Logik 299. Die arabische Logik

im Allgemeinen 300. Alkendi 301.

Alfarabi 301, ethische Beziehung der Logik 302, der doppelte

Weg von Bekanntem zum Unbekannten, Argumentation 303, Rhe

torik und Poesie 304; die Universalien anle rem, in re , posl

rem 306; die Kategorien und ens 307; das Urtheil 308; die

erste Analytik und die hypothetischen Schlüsse 310; Ergänzungs

versuche zur zweiten Analytik 312, rlemonstralio quia und propter

quid 317.

Avicenna 318, sein Intellectualismus 320; Definition und Argu

mentation 322 ; die Universalien und die Quiddität 324, das Sub

stantielle und das Accidentelle 326; Erörlerungen und Controversen

über die einzelnen fünf Worte 330, besonders über den Artbegriff

334, und über die Differenz 338; Berichtigungen und Zusätze zur

Isagoge 344; nähere Darlegung dos Intellectualismus in Unter

scheidung der Universalien ante rem, in re , post rem 347; die

Kategorien 351; 4as Urlheil 356; die erste Analytik und die hy

pothetischen Schlüsse 357; die zweite Analytik 359; die Stellung

der Topik und Sophistik 360.

Algazeli 361 , Tendenz seiner Logik 361 ; imatiinatio und credulitas

362; signißcalio dic.linnum 363; die Isagoge 363; die

Kategorien der Ontologie zugewiesen 365; das Urtheil 366; die

Argumentation, Combination der möglichen Schlnssweisen 368,

die hypothetischen und disjunctiven Schlüsse 369; die Urtheile

als Stoff der Argumentation 370 ; fallaciae 371 ; die zweite Ana

lytik 372. Avempace 373.

Averroes 374; sein strenger Aristotelismus 375, Methode des

Abtheilens 376; nothgedrungene Beiziehung der Isagoge 377; die

Kategorien 378; das Urtheil 379; die erste Analytik, Polemik

gegen Galenus 380, die hypothetischen und disjunctiven Schlüsse

381, Praxis der Syllogistik 382; die zweite Analytik 384; die

Topik und Sophistik.

Des Pseudo-Averroes Epitome 385, agens und diri§ens 386, die

Universalien 386, Geltung der Kategorien 387, das Urtheil 388,

Argumentation 389, die Topik 390, die Definition 391. Die

Quaesita des Pseudo-Averroes und anderer Araber 392. Das Buch

De causis 394. Die Juden 394. Moses Maimonides 394. Levi

Ben Gerson 394.

XIII. ABSCHNITT. ,

DAS MITTELALTER IN UNVOLLSTÄNDIGER KENNTN1SS DER

ARISTOTELISCHEN LOGIK.

In das Millelalter gehl die Logik als blosser Schulgegenstand in

jener Form über, deren Darstellung der vorige Abschnitt enthält, und

die dort geschilderten Schriflen des Marcianus Capella, Boelhius, Cassiodorus

und iheilweise auch des Auguslinus und Pseudo - Auguslinus

sind es, welche für den Schulbelrieb der Logik das ausschliessliche Ma

terial darboten. Aller Orten, wo im Zusammenhange mit der Verbreitung

des Christenlhums enlweder zahlreiche völlig neue Bildungsstätten ent

standen oder auch zuweilen eine Anknüpfung au antike Institute mög

lich war, rinden wir bekanntlich den Studiengang des Triviums und

Quadriviums in grösserer oder geringerer Vollständigkeit eingebürgert,

und wenn auch die mathematischen Disciplinen (Arithmetik, Geometrie,

Astronomie und Musik) nicht sämmllich überall die gleiche Pflege fan

den, so bestand doch zu allermeist eine Gleichmässigkeit im Betriebe

der Grammatik, Rhetorik und Dialeklik, insoferne diese drei „Künsle"

in keiner Schule fehlten. Es ist nicht Phrase oder Ueherlreibung, wenn

wir bezüglich der Logik oder Dialeklik den Ausspruch thun, dass der

ganze Occidenl, soweil ihn überhaupt die Kultur des Mitlelalters in ihrer

allruäligen Ausbreitung berührte, durch die Tradition der genannten

Autoren des späteren Römerthums geschult wurde, dass nemlich in Ita

lien, Deutschland, Frankreich, Spanien und Brilanien man wirklich mil

einem gewissen Malenale logischer Lehren bekannl wurde, und zwar

ausschliesslich nur auf Grundlage jener Ueherlieferung. Eben in dieser

Beziehung jedoch scheinl die Geschichte der Logik das ihr zukommende

Gebiet wohl nicht überschreiten zu dürfen. Insoferne nemlich aus ein

zelnen Notizen über Schulen oder aus Bibliolhekverzeichnissen u. dgl.

schlechthin uichls Weileres folgt, als dass da oder dort eine logische

Schrift des Marcianus Capella oder des Boethius u. s. f. bloss vorhan

den war oder in ij-gend einer Kloslerschule eben nur gelesen wurde,

oder dass irgend Jemand durch solche Lectüre sich gebildet oder sie

Anderen empfohlen habe u. s. w., müssen wir derlei Nachrichten immer

hin, so koslbar sie gerade wegen ihrer Vereijizeltheil auch sind, der

allgemeinen Kullurgeschichle oder der Geschichte der Pädagogik über

lassen ; denn für die „Geschichte der Logik" genügt das Factum einer

verbreitern Uebung der sog. sieben freien Künsle überhaupt als allge-

PBANTL, Gesch. II. l

2 XIII. Das traditionelle Material.

meine Grundlage für den Eintritt in das Mittelalter, und auf diesem

Boden haben wir hier dann demjenigen nachzuspüren, was durch eine

eigene, wenn auch noch so geringe, Thätigkeit einzelner Lehrer oder

Gebildeter geleistet wurde und hiedurch Momente eines geschichtlichen

Weiterschreitens darbietet; überdiess ja wird dann Solches, wobei auch

das anscheinend Geringfügige nicht Übergängen werden soll, wieder

einen Bückschluss auf Obiges in sich enthalten , dass nemlich neben

vereinzelter individueller Tliätigkeit auch ein massenhafter Betrieb, wel

cher bloss an dem Texte der Schulbücher-Tradition haften blieb, bestan

den haben muss *).

Aber Eine Bemerkung ist betreffs dieses Schul- Materiales gleich

hier in all ihrer Schärfe und ihrem ganzen Umfange nach vorauszu

schicken. Wir müssen nemlich die völlige Ausschliesslichkeit desselben

von vornherein im Auge behalten, d. h. erstens, dass lediglich nur diese

lateinischen Litteraturprodukte cursirten, und hiemit ausser dem Märcianus

Capella , dem Boethius , dem Cassiodorus und dem ächten oder

dem unächlen Augustinus das Mittelalter bis zum 12. Jahrhunderte für

die Logik überhaupt keine anderweitigen Quellen kannte oder benützen

konnte. Es war jenem ersteren Zeiträume über die griechische Grund

lage der Logik 'nur jene secundäre Kunde möglich, welche aus eben

diesen Autoren geschöpft werden konnte, und namentlich die aristoteli

schen Schriften (ja im Allgemeinen wohl auch nur der Name des Aristo

teles) waren ausschliesslich bloss in jener Form bekannt, in welcher

sie Boethius überliefert hatte. Man darf, wenn in Urkunden , welche

sich auf jene Jahrhunderte beziehen , aristotelische Schriften erwähnt

werden, durchaus an Nichts anderes denken als an eben diese Uebersetzungen

des Boethius; so z. B. wenn unter den Büchern der Biblio

thek zu York im 8. Jahrh. auch ein „acer Aristoteles1'' genannt wird 2),

oder wenn wir im 10. Jahrh. in Tegernsee die Kategorien des Aristo

teles erwähnt finden 3). Dass alle dergleichen Stellen nur in dieser

Weise zu erklären seien, wird allerdings erst aus dem Folgenden, so

wie aus dem Uebergange in jene Periode , in welcher der Originaltext

des Aristoteles dem Mittelalter bekannt wurde, völlig deutlich gleichsam

durch eigenes Erlebniss erhellen, aber es schien nicht überflüssig, schon

1) Für den hiesigen Zweck demnach muss ich ein nicht kärgliches und nicht

ohne Mühe errungenes Quellen- Material bei Seite lassen, welches entweder zu

einer Geschichte der mittelalterlichen Schulen anschwollen würde oder bei einer

(übrigens kaum durchführbaren) Beschränkung auf herausgebissene Auswahl des

Logischen doch nur den Beleg der ohnediess allbekannten Thatsache enthielte, dass

jene obigen Autoren den Inhalt der Schulwissenschaft ausmachten.

2) Die von Aelbert in York angelegte Bibliothek beschreibt dessen Schüler

Alcuin ausführlich in s. Gedichte De Ponlificibus et Sanclis ecclesiae Eboracensis

(Mcuini Opp. ed. Proben. II, p. 241 ff.); dort heisst es v. 1948 ff. (p. 257.): Quae

Victorinus 'scripsere, Boetliius atque Historici veteres , Pompeius, Plinius, ipse Acer

Aristoteles, rhetor quoque Tullius ingens.

3) Ein Tegernseer Mönch schreibt in einem Briefe (b. Pez, Thes. Anecd. VI,

l, p. 131.): stultam fecil Deus sapicntiam mundi huius (diese Worte sind aus Paul,

ad Corinlh. I, 1,20; s. unten Anm. 20 f.), postquamezsiccavit fluvios Etlian ; prae

dukedine enim decem chordarum ßavidis . . . . paene oblitus svm lotidem categoriarum

Arhtolelis. .

XIII. Das traditionelle Material. 3

hier den Gesichtskreis richtig abzugränzen 4). Nur eine scheinbare Aus

nahme liegt natürlich darin, wenn überliefert wird, dass im Anf. d. 10.

Jahrh. ein gewisser Simeon, ein Bulgare, in Constanlinopel die Syllogislik

des Aristoteles im Originale studirt habe5); denn dass im oströ

mischen Reiche die Griechen noch bis in späte Jahrhunderle sich mit

Derartigem beschäftigten, sahen wir hinreichend oben, Abschn. XI, Anm.

106— 118. Aber Eine vereinzelte Notiz könnte unserem Ausspruche

entgegenzustehen scheinen; es schickte nemlich Papst Paul l. im J. 757

an Pipin den Kleinen mehrere griechische Schriften, unter welchen

JSrslerer selbst in dem betreuenden Briefe auch Bücher des Aristoteles

anführt6); ist jedoch die Urkunde acht, woran zu zweifeln kein Grund

vorhanden scheint, so spricht sie weil eher für uns als gegen uns,

denn offenbar blieb dieses damals in jener Gegend einzige Exemplar

eines griechischen Textes des Aristoteles am fränkischen Hofe vergra

ben oder gieng verloren, da wenigstens von einer Benützung desselben

nirgends die leiseste Spur sich zeigt ; auch fällt ja für jene Länder die

erste sichere Kunde von einem Studium des Griechischen oder von

Uebersetzungen aus dem Griechischen überhaupt erst in die Zeit Karls

des Grossen 7), worauf dann noch im 9. Jahrh. die Arbeiten des Scolus

Erigena folgten (Uebersetzung des Pseudo-Dionysius).

Zweitens jedoch ist selbst jenes lateinische Quellen-Material gerade

in der Hauptsache abermals ein' beschränktes. Während nemlich die

logischen Schriften des Aristoteles insgesammt in den Uebersetzungen

des Boethius , welcher hiel'ür die einzige Quelle war, hätten gelesen

werden können, zeigt sich eben hierin eine scharfe Abgränzung; denn

unter den oben (Abschn. XII , Anm. 72 f.) angeführten schriftstelleri

schen Erzeugnissen des Boelhius benülzle man im Mittelalter vorerst aus-

4) Schon hier darf ich vorläufig auf die bekannte vortreffliche Arbeit Am.

iourdain's (Recherches critiques sur l'age et l'origine des Iraduclions latines d'Aristote.

2. Aufl. Par. 1843) verweisen, wenn auch mit dem Vorbehalte, dieselben be

züglich des 12. Jahrhunderts mannigfach berichtigen und ergänzen zu müssen (s.

d. folg. Abschn. Anm. 2, 14 ff.).

5) Liutprand Antapod. III, 29. bei Pertz, Monum. V, p. 309.: Itunc elenim Simeonem

emiargon , id est semigraecum , esse aiebant , eo quod a pueritiit Byzanlii

Demosthenis rtteloricam Aristotelisque Syllogismus didiceril.

6) Der Brief ist gedruckt b. Cai. Cenni, Monum. dominat. pontif. sive Codex-

Carol. (Rom. 1760.4.) I, p. 148, woselbst die Stelle: Direximus etiam excellentiae

veslrae Ultras quantos reperire poluimus , Antiphonale et Responsale, insimul artem

grammalicam, Aristoielis, Dionysii Areopagitae libros (bei Cenni steht ohne Unter

scheidungszeichen arlem grammalicam Aristotelis), Geomelriam, Orthographiam, Grammiiticam

, omnes graeco eloqitio scriptores. Die Worte graeco eloquio, deren Be

deutung im damaligen Sprachgebrauche völlig feststeht, beziehen sich wohl nur

erst auf die von Aristoteles an genannten Bücher, denn das Antiphonale und Re

sponsale war natürlich lateinisch, und wahrscheinlich ebenso die erstere Grammatik,

die zweite hingegen griechisch. (Uebrigens findet sich diese Notiz hei Jourdam

nicht benützt.)

7) Z. B. bei D. Chylraeus Cliron. Saxon. (Lips. 1593. L. III, p. 83.: Inslituit

autem Carolus Osnabrugae, ut in collegio assidui leclores gruecae et lalinae tinguae

essent; vidi enim exemplum literarum fundationis, ul vocanl, quas ecclesiae Osnabrugensi

Carolus dedif) und öfters, stets aber mit Beziehung auf die bekannte Ge

sandtschaft der Kaiserin Irene und den hiedurch hervorgerufenen diplomatischen

Verkehr.

l*

4 XIII. Das traditionelle Material.

schliesslich nur jene Uebersetzungen, welche derselbe durch Commentare

erläutert und schubnässig zugerichtet hatte, d. h. ausser der doppelten

Bearbeitung der Isagoge des Porphyrius nur jene der Kategorien und

die beiden Ausgaben des Buches d. interpr., wozu dann allmälig noch

die eigenen Compendien des Boethius hinzukommen. Hingegen die

Uebersetzungen der beiden Analytiken , sowie der aristotelischen Topik

und der Sophisl. elenchi, welche sämmtlich Boethius ohne Commenlar

belassen hatte, blieben aus eben diesem Grunde unbeachtet und entzo

gen sich hiedurch der Kunde des Mittelalters so sehr, dass man lange

Zeit hindurch überhaupt nicht einmal mehr um das Vorhandensein dersel

ben wusste. Darum liegt aber in dem allmäligen Bekanntwerden jener

Hauptwerke des Aristoteles ein entscheidender Wendepunkt für die mit

telalterliche Logik. Und "während ich alle Versuche, die sogenannte

„Philosophie" des Mittelalters aus inneren Motiven in Abschnitte einzutheilen,

für verfehlt halte, scheint mir für das gesammte Mitlelalter (bis

zum Ende des 15. Jahrb.), in welchem ich, abgesehen von Alchemie

oder Astrologie, nur Theologie und Logik, aber durchaus keine Philo

sophie, finden kann, der Einlheilungsgrurid lediglich in dem äusserlichen

Befunde der Masse des traditionellen Schul - Materiales zu liegen. So

könnte ich auch den Unterschied zwischen diesem gegenwärtigen und

dem folgenden Abschnitte dadurch scharf bezeichnen, dass in ersterem

eine fragmentarische Kenntniss des Boethius obwaltet, in letzterem hin

gegen theils ein allmäliges Bekanntwerden des ganzen Boelhius und

theils die Anfertigung neuer Uebersetzungen der bis dahin unbenutzten

Werke eine deutlich ersichtliche Wirkung äusserl, worauf dann für die

späteren Abschnitte wieder analoge Bereicherungen des Materials ein

treten. — Der Nachweis hievon wird im Folgenden selbstredend vorge

führt werden.

Kurz also, — um die Abgränzung so entschieden und deutlich als

möglich zu wiederholen —, es besieht für diesen ersten Abschnitt des

Mitlelalters das traditionelle Material der Logik ausschliesslich aus Fol

gendem: Marc. Capella, Auguslin, Pseudo-Auguslin , Cassiodorus , Boe

lhius ad Porph. a Viel. IransL, ad Porph. a se Iransl., ad Arisl. Caleg.,

ad Arisl. d. inlerpr. ed. l u. II , ad Cic. Top. , Inlrod. ad cal. syll.,

D. syll. cal., D. syll. hyp., D. div. , D. defin., D. diff. lop. Hingegen

fehlt die Kenntniss der beiden Analytiken, der Topik und der Soph. El.

des Aristoteles.

Die eigene Thätigkeit aber, welche die Lehrer oder Gelehrten die

ser ganzen Periode an diesem ausschliessliehen Materiale der Schultra

dition übten, war eine doppelte. Entweder nemlich handelte es sich

um Herstellung von Compendien, wobei meist ein planloses Zusammen

raffen verschiedener Quellen in ganz ähnlicher Weise waltete, wie wir

es schon im vorigen Abschnitte besonders bei der Schrift des Cassio

dorus bemerklich machen mussten, oder man beschäftigte sich mit einer

mehr oder weniger einlässlichen Erklärung der schon im Gebrauche

stehenden Bücher, unter welcben vor Allem des Boethius Bearbeitung

(Ueherselzung und Commentar) der Isagoge und der Kategorien in den

Vordergrund treten. Dabei aber spielten sowohl Fragen der christlichen

Theologie in die logischen Erörterungen hinein , als auch wirkten die

XIII. Dir kirchliche Auffassung. 5

Controversen der Logik mächtig auf die Kämpfe der Dogmatik hinüber,

und überhaupt ja waltete in dieser Beziehung Anfangs ein sehr eigenthümliches

Verhältniss, welches nicht ausser Acht gelassen werden darf.

Nemlich die christliche Lehre an sich — ganz abgesehen von der

Entstehung dex christlichen Ideen überhaupt — trat wohl in völlig

schlichter Unmittelbarkeil auf und sprach zum religiös erregbaren Gemüthe,

zugleich aber fand sie sich bei ihrer weiteren Verbreitung an

eine Bevölkerung hingewiesen, welche theilweise durch den Schulbe

trieb des späteren Alterthums gebildet worden war und so eine formale

Seite des Antiken mit dein neuen Inhalte christlicher Lehre und christ

lichen Lebens verbinden konnte. Wie aus dieser Vermischung religiö

ser Unmittelbarkeit und geschulter Lehrl'ähigkeit sich rasch der Gegen

satz zwischen Laien und Klerus entfaltete, d. h. eine ecclesia docens

entstand, und wie die Kirche dessbalb, weil sie docens war, ganz na

türlich zu Schuleinrichlungen griff und hiebei der Form nach sich an

Vorhandenes anlehnte, gehört eben so wenig hieher als die mit Waffen

der Dialektik geführten Kämpfe, in welchen die Dogmenbildung vor sich

gieng. Wohl hingegen ist für uns der Umstand von Interesse, dass

überhaupt eine doppelle Richtung vorlag; ja wir musslen im Verlaufe

der Geschichte der Logik selbst schon oben (Absch. XII.) von zwei

hervorragenden Vertretern der christlichen Theologie, neinlich von Hieronymus

und besonders von Augustinus sprechen, unter welchen nament

lich der Letztere das Nebeneinanderlrelen der zwei Richtungen sehr

deutlich zeigt (s. ebend. Anm. 17 —22). Je stärker aber hiebei der

specifisch christliche Standpunkl belonl wurde, deslo mehr Gewicht

musste auf jene innere Unuiiltelbarkeil fallen, welche Auguslinus als

lux interior bezeichnet, und es isl nichl bloss erklärlich, sondern so

gar principiell geforde'rl, dass gerade die Sirengeren unter den ersten

christlichen Theologen neben der gebolenen Polemik gegen den Inhall

antiker Philosophie sich auch spröde gegen die Formen des Wissens

verhielten, durch welches der Glaube nicht nur nicht ersetzt, sondern

selbst häufig gestört werde.

So bestand also allerdings zunächst eine grundsätzliche Abneigung

gegea Logik oder Dialektik, und wenn wir bedenken, dass in den

Kämpfen der Dogiuenbildung gerade die Arianer und Pelagianer an dia--

lektischer Bildung und Gewandtheit wirklich im Vortheile waren , so

können wir es uns erklären, dass jene Abneigung sich zu gereizler

Feindschaft steigerte. Es liesse sicli nicht bloss aus Irenäus (2. Jahrb.)

und Tertullianus (3. Jahrb.), sondern namentlich im 4. u. 5. Jahrb. (der

Zeit des hauptsächlichsten Dogmen-Kampfes) aus Basilius d. Gr., Gregorius

v. Nazianz, Epiphanius, Hieronyuius Presbyter, Fauslinus, Mansuetus,

Eusebius, Sokrates, Theodorelus u. A. eine Übergrosse Menge von

Sielten anführen , in welchen die Dialeklik als übertlüssig 8) oder als

ein nichtiges sich selbst zerstörendes Thun 9) und ein zweckloser ver-

8) Basil. M. adv. Eunom. I. (Opp. ed. Paris. 1518 fol. U, p. 10.): ^ luv

urioT&ov; ovrtaf •fifj.lv xai XqvaCnnov avtJ.oyi.ap.iäv tdei n(>df ib /JK-

4iv Sri o aytvvrjTos ov ytytvvriTai; (vergl. Anm. 16).

9) Terlull. Praescripl. c. 7. (Opp. ed. Venel. 1701. fol. p. 119 b.): Hiserum

Aristotelem qui illis dialecticam instiluü arti/icem struendi et deslruendi »ersipellem

6 XIII. Die kirchliche Auffassung.

künstelter Wortkram 10) bezeichnet wird, welcher vermöge seines welt

lich hunten Charakters untauglich für die reine einfache Wahrheit11)

und überhaupt unchristllch 12) sei, daher alle Syllogislik, sowie sie vor

den schlichten Worten der Apostel zerstieben müsse 13), ihrerseits hin

wiederum nur zur Bekämpfung und Verfälschung des Glaubens diene 14),

was sich insbesondere hei den Arianern zeige 15), u. dgl. m. War aber

so die Dialektik, für welche meistens Aristoteles, und zwar namentlich

wegen der in den Kategorien liegenden Sophistik, verantwortlich ge

macht wurde 18), fast zu einem Gegenstande des Abscheues geworden,

in sentenliis coaetam, in coniecturis duram, in argumentis operariam conlentionem,

molestam eliam sibi ipsi, omnia retractantem, ne quid omnino tractaverit.

10) Greg. Naz. Oral. 26. (Opp. ed. Colon. 1690. 1, p. 458.) : ovx olde löyoiv

s $yo~tts Tf aoytöv xal alvfy/jKTK xal Tag IlvqQiavog IvOTaatie ij

rj ävTi&tafig xal TiSv Xqvalnnuv av^Koyia^iiSv rag tfiaivaeig tf

Ttöv jiQiUTUTfiov; Tfyviäv TT]T xaxoi e/vlav. Oral. 33. (p. 529.) : %alQovTt g

raTs ßtßrjioi.g xfvorjioviai; xal avn&tatai T% ipevfiovvfiov yviäatiag xal

TCCIS elf ovStv xftijatftov (ptpovaaig ioyof^a/Caig.

11) Epiphan. adv. haeres. II, 69^69. (Opp. ed. Pelav. Col. 1682. I, p. 795.):

äiivoTrfn fj.a).),ov eavTovs Ixäiäiaxaaiv ^ ivdvoajtsvoi 'A(itazoT£)ii)V ic xtd

TOVS cc^iovs TOV xöa/uov ä ittitxTixovs (ov xal iouj xctynovg fifTictai ^UTJdtvu

XKQTIÖV dixaioUvvris iläörtf. Ebend. III, praef. (p. 809.) : fx avlloyi-

0/u(öv yctQ xal IdQKtTOTtlixtäv xal ytiafj.eTQixi3v ibv &iov Ttagiaiäv ßoviovrcti.

Ebend. III, 76, 20. (p. 964.) : roßr« rft aqaiyeiTat, näaav aov rtäv >löytav

avlloyiaTixrjV /uv&oloyiav xal ovx IvöfytTtu fj/täs HQOTQtip

TOV aov tniaiärov ____ ov yät> Iv

r\ ßceaif.ila räv ovQaviav xal $v ioyy xof47iu<tTixqi, «u' tv

xal a).ri»(la (s. Anm. 20). Ebend. 76, 24. (p. 971): itoosO.aße TO

9-iiov tag xartt TOV aov löyov fls lyv ai>Tov nCativ Tr<v avt.loyiaTixriv

TavTTrjV aov Trjv Te%voioy(av. (Ausscrdem kömmt Aehnliches gerade bei Epiphanius

höchst häufig vor.) Vgl. Hieran, adv. Hclvid. (Opp. ed. Par. 1706. IV, 2,

p. 130.): non campum rhelorici eloquii desideramus , non dialeclicorum tendiculas

nee Aristotelis spinela conquirimus ; ipsa scripturarum verba ponenda sunl.

12) Faustin, d. Irin. adv. Ariern, l, 10. (Bibl. fair. Galland. Ven. 1770, VII, p.

444.) : Noli infelix adversus Christum dominum tolius creaturae Arislotelis artificiosa

urgumenta colligere qui te Chrislianum qualitcrcunque profiteris, quasi ex disciplinae

tetrenae suppulalionis circumscriplor advenias. •

13) Thcodorct. serm. 5 d. nat. hom. (Opp. cd. Sirmond. Par. 1642. IV, p.

555.): ripfTg äi KVTIOV Trjv Ifj7i),rjf(av 6io(fV(>6fte#a, OTI ärj ÖQtoVTes ßag-

' av&Qianovg ryv cM.rjVtxriv fvyitarTCav vevixrtx6Tae xal roiis

ove [ivft-ovg naVTtifüg f^fi.r)i.K/^e'rovs xal zoiig ttiiKVTixov; Oo-

Tovg aTTixovg xaTaitivxörai avit.oyia/j.ove. (Diese Anspielung auf

die schlichte Rede der Fischer findet sich auch sonst noch öfters.)

14) Iren. adv. haer. II, 14, 5. (Opp. ed. Venet. 1734.1, p. 134 b.) : minutiloquium

autem et sublimitatem circa quaestiones, cum sit Aristotelicum , inferre fidei

conanlur. Euseb. hist. ecel. V, 27. (Opp. ed. Paris. 1591. II, p. 108): Christum

ignorant, ---- sed quaenam syllogismi ftgura ad suam impietatcm confirmandam reperiretur,

studiose indagarunt; quod si quisquam forle illis aliquod divini eloquii

testimonium proferal, quaerunt, ulrutn coniunctam an disiunctam syllogismi figuram

possit efßcere ...... sollerti impiorum astutia et subtilitate simplicem ac sinceram

divinarum scriplurarum fidem adulterant.

15) Hieran, ade. Lucifer. (ob. Ausg. IV, 2, p. 296.): Ariana haeresis magis

cum sapienlia seculi facit et argumentalionunt rivos de fontibus Aristotelis mutualur.

16) Socr., hist. cccl.U, 35. (ed. Vales. Turin. 1747, p. 114.): tv&iig ovv l$ivo(

f(ävei (nemlich Aetius) rovg tvTvy%avoVTag, TOVTO (Tt ^noiti rat; xarriyopfaig

llQiaTore'lovs nioitvtßV ßißklov tC^ ovitag foTlr ln:iyiy()a[t/j.£vov avTy'

f| aviäv ie Siai.ty6fj.fvog xal tKVTiji aöifta/jia noitöv ovx rja&eio ..... TOIS

XIII. Die kirchliche Auffassung. Die Behandlungsweise. 7

so stellte sich doch zugleich von selbst das Gefühl der Noth wendigkeit

ein, mit gleichen Waffen sich gegen die Feinde der orthodoxen Lehre

verlheidigen zu können, und erklärlicher Weise musste dieses Motiv,

dass die Dialektik dem Kampfe gegen die Ketzer diene, das Uebergewicht

erlangen. Also auf die Gesinnung und die Absicht, in welcher

man Logik betrieb, kam es nun an 17), und in solcher Weise durfte

man sich sogar logischer Kenntnisse rühmen 1S); sehr wohl aber konnte

hiemit die Anschauung verbunden sein, dass die dogmatische Theologie

eben doch nur aus äusseren Gründen in der Dialektik das Gebiet eines

bloss äusserlichen Wortkrames betreten habe, und es wird uns dem

nach nicht befremden, wenn wir weiter unten wiederholt eine offene

Feindschaft gegen alle Dialektik überhaupt antreffen werden.

Jedenfalls aber war, wie gesagt, die ecclesia docens schon in .den

ersten Jahrhunderten auf diese Weise dazu gelangt, dass sie eine ge

wisse Summe logischer Lehren in den Umkreis ihres Betriebes aufnahm,

und waren einmal irgend welche Compendien, — wenn auch mit Vor

behalt der Gesinnung und Absicht — , für den Gebrauch der Kleriker

recipirt, so konnte und musste wohl auch der Fall eintreten, dass Ein

zelne jenes Material, welches anderweitig als Mittel zum Zwecke dienen

sollte, zu einem speciellen und selbstständigen Gegenstande ihrer Be

schäftigung machten. Und hiebei waren es vor Allem die Kategorien,

welche von der spät- antiken Schultradition her eine reichliche Ver

wendung in den theologischen Hauptfragen , und zwar gerade zumeist

bei Auguslinus (betreffs der Trinität und der sog. Eigenschaften Gottes)

gefunden hatten ; ja es ist selbst möglich , dass man schon ziemlich

frühe die pseudo-auguslinische Schrift über die Kategorien (s. Abschn.

XII, Anm. 40—50) für ein achtes Werk hielt und so durch die Auclorilät

des Augustinus selbst sich in dem Studium dieses Gegenstandes

bestärkt fühlte. Halten aber die Kategorien jedenfalls eine bedeutende

Geltung für die Theologie, so lag ja in der Schrift des Porphyrius,

d. h. in den Quinque voces, eine in der Schule für unerlässlich gehal

tene Einleitung zu den Kategorien vor, und es verstand sich von selbst,

dass man für den Unterricht sowie für das Studium stets den Anfang

mit der Isagoge machte. Beide aber, nemlich sowohl das Buch über

Ix Tfäv xatriyo(>i(5v ao(f:(a/uaai OvvtTitfifivt , äto ovit vufjaai StSiivrfiai,

näe tonv äyfvvrjTos yfvvrjOts (vgl. Anm. 8).

17) Theodoret. hisl. eccl. IV, 26. (Opp. ed. Sirm. III, p. 707.): xal rtäv Xpi-

OTOTM.OVS aiji.ioyiafj.tuv xal TTJS TlkÜTiavog tienlag Sid TIOV äxotuv flseäifaro

(sc. dldvpog) TU fiaS-rifj.aTn oi>x <äs älij&eiuv ixnaiStvuvia, all' lös,

iijii.ct TTJS alri&tCas XUTU TOV ipfväovs yiyvopteva.

18) Cyrill. Alex., Thesaur. d. Irin. 11. (Opp. cd. Auliert Par. 1638. V, ^1, p.

87.): Ix [lU&rinuTiav rjfili' Ttöv 'AoiaTOTtlov; 6(>fiiö/u.fvoi xal Trj ätivorrjTi.

rijs tv xöafttf acxflng anoxt^rifitvoi xivnovg tytlQovcfi QTjfiaKov xcviöv

ovx tläöres Sri xal nyos TUVT^V üftaS-täs l/ovres fiey%9riaoVTui' &av/u.dacu

yuy oviias axo).ov9-ov, OTI äi) TÖV niQi TOB ju£/foj'oj xal liarioi'o; £ge-

T«fovi£f iöyov fnl TOV negl TOV 0/j.oCov xal avo/^ptov firianemüxaaiv

ovx elöötes OTI xaitt TJJV ^QtOTOT&iovs Tt/vr/v, l(^' j /Aaliora ftiyttio(fQOviTv

eitö&aaiv aviol , ovx eis iftvibv xctraraiTovicti yfvos TÖ re Sfioiov

xal TÖ ävöuotov <äs xal TÖ lufifoj' xal TO i&aTTOv. (S. Abschn. IV, Anm.

522 u. 531.)

8 XIII. Die Behandlungsweise.

die Kategorien als auch das Schriftchen des Porphyrius, lagen für die

lateinische Kirche in der Ueliersetzung des Boethius, noch dazu mit

Erläuterungen versehen, vor, und so wurden sie die hauptsächlichen lo

gischen Schulhücher des Mitlelalters.

Der geschichtliche Verlauf wird uns zeigen, dass lediglich aus der

unausgesetzten Beschäftigung mit Porphyrius und Boethius jener Streit

üher die Gellung der sog. Universalen entstand, welcher nach der bis

her gewöhnlichen Annahme in dem Gegensalze des Realismus und des

Nominalismus sich entspann 19), in Wahrheit aher eine hunte Menge

gar vieler Partei-Ansichten zu Tage kommen liess. Es war nicht etwa

ein eigener , individuell selhslständiger Gedanke eines hervorragenden

Mannes, durch welchen diese logischen Kämpfe wären hervorgerufen

wor-den , sondern ein üherkommener Stoff, schulmässig fortgeerbte Ge

danken aus dem Alterlhume waren es, welche man nur allmälig etwas

genauer ins Auge fasste und erst hiedurch zu einer bestimmten Partei-

Stellung veranlassl wurde, deren Wurzeln in der Tradition selbst schon

vorlagen. Von einem innerlich selbständigen Schaffen eines neuen

Momentes kann im Milielaller keine Rede sein, selbst bei Scotus Erigena

nicht, und auch bei Aliälard nicht. Jene ganze Zeit klebte wesentlichst

noch an der hlossen Tradition und konnte so höchstens durch einen

hingebenden, vielleicht auch durch einen minutiösen Fleiss sich inner

halb ihrer engen gegebenen Gränzen in einzelne Punkte fester verren

nen, nie aber frei mit dem Stolle wallen. Wohl trifft die Scholastiker

nicht der Vorwurf leichtfertiger Zuversicht oder hohler Eitelkeil, wo

mit sie etwa fertige Systeme in die Welt geschleuderl hätten, noch er

regen sie durch bodenloses Geschwätz jenen wissenschaftlichen Unwil

len, wie wir ihn z. B. bei der Lectüre Cicero's empfinden; aher weit

eher heschleichl uns ein Gefühl des Milleides, wenn wir sehen, wie bei

einem äusserst beschränklen Gesichtskreise die innerhalb desselben mög

lichen Einseiligkeiten mit ungenialer Emsigkeit gelreulichsl bis zur Er

schöpfung ausgebeulet werden, oder wenn in solcher Weise Jahrbunderle

auf das vergebliche Bemühen verschvvendel werden, Methode in

den Unsinn zu bringen. Solch wehmüthige Gedanken über verlorene

Zeit werden in uns zumeist gerade da rege, wo die verschiedenen

Meinungen betreffs der Universalien in ihren ausgebildeten Consequen-

19) V. Cousin (Ournages, inedils d'Abflard. Paris 1836. 4, mit einigen Ver

besserungen und Zusätzen wiederholt in Fragments de philosophie du moyen-dge.

,far, 1840 u. 1850. 8.) hat das grosse Verdienst, zuerst diese wahre Quelle des

Nominalismus und Realismus gezeigt zu haben, und auf Grundlage der Nachweise

desselben ga,b B. Haurcau (De la philosophie sculastique. l'ar. 1850. 8. 2 Bände)

noch manches schätzbare Material aus Handschriften, welcher überhaupt die Wis

senschaft mit einer ebenso reichhaltigen als genauen Darstellung des Scholasticismus

bis z. 14. Jahrh. beschenkte. Auch M. X. Rousselol , Etudes sur la philos.

dans le moyen-äye. l'ar. 1840 f. 2 Bade, ist zu erwähnen. Abgesehen von älterer

und veralteter Lilteratur, wie z. B. von dem ziemlich armseligen Buche des Ad.

Tribbechovius , De doctoribus sc/iolasticis (2. Aufl. v. Heumann, Jena, 1719. 8.)

werden wir Einzelnes noch unten am geeigneten Orte anzuführen haben. In neue

ster Zeit erschien eine werthlose Compilation von H. 0. Kühler, Realismus u. No

minalismus etc. Gotha 1858. 8.

XIII. Die Behandlungsweise. Hang zum Platonismus. 9

zen sich am heftigsten befehden , während das erste Auftauchen iles

Streites uns eher noch als befruchtend und anregend erscheint.

Doch dürfen wir hiebei nicht die Gränzen unseres hier gesteckten

Zweckes aus dem Auge verlieren ; denn nicht in seiner ganzen Ausdehnung

gehört jener Kampf der Geschichte der Logik an, und wir

haben hier nicht die Aufgabe, ihn nach allen seinen Seiten zu entwickeln,

sondern wir werden lediglich den logischen Gesichtspunkt festhalten

und daher sofort alles Theologische, was sich daran knüpft, ausscheiden

müssen und hiemit auch die Untologie, je mehr sie sich Schritt für

Schritt von der Logik losschält, hei Seite lassen, ja selbst von der Erkennlnisstheorie

nur jene Momente beiziehen, welche innerhalb der lo

gischen Lehren bis zu einem späteren Umschwünge der Logik selbst

fortglimmten.

Auf Grundlage dieser gebotenen Abgränzung versuchen wir nun,

die Erscheinungen auf dem Gebiete der Logik des früheren Mittelallers

nach ihrer Zeitfolge darzustellen, sei es dass sie als Compendien oder

dass sie als commentirende Erläuterungen auftreten.

Aber Ein höchst entscheidender Gesichtspunkt steht uns hiebei aus

Obigem bereits fest. Wenn nemlich die gesammte Dialektik als ein lee

res und formales Worlgeklimper betrachtet wurde (Anm. 8— 16), so

mussten diejenigen Kleriker, welche dennoch aus dem angegebenen

Grunde sich mit diesem Gebiete beschäftigten, nothwendiger Weise

bestrebt sein, dem Ganzen eine reale Grundlage zu geben, und nwar

konnte, wie sich von selbst versteht, hiebei keine andere Realität massgebend

wirken, als diejenige, welche in den christlichen Ideen sich

fand. Auch ist es wohl möglich, dass wie in anderen Beziehungen, so

auch betreffs der Logik Aussprache, welche in den Briefen des Paulus

vorlagen 20), als entscheidende Auctoritäl mitwirkten. Wenigstens finden

wir bei Theodorus Raithuensis (Mitte des 7. Jahrb.) mit direcler Bezug

nahme auf Paulus die Ansicht ausgesprochen, dass man sich in einem

Widersprüche gegen den Aposlel befinde, wenn man das Studium der

Kategorien als einen entscheidenden Vorzug des Theologen bezeichne

und hiemit die christlich fromme Stimmung in blosse Worte oder Wort

klänge verlege 21). Und wenn wir auch eben diese Stelle nicht gera-

20) Z. B. ad Corinth. I, l, 17. : eiiayyei.(£ca&ai ovx tv aotptq ioyov, ib.

2,4.: xai o iöyog ftov xal TO xf\f>vyfj.a fiov ovx tv ntiS-oii aoqlag ioyoig,

«W tv anodft^ei nvevftaTog xttl ovvKu.f<ag, ivet rj niaiig v/^tiiv ^ury 5 (v

aoyttt av&Q(än<av, &).),' tt> dvvu/ift &eov. ad Thessal. I, l, 5.: TO evayy&wv

r\fiü)V ovx fycTvrjS-ri ngog vpag Iv loy<p fiövov, äiiä xal (v övvä/tei xai

tv TivcvuttTi tty((j>. ad Timolh. I, 6, 3.: «? itg treyoSiänaxnitl — , TiTv(fia-

Ttti priolv fTtiainfj.tvog, nUä voaüv niQl fjjrjjfff/f xai Inyofia^lag. Vgl.

oben Anm. 3 n. 11.

(21) Theod. Railh. Praepar. d. incarn. (Bibl. Palr. Galland. XIII, p. 29.) : tneidri

<f^ 6 2evf,gos \pii.aig nfioxafH^erai ipiovaTs, fv (>yfiaa( re [tövoie xal »j^oif

Ti]V eva^ßfiKV vnorl&fTai , xairoiye rov anoaroiov ln-yovto; „ov yuQ tv

iöyta fj^ ßadiitCa TOV ^foü, «AA' tv ävvä/^ei xai alrjS-flq" (ad Corinl/i. I, 4,

20.)' oviog ät JTKQ' avTff ^evijQy xgäridTog frioloyog yvfaQCfncti , Sf «v

Tag xcrrriyoQlttg ItQtOTOTtlovg xal T« ioina TIÖV ?|ft) <fiioao<f(ov xo/j.if>a

fjaxrjufvog ivy^övrj. Uebrigens sind dergleichen allgemeioere Motive, welche in

der damaligen Zeit überhaupt lagen , weder bei Cousin noch bei Haureau in Be

tracht gezogen.

10 XIII. Isidorus.

ilr/H für das Mittelalter als die älteste und erste Kundgebung des Gegen

salzes zwischen Nominalismus und Realismus anführen wollen , so ist

doch jedenfalls so viel klar, dass der bei weitem überwiegende Zug

der Logik für die ersten Jahrhunderte grundsätzlich auf Seite des Rea

lismus liegen muss. Ein längerer Verlauf daher ist erforderlich, bis

endlich die Auffassung zu einiger Geltung durchdringen kann, dass auch

die Worte etwas Reales sind und dass die Worte in ihrem realen Sein

das Allgemeine in sich enthalten.

Auf solche Weise ist es uns nun völlig verständlich, wie schon

der erste Schriftsteller des Mittelalters, welcher der Geschichte der

Logik angehört, nemlich Isidorus Hispalensis (gest. 636) einen

entschieden theologischen Standpunkt einnimmt, während er zugleich

die logische Schultradition von Gassiodorus und Boetliius ausgehend

fortführt. Nemlich nicht etwa bloss ' dass er heidnische Leclüre den

Mönchen untersagt wissen will oder ddss er die Dialektik und Rhetorik

als ledigliches Wortgepränge dem Inhalte des Chrislenthums, ganz wie

wir oben sahen, gegenüberstellt22), sondern er suhstituirt auch aus

drücklichst die Theologie an Stelle der Logik ; d. h. während er die

üblichen Einteilungen der Philosophie und zugleich die Aufzählungen

der sieben Künste in den von ihm benutzten Quellen vorfindet23), hat

er in seinem bekannten eneydopädisehen Werke „Origines" oder „Elymologiae",

dessen zweites Ruch die Rhetorik und Dialektik enthält, noch

besonders Gelegenheil, auf diese Fragen einzugehen, und dort fügt er

demjenigen, was er aus Cassiodorus abzuschreiben findet (Abschn. XII,

Anm. 172), noch die Bemerkung hinzu, dass in den drei Zweigen der Phi

losophie (Physik, Ethik, Logik) sich auch die heilige Schrift bewege, und

zwar namentlich die Evangelien sich auf die logische Wissenschaft

beziehen, an deren Stelle man jetzt die Theologie betreibe24). Dabei

aber verbindet sich mit diesem Standpunkte eine für das Miltelalter

weit 'fortwirkende Unterscheidung zwischen ars und disciplina, welche

Isidor wahrscheinlich dem Victorinus (Abschn. XII, Anm. l ff.) ent

nahm25); wenn nemlich ars dem Gebiete des Veränderlichen und Wahr-

22) hid. Hisp. Opp. ed. du Breul. Paris. 1601. fol. — Regula. monach. c. 8. (p.

702 a.): Gentilium libros vcl liaereticorum Volumina monachus legere caveat. Senlent.

III, 13. (p. 670 b.): Ideo libri sancti simplici sermone conscripti sunl, iit non

in sapientia verbi, sed in ostensione spirilus liomines ad fidem perducerenlur ; nam

si dialectici acuminis versulia aut rhetoricae urlis e.loquentia editi essent, nequaquam

putaretur fides Christi in dei virlule sed in eloquentiae humanae argumentif

consislere, nee quemquam crederemus ad ßdem divino inspirumine- proviicari, sed

potius verborum calliditale seduci. Omnis secularis doctrina xpumantibus verbis resonans

ac se per eloquenliae tumorem attollens per doctrinam simplicem et humilem

chrislianam evacuata esl, sicul scriptum esl : nonne stultam fecit deus snpientiam

huius mundi.

23) D. diff. spiril. c. 34. (p. 302.) u. Oriy. l, 2. (p. 1.) u. II, 24. (p. 29 a.).

24) Orig. II, 23. (p. 29 a.): in his quippe tribus generibus philosophiae etiam

eluquia divina fonsislunl ; nam aut de natura disputare soleni ut in Genest et Ecclcsiastc,

aut de moribus ut in Proverbiis et in omnibus sparsim libris , aut de logica,

pro qua nostri tlteologiam sibi vindtcant, ul in Canlico canticorum et Evangcliit.

25) Wenigstens stimmt sie dem Sinne nach ganz mit demjenigen überein, was

in der Einleitung der uns erhaltenen Schrift des Victorinus Expos, in Cic. Rliet.

(p. 102 ed. Capper.) sich findet. Vgl. auch Marc. Cap. tt, 138.

XIII. Isidorus. 11

scheinlichen, disciplina aber jenem des Ewigen und Wahren angehört 2Ä).

so konnten nicht bloss das Rhetorische und das Speculative als zwei

gesonderte Zweige auseinandergelegten werden, sondern es durfte auch

letzleres nach seiner äusseren technischen Seite eine besondere Behand

lungsweise finden.

So theilt Isidorus das Gesammtgebiet der „Logik" (auch im fiinblicke

auf dicti-o und nermo) in Rhetorik und Dialektik27), und sowie

er sich bezüglich der schulmässigen Unterscheidung beider Wörtlich an

Cassiodorus (s. Ahschn. VIII, Anin. 25) anschliesst, so ist es überhaupt

des Letzteren oben (Abschn. XII, Anm. 172— 184) geschildertes monströ

ses Compendium, welches durch Isidorus mit einigen Abweichungen

oder Zusätzen den folgenden Jahrhunderten überliefert wurde. Nach

dem er nemlich den Uebergang von der Eintheilung der Philosophie

zur Isagoge in der nemlichen dürren Weise gemacht, welche wir hei

Cassiodorus sahen 28), gibt er eine Aufzählung und Erklärung der quin

que voces , wobei er die Verdienste des Porphyrius gegenüber dem

Aristoteles und Cicero hervorhebt 29) und offenbar nur aus der von

Boethius coimnentirten Uehersetzung des Victorinus geschöpft hat, auf

welch letzteren er auch am Schlüsse des Cap. selbst verweist30);

eigentümlich ist ihm dabei der höchst schulmässige Einfall, die fünf

Worte in Einem Salze beispielsweise auszudrücken31). Die hierauf fol

gende Angabe der Kategorien ist zu Anfang und am Schlüsse wörtlich

aus Cassiodorus entlehnt32), in der Mille aber ist sie ausführlicher,

26) Orig. 1,1. (p. 1.): Inter arlem et disciplinam Plato et Aristoteles hanc differentiam

esse voluerunl dicenles, arlem esse in üs quae se et aliter habere pos&unt;

disciplina vero est, quae de iis agil quae aliter evenire non possunt; nam quando

teris disputalionibus aliquid disserilur , disciplina erit ; quando aliquid verisimile

atque opinabile tractatur, nomcn arlis habebil.

27) D. differ. spir. c. 34. (p. 302 b.) : Nunc partes logiccs assequamur; cunslat

autem ex dialcctica et rlietorica. Dialectica est ralio sive regula disputandi intellectum

mentis acuens reraque a falsis distinguens; haec scientia, sicut quidam

ail, sicut ferrum venenum, ac armat eloquium. Orig. U, 24. (p. 29a.): Logicam.

quae rationalis vocatur, Pluto subiunxil .... dividens eam in dialeclicam et rhetorieam;

dicla autem loyica , i. e rationalis; ioyos enim apud graecos et sermonem

significat et rationem. Ebend. VIII, 6. (p. 106a.): Logici — quia in naturis et

moribus rationem adiung-unt, ralio enim graece ioyos dicitur. Ebend. II, 22. (p.

28 b.): Dialectiea est disciplina ad discerncndas rerum causas inventa; ipsa est

philosophiae species, quae logica dicitur, i. e. rationalis dif/lniendi quuerendi et

disserendi potens Aristoteles ad rcgulas quasdam huius doctrinae argumenta perduxit

et dialeclicam nuncuparil pro co quod in ea de diclis dispulalur , nam ütlji;

diclio dicilur (vgl. ebend. I, 22 f.) ; ideo autem post rhetoricam disciplinam dialectica

sequüur, quia in multis ulrique communia existunl

28) Abschn. XII, Anm 173.

29) Orig. II, 25, p. 30 a.: Cuius disciplinae difßnitionem plenam existimarunt

Aristoteles et Tullius ex genere et differenliis consislere ; quidam pustea pleniores

in docendo eius perfcctam subslantialem diffinitionem in quinque partibus velut in

membris suis diviserunl. Vgl. Boeth. ad Porph. p. 7. (ed. Basil. 1570).

30) Ebend. p. 30 b.: Isagogas autem ex graeeo in latinum translulit Victorinus

orator, commcntumque eius quinque libris Boelhius edidit.

31) Ebend. p. 30 a.: Vt est ex omnibus Ais. quinque partibus oralio plenac

senlentiae ila: „homo est animal rationale mortale visibilc boni malique capax."

(Vgl. Abschn. XI, Anm. 46.)

32) Cap. 26. p. 30 b. S. Abscbn. XII, Anm. 174. (auch die verdorbenen

12 X1I1. Isidorus.

namentlich an Beispielen. Dann reiht sich natürlich d. interpr. an, ein

Abschnitt , welchen wir hier zum ersten Male unter der barbarischen

Ueberschrift „De Perihermenüs Aristotelis" antreffen33); die Eingangs

worte und der eigentliche Kern (die Definition von nomen, verbum,

oral/o , enunlialio, affirmalio , negalio, contradiclio) sind wörtlich aus

Cassiodorus ausgeschrieben 34), dazwischen aberstehen einige allgomeinere

Bemerkungen, welche aus Boelhius (s. Abschn. XII, Anm. 110) entnom

men sind und dadurch, dass sie das Verhältniss zwischen Sprache und

Denken betreffen, eine grosse Wichtigkeit für die Folgezeit erhielten 35);

die Schlussworle aber des Cap. gehen einen erträglicheren Uebergang

zum Syllogismus als jene bei Cassiodorus 30). Die nun folgende Syllogistik

selbst ist nach einer einleitenden Verwahrung vor sophistischem

Missbrauehe 37) wörtlichst aus Cassioilorus herübergenommen 3S). Den

Inhalt der hierauf sich anschliessenden Lehre von der Definition, welche

Isidor aus Vietorinus entlehnt, mussten wir eben desshalb bereits oben,

Abschn. XII, Anm. 2. anführen. Von der Definition aber wird zur Topik

mit den nemlichen Worten wie bei Cassiodorus (s. ebend. Anm.

179) der Uebergang gemacht, und auch bei Aufzählung der Topen nur

Letzterer benutzt; aber es bleiben hiebei vorerst jene fremdartigen

Einschiebsel, welche wir oben (ebend. Anm. 181 — 183) sahen, völlig

hinweg, und ausserdem werden mit Uebergehung der rhetorischen To

pen unter den dialektischen nur die Ciceronischen vollständig und hiezu

drei aus jenen des Themistius aufgenommen 39). Endlich den Schluss

macht ein eigner Abschnitt „De opposilis", welcher allerdings hier nicht

in dem üblichen Zusammenhange mit der Kategorienlehre steht40),

sondern sich noch an das Material der Topik anschliesst, sowie er auch

Schlussworte des Isidorischen Textes sind nach dem dortigen Wortlaute des

Cassiod. zu lesen).

33) Man hielt nemlich das zusammengeschriebene Perihermenias (ne^l tQfAt)-

vetas) für einen Accusativ Plural und dachte sich hiezu einen Nominativ Perihermeniae.

(Ja noch im 19. Jahrh. finden wir bei Ild. v. Arx, Gesch. v. St. Gallen,

I, p. 262. ,,die Periemerien" des Aristoteles; s. unten Anm. 245.)

34) C. 27, p. 31 a. S. Abschn. XII, Anm. 175. (auch das Sprüchlein über

Aristoteles).

35) Ebend.: Omnis quippe res quae una est et uno signiftcalur sermone , mit

per nomen significalur aut per verbum, quae duae parles orationis interprelantur totum,

quidquid conccpit mens ad eloquendum ; omnis enim cloculio conceptae rei

menlis interpres est. Namentlich müssen wir hiebei den Sprachgebrauch „concipere,

conceptio" hervorheben.

36) Ebend. p. 3l b. : Utilitas perihcrmeniarum Itacc esl, quod ex bis interpretamenlis

syllogismi fiunt , unde et Analytica perlractantm. Vgl. Abschn. XII,

Anm. 176.

37) C. 28, p. 31 b.: plurimum adiuvat lectorem 'ad veritatem investigandam,

lanlum ut absil ille error decipiendi adversarium per sophismala falsarum conclusionum.

38) Das ganze Cap. enthält somit dasjenige, was wir schon oben Abschn. XII,

Anm. 176. u. 177. anzugeben hatten; nur lässt Isidor unter den ebendort Anm. 3,

13. n. 16. angeführten Stellen den Inhalt der Anm 3. hinweg.

39) C 30 S. Abschn. XII, Anm. 184; unter den dortigen Topen des The

mistius treuen wir hier nur: a loto, a partilms, a nota.

40) Wie z. B. Abschn. XII, Anm. 61. u. 94; hingegen in anderer Weise ebend.

Anm. 10.

XIII. Isidorus. 13

in der Thal aus des Boethius Commenlar zur Ciceronischen Topik excerpirt

ist41).

Aber ausser diesem Abrisse der Dialektik ist es bei Isidorus auch

noch Anderes, was in Folge der Auclorilät, welche er in der nächsten

Zeit genoss, einen Einfluss auf die Geschichte der Logik ausüble. Nemlich

einerseits finden sich einzelne Bruchstücke logischer Lehren in an

deren Abschnitten seines encyclopädischen Werkes, so z. B. neben der

(in dem Abschnitte über die Kategorien , s. oben Aiuu. 32) üblichen

Begriffsbestimmung des Homonymen u. s. f. kömmt Isidorus auch in der

Grammatik auf diesen Gegenstand , woselbst er aber die griechischen

Wertformen anwendet42); auch ist insbesondere aus der Rhetorik der

Abschnitt De syllogismis zu erwähnen, da er einerseits -für die Argu

mentation dem enthymema eine hohe Geltung verschallte (s. unten Anm.

92), und andrerseits eine wenn auch noch so kümmerliche Notiz vom

Dasein der Induction enthält. Der Inhalt dieser Lehre über den

Schluss 43) bietet natürlich durchaus Nichts neues dar, sondern ist aus

Victorinus entnommen (s. Abschn. XII, Anm. 12) und weist hiedurch

bis zu Cicero (Abschn. VIII, Anm. 53— 62, woselbst bes. Aum. 60 die

betreuende Stelle über das enthymema) zurück.

Andrerseits endlich hat Isidorus durch ein paar ledigliche Einzeln

heiten, welche an sich ausserhalb der Logik liegen, — gleichsam ohne

es zu wollen — , den Späteren Veranlassung zu Fragen dargeboten,

deren Beantwortung wir unlen als Glieder des geschichtlichen Verlau

fes werden anführen müssen44). Das Eine, was wir hiebei im Auge

haben , ist die Aufstellung eines Unterschiedes zwischen Rationale und

Ralionabile 45), welcher offenbar auf einer Stelle des Commentars des

Boethius zur Isagoge beruht46) und bewirkt haben mag, dass man

41) C. 31, p. 35a.: Primum gentts est contrariorum , quod im/lu Ciceronem

diversum (zu lesen adversum) vocalur .... secundum genus eil relativorum tertittm

genus esl oppositorurn (man bemerke den ungenauen Sprachgebrauch) habiltis

vel orbatio, quod genus Cicero privationem vocat quartum vero genus ex confirmatione

et negaiione opponitttr .... quod genus quartum apud dialecticos ninl/iiiii

habet conflictum et appellatur ab eis valae oppositum. Die Quelle hievon s. b.

Soeth. ad Cic. Top. p. 815 f., die betreffende Stelle Cicero's wurde oben, Abschn.

VIII, Anm. 42, angeführt.

42) Orig. I, 7, p. 4 a. : Synonima hoc est plurinomina homonima hoc est

vninomina

43) Orig. II, 9. u. 12. (p. 23 b.: Syllogismus graece. latine argumentatio appellatur

syllogismorum apud rhetores principaliter genera duo sunt, induclio et

ratiocinatio).

•14) Wenn es demnacb auch dem Leser auffallen mag, dass ich hier Solches

erwähne, so wird unten es sich zur Genüge begründen, warum ich aus dem über

reichen Schatze Isidorischcr Schulweisheil gerade diese , und zwar ansschliesslich

nur diese paar einzelnen Momente herausheben mussle. Wenn aber hiedurch be

treffs der Auffassung der Geschichte der Philosophie des Mittelalters an die Stelle

einer bisher üblichen rühmenden Erwähnung eines selbstsländigen Denktriebes die

Einsicht in die völlige innere Unselbstständigkeil damaliger Denker tritt, so

scheint eben eine derartige Aenderung der Ansicht uns das Richtige zu sein.

45) D. differ. spirit. 18, p. 297a. : Inier rationale et rationabile hoc inlerest,

sapiens quidam dicit: rationale est, quod rationis ulitur intellectu, ut homo ; ralionabile

vero , quod ralione dictmn vel factum est. Fast wörtlich ebenso Differ. lib.

p. 770a.

46) Porphyrius hatte nemlich bei Angabe desjenigen, was dem yfvog und der

14 XIII. Alcuim«.

später die dortigen Worte noch genauer erwog (s. unten Anm. 212 IT.);

das Andere aber besteht in der an die „Schöpfung aus Nichts" ge

knüpften Angabe, <l;iss die Finslerniss keine Substanz sei 4~), wovon wir

eine weitere Folge bald unten (Anm. 72 ff.) treffen werden.

Der nemliche Standpunkt wie bei Isidorus, sowohl betreffs der

Geltung der Dialektik als auch in abenteuerlicher Compilalion eines

Compendiuuis, waltet auch hei Alcuin (735—804), dessen Unterricht

in der damals üblichen Logik bekanntlich auch Karl der Grosse genoss

4S). Es gibt Alcuin nicht bloss die Eintheilung der Wissenschaf

ten in einem Schema nach Isidorus, sondern wiederholt auch wörtlich

aus demselben obige Anm. 24) theologische Auffassung der Logik49);

dabei aber zeigt er überall eine hohe Werthschälzung der Philosophie,

und während er häutig Klagen über eine weit verbreitete Unwissen

heit hieran knüpft, erhebt er sich zu dem Ausspruche, dass die freien

Künste die sieben Säulen der Weisheit seien 50) , und so übt er, auf

Augustin hinweisend, reichlich die überlieferte Schulphilosophie, d. h.

die Kategorienlehre, in den theologischen Hauptfragen über den Gottes

begriff und die Trinität51)-

Dass aber Alcuin selbst über alle sieben Künste geschrieben habe,

ist schon längst widerlegt 52) durch den Nachweis , dass ein im Mit

telaller viel gelesenes Excerpt aus Cassiodorus für ein Werk Alcuin's

gehalten wurde. Wohl hingegen bearbeitete er die Grammatik, die Rhe

torik und die Dialektik, und ausserdem übersandle er an Karl d. Gr.

das pseudo-augustinische Buch über die Kategorien (Abschn. XII, Anm.

« gemeinsam sei (Abschn. XI, Anm. 49.), als Beispiel das ioytxöv ge

brauch! in einer Stelle, welche nach der Übersetzung des Boelhius (p. 95.) lautet:

Cumque sit differentia „rationale", praedicalur de ea ut differentia id quod est

„ratione utt": non solum autem de eo quod est rationale, sed etiam de his quae

sub rationali iunl speciebus praedtcabilur ratione uti. In der Erklärung nun dieser

Worte sagt Boethius (p. 96.): de rationall duae di/ferentiae dicuntur; quod enim

rationale esl, utilur ratione vel habet rationem, aliud est aulein uti ratione, aliud

est habere ratiunem ergo ipsius ralionabilitatis quaedam differentia eil ratione

uti, .••i'il sub ralionabilitale posilus esl homo.

47) Sentent. l, 2, p. 620 b.: Materia ex qua coelum terraque formala est,

ideo informis rocala esl , quia nondum ea formala erant , quac formari restabant,

verum ipsa materia ex nikilo facla erat (p. 621 a.:) fio'n ex lioc iubstanliam

habere credendae sunl lencbrae, quia dicit domiitus per prophelam ,,egu dominus formans

lucent et creans tencbras" , sed quia anyelica natura, quae non ett praevaricala,

lux dicilur, itla aulem quae praevaricata ist, lenebrarum nomine nuncupalur.

48) Eijinh. Vil: Car. M, c. 25. : habuil in ceteris disciplinis praeceptorem Albinum

cognomento Alcuinum apud quem et rhetoricue et dialecticae .... ediscendac

plurimum et lempuris et laboris impendil. Saxo, Ann. d. gest. Car. M. V, v.

235 f. bei l'ertz, Montan, l, p. 271.: Anis rlutoricae seu cui dialectica nomen, sumpsil

ab Alcuini dogmate noliciam.

49) Alcuini Opp. ed. Proben. Balisb. 1777. fol. II, p. 332. u. Uialecl. l,

ebend. p. 335.

50) Z. B. Epist. 38. (I. p. 53.), Epist. 68. (p. 94.), Epist. 141. (p. 202.).

Gramm. (II, p. 268.) : Sapienlia liberalium litlerarum seplem columnis confirmatur,

nee aliler ad perfeclam quemlibel deducit scientiam, nisi his septem columnis vel

etiam gradibus exaltelur.

51) 1). fide Irin. I, 15. (I. p. 713.) u. Epist. dedic. (p. 704.), Quaest. d. Irin.

(l, p. 740.), Epist. 122. (l,* p. 177.), Epist. 221. (p. 285).

52) Vun Frobenius in d. praef. U, p. 263 f.

XIII. Alcuinus. lf>

40 ff.) mit einem metrischen Prologe53), welcher in Auffassung der

Kategorien den Standpunkt des Boelhius (s. ebend. Anm. 84) enthält.

Das Compendium der Dialektik selbst, welches ebenfalls einen der

gleichen (unbedeutenden) Prolog an der Spitze trägt, ist in Dialogfonn

geschrieben, so dass Karl d. Gr. immer die Fragen stellt, Alcuinus aber

sie beantwortet. Im Anfange ist hiebei Alles, auch die Theilung der

Logik in Rhetorik und Dialektik, wörtlich aus Isidorus (oben Anm. 27)

genommen, auf den eigentlichen Inhalt aber wird mit einer höchst

schulmässigen Einteilung der Dialektik in „fünf Arten" übergegangen 54).

Der erste Abschnitt, natürlich die Isagoge, ist wörtlich aus Isidor aus

geschrieben (mit Weglassung der Stellen in ob. Anm. 29 u. 30), auch

jener Eine Beispielsatz (Anm. 3l) fehlt nicht55). Die hierauf folgende

ausführliche Angabe der Kategorien 56) ist vollständig aus dem pseudoauguslinischen

Compendium mit barbarischer Schreibung der dortigen

griechischen Worte excerpirt (s. Abschn. XII, Anm. 50); das Einzige,

was neu hinzukömmt, ist, dass hier nun auch für die Kategorien Ein

Salz als Beispiel gebildet wird57). Wenn aber bei Pseudo - Auguslin

(c. 18) nach der zehnten Kategorie (habere) die übliche Besprechung

der Gegensätze folgt, so verschmäht hiefür Alciiin diese Quelle, indem

er unter der Ueberschrift „De conlrariis vel opposilis" nun wörtlich

den betreffenden Abschnitt aus Isidorus (oben Anm. 41) ausschreibt 58);

unmittelbar darauf aber springt er für die sog. Postprädicamente (prius

und simut) wieder auf PS. -Augustin zurück, lässt aber das dortige Cap.

21 (die immulatio) ganz hinweg69). Sodann folgt unter der Ueberschril't

„De argumentis" zunächst ein höchst kurzer Auszug aus jenem

Excerpte der Lehre vom Urlheile, welches Boethius seiner Schrift d.

diff. top. (s. Abschn. XII, Anm. 80 u. 165) einverleibt halte60), und

53) Derselbe lautet (H, p. 334.): Contintt isle decem naturac verlia libelliis,

Qnae iam verba lenent rerum ratione stupenda Omne, q«od in nostrum pulrrit decttrrere

sensum. Qai legil, mgenium vetentm mirabile landet Atque suum sludeat

tali exercere labore Exornans litulis vitae dala lempora honei,tis. Hüne Augustino

ldiicv.il transferre matjislro De veterum gazis graecorum clave lalina, Quem tibi rtx,

magnus sophiae sectator amalur, Munere qui lali gaudes, modo mitlo legendttm.

54) C. l, p. 336.: K. Quol sunt spccies diatecticae? A. Quinque principales:

isagoge, categoriae, syllogismorum formulae, diffinitimes, lupica, periermeniae. Al

lerdings eine monströse Anordnung, welche noch dazu mit der Fünfzahl schlecht

stimmt; doch s. unten Anm. 64.

55) C. 2, welches mit den Worten (p. 337.) schliessl: haec commentario sermone

de isagogis l'orjihyrii dicla sufficiant, nunc ordo postulat ad Aristotelis calegorias

nos transire.

56) C. 3—10, p. 337—342.

57) C. 10, p. 342. : K. Ex Ais omnibus decem praedicamentis unam milii coniunge

oralionem. A. l'lena enim oratio de his ila coniungi polest: „Auguslinus

magnus orator, fihus illius, stans in tcmplo hodie infulatus dispulando fatigatur.'1

58) C. 11, p. 343. Nur in den Beispielen sind die Eigennamen oder der In

halt derselben in das moral-theologische Gebiet umgesetzt.

59) Ebend. Weder am Anfange noch am Schlüsse dieser Postprädicamente ist

irgend ein Uebergang gemacht, der sie an das Vorhergehende oder das Nachfol

gende anknüpfte.

60) C. 12, p. 344. Nach der Bestimmung, was argumentum (rei dubiae affirmalio)

uinl was oratio (verum aut fatsum significans) sei, folgt die übliche Notiz

(s. Abschn. XII, Anm 111.) über est und nun est, sowie über die Casus

16 X1I1. Alcuinus.

hierauf, insoferne ja ebendort auch von der Argumentation die Rede ist,

eine armselige Auswahl einiger Beispiele von hypothetischen Schlüssen,

welche Boethius dort entwickelt ; hieran aber reihen sich noch die vier

ersten Modi der kategorischen Schlüsse an, welche aus Isidor (ob. Ami).

38) entnommen sind61). Die Lehre von der Definition, welche wieder

gänzlich auf Boethius beruht, zerfällt in eine Erörterung de modis dif-

(inilionum, wobei nur das Motiv des Herabsleigens vom Allgemeinsten

zum proprium (s. Abschn. XII, Anm. 105) angegeben und an dem Bei

spiele homo erläutert wird 62), und in eine Aufzählung de speciebus

diffinilionum , woselbst an die Bemerkung, dass es eigentlich fünfzehn

Arten seien, unter denselben aber einige rhetorische und einige dialek

tische sich finden (s. ebend. Anm. 107), eine durchaus hodenlose und

widersinnige Hervorhebung von acht Arten angeknüpft wird 6S). Aber

die Lehre von der Definition soll doch wieder, wie bei Isidorus (oben

Anm. 39), hauptsächlich nur zur Topik gehören 84), und es folgt hieinit

die Aufzählung der Topen, welche sonach auch ebendorther mit Weg

lassung der exlrinsecus vorkommenden entnommen ist, aber durch Boethianische

oder durch biblische Beispiele erläutert wird 65). Endlich

der abenteuerlich nachhinkende Abschnitt „De Perihermeniis" (s. oben

Anm. 33), — denn einige Trümmer der Lehre vom Urlheile waren ja

schon oben gelegentlich der Argumentation dagewesen — , ist gleich

falls dem Isidorus entlehnt und enthält somit zunächst auch die oben

(sie findet sich auch in Alc.'s Gramm. II, p. 271.), hierauf die Vierlheilung der

Urtheile bezüglich der Quantität (s. ebend. Anm. 124.), dann die Unterscheidung

in kategorische und hypothetische, bei deren ersteren die Begriffe subiectum, praertie.

ulum, maior, minor (s., ebend.) angegeben werden, woran sich noch die Utnkehrbarkeit

des das pvoprium enthaltenden Urtheiles anreiht (aequales aequaliter

circumverti possunl, s. ebend. Anm. 129.).

61) Ebend. p. 345. Den Uebergang hiezu bilden die Worte: Quomodo quaelibet

res his argumentis (!) confirmari pulest aut deslrui ? Die Beispiele der hypo

thetischen Schlüsse beziehen sich nur auf die zwei Modi Si A est, B est, A vero

est, und Si A est, Best, B vero nou est. Nach den vier kategorischen Modi stehen

die Worte : Horum enim syllogismorum multae sunt species , sed ha.ec ad praesens

sufficiant ad cognoscendum universales et parliculares conclusiones in afßrmando et

' negando.

62) C. 13, p. 345.: l'rimum per immensum tendi opork-l incipienlem a genere,

dehinc paulatim currendo per partcs devenire debet ad id , in quo solum est id,

quod difftnilum est ; ul In qui signa formant primo immensum sibi deligunt lapidem,

dehinc paultatim minuendo et abscindendo superftua ad formandos vullus et

membra perveniunl. Die Begriffsbestimmung der Definition selbst (oratio brevis

rem ab aliis rebus divisam prupria significatione concludcns) findet sich ebenfalls

Gramm, p. 271.

63) C. 14, p. 346.: K. Quol s/wcics sunt difßnilionum? A. Quindecim; sed

aliae ex las ad dialecticos pertinent, aliae ad rhelores. K. lllas maxime velim

audire , quae magis ad dialecticos perlinenl. Hierauf nun werden aus jenen des

Boethius folgende acht mit biblischen Beispielen vorgeführt: principalis, quae substanliam

demonslrat , a nolilia , quae rem aliquant per actum significat ....,

qualitativa , per di/ferentiam . . . . , per privantiam , per indigenliam pleni

, per laudem . . .. , iuxla rationem.

64) Ebend.: K. Cui enim parti dialeclicae artis hae difßnüiones mazime iungendae

sunt ? A. Topicis. Hiernach bliebe freilich trotz der sechs Abschnitte doch

obige Fünftheilung (Anm. 54.) gültig.

65) C. 15, p. 346—350.

XIII. Fredegisus. 17

(Anm. 35) betonten Momente fiber Sprache und Denken06); aber die

darauf folgenden Angaben über nomen, verbum und oralio sind aus Boethius

(die betreffenden Stellen desselben s. Abschn. XII, Anm. 110)

sehr bereit'bert und erweitert6')» und so wird bei Eintbeilung der

oralio die enunliativa scharf von den übrigen Arten getrennt (s. ebend.

Anui. 111), ja die letzteren sogar der Grammatik zugewiesen 6V), die

selben aber doch ebenfalls mit Beispielen aus Boethius angeführt, und

zuletzt noch auf das Kürzeste affirmalio , negalio und conlradiclio aus

Isidor (ob. Aum. 34) herübergenommen 69).

Abgesehen von dieser Compilation der Dialektik selbst haben wir

noch zu erwähnen, dass AIcuin auch in der Rhetorik nicht bloss

obige (Anm. 43) Stelle über Induction und Argumentation aus Isidorus

benützt70), sondern auch in ein paar Beispielen das Gebiet der so

phistischen Fehlschlüsse berührt71), wobei ihm Gellius als Quelle diente.

Zeigen uns diese beiden bisher betrachteten Compendien lediglich

die Form von Flickwerken, bei deren Abfassung nicht einmal mehr das

abslract logische Bedürfnis» einer irgend zusammenhängenden Reihen

folge mitwirkte, so erblicken wir allerdings im Vergleiche mit solchen

Scliulproducten schon einen Fortschritt darin, wenn der Eine oder An

dere durch das traditionell gewordene Material wenigstens zu Fragen

sich aufgefordert fühlt, welche er so oder so zu beantworten versucht;

aber hoiie Ansprüche dürfen wir an dergleichen erste Versuche nicht

inachen. Und nur einen Beleg für die völligste Unklarheit in jenen

Fragen, welche bald hernach zu einer Parleispaltung führten, gibt uns

die Art und Weise, wie Fredegisus, ein Schüler Alcuin's (gest. 834

als Abt in St. Martin zu Tours), in einer an die Theologen am Hofe

Karls d. Gr. gerichteten Epistola de nihilo el lentbris 72) sich mit den

Begriffen „Nichts" und „Finsterniss" herumschlägt, welche er nach der

üblichen Weise sowohl ratione (d. h. logisch) als auch auclorilale (d. h.

66) C. 16, p. 350. Jener Ausspruch über Aristoteles (ob. Anm. 34.) kömmt

bei Ale. Epist. 35 (I, p. 47.) sogar als proverbium wieder vor. Das Verbältniss

aber zwischen res, iulelleclus und vox drückt Ale. ausserdem Gramm. (II, p. 268.)

auch so aus: Tria sunf, quibus omnis collocutio disputatioque perficilur, res, inlellectus,

voces ; res sunt , quae animi ratione percipimus ; Meücctus , quibus res

ipsas addiscimus; voces, quibus res intellectas proferimus. Vgl. Epis.1. 123. (I, p.

179.): Verba enim, quibus Idquimur, nihil aliud sunt nisi signa earum rerum, quas

menle concipimus, quibus ad cognilionem aliorum venire volumus.

67) Ebend. p. 350 f. Namentlich findet sich hier auch wieder die Erwäh

nung erdichteter Begriffe, z. B. hircocervus, quod graece Iragelaphus dicilur.

68) Ebend. p. 351.: K. Num et illae aliae species quatuor (d. h. mterroyativa,

imperativa, deprecativa, vocativa) ad dialecticos pertinent? A. Non pertinent ad dialecticos,

sed ad grammaticos.

69) Ebend. p. 352.

70) D. Rhe.t. et Virt. (II, p. 324.).

71) Ebend. p. 326.: St dicis „non idem ego et tu, el ego homo", cansequens

est, ul tu homo non sis .... Sed quot syllabas habet homo? Duas. Nunquid tu

dtiae illae syllabae es? Nequaquam. Sed quorsum ista? ül sophisticam intelligas

versutiam. Vgl. Abschn. VIII, Anm. 66.

72) Gedruckt b. Steph. Baluzii Miscett. ed. Dom. Mansi. lucae. 1761 fol. II,

p. 56 b. — 58 a. Die Eingangsworte lauten: Omnibus ftdelibus et domini nostri serenissimi

principis Karoli in sacru eius Palalio consislenlibus Fredegysus Diacanus.

PBANTL, Gesch. II. 2

18 XIII. Fredegisus.

orthodox theologisch) besprechen will 73). Die Veranlassung zur gan

zen Erörterung überhaupt liegt sicher in obiger (Anm. 47) Stelle des

Isidorus 74), die Auffassungsweise aber ist abgesehen vom allgemeinen

theologischen Standpunkte in logischer Beziehung so plump oder so

naiv, dass wir in der That keine Wortbezeichnung für dieselbe finden;

denn wo von einer Erwägung über die sog. Universalien auch nicht die

geringste Spur sich zeigt, können wir unmöglich von Realismus oder

von Nominalismus sprechen. Kurz die Sache ist so monströs, dass wir

sie nicht einmal als eine Vorstufe späterer Ansichten bezeichnen kön

nen. Es wird nemlich nicht hloss mit dürren Worten gesagt, dass wir

mit dem Sprachausdrucke unmittelbar die Sache verstehen , sondern es

'wird auch Bezeichnung und Existenz selbst sofort als .identisch genom

men 75), wornach das existirende Nichts wie bei Isidorus eine An

knüpfung an die mosaische Genesis findet70); ebenso verfährt Fredegisus

betreffs der Finsterniss, kömmt aber hiebei durch den gleichen Geclankengang,

indem er sich auf das Verbum esse in einem biblischen Salze

stützt, zu einer von Isidor abweichenden Ansicht77). Höchstens liesse

73) Es ist doch merkwürdig, welch interessanten Mann lleiur. Hitler, Gesch.

il. Phil. VII, p. 187. aus diesem Fredegisus zu machen weiss, von welchem er sagt,

dass er „zu einem tieferen philosophischen Nachdenken geneigt in der Wissen

schaft eigene Wege zu gehen versuchte." Nachdem nemlich hierauf Ritter selbst

angeführt, dass Fred, im Streite gegen Agobardus den alleräussersten Autoritäts

glauben vertheidigle, heisst es weiter (p. 188.) : „Aber diess zeugt nur von seinem

grübelnden Geiste, keineswegs davon, dass er die Vernunft gänzlich der Auctorität

unterwerfen wollte; vielmehr erklärte er sich entschieden dafür, dass jede Aucto

rität nur durch die Vernunft ibre Auctorität habe." Als Beleg für diese Hhrase,

nach welcher wir in dem hyperorthodoxen Fred, zugleich wenigstens einen Vor

läufer Spinoza's und Lessing's zu verehren hatten, führt Ritter eben die auch uns

interessirenden Worte aus genannter Epislola an, welche bei Baluze allerdings folgendermassen

lauten (p. 57 a.): huic responsioni obviandum est primum ratione, in

>l n n nl u in hominis ratio patitur, deinde auclorilale, non qualibet , sed ralione dwn-

I a, ml, quae sola auclorilas est solaque immobilem oblinet ßrmilatem. Also Ritter

rnuthet seinen Lesern den Unsinn zu, Fred, wolle erstens ralione, und zweitens

aucturitate , aber letzteres eben doch wieder nur raticmc, verfahren. Aber hätte

Ritter nur nicht allzu flüchtig gelesen, so hätte er aus mehreren weiter unten fol

genden Worten (p. 57 a. : ad divinam auctoritalcm recurrere übet, quae est ralionis

/n um int' n et stabile firmamentum. p. 57 b. : ecce inticta auctorilas ralione comilata

et ml in quoque auctoritalem confessa faciamus palam pauca divinn testimonia

adgregantes. p. 58 a.: haec pauca ratione simul el auctorilate congesta .... scribere

curat'i) sehen müssen , dass ratio und auctorilas auch hier den tausendfältig vor

kommenden theologischen Dual rcpräsentiren , kurz, dass in öliger Stelle anstatt

des zweiten ,, ralione" natürlich „revclatione" zu lesen ist.

74) Demnach verspüren wir auch in dieser Hinsicht Nichts von „tieferem

philosophischen Nachdenken" oder von „eigenen Wegen" des Fredegisus. Vgl.

oben Anm. 44.

75) p. 57 a.: Omnc uomcn finilum aliquid significal , ut homo, lapis, liynum ;

haec enim «6t dicla fuerint , simul res quas signiftcant intelligimus — igitur „niliil"

ad id quod siyniftcat referlur Omnis iiynificatio eins significalio (die

letzteren zwei Worte fehlen im Texte) est, quod est; „m'W aulem aliquid signi-

/icat; igilur ..mli/l" eius signißcalio est, quod esl, id est rei exislenlis.

76) Ebend. : Universa ecclesia confitetur divinam potentiam operatam esse

ex in In In terram aquam aßra et ignem elc si ergo haec humana ratione

comprehendere nequimus, quomodo olttincbimus, quantum qualeve sit illud, unde originem

gcnusque ducunt.

77) Ebend. : Qui dicit lenebras esse, rem conslituendo ponit, .... »iam verbum

XIII. Hrabanus Maurus. 19

sich hervorheben, dass Fredegisus einen Rflekliall an dem theologischen

Begriffe des „Wortes Gottes" besitzt (s. Anm. 1221'.). Uebrigens vergl.

über jene beiden Begriffe auch unten Anm. 133 ff.

An den Namen des Hrahanus Maurus (geb. 776, gest. 856)

wurden allerdings in neuester Zeit Producte geknüpft, deren Eines von

den bisher betrachteten sehr abweicht. Es sind diess glossiremle Commenlare,

deren Besprechung jedoch jedenfalls erst weiter unten mög

lich ist; neuilich selbst wenn es aus inneren Gründen für wahrschein

lich gehalten werden könnte, dass wirklich Hrabanus sie verfasst habe,

so inüssle ihnen dennoch behufs einer richtigen Beurtheilung ihre Stelle

erst bei der Darstellung jener Bewegung angewiesen werden, welche

durch die Anschauungsweise des Scotus Erigena hervorgerufen wurde.

Somit schien es , da die Identität des Autors sich als sehr zweifelhaft

erweist, räthlicher zu sein, dass wir das Wenige, was sicher dem Ilrabanus

angehört und zugleich den bisher erwähnten Schriften verwandt

ist, gleich hier in Kürze vorführen, hingegen jene neuerdings gefundenen

logischen Tractate erst nach der Besprechung des äcotus einreihen

(Anm. 144 ff.). Zunächst demnach gehört aus den schon längst be

kannten Werken des Hrabanus 7S) ein Abschnitt der unter dem Titel

„De universo" verfassten Encyclopädie hieher, in welchem mit der

Ueberschrift „De philosophis" die Einteilung der Wissenschaften und

der Philosophie aus Alcuin (öl). Anm. 54, d. h. eigentlich aus Isidor,

s. Anm. 27) wiederholt und somit auch ausdrücklich gesagt wird, dass

die Logik sich in Dialektik und Rhetorik spalte 79). Sodann aber kömmt

Hrabanus auch in der Schrift De instilulione clericorum auf die sieben

freien Künste zu sprechen, und nachdem er dort schon im Allgemei

nen 'die Theologen vor Misshrauch der Disputirkunsl gewarnt hat 80),

ist diese Vorsicht ihm auch da das Ueberwiegende , wo er in der üb

lichen Reihenfolge (nach Grammatik und Rhetorik) nun de Dialeclica

selbst spricht; er wiederholt nemlich vorerst die Definition der Dialek

tik, welche von Isidor und Alcuin her die übliche war, und knüpft

daran allerdings den Ausspruch Augustins, dass die Dialektik zu wissen

wisse 81), aber er will die Uebung derselben nur auf den Kampf gegen

substanliae (d. h. „esse"), hoc habet in natura, ul cuicunque subieclo fuerit iunctum

sine negalione, eiusdem dedaret substantiam; igitur in eo quod dictum est ,,lenebrae

erant super fadem abyssi" , res constüuta est , quam ab esse nulla ttcgatio separat

auf dividit. Hierauf folgt noch eine Menge von Bibelstellen, in welchen von der

Kinsterniss die Rede ist, wobei natürlich die bekannte greifbare ägyptische Finsterniss

diesem Realismus als der willkommenste Releg sich darbietet (solcher Art ist

also die gepriesene „Vernunft-Auctorität" des Fredegisus).

78) Hrabani Mauri Opp. ed. Colvener. Colon. 1627. (öl. 6 Hände.

79) D. univers. XV, 1. (I, p. 201.): Logica aulem dividitur in duas species,

hoc est dialeclicam et rhetoricam.

^80) D. instit. der. Hl, 17. (VI, p. 40.): Sed disputationis disciplina ad omnia

'yencra quaestionum, quae in lüteris sanctis sunt penelranda et dissolvenda, plurimum

valet ; tantum ibi cavenda est libido rixandi et puerilis quaedam oslensio

decipiendi adrersarium.

81) Ebend. c. 20. (p. 42.): Dialectica est disciplina rationalis quaerendi, difftniendi

et disserendi, etiam vera a falsis discernendi polens; haec ergo disciplina

diteipKnaritm est, haec docel docere .... seit scire solo, et scieiites facere non sotum

null, sed eliam polest. S. Abschn. XII, Anm. 18.

2*

20 XIII. Scotus Erigena.

die Häretiker beschränkt wissen, und fügt darum sofort gleichsam zur

Warnung obiges Beispiel eines sophistischen Schlusses aus Alcuin Anin.

71) an S2), worauf noch an einer neutestamenllicheu Stelle die Möglich

keit gezeigt wird, dass unwahre Sätze in eiue wahre Verbindung kom

men, unil dann sogleich der die Dialektik betreuende Abschnitt abge

schlossen wird , um auf die nächstfolgende Kunst (die Mathematik)

überzugeben 83).

Wahrscheinlich im 9. Jahrhunderte war nun wohl auch eine theo

logische Schrift, nemlicli Pseudo-Boelhius De Trinilale , entstan

den, welche im Interesse der Dogmatik auf einzelne Momente der Logik

einlässlicher eingebt; indem wir jedoch uns vorbehalten müssen, das

Notlüge über dieselbe erst bei jeuer Zeit anzugeben, in welcher man

sie hervorzog und in eine nähere Verbindung mit logischen Controversen

zu bringen begann (folg. Abscbn., Anm. 3511'.), wenden wir uns

zu dem hervorragendsten philosophischen Schriftsteller des früheren

Mitlelalters.

Welch bedeutenden Einfluss Johannes Scotus Erigena (geb.

zwischen 800 und 815, gest. zwischen 872 u. 875) im Allgemeinen

auf die Theologie seiner Zeit und der nächstfolgenden Jahrhunderle

ausgeübt habe, ist bekannt84); vielleicht aber gelingt es uns, wofern

wir diesen schwierigen Schriftsteller richtig verstanden haben sollten,

ihm auch für die Geschichte der Logik eine entscheidende Stelle zuzu-

82) Ebend.: Quapropter oporlel clericos hatte artem nobilissimam scire

«/ subtiliter haereticorum versuliam hac possint dignoscere eorumque dicla veneficatis

syllogismorum conclusionibus confutare. Sunt enim mulla quae appellantur sophismata

proposuit enim quidam dicens ei cum quo loquebatiir „quod eao «um,

tu non es" etc.

83) Ebeod. : Sunt etiam verae connexiones ratiocinatiouis falsas haSeittfn senlentias

non enim vera inferebat apostolus (Paul, ad Cor. l, 15, 14— 17.) cum

dicerel „neque Christus resurrexil" et Hin alia ,,inanis est ßdes nostra), inanis esl

et praedicalio nustra" ; quae ornnino falsa sunl falsum esl ergo quod praecedit,

praecedil autem non esse resurreclionem morluorum Cut» ergo verae sint

connexiones non so/um verarum sed etiam falsarum sent entiarum , fädle esl veritatem

connexionum etiam in schalte illis discere, quae praeter ecclesiam sunt, senlentiarum

autem verilates in sanclis libris ecclesiasticis investigandae sunt. Ueberhaupt

ja theilt Hrabanus jenen Standpunkt seiner Zeit, wornach die heidnische

Litteratur an sich als verwerflich gilt (</. instit. der. HI, 20) und auch die sieben

freien Künste im Vergleiche mit der „bescheidenen Bildung" des Klerikers weit

zurückstehen. Comment. in Ecclcsiast. VIII, 11. (Vol. III, p. 484.): Seplem ergo

circumspcctores philosophiae liberalium artiutn sunt traditores , sed magis vera esse

in Omnibus clarel catholici t'i'rt modesta doclrina,. quae in ditiinis libris consislil,

quam omnis philosophorum multiplex in disputando et in argumenlando solerlia.

84) Es haben ja selbst theologische Coatroversen , wolcbe sich an Scolus

anknüpfen, uns aber hier nicht berühreo, ihren starken Reflex auch in der neueren

Litteratur gefunden, indem gegen Fr. Ant. Staudenmaier (Job. Scotus Erig. u. d.

Wissenschaft s. Zeit. 1. Th. Frankf. 1834.) und Saint-Rene Taillandier (Scol Erigene

et la philos. scolastique. Strasb. 1843.) Nie. Möller (J. Scot. Erig. u. s. Irr-

Ihümer. Mainz 1844.) auftrat. Uebrigens ist auch in der jüngst erschienenen

Schrift von Theod. Chrisllieb (Leben u. Lehre d. Job. Scotus Erig. Gotha 1860),

welcher in den abenteuerlichsten Gedankensprüngen den Scotus mit Spinoza,

Fichte, Schelling, Hegel u. s. w. in Verbindung bringt, die logische Seite des Sco

tus kaum mit etlichen Worten berührt. — Im Folgenden citire ich nach der Aus

gabe von H. J. Floss (Par. 1853, als 122. Band der ,g<yne'schen Patrplogia).

XIII. Scotns Erigcna. 21

weisen ; denn es scheint bezüglich des logischen Standpunktes, auf wel

chem sich Scotus befindet, immerhin noch kein erschöpfendes Urlheil

gefällt zu sein, wenn man ihn lediglich als Realismus oder etwa auch

als extravaganten Realismus bezeichnet, sondern mit der realisti

schen Auffassung, welche im Allgemeinen auf der biblisch-theologischen

Anschauung beruht, und welche dem Scotus abzusprechen natürlich Nie

mandem in den Sinn kommen kann, verbindet sich hier höchst eigenthümlich

ein dialektisches Motiv, welches uns dadurch von grösstem Be

lange zu sein scheint , dass wir in demselben die ersten Umrisse des

scholastischen Nominalismus erblicken.

Das Erste, was sicher jedem Leser des Scotus in die Augen springt,

ist die streng syllogistische Form, in welcher dieser Schriftsteller sich

bewegt, dabei zugleich, so zu sagen, seine logischen Schulkenntnisse

zur Schau tragend. Wir würden zwar an sich dieses nicht besonders

erwähnen, da unsere Aufgabe hier nicht ist, etwa sämmlliche logisch

geschulten Schriften aller Kirchenväter oder mittelalterlichen Theologen

zu regislriren ; hier jedoch besteht, wie uns di'uflu., zwischen solchem

äusserlichen Schulwissen und der inneren Auffassung ein enger Zusam

menhang. Scolus Erigena wendet offenbar in der Ueherzeugung , dass

die Syllogistik gerade in ihrer streng schulmässigen Form einen „philo

sophischen" Werth habe, all dergleichen Dinge an. So erscheint bei

ihm, — abgesehen von der häufigen und reichlichen Erörterung der Ka

tegorien in theologischem Sinne — , z. B. aus der Lehre vom Urlheile

die Eintheilung in bejahende und verneinende, und zwar mit der Be

zeichnung afßrmativus und abdicalwus 85) , oder die Angabe der ver

schiedenen Arten der Gegensätze80), unter welchen der sog. contradictorische

noch öfters besonders hervorgehoben wirds7), sowie die

85) Was die Kategorien betrifft , bei deren Gelegenheit Scotus einmal (d. dit>

is. nal. I, 51, p. 493.) das 10. Cap. aus Ps.-August. Caleg. ausschreibt, s. das

Nöthige nnlen Aiim. 139 ff. Bezüglich des Unheiles s. z. B. d. div. nal. I, 14, p.

462. : Et hoc (d. h. die &eolioyla xcncufaTixf) und fhto).oyla anotf arixti des

Pseudo-Dionysius Areopag.) brevi concludamus exemplo: „essentia est" afßrmatio;

,,essentia non est" abdicatio ; ,,superessenlialis est" affirrnatio simul et abdicatio.

Diese Terminologie, welche bei Scotus noch öfter erscheint, weist entweder auf

die Vermengung zurück , welche wir bei Cassiodor trafen (Abschn. XII, Anm. 176

u. 181.), oder Scotus selbst vermischte die Bedeweise des Boethius mit jener des

Marcianus Capella (s. ebend. Anm. 64.).

86) Ebend. 13, p. 458 f.: Oppositum dico aul per privationem aul per contrarietatem

aut per relalionem (dass hier aut per ncgalionem im Texte ausgefallen

sei, zeigt die sogleich folgende Erklärung) aul per absentiam nam opposita

•per relalionem ita sibi semper opposila sunl, ut simul el inchoare incipiant et si

mul esse desinant, Anm eiusdem naturae sinl, ut simplum ad duplum; aul per negationem,

ut est, non est; aul per (zu lesen propter) qualitatcs naturalcs per ab

sentiam, ut lux alque tenebrae , aut secundum privationem, ut mors et vita; aut

per conlrarium, nt sanitas el imbecillitas. Scolus schöpfte hiebei aus der nemlichen

Quelle wie Isidorns (s. oben Anm. 41.), nur entnahm er aus den Worten des

Boethius ungeschickter Weise eine Unterscheidung zwischen privalio und absentia.

87) D. praedesl. 5, 8, p. 378.: Aul quomodo de eadem volunlale passet si

mul dici ,,libera est, libera non est"; haec enim contradiclorie dicuntur , quia si

mul fieri non possunl D. divis, nal. IV, 5, p. 756.: conlradictoria proloquia fient,

et necessario unum erit verum, allernm falsum; non enim aul simul vera possunt

esse, aut simul falsa canlradicloria proloquia de subieclo eodem, sive universalster

22 XIII. Scotus Erigena.

gegensätzliche*!) Verhältnisse, welche zwischen dem Möglichen und dem

Unmöglichen bestehen, erwähnt werden 8S). Auch die übliche Aufzäh

lung der mehreren Arten der Definition findet sich berücksichtigt89).

Hauptsächlich aber sind es die Formen der Argumentation, welche Sco

tus eben nach der formellen Seite so häufig hervorhebt 90) , und wir

treffen bei ihm an vielen Stellen nicht bloss Syllogismen, welche voll

ständig schulmässig formulirl sind, in den Text verwoben91), sondern

er nennt auch sehr gerne Schlüsse, welche der Topik angehören, mit

ihrem technischen Namen 92). G'erade aber in letzterer Beziehung ist es

uns von grosser Wichtigkeil, dass Scotus das eigentlich dialektische

Verfahren, d. h. den Syllogismus überhaupt, genau von dem übrigen

bloss rhetorischen Gebiete unterscheidet und für die Beweisführung auf

die logische Form allein das entscheidende Gewicht legt. Nemlich zu

nächst wird von ihm schon jene Formulirung des disjunctiven Schlus

ses aufs höchste geschätzt, welche als enlhymema von Cicero her sich

in der Tradition erhalten hatte und hiedurch auch in Isidor's Encyclopädie

Eingang l'and »(s. oben Arnn. 43, und die Wiederholung hievon

bei Alcuin Anm. 70), und es erblickt Scotus in der Thal in. dieser

Schlussform den Höhepunkt aller „argumenla" , welche zwar immerhin

noch an die „signa vocalia" gebunden seien 93), ja die Macht der Form

sint sive particularilcr . Hier ist, wie man sieht, die Terminologie des ßoethins

(contradictorius, s. Abschn. XII, Anm. 113.) mit jener des Marcianus Capella (proloquium,

s. eberid. Anm. 62.) vermischt. (Nach Labbe, Bibl. Msscr. not), p. 45. soll

Scotus den Marc. Capella commenlirt haben; ausdrücklich erwähnt und benützt

hat er ihn bei der Kosmographie, d. div. nat. III, 33, p. 719.).

88) D. divis. nat. 11, 29, p. 597. : Possibilia quoque et impossibilia in numero

rerum compulari , nemo rede philosophantium contradicet De quibus quisquis

plcne volueril percipere, legal niQl fnfurivelaq, hoc esl de interprelatione, Aristotelem,

in qua aut de his solis , hoc est possibilibus et impossibilibus , aut maxtme

a philosopho disputatum est. Es versteht sich von selbst, dass das Ganze aus

Boethius entnommen isl (s. Ahschn. XII, Anm. 119.).

89) Ebend. I, 41, p. 483.: Quamvisque tmtltae definilionum species quibusdam

esse videantur, sola ae vera ipsa dicenda est definitio , quac u graecis oüaicööijs,

a nostris vero essentialis vocari consuevil ; aliae siquidcm aut connumeraliones intelligibilium

parlium ovn(as aut argumcntationcs quaedam extrinsecus per accidentia

aut qualiscunque sentenliarum species sunl ; sola vero ovaiiaSrjs id solum recipit

ad definiendum, quod perfeclionem nalurae, quam ilefinit , complet ac perftcit.

Es kann diess aus Alcuin (s. oben Anm. 62 f.) oder aus Isidor (oben Anm. 38 f.)

oder aus Boethius (Abscbn. XII, Anm. 105.) geschöpft sein.

90) Derartige Stellen bewegen sich in jemr Terminologie, welche bei Boe

thius die übliche ist; so z. B. afßrmalivus, neyativus , termini , dialeclica propusilio,

formula syllogismi conditimalis, auch connexio (s. Abschn. XII, Anm. 141.)

und sogar tropus (s. ebend. Anm. 119.); ausserdem finden wir noch colleclio und

reflexim, welche dem Apulejus (s. Abschn. X, Anm. 15. u. 19.) angehören.

91) So z. B. d. praedest. 14, 3, p. 410 ; ebend. 16, 4, p. 420. d. div. nal.

I, 49, p. 491. s. auch Anm. 94 ff.

92) Z. B. d. div. nat. I, 27, p. 474.: sunl loci dialeclici a yencre , a specie,

a nomine, ab antecedcntibus, a consequenlibus, a contrariis, eeterique liuiusmodi, de

quibus nunc disserere longum est. D. praedest. 2, 2, p. 362.: argumentum , quod

ab effectibus ad causam sumilur (ebenso ebend. 3, 2, p. 365.). Ebend. 9, 7, p.

393. locus a contrario und locus a similitudine , u dgl. öfters. Die Kenntniss

aber all dieser Topen konnte Scotus lediglich aus Cassiodor schöpfen.

93) D. praedest. 9, 3, p. 391.: Restant ea, quae contrarielatis loco sumuntur,

quibus tanta vis inest signiftcandi, ut quodam'privüegio cxcellcntiae suae merito a

Xlll. Scotus Erigena. 23

veranlagst ihn, das Enthymenia sofort als „Syllogismus" zu bezeichnen 94),

und an einer anderen Stelle, wo er ausdrücklich sagt, sicli der äno-

Stwtwri bedienen zu wollen, folgen lediglich Beweise in eben jener

disjunctiven Form 85); aber zugleich weist er dennoch den Formen des

sog. kategorischen Schlusses entschieden eine noch höhere Stellung eben

deswegen an, weil dieselben nicht zu dem Getriebe der äusserlich

wirksameren rhetorischen Argumentation gehören 9e). Dass aber dieses

Uebergewichl der syllogistischen Form auch bald von den Lesern des

Scolus als solches empfunden wurde, ist uns durch ein vollgültiges

Zeugniss bestätigt, indem ein Anonymus des 9. Jahrh. (s. unten Anm.

163) sagt, nach der Ansicht des Scotus bestehe die Dialektik in einem

beständigen Nacheilen und Sichverjagen (fuga et inseculio, vgl. unten

Anm. 204) der Sätze97). — Uebrigens konnte Scotus auch die Kenntgraeeis

cnthymemata dicantur, hoc est conceptiones mentis . . . . sicut ergo argumeni

in- a in omnium fortissimum est illud, quod sumitur a contrario, ila omnium signoiinii

vocalium aptissimum est , quod ducilur ah eodem contrarielalis loco. Ebend.

10, l, p- 393. : Restat considerare locum, qui, ut praediximus, a dialecticis ac rhetoricis

enthymcma vocatur , a grammaticis vero xai' ävtdfQaOtv , et esl omnium

argumentorum signorumquc verbalium nobilissimus. S. auch Anm. 96 am Schluss,

u. vgl. Anm. 189.

94) D. praedesl. 3, 3, p. 366.: Quae ratio enthymematis argttmento concludiinr,

quod semper est a contrario, cuius propositio talis est (nun folgt ein Schluss

nach der Form Non esl et A et B, A aulem est, ergo B non est , s. Abschn. VIII,

Anm. 60. u. Abschn. XII, Anm. 13. u. 69.) Idem quoque Syllogismus Aoc modo

conneclitur (ebenso).

95) Ebend. 4, 3, p. 371.: lila igitur rationis specie, quae dicilur.&noäeiXTixrj,

utamur primum adversus cos . , .. , worauf zwei Schlüsse in der so eben erwähnten

Form folgen und sodann mit den siegesbewussten Worten geendet wird: conclusum

esl igilur via igilur rcgia gradiendum nee ad dexlcram nee ad sinistram

diverlendum, etc.

96) Nemlich bei einer längeren Beweisführung betreffs der Immalerialität der

Substanz, d. div. nat. I, 47 IT., finden wir zunächst (47, p. 489.) nach den einlei

tenden Worten lins itaque paucas de pluribus dialcclicas collectiones considera zwei

kategorische Schlüsse nach dem 1. Modus der 1. Figur, sodann folgt eine Argu

mentation in dilemmalischiT Form (48, p. 490.) ; nach dieser aber steht folgen

der Uebergang (49, p. 490 f.): VI aulem plane cognoscas, ....hatte argumenlationis

accipe spcciem. Accipiam, sed prius quandam formulam praedictae argumentationis

fteri necessarium video ; nam praedicta raliocinatio plus argumentum a contrario videtttr

esse, quam dialectici syllogismi imago. Fiat igitur maxima propositio sie:

und nun folgen vier Syllogismen nach dem 2. Modus der 1. Figur mit den ab

schliessenden Worten : liaec formula idoneaest; unmittelbar hierauf aber: Hoc eliam

certa dialectica formula imayinari volo ; fiat itaque furmula syllogismi conditionalis,

was in der Forin St A esl, B esl, A vero esl geschieht; und nach all diesem

sieht zum eindringlichen Abschlüsse noch ein Enthymrma: Si aulem ,<" r >''r/< ///<«-

TOf, hoc est conceplionis communis animi syllogismum , qui omnium conclusionum

principatum obtinet, quia ex las quae siniul esse non possunt assumitur, audire desideras,

accipe huiusmudi formulam (wie oben Anm. 94.).

97) Bei V. Cousin, Ouvr. inc'd. d'Abel. p. 619.: Secundum vero Joannem Scotlinii

est dyalectica quaedam fuga et inseculio, ul cum quis dicil ,,omnis honestus

est", et insequitur alius dicendo ,,oinnis honestus non est" , talis haec dispulalio

fugae et inseculiuni videtur esse consimilis. Wenn übrigens schon der i. .1. 821

gestorbene Abt Benedict von Aniane über einen „Syllogismus delusionis apud modernos

scholasticos , maxime a/iud Scotos" klagt (Baluzi Miscell. ed. Mansi , II, p.

97.), so darf hieraus nicht etwa geschlossen werden, dass Scotus seine dialektische

Gewandtheit aus einem in Schottland weitverbreiteten Schulbetriebe der Logik

24 XIII. Scotus Erigena.

niss der von ihm angewendeten syllogistischen Formen lediglich aus

Isidorus (ohen Anin. 38) schöpfen, und es nötliigl uns keine einzige

Stelle zu der Annahme, dass er etwa auch des Boethius Ueberselzung

der aristotelischen Analytiken gekannt liabe 9S).

Eben diese Momente aber, welche gleichsam der logischen Praxis

des Scotus angehören, leiten uns auch auf desselben theoretische An

sicht bezüglich der Dialektik hinüber. Im Allgemeinen wohl theilt er

hierin die Anschauungen seiner Zeit, wonach die Uebung der freien

Künste zwar als etwas Lobcnswürdiges erscheint"), zugleich aber es

dabei auf die Gesinnung ankömmt, indem namentlich die Dialektik,

welche leicht missbraucht werden könne, ihre wesenlliche Aufgabe bei

Bekämpfung der Ketzer finde 10°). Aber bei Scotus, welchem ja durch

gängig Religion und Philosophie selbst identisch sind 101)i muss eben

deshalb die Logik auch noch etwas Höheres sein, als blosses äusserliches

Mittel zum Zwecke, kurz sie muss ihm als Form seiner Philoso

phie gelten, und hierin liegt nicht bloss der wesentlichste Vorzug des

Scotus vor einem Isidor oder Alcuin u. dgl., sondern auch, wie uns

dünkt, die Ursache seines Einllusses, sowie jener Verketzerung, welche

ihn später als einen Hort der Nominalisten traf (s. unten Anm. 312 f.).

Dass nun die Philosophie des Scolus dennoch auf einem, so zu sagen,

christlichen Platonismus beruhe und zugleich in ganz vernünftiger Weise

auf einen Pantheismus auslaufe, ist theils bekannt, thells ausserhalb

unserer hiesigen Aufgabe gelegen. Aber wie sich hiebei die principielle

Auffassung der Logik gestalte, müssen wir versuchen in's Reine

zu bringen 102).

Die Sctiplura divina ist es nach dem Standpunkte des Scotus,

habe schöpfen können, sondern jene Klage bezieht sich lediglich auf einen einzel

nen dogmatischen Gegensalz (betreffs der Trioitäl), welcher ebenso wie hundert

andere dergleichen in seiner Formulirung als Syllogismus bezeichnet werden kann.

98) Da uns dieser Punkt noch öfters (s. Anm! 156, 183, 196, 209, 253, 258,

277, 288, 310, 363.) von Wichtigkeit sein wird, musste ich absichllich im Bishe

rigen so ausführlich auf die logischen Quellen des Scolus hinweisen.

99) D. praedest. 18, l, p. 430. : Errorem sactiissimum eoruni (d. h. seiner dog

matischen Gegner) ex utüium disciplinarum, quas ipsa sapientia suas comites

invcstiyatricesque fteri voluit (vgl. oben Anm. 50.), ignoranlia crediderim sumpsisse

primordia An einer anderen Stelle, d. div. nat. I, 27, p. 475, werden sämmtliche

sieben Künste definirt; s. unten Anm. 106.

100) D. praedest. l, 2, p. 358.: disputandi disciplinae regulis necessario uti

iukemur, dum adversus quendam saphrophilum (zu lesen saprophilosophum), nomine

Gotescalcum (bekanntlich der Hauptgegner des Scotus) ... respondere cornpellimur.

Ebend. 7, l, p. 382.: Polest mim aliquis in disciplina dispulandi, quae dicitur

dialectica, peritus, quae nullo dubitante a deo homini donalm, si volueril, bene uti

polest e contrario perniciose uti, ad quod non est data , dum (also, pro verii

approlans alias in. errorem mittat falsisque ratiocinationibus simplicium sensus confundat

etc. (vgl. oben Anm. 80.).

101) Ebend. l, l, p. 358.: Conficitur inde , veram esse philosophiam veram

reliyionem conversimque veram religionem esse veram philosophiam. Bekanntlich

zieht sich diese Auffassung durch das ganze System hindurch.

102) Wenn z. B. H. Ritter, Gesch. d. Phil. VII, p. 222, hei Scotus viele Wi

dersprüche erblickt und meint, „an ein methodisches Verfahren sei natürlich hie

bei nicht mehr zu denken", so ist diess sehr irrig, denn Alles löst sich, sobald

man nur genauer zusieht.

XIII. Scolus Erigena. 25

welche als ihre vier Theile in aufsteigender Rangfolge, entsprechend

den vier Elementen (Erde, Wasser, Luft, Feuer) in sich die Geschichte,

die Elhik, die Physik», und die Theologie enthält 103), und sowie wir

hiebei einerseits uns auch an die Auffassung hei Isidor (ob. Anm. 24)

erinnert fühlen, so müssen wir andrerseits zugestehen, dass für eine

derartige aufwärtssteigende Linie erst mit einer geistigen Erhebung über

das lediglich Factische der Geschichte der Weg zur „Weisheit" betre

ten werde, sowie dass die feste Form eines solchen Ringens nach

Weisheit sicher für den ganzen Weg, welcher bis zum höchsten Ziele

durchlaufen werden mus.s, die leitende Fahrerin sei. Somit ist es uns

sehr wohl verständlich, wenn Scolus anderswo die eigentliche „sophia"

in die praktische, die physikalische, die theologische und die logische

eintheilt, und der letzteren die „Regeln" zuweist, nach welchen man

sich hei den „Erörterungen" in jeder der drei anderen Arten der Weis

heil bewegen soll 104). Handelt es sich aber hiemil bei jeder Weis

heit um irgend Kundgebungen, welche in menschlichen Worten bestehen,

so hat die Logik oder — wie sie Scötus übrigens stets nennt — die

Dialektik jedenfalls Eine Seile, nach welcher sie mit dem Wortaus

drucke verflochten ist, während sie andrerseits ihre wesentliche Aufgabe

darin besitzt, dasjenige zu erforschen, was Scolus (in realistischem

Sinne) die „Natur der Dinge" nennt. Er spricht sich neinlich über die

ses ganze Verhältniss sehr klar und entschieden aus, wenn er sagt,

Grammatik und Rhetorik seien Gliedmassen oder Zweige oder wenig

stens Werkzeuge der Dialektik, durch welche sie ihre Entdeckungen

kundgebe und unier Menschen verwerlhe; die Grammatik nemlich ent

halte die Regeln der kundgehenden „vox" selbst, welche nach Aristo

teles nur auf Gewohnheit beruhe, die Rhetorik hingegen handle entwe

der über speeielle Fälle und Verhältnisse, oder bespreche allgemeine

Gesichtspunkte (loci communes), welche schon in der Natur der Dinge

liegen, daher im letzleren Falle die Rhetorik bereits die Rolle der Dia

lektik übernehme; somit seien Grammatik und Rhetorik durchaus nicht

principlos, wohl aber bestehe ein relativer Comparaliv in der Stärke

der Beweise, je nachdem dieselben mehr aus der Natur der Dinge ent

nommen seien, und die höchste Stufe liege dann vor, wenn die Seele

innerhalb ihrer selbst ohne das Geräusch des Sprechens oder der Rhe

torik über die Technik der übrigen Disciplinen nachdenke 105). Durch

103) lluiii/l. in Kr. loann. f. 291.: Divina liquidem serif tura mundus quidam

est tiili-lliii/liil/s , suis quatuor partibus veluti qualuor elemenlis constilulus. Cuius

terra est relttti in medio imoque instar centri historia, circa quatn aquarum similitudine

abyssus circumfundilur moralis intelligenliae, quae a graecis ethice solcl appellari

; circa quas, hisloriam dico et ethicam, vcluli duas praefati mundi inferiores

partes, der ille naluralis scicntiae circumvolvilur, quam, naturalem dico scientiam,

graeci vocant physicen ; extra haec omnia et ultra aethereus ille ignetisque ardor

empyrii coeli, hoc est suptrae contemplutionis dieinae naturae, quam graeci tlteologiam

nominant, circumglobatitr, idtra quam nullus egrcdilur inlellectus.

101) D. die. nat. III, 29, p. 705.: intenlus prospiciat quadriformem sophiae

divisionem; et est quidem prima nQnxTixrj, activa, secunda ifvaixf], naturalis, tertia

ftcoloyCa, quae de dto disputat, quarta ioyixfi , rationalis, quac oslendit, quibus

regulis de unaquaque trium aliarum sophiae parlium disputandum.

105) Ebend. V, 4, p. 869 f.: Cum ex überallhin disctplinis praefalas attraxe

26 XIII. Scotus Erigena.

diese deutliche Erklärung können wir jetzt den Inhalt obiger Anm.

92 — 96 vollständig verstehen, denn nun wissen wir, warum bei Scolus

die loci communes der Topik eine Bedeutung erjialten (s. auch unten

Anm. 132), und warum der im Enthymema liegende locus des Gegen

satzes, welcher ja innigst in die „Natur der Dinge" verflochten ist (man

denke auch an die affirmative und negative Theologie des Pseudo-Dinnysius

, welche Scotus adoplirle) , vor Allem als der wichtigste und

stärkste bezeichnet werde, und warum endlich dennoch über das Enthy

mema hinaus an Reinheit des Gedankens der eigentliche Syllogismus

hervorrage, welcher von allem rednerischen Gepränge frei ist. Kurz

die Dialektik hat bei Scotus eine Stellung, gemäss deren sie unweiger

lich auf die äussere Kundgebung (vox) und auf die menschlich gefassten

Gemeinbegrifle (conceptus communes) eingehen muss, zugleich aber

aus diesem Gebiete zum höchsten reinen Wissen führen soll, und wenn

Scotus die Dialektik als „die Erforscherin der vernünftigen Gemeinbegriffe"

defmirl 106), so fasst er hiemit nach seiner Grundansichl in

Kürze eben jene zwei Seiten ziTsammen, nemlich einerseits die Ver

wandtschaft der Logik mit der Rhetorik, welche die Technik der in

Worten auftretenden Erörterungen ist107), und andrerseits das hohe

Ziel, zu welchem die in den Worten ausgesprochene Vernunft geführt

ris argumentationes , cur grammaticam et rhetoricam praetermiseris , non satis video

Primum quidem quia ipsae duae artes vehiti quaedam membra dialecticae

mullis philosopkis non incongrue exislimantur ; deinde brevitatis causa, Postremo

quod non de rerum natura traetare videntur , sed vel de regulis humanac vocis,

quam non semndum naturam sed secundum consueludinem loqucntium subsistere

Aristoteles mm suis sectatoribus approbat (aus Boethius, s. Abschn. XII, Anm. 110.),

vel de causis atque personis specialibus , quod lange a nalma reium distat ; narr,

dum rhetorica de communibus locis , qui ad naturam rerum pcrtinent , traetare nititur,

non suas sed dialecticae arripit partes. Hoc aulem dico , non quod omniiio

grammalica et rhetorica suis veluti principiis caruerint, sed quod validioris

vigoris sint ad approbandas vel negandas quae s Hone s , quae de rerum incertarum

inquisilionibus ftunl , argumenta ex natura rerum sumpla, quam ex humanis inventionibus

excogitata Cur itaque in numero liberalium disciplinarum computaniur,

si secundum naturam non siml, sed secundum humana macliinamcnta? Non aliam

ob causarn video praeler quod matri artium, quae esl dialeclica, semper adhaereant ;

sunl enim veluli quaedam ipsius brachia rivulive ex ea manantes vel cerle instrumenta,

quibus suas intelligibiles invenliones humanis usibus manifestat Polest

enim rationabilis anima intra semelipsam de liberalibus disciplinis traclare absque

vocis articulatae disertaeque orationis slrepitu. (Bei Haureau, De la phil. scol. I,

p. 1 18 f. findet sich bezüglich dieser Stelle ein schlimmes Missverständniss).

106) Ebend. I, 27, p. 475. (woselbst alle sieben Künste definirt werden):

Grammatica est arliculatae vocis custos et moderalrix disciplina. Rlielorica esl ftnilae

causae seplem periochis (nemlich persona , maleria , occasione , qualitate , luco,

tempore , facultate) sagax ei copiosa disciplina. Dtaleclica est commtiuium animi

conceptionum rationabilium diligens invesligalrixque disciplina. Die Bezeichnung

conceptio animi weist auf Boethius zurück, s. Abschn. XII, Anm. 110.

107) D. praedest. l, 3, p. 358.: non incongrue regulis disputaloriae artis (s.

Anm. 112) utemur; cum enim per artem rheloricam et vera suadeanlur et falsa,

quis audeat dicerc , advcrsus mmdacium in dcfensoribus suis inermem debere consistere

veritatem. Uebrigens erklärt sich nun auch , sowohl dass (Anm. 92) das

Enlhymema allt'n drei Disciplinen, nemlich der Grammatik, der Rhetorik und

der Dialektik, zugewiesen wird , als auch warum bei eben jener Schlussform slets

von conceptio mentis (ebend.) oder conceptio communis animi (Anm. 9ti. u. 10ö.)

die Rede sei.

Srolus Erigena. 27

werden soll. — So also ist die logische Praxis bei Scolus im Einklänge

mit der theoretischen Auffassung.

Ergibt sich uns aber schon aus dem Bisherigen als Resultat das

anscheinend Widerspruchsvolle, dass Scotus, der Platoniker und Anhän

ger des Pseudo-Dionysius, zugleich die Veranlassung zum Hervortreten

einer nominalistischen Partei darbieten konnte, so scheinen die Belege

für diese eigentümliche Thatsache auch noch anderweitig sich zu ver

mehren. Was nemlich die nähere Darlegung der Aufgabe der Dialektik

bei Scotus betrifft, so finden wir allerdings zunächst durchgängig den

platonischen Doppelweg (s. Abschn. III, Anm. 68) verquickt mit dem

Schul-Mechanismus der Tabula logica des Porphyrius oder Boethius (s.

Ahschn. XI, Anm. 60 u. Abschn. XII, Anm. 87 u. 66 ff.). Er bedient

sich hiefür der Ausdrücke öjatpetixij (oder auch fisptOftog) unt' ttvukv-

Tiinj108), und sowie ihm sowohl in logischem als auch in ökologi

schem Sinne erslere als das Herabsleigen vom Allgemeinen zum Indivi

duum gilt, so versteht er ebenso unter letzterer jenen Rückgang des

Individuellen, durch welchen es von seiner speciellen Gestaltung (j/innn)

befreit wird und zuletzt in die höchste Einheit (d. h. in Gott oder das

All) als aufgelöstes zurückkehrt109); auch tlieilt er diesen Doppelweg

noch einmal zweigliedrig, indem er in einem quadrivium der Dialektik

von der SicciQsnxi] zur OJHÖTIJM/ gelangen und von da durch die änori

erst zur avaivriKr) sich erbeben will110), wobei wir sofort

108) D. hierarch. coel. Dion. 7, 2, p. 184. : Duae quippe parles sunt dialecticae

disciplinae, quarum unn Siatyerixri, altera ärctf.vrixri nuncupalur. Et Siai-

Qlitxri quidem divisionis mm possidet; dividil namque maximorum generum unitatem

a summo usque deorsum , donec ad individuas species peroenial inque iis divisionis

terminum ponat. Xi'tt&VTixri vero ex adverso sibi positae partis divixi&nes

ab individuis sursum versus incipiens perque eosdem gradus , quibus illa descendit,

ascendcns convolvit el colligil easdemque in unilalem maximorum generum reducil,

ideoque reducliva dicitur seu reditiva. D. dir. not. II, l, p. 526. : Xi'alviixrj

rero de reditu dicilur divisionis formarum ad principium eitisdem divisionis ; omnis

enim divisio, qutte a yraecis utQiGfibs dicilttr quasi deorswn descendens ab

uno quudam depnilo ad infinitos numeros videlur , hoc est a gcneralissimo usque

ad specialissimum; omnis vero recollcctio veluti quidam reditus Herum a specialissimo

inchoans et usque ad generalissimum ascendens itrc.l.imx/i vocatur ; tst igilur

reditus et rcsolutio individuorum in formas, formarum in genera, generum in

usiat, usiarum in sayientiam et prudentiam, ex quibus omnis divisio orilur in easdemque

ftnitur.

109) D. hier. coel. Dion. 15, l, p. 252.: jiva\\ttiv.i\ enim esl disciplina,

quae risibilium imaginum interprctalionem in invisibilium inlellectuum uniformitalem

resohil omni forma mrentium In Bezug auf Golt selbst kann das Herabsteigen

zum Individuum sehr wohl als Aullösung Gottes, sowie die Rückkehr ins Allge

meine als Apotheose bezeichnet werden, und in solchem Sinne sagt Scotus, Praef.

ad ambig. Max. p. 1195.: quomodo causa omnium, quae deus est, una sit simplex

el multiplex; qualis sit processio, id esl mulliplicatio divinae boiiüalis per nmnia,

quae sunl, a summo usque deorsum el Herum eiusdem, divinae videlicct bonitatis,

quatis sit reversio, id est eongregalio per eosdem gradus usque ad simplicissimam

omnium unitalem ita ut et deus omnia sit et omnia deus sint; et

quomodo praedicta quidem dh'ina in nmnia processie ävitUvi i xr/ dicilur, hoc est

resolulio, reversio vero S-tioOtg, hoc est deifitatio.

110) D. praedest. l, l, p. 358.: bis binas parles jirindpales ad omncm quaetlionem

solvendam necessarias habere dignoscilur (sc. philotophia), quas graecis placuil

nominare Jtai^frixij, oQiOrixf], anodttxtixri , ävnivnxri, easdemque lalia

28 XIII. Scotus Erigena.

erkennen müssen, dass für Scotus die Aufgabe der Dialektik, soweit

dieselbe als Technik der Erörterungen zumeist eine formale Seite hat,

hauptsächlich in die beiden mittleren Stufen falle , daher er ihr auch

insbesondere die Function des Definirens zutheilen kann111), denn inso

fern sie defimrt, erfasst sie die Substanz und findet in dieser sich wie

der auf die nach Oben und nach Unten gehende Stufenfolge der Ent

wicklung hingewiesen 112).

Eben aber diese Mittelstellung, in welche die technischen Manipu

lationen der Logik auf solche Weise gerathen, führt wieder zu einer

unverkennbaren Wertschätzung des Wertausdruckes , in welchem auf

jener Stufe die Vernunft sich bewegen muss. Sehr erklärlich vorerst

ist es, dass auch Scolus für das dialektische Verfahren des Theilens

und Zusammensetzens ein erschöpfendes Register in den aristotelischen

Kategorien erblickt, und er unterscheidet sich hierin weder von der

damaligen allgemeinen Schul-Ansicht noch von der Auffassung des Boethius

113). Auch sind ihm, wie sich von selbst versieht, die Kategorien

an sich selbst betrachtet etwas Unkörperlichcs 114), und sowie er sich

liier possumus dicere divisonam, deßnitivam, demonstrativam, resolutivam. Quorum

enim prima unum m mulla dividendo segregat , secunda unum de mullis deßniendo

colligil, tertia per manifesla occulta demonslrando aperit, quarla composila in simplicia

separando resolvit His enim lanquam utili quodam honestoque humanae

raliocinationis quadrifio ad ipsam dispulandi disciplina, quae est verilas, omnis in

ea eruditus perreniri nun dubilal.

111) D. div. nal. l, 44, p. 486.: quid nos prohibet, definiendi disciplinam in

ier arles ponere adiungenles dialecticae , cuius proprietär est , omnium rerum quae

inlelligi possunt naturas dividerc, coniungere, discernere propriosque locos unicuiqut

distribuere. Welche Bedeutung die loci für ihn haben, sahen wir so eben Anm.

105, sowie auch Anm. 95, dass zur itnoSitxrixr) der disjnnctive Schluss gehöre.

112) Ebend. V, 4, p. 869.: Nonne ars illa, quae a graecis dieitur dialectica,

et deftnitur bene dispulandi scienlia (also auch hier wieder die Verwandtschaft mil

der Rhetorik, s. Anm. 107), primo omnium circa ova(av veluti circa proprium sui

principium vcrsatur , ex qtia omnis divisio et multiplicalio eorum, de quibux ars

ipsa dispulal , inchoat • per genera gcneralissimu mediaque gcnera usque ad formas

et species specialissimas descendens el Herum complicationis regulis per eosdem gradus,

per quos degreditur, donec ad ipsam oi'OCav , ex qua cgressa esl, perveniat,

non desinit redirc in eam, qua scniper appetil quiescere.

113) Ebend. I, 14, p. 402 f.: Aristolcles , aculissimus apud graecos, ut aiunl,

naluralium rerum discretionis repcrtor, omnium rerum, quae posl deum sunl et ab

eo erealae , innumerabiles varietales in decem universalibu$ generibus conclusil,

quue decem calegorias, id est praedicqmenta, vocavit. fiihil enim , ut ei visum , m

miillitiidinc creatarum rerum variisque animorum molibus inveniri polest , quod in

aliquo praedictorum ijenerum includi non possit ; haec autem a graecis vocantur

nvn(ct, TioaÖTijs, Ttoiörri; , nQoq n, xiia&ut, ?|(f, ronug, %QÖVOS, nyäiitiv,

nicll'ti'i' , quae lalialiter dicuntur essentia , quantilas , qualitas , ad aliquid , situs,

habitus, locus , tempus , agere, pati lila pars philosophiae , quae dieitur dialeclica,

circa liorum generum divisiones a generalissimis ad specialissima ileruntque

collectiones a ipecialusimit ad generalissima versalur. Vgl. Abschn. XII,

Anm. 84 f.

114) Ebend. M, p. 478.: Non te tatet, nullam praedictarum categoriarum^.

quas decem esse Aristoteles definivit, dum per sc ipsam , hoc est in sua nattira ra-^j

ti'onii contuitu consideratiir (man beachte diese Beschränkung, s. Anm. 117), sen-s

sibus corporeis succumbere ; nam nvcfi'rt incorporalis est nullique corporeo sensui

subiacet, circa quam aut in qua aliae novem calegoriae rersantur. At si illa incorporea

est, num libi uliter videlur, quam vl omnia, quae aut ei adhaercnt aut in ea

subsistunt et sine ea esse non possunt, incorporea sint.

XIII. Scolus Erigena. 29

bezüglich der Immaterialität der Universalien auf Boelhius beruft und

aus ihm den für das ganze Mittelalter bleibenden Grundsatz „universale

intelligitur, singulare senlüur" aufnimmt115), so wiederholt er ausführ

lich aus Pseudo-Dionysius den Nachweis, dass essenlia und corpus gänz

lich verschieden seien und nie verwechselt werden dürfen110); kurz

er ist grundsätzlich ein Gegner der „individuellen Substanz" (des röäe

•ci) des Aristoteles. Aber wir müssen bedenken, dass bei Scotus das

gesammte Gebiet des Vielheillichen (also auch zuletzt die Vielheit der

Kategorien selbst) in jenes Stadium fällt, wo das concrete Bestehen

eigentlich ein Nichtseinsollendes ist, denn die Vielheit ist durch Tlieilung

aus der Einheit geflossen und hat wesentlich den Beruf, wieder

in die Einheil aufgelöst zu werden, wobei gerade die Mitte der Punkt

der grösslen Entfernung sowohl von der ursprünglichen als von der

schliesslichen Einheit sein muss. So ist die Gestaltung der unendlich

vielheitlichen Dinge der sinnfälligen Welt die erste Hälfte des Prozes

ses gleichsam als Zertheilung Gottes (s. Anm. 109), und Scotus erklärt,

sich an Gregorius v. Nyssa anschliessend, das concrete Auftreten der

sinnfälligen Dinge und überhaupt die Entstehung der Materie durch ein

Zusammentreffen einiger Kategorien , in welchem dieselben durch die

Sinne erfasst werden können117), wobei zugleich dann ähnlich wie

bei vorchristlichen Philosophen das Feuer für die sinnlichen Dinge als

formgebend wirkt118). Da aber nun eben diese Mannigfaltigkeit der

Welt es ist, in welche nach Scotus durch die Philosophie die göttliche

Einheit zerlegt werden soll (dtmpmmf) , und aus welcher wieder der

Rückweg zur Einheit zu durchlaufen ist («vaÄimjwj) , so erhält jene

115) Ebend. 61, p. 50:i.: Qtiid ergo mirunt uut raliuni conlrarium, si sinrililer

accipiamus, magnificum Boelhium nun aliud aliquid variabilem riim Mellexiss?,

nisi corpus materiale si aliter res per se immutabiles puro menlis conluitu

perspicienlur in sua simplicitatf , aliler sensu corporeo in aliqua maleria ex concursu

earum facta composilae. Ebend. II, 24, p. 579. : Omnia enim , quae intelleclus

in rationf univemaliter considerat, parlieulariler per sensum in renm omniiim

discrelas cuynitivncs deßnitionesque parlitur (also das ÖQitmxöv der speciellen De

finitionen lallt schon mehr dem Sensualen anheim). Die Stelle des Boethius s.

Äbschn. XII, Anm. Sti. u. 9).

llti) Ebend. I, 47, p. 489.: Scd adversus eos , qui non aliud esse Corpus et

aliud corftoris essentiam pnlanl in lanlum seducti, ul ipaam substantiam corpoieiini

esse visibilemque et traclabitem non dubilent , quaedam breviter dicendu esse urbilror

(p. 490. :) Ut aulttn ßninus cognoscas, ovalctv, id esl t'ssenliam. incorruplibtlem

esse, lege librum sancti üionysii Areopagitim rfc Divinis Nominibus etc.,

worauf c. 48—50. der ausgedehnte Beweis folgt.

117) Ebend. 34, p. 479.: Quantität vero qualilasque , situs et hubitus , dum

inier se coeuntes materiam iitngunt, corporeo sensu percipi solent Magniis Gregorius

Nyssaeus certis ralionilius ila esse suadet, nil aliud dieens materiam esse,

nisi accidentium quandam composilionem ex invisibilibus causis ad visibilem mate

riam prncedentem. /~

118) Ebend. 52, p. 494.: Formarum aliae in pvaiu , aliae in qualilate intelliyüntur

, sed quae in ovöiu sunt, subslantialesspecies generis sunl' Wemo

denegat , ordinem ulque posilionem naturaliuni~p<irlmni neu membrorum ad qualiluiem

referri formamque proprie vocari quae ex qualilate ignea, quae est calor,

corporibus innasr.itur et forma vocatur a furmo , hoc est calido (s. Festus,

i. v. forma), conversa mitm syllaba in ma , anliqui siquidem formum dicebant calidum

(53, p. 497.:) Extra vero haec altiori consideralione oi/atav, quae esl

formarum subslantialium origo, conlemplamur. ~

30 . XIII. Scotus Erigena.

milllerß Stufe der Vielheit auch für die Dialektik eine besondere Be

deutung, denn in eben die nemliche Vielheit des Sinnlichen ist der

menschliche Wertausdruck verflochten. Sowie daher in den .sinnlichen

Dingen die an sich unkörperlichen Kategorien zuletzt doch (wenn auch

in rälhselhafter und mystischer Weise) körperlich geworden sind, so

wird auch die Sprache, soweit sie sinnlich ist, die Kategorien nur in

der sinnlich- körperlichen Wortform erfassen (wenn auch gleichfalls

durch eine mystische Verflechtung), und gerade das mittlere Stadium

der Dialektik, nemlich das oQiOrmov (s. AIIIH. 115) in Verbindung mit

dem anoSsixnnöv, wird entsprechend dem concrelen Dasein der Dinge

sich zumeist mit dem Wortausdrucke der Vernunft begnügen müssen,

während die reine Vernunft an sich als einheitliche die erste Urquelle

und der letzte Zielpunkt bleibt. In eben diesem Sinne aber spricht

sich auch Scolus selbst ausdrücklich aus, indem er den Bestand eines

Sprachgebrauches und eine „necessüas significandarum rerum", aller

dings als mangelhaft und dem Missbrauche ausgesetzt, anerkennt"9),

ja er bringt dieses selbst wieder in inneren Zusammenhang mit der

bei ihm stets wiederkehrenden Unterscheidung einer affirmativen und

einer negativen Theologie, indem bei ersterer, welche ja das göttliche

Eins in die empirische Vielheil abwärts verfolgt, Alles „nominaliler

sive verbaliler" über Gott in übertragenem Sinne ausgesprochen werde,

worauf die letztere all dieses wieder verneint120); ebenso deutlich

hingegen bezeichnet er auch das Gebiet, auf welchem die „signiftcaliones

calegoriarum" in eigentlichem, nicht in übertragenem Sinne, eine

Geltung besitzen, nemlicli, wie sich nach Obigem von selbst versteht,

hei den sinnfälligen Dingen121). Und wenn hiemit dasjenige, was no

minaliler sive verbauter kundgegeben wird, bei den geschaffenen Din

gen seine angemessene Stellung bat, so findet Scotus auch hiefür einen

bei ihm folgerichtigen lieferen Hinterhalt nicht bloss in der mystischtheologischen

Auffassung des Johanneischen Logos '--), sondern auch

119) Ebend. 38, p. 481.: Videsne ilaquc , qua consueludine rerumque significandarum

necessitate inops verarm» rerum discrelionis humanilas lias alntsivas rerum

denominationes (dass man nemlich locus statt pars gebrauche) repereril.

120) Ebend. 7(i, p. 522.: Haec est .... de deo praeiicanda professio , ut

prius de eo iuxla catafalicum , id est affinnalionem , omnia sive nominaliler sive

verbaliler praedicemus , non tarnen proprie sed translalive ; deindc ul omnia , quae

de. eo praedicantur per catafalicam, eum esse negemus per apofalicam, id esl neqa-

1 1 u in' m. nun turnen translalive sed proprie.

121) Ebend. 15, p. 463.: quemadmodum fere umnia , quae de natura conditarum

rerum proprie praedicantur, de condjlore rerum per melap/turam siynißcandi

f/ralia dicunlur, ila etiam calegoriarum significationes, quae proprie in rebus conditis

dignoscuniur , de causa omnium non absitrdc püssunl profcrri , non ul proprie

signi/kent, quid ipsa sit, sed ul translative etc. Ja es konnte ihm für die An-'

nähme, dass die Namenbczeichnung (innnfit imponere) ursprünglich bei den einzel

nen sinnfälligen Dingen begonnen habe, selbst eine Stelle des Boelhius als Anclurilät

gelten, indem derselbe (ad l'raed. p. 129.) sagt: Qui enim primus hominem

dixit, nun illum, qui ex sinyutis con/teitur, in mente haliuit, sed liunc individuum el

singularem, cui nomen liominis imponeret.

122) Ebend. III, 9, p. 042.: Rationes omnium rerum, dum in ipsa natura

verbi, quue superesseiitialis esl, inlelliyunlur, aelernas esse arbiträr Simplex el

multiplex rerutn omnium pi'inripalissinta ratio detis verbttm est; nam a yraecis

löyo; vocatur, hoc esl verbum veTralio vel causa etc.

XIII. Scotus Erigena. 31

darin, dass den üingen durch Adam ihre richtige Worlbezeichnung zu Theil

geworden sei 123). So nun kann Scotus für die Definitionen und Argu

mentationen, welche mit der Erscheinungsweh zusammenhängen, sich

getrost auf den Sprachausdruck stützen und den entscheidenden Ausspruch

thun, dass „was wir in den Worten erkennen, wir auch in den

durch sie bezeichneten Dingen erkennen" m). Wenn daher, wie wir

oben sahen , die Dialektik bei Scolus die Technik jener sprachlichen

Kundgebungen ist, durch welche wir uns ebenso wie durch die Welt

der Dinge zur höchsten Philosophie erheben sollen, so darf es uns

nicht wundern , wenn eine etwas spätere Zeit den Johannes Scolus in

erster Reihe unter denjenigen nennt, welche gesagt hätten, die Dialek

tik sei „vocalis" (s. unten Anin. 312 f.).

Könnte man nun hiebei sogar darauf hinweisen , dass eine derar

tige Auffassung der Logik auch selbst den Principien einer empirischen

Erforschung der Dinge nicht ungünstig sei , — die wirkliche Brücke,

welche vom iVominalismus zum Empirismus hinüherleitete, konnte sich

allerdings erst nach einer längeren und reicheren Entwicklung gestal

len, s. Abschrf. .XIV, Anm. 771F. — , so müssen wir doch jedenfalls

anerkennen, dass Scolus für die Dialektik die Activitäl der Ücnkoperalionen

, durch welche aus dem gegebenen Stoffe der Erscheinungswelt

das philosophische Wissen gewonnen wird, hinreichend betonen kann

und niuss. Denn wenn bei ihm auch nuch so viele platonisch -christ

liche Mystik in all jenen Fragen wallet, welche sich auf die Herkunft

oder auf das Ziel der menschlichen Seele und des menschlichen Ver

standes, kurz auf die beiden Endpunkte des obigen sog. Quadriviums

(Anm. 110) beziehen, so ergibt sich für das miniere Stadium eine

Auffassung, gemäss deren bei aller ohjecliven luimalerialiläl der Univer

salien doch für das menschliche Denken ein selbsllliätiges Fortschreiten

zur Bildung allgemeiner Begriffe gefordert ist 125). So isl namentlich

jede der sog. arles liberales in ihrer lechuisclien Ausführung ersl das

Producl , welches aus ihrem in der Seele unausgeführt liegenden Be-

123) Ebend. IV, 7, p. 7ti8f. :• per hoc maxime inlelligilur homo esse, quod

cunclorum , quae sive aequaliter silii creala sunt sive qmbus dominari praecipitur,

dalum est ei haben notionem quod afertig sinie divina nobis indicat scriptura

diccns : ,,adduxit e-a ad Adam, ul videret quid vocaret ea" ul viderct,

inquil, hoc esl ul intelligeret, quid vocaret; si mim non intfüigeret, quomodo rede

rocare posset ?

124) Ebend. I, 14, p. 459.: Si igilur .... nomina opposita % regione sibi

alia nomina respiciunt, necessario eliam res , quae proprie eis significantur , oppositas

sibi contrarietates obtinere intelliguntur, ac per hoc de dt o .... proprie praedicari

non possunt Et quod in nominibus cognoscimus , necessarium ut in his

rebus, quae ab m signißcantur, coynoscamus.

12ö) Ebend. IV, 7, p. 765.: Herum siquidem sensibilium species el quantilates

et qualitates , quas corporeo sensn attingo , quodammodo in me creari pulo ;

earum namque phantasias dum memoriae infigo easque intcr me ipsuni tracto , divido,

comparo , ac veluli in unitatem quandam colligo , quandain nolitiam rerum,

quae extra me sunt, in me effici perspicio. Similiter eliam interius inlelligibilium,

quae solo animo contemplor , verbi gratia liberalium disciplinarum , quasdam noliones

uclutt inlelligibiles species, dum studiose eas perquiro , in me nasci et fteri

intelligo.

32 XIII. Scotus Erigena.

griffe gemacht wird126), und während die Dialektik (gleichsam als

Weltdialektik) an sich in der „Natur der Dinge" liegt und von Gott

ausgicng, ist sie doch von dortlier durch weise Menschen erst aufge

funden und zur Erforschung der Dinge angewendet worden 127). Wenn

demnach Scotus nicht oft genug Begriff (nolio) und Wesen (subslanlia)

in metaphysisch-onlologischem Sinne idenliflciren kann 128), so bleibt

dahei die Unterscheidung festzuhalten , da.ss alles Inlelligible hei Gott

als Ursächliches, in dem menschlichen Erkennen hingegen als Wirkung

(effeclualUer) bestehe129); nemlic.li während die subslanlia (der ideelle

Giillungshcgriff) in der Intelligenz des Menschen ebenso sehr sich fin

det, als die übrigen quinque voces llieils der Natur desselben theils

gleichfalls der Intelligenz angehören 13°), bewahrt der Mensch bei' Uelmng

der Dialektik immerhin die Activiläl seines Denkens , durch welches er

die Dinge in Gattungen und Arten u. s. f. tlieill, wenn gleich diese

Theilung auch objecliv in der „Natur", selbst schon vorliegt131)- Ins

besondere aber bezeichnet Scotus das Deliniren als eine Thäligkeit,

nemlich als aclio inlelligenliae, wobei uns wegen innerer Harmonie mit

Obigem (Anm. 92) noch von Wichtigkeit ist, dass er bei seinem Be

streben , die Kategorie des locus so unkörperlich als möglich zu fassen,

dieselbe direct spirilualistisch mit der Definition idenlilicirt 132), wornach

hieinit auch von hier aus ein Reflex auf jene Werlhschälzung der

126) Ebend. p. 766 : Quiu notitia arlium, quae in anima est, ab ipsis artibus

formari videtur. Sed si certissima ralione suaderes , non notiliam ex arlibus,

verum artes ex notitia formari, lua forsitan raliocinalio rede ingrederetur.

127) Ebend. 4, p. 749.: inlelligitur , quod ars illa, quae dividil genera in

species et species in genera resolvil , quae oiaitXTixij dicitur, non ab liumanis

machinationibus sit facla, sed in natura rcrum ab auctore omnium artium, quae

•v/v artes sunt, condita et a sapientibus invenla et ad utililalcm solerli rerum indagine

usitata. Vgl. jedoch Anm. 227.

128) Z. B. ebend. 7, p. 770.: Ilaque si nolio illa interior , quae menli inest

humanae, rerum quarum nutio est substanlia constiluilur, consequens, ut ipsa notio,

qua se ipsum homo cognoscil, sua substanlia credatur. Es zieht sieb dieser Grund

satz in häufiger Anwendung durch die ganze Dediiction in den ersten Capp. des

IV. Buches hindurch.

129) Ebend. 9, p. 779.: ut in divino iiUcllectu omnia causaliler , in humanu

vero cognitione effeclualUer subsislant.

130) Ebend. 8, p. 77-'!.: iubemur intelligere , omnem visibilem et invisibüem

creaturam in solo komme esse conditam , mm nulla substuntia sit creala, quae i»

eo non intelligalur esse, nulla species seu differentia seu proprium seit accidens

naturale in natura rerum reperiatur, quae tiel ei naluraliter non insit vel cuius nolitia

in eo esse non possit.

131) EbÄid. I, 25, p. 472. : Genera quoque et species ipsius ovdtag, cum se

in diversas species numerosque multiplicanl , agere videnlur l es handelt sieb uemlicb

dort um ilii1 Kategorien agere und pali). Si quis vero ralionis virtute iuxta

illam disciplinam, quae nvcii.viixri tocatur, et numeros in species et species in ge

nera generaque in ovalav colligendo adunaverit, pali dicunlur, non quod ipse rolligat,

nalura enim collecta sunt sicut etiam divisa , sed quia colligere actu ralionis

ea videtur, nam cum et eadem dividit, simililer agere dicitur, ea vero pali.

132) Ktirnd. 32, p. 478.: Aiiud igitur est corpus et aliud locus, sicut aliad

est quantitas parlium, aliud definitio earum (in der ganzen v. c. 27—43 sich erstreckeoden

Erörterung ist durchgängig locus nur in der Bedeutung „Abgrenzung",

d. h. ÖQiapus verstanden). 43, n- 485.: Videsne itaque, non aliud esse locum,

nisi actionem inlelligenlis atquc compreliendentis virtule inlelligenliae ea, quae comprehendere

polest, sive sensibilia sint sive intelleclu comprehensa

XIII. Scotus Erigena. 33

Topik zurückfällt. Uebrigens erscheint uns die nemliche Beachtung der

Activität des Denkens bei Scotus auch gelegentlich einer Frage, welche

uns schon anderwärts als Scbulcontroverse begegnete ; nemlicb die Be

griffe des Nichts und der Finsterniss (s. oben Anm. 47 u. 72 ff.) ma

chen auch dem Scolus häufig zu schaffen, aber er weiss bei denselben

jenem seinem Standpunkte, welchen wir bisher trafen, treu zu bleiben.

Die Finsterniss ist ihm der Begriff (nolio) der objecliv realen Abwesen

heit des Lichtes 133), wornaeh bei Berufung auf die betreffende Bibelsteile

bezüglich der wirklichen Existenz des Lichtlosen 134) die Er

klärung möglich ist, dass unter der Finsterniss dasjenige Sein, welches

allem wirklichen Erkennbaren vorhergieng und hieinil sich allem Den

ken entzieht (gleichsam Schelling's „unvordenkliches Sein") zu verstehen

sei 135). In völliger Uebereinstinimung kann sich dann hieran der Be

griff des Nichts anschliessen 136), bei welchem gleichfalls die sprachlichlogische

Function des Denkens ihre Berücksichtigung findet137), während

an der biblisch-theologischen Lehre festgehalten wird 138).

Der Inhalt der ausgedehnten Erörterungen, welche Scotus den

Kategorien widmet, gehört der Geschichte der Theologie an und be

ruht ausserdem nicht einmal auf selbstsländigen Ansichten des Scotus,

sondern ist grossenlheils aus Pseudo-Dionysius, Gregor .v. Nyssa und

Maximus Confessor entnomirien 139). Erwähnt mag demnach nur wer

den, dass Scolus die ideelle Einheit der Substanz als des Gallungsbe-

133) D. praedesl. 15, 9, p. 416 f.: Quid signifieant tenebrae vel silentium, nisi

notionem cof/itanlis, defectum essenliae ? Quid signifieant .... nisi notioncm cogilantis,

vel lucem vel voccm deesse? D. rfit*. nal. V, 31, p. 943.: Ideoque ex uno

(jenere sunl absentiae et res, quarum absentiae statt, ul lux et lencbrae , sonus et

silenlium, forma et informilas celeraque id genas.

134) D. div. nat. I, 58, p. 501.: Hon enim umbra nihil est , sed aliquid;

alioquin non diceret scriptura ,,el vocavil deus lucem diem et lenebras noclem."

135) Ebend. II, 17, p. 550.: Tenebrae ilaque erant super causarum primordialium

abyssum; nam priusquam in spiritualium «ssentiarum numerositatem procederent,

nullus intelleclus conditus cognoscere eas potuit quid essent, et adhuc tenebrae

sunt super hanc abyssum quae nullo percipitur inlellectu eo excepto, qui cam in principio

formavil. Ebend. III, 29, p. 700.: nomine lucis species rerum visibiles et

intelligibiles , lenebrarum vero signißcalione causas substantielles omnem sensvm et

intellectutn superantes divinam scriptwam insinuasse diximus.

130) Ebend. III, 20, p. 683.: Ac sie de niltilo fac.it omnia, de sua tiidelicet

superessentialitate producit essenlias, de supervitalitale vilas, de tuperintelleelualitale

intelteclus, de neijalione omnium quae sunl et quae non sunt affirmationes omnium

quae sunl et quae non sunt.

137) Ebend. 5, p. 634.: Eo namque vocabulo, quod est nihilum, non aliqua

materies existimatur , non causa quaedam exislenlium, non ulla processio vel occasio,

quam sequerelur eorum quae sunt conditio sed omnino totius essentiae

pritiationis nomen eral et, ul verius dicam, vocabulum est absentiae totius essenliae.

138) Ebend. 9, p. 647.: in primordiis conditionis suae de omnino tiihilo in

infarmem processit (sc. mundus) materiem. Ebend. 15, p. 665.: Proinde non datur

locus nihilo, nee extra nee inlra deum, et tarnen de nihilo omnia fecisse non in va-

»um creditur; ac per hoc nil aliud datur intelligi, dum audimus, omnia de nihilo

creari, nisi quia eral, quando non erant.

139) Ebend. l, 15—63. Der Hauptzweck dabei ist, nachzuweisen, dass aile

Kategorien nur uneigentlich (durch die llieoloyia afftrmativa) von Gott prädicirt

werden können. Vgl. Job. Huber, d. Phil. d. Kirchenvater. München 1859. S.

188 o. 343 f.

P HART L, Gesch. U. 3

34 ' XIII. Srolus Erigena.

griffes auch in der Theilung in Arlbegriffe bis zutn Individuum herab

strengstens festhält und daher gegen eine Unterscheidung zwischen

subivrtuiH und de subiecto und in subieclo (Abschn. XII, Aiini. 92) polemisirt

, da sie bezüglich der Substanz selbst identisch seien 14°) , wo

mit natürlich die schroffste Abtrennung der übrigen neun Kategorien,

unter welchen er einige auch Cüfißäfum* (vgl. Abschn. VI, Anm. 114)

nennt, zusammenhängt141). Ausserdem wendet er auch in Folge neu

platonischer Einflüsse die Begriffe der Ruhe und der Bewegung (s.

Abschn. III, Anm. 50, u. Abschn. X, Anm. 83) derartig an, dass er

dieselben als allerobersle Gattungsbegriffe des Universums den Katego

rien überordnet und letztere im Hinblicke auf jene eintheilt 142). Dass

die Kategorie des Ortes völlig spiritualistisch gefasst werde, sahen wir

so eben (Anm. 132); von jener des haliitus aber wird gezeigt, dass

sie sich. auf sämmlliche übrige Kategorien beziehe, und dabei zugleich

ihre selbstständige Stellung behaupte 143).

Man wird nun jedenfalls zugestehen müssen, dass in damaliger

Zeit diejenigen , welche von einer gründlichen Lectüre des Scotus aus

wieder zu den logischen Gompendien des Boethius zurückkehrten oder

selbst auch nur obige Stelle des Jsidor oder des Alcuin (Anm. 35 u.

66) aufmerksam betrachteten, gewiss zu schärferem Nachdenken über

die Geltung des menschlichen Sprach- Ausdruckes veranlasst werden

* 140) Ebend. 26, p. 472.: ovata in generibus generalissimis et in yeneribus

generalioribus, in ipsis quoque generibus eorumque speciebus, atque Herum specialissimis

speciebus, quae aloma, id esl individua, dicunlur, universaliter proprieque

continetur «n Ais mim veluti naturalibus partibus universalis oii<S(a subsislit.

Ebend. 25, p. 470 f.: iuxla dialecticorum opinionem omnc , quod esl , aul subiectum

aut de subieclo aul in subiecto esl; vera tarnen mlio consulla respondel,

subieclum et de subiecto unum esse et in nullo distare , cum nil aliud sil

species, nisi numerorum unitas , et nil aliud numerus , nisi specici pluralitas. Si

ergo species tota el una est individuaque in numeris et numeri unum individuum

sunt in specie, quae quantum ad naluram dislantia est inlcr subiectum et de sub

ieclo, non video, Similiter de accidentibus primae substanliae intelligendum ; non

aliud est enim, quod in subiecto dicitur , et aliud, quod in subiecto simul el de

subiecto; nam disciplina, ut exemplo utar, una eademque est in se ipsa et in suis

speciebus numerisque. Vgl. ebend. 49, p. 492.

141) Ebend. 63, p. 508.: Sed novem gencra, quae solis accidentibus tribuuntur,

ita ... divisa sunt, ut ipsa accidenlia, quae primordialiter in essentiis conspitiunlur,

^hox verlantur in subslantias , quoniam aliis accidentibus subsistunl. Ebend. 25,

p. 471.: Categoriarum igitur quaedam circa oiiGluv praedicanlur, quae veluli ne-

(tioxal, id esl circumstantes , dicunlur, quia circa eam inspiciunlur esse; quaedam

vero in ipsa sunt, quae a graecis avpßä/Aui« , id est accidentia, vocantur, qualitas,

relalio, habitus, agere, palt.

142) Ebend. 22, p. 469.: Horum decem generum qualuor in slatu sunt, id

/•st ouaia, quanlitas, situs, locus ; sex vero in motu, qualilas, relalio, habitus, lempus,

agere, pati Vt scias plane, decem qenera praedicta aliis dttobus sitperioribus

generalioribusque comprchendi, motu scilicet atque statu , quae Herum generalissimo

colliguntur genere, quod a graecis to näv, a nostris vero universitas appellari

consuevil.

143) Ebend. 20, p. 467.: Quaero igilur, quare isla categöria habitudinis, cum

ceteris calegoriis naturaliter inesse videatur, per se specialiter veluli suis propriis

ralionibus subnixa suum in denaria categoriarum quantilale locum oblineat

Quod enim omnium est, nullius proprie est, sed omnium commune, et dum in oiimibus

subsistat, per se ipsum propria sua ratione esse non desinil.

XIII. Die Quellen der logischen Parteiung. 35

oder selbst sofort zu nominalistischen Auffassungen gelangen konnten.

Es sind neinlich, wie mir scheint, zwei Fragen (nicht bloss die Eine,

welche auch schon Cousin — s. Anm. 19 — hervorgehoben hat),

welche sich beim Betriebe der üblichen Schul-Logik aufdrängen mussten.

Die erste derselben ist allerdings jene, welche Boethius bei Uebersetzung

der betreffenden Stelle des Porphyrius (Abschn. XI, Anm. 39)

ausdrücklich selbst als prima quaeslio bezeichnet hatte, und welche

sich darauf bezieht, ob die Universalien (d. h. die Gattungs- und Art-

Begriffe) und die quinque voces eine wirkliche geistige SubslantialitSl

besitzen und unkörperlich seien, oder ob sie in concretcr körperhafter

Existenz vorliegen (Abschn. XII, Anm. 86). Es betrifft diese Frage,

wie sich uns in der Darstellung der antiken Logik hinreichend zeigte,

den Gegensatz zwischen Platonismus und Aristolelismus, und für das

Mittelalter versteht es sich nach der gesammten geistigen Richtung,

welche durch die christlichen Ideen bedingt war, ganz von selbst, dass

man sich überwiegend einem platonischen Realismus zuneigte (vgl. oben

Anm. 20 f.). Die „individuelle Substanz" des Aristoteles musste unver

ständlich bleiben, sobald die Erscheinungswelt und die natürliche Ge

staltung mit der Lehre vom Siindenfalle in Verbindung gebracht worden

war, und man begnügte sich gerne mit dem schon bei Boetbius vor

gefundenen Grundsatze „universale inlelligüur, singulare senlilur" (oben

Anm. 115), einem Dualismus, welcher in speeifisrh christlicher Auffas

sung noch bis Descarles fortwirkte und sich leicht zu einem Hinder

nisse empirischer Forschung gestallen konnte. Auch die subjective Erkenntnisstheorie

konnte hiebei wenig gefördert werden, denn indem die

Universalien logisch hauptsächlich nur dazu dienten" um auf der Jacobsleiler

der tabula logica in den geöffneten Himmel des mmmum ens

emporzuklettern, blieben nur jene objecliv onlologischen Schwierigkei

ten übrig ,• welche dem Platonismus überhaupt ankleben, d. h. man

konnte noch darüber streiten, auf welche Art und Weise denn jene

Universalien als Ideen Gottes in den Unterarien und in den Individuen

zur Erscheinung kommen, ob sie anle rem, ob in re, oder wie sonst

sie seien.

Die zweite jener Fragen liegt gleichfalls schon bei Boelhius vor,

jedoch nicht in solch zugespitzter und handgreiflicher Frageform, wie

jene erslere, denn sie erscheinl ja zunächst äusserlich auch nicht als

schroffe Parteifrage. Sie betrifft riemlich den menschlichen Sprachaus

druck , welcher sowohl von Plato als das Product eines psychischen

Vorganges anerkannt worden war (Abschn. III, Anm. 10 f.), als auch

bei Aristoteles auf gleicher Basis eine einlässliche Erörterung gefunden

halle (Abschn. IV, Anm. 23 u. 105 ff.), und Boelhius hatte sich in die

ser Beziehung völlig unverfänglich und gleichsam naiv ausgesprochen,

wenn er sagt, dass die Dinge (res) vom Verslande (inlellectus) begriff

lich erfasst werden, die Sprache aber (vox) den Begriff bezeichne, und

dass daher, da alle Sätze aus bezeichnenden Worten bestehen, zunächsl

die Isagoge und dann die Kalegorien die Aufgabe haben, über diese

Beslandtheile, d. h. über die obersten Namen und Worlbczeichnungen

der Dinge (de primis rerum nominibus el de vocibus res significanlibus)

zu handeln (Abschn. XII, Anm. 77, 84 u. 110). An sich nun hat

36 XIII. Die Quellen der logischen Parteiung.

diese Auffassung mit jenem vorigen Gegensatze der Richtungen durch

aus Nichts zu schaffen, sondern geht ausserhalb jener beiden und neben

denselben her, denn dass die menschlichen Gedanken in Worten ausge

sprochen werden , scheint allgemein von allen philosophischen Parteien

zugestanden werden zu müssen. Selbst wenn daher sich hieran .wirk

lich nominalislische Anschauungen anschliessen , so bilden dieselben an

sich nicht den entsprechenden Gegensalz gegen jenen platonischen Rea

lismus, welcher bei Beantwortung der obigen ersten Frage hervortrat,

denn dort musste sich eine Parteiung gestallen, welche nach unserem

jetzigen Sprachgebrauche als der Gegensalz zwischen Idealismus und

Individualismus (oder auch Empirismus) zu bezeichnen ist, welch beide

doch gewiss dem Sprachausdrucke die Function eines Zeichens zuge

stehen können. Wenn aber hiemit in diesem Sinne sich sehr wohl

ein Nominalismus denken lässt, welcher durchaus noch nicht anti-rea

listisch ist, so lagen dennoch besondere Umstände vor, durch welche

allmälig eine die Sprach- Bezeichnung berücksichtigende Auffassung der

Universalien in den schrolTen Gegensatz gegen den platonischen Realis

mus hineingetrieben wurde, sobald man nur einigermassen mit grösserer

Schärfe obige Aeusserung des Boelhius ins Auge fasste und über

dachte. Wollen wir nemlich selbst davon absehen, dass die Beschränkt

heit des vorhandenen philosophischen und logischen Materiales, verbun

den mit der geringen .Begabung zu rein selbstsländigem Schaffen, in

jenen Jahrhunderlen einfach nur die Wahl liess, entweder Platoniker

oder Aristoteliker zu sein, so konnte doch schon durch den Hang des

Plalonismus, aus der Wirklichkeit sich in das ideale Jenseils zu flüch

ten und zu solchem'Behufe auch die Sprache abzusireifen (Abschn. 111,

Anm. 15), sich gar Mancher dazu aufgefordert fühlen, dem Diessseiligen

wenigstens für das Diessseits seine Gellung zu verschaffen, insofern

ja die Worte die einzige Form seien, in welcher der Mensch auf Er

den Begriffe besitzt. Hiezu aber kam noch, dass die Praxis aller phi

losophischen oder theologischen Erörterungen unmittelbar auf den Wert

ausdruck sich hingewiesen sah, und somit auch die hierauf bezügliche

Technik, d. h. die ars dispulandi, am wenigsten sich auf jene hyperidealistische

Verllüchligung der Worte einlassen konnte (haben ja doch

später die Praktiker, nemlich die Rhetorikcr, sogar den Aristoteles

selbst wieder aus seiner mitlelalterlichen Herrschaft zu verdrängen ge

sucht). Ferner fanden sich jene obigen Aeusserungen gerade in dem

Buche D. inlerpr. (natürlich in der Bearbeitung des Boelhius), d. h. in

jenem Buche, über welches von Cassiodor her ein pointirtes, den

Ruhm des Aristoteles hervorhebendes Sprüchlein in der Schule umlief

(s. oben Anm. 34 u. 66), und es konnle hienach leicht Aristoteles als

der Vorkämpfer für die Berechtigung der Sprache betrachtet werden.

Endlich aber wird man auch zugestehen müssen, dass, sobald man

durch die Logik mehr als eine objeclive tabula logica der Universalien

beabsichtigte, d. h. sobald man in die subjective Werkstätte der mensch

lichen Urtheile und des mühevollen oder verschlungenen Schliessens

eingehen wollte, jedenfalls die Sprachform und zugleich mit ihr der

Begründer aller wahren Syllogislik in den Vordergrund treten musste ;

d. h. die Logiker mussten stets sich mehr auf die nominalislische oder

XIII. Scotus und die Parteiung. 37

aristotelische Seite neigen. Durch das subjective Element aber förderte

später der aristotelische Nominalismus auch die Erkenntnisstheorie und

bereitete den Weg zu Baco von Verulam vor, worin ersichtlicher Weise

sich gleichfalls ein innerer Zug des Aristotelismus kundgibt.

So also konnte sich schon das frühere Mittelalter aus Ein und dem

selben Boethius den Gegensatz zwischen Realismus und Nominalismus

herauslesen; jedoch nicht aus jener Einen Stelle des Boethius, welche

die Universalien betrifft, ist die Parteispaltung geflossen, sondern zwei

nebeneinander herlaufende Aeusserungen jenes Autors sind es, welche

bei einseitig consequenter Verfolgung ihres Inhaltes zuletzt feindlich aneinanderplatzen

musslen.

Wie sich nun Scotus Erigen« zu den Keimen eines solchen Schisma's

verhalte, ist aus Obigem klar ersichtlich. Er steht nemlich gerade

auf der Gränx.scheide zwischen der früheren naiven Unbeholfenheit,

welche auch Widersprechendes in Ein Schulcompendium zusammenknelete,

und dem offen ausbrechenden bewussten Parteikampfe. Er ist

christlich-platonischer Realist, soweit es sich um die ontologisch ewige

Grundlage der Wesenheiten handelt; aber sowie er, der ja lange vor

Entstehung all jener Detail- Controversen lebte, bei seinem Realismus

noch völlig harmlos die Universalien zugleich ante rem und zugleich

in re bestehen lässt (s. Anm. 140), so ist er andrerseits hinwiederum

Notninalist, soweit es sich um die logische Förderung des Erkennens

handelt, und in solchem Sinne musste er jene Stellen bei Boethius ver

stehen , welche über vox handeln. In dem exclusiven Sinne, in wel

chem bei den folgenden Jahrhunderten von Realisten und Nominalisten

die Rede sein wird, ist Scotus allerdings keines von beiden, aber er

ist derjenige, welcher durch seine Zwischenstellung es hervorruft, dass

neben den Realismus eine nominalistische Richtung hintrilt. Es ist ja

auch eine ganz naturgemässe Stufenfolge, dass vorerst im Anschlüsse an

Scotus die Ansicht sich kundgibt, die Dialektik sei „vocalis" ? insoferne

und insoweit die Universalien Worte seien, später aber, nachdem diess

von hyperidealistischer oder mystischer Seile bestritlen worden war,

erst die Steigerung eintritt, dass man sagt, die Universalien seien über

haupt gar Nichts als blosse Worte. Sowie aber Scotus die ersten Um

risse des späteren Gegensatzes in sich vereinigt, so ist es auch erklär

lich, dass er eine innere Verwandtschaft mit Denjenigen zeigt, welche

später auf eine Versöhnung hinarbeiteten, und wir werden im weiteren

Verlaufe uns noch zuweilen an Scotus erinnern müssen (z. B. folg.

Abschn. Anm. 186 u. 252).

Am nächsten an Scotus nun reiht sich ein Commentar zur Isagoge

an, welcher in neuerer Zeit durch V. Cousin bekannt gemacht und zu

folge der handschriftlichen Ueberlieferung dem Hrahanus Maurus (s.

oben Anrn. 78 ff.) zugeschrieben wurde. Nachdem nemlich schon früher

auf das Vorhandensein einer „Logik des Hrabanus" war hingewiesen

worden 144), fand Cousin die betreffende Handschrift selbst, welche

aasser der Dialektik Abälard's logische Commentare unter dem Namen

144) Oudin, d. scripl. eccl. I, c. 1172.: in bibliotheca Floriacensi, Utero, A, 4,

exslat logica Petri Abaelardi una cum logica Rhabani.

38 . XIII. Pseudo-Hrabanus.

des Hrabanus enthält145), und zwar zunächst eine Schrift „Rabunna

super Porphyrium", deren Ende fehlt, sodann einige Blätter aus der

Mitte einer Paraphrase von Boelh. d. diff. lop., und hierauf unter der

Ueberschrift „Rabanus supere Terencivaa", welche offenbar aus „super

Pariermenias" corrumpirt ist, eine Paraphrase zu Boelh. d. interpr. Die

letzteren beiden enthalten, soweit sich aus den Mitlheilungen Cousin's

schliessen lässl 146), durchaus nichts Selbstständiges, sondern schließen

sich so enge und so wörtlich an die Schriften des Boethius an, dass

uns auch zu einer Annahme über den Autor derselben jeder individuelle

Anhaltspunkt fehlt. Es ist ebensosehr möglich, dass keines von beiden,

als auch dass beide wirklich dem HraLanus angehören; sollen jedoch

dieselben den nemlichen Verfasser halten, welcher auch den Commentar

super Porphyrium schrieb, so scheint die Sache anders zu stehen. Al

lerdings lässt sich nicht direct beweisen, dass Hrabanus denselben un

möglich verfasst haben könne, aber als sehr unwahrscheinlich müssen

wir es immerhin bezeichnen. Chronologische Gründe sind es nicht,

welche entgegenstehen, denn Hrabanus konnte die Schriften des Scolus,

mit welchem er ja auch bei dem theologischen Streite über die dop

pelte Prädestination übereinstimmte, noch sehr wohl kennen; ferner

könnte man, wenn er noch im 9. Jahrb. den Beinamen „sophista" er

hält147), hieraus den Schluss ziehen, dass er sich specieller und aus

führlicher als Obiges (Anm. 78 ff.) kundgibt, mit Logik beschäftigt

hübe. Aber dennoch besteht zwischen diesem Commentare zur Isagoge

und jenem Obigen schon in der allgemeinen Behandlung ein solcher

Abstand, dass wir bei dem gänzlichen Mangel an einschlägigen Andeu

tungen in sämtullichen ächten Werken des Hrabanus uns schwer zu

der Annahme entschliessen könnten, derselbe habe über die Dialektik so

verschieden gedacht und seine logische Auffassung in allen übrigen

Schriften völlig unterdrückt. Ja wenn sich diese Verschiedenheit bis

zum directen Selbstwiderspruche steigert, bleibt nur noch die Möglich

keit übrig, dass Hrabanus in seiner letzten Lebenszeit nach Abschluss

seiner ganzen übrigen schriftstellerischen Thäligkeil förmlich zur lugi

schen Ansicht des Scotus übergegangen sei; dann aber waren wir auch

berechtigt und bemüssigl, die Schrift, in welcher diess geschieht, jeden

falls erst nach Scotus zu erwähnen.

Der Verfasser nemlich des Commentares super Porphyrium schliesst

sich schon darin dem Scotus (s. Anm. 105) an, dass er die Logik in

drei Theile, nemlich in Grammatik, Rhetorik, Dialektik, zerlegt 148), wo-

145) Cousin, Ouvr. ined. d'Abel. p. Xf. u. LXXV1.

146) Ebend. im Appendix p. 616 f.

147) Rudolf, Ann. Fuld. bei Pcrlz, Monum. I, p. H64. : Rhabanus quoque , so

phista et sui lemporis poetarum nulli secundus etc. Doch dass derartige Ausdrücke

aus jener Zeit nur mit Vorsicht aufzunehmen seien, ist bekannt.

148) Cousin a. a. 0. p. 614.: Quaeritur aulem cut'parli philosophiae supponatur

(d. h. die Isogoge) rcstal ergo, ut logicae supponalur ; post quatn vero

parlem logicae supponatur, quaerendum est; habet enim logica tres partes, grammaii

f n m. rheloricam, dialecticam. Post grammaticam; non enim de genere secundum

grammalicam traclat, quia neque quomodo gcnus declinelur ostendit , neque si sil

primitivum an derivalivum, quae omnia ad yrammaticam perlinent. Neque in hoc

XIII. Pscudo-Hrahanus. 39

hingegen Hrabanus nur zwei Theile anerkennt (Amn. 79). Sodann aber

müssen wir nicht bloss in der üblic'lien Einleitung über den Zweck der

Isagoge (s. Absclm. XII, Anm. 75) die Ausdruckswcise beachten, dass

dieselbe über die fünf „Dinge oder Worte" handle 14.9), sondern es zeigt

uns auch der weitere Verlauf, dass hier dasjenige, was wir als den

Nominalismus des Scolus bezeichnen mussten, bereits mit grössercm

Bewusstsein und in schärferer Form auftrete; neulich während einer

seits auch hier die ideelle Einheil der Substanz innerhalb der speciellen

und individuellen Gestaltung (forma) nach der nemliclien realistischen

Anschauung festgehalten wird, welche hei Scotus (s. Anm. 109 u. 140)

in ontologischer Beziehung sich findet150), wird andrerseits bezüglich

der logischen Isagoge des Porphyrius direct darauf hingewiesen, dass

nach der Ansicht Einiger dieselbe über „fünf Worte", nicht aber über

fünf Dinge handle. Ja es wird diese Ansicht, dass genus, species u. s. f.

Dicht als Saclibezeichnung, sondern als Worlbezeichnung zu verstehen

seien, durch formulirte Beweise gestützt, deren Einer sich auf die De

finition des genus beruft, in welcher die Bestimmung enthüllen sei,

dass das genus „ausgesagt" werde; ein zweiler Beweis liege darin,

dass die Kategorien, zu welchen die Isagoge als Einteilung diene,

selbst gleichfalls „de vocibus" handeln (s. die oben, S. 35, genannten

Stellen des Boelbius), sowie sie auch Boelhius als „itomina" be

zeichne151). Und wenn nun noch hinzugefügt wird, dass bei solcher

Iractatu 'docemur, quomodo cattsas debcat disponere orator, quod ad rhcloricam per

linet. Relinquitur igilur, ut per dialecticam logicae supponalur.

149) Ebend. p. 613.: Intentio Porphyrii est in hoc opcrc facilem intellectum

ad praedicamenta praeparare tractando de quinque rebus vel vocibus, genere sciliccl,

specie, differentia, proprio et accidcnte , quorum cognitio valet ad praedicamentorum

cognitionem.

150) Ebend. p. LXXIX. : Alio namque modo universalis est (sc. substanlia

eadem) cum cogitatur, alio singularis cum sentitur (so Boetb. p. 56, s. Abschn.

XII, Anm. 86). Hie innuit nobis Boethius, quod eadem rcs Individuum et species

et genus^ est, et non esse universalia individuis quasi quidilam diversum, ul quidam

dicunt ; scilicet spcciem nihil esse quam genus informatum, et Individuum nihil

aliud esse quam speciem informatam.

151) Ebend. p. LXXVIH. : Quorumdam tarnen senlcntia est, Porphyrii intentionem

fuisse in hoc opere , non de quinque rebus, ied de quinque vocibus tractare,

id est Porphyrium inlendere naluram generis ostendere , generis dico in vocum designationem

accepli. Dicunl enim quod si Porphyrius in designationc rcrum tractat

de genere et de celeris , non bene diffinil ,, genus est quod pracdicalur etc.", res

enim non praedicatur. Quod hoc modo probanl: si res praedicatur , res dicitur; si

res dicitur, res enunciatur ; si res enunlialur , res proferlur; sed res proferri non

polest ; nihil enim proferlur nisi vox ; neque enim aliud est prolalio quam acris

plectro linguae percussio, aeris autem plectro linguae percussio nihil aliud est quam

TOI; si igilur Porphyrius de genere in rerum assignatione trarlaret, male generis

difftnitionem dedisset dicendo sie „genus est quod praedicalur etc." , cum genus in

rerum designatione acceptum nullatenus praedicatur. Eins igilur intentioncm dicunt

esse, de genere non in rerum, sed in vocum designalione traclarc. Adhuc aliat ratio

cur Porphyrius Iractet de genere accepto non in rerum sed in vocum designatione.

Cum enim Iractatus iste inlroductorius sit ad Aristotelis categorias et Aristoteles in

categoriis de vocibus principaliter agerc intendat, convenicns non eum esset de re

bus agere qui ad librum de vocibus principaliter traclare inlendebat Praeterea

ex Boelhii auctorilatc in primo super categorias commcnto confirmatur, genera

et species voces signiftcare; dicit enim üla nomina novem esse (Boeth. p. 5, 8.

40 XIII. Pseudo-Hrabanus.

Ansicht eine reale Sachbezeichnung gar nicht ausgeschlossen sei, insoferne

es sich beim genus um eine allgemein gültige Eintheilung, welche

in der „Natur der Dinge" liege (s. Anm. 127 u. 131), handeln könne 152),

sowie ja überhaupt das genus Nichts anderes sei, als „die im Denken

veranstaltete Zusammenfassung der substantiellen Aehnlichkeit aus den

verschiedenen Unterarten"153), so ist kein Zweifel mehr darüber mög

lich, dass wir hier nur den Standpunkt des Scolus mit gesteigerter

Schärfe seiner nominalistischen Seite vor uns haben. Aber auch gleich

falls an Scotus (s. Anm. 92 f. u. 105) erinnert uns in diesem Commentare

die Berufung auf die Topik, und zwar namentlich auf den locus

der Gegensätze 154). Anderes hinwiederum schliesst sich, wie leicht

erklärlich ist, als blosse Paraphrase völlig an Boelhius an 155). Hin

gegen von Wichtigkeit ist uns das Geständniss des Verfassers, dass er

die Analytik des Aristoteles nur vom Hörensagen kenne (vgl. Anm. 98),

ihm also auch des Boethius Uebersetzung jener Bücher nicht bekannt

war156).

Mag es sich aber mit der Autorschaft dieses Commentares verhalten,

wie es wolle, so äusserte jedenfalls die Schule, welche Hrabanus be

kanntlich in Fulda eingerichtet hatte, •— abgesehen von all dem übrigen

reichen Segen der Cultur, welcher aus ihr floss, — auch auf den Be

trieb der Logik einen höchst günstigen Einfluss, und aus Frankreich

und der Schweiz weisen mannigfache Fäden auf die Pflege der Schulwissenschaften

in Fulda zurück. Bezüglich der logischen Parteifrage

jedoch finden wir keineswegs etwa ein abgeschlossenes einheitliches

Gepräge der Fuldenser Schule, und können demnach auch nicht ihrem

Abschn. XII, Anm. 90.) ; quod si voces non significarenl, nullo modo nomina novem

esse possent.

152) Ebend. p. LXXVIII f.: JVon tarnen genus in rerum designattone accipi

passe negant (der Gedanke Cousin's, negant in negandum oder negari potest zu

ändern, ist verfehlt, denn es ist noch immer von eben Denjenigen die Rede, welche

den logischen Schriften als logischen die voces zuweisen); dicit enim Boelhius in

libro divisionum, generis divisionem esse ad naturam, id est apud omnes (auch die

Worte apud omnes will Cousin ändern, sie stehen jedoch bei Boelh. p. 639, s.

Abschn. XII, Anm. 97.); per quod demonslratur Boethius non in vocum seil in rerum

designatione genus accepisse.

153) Ebend. p. LXXIX: Nihil alind est genus quam subslantialis similüudo ex

diversis speciebus in cogitatione collecta. In des Boethius Uebersetzung des Porphyrius

(p. 57.) erscheint der Ausdruck „coUeclio" nur bei jener unter den Phi

losophen nicht üblichen (Abschn. XI, Anm. 40.) Bedeutung des Wortes „genus",

wornach es in genealogischem Sinne ein „Geschlecht" bezeichnet.

154) Ebend. p. 615.: Probat quod genus non dicitur simpliciter sie: si genus

dicilur tripliciter, tunc non dicilur simpliciter; locus ab oppositis; maxima propositio:

si aliquid oppositum convenit alicui, suum oppositum removetur ab eodem.

155) So z. B. auch dasjenige, was Haureau, De la phil. scol. I, p. 109. aus

der nemlichen Handschrift, welche Cousin benutzt hatte, veröffentlicht; es betrifft

das genus supremum und stimmt dem Sinne nach ganz mit Boetk. p. 72 f. überein.

Ebenso ist, was Cousin a. a. 0. p. 615. über die individua angibt, keineswegs

dem Verfasser des Commentares eigentbümlich, sondern findet sich bei Boelh. p.

73. S. Abschn. XII, Anm. 87.

156) Cousin a. a. 0. p. 614.: ,,Vel in demonstrationc," id est ad librum

demonstralionum- volunt enim quendam librum esse, qui vocetur liber demonslrationum,

qui apud nos in usu non est.

XIII. Eric v. Auxerre. 41

Begründer die Schuld oder das Verdienst beimesseti, ihr in dieser Be

ziehung eine bestimmte Richtung gegeben zu haben, sondern weit eher

scheint sich der Partei-Gegensatz als solcher erst innerhalb dieser Schule

seihst zu entwickeln; wenigstens treffen wir dort sogleich das eigen-

Ihümliche Faclura, dass der Lehrer auf Seite des logischen Nominalismus,

der Schüler hingegen auf jener des ontologischen Realismus steht.

in Fulda hatte unter Leitung des Haimon, eines Schülers des Hrabaiius,

Eric von Auxerre studirt, und es eröffnete derselbe, nachdem

er noch den Unterricht des Servalus Lupus in Ferneres genossen, in

seiner Vaterstadt selbst eine Schule, woselbst unter seinen Zöglingen

ausser Lothar, einem Sohne Karl des Kahlen, sich auch Remigius von

Auxerre befand. Von diesem Eric, dessen Blüthezeit sonach ungefähr

um d. J. 870 zu setzen ist, fanden sich in einer Handschrift von St.

Germain commentirende Glossen zur pseudo-augustinischen Schrift „Calegoriae"

157), wobei sich uns wieder eine erneuerte Steigerung jenes

nominalislischcn Standpunktes zeigt, welcher uns in der so eben betrach

teten Schrift begegnet war. Eric gebt neinlich entschieden von jenen

neinlichen Stellen des Boethius aus, welche wir dort (Anm. 151) als

Beweisgrund angeführt sahen, aber indem er res und inlellectus wohl

ähnlich wie Scotus dem Gebiete der Natur zuweist, hingegen diesem

die vox als blosse menschliche Vereinbarung (vgl. Anm. 105) gegenüber

stellt, scheint er den theologischen Hintergrund, welchen noch Scotus

(Anm. 122 f.) für die Sprache fand, völlig zu verschmähen l58). Und

jedenfalls weist er diesem menschliehen Sprachausdrucke eine so starke

Geltung zu, dass er eine substantielle Sachbezeichnung der Universalien

direct verneint und in denselben nur das Verhältniss der prädicativen

Aussage erblickt159); ja ausdrücklich bezeichnet er die Stufenleiter,

welche von den Individuen zur obersten Gattung, d. h. zur Substanz,

hinaufführt (— also jene zweite Hälfte des Weges, welche bei Scolus

heisst, s. Anm. 108 ff. u. 120 —), als eine nominalistiscbe,

157) Die Angabe Cousin's (a. a. 0. p. 621.) fand ihre Berichtigung durch

Haurdau a. a. 0. l, p. 135., welcher die betreffende Marginal-Note der Handschrift

genauer las und uns den Verfasser der Glossen feststellte. (Eine anderweitige

Schrift des Eric, worin derselbe die Lehren des Haimon und des Servatus Lupus

im Auszuge zusammenstellte, s. Mabill. Ann. Bened. II, p. 627., scheint verloren zu

sein.) — Die pseudo-augustinische Schrift über die Kategorien ist auch hier durch

obigen Prolog Alcuins (Anm. 53.) eingeleitet.

153) Bei Haurtau a. a. 0. p. 142. : Tria sunl quibus omnis colloculio disputalioque

perftcitur: res, inlellectus et voces. Res sunt ijuas animi rationc percipimus

inlellecttique disccrnimus ; intellectus vero quo ipsas res addiscinms ; voces quibus

quod intellectu capimus significamus. Praeter haec autem Iria est aliud quiddam

quod significat voces, hoc est litlerac, harum enim scriptio vocum significatio est (s.

Abschn. XII, Anm. 110.). Kern concipit intellcelus, intcllectum voces designant, voces

autem litterae significant, Rursus horum quatuor duo sunt naturalia, id esl res et

intellectus, duo secundum posilionem hominum, hoc est voces et litterae.

159) Ebend. p. 140.: sed huic occurrimus dieenles, genus non praedicari de

animali secundum rem, id esl substantiam, sed designativum nomen esse animalis,

quo designatur animal de pltiribus specie dilferentibus dici; namqur. neque ralionem

animalis polest habere genas, mm dicitur animal esl substantia animata et sensibilis

; similiter nee species dicitur de homine secundum id quod signiftcat, sed iuxta

illud quod de numero differentibus praedicalur.

42 XIII. Eric von Auxerre.

indem dieselbe zuletzt in eine engste Stufe, welche uno nomine conslat,

auslaute 16°).

Insofern aher dem Eric auch noch andere logische Tractate bei

gelegt wurden, welche in jener nemlii'hcn Handschrift von St. Germain

sich finden, können wir hicmil, allerdings nicht übereinstimmen, glauben

aher, dass dieselben in der Thal noch in jene Zeit, d. h. jedenfalls in

das letzte Drittel des 9. Jahrb.. fallen l(51). Von den Marginal-Glossen

zu „Periermeniae Arislolelis" (nach des Boethius Ueberselzung) können

wir füglich ganz absehen, da sie nur dem Commentare des Boelhius

selbst entlehnt sind 162). Ein hierauf folgender Traotat, in welchem

Augustinns de Dialeclica mit einer Einleitung und gleichfalls mit Rand

glossen hegleitet ist, zeigt eine ganz andere Behandlungsweise als Eric's

Commenlar, indem namentlich häufig griechische Worte eingestreut und

etymologisch erklärt sind; die sehr eigentümliche Einleitung, in welcher

auch Scotus erwähnt wird, beachtet besonders das Verhällniss Augustins

zur Stoa, schliesst sich aber dann an Isidor (Anm. 27) bezüglich des

Gegensatzes zwischen Dialektik und Rhetorik an lli3). Sodann aher ent

hält jene Handschrift auch noch einen glossirenden Commentar zu des

Porphyrius Isagoge (nach der Uebersetzung des Boethius), welcher uns

bezüglich der Controverse über die Universalien wichtig ist. Die dabei

ausgesprochenen Ansichten Messen sich allerdings mit jenen des Eric

vereinbaren, insoferne hier trotz einer deutlichen Beziehung auf Scotus

schon sehr der aristotelische Begriff der individuellen Substanz hervor-

160) Ebend. p. 141.: sciend^lm autem, quia propria nomina primum sunt in

numerabilia, ad quae cognoscenda intellectus nullus seu memoria iufficit; haec ergo

omnia coartata species comprehcndit et fncit primum (jradum, qui lalissimus eil,

scilicet hominem, eqtmm, leonem, et species liuiusmodi omnes continet ; sed quia haec

rursus erant innumerabilia et incomprehensibilia, .... alter factus est gradus angustior;

ita constat in genere, quod est unimal, xurculus et lapis ; Herum eliam luiec

yenera in unum coacta nomen tertium fecerunt gradum arctisimum iam et angttstissimum,

ulpote qui uno nomine solummodo constet, quod est usia.

161) Denn bei einer Handschrift des 10. Jahrb. geht für diesen Fall die Be

weiskraft der Gründe, welche Haureau a. a. 0. p. 135 f. aus der Gleichheit der

Schrift der Marginalglossen schöpfte, sicher auf eine Identität der Zeit. Was aber

gegen die Identität der Person spreche, ist sogleich unten anzugeben.

162) Cousin a. a. 0. p. 618.

163) Ebend. p. 619.: Aureliui, vocatur dominus Augustinus ab awa, id est

favore populari elc ,,Dia" enim quando per iota scribitur, signißcat „de" vel

„ex" praepositionem, quando vcro per y, significat duo, sicut est „dyalogus"

Sed omisso isto nomine transferamus nos ad dialecticam, de qua nunc nobis loqui

oportel. Dyalectica autem proprie ,,de diclione", quum in ea rationabiliter de dictis

dispulalur; ne quidem videretur ,,de" per appositionem dici, quemadmodum dicimus

,,de monte, de domo," iunctim profcrenda est dyaleclica. Nun folgt die oben, Anm.

97, angeführte Stelle über Scotus, sodann: Dicitur microloga, id est paniloga,

sicul rhetorica macrologa, id est lonc/iloga dicitur, macrun enim dicunl graece longum.

Est aulem dialeclica disciplina rationalis dif/iniendi, disserendi ac vcra de

falsis disccrnendi potens. Hüne libellum edidit dominus Augustinus de origine, elymologia

verborum parlim quidem ad imminutionem Stoicorum partim vero ad confusionem;

nam Stoici dicebant nullum verbum esse quod non habeat originem , auf

scialur aul lateat. Quibus ille conlradidt innumerabilia inquims rerba quorum

ratio reddi non possit (s. Abschn. XII, Anm 35.). Dialectica nempe est pugnuf

astriclus, sicut et rhelorica palma quaedam extensa (s. Abscbn. V1Ü, Anm. 25.);

unde raros et studiosos requirit magistros elc.

XIII. Jepa(?). 43

tritt, und der Gattungsbegriff lediglich dem menschlichen Denken ;niheimfälll.

Jedoch bliebe es, falls Eric der Verfasser dieses Commentares

wäre , immerhin schon auffallend , dass derselbe bei dargebotener Ge

legenheit seine entschieden nominalislische Auflassung des genus hier

ganz verschweige und sie nicht, wie doch sehr wohl möglich wäre,

mit seinem ontologischen Standpunkte verbinde. Sodann aber nennt

sich ja der Autor am Schlüsse der Glossen selbst, wobei allerdings die

Handschrift den räthselhaften Namen „Jepa" darbietet, bei welchem

ungewiss ist, was wir dahinter zu suchen haben 164). Jedenfalls zeigt

sich uns hier ein Beleg dafür, dass, wie wir oben S. 35 sagten, von

zwei verschiedenen Seiten her Fragen auftauchten, welche in der Beurtheilung

der Universalien zusammenliefen; denn sowie Eric von jenen

Worten des Boelhius ausgieng, durch welche der Nominalismus an sich

näher gelegt war, so handelt es sich hier um die zum Realismus hin

neigende Stelle des Porphyrius. Dabei aber wird an die entschiedene

Behauptung, dass genus und gpeeies eine wirkliche Existenz haben l65),

sogleich die Unterscheidung geknüpft, dass, während Ein und dasselbe

Subject es ist, welches als universale 'und als singulare besteht, doch

nur einerseits letzteres als das concrete Sein im Sinnlichwahrnebmbaren

und andrerseits ersteres als das Gedachtwerden der Substanz selbst

betrachtet werden solle 166). Darum liege die Unkörperlichkeit z. B.

bei dem genus nicht in jenem, was. dem natürlichen Bestehen der Dinge

selbst zu Grunde liegt, sondern eben nur darin, dass es genus isl, und

ebenso verhalte es sich auch bei species und den übrigen der quinque

voces 167); kurz die Unkörperlichkeit der Universalicn erleide eine Be

schränkung, da dieselben sowohl mit Körperlichem als auch mit Unkörperlichem

(gleichsam geistigen Dingen, z. B. Kunst, Wissenschaft u. dgl.)

verbunden sein können; in beiden Fällen aber seien sie untrennbar an

ihre individuellen Substrate gekettet, daher sie im ersteren Falle mit der

Seele (anima) und im letzteren mit dem Geiste (animus) zu vergleichen

seien 16S); ja am besten könne jene Unkörperlichkeit mit der mathe-

164) Ebend. p. 623. : Scripturae finem sibi quaerunl hie isagogae; Parva quidem

moles, magna sed utilitas. Jepa hunc scripsi glossans utcunque libellum ;

Quod, logicae si sit, scirc legens polerit. Haureau scheint dieses ganz übersehen

zu haben.

165) Ebend. p. LXXXI1: Prima quaestio cst, utrum genera et species vcre sint.

Sed sciendum est, quod non esset dispulatio de eis, si non vere subsisterenl, nam

res omnes, quae vere sunt, sine eis non esse possunl.

166) Ebend. : Genera et species, id est universale et singulare, untan quidem

subiectum habent, subsislunl vero aliu modo, inlelliguntur alio ; et sunt incorporalia,

sed sensibilibus iuncla subsistunt in sensibilibus, et tunc est singulare, inlelligun

tur at ipsa substanlia, ut non in aliis esse suum habenlia, et tunc est universale.

167) Ebend. p. LXXXIII: An corporalia ista sint an incorporalia. Quod duobus

mmlis accipitur. Nam genus si in eo quod genus sil, non quod res nalura

constat, consideratur , sempcr incorporale cst; verbi gralia, si substanlia non cottsideratur

in eo quod substanlia est, sed in eo quod sub se species habet, incorporalis

esl; item si species, quae est homo, consideratur lanlummodo in eo quod sub genere

esl, est incorporalis et ipsa; eodem modo et differentia quadrupcs non rcspicitur

quod sit quadrupes differenlia, sed unde a bipede diffcrl , ac per hoc et ipsa incor

poralis est. Similüer de caeteris accipiendurn est.

168) Ebend. p. LXXXIV: Exceplio (Cousin ändert mit Unrecht in acceplio)

44 XIII. Jepa(?). Remigius.

matischen Abstraction verglichen werden , welche an den Körpern die

Verhältnisse der Linien und Flächen als unkörperliche denke, denn in

gleicher Weise sei jeder Gattungsbegriff trotz aller Unkörperlichkeit des

Gedankens doch in den Individuen stets in körperlicher Weise vorhan

den 169). Wird sonach genus als „die im Denken veranstaltete Zusam

menfassung der Aehnlichkeit aus den verschiedenen Unterarten" ilelinirl

17°), — wobei im Vergleiche mit obiger Definition des Pseudo-

Hrabanus, Anm. 153, bereits die Weglassung des Wortes „substantiell"

zu beachten ist — , so sehen wir, dass bei der Grundansicht des Ver

fassers dieses Commenlares schon nicht mehr die naive Indifferenz wie

bei Scotus (s. Anm. 140) bestehe, sondern dass die aristotelische Auf

fassung mit Absicht und Bewusstsein vertreten werde. Wie sehr aber

hiebei schon eine bestimmte Parteistellung obwalte, ist daraus ersicht

lich, dass hier zum ersten Male mit der Darlegung der eigenen Meinung

des Autors völlig polemische Seitenblicke auf platonisch-realistische Geg

ner verbunden sind nl).

Ein solcher Gegner aber ist Eric's Schüler Remigius von Auxerre,

bekanntlich einer der berühmtesten Lehrer jener Zeit, welcher seit d. 1.

882 in Rheims und hierauf in Paris durch grammatikalischen, musikalischen

und dialektischen Unterricht wirkte172); und es muss uns sehr wahritaque

incorporalitatis genere fit, quod et praeler corpora separatem esse possil et

corporibus iungi patiatur nl anima, sed ila ul, si corporibus iuncta fuerint, inseparabilia

sinl a corporibus, nequc ab incorporalibus scparentur, et utrasque in se contineant

potestates; nam si corporalibus iunguntur, talia sunt'qualis illa prima versus

terminos incorporalilas (s. d. folg. AIIIM.) quae nunquam discedit a corpore, si vero

incorporalibus, lalia sunt qualis est animus qui nunquam corpori copulatur.

169) Ebend. : Termini mm sint semper circa corpora quorum termini sunt,

incorporei tarnen inlelliguntur, sicut est epiphania; et haec prima incorporalitas,

primus Iransilus a corporibus ad incorporea. Huic ergo incorporalitati assimilatur

generis et speciei incorporalitas; nam, verbi gralia animal et homo , licet per se

inlellecla incorporalia sint , in individuis tarnen quibus subslant , corporalia sunl.

Hiezu die Stelle bei Haurtau a. a. 0. I, p. 139.: Locus m corpore quidem percipitur

, sed corpus ipse esse minime credendum; est ergo locus spatium , quod

quodlibel corpus .... tcnere aul occupare i'alet; hoc autem spatium in sua nalura

propria vi integrum et inviolatum permanet. Die Vergleichung der allgemeinen

Begriffe mit der geometrischen Gränze der Körper (vgl folg. Abschn. , Anm. 71.)

oder mit dem Orte ist es jedenfalls, welche uns sehr an Scotus (Anm. 132.) er

innert, wenn auch die Auffassung des locus hier nicht so ausschliesslich spiritualistisch

klingt wie dort, sondern sich mehr an das concrete Wesen des Kör

pers hält.

170) Cousin, p. LXXXV: Genus est cogitatio collecla ex singularum simililudine

spccierum. Diess ist der Punkt , an welchen Eric , wenn er der Verfasser

dieser Schrift wäre, seine nominalistische Ansicht hätte anschliessen können und

müssen.

171) Ebend. p. LXXXII: Sed Plalo gencra et species non modo inlelligi universalia,

verum etiam esse alque praeler corpora subsisterc pulat. Und p LXXXIV :

Hi qui genus et speciem incorporalia solummodo dicunt, hoc probare videntur Porphyrit

ipsius sentenlia , qui veluli tarn probate quod incorporea sint , ila ait ,,et

ulrum separula an ipsis sensibililtus iuncta" ; quod et si haec aliquando corporalia

exslilissent, nhsurdum esset quaerere, utrum incorporalia sciuncta essent a sensibilibus

an iuncla, cum sensibilia ipsa sint corpora.

172) Sein Schulbuch der lateinischen Grammatik, welches noch im 16. Jahrh.

benutzt wurde (gedruckt unter d. Titel Remigii Ftmdamentum scolarium. Basil.

1499. 8.), berührt uns hier nicht.

XIII. Otto v. Clugny. Remigius. 45

scheinlich dünken, dass gerade des Remigius Einfluss in Paris noch bis

zur späteren dortigen Richtung fortwirkte, wenn wir auch nicht mehr

im Stande sind, die Fäden, welche von seinem hervorragenden Schüler

Otto von Clugny173} zu Wilhelm von Champeaux hinabführen, im

Detail nachzuweisen. Seine logischen Ansichten legte Remigius in einem

Commentare zu Marcianus Capella nieder174), und er zeigt dortselhsl

die Parteistellung eines ausgesprochenen Realismus. Er betrachtet nein

lich das genus lediglich als den Sammelpunkt der speciellen Formen

(formarum, vgl. oben Anm. 109), welche durch Theilung (partüio) aus

ihm hervorgehen und dann wieder als substantielle Einheit (unilas sub

slantialis) der Individuen bestehen ''•'), so dass im platonischen Sinne

Alles bis zum Individium herab sein Sein nur durch ein Theilnehmen

(parlicipalio) an dem obersten genus, d. h. an der Substanz, besitzt170).

In voller Consequenz wird diese Auflassung sogar auch auf die Accidentien

angewendet, welche sonach vor ihrer Vereinigung mit einem

Individuum ursprünglich gleichfalls selbstständige Substanzen waren ' '"),

und es verbindet sich hiemit auch die platonische Lehre von der fiiickerinnerung,

insofern es sich um geistige Accidenlien, z. B. wissenschaft

liche Bildung, handelt178).

173) Joannes, Vita Od. Clun. l, 19. bei Mabill. Ad. Bened. See. V, p. 157:

Odo Ais diebus adiil Parisium ibique dialecticam Sancti Augustini Dcodalo ßlio s«o

iiiissniii perlegil et Marcianum in liberalibus arlibus frequenter lectilavit; praeceplurem

in his omnibus habuit Remiyium. Vgl. Mabill. Arm. Bened. Hl, p. 331.

174) Nachdem schon früher das Vorhandensein dieses Coinmentares in ver

schiedenen Bibliotheken (z. B. auch in Leyden) bekannt gewesen war, hat nun

lliini'nin a. a. 0. l, p. 144 II'. aus Pariser Handschriften einiges Wichtigere mii

getheill, vielleicht leider für unseren Zweck zu wenig, und auch dieses nicht immer

im Originaltexte. (Die Note p. 148, aus welcher man auf eine grössere ander

weitige Veröffentlichung von Fragmenten des Bemigiiis schliessen könnte, bezieht '

sieb, wie mir H. Haureau freundlichst miltheiUe, nur auf einen Missbrauch, welcher

mit den eigenen Adversarien desselben vor dem Drucke des Buches von einem

Dritten getrieben wurde.)

175J Haure'au, p. 145.: Genus esl complexio, id est adlectio et comprehensio

muUarum formarum, id est specierum Est aulem forma parlitio subslanlialis,

ul homo ; homo est mullorum hominum subslantialis unilas.

176) Ebend. p. 146.: Voici comment ü s'exprime: „II est an genre plus

gineral que les aulrcs, au-delä duquel l'inlelligence ne peul s'e'lever, que les Grecs

nomment oi>ala, et les Latins essentia. En effet , l'essence comprend lautes les natures

et tout ce qui existe est porlion de l'essence — cuius parlicipationc consislil

omne qttod est .... descendit aulem per gcnera et species usque ad speciem specialissimam

quae a graecis athomos , id est individuum et insecabile dicitur , ul

esl Cicero."

177) Ebend. p. 147.: // n'est pas douteux que t'accident propremenl dil vienne

s'unir d la subslance individuelle ; mais atiant que cette unton soit operee, oii se

trouve, dit-il, l'accidenl? Qu'est-il? Ne peut-on pai dire qu'il est par lui-meme

quelque subslance ,,substanlia per semet?" Ciceron est oraleur, rhdteur; voila

fiiccidenl; nuiis avaul de s'unir d Cice'ron ou de se produire en lui, la rkelorique

n'ftaü-elle pas unc substance?

178) Ebend. p. 148.: Omnis naluralis ars in humana nalura posila et concreta;

inde fit ul omnes homines naturaliler habeant nalurales artes Cum ergo

apparel rhelorica in animo alicuius hominis, non aliunde venit nisi a se ipsa, id

est de profunditate memoriae, et ad nullum aliud redil, nisi ad eandem eiusdem

memoriue profunditatem. Accidms enim in una forma, id esl in .«na specie, ul rhe

lorica, non nisi homini accidil. Ilomi? una species; pliilosoplii dicunt , umnibus

46 XIII. Die Parleispaltimg. St. Gallen.

Somit liegt bereits am Ende des 9. Jahrh. jene ganze Parteispaltimg

vor uns, welche man gewöhnlich erst dem Ende des 11. Jahrh.

zuzuschreiben pflegte oder noch pflegt119), und was das Prineip be

trifft, so haben Roscellinus, Wilhelm von Champeaux, und selbst Abälard

nichts Neues im Vergleiche mit den so eben erörterten Erscheinungen

vorgebracht; dass bei ihnen die Darlegung der Parteistellung reicher

und einlässlicher sich gestaltete, ist sehr erklärlich, da ja der Streit in

der Schule eben zwei Jahrhunderte vorher schon begonnen hatte. Drei

Auffassungen aber, neinlich der sog. Realismus Plato's, der aristotelische

Individualismus, und der Nominalismiis, hatten sich schon im 9. Jahrh.

herausgestellt, und zwar, wie wir wenigstens versuchten zu zeigen,

nicht ohne den Einfluss des Scotus Erigena. Dabei jedoch kann es,

wie sich von selbst versieht, Niemandem in den Sinn kommen, den

Remigius und jenen Jepa(?) und den Eric oder obigen Pseudo-Hrahanus

etwa als die ersten Entdecker oder Erfinder der von ihnen vertretenen

Ansichten zu betrachten, sondern dieselben dürfen uns nur als Reprä

sentanten von Richtungen gellen, welche aus dem logischen Schul-Materiale

mit Notwendigkeit hervorgehen mussten, sobald man nur über

haupt etwas mehr nachdachte, und wir dürfen überzeugt sein, dass in

jener Zeit wohl überall, wo man sich mit Logik beschäftigte, die glei

chen Gegensätze sich herausstellten (vgl. unten Anm. 238; eine sorg

faltige Durchforschung aller Bibliotheken würde wahrscheinlich noch

manchen Beleg hiefür zu Tage fördern). Dass die weitere Fortbildung

der Controversen durch die Berühmtheit einzelner Lehrer und nament

lich gerade durch polemische Darstellungen nur gefördert werden konnte,

ist von selbst klar; aber der erste Anfang des Streites muss jenem

Jahrhunderte zugewiesen bleiben, welchem er wirklich angehört.

In dieselbe Zeit (Ende d. 9. Jahrb.) fallen auch die ersten Keime

jener Thätigkeit in St. Gallen, deren reichere Bliithe uns bald weiter

unten begegnen wird. Auch hier weist uns der damalige Kullurgang

auf Fulda und die Schule des Hrabanus als die eigentliche Quelle zu

rück lso), und es versteht sich von selbst, dass die theologisch-kirch

liche Grundlage der freien Künste , welche in der Schule die übliche

hominibus accidere disciplinas ; quod si ita, ergo omnis Itomo rhetor, dialecticus.

Videmus tarnen complures expcrtcs esse rhetoricae et aliarum disciplinanim ; non

ergo verum, quod omni homini rhetorica accidal. Sed aliud quod accidil secundum

naluram, aliud quod secundum exercitium et experienliam ; ergo secundum naturam

omni homini accidit disciplina, solis vero philosoplns secundum exercilium et experientiam.

Hiebei ist der Realismus um so beachtenswerther, da Remigius zu letz

terer Auseinandersetzung offenbar durch eine Stelle des Boelhius veranlasst wurde,

wo letzterer gerade über den Sprachausdruck handelt (ßoelh ad Ar. d. inlerpr.

p. 323.: sicut eryo naturaliler singularium artium sumus susceplibilcs, 'sed eas non

naluraliler habemus, sed doctrina concipimus, ita vox quidem naluruliter est, sed per

vocem siynificatio non naturaliter).

179) Natürlich mit Ausnahme der Darstellungen bei Cousin und bei Haureau;

auch H. Ritter zog es trotz der Mittheilungen des ersteren (— die des letzteren

konnte er i. J. 1844 noch nicht kennen —) vor, nach älterer Weise den Nominiilisnnis

und Realismus erst mit Roscellinus und Wilhelm von Cbampeaux zu

eröffnen.

180) S. Wackernagel, Gesch. d. deutsch. Litt. S. 78 ff. Vgl. auch Weidmann,

Gesch. d Bibl. v. St. Gallen. 1841. •

.. .._

XIII. St. Gallen. Glossarium Salomonis. 47

war (s. oben Anm. 17, 24, 49, 80 f.), auch in St. Gallen im Auge

behalten wurde 1SI). Welche Wichtigkeit die dortigen Bestrebungen

auch durch die Anwendung unserer nationalen Sprache besassen, ist

bekannt genug; es mag aber in dieser Beziehung gelegentlich bemerkt

werden , dass es damals auch ausgesprochene Gegner des Ueberselzens

gab182); jedoch diese Seite der St. Galler Periode -liegt uns hier ja

Ferne. Hingegen was das logische Material der dortigen Schule helriü't,

dürfen wir die vereinzelte Notiz nicht verschweigen, dass ein ßücher-

Verzeichniss aus d. .1. 872 von „fünf Büchern" des Boethius (ausser

der Schrift d. consol. phü.) spricht183), denn im Zusammenhalt mit einer

späteren Angabe (Abschn. XIV, Anm. 6) dürfen wir hieraus schliessen,

dass auch in St. Gallen in jener Zeit die von Boelhius gemachte Uebersetzung

der aristotelischen Analytiken noch unbekannt war.

Der sog. „Vocabularius S. Galli" und die „Keronischen Glossen"

enthalten noch durchaus nichts Logisches *84), hingegen bietet das sog.

Glossarium Salomonis1^5) uns einiges Interesse dar, indem dort in

der alphabetischen Reihenfolge, in welcher -das ganze encyklopädische

Schulwissen damaliger Zeit vorgeführt ist, sich auch reichlich logisches

Material findet. Allerdings sind es fast ausschliesslich nur die Angaben

des Isidorus, welche hier in alphabetischer Zerrissenheit und mit bar

barischer Schreibung der Kunstausdrücke erscheinen186); aber einiges

181) Eckehard vita S. Notkeri b. Canis. Ant. lectt. III, p. 554.: In monasterio

S. Galli septem liberalium arlium Studium flomil, et ille sub hone magistro (Iso

starb 871) hoc in (empöre literatissimo artinm liberalium subtilitalei non pro gloria

seit favore seculi, sed pro utilitate sanctae dei ecclesiae admodum satis edoctus fuil.

182) Wenigstens sagt Servatus Lupus (gest. 862), Epist. 41.: Vobis aperio,

principem operam nie deslinasse leclioni el ad oblivionis remedium et eruditiotiis

auymenlum libros pauculos paravisse , nee germanicae linguae caplum amore, ut

ineptissime quidam iactaverunt , sarcinam subiisse tanti tamque diulurni laboris.

183) Ralpert. Cos. S. Galli b. Pertz, Mon. II, p. 72.: Isidori Etymologiae.

Murcianus Capella, Boelltii philosophiae consolatio, item alii quinque Ubri.

184) Ich habe die ganze Glossen-Liiteratur jener Jahrhunderte, soweit sie ge

druckt vorliegt, durcbgelesen, aber äusserst selten Worte aus der Logik gefunden

(mehr aus der Rhetorik), und jenes Wenige beruht ausschliesslich auf Isidor und

Mure. Capella.

185) Der Constanzer Incunabeldruck s. l. e. a. dieses Glossariums (wovon

Ein Exemplar sich in der Münchner Staatsbibliothek findet) enthält eine Epislola

praelibaticia, welche gegen das schlechte Latein (des 15. Jahrh.) und auch gegen

(las Calholicon des Joanncs Januensis polemisirt und dabei ausdrücklich den Bischof

Salomo II. (870—890) als Verfasser nennt (ergo Salomon ille noster secundus

Constantiensis ecclesiae episcopus etc.). Weidmann a. a. 0. p. 461. schreib! es

Salomo III. selbst (890—920) zu ; richtiger aber scheint die Ansicht zu sein, welche

Graff, Dinliska III, p. 411 S. und R. v. Raumer, d. Einwirk, d. Christenth. a. d.

althochd. Spr. p. 128. aussprechen, dass das Ganze nur im Auftrage Salomo's III.

von Notker Balbulus (gest. 912) und von Tulilo (gest. 9.12) etwa auch mit Be

nützung von Excerplen Iso's gemacht sei. Vgl. auch E. Dümmler, D. Formelbuch

des Bisch. Sal, III. Berl. 1857, p. 110 Uebrigens besteht das gedruckte Exem

plar aus zwei Glossarien, deren ersteres 238 unpaginirle Blätter gross Folio in

je zwei Columnen, das zweite aber, welches sich weder als Auszug noch als Supple

ment des ersten zeigt, ebenso 49 Blätter füllt.

186) Die Eintheilung der Philosophie und der freien Künste nach Isidor (s.

oben Anm. 23.) steht s. t). Pltilosophia und Disciplinae, wobei auch .der unterschied

zwischen ars und disciplina (Anm. 26.) nicht fehlt; die verschiedenen Angaben

aber die Logik selbst (Anm. 27.) sind verlheill s. D. Dialectictts und Logica und

48 Glossarium. Salomonis. Poppo.

Einzelne weist doch auch auf anderweitige Leclüre hin, wie z. B. höchst

abenteuerliche Notizen über die „Entelechie" oder über das Verbum

Ei'fu ls"), oder wenn bei den Kategorien der Qualität und der Relation

(jedoch nur bei diesen beiden) Ausführlicheres unmittelbar aus Boelhius

benutzt ist188); dasselbe gilt von der Berücksichtigung sophistischer

Schlüsse, welche nicht aus Alcuin (Anm. 71) und nicht aus Unikums

(Anm. 82), sondern selbstständig aus Gellius (Abschn. VIII, Anm. 66)

entnommen sind 1S9).

Dass das zehnte Jahrhundert in geistiger Beziehung die Zeit der

grössten Unfruchtbarkeit und Finsterniss gewesen , ist bekannt, und so

finden auch wir auf unserem Gebiete nur die Bestätigung eines solchen

Urtheiles, denn in der Thal ist es der Zeitraum eines ganzen Jahrhunderles,

aus welchem wir auch nicht eine einzige selbständige Arbeit

oder auch nur die Anfertigung eines Compendiums mit Sicherheit an

führen können. Um so mehr aber müssen wir eben deshalb in dieser

Periode auch jede geringfügige Spur verfolgen, welche uns den Nach

weis geben kann, dass doch wenigstens der receplive, — wenn auch

nicht der produclive — , Schulbetrieb der Logik noch fortglimmte und

somit der Faden der Tradition nicht völlig enlzweiriss.

Eine solche Anknüpfung .an Früheres wäre zu erkennen, wenn

Poppo in Fulda (um d. .1. 960) seinen Schülern ausser dem Boelhius

auch andere philosophische Schriften erklärte 19°); ob aber wirklich

Rationabilis; das ganze Capitel über die Isagoge (Anm. 28—31.) nur mit Weglassung

der letzten paar Zeilen (Anm. 31.) steht s. v.Hisagoge, ebenso vollständig

der Abschnitt über die Kategorien (Anm. 32.) s. v. Kategorie, und Einzelnes daraus

wieder s. v. Equivoca, Homonima (Anm. 42.) , Omoninta, Sinonima, Quantilas, Substanlia

, Vsia. Von der Lehre vom Urtheile steht s. v. Periermenias bloss jenes

Sprüchlein (Anm. 34.), sodann aber Einzelnes s. v. Apofasin, Conlradictio, Katafasin,

Ncgatio, Nomen, Verbum. Das Wort Definitio selbst fehlt, aber Einzelnes

ist angegeben s. v. Kataaplicresin , Kalahipoliposin, Kataepcnon, Kataanalogiam,

Kataetiloyiam. Aus dem Abschnitte über die Syllogistik (Anm. 38.) ist nur Eine

Notiz s. v. Yppotelicos entnommen, hingegen Mehreres aus dem rhetorischen Ab

schnitte (Anm. 43.) vertheilt s. v. Catasceua, Entimema , Rationatio , Sillogismus;

die Topik aber (Anm. 39.) ist s. v. Topica vollständig abgeschrieben. Endlich aber

fehlen auch hier nicht jene obigen zwei Einzelnheiten (Anm. 45. u. 47.); sie stehen

s. v. Rationale und s. v. Tcnebras.

187) Endelecliia i. e. psichen secundum Chalcidium perfeela aetas, secundum

Aristotelem absoluta perfcctio interprelatur , Pläto tarnen endelechium animam mundi

dieit, et dicta endelechia quasi endos lechia, i. e. inlima aelas. — Emi verbum sulistantivum,

i. e. sum, cuius participium praesentis lemporis neulri gencris ens, plurale

-eius oysa, i. e. enlia, cui addita iota formal hoc nomen quod esl usia, i. e.

essentia.

188) S. v. Qualität (vgl. Boeth. p. 186 f.) und s. v. Relatio (vgl. ebeud.

p. 170.).

189) Dilemmatum argumenlum quod est ab ulraque parte firmissimum et concludit

adversarium (diess erinnert an Scotus, s. Anm. 93 ff.). Dilemma esl cornulus

sülogismus. — Pseudomeni dicuntur fallaces a graeco, qui rem aliquam meationibus

conanlur asserere , nt dicimus de philosophis qui aiunl: si dicam menliri

et non mentior, vertan dico. — Soßstice, argute, sapienler conclusione vel repreliensione,

— Im zweiten Glossare: Sopliislem, eloquentissimus oralor. — Sopltismala,

i. e. fraudulenlae assertiones. — Sophismata sunl fulsae conclusiones verbortan , i.

e. übt in falsis sentenliis connexionis veritas manct (s. Anm. 83.).

190) Trühem. Ann. Hirsaug. a. 970, p. 113.: Claruil las eliam temporibus in

monasterio fr'uldensi . ... Poppo venerabilis monachus , magistcr scholarum consensu

XIII. Reinhard. Johann v. Gort. Gunzo. 49

ein gewisser Reinhard, Scholasticus in St. Burchard zu Würzburg

(um d. J. 935) einen aus vier Büchern bestehenden Commenlar zu den

Kategorien geschrieben habe, ist wohl nicht ganz gewiss, denn ausser

der Unlauterkeit der Quelle, welche diess berichtet, muss jene Zahl der

Bücher darum einigen Argwohn erregen, weil der Commentar des Boethius

gleichfalls vier Bücher enthält, und somit die Möglichkeit sehr

nahe liegt, dass Reinhard nur ein Exemplar des Boelhius copirl habe;

falls er jedoch auch eine' Schrift über die Quadratur des Cirkels verfasste,

würde diess immerhin, wie wir unten, Anm. 251 und 278,

sehen werden, auf eine speciellere Beschäftigung mit des Boelhius Com

mentar zu den Kategorien hinweisen191). Auch die Notiz, dass Jo

hann von Vendiere, Abt in Gorz bei Metz (welcher i. J. 955 als

Gesandter Otto des l. nach Cordova zu Abdur Rahrnan II. gieng) , bei

seinen Studien durch Augustin's Trinitätslebre auf die Kategorien oder

die Isagoge hinübergeleitet wurde, mag höchstens als Beleg dafür an

geführt werden, dass Alcuin (oben Anm. 51) in der Schule fortwirkte,

wenn auch, wie die nemliche Quelle besagt, derlei logische Untersu

chungen bei anderen Klerikern keineswegs Beifall fanden m).

Hingegen finden wir aus dem Anfange der zweiten Hälfte dieses

Jahrhunderts wenigstens eine Hinweisung auf die logische Parteifrage

in einem Briefe des Gunzo Italus193), welcher Diaconus in Novara

gewesen war und durch Otto I. nach Deutschland gezogen wurde; und

vielleicht dürfen wir aus der Schulkenntniss , welche Gunzo zeigt,

schliessen, dass man auch in Italien jenen Fragen nicht ganz fremd

geblieben war, wenn wir auch auf die zweiunddreissig ,, Philosophen",

welche schon im 9. Jahrh. in Benevenl gelebt haben sollen ''•"), wenig

ommum cnnstitutus , qui cum esset omni scientia scriplurarvm erudilissimus , mullorum

aitdientium praeceptor egregius fuit; hie, ut Meginfridus teslalur, libros Boethii

de consolalione primus inier omnes suis commentariis explanavil, plura denique

veterum synthemala philosophorum suis discipulis legere consuevit. Dass die Anga

ben des Trilbemius nur vorsichtig zu benutzen sind, ist bekannt.

191) Ebend. a. 934, p. 72.: damit bis quoque temporibus apud Francos

orientales in coenabio sancti Burkardi iuxta Herbipolim Reinhardtis monachus et

magister scholarum ibidem in omni genere doctrinarum nominatissimtis , sub cvius

inslilutione scientia lillerarum multa clauslrales eiusdem loci complures mirifce profecerunt

; scripsit inter cetera ingenii sui opuscula de quadratura circuli librum

a a um , in categorias quoque Aristolelis libros qitatuor, de musica libros duos, de

arte poetica (?) librum unum, in canticum canticorum librum nimm etc.

192) Joann. Melt. vita Joann. Gorz. c. 83 bei Pertz, Man. VI, p. 360.: postre-

Miint in libris de Trinilate multa intentione sudavit ; in quibus cum de dialecticis

rationibus quaedam offendisset, Maxime ubi .... eam quae dicitur ,,ad aliquid"

cathtgoriam inlroducit eiusqne occasione de omnilius quoque decem praedicamentis

strictim quaedam commemorat , sclwlasticam mox super his sibi operiendis expetens

ab ipsis inlroductionibus Isagogarum laborem itrripuil lectionis. In quo cum div

luctaretur, repente dominus paler Einoldus (Abt zu Gorz) medios praecidil conatits

temfora in his fruslra expendere nolens ab hoc Studio eum avertit iussitque,

ut animum potius sacra lectione occuparet.

193) Näheres über ihn s. h. J. Chr. Gatterer, Commentalio de Gumone. Nürnb.

1756. 4.

194) Anon. Salern. bei Pertz, Hon. UI, p. 534.: Ludovici secundi imperatoris

aetate triginta duos philosophos Beneventi vixisse , inter quos Henricus Kbcralibus

disciplinis non so/um apprime imbvtus, scd eliam proba veritate deditus Pertz er-

PBAMTL, Gesch. U. 4

50 XIII. Gunzo.

Gewicht legen wollen. Kurz jener Gunzo hat in einem i. J. 960 an

die Reichenauer Mönche geschriebenen Briefe 195) Gelegenheit, nicht

bloss logisches Material zu erwähnen, wobei wir hervorheben dürfen,

dass er ausser dem Marcianus Capella und Arisl. d. inlerpr. auch die

ciceronische und die aristotelische Topik (letztere gewiss nur in jener

Vereinigung beider Topiken bei Boeth. d. diff. fop.) nennt 196), sondern

er gehl auch mit einem gewissen Forschungssinne und jedenfalls mit

Vorliehe und Loheserhebungen auf den gleichsam als Zauberkunst wir

kenden Inhalt der Logik, zumal der Lehre vom Urtheile, ein197), und

versucht selbst nicht ohne Geschick die logische Technik auf anderwei

tigen Stoff anzuwenden 19S). Sodann aber, was uns das Wichtigste

klärt phitosophus als clericus vel monachus, vielleicht richtiger Giesebrecht (De litt,

slutl. ap. Ilalos. Berol. 1845, p. 15.) als doctor artium liberalium.

195) Die Veranlassung des Briefes liegt darin, dass Gunzo in St. Gallen beim

geselligen Mahle wegen eines Grammatikal-Felilers eine bittere Verunglimpfung von

Eckelard erfahren hatte, worüber er nun die Reicheoauer um schiedsrichterliche

Entscheidung bittet. Abgedruckt ist der ßrief b. Marlene, Veit, scriptt. ampliss.

udl. l, p. 294 ff.

196) Ebend. p. 304.: Adveniens (d. h. nach St. Gallen) deferebam paene

centum librorum Volumina inier quae erat Marciani in septem liberalibus disciplinis

succincla veritas ; deportabatur quoque Platonis in Timeo (d. h. Chalcidius)

vix intellecta pro/itfidi/as, Aristolelis in libro Pericrmenias aut nostris vix

temporibus tentata aut non perspecta obscurilas (Wirkung jenes nun schon oft er

wähnten Sprüchleins), Ciceronis Arislotelisquc non contemnenda Topicorum dignitas

(selbst schon der Wortausdruck weist uns sicher nur auf des Boethius Verknüpfung

der ciceronischen und aristotelischen Topen hin).

197) Ebend. p. 305 : Haec (sc. Minerva, d. h. die Wissenschaft) Ha aliquando

ambiguitate obfuscatur, ut quae res cui ijeneri subponi debeat dif/icile fossil inveniri;

verbi gralia si quis ita proponat, cum umnia quaecunque sunt aut substantia

iiul accidens liabeanlur, quid de differentia dicendum esl, quae neque substantia neque

accidens dici polest? Substantia dici nequil, quia nun praedicalur in eo quod

quid sit; accidens idcirco vocari non polest, quia subslunliam informat (vgl. Anm.

109. u 150.) ; quod enim substanliam constituit, in substantia praedicalur. Est

iititi'tn haec tarn subtilis prudenliae , ut decem et novem modorum conclusionibus

(diess aus Marcianus Cap., s. Abschn. XII, Anm. 68.) omnem paene loi/icen philosuphiam

concludi existimet , quae Aristoteli adeo obsccuta credilur, ul ei nutrix

credatur. Seit sophislica slullos cavillalione decipere , monslrat tarnen qualiter ipsa

eavillatio possit evitari ; falsa veris quando vult sie farcinal , ul unu eodemque

tempere eodemque loco rite convenire videanlur; esse eliam et non esse arcana quaiiiim

ralione (also wie eine magische Kunst) simul concurrere fingit, proposilionum

suarum quadraluram eo modo disposilam aulumat , qualenus obliquorum lalerum

recursus aliquando sine coaclione redeat , aliquando coactione operialur (er meint

die Figuren bei Boethius, Abschn. XII, Anm. 113. u. 125.); Atiic non satis est, ut

dicatur malum esse quod est, sed quia bonum non est; rerba secundum se nomina

esse putal, nam et qui dicit audilum consliluit, et qui audit quiescil, ipsaque nonnisi

in inslanli tempore iudical dici passe (vgl. Abschn. XII, Anm. 83 f. u. 111.).

Ubique se verlit ad singulos ac veluti ludens venena mordacitalis, quae venena monslrata

cuti vitam non intercludunt.

198) Ebend. p. 310.: Orilur quoque magna inier philosopkos de coelestibus

corporibus quaestio (s. Boeth. p. 85., woselbst die Veranlassung der^Betnerkung

Gunzo's) , •iilnini animata sint an inanimata, et Plato quidem non solutn animata

sed et rationabilia et immorlalia putal, Aristoteles inanimala et immortalia. Ex

quo secundum opinionem I'lalonis contrarium quiddam conßcitur difftnüioni l'orphyrii,

qui di/ferentias subslantiales et divisivas affmnal generttm et constitulivas specierum ;

sed irrationalis et immortalis differentiae secundum flalonem nullam speciem coa-

/ormutil (d. h. wenn sie bei Plalo vernünftig und unsterblich sind, so müsste Dach

XIII. Gqnzo. Wolfgang. Abbo. Bernward. 5l

ist , zeigt er ein Bewusstsein des Gegensatzes zwischen Platonismus und

Arislolelismus beziiglirh der Gellung der Universalien 199), und er scheint

hierin auf einem Standpunkte zu stehen, welcher die heiden , von uns

oben S. 35 auseinandergehaltenen Fragen zugleich ins Auge fasst, denn

er entscheidet sich offenbar auch im Hinblicke auf jene die vox be

treuenden Stellen des Boethius für eine platonisch realistische Auffassung,

wobei das Gebiet der Worlbezeichnung als das veränderliche und an

sich unsläte erscheint200).

Anderes hinwiederum, was der zweiten Hälfte oder dem Ende des

10. Jahrh. angehört, können wir nur als Beleg des Fortbestandes der

Schultradition anführen; so wenn berichtet wird, dass Bischof VVolfgang

in Regensburg (um d. J. 970) in einer theologischen Disputation

die verschiedenen Arten , in welche das arcidens emgetheill werden

kann, in Anwendung brachte, wobei jedoch bemerkenswert!) ist, dass

die dialektische Methode als carnalis anlidolus bezeichnet wird201),

oder wenn die logischen Studien des Abbo von Orleans (gest. 1004),

welcher in Fleury studirte und später ebendorl docirte202), und des

Bischol'es Bernward in Hildesheim (gest. 1022) erwähnt werden203),

l'iu [ilij i ins dann auch eine Species von Wesen existiren , welche unvernünftig und

unsterblich wären ; eine solche aber gibt es bei Flato nicht) ; licet Arittvlelis opinio

a Porphyrii dif'ftnitione non dissenliat.

199) Ebend. p. 305.: Aristotcli genus , speciem, differentiam, proprium el

accidens subsistere denegaoit (sc. Minerva) , quae Pialoni subsislentia persuasit.

Ariitoleli an Pialoni mayis credendum pulalis ? Magua est ulriusque auctoritas,

quatenus fix audeal quis allermn alleri dignilale praeferre.

200) Ebend. p. 299. : Boelhius vir erudilissimus in libro peri Ermenias iecuadae

editionis audite quid dicat: Adminiculari quis deliel obscuris sensibus patientia

el consensu, quod ad senlenliam dicentis speclul, elsi sermonum ralio se ita

non habeat Cui rei Aristoteles in libro peri Ermenias congrutl hi$ verbis :

sunt ergo ca quae sunl in voce, earum quae stinl in anima passionum notae. Omnis

nota alicuius rei nola esl; prius ergo res esl quam wo/a; rcs ergo prius ponderanda

esl quam nola.

201) Vita Wolfgangi c. 28 bei Perlz, Man. VI, p. 538.: (juidam haereticut

quod verbum caro faclum esl oppugnans dixit ,,si rcrbum, nun esl factum, aul si

faclum, non esl verbum" worauf Wolfgang: Quia. nun per spirilualrm sed per

carnalem medicandus es antidotnni, die quid sil accidens. llle vero multum arro

ganter ,,accidens esl, inquil , quod adesl el aliesl praelcr snbiecli Korruptionen"

(diess die Delinition des Porphyrius, s. Absclin. XI, Anm. 47.). Rursumque praesul:

,,quol formurum sit accidens, edicilo." AI ille . .. conlicuit. Thcologus autcm

.... sitccincte disst'ruit', Accitlens esl, inquil , quadri forme; unwn quod ncc accedit

nee recedil , ul acilus (wohl zu lesen calvus) el simus (auch Boetli. p. 110. nimmt

ebenso das griechische aipos unverändert herüber); aliud quod accedil el recedil,

ul salurilas el üormilki ; lertium quod non accedil el tarnen recedil , ul infantia et

puerilia; quwlmn quod accedit el non recedil, ul scnectus el canilies. Hac ergo

simitiludine ftlius .... induil quasi per inseparabile accidens humanitatem etc. Die

Viertheilung seihst ist erst aus den erklärenden Beispielen bei Boeth. p. 80. ge

macht, denn bei Purphyhus liegt nur Zweitheilung vor, s. Absclin. XI, Anm

44. u. 47.

202) Aimoin. vita S. Abb. c. 3. h. Hab. Act. Bened. VI, l, p. 3U ff.: Üiversortun

adüt sapienliae offtcinas locorum quapropter Parisiis atqtie Remis ad eos gut

pkilosophiam profitebanlur pro/'eclus ...... denique quosdam dialeclicurum nodos syl~

loyisworum • enuclealissime enodavil etc.

203) Thangmar (Scholasticus in Hildesheim und Lehrer Bernward's, dessen

Leben er beschrieb), Prol. vilue Bernvi. b Perli, Hon. VI, p. 758.: inlerdum sim

4*

52 XIII. Bernward. Walther v. Speier.

und zwar bei beiden1 der Berichterstatter in eigentümlichen Ausdrücken

die Schwierigkeiten der syllogistischen Uebungen hervorhebt; das Gleiche

gilt auch von einer Notiz, welche die Schule in Worms betrifft und

sich wieder des Wortes fuga (s. oben Anna. 97) zur Bezeichnung der

Dialektik bedient 204). Etwas ausführlicher beschreibt den Gang seiner

eigenen Studien Walther von Speier, welcher zur Zeit des Re

gierungsantrittes Otto's III. (i. .1. 983) eine Vita S. Chrislophori in sechs

Büchern (in Hexametern) verfassle, deren erstes unter der Ueberschrift

„Scholasticus" in schwülstiger Allegorie die Darstellung der sieben freien

Künste enthält205); und es ist nicht ganz ohne Interesse, zu sehen,

wie Walther an der Hand des Boethius (s. Abschn. XII, Anm. 77 u. 82)

die Theile der Logik, nemlich Isagoge, Categorien , d. inlerpret., Ana

lytik und Topik, aufzählt und bei letzterer sich an ßoeth. d. di/f. top.

anschliessend das Nebeneinandertreten des Dialektischen und des Rheto

rischen anerkennt, um zuletzt auf Cicero als den Vertreter der eigent

lichen Rhetorik, soweit dieselbe nicht dem Dialektischen anheimfällt,

hinzuweisen 206).

plici cmtextu ralionem conlulimus , saepe syllogisticis canillalionibus desudavimus ;

ipse' quoque me crebro , etsi verecunde, acutis tarnen et ex intimo aditu (zu lesen

adyto) philosophiae prolatis quaestionibus sollicilabat.

204) Lantbert. vüa Herib. c. 3. b. Perlz, Man. VI, p. 741.: Dilectissimam prolem

provehi ardebant (d. h. die Eltera Heribert's gegen Eade des 10. Jahrh.) aetate

et litterali Studio; ac per hoc Wormaciae idoneis personis contradunt eum in domo

apostolorum principis, ubi cum exteriori disciplina ulriusque testamenti imbuerelur

paginis. Patent Mi perpropere quaecunque obscure geruntur in poemate , nee latent

eum fugae et nodosi amfractus in Socrule (hiebei ist wohl Plato gemeint, denn an

Isokrates ist doch sicher nicht zu denken) et Aristolele et quolibet a/«'» siiiuosu

rethore (Rhetorik und Dialektik scheinen als gleichbedeutend genommen zu sein,

wie in obiger Stelle des Saxo, Anm. 48.).

205) Gedruckt b. Pez , Thes. Anecd. II, 3, p. 27 ff. (die Zeitangabe Walther's

selbst über die Abfassung seines Gedichtes steht am Schlüsse des 6. Buches).

206) Der Titel des 1. Buches (ebend. p. 35.) lautet: Primus libellus de sludio

poetae , qui et scholasticus, und nachdem von der Poesie gebandelt ist, folgt

die Philosophie p. 39.: Inde ubi maiorum leligit nos cura ciborum, Porptiyrius

ciaras nobis reseravit Athenas, Qua mutti indigenae librabanl verba sophistae. Cernere

erat quandam vullu pollente puellam, Practica cui limbum pinxüque theorica

peplum (s. Abschn. XII, Anm. 70.) , Et licet efßgiem macularet parva (I. prava)

vetuslas , Ipsa tarnen ternas suspendit ab ubere nalas (s. ebend. die Dreitheilung

des Theoretischen). Praestitü haec nobis summi subsellia lecti, El poslquam Strato

licuit discumbere cocco , Procedunl senae turba conülanle sorores (d. h. Dialektik,

Rhetorik, Rhythmik, Mathematik, Musik, Astronomie). Ingenui vullus non absque

gravedine gestus Adducil famulas praestanti corpore quinas (d. h. die sogleich fol

genden fünf Theile) Omnia sub gemino claudens ])ialeclica punclo (der doppelte

Gesichtspunkt ist inventio und iudicium, s. Abschn. XII, ebend.). Prima quidem

(die Isagoge) miles generali nomine pollens Insignila tribus (d. h. genus, species,

di/ferentia) unum selegit amictum. Hanc vice continua sequitur gradienle secunda

(die Categorien). Tertia (die Lehre v. Urtheile) discrevit quidquid primaeva toegit,

Dans operam sane cirros crispare secundae, Quos quarlae (Syllogistik, 'd. h. Analy

tik) solido collegit ßbula nodo (über nodus vgl. obige Anm. 202. u. 204.). Insta

bilem fucum tulit ultima (die Topik) quinquc sororum Docta quibus geminas decernens

Graecia formas (d. h. dialektische und rhetorische Topen) Pinxit ,,quale"

tribus, „quid sil" referendo duabas (d. h. das Quäle liegt in persona, tempus,

circumslantiae , s. Abschn. XII, Anm. 160., hingegen das Quid in deßnitio und descriptio,

s. Abschn. XI, Anm. 96.), Ut reboant nobis deliramenta Platonis (diess

weiss ich nicht zu erklären). Inde suam stipal comitem pressura sodalem RhetoriXIII.

Gerbert. 53

Ja auch von dem berühmten G er he r t (als Papst Sylvester II.

gest. 1003) müssen wir das Gleiche behaupten, nemlich dass er unselbstständig

lediglich in Her Schul-Tradilion befangen blieb, wenn wir

auch bei ihm eben darum etwas länger verweilen müssen, weil an ihn

und sein Auftreten sich höchst schätzbare Notizen betreffs der beschränk

ten Behandlungsweise der Logik in jener Zeit anknüpfen 207). Es er

zählt uns nemlich zunächst ein Zeitgenosse Gerbcrt's, wie derselbe in

seiner Jugend von einem hervorragenden Kleriker in Rheims (wahr

scheinlich Giselbert) in die Logik eingeführt worden sei und dann alsbald

als Lehrer der üblichen Schulwissenscbaflen ebendaselbst zu wir

ken begonnen habe 208). Indem aber der Berichterstatter hiehei auch

das ganze logische Material, dessen sich Gerberl heim Unterrichte be

diente, ausführlich und vollständig aufzählt, erhallen wir einen ebenso

wichtigen als. entscheidenden Beleg dafür, dass man auch am Ende des

10. Jalirb. noch immer die von Boethius herrührende Uebersetzung der

Analytiken und der Topik des Aristoteles nicht kannte, denn gerade

diese sind es, welche unerwähnt bleiben, während alle übrigen lieber-

Setzungen und eigenen Arbeiten des Boelhius (s. Absch. XII, Anm. 72 f.)

der Reihe nach angeführt werden; auch ist bemerkenswerlh, dass Ger

bert den Unterricht in der Rhetorik erst nach der Dialektik folgen Hess,

sowie dass der erzählende Chronist die Rhetorik noch zur Logik rech

net und hiemit auf dem Standpunkte, welchen wir bei Isidor, Alcuin

und Hrabanus (Anm. 27, 54 u. 79) trafen, sich befindet209). Ferner

cam duplicis vcstitam flore coloris, Quae iaciens varias nervo pulsante sagütas Monstrat

kypothetici nobis spectacula ludi (s. Abschn. \ll, Anm. 11)9.) Et iam cornula

(vgl. oben Anm. 189.) stirgens ad sidera fronte Causarum rivos patulo profudit ab

ore. Sed postquam illatas pepulü conclusio Utes Ipsaque gravigenas compeyit pace

sophistas , Omnibus asseculum veniente porismate laetis Sah pedibus Logicae recubabat

nexa coaevae , Commissura tibi reliquorum munia, Tulli. Hierauf folgen

Rhythmik und die übrigen oben genannten Disciplinen.

207) Die Schrift von Hock , Gerbert od. Papst Sylv. II. n. s. Jahrb. (Wien

1837) ist, selbst abgesehen von der schiefen Partei-Tendenz des Verfassers, in

Bezug auf die wissenschaftliche Thätigkeit Gerbert's und seiner Zeit höchst unge

nügend (vgl. auch S. R. Wilmans in d. Berl. Jahrb. 1839, H, p. 622.^.

208) Richer. hist. III, 44 ff. b. Pcrtz , Man. V, p. 617.: Juvenis 'igitur apud

papam rtlictus ab eo regt (nemlich Oltoni) o'blatus est. Qui (d. h. Gerbert) de

arte sua interrogatus, in mathesi se satis passe, logicae vero scientiam se addiscere

velle respondit OHO (empöre G. Rcmensium archidiaconus in logica clarissimus

habebatur , qui etiam a Lothario Francorum rege eadem tempestale Ottoni regi Italiae

legatus directus est (einen anderen Archidiaconus von Rheims ans jener Zeit,

dessen Name mit dem Buchstaben G begänne , konnte ich nicht finden , als den

Giselbert, welcher im J. 948 bei dem Ingelheimer Concil anwesend war, s. Marlot,

Metrop. Rem. hist. Ins. 1666. I, p. 464.). Cuius adventu iuvenis exhilaratus regem

adiit alqtie ut G...O committerelur obtinuit. E G. ..o per aliquot tempora haesit Remosque

ab eo deductus est. A quo etiam logicae scientiam accipiens in brevi admoium

profecit , G...S vero mm raathesi operam daret, artis difficultate viclus a

mvsica reiectus esd Gerbertus interea studiorum nobilitale praedicto metropolitano

' commendalus eius graliam prae omnibus promeruit , unde et ab eo rogatus discipulorum

turmas artibus instruendas ei adhibuit.

209) Ebend. (fortgefahren): Dialecticam ergo ordine librorum percurrens dilucidis

sententiarum verbis enodavit. l« primis enim Porphyrii ysagogas id est introducliones

secundum Victorini rhetoris Iranslationem , inde eliam eiusdem secundum

Manlium explanavit, Cathegoriarum id est praedicamenlorum librum Aristotelis con54

XIII. Gerbert.

aber wird berichtet, riass Gerbert sich mit dem Entwurfe einer Figur

beschäftigte, in welcher die Einlheilung aller Dinge in eine Tabula

logica gebracht werden sollte, wozu natürlich jene bei Boethius sich

findende Tabelle die Veranlassung gab; er kam jedoch hierüber in

Streit mit Otricus, und es knüpfte sich hieran eine philosophische Dis

putation, welche in Gegenwart des damals fünfzehnjährigen Otto III. i.

J. 970 in Ravenna stattfand210). Eine andere ausführlichere Erzählung

betreffs dieses Gespräches lässt uns deutlich erkennen, dass dabei die

streitenden Personen lediglich die Angaben des Boethius (im Comnientare

zur Isagoge) auswendig wussten und auf solcher Basis die Controverse

erörterten, ob Rationale ein engerer Begriff als Mortale sei,

oder nicht vielmehr umgekehrt letzterer als der engere sich erweise 2 n).

sequenler enucleans;. periermenias vero id est de interpretatione libfjum , cuius laboris

sil, aplissime monstravil; inde etiam topica id esl argumentorum sedes a

Tullio de graeco in lalinum translata et a Manlio cunsule sex commcnlariorum

libris dilucidata suis audiloribus intimavit, necnon et quatuor de topicis differentiis

libros, de sillogismis cathegoricis duos , de ypotlicticis tres , difßnitionumque librv.ni

minm. divisionum aeque nimm, utiliter legit et expressit. Post quorum laborem

cum ad rheloricam suos provehere velltt , id sibi tuspectum erat, quod sine locutionum

modis , qui in poetis discendi sunt, ad oraloriam arlem anle perveniri non

queat; poelas igitur adhibuit quibus assuefactos loculionumque modis compositos

ad rhetoricam lransdux.il; qua instructls sophislam adhibuit, apud quem in

controversiis exerccrenlur ac sie ex arte ägerent, ul praeter arlem agere viderenfur,

quod oratoris maximum rnl et in. Sed haec de logica, in malliesi vero etc.

210) Hugo Flavin. Chron. Virdun, b. Pertz , Man. X, p. 367.: Hoc (empöre

Otricus apud Saxones insignis habebatur Adulhero Romam cum Gerberto petebal

et Ticini Augustum (d. h. Ottonem) cum Otrico reperit , a quo ductus est Havennam;

et quia anno superiore Otricus Gerberti se reprehensorem in quadam figttra

cum mulliplici diversarum rerum distributione (aus Boelh. p. 25., s. Abschn. XII,

Ainn. 87.) monstraverat , iussu Augusti omnes palatii sapienles intra palatium collecti

sunt, Archiepiscopus quoque cum Adsone abbate Denensi et scholasticorum

numerus non panus, et coepla disputatione cum iam Intimi paene diem consumpsissent,

Augusti nutu finis impositus est.

211) Eicher a. a. 0. c. 60 ff. p. 620 f. : Otricus ait: quoniam philosophiae

partes aliquot breviter atligisti , ad plenum oportel ut et dividas et divisionem enodes

Tunc quoque Gerbertus: .... secundum Vilrwii (zu lesen Victorini) atque

Boelii divisionem dicere non pigebit ; est enim philosophia gc.nus ; cuius species sunt

praclice et theoretice; praclices vero species dico dispensalivam , distributivam , civilem;

sub theorelice vero non incongrue intelliguntur pliisica naturalis, mathemalica

intelligibilis , ac theologia intcllectibilis (aus Boelhius, s. Abscbn. XII, A tun. 76.)

Tunr vehemenlius Otricus admirans ait: an mortale rationali supponis? gui.s

nesciat, quod rationale deum et angelum hominentque concludat, mortale vero utpote

maius et continentius omnia mortalia et per hoc infinila colligat? Ad haec Gerber

tus: si, inquit, secundum Porphirium alque Boetium substanliae divisionem usque

ad individua idonea partitione perpenderes, rationale continentius quam mortale sine

dubio haberes;. idque congruis ralionibus enucleari in promptu est. Etenim cum

constet, substantiam genus generalissimum per suballerna passe dividi usqiie ad in

dividua, videndum est an omnia .suballerna singulis dictionibus proferanlur. Sed

liquido patet, alia de singulis alia de pluribus nomen faclum habere, de singuUs ul

corpus, de pluribus ul animalum sensibile ; eadem quoque ratione subalternum quod

est animal rationale, praedicatur de subiecto quod est animal rationale mortale;

nee dico, quod rationale simplex praedicetur de simplici morlali , id enim non procedit,

sed rationale inquam animali coniunclum praedicatur de morlali coniuncto

animali rationali. Cumque verbis et sententiis nimium fluerel et adhuc al/ia. dicere

pararet, Augusli nutu disputationi finis iniectus est. (Sämouliches aus Boetk

a. a. 0.) ,

XIII. Gerbert. 55

Den Gegenstand jener Disputation hatte nun Gerbert noch weiter

verfolgt, und es entstand daraus die an Otto III. gerichtete Schrift „De

ralionali et ralione u<»"212), eine höchst abenteuerliche Verquickung

eines unverdauten Schulwissens, wobei das so eben erwähnte Rationale,

auf welches ja auch schon eine Stelle des Isidorus hingewiesen hatte

(s. oben Anm. 45), näher in Betracht gezogen wird. Nemlich nach

einer Einleitung, welche ausdrücklich an jenen erfolglosen Slreit zu

Ravenna anknüpft213), wird als Thema der aus Boethius (oben Anm.

46) entnommene Zweifel bezeichnet, wie denn der Vernunftgebrauch

(ralione uli) von dem vernünftigen Wesen (rationale) als Prädicat aus

gesagt werden könne, da ja doch immer der Prädicatsbegrifi" der höhere

oder weitere (maior) sein müsse214). Dieses Bedenken, welches uns

höchstens darum interessant sein kann, weil es einen Beleg dafür ent

hält, wie einseitig die Schul-Logik des späteren Alterthumes bloss den

Umfang, nicht aber den Inhalt der Begriffe berücksichtigt hat (s. Abschn.

XI, Anm. 43), wird nun auf eine ebenso ungeschickte als bloss formale

Weise gelöst. Zunächst nemlich soll jenes Prädicats-Verhällniss zwi

schen Vernunftgebrauch und Vernunftwesen dadurch gerechtfertigt wer

den, dass ersterer als ein Actuelles das Höhere sei215). Dagegen aber

erhebt sich der Einwand, dass ja überhaupt die Unterordnung der Be

griffe nur in allgemein bejahenden Urtlieilen ausgedrückt werden könne,

also dann der Vernunftgebrauch von sämmtlichen Vernunftwesen prädicirt

werden müsse, was zu einem unwahren Urtheile führe216); fer

ner sei das Acluelle eben doch von dem Dasein des Potenziellen ab-

212) Gedruckt b. Pez, Thes. Anecd. \, 2, p. 149 ff. Was H. Ritter (Gesch.

d. Phil. VII, p. 304 ff.) über diese Schrift Gerbert's sagl, ist unhaltbares Gerede;

aus einer Stelle (p. 307, Anm.) müsste man ja fast schlössen, dass ihm der seil

Boethius im Miltelalter eingebürgerte Unterschied zwischen Inlelligibilis und Inlclleclilrilis

(s. Abschn. XII, Anm. 76.) unbekannt sei.

213) A. a. 0. p. 149.: Meminislis enim et meminisse possumus , adfuisse turn

mullos nobiles scholasticos et eruditos , inier quos nonnulli aderant episcopi

Eorum tarnen vidimus neminem, qui earwn quaestionum ullam digne explicueril,

quod quaedam nimis ab HSII remolae nee dubitationem ante habuerint, et quaedam

saepenumcro ventilalue dissolvi non potuerint.

214) Ebend. c. l, p. 151.: Quaerilur, inquiunt, quid 'sit, quod ait Porphyrius,

di/fercntiam velul ad cognatam sibi di/ferentiam praedicari, ut ratione uli ad

rationale, cum maiora de minoribus semper praedicentur, minora de maioribus nunquam.

Zu der schon oben, Anm. 46., angeführten Stelle des Boethius kömmt

hiebei noch folgende p. 37i: nam si qua differentia dicla fueril , de alia differenlia

, ut differentia intclligatur , praedicabitur nam ratione uli, di/ferentia, ad

rationalem di/ferentiam veluti cognata differentia praedicatur. Der Lehrsatz betreffs

des maior steht gleichfalls b. Boeth. p. 28. (s. auch Abschn. XII, Anm. 124.).

215) Ehend. : Sed rationale, inquiunt, potestalis est sine aclu , ratione uli

polestatis cum actu ; plus vero est potestas cum actu, quam sola poleslas ; iure,

inquiunt, ergo praedicatur ratione uti de ralionali tanquam maius de minori. Diese

Ansicht über potestas und aclus findet sich b. Boelli. p. 454.: necesse csl, ut ea

quae actu sunt, Ms quae sunt poleslale , priora sinl (s. Abschn. XII, Anm. 122.).

216) C. 2, p. 151.: Quae a gmeralissimis ad specialissima recta linca dfscendunt

, ... lalia sunt , ul inferiora universalster prolata superiorum omnia nomina

diffinitionesque suscipiant (s. Boeth. p. 21. u. öfters)... Quodsi eodem modo ratio

nale sub ratione uti positum sit , quomodo unitersaliter prolatum suscipiet nomen

sui praedicali idem rationale? non enim omne , quod rationale esl , ralione uti

putalur.

56 XH1. Gerbert.

hängig und könne deshalb überhaupt nicht jene höhere Stelle einneh

men, welche im Wesen des Prädicatsbegriffes liege217), und es müsse

auch ein abermals hiegegen gerichteter Einwand betreffs der hohen

Würde des Vernunftgebrauches zuletzt wieder an der Einlheilung der

Wesen überhaupt scheitern818). Wenn aber nun hierauf gesagt wird,

diese ganze bisherige Erörterung sei sophistisch, und es handle sich

vielmehr um die eigentliche Natur des Actuellen und des prius , sowie

des Prädicales 219), so erwarten wir wohl eine tiefer gehende Unter

suchung, aber vergeblich. Denn was nun folgt, besteht zunächst nur

in einem Excerpte aus Boethius bezüglich der verschiedenen Arten der

Actualität 22°), woran sich dann, um auf das Rationale zurückzukehren,

die Unterscheidung der ewigen und der veränderlichen Natur anreiht,

wobei die Angaben des Boethius in ähnlicher Weise wie bei Scotus

Erigena (ob. Anm. 113 ff.) aufgefasst werden221), so dass der Vernunflgebrauch

(ratione uli) als ein in die Erfahrungswelt verflochtener

217) C. 3, p. 152.: potestas actum omni necessilate praecedit, et quia haec

praecedentia non solum priora , sed eliam interemta interimunt sccum posteriora,

necesse est potestate ablata actum quoque auferri .... Non igilur quod natura posterius

esl, de eo praedicabilur quod natura prius est; est autem natura prius

potestas, posterius aclus; non igtiur secundum potestatem et actum praedicabilur

ratione uti de rationalt. Auch dieser Gegenbeweis ist aus der nemlichen Stelle

des Boethius (p. 451.) entnommen.

218) C. 4, ebend. : Sed merito , inquiunl, suae dignitatis seu excellentia seu

potentia numerosius est ratione uti, quam rationale. At natura generum, specierum

vel differentiarum non suscipit; li-omn enim et asinus aeque sub animali sunl, et

deus atque homo aequaliter participant rationali differentia. Diess steht wieder in

jener Stelle b. Boeth. p. 95. , von welcher die Controverse ausgegangen war.

219) C. 5, ebend.: Quaproptcr sophislica, id esl cavillatoria , conluctatione

remota quaedam de natura poleslatis et actus explicanda sunl, et in qua eorum

specie rationale et ratione uli versentur, de nalura quoque priora , utrum praedicalionibus

conveniat, et nonnulla de praedicationum natura et ordine, ul quasi quodam

ftlo .... dispulalio deducatm.

220) C. 6—10, p. 153-156. Das Original hiezu ist wieder Boeth. p. 451 ff.,

selbst mit Eins°chluss der zur Erläuterung dienenden Beispiele, deren Eines hin

gegen aus Kni'lh. p. 95. genommen ist. Der Inhalt, welcher natürlich ursprünglich

der aristotelische ist (s. Abschn. XII, Anm. 119. u. Abschn. IV, Anm. 281 ff.) dreht

sich um die Unterscheidung des aclus necessarius und des actus non necessarius,

welch letzterer entweder a polestate oder a subsislendo entsteht, und endlich des

bloss Potenziellen. Gerbert bringt diese Eintheilung ip eine Tabelle, worin man

wohl nur ein geringes Verdienst erblicken kann, denn dass er nicht einen einzigen

eigenen Gedanken hat, zeigt hier wie im Folgenden unsere Zurückführung auf die

Quelle, d. h. auf Boethius.

221) C. 11, p. 157.: Est igilur rationale, dum est in intelligibilibui , sub

necessaria specie aclus .... immobilis et necessarii; sed quia haec inlelligibüia,

dum se corruptibilibus applicant , tactu corporum variantur , transeunt haec omnia

rursus ad potestatem. Aliler enim rationale vel, ut universalius dicamus , aliter

genera et species , differentiae , propria et accidentia , in intellectibilibus , aliter in

naturalibus ; in intellectibilibus quoque rerum formas sunt, in intelligibilibus alia

sunl quidem passiones , alia sunt aclus, nam quoniam in' anima versantur , dum

intelliguntur , animae passiones sunl. Die Quelle hievon ist Boelh. p. 452. u. p.

56. , woselbst auch die nemliche Beiziehung der quinque voces sich findet. Das

intellectibile ist der realistisch theologische Urgrund der formae (ob. Anm. 109.),

das inlelligibile hingegen dasjenige, was die Vernunft an den Dingen selbst erfasst,

s. oben Anm. 211.

XIII. Gerbert. 57

dem Accidentellen angehöre222). Hieraus wird dann natürlich ge

schlossen, dass der Vernunftgebraurh nicht seihst eine differentia subslanlialis

sei, sondern erst in Bezug auf eine verwandle Differenz aus

gesagt werde 223). Und wenn hierauf wieder in der ncmlichen unge

schickten Weise wie zu Anfang auf das Verhältniss des Unifanges zu

rückgekehrt wird, da ja dann der Prätlicatsbegriff der engere sei, so

wird jetzt erst auf Grund des Boethius angegeben, dass die Accidenlien

von den Individuen ausgesagt werden 224), und im Hinblicke auf die

Eintheilung der Urtheile bezüglich ihrer Quantität 225) folgt nun das

Resultat, dass der Satz „rationale ratione ulitur" eben ein unbestimm

tes Urlheil sei, welches weder als allgemein bejahendes noch als all

gemein verneinendes richtig ausgesagt werden könne226), — ein Resul

tat, durch welches allerdings jeder andere vernünftige Mensch von

vorneherein der ganzen Fragestellung überhoben gewesen wäre. Und

es zeigt sich uns somit Gerbert's Schrift als ein sinnloses Treiben,

bei dessen Gelegenheit ebenso unnütz als zusammenhangslos verschiedene

Schulweisheit ausgekramt wird. — Uebrigens hält Gerbert als Theologe

nicht viel auf die Dialektik , und indem er in dieser Beziehung eine

Stelle aus Scolus Erigena, jedoch ohne denselben zu nennen, ausschreibt,

entscheidel er sich lieber für die realistische Deutung, welche jenen

Worten gegeben werden kann227).

Einen ähnlichen Beweis davon, dass man das traditionelle Schul

material kannte und in Anwendung brachte, gibt uns aus dem Anfange

des 11. Jahrb. nicht bloss ein Brief des Bischofes Burchard in Worms,

worin derselbe einen Freund darüber belobt, dass er die üblichen sechs

Gesichtspunkte (s. Abschn. XII, Anm. 75. u. Abschn. XI, Anm. 141) bei

222) Ebend. p. 158.: merito ratione uli dicilur praedicari de rationali lanquam

accidens de subiecto; ratione uti facere esl, qui enim ratione utilur, ali

quid agit;.... facere aulem unum ex generalissimis generibus accidenlium est ; igitur

uti ratione accidens est.

223) C. 12. ebend.: quod rationale esl, ratione uli polest .... ergo ratione

uti Tationali accidil'.... non esl iyiltir ratione uti subslanlialis differentia. C. 13,

p. 159.: Si igilur secundum Boelium ratione uti a ceteris animalibus di/ferimus

sicul differentia rationali, iusle ralione uli ad rationale velul ad cognatam sibi differentiam

praedicalur. Alles wieder aus Boelh. p. 95 f. u. p. 7.

224) C. 14, p. 159.: Quoniam ergo minus de maiori pracdicabitur , locus hie

admonel, tit de nalura praedicationis pauca aicanlur , worauf die betreffenden An

gaben des Boethius (p. 129., s. Abschn. XII, Anm. 92.) excerpirt werden.

225) C. 15, p. 160. Aus Boelh. p. 350., s. Abschn. XII, Anm. 113 f.

226) C. 15 f. p. 161.: Quia proposilio talis esl, ac si dicatur: quoddam

rationale ratione utitur; qui enim dicit , omne rationale ralione utilur, rcm univer

salem universaliter enuntial , et esl afßrmatio falsa, cuius negatio , id esl nullum

rationale ralione utitur, similiter falsa reperitur (Boelh. a. a. 0.). Diess eben sei

(c. 16. , p. 161 f.) der Unterschied zwischen einem solchen Urtheile und einer

proposilio subslantialis , d. h. einer Definition ; s. Boeth. p. 651., Abschn. XII,

Aom. 103.

227) D. corp. et sang. Dom. c. 7., bei Fez, Thes. Aneed. I, 2, p. 140.: Senes

• •t .... miii dialccticis argumenlalionibus , sed verbis simplicibus et oralione compulerunt

ad credendum Et nos aliquando anlequam tantorum virorum, Cyrilli dico

et Hilarii, aucloritatibus inslrueremur, hanc discrepanliam (d. h. betreffs des Abend

mahles) alir.uius dialeclici argumenti sede abiolverc medilabamur. Non enim ars illa

ett. , d. h. es folgen die oben Anm. 127. angeführten Worte des Scotus.

58 XIII. Adalbero.

Allfassung eines Buches eingehalten habe228), sondern insbesondere ein

höchst eigentümlicher Tractatus des Adalbero, Bischofs in Laon (geb.

977, gest. 1030), welcher ein Schüler Gerberl's war und einen unter

dem angeblichen Titel „De modo rede argumentandi et praedicandi

dialogus" uns handschriftlich erhaltenen Brief an Fulco von Amiens

richtete 229), in welchem eine Mauleselin den Gegenstand syllogistischer

Spielereien bildet. Nachdem nemlicb Adalbero das Thier als gänzlich

untauglich geschildert halte, verfällt er auf den Gedanken, die Allgemeingölligkeit

dieses verwerfenden Urtheiles logisch zu erproben, und

es folgt nun in Dialogform eine Erörterung darüber, dass das Unheil

ein singuläres sei, dass es ein conlradictorisches Gegentheil desselben

gebe u. dgl. , woran sich die Aufforderung reiht, den Nachweis der

Untauglichkeit kunstgemäss zu liefern-30); diess geschieht, indem das

ganze Register der hypothetischen Schlüsse im Dialoge antithetisch

durchlaufen wird231), wobei auch Angaben logischer Regeln eingestreut

sind232); das Ganze aber, das sämmtlich aus Boethius entnommen ist,

228) Bei Pertz , Man. VI, p. 701.: In omni enim expositione anclorali et in

quolibet libro diversas se.x causas quaeri convcnit atque expediri oportet, sicul in

proemio edilionis primae ysagogarum Porphyrii Severinus. prudentissimus doctor Fabio

earhortante dicendo insliluit: ,,primum, inquit, docent, quae sit cuiusque operis

intenlio, secundo quae utilüas , terlio qui ordo , quarto si eins, cuius opus esse

dieitur, germanus propriusque liber est, quinto quae sit eius inscriplio, sextum est

id dicere, ad quam partem philosophiae cuiuscunque libri ducalwr intenlio". Haec

omnia in libro luo caute conservasti etc. Da jenes b. Boeth. p. 1. steht, mochte

es wohl für besonders wichtig gehalten werden.

229) S. Pei, Thes. Anecd. l, l, p. XXIII. Eine in der Münchner Staatsbiblio

thek befindliche Emmeraner Handschrift sec. H. (Cod. M. 14272.) enthält diesen

anderthalb Folioseilen' fällenden Brief (fol. 182 r.). Die erwähnte Ueberschrift

scheint nur auf Combination Pez's zu beruhen.

230) F(ulco). Denique kaec mula .... non esset nniversaliter, sed polius aut

particulariler aut indefinite , quae paenc unum sunt , inutilis proponenda .... lyilur

quae parlicularitcr quoquo modo utilis esl , omnimodis universaliter inutilis non est.

A(dalbero). Si hanc inutilem atque inhoneslam indefinite viluperarcm, verum a falso

non discernerem, nam liuius mulae inutilitas, si universaliler esset dcdicaliva, particulariter

esset abdicativa (d. h. es würde dann zugleich Conlradictorisches aus

gesagt). Sed haec vituperatio neque universaliter neque particulariler esl detcrminata,

igitur quia singularis est, neulrum horum est. F. Singulare dedicativum

nonne suum habet abdicativum? Putasne, universalis propositio universali,

particularis parliculari, indeßnita indefmüae sicut singuläres contradictorie opponuntur?

A. Plane opponunlur; si substantia fueril, erit praedicativa , sine sil sive

non sit. F. Putasne, si accidens? A. Eodcm modo opponuntur, si illud fuil inseparabile.

F. Omne inseparabile contradictorie opponilur? A. Non. F. Illud tanlummodo

cui aliqvid possit accidere, et illud dieitur substantiale. Sed nunc ex arte,

non de arte, nostris afßrmationibus mm luis repugnantiis hanc mulam esse inutilem

atque inhonestam convinci proftlebcrii. Hiebei ist die Doctrin des Boelhiiis (bes. p.

342 ff. u. p. 383 ff., s. Abschn. XII, Anm. 113 ff.) mit der Terminologie des Marcianus

Capella (ebend. Anm 66.) vermengt.

231) A. Mula haec si claudicat, male ambulal; atqui claudicat; igilur ntale

ambulat. F. Mula haec si claudicat, male ambulal; alqui non claudicat; igilitr non

male ambulal. A. Mula haec non, si claudical , male non ambulat; alqui claudi

cat; igilur male ambulat. F. Mula haec non, si non male ambulat, claudical;

atqui non male ambulal; igitur non claudical. A. Si valida non est, debilis esl;

atqui valida non est; igitur debilis est u. s. f. (s. Abschn. XII, Anm. 155.).

232) A. Omnis affirmatio et negalio scmper esl in praedicalis. F. Si simplicitcr

praedicalur ; si vero modus adverbialis (s. ebend. Anm. 119.) adhibetur, vindical

XIII. Adalbero. Fulbert. Anonymus sec. 11. 59

schliesst mit der Hinweisung auf eine dämonische Causalität der Unbrauchbarkeit

der Mauleselin, wobei, wie es scheint, sich beide strei

tende Parteien begnügen sollen233).

Gleichfalls ein Schüler Gerbert's war Fulbert, Bischof von Chartres

(woselbst er i. J. 990 eine Schule eröffnet halte und seit 1007

als Bischof bis zu seinem Tode 1029 wirkte) , welcher als Kenner der

Dialektik in hohem Ansehen stand 234) und sogar den Beinamen eines

„Sokrales der Franken" erhielt235). Während uns aber bezüglich seiner

logischen Lehre durchaus Nichts näheres bekannt ist236), müssen wir

ihn als Lehrer des Berengarius von Tours jedenfalls hochschätzen, wenn

auch zu schliessen sein dürfte, dass Fulbert die Kenntnisse und Ge

wandtheit in der Dialektik noch völlig von dem theologisch-dogmatischen

Gebiete fernhielt, denn in letzterer Beziehung ermahnte er seine Schüler

zum strengsten Auctoritäts-Glauben 23").

Ueberhaupt aber dürfen wir eine gesteigerte Thätigkeit nach dem

Maassstabe jener Zeit schop darin erblicken, wenn man wieder zur An

fertigung von Compendien schritt oder das vorhandene Sclmlmaterial

mit fortlaufenden Commentaren bearbeitete, denn wenn auch hiebei noch

kein eigenes inneres Schaffen waltet, so wird doch die Erhaltung oder

Förderung des logischen Wissens wieder als eigentlicher Zweck be

trachtet, d. h. die Thätigkeil gilt der Theorie als solcher, wenn auch

in unselbständiger Weise.

So hat ein Anonymus am Anfange des 11. Jahrh. die Isagoge

und die Kategorien in Hexametern bearbeitet238), um, wie er selbst in

der. an einen gewissen Beno gerichteten prosaischen Einleitung sagt,

sibi mm contradictionis et modtts inlenxionem et rcmissionem ponit pracdicalis et

determinatio subiectis. A. Non eodem genere, cum allerum quantitale et qualilale,

allerum sola quantilate.

233) F. SU quoquo modo inutilis nun tarnen absque causa. A. Philosophi

nihil sine causa tradunl fieri Ergo quoniam huius mulae inulililas sollerlia

daemonum effecla fsl, absque ulla contradiclione omnimodis inulilis est. Hac

re /n a In probalur inulilis, non amicus, qui sibi ipsi adversarius vice functus est

aUerius.

234) Tritkem. d. script eccl. p. 154. (_ed. Colon. 1656. 4.): Fulbertus episcopus

Carnotensis in scripturis ditiinis erudilissimus et in seculariwn lilterarum

disciplinis omnium suo tempore doetorum doclissimus, poeta elarus, et dialeclicus,

muUis annis scliolae publicae praesidens piurimos doctissimos auditores cnulrivil

(die hierauf genannten Schriften Fulbert's sind nur theologischen Inhaltes).

235) Adelmanni (eines Mitschülers des Berengarius bei Fulbi'rt) ad Herengarium

epistola, ed. Conr. Arn. Schmid. Brunsv. 1770. 8, p. 1.: Collaclaneum te me meum

vocari propter dulcissimnm illud contubernium , quod cum te in academia Carnotensi

sub nostro illo vtnerabili Socratf iucundissime duxi. Aus dieser Stelle scheint

bei Späteren im Zusammenhange mit der theologischen Gereiztheit gegen Beren

garius jener Beiname Fulbert's geflossen zu sein.

236) Die Notiz, dass Fulbert an den Scholasticus eines Klosters die Isagojre

schickte (s. Fulberti Opp. ed. Villiers , Par. 1608. Ep. 79, fol. 76 b.) , ist un

erheblich.

237) Adelmann a. a. 0. p. 3.: obtestans per secrela Ma.... et obsecrans per

lacrimas, nl illuc omni Studio properemus viam regiam direclim gradientes,

lanctorum patrum vesligiis, observantissime inhaerentes , ut nullum prorsus in divcrliculum,

nullam in novam et fallacem semitam desüinmus etc.

238) Aus einem Cod.. St. German. (1095) abgedruckt b. Cuusin, Ouvr. ined..

d'Abel. p. 657—669.

60 XIII. Anonymus sec. 11.

durch diese seine Erstlingsarbeil den Inhalt jener Bücher seinem Ge

dächtnisse einzuprägen 239). Er beginnt mit der aus Boethius (Abschn.

XII, Anm. 77) entnommenen Eintheilung des aristotelischen Organons,

wobei er die Sache so auffasst, dass Aristoteles zuerst die erste Ana

lytik geschrieben habe und dann, als diese unverständlich gewesen,

hierauf die zweite Analytik, auf welche aus dem gleichen Grunde die

Topik habe folgen müssen, sowie hierauf D. inlerpr. und dann noch

die Kategorien ; da aber Aristoteles behufs des Verständnisses nicht

noch weiter habe herabsleigen wollen und hiemit die quinque voces

verschwiegen habe, so sei hier die Thätigkeit des Porpbyrius zum Glücke

ergänzend eingetreten240). Der Inhalt der Isagoge wird dann sehr kurz

mit blosser Angabe der Begriffsbestimmung der quinque voces abge

macht241), und es folgen die Kategorien. Wenn hiebei der Verfasser

zu Anfang ausdrücklich sagt , es handle sich da nicht um die Dinge

selbst, sondern nur um die voces signalivae der Dinge 242), und wir

hiemit eine Wiederholung jenes obigen (Anm.. 149 ff. u. 159) nominalistischen

Standpunktes antreffen, so ist dieses auch das Hauptsäch

lichste, was wir an diesem Compendium hervorheben müssen ; denn im

Uebrigen schliesst sich dasselbe so enge an die pseudo-augustinische

Schrift über die Kategorien (Abschn. XII, Anm. 43 — 50) an, dass es in

der Thal kurzweg als eine Versificalion desselben bezeichnet werden

muss; höchstens mag noch bemerkt werden, dass die zahlreichen grie

chischen Termini, welche dabei in barbarischer Schreibung auftreten,

gleichfalls aus jener nemlichen Quelle (Hessen , wo sie ja häufig genug

239) Wer jener Beno gewesen sei oder wo er gelebt habe, lässt sich ans

der ganz allgemein gehaltenen Einleitung nicht entnehmen. Heber seine Arbeit

selbst sagt dort der Verfasser (p. 657 f.) : Quoniam complurium mei ordinis scholasticorum,

praesul venerande, oblatas tibi littcras omni gratiarum alacritate saepius

te audio suscepisse, ....tuae conßsus pielati aliqua et ego o/ferre litlerarum iocularia

pracsumo tuae maiestati. Ferl animus dei adspirantc r/ratia quam paucissimis

oratione metrica absolvere, quod Porphyr» Isagogc el Aristotelis Categoriae videntur

in se conlinere. Quod hanc nb causam maxime decrevi agere , ul, quae illi latius

diffudere , breviter collecta per me lenaci diligentius crederem memoriae. Nomina

quoque graeca guaedam interposui, ubi lege melri constrictus lulinn non potui; ....

id mihi ne ducatur vitio, primum abs te, paler piissime, cui hoc litterarum munere

ingenii mei primitias immolo , deinde ab omnibus veniam postulo.

240) Ebend. p. 658.: Doclor Aristotiles, cui nomen ipsa dedit res , Ingenio

pollens miro praecclluit omnes ; Hie nalis poft se dialcctica ne latuissel , Primas

componens Analiticot, studiose, De syllogismis ratio perpcndüur in quis , Credidit ul

sapiens hos planos omnibus esse ; Sed cum nullns eis inlellcctu capiendis Sufftccrct.

rursus lenlat pro/'erre secundos; Quos neque passe capi cum scnsit, Topica. scripsil ;

Hinc Perihermenias, postremo Cathegorias ; Post quas ftnitas descendere noluil infra.

Hie genus ac speciem, proprium, dislantia stringens , Simbebicos etiam quid sint

omnino tacebat. Porphyrius tandem cernens , nisi cognila quinque Hacc sint, bis

quinas nesciri cathegorias , Cuique suum finem signavil convenientem. (Vgl. auch

Boeth. p. 113., Abschn. XII, Anm. 84.)

241) Ebend. Nach der Definition der fünf Worte folgt: JVi nimis est longum,

communia dieicr liorum (<\. h. was bei Porphyrius hernach erörtert wird, Abschn.

XI, Anm. 49 ff.), Non nos horreret, sed malumus ergo lacere, Ne generelur in liis

lihi nausea disc.ulieniiis.

242) Ebend. p. 658 f.: Post haec bis quinas pandamus cathegorias, In quis

vir doctus non ex ipsis quasi rebus, Sed signalivis de rerum focibus orans Sumit

ab omonymis tractandi synunymisque Principium etc.

XIII. St. Gallen. Nolker Labeo. 61

eingestreut sind, wonach jede etwa auftauchende Annahme, dass man

damals schon mit dem griechischen Originaltexte sich beschäftigt hübe,

sehr einfach beseitigt ist243).

Hauptsächlich aber finden wir um jene Zeit in St. Gallen eine

ausgedehntere Bearbeitung des logischen Schulmateriales, wobei der

bekannte Notker Labeo (gest. 1022) jedenfalls das Verdienst hat,

die Anregung gegeben und die Ausführung geleitel zu haben, wenn

auch nicht alle hieher gehörigen Arbeiten aus seiner eigenen Hand selbst

hervorgiengen 244). Allerdings liegt auch hier nur der traditionelle Stoft"

zu Grunde, und eigentlich Neues ist nicht zu erwarten245), aber die

Art der Behandlung des Ueberlieferten ist doch theilweise eine freiere

und zeigt jedenfalls ein hingebendes Interesse für die Sache selbst.

Die unbedeutendere unter diesen Schriften ist ein „Tractalus inier

magislrwm el discipulum de arlibus", indem hiebei lediglich das Compendium

Alcuin's (ob. Anm. 48 ff.) mit Beibehaltung der dortigen Dia

logform excerpirt und ausserdem nur im Anfange, neuilich bei der Isagoge

und der Kategorie der Quantität, auch ßoethius auszugsweise

benützt ist246).

243) Da das Ganze nur eine metrische Wiederholung Pseudo-Augustins ist,

erscheint es als überflüssig, Einzelnes anzuführen. Was aber die griechischen

Worte, welche meistens durch Interlinearglossen lateinisch erklärt sind, betrifft,

mögen erwähnt werden: usya, simliebicos u. simbebicata , enarithma (IvÜQi&fice,

Abschn. XII, Anm. 43.), epipkania (b. d. Quantität), dann bei der Relation der

Hexameter: Thesin, diathesin, episthemin, estesin, exin (d. h. lmaiT\it.T\v, «?<T#JJaiv,

fStv), und desgleichen Dicitur omne qttod esl, vel encria dinanrive (d. h.

IvfQyilti u. ävra/jet) , sowie bei der Qualität: Exis, diathesis, pltisiccs dinamis

poelesque (Tioioirjg) Passitrilis , potius seu pathos , scemata morphae (ayriftara

.(/ooi/j;s). in dem Abschnitte über die Gegensätze habilus steresisque (o1/ N»;»/.,-).

und bei dem Postpradicamente der Bewegung: Auxesis, mfgesis, genesis, sloras,

aliusis, Et kala Ion forus metabeles associala (d. h. Kvir/ai?, uilioais, ytvtaig,

(f&ogä, äiiofiaais, xarä roi1 TOJIUV , /Jirrißoiri).

244) Wenn riemlich J. Grimm (Gott. Gel. Anz. 1835. N. 92.) der Ansicht ist,

dass Notker der alleinige Verfasser sämmtlicher jener Schriften sei , und auch H.

Hattemer, Denkm. d. Mittelallers, III, p. 3 ff. , sich unbedingt dieser Meinung anschliesst,

so scheint doch in Anbetracht der inneren Verschiedenheit jener Arbeileu

es richtiger zu sein, wenn wir mit Wackernagel, Gesch. d. deutsch. Litt. p. 80 f.

(s. auch desselben Akad. Rede üb. d. Verdienst d. Schweizer um d. deutsche Litt.

Basel 1833.) annehmen, dass die Werke, welche Notker's Namen tragen, von ver

schiedenen Autoren nur unter der Leitung desselben verfasst seien; s. auch unten

Anm. 262.

245) Wunderliche Dinge zwar sind zu lesen bei lld. v. Arx, Gesch. v. St.

Gallen, I, p. 262.: „In der Dialektik, welche sie in die Logik, Peripaletik, Stoik

und Sophik eintheillen, waren Aristoteles, Plato, Porphyrius und Boctius ihre

Lehrer; die zehn Cutegorien und die Periemerieu des ersten, die fünf Isagogen

de» Porphyrius , und die Lehrart des Sokrates waren ihnen wohlbekannt." Aber

während man wohl sogleich sieht, dass diese ganze Mittheilung nur auf der gröb

sten Unwissenheit des Verfassers beruhen kann, sollte man doch vermuthen, dass

derselbe die Notiz betreffs der Kinlheilung der Dialektik aus irgend einer Hand

schrift geschöpft habe; ich wurde jedoch auch hierüber durch meinen Freund und

Collegen Conr. Hofmann beruhigt, welcher in St. Gallen bei Gelegenheil seiner

eigenen Forschungen auch in meinem Interesse bezüglich logischer Werke nach

sah, aber durchaus Nichts anderes finden konnte, als was durch Graff, Wackernagel

und Hatlemer bereits veröffentlicht oder wenigstens angedeutet ist; s. auch unten

Anm. 271.

246) Vorhanden in einer Handschrift der Münchner Staatsbibliothek (Cod. tat.

62 XIII. St. Gallen. Notker Labeo.

Hingegen ein fleissigeres Studium des Boetliius und eine etwas

freiere Verarbeitung des dort vorliegenden Materiales zeigen jene beiden

Schriften, welche bekanntlich auch für die Geschichte der deutschen

Sprache von höchster Wichtigkeit sind, nemlich die Bearbeitung der

ÄaTT/yojn'ai und jene des Buches lieg} s^fiij vsiag247). Die erstere

Schrift hält sich, was den Text betrifft, im Ganzen strenge an

die Ueberselzung des Boelhius 248), aber mitten in den Text ist Satz

für Satz eine Erklärung verflochten, welche selbst wieder das Haupt

sächlichste aus dem Commenlare des ßoelhius enthält, und es beruft

sich auf denselben der Verfasser einmal ausdrücklich249); sehr häufig

wird die Beweisführung dieser Erklärungen in ihre Bestandteile über

sichtlich durch Inhaltsangaben oder sonstige Ueberschriften, ja auch mit

der Bezeichnung Proposüio, Assumplio, Conclusio gegliedert250), und

die erklärenden Beispiele sind an etlichen Stellen selbstständig ausge

dacht; bemerkt mag noch werden, dass der Verfasser mit offenbarer

Vorliebe für Geometrie bei solchen Stellen länger und selbstständiger

verweilt, welche eine Hinweisung auf jene Disciplin enthalten251).

Die Bearbeitung der Schrift Ilegl e^füfjvsiccg schliessl sich durch

gängig bezüglich des Textes wö-rtlich an die Uebersetzung des Boetliius

an, und die Erklärungen, welche auch hier in gleicher Weise eirigeflochten

sind, beruhen ebenfalls auf dem Commentare des Boetliius,

dessen beide Ausgaben der Verfasser, wie er selbst andeutet, benutzt

4621.), woraus Hattemer, Denkm. d. Mittelalt. III, p. 532 ff. nur die Capitel-Ueberschriften

veröffenllichte. Die Eintheilung der Philosophie und der Logik ist fast

wörtlich ans Alcuin genommen , bei den quinque toces aber werden die verschie

denen Unterarten derselben aus fioelhius aufgezählt und mit Beispielen erläutert;

der Abschnitt über die Kategorien ist zu Anfang ans Alcuin mit Wegtassung der

humonyma u. dgl. excerpirt, und nachdem nur bei der Quantität wieder Boethius

benützt ist, folgen die übrigen Kategorien wörtlich aus Alcuin, jedoch nur bis zum

habere, und von jenem Einen Beispiel-Satze (s. Anm. 57.) wird sogleich mit der

Ucberschrift Quid sunt /'ormulac syllogismorum auf Alcuin's Angaben über die Ar

gumentation übergegangen, welche ebenso wortgetreu wie die folgenden über Dif-

/iiiilin. Topicu und Ptriermeniae excerpirt sind.

247) Herausgegeben von Graff (Berl. 1837. 4.) und von Haltemer a. a 0.

p. 377—465. u. 465—526 Eine kurze Zusammenstellung der hauptsächlichsten

deutschen Terminologie, welche jedoch für die Geschichte der Logik selbst ohne

alle weitere Wirkung war, gab ich in meiner Abhandlung „Ueb. d. zwei ältesten

Compendien d. Logik in deutscher Sprache." München 1856. 4. p. 28 ff.

248) Nur kleine Abweichungen sind bemerklich, indem zuweilen eine Abkür

zung oder Auslassung oder auch Umstellung der Worte sich findet, oder z. B.

subleriura stall inferiora, cetera statt a/i«, subiacenl slatt subieclae sunt, respicerc

statt ostendcrc steht u. dgl.

249) Bei Hattemer p. 416 a.: Affeclio unde disposilio isl al ein, so unsih boetius

lerit (d. h. Boclh. p. 156 f.); abir duh zwei parlicipia afleclus et dispositus etc.

250) So z. B. p. 409 f. Die letztere Terminologie ist aus Buelh. d. syll.

hyp. entnommen; s. Abschn. Xll, Anm. 154.

251) In solcher Weise ist nicht bloss p. 402 ff. die Erklärung des con/inuum

(Boelli. p. 145 f.) durch Zeichnungen anschaulich gemacht, Sondern es wird auch

nach Erledigung der Quantität p. 412. noch einmal auf die Begriffe (ine«, superftcies

, solidum zurückgekehrt und die verschiedenen Arten der geometrischen Li

nien, Figuren und Körper graphisch dargestellt; ja bei Gelegenheit der Quadratur

des Zirkels (tioelh. p. 165 f. , vgl. ob. Anm. 191.) findet sich p. 423. eine völlig

andere Erklärung und andere Zeichnung als bei Boethius.

XIII. St. Gallen. Notker Labeo. De partibus loicae. 63

Iiat2°2). Von Wichtigkeit aber ist die Einleitung, welche dem Ganzen

vorausgeschickt ist, insoferne uns auch hier wieder der nominalistische

Standpunkt begegnet, dass bei den Kategorien es sich um die Worthezeichnung

handle ; auch werden daselbst in eigentliürnlicher Weise An

gaben und technische Ausdrücke aus Marcianus Üapella mit jenen Be

merkungen verflochten , welche aus Boethius (Absclin. XII, Anm. 77)

betreffs der Reihenfolge der Bücher des Organons entnommen sind, und

ausserdem lassen gerade bei diesen letzteren Notizen die naiven Miss

verständnisse des Verfassers uns den sicheren Schluss ziehen, dass der

selbe die Analytiken und die Topik des Aristoteles eben nur vom Hören

sagen aus jener Stelle des Boethius kannte 253). ,

Eine andere kleine Schrift, welche den Titel „De partibus

loicae" trägt'254), zeigt sich als ein compilirles Schul-Compendium,

indem zunächst die sechs Theile der Logik, deren ersten I'orphyrius

zu den fünf aristotelischen hinzugefügt habe, aufgezählt werden 255),

und dann eine längere oder kürzere Angabe des Inhaltes derselben folgt.

Nachdem neinlich aus der Isagoge nur die Begriffsbestimmungen der

quinque voces nach der Ueberselzung des Boelhius angeführt sind, wird

von den Kategorien lediglich die Substanz, selbst ohne Nennung der

übrigen neun, kurz erläutert, dabei aber noch schärfer, als wir so eben

252) Bei Hattemer p. 474 a.: Est hoc alterius negotii. Taz ist anders uuar

zelerenne , samo so er chatle, lis mine melaphisica (s. Boelh. p. 230.), dar lero «A

tih iz. Aber boetius saget iz füre in, in stcunda edilione etc. (d. h. Boelh. p.

326.). Auch jene Figuren, durch welche bei Boethius die Lehre vom Urlheile

versiunlicht wird (Absclin. XII, Anm. 113 ff.), fehlen hier nicht (p. 479. 492 IT.),

iiod zwar verzichtet bei denselben der Verfasser auf den Gebrauch der deulschen

Sprache.

253) Ebend. p. 465.: Aristoteles sreili cathegorias , chunl zetuenne , uuaz einluzziu

uuorl pezeichcnen (vgl. ob. Anm. 149 ff. 159. u. 242. u. sogleich unten Anm.

2ö6.); nu uuile er samo chunl keluon in perierminiis , uuaz zesamine gelegiliu bezeichenen,

an dien verum unde falsum fernomen uuirdet; tiu latine heizent proloquia;

an dien aber neuueder uentomen neuuirdel, tiu eloquia heizent (die Quelle

dieser Terminologie s. b. Marc. Capella, Abschn. XII, Anra. 51., und b. Augustin,

ebend. Anm. 33. j; lero uersuiyet er an disemo buuche, Uuanda ouh proloquia yeikeiden

sint, unde einiu heizent simplicia, dar ein uerbum ist, ul liomo uiuit , anderiu

duplicia, dar zuei uerba sint, ut homo si uiuil Spiral, so leret er hier sim

plicia, in lopicis lerel er duplicia. Föne simplicibus uuerdent praedicatiui syllogismi,

föne duplicibus uuerdent conditionales syllogistiii (die Quelle hievon b. Boelh.,

Abschn. XII, Anm. 112.). JVoA peri ermeniis sol man lesen prima analitica, tar er

beidero syllogismorum kemeina regula sylloyislicam heizet ; tara nah sol man lesen

secunda analitica, lar er sunderigo leret praedicaliuos syllogismos , tie er heizet

apodiclieam (auch wer nur oberflächlich die Analytiken selbst angesehen hätte, könnte

so M cli nicht ausdrücken); zeiunyisl sol man lesen topica, an dien er ouh sunde

rigo lerel conditionales, tie er heizet dialecticam. Tiu parles heizent samenl loyica.

JVu uernim uuio er dih leite zuo dien proloquiis (auch im Commentare selbst er

scheint häutig proloquium neben der Terminologie des Boethius).

254) 'Aus einer Zürcher Handschrift herausgegeben von Wackernagel in Haupt

u. Hoffmarin, Altdeutsche Blätter II, p. 133 ff. und von Hattemer a. a. 0. p. 537

-540

255) Bei Hattemer p. 537.: Quot sunt parles logicae? Quinque secundum Arislotelem,

sexlam parlem addidit arislotelicus Porphirius ; quae sunl : isagoye, cathegofiae,

periermeniae , prima analitica, secunda analilica, topica.

64 XIII. St. Gallen. De parlilms loicae. De syllogismis.

Aura. 253 sahen, die nominalistist'he Auffassung ausgesprochen286);

dann folgt bezüglich der Urlheile 'die blosse Aufzählung der vier Arten

(allg. bej., allg. vern., pari, bej., pari, vern.) aus Marcianus Capella in

der Terminologie desselben25"). Was aber hierauf über die erste und

zweite Analytik gesagt wird, beruht gleichfalls auf jener nemlichen

Stelle des Boelhius , in welcher derselbe die Ordnung der Theile des

Organons bespricht, und desselben Ueberselzung der Analytiken ist sicher

auch hier nicht benutzt258). Endlich die Topik ist ausführlich behan

delt, und zwar völlig nach Isidor (s. ob. Anm. 39), wobei der Verfasser

als Beispiele der einzelnen Topen deutsche Sprichwörter hinzufügte 259).

Die bedeutendste aber unter all diesen Schriften, welche aus St.

Gallen hervorgiengen, ist die Abhandlung „De syllogismis"21*®);

denn wenn sie auch gleichfalls auf einer Compilalion verschiedenartigen

Materiales beruht, so greift hiebei ihr Verfasser mit grösserer Belesenheil

auch nach Dingen, welche nicht ganz auf der Oberflüche der Schulcompendien

Isidor's oder Alcuin's lagen, und ausserdem bewahrt er

darin eine merkwürdige Selbstsländigkeil* dass er auf einen einheilli

ehen inneren Zweck der Logik hinsteuert, dessen Darlegung den Schluss

der Abhandlung bildet. Zuerst wird die Definition des Syllogismus aus

Marcianus Capella (Abschn. XII, Anm. 67) mit Beifügung einiger Worte

aus Isidor's Bhelorik (ob. Anm. 43) angegeben261), wobei schon eine

ziemliche Anzahl von Beispielen in deutscher Sprache zur Verdeutlichung

dient, und nachdem hierauf die Einlheilung in kategorische und hypo

thetische Schlüsse in einer aus Marcianus und Boethius vermischten

Terminologie angeführt ist262), werden aus ersterem (Abschn. XII,

Anm. 63 u. 67) die Bestandteile des kategorischen Syllogismus und

des kategorischen Urlheiles vorgehrachl 203), um hierauf die vollständige

Darlegung der neunzehn Schlussmodi folgen zu lassen, welche aus Apu-

256) Ebend. p. 538 a.: Quid traclatttr in calhegoriis? Prima rerum signißcatio

et quid singulae dictiones significent, utrum substanliam an accidens etc.

257) Ebend.: Quid narratur in periermeniis? S. Abschn. XII, Anm. 64.

258) Ebend. : Quid consideratur in primis analiticis ? Sillogislica quae est

communis regula omnium sillogismorum , necessariorum et probabilium , cathegoricorum

et ippotheticorum, item praedicativorum et conditionatium (sinnlose Verdopp

lung durch Beiziehung der Terminologie des Marc. Capella, s. Abschn. XII, Anm.

67.). Quid tracl-atur in secundis analiticis? Apodictica id est demonstrativ a quae.

demonatrat veritatem , id est necessarios sillogismos.

259) Ebend. p. 538 b — 540 b. Gleichfalls ans Isidor (Anm. 27.) ist copirt,

was Hatlemer ebend. p. 530 f. aus einer anderen Stelle der nemlichen Handschrift

über den Unterschied der Dialektik und der Rhetorik anführt.

260) Vollständig abgedruckt b. Hattemer a. a. 0. p. 541 — 559. (auszugsweise

in Wackernagel's deutsch. Lesebuche I, p. 111 ff.).

261) C. J, ebend. p. 541 a.: Quid sit Syllogismus. Syllogismus graece, latine

dicitur ratiocinatio quaedam indissolubilis oratio .... quaedam orationis catena

et invicta ralio.

262) Ebend. p. 542 D.: Et ex iis videnlur quidam esse qui latine dicuntur

praedicativi, alii autem qui dicuntur conditionales (p. 542 b.). Conslat autem

omnis Syllogismus proloquiis i. e. propositionibus . Aus den hierauf folgenden Wor

ten proloquia dicamus cruezeda, simulier propositiones cruezeda, item proposiliones

pielunga , alii dirunt pemeinunga geht auch hervor, dass jedenfalls Mehrere sich

mit ähnlichen Bearbeitungen der Logik beschäftigten.

263) C. 2, p. 542 b. Nemlich sumpta, illatio , subiectivum, declarativttm. '

XIII. St. Gallen. De syllogismis. 65

lejus (Abschn. X, Amn. 18 ff.) entnommen und mit selbstgemachten

deutschen Beispielen erläutert ist 264). Sodann wird auf die hypotheti

schen Schlüsse übergegangen, und zwar zunächst dasjenige, was bei

Marcianus (Abschn. XII, Anm. 69) sich findet, in ziemlich freier Verar

beitung und mit Einmischung der Terminologie des Boethius vorge

führt265), und erst hieran reiht sich die vollständige Angabe der sieben

Schlussweisen an, welche bei Cicero (Abschn. VIII, Anm. 60) aufge

zählt sind, und deren nähere Erklärung der Verfasser aus des Boethius

Commentar zur ciceronischen Topik entnommen und gleichfalls mit deut

schen Beispielen versehen hat 266). Nun aber fand sich ja bei Isidor

(ob. Anm. 43) auch noch ein Syllogismus rhelorum, und mit Anknüpfung

an das dort Gesagte wird hier Gelegenheit genommen, ausführlicher auf

die rhetorische Lehre hinüberzublicken, indem mit ausdrücklicher Ver

weisung auf Cicero (d. Inv. I, 36, s. Ahschn. VIII, Anm. 59) an Einem

ebendort sich findenden Beispiele die rhetorische Schlussweise erläutert

wird267). Aber sogleich bemüht sich der Verfasser, diese Art des Syl

logismus, insoweit er der Form der Bewahrheiliing genügt, auf den

kategorischen Schluss zurückzuführen , indem er wieder an der Hand

des Boethius auf die einfachen Bestandtheile der Syllogismen überhaupt

hinweist268) und hieran Erklärungen über das Urlheil anknüpft269).

Und nachdem hierauf über einige mit Syllogismus sinnverwandte Begriffe

etymologische Erörterungen sich anreihten, welche entweder direct aus

Isidor oder aus dem sog. Glossarium Salomon's (ob. Anm. 185) und

theilweise auch aus Boethius genommen sind270), wird in Anbetracht

der Ciceronischen Topik näher auf den Unterschied zwischen Dialektik

und Apodiktik eingegangen271), welcher mit jenem zwischen hypothe-

264) C. 3—8, p. 543—547.

265) C. 9—12, p. 548 f. Der Sprachgebrauch des Marcianus wird dabei

als eigene Terminologie aufgefassl, nemlich: propositio, assumplio, conclusio.

266) C. 13, p. 550—553. Die Quelle hievon ist tioelh. ad Cic. Top. V, p.

831 ff.

267) C. 14, p. 553 a. : Transeunt vero syllogismi et ad rhetores tarn latiores

et diffusiores facli Worum exempla sunl apud Ciceronem in libris Rhetoricorum.

Das ciceronische Beispiel von der Weltregierung (d. Inv. I, 34, 59.), welches

übrigens auch bei Jtoelh. d. cons. plnl. l, p. 958. eine Rolle spielt, wird hernach

ebenfalls in deutscher Sprache ausgeführt.

268) Ebend. p. 554 a. : Prai'dicalivus est ille Syllogismus aut condilionalis ?

Plane ergo praedicativus est nam et omnes partes syllogismorum , sive

propositio sive approbatio sive sumplum sive illatio sire conclusio sive ut alii dicunl

complexio (s. Ahschn. VIII, Anm. 59.) aut confeclio , communi nomine enuntiatio

vocanltir (s. ebend. Anm. 45.). Die Quelle dieser Reduction auf den einfa

chen Satz isl Boeth. ad Cic. Top. V, p. 823.; vgl. auch Abschn. Xlt, Anm. 131.

u. 140.

269) Ebend. : Est anlem enuntiatio oratio verum aul falsuni siqnificans ....

hvius species sunl affirmatiu et negatio (Abschn. XII, Anm. 111); hierauf folgen

deutsche Erörterungen über assumptio . illatio, conclusio.

270) C. 15, p. 555 a. : Nemlich über ratiocinari, disputare , iudicare, experimentum

, und : argumentum dicitur , ut Boetio (ad Cic. Top. p. 763.) placet , quod

rem arguil i. e. probat,

271) C. 16, p. 55H a.: Quaerendum autem mugnopere esl , quare Cicero dialeclicam

in ypotheticis tanlum consliluerit syllogismis .... Est enitn medius inter

Aristotelem et Stoicos (hat etwa hieraus J. v. Ära -jene obige Notiz, Amn. 241.,

l'KANii., Gesch. U. 5

66 XIII. St. Gallen. De syllogismig.

tischen und kategorischen Schlüssen zusammentreffe, eben darum aber

in dem Einen Zwecke der Auffindung der Wahrheit sich zu einer höhe

ren Einheit auflöse, denn durch die Meisterschaft des Schiiessens werde

alle menschliche Wahrheit erfahren, wahrend man das transscendente

Göttliche ohne solche Kunst vernehme272). So kann der Verfasser,

dessen Anschauung uns schon hiedurch ebenso deutlich als erfreulich

an Scotus Erigena (Anm. 111 — 120) erinnert, für das Gebiet des dies

seitigen menschlichen Wahrheitsstrebens eine einheitliche Definition der

Logik aussprechen, in welcher Dialektik „oder" Apodiklik ihr Wesen

habe, und er drückt dasjenige, was er bei Boelhius (Abschn. XII, Anm.

76) vorfand, präciser und stärker aus, wenn er ähnlich wie Scotus

sagt, die Logik sei die Wissenschaft des Reurtheilens oder Disputirens273),

denn die Macht der Form, welche in den Syllogismen jeder

Art erscheint, ist ihm das Entscheidende, in welchem alle innerhalb

der Logik auftretenden Unterschiede zusammenlaufen274); hingegen die

Rhetorik, welche bloss dem Wahrscheinlichen, nicht aber der Wahr

heit diene, liege deshalb auf einem anderen Gebiete, während das all

umfassendste Gemeinschaftliche der Wortausdruck (verburn) sei, in

welchem sich sowohl der philosophische sermo als auch die rhetorische

diclio bewegen müsse 275). Eben darum aber ist dem Verfasser jener

nominalistische Standpunkt, welchen wir bei Scotus trafen, völlig der

geschöpft ?) Propterca Boelius Arislotilem in lliopicii dialecticam el in secundis

analiticis apodiclicam docuissc le Statur , d. h. das Ganze isl aus Boeth. ad Cic.

Top. l, p. 760 f. entnommen, woselbst eine weitere Ausfühnmg des in Abschn.

XII, Anm. 77. erwähnten Standpunktes sich lindet.

272) C. 17, p. 557 b. : De potenlia disputandi , i. e. Föne dero mähte des

uuissprachonis. Si ergo salis intellectum est, omnem apodiclicam tonstare in decem

el novem modis syllogismorttm et dialeclicam in septem modis sylloyismortim, non

sil dubitandum, totam earum utililatem esse in invenienda veritate. Übe niunzen

sloz apodiclicae unde sibcniu dialecticae uuola gelirnet sin, so uuizin man dar mite,

daz sie nuzze sint, alla uuarheit mit in ze eruarenne. U um tu enim his constant,

quae in humanam eadunt rationem. AI daz menniskin irratin mugin , taz uuirdil

hinnun guuissot. Divina excedunl humanam rationem, inlelleclu enim capiuntur.

Tiu gotelichin ding uuerdenl keistlicho uernomen ane disa mcisterskaß.

273) C. 18, p. 557 b. : Quid sit dialectica tel apodictica. Ergo diffinienda

est dialectica sive apodictica, ....possunt enim unam el eandem suscipere diffinii

Kim' in in Im in' modum Dialectica esl sive apodictica iudicandi perilia vel «I

nlii dicunt disputandi scienlia (eben dieses flndet sich ja auch bei Scotus, ob.

Anm. 112.). Meister&kaft chiesennes unde rachonnis, laz ist dialectica, taz ist ouh

apodictica.

274) Ebend. p. 558 a. : Prius diximus , quia rn.li n est quae oslendil rem.

Reda skeinit, uuaz iz ist; pidero redo sol man chiesen , übe iz uuesen muge ....

Tara nah mag er rachon, i. e. disputare , ioh uuar raclwn , i, e. raliocinari ....

Ter uuarrachot , ler mit redo slerchil unde ze uuare bringet, taz er chosot

t'd d n errihlel unsih allis , tes man slrilel. Ter dia chan uinden. der ist iudex, ler

isl rationator, ter ist dispulator , ler ist argumenlator , ler ist dialecticus, der ist

apodiclicus et syllogisticus.

275) C. 19, p. 558 b.: Ntc parum hoc attenlendum est, quanlum intellectu

quaedam dislant, quae simili modo solent inlerpretari , ul sunt: tierbum, sermo,

diclio — Quae si unum significarenl , nequaquam sermo darelur philosophis , diclio

vero rhetoribus , ut auctmcs doccnt (d. h. Isidor, s. oben Anm. 27.); nam et Aristoliles

dialeclicam, quae interpretatur de dictione , ad rhelores Iraxit el voluil eam

esse in argumentis rhetoricis, i. e. probabilibus, quae ille iudicavil esse (die Hand

XIII. St. Gallen. De syllogismis. Franco. 67

selbstverständliche , denn der Unterschied zwischen Wahr und Falsch,

d. h. der Gegenstand aller logischen Beurtheilung oder Erörterung, kann

nur in menschlichen Urtheilen auftreten, und auch die Prädicamente

sind eben nichts Weiteres als Aussagen 276). — Wohltlniend ist es uns

jedenfalls , hier einem Autor begegnet zu sein , welcher weiss , was er

will, und es steht uns diese Schrift unendlich höher als die zwecklosen

und peinlichen Spielereien eines Gerben oder eines Anseimus; auch

wäre es wohl schwerlich zu den „Beweisen für das Dasein Gottes"

gekommen, wenn man im Allgemeinen jene Besonnenheit bewahrt halle,

die Meisterschaft des Schliessens wohl allseitig in dem uns Wahrnehm

baren zu üben, hingegen das unmittelbar Göttliche dem gläubig from

men Sinne zu überlassen. — Uebrigens müssen wir auch hier gleich

falls darauf hinweisen , dass der Verfasser dieser Abhandlung die von

Boethius angefertigte Uebersetzung der Analytiken nicht gekannt haben

kann, denn sowie er überhaupt eine grössere Belesenheit als Andere

zeigt, würde er wohl gewiss die neunzehn Modi nicht aus Apulejus

geschöpft haben, wenn ihm die aristotelische Syllogistik selbst zugäng

lich gewesen wäre, noch auch würde er bei seinem Streben nach in

nerer Einheil der Logik lediglich an jene nemlichen Stellen angeknüpft

haben , welche aus den verbreitetslen Ueberselzungen und Commentaren

des Boethius Jedermann kannte 2").

Aber jener ausgedehnte Betrieb der Logik, wie ihn uns in dieser

Zeit St. Gallen zeigt, dürfte auch wohl eine ziemlich isolirte Erschei

nung sein, wofcrne es nicht etwa bloss der Mangel an Nachrichten ist,

welcher uns zu dem Urtheile veranlasst, dass in der ersten Hälfte des

11. Jahrh. im Allgemeinen eine Unlhätigkeil fn logischen Fragen oder

selbst in Anfertigung von Compendien obgewaltet habe. Ja bei jedem

Schritte unserer Untersuchung müssen wir die Möglichkeit im Auge

behalten, dass Manches, was vorhanden war, unserer Kenntniss gänz

lich entrückt sei, wenn auch zugegeben werden mag, dass Erschei

nungen von gröss.erer Bedeutung schwerlich ganz spurlos entschwunden

wären, und dass ein gänzliches Stillschweigen aller Quellen kaum denk

bar sei, wenn wirklich in weiterer Verbreitung das Gebiet der Logik

eine Bearbeitung gefunden halte.

Ungefähr aus der Mitte des 11. Jahrb. haben wir die Notiz, dass

ein Scholasticus Franco in Lüttich (um d. .1. 1047) eine Monographie

über die Quadratur des Zirkels (vgl. ob. Anm. 191 u. 251) in Anknüschr.

bat non esse) discerncnda a necessariis argumentis , de quibus ftunl ypothetici

syllogismi et Iota dialcclica, ut Cicero damit (s. Boelk. ob. Anm. 271.) Dignior

est namque sermo et gravior , ut sapientes decet, dictio humilior esl et plus communis

dala rheloribus. Verbum autem mmium est.

276) Ebend. : Et in interprelando proprie sermo (vgl. Anm. 321.) saga dicittir,

sie et enuntiatio, quae similiter philosophis tradita esl et disputanlibus neccssaria

est, quia inest ei scmper verum aul falsum Praedicare autem est, inquit Boetius

(p. 127.), nliquid de aliquo dicere, i. e. eteuuaz sagen föne eteuuiu; unde

et praedicamentum dicitur et praedicatio, einis tings keiprocheni föne, demo andermo.

277) Es scheint, dass in solchen Fällen der Beweis aus dem Stillschweigen

völlig schlagend sei und darum sehr bestimmt verstärkend zu dem allgemeinen

Umstände hinzutrete, dass überhaupt keine einzige positive Spur einer Benützung

jener aristotelischen Schriften sich zeigt.

5*

68 XIII. Othlo. Damiani. Die Rechtswissenschaft.

pfung an die betreuende Stelle des Boethius verfasste 278), und etwa

aus derselben Zeit können wir wenigstens das Geständniss eines Kimneraner

Mönches Othlo (geb. um 1013, gest. in Regensburg um 1083)

anführen , welches dahin lautet, dass es einige so eingefleischte Dia

lektiker (dialeclici ita simpiices) gebe, welche an alle Worte der hei

ligen Schrift den dialektischen Maassslab anlegen und dem Boethius mehr

glauben als der Bibel selbst279). Aus letzterer Klage aber muss man

schliessen , dass obige Verwarnung Fulbert's (Anm. 237) nicht bloss

von einem Berengarius inissachtet wurde, sondern dass von mehreren

Seiten die Dialektik in theoretisch -dogmalischen Fragen als Prüfstein'

bezeichnet wurde280). Hingegen blieb, wie sich von selbst versteht,

die Mehrzahl dem ursprünglichen Standpunkte des christlichen Mittel

alters gelreu, und es mag, da wir nunmehr in eine Zeit der Kämpfe

eintreten, darum nur beispielsweise erwähnt werden, wie Petrus Da

miani (geb. 1006, gest. 1072) der Dialektik den Beruf zuweise, als

fromme Magd im Dienste der Kirche zu stehen und ihrer Gebieterin

demüthig auf dem Fusse zu folgen 281), wobei allerdings Damiani's gläu

bige Seele noch keine Ahnung davon hal, dass auch dieser Dienslbole

den Diensl kündigen und sich einen eigenen Herd gründen könne.

Ehen aber in der zweiten Hälfte des 11. Jahph. traten Momente

der Kulturgeschichte auf, durch welche innerhalb der sich gleichbleibenden

logischen Schullradilion eine frischere Bewegung und selbst eine heftige

Erneuerung älterer Parteigegensätze herbeigeführt wurde. Zwei Seiten

sind es, von welchen her sich auf verschiedene Weise und in sehr

verschiedenem Grude ein Einfluss auf die Logik geltend macht, denn

die eine derselben können wir hier vorerst nur in leisen Anfängen er

blicken , um bei ihrem späteren stärkeren Auftreten wieder hieran an

zuknüpfen, während die andere sofort mit aller Macht sich erhebt und

278) Sigebert Gembl. Cltran. ad ann. 1047 b. Perlz, Man. VIII, p. 359.: Francs

scholaslicus Leodicensium et scientia litlerarum et worum proWale clarct , qui ad

Herimannum archiepiscopum scripsit librum de quadratura circuli, de . qua re Aristo

teles (b. Boeth. p. 165.) ait: circuli quadratura, si est scibile, scienlia quidem nun

est, illud vero scibile esl.

279) Othlo d. Iribus quaesl. b. Pez, Thes. Anecd. III, 2. p. 144. : Peritos autem

dico magis illos, qui in sacra scriptura, quam qui in dialectica sunl inslructi; nam

dialecticos quosdam ita simpiices inveni, til omnia sacrae scripturae dicta iuxla dialecticae

auctoritalem conslringenda esse decernerent , magisque Boetio quam sanctis

scriploribus in plurimis diclis crederent; unde et eundem Boetium seculi me reprehendebant,

quod personae nomen alicui nisi subslantiae rationali adscribercm etc.

280) Denn abgesehen davon, dass in den verschiedenen theologischen Schrif

ten Othlo's die Abendmahlst'rage nicht speciell besprochen wird und daher die

Polemik gegen die Dialektiker schwerlich sich auf Berengar bezieht , ist ja in der

eben angeführten Stelle von persönlichen Begegnissen die Rede, welche Otblo als

Folge einer allgemeinen Zeitrichtung bezeichnet.

281) Petri Damiani Opp. ed. Caietani, Par. 1743. fal. III, p. 312.: Haee

plane, quae ex dialccticorum vel rlietorum prodeunt argumentis, non fädle divinae

virtutis sunt aptanda mysteriis, et quae ad hoc invenla sunt, ul in syllogismorum

instrumenta prfßciant vel clausulas dictionum, absit ul sacris legibus se pertinaciter

inferanl et divinae virtuti conclusionis suae necessitates opponant. Quae tarnen arlis

humanae peritia , si quando tractandis sacris eloquiis adhibetur, non debet ius

magislerii sibimet arroganter arripere , sed velut ancilla dominae quodam famulatus

obsequio subsenire, ne , si praecedit, oberrel etc.

XIII. Die Rechtswissenschaft. Papias. 69

den Entwicklungsgang auf längere Zeit bedingt. Diese beiden Seiten

aber sind die Jurisprudenz und die theologische Dogmatik.

Wenn nemlich die Rechtspflege an sich schon überhaupt eine Hin

weisung auf dialektisch-rhetorische Praxis enthält , so ist es erklärlich,

dass zu einer Zeit, als in Italien eine Erneuerung der Rechtswissen

schaft eintrat und die Entstehung von Rerlitsschulen begann282), nun

ein grösseres Gewicht auf praktische Logik fiel , d. h. allerdings auf

eine Logik, welche von der Rhetorik sich kaum unterscheidet, aber in

der Lehre von der Argumentation und in der Topik dem üblichen lo

gischen Schulmateriale verwandt bleibt. Sowie wir selbst für unseren

hiesigen Zweck schon früher (Abschn. VIII, Anm. 52 u. 68) aus den

Pandeklen Quellenslellen entnehmen konnten, so scheint andrerseits das

Studium der Grammatik und Rhetorik in Italien eine ununterbrochene

Verbindung mit juristischen Materien bewahrt zu haben 283), und wenn

wir auch die litterarische Anekdote, dass das ganze Rechtsstüdium zu

Bologna seinen Anfang aus einer grammalischen Erklärung des Wortes

„As" geschöpft habe284), gerne bei Seile lassen, so war doch jeden

falls der juridische Unterrichl, welcher durchaus nichl der ausschliesslichen

Heranbildung von Klerikern diente, damals ursprünglich an den

üblichen Detrieb der artes liberales geknüpft gewesen 285). Den schla

gendsten Beleg hiefür finden wir an dem Grammatiker Papias (um

1060), welcher in seinem encyclopädischen Vocabularium eine ansehn

liche Menge juristischer Worte und Begriffe in grösserer oder geringerer

Ausführlichkeit bespricht286) und in den die Logik betreffenden Wort

erklärungen oder längeren Artikeln, welche er sämmtlich aus der da

mals bekannten Schul-Litleralur entnimmt287), uns durch eine einzelne

282) S. Savigny, Gesch. d. Rom. R. im Mittelalt. IV, p. l ff, u. Giesebrecht,

D. litt. slud. ap. Italos. Berol. 1845. 4.

283) S. Merkel, Gesch. d. Langobardenrechts (Berl. 1850) p. 13. u. 46., u.

Lachmann , Versuch üb. d. Dositheus. Berl. 1837. 4.

284) Hosliensis, Commenl. in Dccret. libr. bei Savigny a. a. 0. p. 19.

285) S. Giesebrecht a. a. 0. , welcher (p. 19.) aus Wippo's Panegyricus auf

Heinrich IIL (gest. 1056) folgende Verse anführt: Tune . fac edictum per terram

Teulonicorum , Quilibet ut dives sibi natos instruat omnes Litterulis legemque suam

persuadeat illis, Vt mm principibus plaeitandi venerit usus, duisque suis libris

exemplum proferat illis Hoc servant Itali posl prima crepundia cuncti , El sudare

schnlis mandatur tota iuventus ; Solis Teutonicis vacuum vcl turpe videlur,

Ul doceant aliquem, nisi clericus accipiatur.

286) Papias Vocabulista. Venet. 1496. fol. (nicht paginirt). Die juristischen

Begriffe sind: Accessio , Aclio, Aequitas, Aes alienum , Agnali, Arra, Arbiter, Konorum

possessio , Capitis diminutio , Casus, Causa, Codicillus, Communi dividundo,

Contractus , Dolus , Edictum, Emancipare , Emphyleusis , Emptio venditio , Falcidia

lex , Fideicommissum , Fundus, Haeres, Haereditas, Interdictum, ludicium, lus

(ausführlich), lustitia, Leges (ebenso), Liber, Mancipi res, Manumissui, Municipes,

Mutuari, Necmancipi, Notar, in libris »tiris, Noxa, Paterfamilias , Peculatus , Pos

sessio, Puberes , Heus, Stipulatio , Testamenta iuris civilis (ausführlich), Usucapio:

(Diese Seite des Papias ist, soviel ich weiss, für die Litterargeschichte der Ju

risprudenz noch nicht benutzt worden.)

287) Die Worterklärungen aus der Logik (Accidens , Ad aliqfiid, Aßrmare,

Anasceue, Apodixis , Apophasis , Argumentatio , Axioma, Calasceue , Conclusio, Defnitio

, Dialeclica, Differentia, Enthymema , Enunliativa, Equivoca, Essentia, Genus,

Höhere, Habitui , Hysagoga, Hypothelici syllogismi, Individuum, Inductio , Logica,

70 XIII. Papias. Lanfrancus.

Bemerkung neuerdings den Beweis liefert, dass man in jener Zeit auch

in Oberitalien die Analytik des Aristoteles nur vom Hörensagen kannte 288).

Eben aber mit einer solchen Verbindung grammatischer, rhetorischer,

logischer und juristischer Schulkenntnisse, wie sie I'apias zeigt, hängt

es zusammen, dass er in einem eigenen Artikel auch die „Epislolae

formatae" bespricht 289) und so auf die sogenannten Formelbücher (s.

sogleich unten Anin. 295) hinüberweist. Mit «II diesem nun steht es

in offenbarem Einklänge, wenn sowohl ein gleichzeitiger Bericht über

jene ersten Keime einer Rechlsschule sich in Ausdrücken bewegt,

welche uns direct an die gewöhnliche Schul-Logik erinnern290), als

auch wenn an zwei hervorragenden Männern jener Zeit, an Lanfran

cus und Irnerius, sich gleichsam eine Personal-Union der Dialektik

und der Jurisprudenz zeigt. Denn dass Lanfrancus (geb. um 1005,

gest. 1089), auf welchen wir alsbald wieder zurückkommen müssen,

die ersle Hälfte seiner Thätigkeit vor dem Ausbruche des Abendmahl

streites hauptsächlich dem Rechtsstudium in ausgedehnter und erfolg

reicher Weise zugewendet habe, ist eine unbestreitbare Thatsache 291),

wenn auch eine directe Verbindung, in welche er sogar mit Irnerius

selbst gebracht wird, aus chronologischen Gründen undenkbar ist292);

Nomen , Omonymn , Oratio , Propositio , Proprium , Qualilas , Quando , Quanlitas,

Raliocinatio , Syllogismus, Synonima, Soplrisma, Species , Substantia , Vnivoca,

Vox) sind sämmtlich aus Isidor oder Boethius excerpirt; höchstens könnte hervor

gehoben werden, dass bei Calegoria Papias die mehr nominalistische Auffassung

auswählt: Categuriae graece, latine praedicamenta dicuntur, quibus per varias significaliones

omnis sermo conclusus est.

288) Er erklärt nemlich : Analetica (vgl. folg. Abschn. , Anm. 23.) i. e. resolutoria,

quod esl medium Volumen commenti super Periermenias , appellavit Boetius,

ubi omnes syllogismi rhetoricae arlis resolvuntur. Ausser diesem Unsinne etwa auch

noch: Elenchorum, titulus libri cuiusdam Aristotelis.

289) Formalae epistolae a sanctis cccxvm patribus in Nicaeno consilio conslilutae

feruntur , u. s. w (eine Folio-Seite hindurch).

290) Nemlich der so eben erwähnte Damiani sagt in seinem Sendschrei

ben De parentelae gradibus (Opp. III, p. 89 ff.) von seinen Gegnern (prooem.

p. 89.): Ex quibus nimirum verbis (d. h. lustin., Inslil. I.) inducloria quacdam

colligebant argumenia, ferner (c. l, p. 90.): interrogentur igilur qiti in Iribitnalibus

iudicant , qui causarum negotia dirimunt, qui scrutandis legum decretis insistunt,

utrd insbsondcre (c. 6, p. 92.): cumque in astruendis propriis allegationibus saepius

verba haec iterarent, deinde ratiocinando , assumendo, colligenda, mullimoda

cavillationum argumenta compnnerenl, sowie auch (c. 7, p. 92.): quidam promptulus

cerebrosus ac dicax, scilicet acer ingenio, mordax eloquio, ve/temens argumento,

Florenlinus puto, verbis me insolenter urgebat. Aehnlich auch D. grad. cogn. c. 2,

p. 9b. : Super quo nimirum nonnulli doclorum diversa a st ini'icem senlienles longis

argumentationibus disputant.

291) Milo Crisp. Vita Lanfr. c. 11. b. Mabill. Acta Bened. IX, p. 639.: Ab

annis puerilibus eruditus esl in scholis liberalium artium et legum secularium ad

suae morem palriae. Adolescens orator veteranos adversantes in actionibus causarum

frequenler rericit torrente facundiae accurale dicendo; in ipsa aetale sententias depromerc

sapuil, quas gratanter iurisperiti aut iudices vel praetores civitatis acceptabant.

Meminit horum Papia (d. h. seine Vaterstadt Pavia). AI cum in exilio philosopharelur

, accendit animum eius ditiinus ignis , et illti.nl cordi eius amor terae

sapientiae. Mehreres speciell Juridische s. b. Merkel a. a. 0. p. 14. u. 46 f.

292) Robert de Monte aucl. ad chron. Sigeb. Gembl. ad ann. 1032. b. Pertt,

Monum. VIII, p. 47S. : Lanfrcfncus Papicnsis et Garncrius socius eius reperlis apud

Bononiam legibus romanis, quas Justinianus emendaverat, his, inquam, repertis

XIII. Irnerius. Formelbücher. 71

jedenfalls aber ist ihm, wie aus den Berichten hervorgehl, die nemliehe

dialektische Gewandtheit, welche er später gegen seine theologi

schen Gegner beurkundete, auch schon damals zur Seite gestanden.

Irnerius aber (seine Bliithezeit fällt zw. 1100 u. 1120), dessen Auf

treten bekanntlich für die Bologneser Bechtsschule den Uebergang von

der ersten Keimperiode zu reicherer Entfaltung bildet, wird in den

Glossen des Odofredus ausdrücklich als „Logiker" bezeichnet, und aus

dem Umstände, dass er vorher Lehrer der freien Künste gewesen sei,

wird eine übertriebene Spitzfindigkeit, welche in seinen Glossen sich

gefunden habe, erklärt293). Da aber Irnerius auch ein Formularium

verfasste294), so müssen wir hieran die vorläufige Bemerkung knüpfen,

dass eine eigene ausgedehnte Lilleratur entstand, welche der Nolariatskunst

und Notariatspraxis diente und fortan eine Verbindung der übli

chen Schul-Rhetorik mit juristischen Stoffen lebendig erhielt. Und wenn

nun diese „ K ormelbüch e r" 2!)5) allerdings damals noch durchaus

keinen nachweisbaren Einfluss auf die Logik selbst ausüblen, und die

„Praktiker" noch nicht eine Anerkenntniss ihrer Berechtigung betreffs

der Logik beanspruchten, so liegt doch hier der Keim einer Tendenz

vor, welche Jahrhunderle hindurch ihre eigenen Wege wandelte und

dabei sich weit mehr auf ciceronisch-rhetorische Dialektik, als elwa auf

das aristotelische Organon hingewiesen sah. Daher wir schon hier es

als dereinstiges nicht unerwartetes Resultat andeuten dürfen, dass später

die rhetorischen Praktiker sich dem Sturmlaufen gegen die aristolelischscholastische

Logik anschliessen werden. Ja, es ist schwerlich eine

ganz zufällige Redensart, wenn schon ein Autor gegen Ende des 11.

Jahrb., und zwar ein Mailänder, gelegentlich den Aristoteles und den

Cicero mit den Ausdrücken „Labyrinth" und „Palast" einander gegen

überstellt296).

operam deilerant eas legere et aliis exponere. Sed Garnerius in hoc persevcravit,

Lanfrancus vero disciplinas liberales et litteras divinas in Galliis mullos edocens

(ändern Beccum venit et ibi monachus factus est. Vielleicht jedoch ist das chrono

logische Bedenken, welches Savigny a. a. 0. p. 21 f. erhebt, überhaupt unn&thig,

wenn wir bei ,,socius" nicht an persönlichen Verkehr denken, sondern es gleich

sam mit „juristischer Gesinnungsgenosse" übersetzen.

293) Odofr. (Codex) in L. M. C. de in int. restit. minor. (2, 22.): Or, segnori,

plura non essenl dicenda super lege ista ; dominus tarnen Irnerius, quia loicus

fuit, et magister fuil in civitalc isla in arlibus , antequam doceret in legibus, fecit

unam glossam sophisticam, quae est obscurior quam sil lexlus. Und (Cod.) in

Aulh. „qui res" C. de SS. eccl. (l, 2.): Et dcbetis scire vos, domint, sicut nos

fuimtis inslructi a nostris maioribus, quod dominus Yrnerius fuit primus, qui fuit

ausus dirigere cor suum^ad legem islam; nam dominus Yrnerius erat magister in

artibus, et Studium fuil Ravennae et, collapsa ea, fuit Studium Bononiae, et do

minus Yrnerius studuit per se sicut potuil, poslea coepit docere in iure civili, et

ipse fecit primum formularium , i. e. librutn omnium instrumenlorum etc. (angeführt

bei Savigny).

294) Näheres b. Savigny a. a. 0. p. 62 f.

295) S. Merkel a. a. 0. p. 33. , und vor Allen L. Rockinger, Ueber Formel

bücher v. 13. bis z. 16. Jahrb. München 1855. 8., bes. p. 36 ff. u. p. 56.

296) Arnulf, Gesta archiep. Medial. I, l, b. Pertz, Hon. X, p. 7 : Non mihimet

ipse confido, quem exilis ingenii adco paupeftas angustat , ut difficilis mihi

videatur Aristolelici laberinthi ingressus, laboriosus valde Tuliani palacii accessus ;

fateor me nunquam conscendisse curules quadrivii rotas.

72 XIII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus.

Entschiedener aber, wie gesagt, äusserten theologische Streitig

keiten, welche damals über das Abendmahl geführt wurden, einen directen

Einfluss, und jene Parteispaltung betreffs der Logik, welche wir schon

am Schlüsse des 9. Jahrh. oben trafen, erhält nun gegen das Ende des

11. Jahrh. einen schärferen Hinlergrund durch speciell dogmatische

Anschauungen, wobei die weitere Entwicklung sich um so eigentüm

licher gestalten muss, je mehr das eigentlich logische Interesse, wie

schon bemerkt wurde (oben S. 36 f.), gerade dem Nominalismus näher

stand, als dem christlichen Realismus. Den dogmatischen Inhalt jener

Kämpfe lassen wir hier, wie sich von selbst versteht, als einen völlig

gleichgültigen gänzlich bei Seite, und betrachten nur das formell dialek

tische Moment.

In dieser letzteren Beziehung ' aber war es vor Allen Fulbert's

Schüler, Berengarius (geb. 998, gest. 1088), welcher seit d. J.

1031 als Scholasticus in Tours docirte und dabei den Muth halte, auf

dem Gebiete des Wissens sich jeder Auctorität, mochte sie sein welche

sie wollte, zu widersetzen, indem er gegenüber aller Tradition, auch

selbst der grammatischen und logischen 297), nur die .selbsteigene Kraft

der Denkfunctinn als den ausschliesslichen Maassstab der Wahrheit an

erkannte; denn jener Grundsalz, welchen er später in seiner Vertei

digungsschrift gegen Lanfrancus aussprach, muss ihm schon früher als

der richtige vorgeschwebt sein, der Grundsatz nemlich, dass einzig und

allein die Dialektik die Form der Vernunft sei, und während Berengarius

in ähnlicher Weise wie Scolus Erigena einen Zusammenhang der Dia

lektik mit der göttlichen Weisheit zugesteht, beruft eben darum auch

er sich auf Augustin's Ausspruch (Abschn. XII, Anm. 18) und erklärt

nun mit aller Entschiedenheit, dass gerade bei Benützung heiliger Auctoriläten

das rationelle Verfahren (rottone agere) unvergleichlich höher

stehe 298). Hingegen umgekehrt im Dienste der dogmatischen Auctoritäl

trat eben um dieselbe Zeit die Dialektik bei Lanfrancus auf, welcher,

nachdem er Pavia verlassen und die dortige juristische Thätigkeit (ob.

Anrn. 291 f.) aufgegeben hatte, zuerst (im J. 1040) in Avranches und

dann seit 1043 im Kloster Bec in der Normandie als Scholasticus wirkte.

297) Adelmanni Epist. (s. ob. Anm. 235.) p. 31.: Aiunt te novilatum caplorem

.... adeo ul Priscianum, Donalum, Boethium prorsus contemnas.

298) Bereng. d. sacr. coena , ed. A. G. et F. Th. Vischer, Berol. 1834, p.

100 f.: Quod relinquere me , inquio ega , sacras aucloritates non dubilas scribere,

manifestum fiel divinitate propitia , illud de cahimnia scribere le , non de verilate,

ubi deducendi sacras aucloritates in medium necessilale inde agendi locus accurrerit

, quanquam ralione agere in perceptione veritatis incomparabiliter superius esse,

quia in evideitli res est, sine vecordiae coecilate nullus negaverit Verbis dialeclicis

ad manifestationem veritatis agere non erat ad dialecttcam confugium confugisse,

a qua ipsam dei sapientiam et dei veritatem video minime abhorrere (vgl.

Anm. 305.), sed suos inimicos arte revincere Maximi plane cordis est, per

omnia ad dialcclicam confugere, quia confugere ad eam ad rationem est confngere,

quo qui non confugit, cum secundum ralionem sit factus- ad imaginem dei, ~suum

honorem reliquit, nee polest renovari de die in diem ad imaginem dei. Dialecticam

beatus Auguslinus tanla diffinit'tone dignatur , ut dicat: dialeclica ars est arlium,

disciplina disciplinarum, novit discere, novit docere, scientes facere non solum null,

sed eliam facit.

XIII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus. 73

Seine grosse dialektische Gewandtheit, welche er in theologischer Exe

gese bei jeder Gelegenheit beurkundele 2"), wirkte gleichsam ansteckend

auf seine zahlreichen Schüler300), und es soll sogar ein kleiner logi

scher Verstoss , welchen er dem Berengarius nachgewiesen habe, die

Veranlassung gegeben haben, dass die Schule des Letzteren an Frequenz

abnahm 301). Wie sehr aber Lanfrancus allen logischen Scharfsinn nur

zur Stütze der Orthodoxie aufgewendet habe, zeigt ausser dem Auftreten

in der Abendmahlsfrage ganz besonders sein Elucidarium3®2), denn in

dieser Schrift wird der Inhalt der damaligen Dogmatik in Beweisform

mit vollendetster Consequenz bis auf die extremsten Spitzen hinausgetrieben,

und das logische Moment dient nur dazu, um für alles Mög

liche irgend Gründe oder nähere Bestimmungen bis ins Abstruseste auf

zuspüren 303). Dieser Mann aber nun, welcher so seine Vernunft schlecht

hin gefangen gab, war ganz dazu angethan, als Denunciant und Ketzer

richter gegen Berengarius aufzutreten 304) , da Letzterer bezüglich des

299) Sigeb. Gemblac. d. scriptt. eccl. c. 155. b. Fabr. Bibl. eccl. p. 112.:

Lanfrancus dialecticus et Cantuarensis archiepiscopus Paulum aposlolum exposuit et

ubicungue opportunitas locorum occurrit, secundum leges dialecticae proponit, assumit,

concludit.

300) Guileim. Malmesb. d. gest. reg. Angl. III. h. Savil. Scriptt. rer. Angl. Land.

1596. fol. 61 b. : Lanfrancum, de quo serio dici polest ,,tertius e coelo cecidit

Cato" ... adeo latinitas omnis in liberalium artium scientiam per doctrinam eius se

incitabat. Ebend. d. gest. pontif. I. fol. 116 b.: publicas scholas de dialeclica

professus est .... ezivit fama eius remotissimas latinitatis plagas eratque Beccum

magnum et famosum litteralurae gymnasium ubique discipuli inflatis buceis

dialeeticam ruclabant Ebend. fol. 122 b.: vir cuius industriam praedicabit Cantia,

cuius doctrinam in discipulis eius stupebit latinitas , quantum omnes anni

durabunt.

301) Guitmond (ein Schüler Lanfranc's) d. corp. et sangu. Chr. b. Bibl. patr.

Lugd. XVIII, p. 441.: Postquam a domino Lanfranco in dialectica de re satis parva

lurpiter est confitsus (sc. Berengarius) , cumque per ipsum dorn. Lanfrancum virum

aeque doctissimum liberales artes deus revalescere atque optime reviviscere fecissel,

desertum se iste a discipulis dolens etc. Doch es ist auf solche Berichte nicht

viel zu geben, denn dass Lanfranc's Anhänger in maiorem dei gloriam gelogen

haben können , wird jeder Unbefangene zugeben.

302) Die Schrift ,,Elucidarium sive dialogus summam tolius theologiae complectens"

ist unter den Werken des Anseimus v. Canterbnry gedruckt, wurde aber

schon von Gerberon beanstandet und unter die zweifelhaften Schriften gesetzt, und

nun scheint sie völlig mit Recht der neueste Herausgeber der Werke Lanfranc's,

Giles, gestützt auf die Auctorität mehrerer Handschriften, dem Lanfrancus zuzu

schreiben.

303) Dahin gehören z. B. die Fragen, warum Gott auch Mücken und Wanzen

erschaffen habe (Elucid. I, 12. Lanfr. Op. ed. Giles, Oxon. 1854. II, p. 211.), um

wie viel Uhr Adam aus dem Paradiese vertrieben worden sei (l, 15, p. 214),

warum Gott keinen zweiten besseren Adam geschaffen habe (I, 17, p. 218.), ob

Christus als neugebornes Kind allwissend gewesen sei (I, 19, p. 220.), warum

Gott nichts ungeschehen machen könne (II, 8, p. 224), welche Zahl von Seelen

in den Himmel kommen könne (III, 3, p. 273), in welcher Körperstellung die

Verdammten in der Hölle sitzen (III, 4, p. 275.), wie es bei der Auferstehung des

Fleisches sich mit den Haaren, welche wir abrasiren, und mit den Nägeln, welche

wir uns abschneiden, verhalte, und wie es mit jenen Menschen stehe, welche von

wilden Tbieren gefressen wurden (111, 11, p. 281.), um wie viel Uhr das jüngste

Gericht stattfinden werde (III, 12. p. 282), ob die Seligen nackt seien oder Klei

der tragen (III, 16, p. 287.) u. dgl.

304) Was den persönlichen Charakter Lanfranc's betrifft, so scheint die An

74 XIII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus.

Abendmahles im Hinblicke auf frühere Streitigkeiten seine offene Sym

pathie für jene Ansieht aussprach , welche als die des Scotus Erigena

galt, und hiemit sich als Gegner des Paschasius bekannte. Der Kern

dieser Händel, welche zwischen 1060 und 1070 einen heftigen Schrif

tenwechsel zwischen Berengarius und Lanfrancus hervorriefen, besteht,

soweit er uns nach seiner dialektischen Seile hier interessirt, in Kürze

darin, dass Berengarius erstens überhaupt jene Anschauungsweise,

welche wir als die nominalistische des Scotus Erigena oben trafen , zu

der seinigen macht, und daher ebenso wie jener die Wahrheit der

menschlichen Kundgebung in den Urtheilen und die Festigkeil der Wort

bezeichnung neben dem ontologisch göttlichen Principe der Dinge aner

kennt305), und zweitens dass derselbe diesen Standpunkt nun folge

richtig auch auf die Abendmahlsfrage anwendet, wornach er in den

Worten „Brod" und „Wein" als Worten die adäquate richtige Bezeich

nung des wahren und unveränderlichen Wesens des Brodes und des

Weines erfasst306), so dass jede beliebige Aussage über die beiden

eben schlechthin sinnlos sei, sobald man annehme, dass das substan

tielle Wesen des Brodes und des Weines geändert oder getilgt wäre s07).

sieht, welche Lessing über denselben aussprach, durchaus noch nicht widerlegt

zu sein.

305) Bereng. a. a. 0 p. 104.: Et quidem proposüio vera esl veraeque propositionis

mm suo loco posita oblineret, ; nee eius magis quam, omnium tarn

rerum quam aliarum propositionum verilas apud veritalcm onmia scientis ac praescientis

dei aelcrnaliler conslal, qui et rcs ipsas in principalibus ac secundis essenliis

condidil easque tarn verarum quam falsarum propositionum causas esse disposuit.

H. Ritter irrt sehr, wenn er (Gesch. d. Phil. VII, p. 310.) in Berengarius

einen Realisten erblickt; denn erstens von den Universalien ist bei Bereng. weder

hier noch überhaupt irgendwo eine Rede, und zweitens werden die sogleich fol

genden Stellen deutlich zeigen, dass das Hauptgewicht auf der begrifflichen Festig

keit der menschlichen Worte liege.

306) Ebend. p. 66. : Nomina enim rerum ad di/ferentiam rerum ipsarum quodnmmodo

solitaria dici possunl, verlii gratia pronuntiato nomine quod esl ,,lerra",

solius cst terrac quod auditur, item audito eo quod est ,,panis" ad plura non eril

excurrendum; pronuntiato aulem eo quod est ,,elementum" ad plura itur, nisi,

unde agas , de terra an de aqua aut ceteris , dctermines , et sicut terrae adhibelur

nomen hoc ,,terra",, quo discernatur ab aliis , ila ,,elemenlum". Ebend. p. 75.:

Qui dicit ,,panis aliaris solummodo est corpus Christi", panem in altari esse non

negat, pantm et vinum esse conftrmat in mensa dominica ßolemus enim aliquas

res illarum rerum ex quibus efficiuntur nominibus appellare , quamvis in aliam

naturam translatae iam non possint esse illud , quod sunt res illae, ex quibus probanlur

effectae ac per hoc , cum tarn divcrsae nalurae sint in utrisque , non

rede quis cristallum nivem vocaveril, nisi eo locutionis modo, quo res effccta materiali

solet nomine appellari. Ebend. p. 79.: Qnando enim sit aliquid non per

generationem subiecti de aliquo, non per corruptionem subiecli, sicut de auro annulus,

de aere concha, de marmore pira, de arbore pdries arcus et tabula, iure materiae

nomine appellantur, quod facta sunt de materia, quia non amisil ipsa maleria

formam suam.

307) Ebend. p. 67. : Dum enim dicilur ,,panis et vinum sacramenla sunl",

minime panis auferlur et vinum, et nominibus rerum ila natarum significativis aplatur

nomen, quod non nala sunt ut ,,est sacramenlutn" ; simul etiam esse alind

aliquid minime prohibentur. "Ebend. p. 81.: Omne enim quod est aliinl . est in eo

quod aliquid est, nee polest res ulla aliquid esse, si desinat ipsum esse; et ne

obscurum, quod dico, remaneat, dical aliquis ,,Socrates esl, So'crales iustus esl";

nullo modo Socrates iuslns erit, si Socralem esse non conlingerel. Ebend. p. 84.:

XIII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus. 75

Lanfrancus hingegen, welcher gelegentlich auch zu einer elenden

Sophisterei seine Zuflucht nimmt80*), steht Oberhaupt auf dem Stand

punkte, dass Auctorilälen mein1 gellen als dialektische Gründe 309), und

ihm sowie seinen Anhängern musste nalürlirh eine nominalislische Werlh-

Schätzung der Dialektik verwerflich erscheinen; kurz ein richtiger Instinct

leitete die Gegner eines selbstständigen Auftretens der Logik,

wenn sie die dem Scotus Erigena zugeschriehene Ansicht über das

Abendmahl in eine innere Verbindung mit dem wirklichen logischen

Momente der Philosophie des Scotus brachten, und die Verurtheilung

der Abendmahlslehre des Berengarius enthielt zugleich eine Verurthei

lung jener Logik in sich, welche auf die sulijective Kraft des mensch

lichen Denkens sich stützend in den menschlichen Sprachausdrücken den

festen Gehalt begrifflicher Allgemeinheit erblicken konnte.

Erklärlich aber ist es, d;iss eben hiedurch die lediglich formelle

Frage wieder stärker angeregt wurde, d. h. dass über die Auffassung

der Logik selbst und namentlich über die Begriffsbildung jene Ver

schiedenheit der Ansichten, welche auf Grund des überlieferten Schulmaleriales

schon viel früher zu Tage getreten war, jetzt zum offenen

Streite aufflammte , wobei mit dem entschiedneren Bewusstscin einer

Parteistellung die beiderseitigen Behauptungen durch Herbeischafl'ung von

Gründen gestützt werden sollten. Nemlich auch die Realisten nahmen

Si propositioni illi quae dicit „hie panis est meum corpus", übt subiectus terminus

qui est ,, panis" propria non polest locutione non expendi, stupenda in tua eruditione

vecordia panem deperisse conlendcris sensualem. Elieml. p. 87. : Ubi panem

qui proprie panis appellctur, corpus etiam Christi, scd tropica locutione, quantum

ad eam proposilionem quae cnunliat „panis altaris post conseerationem est corpus

Christi" nulla falsitale dissimulal appeltari. Ebend. p 107.: Repelilo dico: quicunque

negal, posl conseerationem superesse panem et oinum irf mensa domimca, et

tarnen nobis harum quamcunque concedit enuntiationum , ipse sc subvertit, ipse sibi

necessario contrarius existit. Die präciseste Formuliiung ebend. p. 99.: Vbi ego

scripsi „non enim constare poterit affirmatio omnis parle subrula" etc.

308) Nemlich in Bezug anf das so eben zuletzt Angeführte sagt Lanfr. d. corp.

et sangu. dorn. c. 7., Opp. ed. Giles,.\l, p. 161.: Adhuc alio argumento probare

eontendis ... dicens „non enim constare poterit afßrmatio omnis parte stibrula".

Ad cuius rei probationem non oportuit inferri parlicularem negationem, qua de praesenti

quaestione nihil colligitur, sed universalem potius, per quam enunliatur ..inilln

af/irmatio constare poteril parle subrula". Age enim, particularis sit negatio tua

„non omnis affirmatio constare poteril parte subrula", rursus assumplio tua „jianis

et fiinnn allaris solummodo sunl sacramcntum, vel panis et vinum allaris solummodo

sant verum Christi corpus el sanguis, — ulrumque affirmatio est" ; his du/tbus

parlicularibus praecedentibus polerisne regulariler concludere , parle subruta ea non

passe constare? Absil; in nulla qtiippc syllogismorum /igura praecedentibus duabus

parlicularibus consequenter inferlur conclusio ulla; male igilur eam collocasli. D.

h. Lanfrancns verdreht den Satz des Berengarius, welcher doch den Sinn hat:

„Nicht kann die Bejahung in ihrer Totalität bestehen, wenn ein Theil aufgehoben

ist" derartig, als habe omnis die Bedeutung „Jeder", und als wäre hiemil der

Sinn „Nicht jede Bejahung kann bestehen u. s. f."; die zweite Sophisterei, das

Urtheil ,,ulrumque affirmatio esl" ein parliculares zu nennen, hätte sich Lanfr. so

gar ersparen können , da bekanntlich der Schlnsssatz nicht allgemein sein kann,

wenn auch nur Eine Prämisse particular ist. Vgl. auch Bereng. a. a. 0. p. 103 ff.

'309) Lanfr. a. a. 0. p. 160.: Et quidem de mysterio fidei auditurus ac responsurus

quae ad rem debeant pcrlinere mallem audire ac respondere sacras auclorilates,

quam dialecticas rationes.

76 XIII. Parteiung. Albericus. Nominalismus.

ja die übliche Schul-Logik für sich in Anspruch und glaubten, Dialek

tiker nicht bloss sein zu dürfen, sondern auch sein zu müssen; denn

um die volle Tragweite des Realismus überhaupt nur zu erkennen, dazu

war jene Zeit eben zu unphilosophisch ; und balle es damals eine Phi

losophie gegeben, so hätte man nicht gestritten, wie man stritt. Nun

aber hatte man ja Nichts als das überall verbreitete Schulmaterial der

Logik , und das damals noch übermächtige Motiv der blossen Tradition

hinderte auch innerhalb dieses beschränkten Stoffes jeden tieferen selbst

ständigen Blick des" Geistes. Dass aber das benutzbare Material der

traditionellen Logik auch bei dem nun ausbrechenden Streite noch im

mer nicht jene Gränze überschritten hatte, auf deren Vorhandensein wir

schon so oft hinweisen nmssten, d. h. dass man auch gegen Ende des

11. und zu Anfang des 12. Jahrb. die Analytiken und die Topik des

Aristoteles noch nicht kannte, und des Boethius Uehersetzung derselben

noch nicht cursirle, ist uns durch einen jedenfalls bedeutenden Schrift

steller jener Zeit, durch Sigebert von Gemblours, deutlich bezeugt 31°).

In wie weit Albericus von Monte Casino (gest. 1088), welcher

gleichfalls die Lehre des Berenparius bekämpfte, seinen theologischen

Standpunkt etwa auch in seiner Schrift „De dialeclica" beurkundet

habe, wissen wir nicht, da uns lediglich die Notiz, dass er eine solche

verfasste, überliefert ist; bemerkt mag werden, dass er zugleich auch

zu den Schriftstellern der oben (Anm. 295) erwähnten Formelbücher-

Litteratur gehörte 311).

Wohl hingegen zeigt sich uns jene principielle Anschauung, wornach

man, wie gesagt, mit richtigem Instincle den Nominalistnus in

eine Verbindung mit der Lehre des Scotus Erigena brachte, in jener

Stelle eines Chronisten, welche seit Buläus312) oft genug angeführt,

310) Sigebert v. Gemblours (geb. um 1030, gesl. 1112) schrieb, wie er selbst

sagt, erst am Schlüsse seiner übrigen schriftstellerischen Thätigkeit, also wohl erst

gegen 1100, seine Compilation ,,De scriptoribus ecclesiasticis", und wenn er auch

planlos hiebei verfuhr (s. Sigfr. Hirsch, D. vita et scriptis Sigiberti Gemblacensis,

Berol. 1841, bes. p. 335.), so darf er uns doch als treuer Spiegel seiner Zeit

gelten. Derselbe sagt nun dort c. 37, b. Fabric. Ribl. eccl. p. 97., Folgendes von

Boethius : „Laudent eum scculares, quod Isagogas, quod Perihermenias, quod Calhegorias

translulerit de graeco in latinum et exposueril (die Uebersetzung der Analy

tiken und der Topik ist also nicht erwähnt) , quod Topica Ciceronis exposueril,

quod Anlcpraedicamenta (hierunter kann doch nur wieder die Isagoge verstanden

sein, s. Abschn. XII, Anm. 85, welche ja Boethius sowohl nach der Uebersetzung

des Victorinus als auch nach seiner eigenen bearbeitete, jedenfalls aber ist das

erstmalige Vorkommen dieses Ausdruckes zu bemerken, s. folg. Abschn., Anm.

272.), quod libros de topicis di/ferentiis , de cognatione dialecticae et rhetoricae et

distinctione rheloricorum locorum (diese letzteren sind natürlich keine eigenen Schrif

ten , sondern bilden eben den Inhalt von d. diff. fop.), de communi praedicationc

potestalis et possibilitatis (diess kann wohl nur die zwei letzten Bücher des Commentares

zu d. interpr. Edit. II. bedeuten , s. ßoelh. p. 414.) , de categoricis t,l

hyputheticis syllogismis libros, el alia mulla (d. h. Introd. ad cat. syll., D. tlii'i.\.,

D. defin.) scripserit etc.

311) Petr. Diac. Chron. Casin. III, 35. b. Pertz, Man. IX, p. 728.: Per idem

lempus Albericus diaconus vir disertissimus ac eruditissimus ad hunc locum habilaturus

advenit r.omposuit librum dictaminum et salulationum librum

de dialeclica.

312) Bulaeus, Hist. univ. Paris.}, p. 443.: Nominalium princeps et antesignanus

XIII. Rosccllinus. Robert. Arnulph. 77

aber nicht immer richtig verstanden wurde. Wenn neralich dort ge

sagt wird, zu den einflussreichen Dialektikern gehöre Johannes, wel

cher gelehrt habe, dass die Logik Sache des Worlausdruckes (vocalis}

sei, und demselben seien hierin Roscellinus von Compiegne, Ro

bert von Paris, und Arnulph von Laon gefolgt, welche selbst wieder

von vielen Schülern gehört worden seien , so passt jene Bezeichnung,

wie wir oben (Anm. 110:— 124) zu entwickeln versuchten, vortrefflich

für das dialektische Princip des Johannes Scotus Erigena, und wir

werden alle anderweitigen haltlosen Vermulhungen, wer jener Johannes

gewesen sei, gerne bei Seite lassen313). Von den anderen dreien,

welche als Vertreter jener Richtung genannt sind, bleiben uns Robert

und Arnulph ganz im Dunkeln; einiges Wenige hingegen wissen wir

von Roscellinus.

Das Missliche ist, dass wir über Roscellinus, dessen Thätigkeit

den zwei letzten Jahrzehnten des 11. Jahrh. angehört, nur durch seine

Gegner unterrichtet sind314), und da auch bei ihm die logische Auf-

Joannes quidam cognomento Sophista, de quo sie Auctor historiae a Roberto ret/e

ad morlem Phüippi primi: „In dialectica hi potentes exstilerunt sophistae: Joannes

qui «ändern arlem sophislicam vocalem esse disseruit, Roberlus Parisiacensis , Rocelinus

Compendiensis , Arnulphus Landunensis; hi Joannis fuerunt stclalores , qui

etiam quamplures fiabuerunt auditores."

313) Hame'au, De lu phil. scolast. I, p. 174. gibt jeneü Worten ihre richtige

Beziehung auf Scotus Erigena.

314) In neuerer Zc'it wohl hat Schmeller aus einer Münchner Handschrift

(Cod. lal. 4643.) einen Brief veröffentlicht (Abhdl. d. philos.-philol. Cl. d. k. bay.

Akad. d. W. V, 3, p. 189 ff.), in welchem er ein Sendschreiben des Roscellinus

an Abälard erkannte; doch gibt auch diese einzige Schrift Rose. 's, welche wir

besitzen , betreffs der Logik keinen Aufschluss. Wohl aber ist sie biographisch

von grösster Wichtigkeit, denn indem sowohl einerseits auf den ersten Blick klar

ist, dass Ahälard der Adressat sei (die Entmannung desselben und das Verhältnis:,

zu Heloise sind erwähnt p. 194. u. 210.), als auch andrerseits unzweifelhaft er

hellt, dass Niemand anderer als Roscellinus der Verfasser sein könne (denn jene

Vorwürfe, gegen welche p. 193 f. eine Vertheidigung geführt wird, sind dieselben,

welche anderwärts z. B. in Abael. Epist. 21. gegen Roscellinus geschleudert wer

den, und ausser den Beziehungen auf das unsittliche Leben der Kleriker, p. 197.,

bildet der sog. Tritheismus gerade den Hauptinhalt des Briefes p. 199 ff.), so er

sehen wir nun, dass Roscellinus, welcher in Soissons und Rheims seine Studien

gemacht hatte , hierauf in Tours und in Locmenach (bei Vannes in der Bretagne)

docirte, wobei der noch sehr junge Abälard sicli unier seinen Schülern befand,

und dass Später Rose, als Canonicus in Besancon lebte (p. 193.: l/eneßciorum quae

libi tot et lanla a puero usquc ad iuvenem sub magislri nomine et aclu exhibui

oblitus p. 195.: lestimonio Suessionensis et Remcnsis ecclesiae .... sub quibus

rtatus et educatus et edoclus sum comprobabo .... Neque vero Turonensis ecclesia

vei Locensis , ubi ad pedes meos maüistri lui discipulorum minimus tarn diu resedisti

, aul Bizuntina ecclesia , in quibus cannnicus sum , extra mundum siinl).

Hiernach bestätigt sich die Angabe ütlo's v. Freising (s. d. folg. Anm. 316.), und

wir wissen nun, wo Abälard studirt habe, ehe er nach Paris kam (Abael. hist.

'iiiiini. c. 1.: Proindc diversas diipulando perambulans provincias, ubicunque huiiis

artis vigere Studium audieram, peripatelicurum aemulalor fuctus sum; perveni tandem

Parisios etc.), sowie auch erhellt, dass es nur als Uebertreibung auf Rech

nung des inliuiit thcologicum zu setzen sei, wenn gesagt wurde, Roscellinus sei aus

Frankreich und England vertrieben worden (Abael. Epist. 21.: ab utroque regno in

<fuo conversalus esl, tarn Anglorum scilicel quam Francornm, cum summo dedecore

expulsus esl. Roscell. Epist. p. 194.: quod summa haeresi conviclus et infamis

iam toto mundo expulsus sim).

78 XIII. Roscellinus.

fassung auf das theologische Gebiet (hekanntlich in dem sog. Tritheismus)

hinüberspielle, so ist es erklärlich, dass Ton und Färbung jener

etlichen Notizen durch dogmatischen Fanatismus bedingt sind; denn auch

Roscellinus gehört zu denjenigen, welche dem Glauben nur dann eine

Berechtigung zugestehen, wenn derselbe sicli durch Gründe vertheidigen

lasse315). Zunächst treffen wir nur die unbestimmt allgemeine Angabe,

dass Roscellinus die nominalislische Ansicht in der Logik zur Geltung

gebracht habe316), und zwar wird diess als eine Neuerung bezeichnet,

und an das Auflreten des Roscellinus die Entstehung einer „neuen"

Gattung der Logik neben der bisherigen „alten" (s. unten Anm. 326)

geknüpft, wobei jene Neuerer nicht auf die Wissenschaft der Dinge,

sondern auf Geltendmachung der Worte und Begriffe ausgegangen

seien317). Etwas eingehender ist wohl die Notiz, dass es sich eben

um die Universalien (d. h. die quinque voces und die Kategorien) ge

handelt habe , und dass Roscellinus behauptete , die Worte (voces , s.

unten Anm. 324 f.) selbst seien dasjenige, was man Gattung und Art

nenne318). Aber wenn Anseimus319), welcher in seiner Orlhodoxo-

315) Anselm. d. ftde Irin. c. 3, Opp. ed. Gerberon p. 43.: Dicit , sicul audio,

ille qui tres personas dicitur asserere esse velul tres angelos aut tres animas, ,,Pagani

defendunl legem suam, Judai'i defendunl legem suam, ergo el nos Christiani

debemus defendere fidem nostram" (man beachte für jene Zeit die äusserst vernunf

tige Liberalität, auch den Juden und Heiden die dialektische Begründung ihres

Glaubens zuzugestehen).

316) Otto Fris. d. gest. Frid. l, 47. (ed. Ursiis. Fruncf. 1585, p. 433.):

Petrus isle (sc. Abaelardus) habuit primo praeceptorem Roielmum quendam, qui

primus noslris lemporibus in logica scntenliam vocum instituil , el posl ad gravissimos

viros Anselmum Laudunensem, Guilehnum Campellensem Calaulani episcopum

migrans ipsorumque dictorum pondus tanquam sublililalis acumine vacuum iudicans

non diu sustinuil; inde magistrum induens Parisios venit (s. folg. Abschn.,

Anm. 258.).

317) Aventin. Ann. Boior. VI. (ed. Cisner, 1615, p. 383.): Hisce qttoqtie lem

poribus fuisse reperio Rucelinum Britannum, magistrum Pclri Abaelardi , novi lycaei

condüorem , qui primus scientiam (zu lesen sentcntiam) vocum sive diotionum inslituil,

novam philosophandi viam invenit; co namque aulorc duo Aristotelicontm,

Peripatelicorum , gencra esse coepemnl; unum illud velus locuples in rcbus procreandis,

quod scientiam rcrum sibi vindicat, quamobrem reales vecantur ; altcrum

novum, quod eam distraliit , nominales ideo nuncupali, quod avari rerum prodigi

nominum atque nolionum verborum videntur esse assertores.

318) loann. Saresb. Metalog. II, 17. (Opp. cd. Gilcs, V, p. 90.): Naturam

tarnen universalium hie omnes expediunl et altissimum neyotium et maioris inquisitionis

contra mentcm auctoris explicarc nituntur ; alius ergo consistil in vocibus,

licel haec opinio cum Rocclino suo fere omnino iam evanueril; alius sermones (s.

unten Anm. 324.) intuelur et ad illos detorquet quidquid alicubi de universalibus

meminil scriptum • in hac autem opinionc deprehensus est Peripateticus Palatinus

Abaelardus noster, qui mullos reliqnit et adltuc quidem aliquos habet professionis

huius seclatores. Ebend. Polycr. VII, 12., Opp. IV, p. 127.: Fucrunt et qui voces

Ipsas genera dicerent esse et species ; scd eorum iam explosa sentcnlia est et fädle

cum autore suo evanuit (s. Anm. 325.).

319) Anselm. d. f. Irin. c. 2. Ed. Gerberon p. 42 f. : HU utique nostri temporis

dialectici, immo dialeclicae haeretici, qui nonnisi flatum vocis putant esse

universales substantias, et qui colorcm non aliud queunl inlelligere quam corpus nee

sapientiam hominis aliud quam animam, prorsus a spiritualium quaeslionum dispulatione

sunt exsufflandi. In eorum quippe animabus ratio , quae et princeps et

iudex omnium debet esse quae sunl in homine , sie est in imaginalionibus corporn

XIII. Roscellinus. 79

manie den köstlichen Ausdruck „Ketzer der Dialektik" erfand und gegen

Roscellinus anwendete, in blinder Leidenschaftlichkeit oder böswilliger

Uebertreibung sagt, nach jener Ansicht seien die allgemeinen Substanzen

Nichts weiter als ein Wort-Hauch (flatus vocis), so werden wir wohl

auch die übrigen Angaben des spiriluahstischen Eiferers nur mit Vor

sicht aufnehmen dürfen, zumal da er nach den eigenen Erzeugnissen

seiner Dialektik, wie wir sehen werden, in logischen Fragen kaum

als urlheilsfähig gellen kann; so ist es ja auch nur ein Ausdruck des

schroffsten Parteihasses , wenn er den Anhängern Roscellin's vorwirft,

dass sie die Vernunft den körperlichen Einbildungen (corporalibus imaginalionibus)

preisgeben, denn hoffentlich erhebt sich die Einsicht in

den begrifflichen allgemeinen Gehalt der Worte gerade am meisten über

die sensuale Zufälligkeit und bahnt allein den Weg zu einem wirklichen

selbsterrungenen Wissen, während zu einer spirilualistischen Ontologie

vielfach eine mit dem Sensualen verflochtene Einbildungskraft erforder

lich ist. Und abgesehen von dem lächerlichen Vorwurfe , dass Roscel

linus nicht versiehe, wie die Vielheit .der Individuen im Arlbegriffe eine

Einheit sei (denn das ist es ja eben, was Roscellinus einsah, dass nemlich

die Einheil in dem den Begriff aussprechenden Worte liege), wer

den wir die weiteren Bemerkungen, dass Roscellinus die Farbe eines

Dinges mit dem Dinge selbst und die Eigenschaften mit ihren Trägern

verwechsle, sowie dass er nicht einsehe, wie z. B. „Mensch" etwas

Anderes sei als der einzelne Mensch, nun wohl füglich auf den wahren

Sachverhalt zurückführen müssen; denn Ersteres kann doch nur den

Sinn haben, dass nach des Roscellinus Ansicht der Begriff einer Qualität

als Begriff ebensosehr Allgemeinheit enlhalle, wie der Begriff einer Sub

stanz als Begriff, und Lelzteres enthält, wenn wir die gehässige Wen

dung des Berichlerslatters abstreifen, den einfachen Grundsatz des No

minalismus, dass objecliv im concreten Sein überall nur Individuelles

exislirt, die Art- und Gattungsbegriffe aber nur subjectiv in den mensch

lichen Worten vorliegen, kurz dass objectiv die Universalien keine vom

Individuellen getrennte Existenz haben. Dass hiernach die Trinitäl als

objeelives Wesen Goltes gleichfalls aus drei Individuen bestehen müsse 32°),

liegt in der Consequenz dieser logischen Ansicht, und es war hiedurch

in ähnlicher Weise wie bei Berengarius die Theologie in den logischen

Parleislreit verflochten. Roscellinus aber scheint überhaupt sehr folgeobvoluta,

ul ex eis se non possil nähere nee ab ipsis ea, quae ipsa sola et

/'um conlemplari debet , valeal discernerc. Qui enim nondum intelligit , quomodo

plures homines in specie sint unus, qualiter in illa secrctissima et altissima nattirn

comprehendet, quomodo plures personae .... sint unus deus? Et cuius mens obscura

esl ad discernendum inter equum suum et colorem eius, qualiter discernet inter unurn

deum et plures relationes eins? Denique qui non polest inlelligcre , aliquid esse

hominem nisi Individuum, nullatenus inteltiget hominem nisi humanam personam;

omnis enim individuus homo persona est; quomodo ergo iste intclliget hominem

assumptum esse a verbo etc.

320) Ebend. Epist. H, 41, p. 357.: quia Roscclinus clericus dicil, in deo tres

personas esse tres ab invicem separalas , sicut.sunt tres angeli. Ha tarnen ul una

sil volvntas et potcstas, auf patrem et spiritum sanctum esse incarnalum, et tres

deos vere passe dici, si usus admitteret.

SO XIII. Roscellinus.

richtig seinen Standpunkt nach allen Seiten durchgeführt zu haben, denn

ausserdeni wäre es schwer erklärlich, wie in den spärlichen Mitthei

lungen, welche wir über ihn hüben, wieder irgend ein vereinzelter

Punkt uns völlig auf das gleiche Princip zurückweise; nemlich bei dem

Theilbegriffe , dessen Erörterung Boethius schon in die Isagoge und in

die Kategorienlehre verwoben hatte (s. Abschn. XII, Anm. 92 u. 96),

ist dem Roscellinus gleichfalls das subjeclive Moment das Entscheidende;

denn der Sinn der hierauf bezüglichen Notiz 321) ist folgender: Soll z.

B. das Dach als Theil des Hauses betrachtet werden, so ist zu erwägen,

dass objectiv als Ding das Dach völlig unselbstständig ist, da in objecliv

dinglicher Beziehung es eben nur ein Haus-Dach und ebenso nur ein

mit einem Dache versehenes Haus (falls es nemlich ein wirkliches Haus

sein soll) geben kann; wäre daher das Dach objectiv ein Theil des

Hauses, so wäre es ein Theil des objectiv untrennbaren Ganzen und

hiemit zufolge dieser Untrennharkeit zuletzt auch ein Theil seiner 'selbst,

d. h. objectiv dinglich führt der Theilbegriff zu Widersprüchen, und

das Richtige ist, dass das Dach lediglich durch unsere begriO'shaltigen

Worte als „Theil" bezeichnet wird, also der Theilbegriff als solcher

dem subjectiven Worlausdrucke anheimfällt; auf gleiche Weise verhält

es sich auch mit der Priorität des Theiles gegenüber dem Ganzen, denn

in objectiver Beziehung als Ding kann das Dach nicht früher sein, als

die objectiv untrennbare Verbindung seiner seihst mit Anderem, da es

dann gleichfalls wegen der Untrennbarkeit sich ergäbe , dass das Dach

früher als es selbst wäre, so dass hiemit auch die Priorität des Theilbegriffes

nur im subjecliven Denken liegt. Sowie auch diese Ansicht

Roscellin's von den Gegnern böswillig verzerrt wurde322), so wendete

derselbe sie andrerseits witzig gegen den verstümmelten Abälard an,

wobei consequent auch der Begriff des Ganzen dem subjecliven Denkacte

zugewiesen wird, da bei Aenderung des objectiven Bestandes einer

untrennbaren Verbindung sofort die begrifl'smässige Wortbezeiclmung,

welche dann den subjectiven Gedanken eines Ganzen nicht mehr t'est-

321) Abael. d. divis. et deftn. p. 471. (ed. Cousin): Fuil aulem, memini,

magistri nostri Roscellini tarn insanii sentenlia, ul nullam rem partibus constare

vellet', sed sicul solis vocibus species ita et partes adscribebut. Si quis aulem rem

illuM, quae domus est, rebus aliis, pariele scilicel et fundamento , conslare diceret

(es ist diess das bei Boelhius, z. B. p. 52 f. u. p. 646., übliche Beispiel der Theilung),

tau ipsum argumenlalione impugnabat : Si res illa, quae est paries, rei illius

, quae domus est, paries sit , cum ipsa domus niliil aliud sil quam ipse paries

et tectum et fundamentum , profecto paries svi ipsius et ccterorum pars erit ; at

vero quomodo sui ipsius pars fuerit ? Amplius , omnis pars naturaliler prior est

lato suo ; quomodo aulem paries prior se et aliis dicelur , cum se nullo modv

prior sit?

322) Abael. Epist. 21. (Opp. ed. Amboes. p. 335.): Hie sicut pseudo-dialecticus

ita et pseudo-cliristianus , cum in dialectica sua nullam rem paries haben aestimat,

ita divinam paginam impudenler penertit, ut eo loco quo dicilur dominus partem

piscis assi comedisse , partem huius vocis, quae esi piscis assi, non parlem rei inlelligere

cogatur. (Ob dieser Brief VOD Abälard oder, wie Buläus meint, von einem

Anderen um d. J. 1095 verfasst sei, ist bezüglich dieser Stelle gleichgültig; übri

gens scheint das oben, Anm. 314., Gesagte für die Autorschaft Abälards zu

sprechen.)

XIII. Roscellinus. Raimbert. 81

zuhalten vermag, durch eine anderweitige Bezeichnung ersetzt werden

muss323).

Dass übrigens der Standpunkt des Roscellinus wesentlich kein neuer

war, zeigt die Vergleichung mit Obigem (Anm. 124, 151, 159, 242,

253, 276, 305 f.); nur hatte die Anschauung, dass die Universalien und

die Begriffsbildung Sache der menschlichen Worte seien, seil dem Auf

treten des Berengarius eine grössere Behutsamkeit und schärfere Be

kämpfung seitens der Orthodoxie hervorgerufen. Hingegen bleibt Ein

Punkt, und zwar vielleicht der wichtigste, in Folge des Mangels an

Quellen uns völlig im Unklaren; es wird nemlich in der oben, Anm.

318, angeführten Stelle des Johannes v. Salesbury ein scharfer Unter

schied gemacht zwischen denjenigen, welche die Universalien in die

„vox" verlegten, und jenen, welche sie auf die „serntones" bezogen,

woran sich die Angabe knüpft, dass zu den Letzteren Abälard gehört

habe. Im Hinblicke nun auf die grammatische Bedeutung der Worte

vox und sermo und in vorläufiger Bezugnahme auf dasjenige, was unten

(folg. Abschn., Anm. 308 ff.) hei Abälard zu erörtern sein wird, müssen

wir allerdings vermulhen, dass Roscellinus einseitig nur den isolirten

Begriff ins Auge gefasst und hiemit ohne Rücksicht auf die Satzverbin

dung die Worte als fertige Begriffe betrachtet habe324); aber ob er

die Lehre vom Urlheile bloss vernachlässigt oder etwa die Bedeutung

des Urtheiles sogar direct besinnen habe, oder wie er bei Begründung

einer solchen Durchführung des Nominalismus verfahren sei, wissen wir

nicht325).

Eben für jene Zeit aber, in welcher Roscellinus aufgetreten war,

besitzen wir eine höchst charakteristische Notiz bezüglich des logischen

Parteikampfes326). Es docirte nemlirh ein gewisser Raimbert in

323) Rosccll. Epist. (s. Anm. 314.) p. 210.: Sed forte Pftrum le appellari

passe ex consuetudine mentiris ; certus sum aulem, quod masculini generis nomen,

si a suo genere deciderit , rem solitam significare recusabit; solent enim nomina

propria signißcalionem amillere, cum corum signißcata conligerit a sua perfectione

recedere ; neque enim ablnto lecto vel pariete domus, sed imperfecla domus vocaliitiif;

sublata igilur parte , quae hominem facit , non Petrus, sed imperfectus Pe

trus appeHandus es.

324) Unter den alleren Nominalisten dürften sonach dem Roscellinus vermöge

einer einseitigeren Betonung der vox näher stehen jener Pseudo-Hrabanus (Anm.

151.), Jepa (Anm. 159.), der Anonymus Cousin's (Anm. 242.), und der Sl. Galler

Anonymus B. interpr. (Anm. 253.), sowie thcilweise selbst Scotus Erigena (Anm.

124.) ; hingegen wären durch Beachtung des sermo und des prädicativcn Verhällnisses

mehr mit Abälard verwandt Eric (Anm. 159.), der St. Giiller Anonymus D.

syllog. (Anm. 276.) und Berengarius (Anm. 305.).

325) Möglicher Weise könnte, falls Roscellinus diese einseitige Wendung des

Nominalismus wirklich durch Gründe gestützt hätte, obige (Anm 316.) Ausdrucks

weise Otto's (primus inslituit sentenliam vocum) wörtlich genommen werden ; jeden

falls 'aber geht aus Job. v. Salesh. (Anm. 318.) hervor, dass die Anhänger des

Nominalismus diesen verengten Standpunkt bald verliessen; nur darf man nicht,

— wie schon geschah — , sich so ausdrücken, dass Job. v. Salesb. den Nomina

lismus überhaupt bereits für erloschen erkläre; s folg, Abschn., Anm. 76 ff.

326) Hermann. Narr. Restaur. Abb. S. Märt. Tornae. bei D'Achery Spicit. ed.

De la Barre II, p. 889. : Jörn vero si scholae appropriares, cerneres magistrum Odonem

nunc quidem Peripaleticorum more cum discipulis docendo deambulantem, nunc

vero Stoicorum instar residentem et diversas quaesliones solventem Sed cum

PEAHTL, Gesch. II. 6

82 XIII. Raimbert. Otto v. Cambray.

Lilie, sowie „sehr viele Andere", die Dialektik nach der „modernen"

nominalistischen Auffassung (in voce), und dieselben nebst ihren An

hängern bethäliglen sich in feindseliger Rivalität gegen Otto (nachmals

seit d. J. 1106 Bischof von Cambray), welcher i. J. 1092 das Kloster

St. Mariin in Tournay widerhergestel-lt halle und dort Logik nach „altem"

Stile realistisch (in re) lehrte. Da nun Manche durch den Reiz der

Neuheit sich zu Raimbert hingezogen fühlten, zugleich aber bei dem

gegenseitigen Abwägen der Vorzüge beider Schulen kein ganz entschie

denes Resultat erzielt zu werden schien, so wendete sich Einer der

Kanoniker in Tournay an einen damals berühmten Wahrsager, welcher,

obwohl taubstumm, die an ihn gerichtete Frage sogleich verstand und

durch Zeichensprache sich, — wie man nicht anders erwarten darf

— , unbedingt für die Richtigkeit und Vorlrell'Iicbkeit der realistischen

Schule Otto's erklärte. Wenn übrigens der Berichterstatter (Abt Her

mann in Tournay in d. ersten Hälfte d. 12. Jahrb.), welcher sich na

türlich gleichfalls als einen orthodoxen Feind der windigen Geschwätzig

keit des Nominalismus bekennt, zugleich logische Schriften Otto's er

wähnt, so müssen wir den Verlust derselben allerdings bedauern ; bloss

vennulhen lässl sich, dass der „Liber complexionum" vielleicht nur aus

omnium septem liberalium artium esset perilus , praecipue tarnen in dialeclica eminebat

, et pro ipso maxime clericorum frequenlia (um expetebat. Seripsit etiam de

ea duos libellos , quorum priorcm ad cognoscenda devitandaque sophisrtiata valde

utilem intitulavit „Sophislem", alterum vero appellavit ,,Librum complexionum";

tertium quoque ,,De re et ente" compoiuil, in quo solvit, si unum idemque sit res

et ens. In his tribus libellis non se Odonem, sed, sicut lunc ab omnibus vocabatur,

nominabat Odardum. Sciendum tarnen de eodem magistro, quod eandem dialecticam

non iuxta quosdam modernos (diess ist die älteste Stelle , in welcher die

Nominalisten als moderni bezeichnet werden, 'S. hingegen folg. Abschn. Anm. 55.)

in voce, sed more Boelliii antiquorumque doctorum in re discipulis legebal (also im

Gegensatze gegen die angebliche Neuerung werden ßoethius und Porphyrius als

Realisten antiqui genannt, vgl. ob. Anm. 317.). Vnde et magisler Raimbertus , qui

eodem tcmporc in oppitto Insulensi dialecticam clericis suis in voce legebat , sed et •

atü quamplures magistri ei non parum invidebanl et detratiebant suasque lectiones

ipsius meliores esse dicebaul, quamobrem nonnulli ex clericis conlurbati, cui magis

crederent , haesilabant , quoniam magislrum Odardum ab antiquorum dotlrina non

discrepare videbanl et tarnen aliqui ex eis, man Atkeniensium auf disceretuul audire

aliquid novi semper humana curiositate studcntes, alias potius laudabanl, maxime

i j u i a i'iirvtit lecliones ad exercitium dispulandi vel eloquenliae , imo loquacitatis et

facundiae, plus valere dicebant (Einige demnach wünschten mit dem rechtgläubigen

Realismus dennoch die formelle Virtuosität der eigentlichen Logiker, d. h. der

Nominalisten verbinden zu können). Unus itaque ex eiusdem ecclcsiae canonicis,

nomine Qualbertus tttnla scntentiarum erranliumque clericorum varietate permolus

quendam pythonicum (d. h. einen Wahrsager) surdnm et mutum in eadem urbe

divinandi famosissimum adiit et, cui magistrorum magis esset credendum, digitorum

signis et nulibus inquirere coepil. Protinus ille , mirabile diclu, quaestionem illitis

inlellexil dexteramque ma.nv.rn per sinistrae palmam instar aralri lerram scindentis

perlraliens digilumque versus magistri Odonis scholam protendens significabat, doclrinam

eius esse reclissimam; rursus vero digitum contra Insulense oppidum proten

dens manuque ori admola exsu/flans innuebat, magistri Raimbcrti lectionem nonnisi

verbosam esse loquacitatem. Haec dixerim non quo pylhonicos consulendos .... ar~

Wirer, sed ad redarguendum quomndam superborum nimiam praesumptionem , qui

nihil aliud quaerentes nisi ut dicanlur sapientes, in l'orphyrii Aristotelisque libris

magis volunt legi suam adventiciam novilatem, quam Boelhii ceterorumque antiquo-

Tum expositionem.

XIII. Otto v. Carabray. Wilhelm v. Hirschau. 83

Boelhius (d. syll. categ., s. Absclin. XII, Anni. 131 ff.) entnommen war,

sowie dass der „Sophisles" etwa den theologischen Streitigkeiten näher

gelegen gewesen sei oder möglicher Weise selbst nur die Angaben des

Cassiodorus (Abschn. XII, Anm. 182) wiederholt habe; hingegen wich

tiger könnte die Schrift „De re et enle" gewesen sein, denn die Frage,

ob rrs und ans das Neinliche seien, war dort sicher im Sinne des

Realismus beantwortet, selbst wenn auch, — was das Wahrscheinli

chere ist — , das Ganze sich bloss auf eine vereinzelte Stelle des

Boethius (Abschn. XII, Anm. 89 f.) bezogen haben sollte. — Jedenfalls

aber dürfte anzunehmen sein, dass der damalige Roscellinische Nominalismus

in einer grösseren Zahl von Schriften, als_ unsere Quellen durch

blicken lassen, vertreten gewesen sei; denn wir sind für solch gelegent

liche litterarische Notizen ja fast ausschliesslich auf theologische Autoren

hingewiesen, welche als Gegner einer ihnen verdächtigen Minorität von

vornherein nicht geneigt waren, von derselben viel zu sprechen, son

dern lieber mit einem Fulberl (Anm. 237) oder Lanfrancus (Anm. 309)

in das Verwerfungsurtheil gegen die Dialektik überhaupt einstimmten 327).

Ehe wir 'uns aber zu Anseimus, dem eigentlichen Hauplgegner

Roscellin's wenden, müssen wir auf den Abt Wilhelm von Hirschau

(gest. 1091) hinweisen, welcher bisher in der Geschichte der Philo

sophie wohl mit Unrecht unbeachtet geblieben ist328). Seine Schrift

„Philosophicarum et aslronomicarum instilulionum libri tres" 3'29) scheint

überwiegend ;iuf arabischen Quellen, und zwar hauptsächlich durch

Vermittlung Co ns tantiu's des Karlhager's 33°), zu beruhen und

327) So sagt z. B. Hildebert (als Erzbischof von Tours gest. 1136), Sermo

69 (Opp. ed. Beauyendre , p. 579 f.) : Quidam mim in philosophicis facullalitius

quandam sublilitatem inutilem vel inulilitalem subtilem quacrenles quibusdam minuliis

verborum in cavillalione respondenles uluntur, quibus in disputatione uti. ossa

Christi est incinerare Etsi enim deus comierlil nos , artium liberalium phanlasmalibus

uti, si in hac scriplura voluerimus similitur sophistice incedere , odiliiles

deo erimus , strepitum ranarum Aegypti in terram Gerson traducere molientes.

328) lieber sein Leben sind wir durch seiuen Schüler Haimo (s. Perlz, Hon.

XIV, p. 209 ff.) und einige andere Chronisten (ebeod. VII, p. 281. u. XII, p. 54.

u. p. 64 ff.) unterricblet. Er war i. J. 1026 geboren, wurde i. J. 1069 Abt in

Hirschau, gieng i. J. 1069 in Angelegenheiten seines Klosters nach Rom, starb i.

J. 1091. Wenn Trithem. Chron. Hirs. (Basil. 1558 fol.) p. 109. ihn in Rom mil

Aaseimus zusammentreffen läest, so ist dies« unrichtig , da Letzterer erst i. J.

1098 nach Rom kam (s. F. R. Hasse, Ans. v. Canlerb. I, p. 333 ff.).

329) Gedruckt in Basel b. Htmr. Petrus, 1531. 4 (77 Seiten enthaltend). Ich

habe über dieses seltene und interessante Buch , namentlich über die von Wilhelm

dabei benützten Quellen , nähere Untersuchungen angestellt ; s. Sitzungsberichte d.

Münchner Akad. 1861, Heft 1.

330) Petr. Diac. Chron. Casin. III, 35. b. Pertz, Monum. IX, p. 728.: Istius

t'fro alibatis (d. h. des Desiderius, welcher 1058—1087 Abt war) tempere Constantinus

Africanus ad hunc locum pervcniens hie igitur e Carthayine , de qua

oriundus erat, egrediens Babyloniam petiit, in qua grammatica, dialcctica, geometria,

arithmelica , matliematica , astrmomia, nee non et physica Chaldaeorum, Arabutn,

Persarum , Saracenorum , Aegyptiorum ac Indorum plenissime emditus est ; completis

autem in ediscenttis ivliusmodi sludiis triginta et novem annorum curriculis ad Africiun

reversus est. Eine andere ausführliche Notiz des Petrus Diac. (d. vir. illuslr.

Csuin.) über Coostantin's naturwissenschaftliche Schriften s. b. Muratori, Her. hol.

scriptt VI, p. 40 f. oder b. Jourdain, Recherche« crilitfws, 2. Aufl. p. 455 f. Abt

6*

84 XIII. Wilhelm v. Hirschau.

enthält für unseren hiesigen Zweck, — um abzusehen von allem Naturphilosophischen

und Metaphysischen, was nicht hieher gehört —, Einen

nicht unwichtigen Punkt. Wilhelm nemlich zeigt sieh uns da als der

erste und älteste Autor im mittelalterlichen Abendlande, welcher einen

syllogistisch formulirten Beweis für die Existenz Gottes aufstellte331).

Während aber der theologische oder philosophische Inhalt dieses Be

weises 332) gleichfalls über die uns hier gesteckten Gränzen hinausfällt,

ist es lediglich die formelle Seite, welche wir zu beachten haben.

Dass das ganze Unternehmen, die objective Existenz Gottes beweisen

zu wollen, überhaupt ein verrücktes sei (daher auch Hegel das ontologische

Argument eben nur in seiner Eigenschaft als Neuplatoniker wie

deraufnahm), geben alle philosophisch Unbefangenen zu; aber dass in

jenem unklaren und unphilosophischen Zeitalter ein solcher Versuch

entstehen konnte, ist höchst erklärlich, zumal weil damals als Surrogat

der Philosophie nur ein Bildungskreis vorlag, welcher auf dogmatische

Theologie und eine traditionelle logische Schulgewandtheit beschränkt

war; sobald man daher durch theologische Streitigkeiten sich daran

gewöhnt hatte, diess Beides derartig mit einander zu verbinden, dass

man auch einzelne Bruchtheile des Dogma's logisch zu begründen ver

suchte (s. ob. Anm. 303), war es nur consequent, mit solcher Formulirung

sofort bei dem obersten Punkte des objectiv dogmatischen

Bekenntnisses zu beginnen. Aber eine wesentliche Bedingung hiezu war

natürlich das Vorhandensein eines logischen Realismus, denn ein Nomi

nalist hätte bei irgend folgerichtigem Denken nie auf den Einfalt kom

men können, Gottes ohjective Existenz mit subjectiv menschlichen Wor

ten zu erweisen (ein Beispiel einer sehr ehrenwerthen Besonnenheit in

dieser Beziehung sahen wir oben, Anm. 272); und dieser Zusammen

hang mit der realistischen Anschauung ist es auch allein, um dessen

Wilhelm beruft sich auf Constantinus mehrmals mil namentlicher Nennung, z. B.

p. 12, 15, 24.

331) Da nemlich Wilhelm mit Anseimus schon um 1078 in Correspondenz

stand (s. Hasse a. a. 0. p. 67., Anm.), so hätte er sicher den anseimischen Be

weis berücksichtigt, wenn er die Institutioaes erst nach 1080 (in welchem Jahre

das anselmiscbe Monologium und Proslogium bekannt wurden) geschrieben hätte;

auch zeigt sich der Gedankengang und die ganze Anschauung Wilhelm's als durch

aus unberührt von irgend einem Einflüsse durch Anselm's Richtung, was nur dann

erklärlich scheint, wenn Wilhelm seine Schrift vor dem litterarischen Auftreten

Anselm's verfasste.

332) Er lautet seinem Hauptkerne nach (p. 3 f.): Et quando diximus in hac

vila sciri , deum esse, rationes quibus eliam incredulis hoc probari possit, aperiamus,

scilicet per mundi crealionem et quolidianam dispositionem. Cum enim

mundus contrariis factus sit elemenlis vel casu vel aliquo arli/ice in compositione

mundi illa coniuncta sunt ; casu vero coniuncta non sunl ; ifiilur

aliquo artifice ; arlifex vero ille vel homo vel angelus vel deus fuit ; anle vero

mundus factus est quam homo , angelus vero cum mundo , ergo solus deus munihtm

creavil. Per quotidianam vero dispositionem idem sie probatur: ea quae disponuntur,

sapienter disponuntur, ergo aliqua sapienlia , sed sapientia illa vel divina

vel angelica vel humana; humana .... motum et vilam conferre non polest; angelica

vero sapientia quomodo ipsos angelos disponeret? divina ergo sapientia est, quae

hoc agil; sed omnis sapienlia alicuius est "sapientia; est igitur, cuius est illa sa

pientia, sed nee est homo nee angelus, deus ergo est. Roh genug ist allerdings

diese Anwendung der dilemmatischen Form.

XIII. Wilhelm v. Hirschau. Anseimus. 85

willen wir diese Beweis-Versuche bei ihrem ersten Auftreten erwähnen,

daher wir auch für iille späteren Entwicklungen, wo der formell logi

sche Parteistandpunkl in den Hintergrund tritt, mit Vergnügen darauf

verzichten, die verschiedenen Wandlungen, welche der ontologische

Beweis (z. B. bei Cartesius, Leibnitz, Wolfl', Mendelssohn, Baumgarten,

Kant) erfuhr, zu erwähnen. Uebrigens ist es bei Wilhelm von Hirschau

nicht jener uns bisher schon vorgekommene platonische Realismus, auf

welchem seine Beweisführung beruhe, sondern in der Speculationsweise

seiner Quellen ist es ofl'enhar der arabisch-physikalische Realismus, wel

cher diese Wendung mit sich brachte, denn wir finden schon bei Ara

bern des 10. Jahrhundertes in leisen Anfängen den physiko-theologischen

Beweis 333). Doch steht diese Einwirkung arabischer Philosophie noch

schlechthin vereinzelt da und trifl'l nur vermöge des realistischen Platonismus

überhaupt mit den entsprechenden occidenlalischen Anschau

ungen in diesem Punkte zusammen.

Eben aber der onlologische Beweis war es ja , durch welchen

Anseimus von Canterbury (geb. 1033, gest. 1109) seinen Ruhm

begründete334). Anseimus stand, wie sich von einem Schiller Lanfranc's

nicht anders erwarten lässt, auf dem Standpunkte, ilass da's

Wissen durch den christlichen Glauben bedingt und beschränkt sei 335),

und er findet hiernach dem Denken gegenüber eine unbedingt objective

Realität in geistiger Beziehung bereits als vollendete vor, so dass das

Denken nur entweder an diesem objectiv Realen iheilhahen oder an

demselben nicht theilhaben kann, d. h. Anseimus ist für die Logik, wie

sich von selbst versteht, Realist. Und der sonderbare Wunsch, unser

Denken zu dieser Theilbafligkeit in objectivem Sinne unwiderruflich zu

zwingen, d. h. dem menschlichen Denken den Realismus andemonstriren

zu wollen, ist die Grundveranlassung des ontologischen Beweises336),

an welchem gleichfalls, wie so eben bemerkt wurde, uns hier Nichts

333) S. die in meiner Abhandlung über Wilhelm (a. a. 0. p. 20 f.) angeführte

Stelle aus Fr. Dieterici, d. Nalurphil. d. Araber i. 10. Jahrh. (Bcrl. 1861). p. 162.

334) Die erschöpfend ausführliche Darstellung des Anseimus, welche F. R.

Hasse (Ans. v. Canterb. Lpzg. 1843—52. 2 Bände) gab, ist von einer durch

gängigen Ueberschätzung der Bedeutung desselben getragen.

335) Episl. II, 41. (Opp. ed. Gerberon. Paris. 1675), p. 357.: Christianus per

fidem debet ad inlellcclum proficere , non per intellectum ad fidem accedere auf , si

intelligere non valct, a ftde recedere ; scd cum ad intellectum valel pertingere, delectatur

, cum tiero nequit , quod capere non polest, vencratur.

336) Proslog, c. 2, p. 30. : Cont'incilur ergo etiam insipiens esse , vel in inlelleclu

aliquid, quo nihil maius cogitari polesl, quia hoc, cum audit, intelligil, et

quidquid intelligilur, in intellectu est; et certe id, quo maius cogitari nequit, non

polest esse in inlellectu solo; si enim vel in solo intellectu est, polest cogitari esse

et in re ; quod maius est; si ergo id quo maius cogitari non polest, est in solo

inlellectu, id ipsum, quo maius cogilari non polest, est, quo maius cogilari polest;

sed certe hoc esse non potesl; existil ergo procul dubio aliquid, quo maius cogitari

non valel, et in intellectu et in re. Apolog. c. Gaunil, c. l, p. 37.: Ego dico: si

cel cogitari potest esse, neeesse est illud esse; non» quo maius cogilari nequit,

non potest cogilari esse nisi sine initio ; quidquid autem polest cogitari esse et non

est, per initium potesl cogitari esse; non ergo quo maius cogilari nequil , cogilari

potest esse et non esl; si ergo polest cogitari esse, ex nccessilutc esl, u. s. f. mit

fortlaufender plumper Verwechslung von cogilari und esse.

8(i XIII. Gaunilo. Anseimus.

weiteres interessirt, als eben diese formelle Seite, nach welcher er mit

dem Realismus zusammenhängt, denn er zeigt uns nur das Schauspiel

des grössten Selhstwiderspruches, welcher überhaupt möglich isl, indem

ja durch ihn der principiellste Objectivismus als solcher gerade subjecliv

begründet werden soll. Die Widersinnigkeit aber dieses Unternehmens,

welche darin liegt, dass der Realist, welcher das Ideelle von vorneherein

nur als objectives anerkennt, die objective Existenz desselben

erst noch mit subjectiven Mitteln beweisen will, erblickte Gaunilo

(ein Mönch in Mar-Moutiers) ganz richtig, indem er behauptete, der Be

weis gehe ebensosehr auch auf die Existenz einer unbedingt vollkom

menen Insel337), denn in der That hätte der Realismus durch die nemliche

Formel auch die reale Existenz sämmllicher platonischer Ideen

beweisen können. Wenn aber Anseimus hierauf erwidert, er habe ja

nicht von der Existenz des Concreten, sondern eben nur vom Unbe

dingten gesprochen338), so langt er sich nothwendig in seiner eigenen

Schlinge; denn er isl genöthigt, nun dennoch seine Zuflucht zu einem

successiven Aufsteigen zu nehmen, durch welches wir uns von dem

geringeren Bedingten erst allinälig im Denken zum Gedanken des unbe

dingten Superlatives erheben 339), wornach das Sein dieses Unbedingten

natürlich nur ein vom Denken ponirles Sein sein kann, während hiemit

hinwiederum sehr schlecht stimmt, wenn Anseimus andrerseits bei jedem

Gedanken, und zwar ausdrücklich auch bei dem auf concrele Dinge ge

richteten Denken, eine bloss nominelle Seile (vox signifaans) und ein

reelles Verstehen (id ipsum quod res esf) derartig unterscheidel, dass

bei letzterem die Existenz schon involvirt, bei erslerem aber jeder Un

sinn möglich sei340); denn wenn die Sache so steht, bedarf es über-

337) Liber pro insipiente , c. 6. (Ans. Opp. p. 36.): Aiunt quidam, alicubi

Oceani esse insulam, quam ex difftcultate vcl polius impossibililale inveniendi, quod

non est , cognominant aliqui perditam, quamque fabulantur . . . . universis alüs ....

usquequaque praestare. Hoc ila esse dicat mihi quispiam At si tunc velul

consequenter adiungat ac dicat: non potes ultra dubilarc , insulam illam omnibus

terris praestanliorem vere esse alicubi in re, quam et in intelleclu luo non ambigis

esse; nam quia praestantius esl , non in intellectu solo sed eliam in re esse, ideo

sie tarn necesse cst esse, quia, nisi fuerit , quaecunque alia in re est terra, praestantior

illa eril , ac sie ipsa iam a te praestantior intellecta praestantior non erit,

— si, inquam , per haec ille mihi vetit aslruere de insula illa, quod vere sit,

etc. etc.

338) Apol. c. Gaun. c. 3, p. 38.: Sed tale esl, iuquis , ac si aliquis insulam

Oceani etc Fidens loquor : quia si quis invenerit mihi aliquid aut re ipsa

aut sola cogitatione existens, praeler quod maius cogitari non possit, cui aptare

valeat connexionem huius meae art/umentationis , inveniam et dabo illi perdilam in

sulam amplius non perdendam.

339) Ebend. c. 8, p. 39.: Quoniam namque omnc minus bonum in tanlum est

simile mainri bono , in quanlum esl bonum , patel cuilibet rationali menti , quia de

minoribus ad maiora conscendendo ex Ais, quibus aliquid cogitari polest maius,

mullum possiimuf coniicere illud , quo nihil polest maius cogitari Esf igitur

unde possil coniici, quo maius cogilari nequeat.

340) Prosl. c. 4, p. 31.: Aliler enim cogitatur res, cum vox eam signiftcans

cogitatur , aliter cum id ipsum quod res esl intelligilur ; illo ilaque modo polest

cogitari deus non esse, isto tero minime ; nullus quippe inlelligens id quod iunt

ignis et aqua polest cogitare , ignem esse aquam secundum rem , licet hoc possit

secundum voces; ita igitur ncmo inlelligens id quod deus est polest cogitare, quia

XIII. Anseimus. 87

haupt weder eines Beweises der Existenz, noch eines Aufsteigeus zum

Unbedingten, sondern man braucht dann Nichts weiteres zu thun, als

eben jedwedes nach seiner realen ohjectiven Seite zu denken. Wohl

weislich geht daher Anselmus auch auf den treffendsten Einwand Gaunilo's

mit keinem Worte ein, welch Letzlerer einen sehr vernünftigen

Nominalismus vertritt, wenn er sagt, dass allerdings die vox allein als

blosse vox, d. h. als lediglicher Buchstaben-Klang, keine Wahrheit ent

halte, dass aber in dem Gebiete des Erfahrungsmässigen, wo die inlelligible

Bedeutsamkeit des Wortes an Bekanntes angeknüpft und an dem

selben gemessen wird, sehr wohl das objectiv reale Sein in den Worten

gedacht werde, wornach bei demjenigen, was über alle Erfahrung hin

ausliege , es eben bei der significatio perceptae vocis sein Bewenden

halien müsse, welche an sich den objectiv wirklichen Bestand des be

zeichneten Dinges nicht enthält341). D. h. Gaunilo sagt: Wir setzen in

unseren Worten die concrete Erfahrung in Begriffe um und besitzen in

den Worten auch die Kraft, über das unmittelbar Wirkliche hinauszu

gehen; sobald aber diess geschieht, befinden wir uns in der Sphäre

des Gedankens allein, aus welchem als einem bloss subjectiven die objective

Existenz des Gedachten hervorlocken zu wollen, ein vergebliches

Bemühen ist, denn gerade wenn man auf das cogüari sich wirfl, zeigt

sich, dass esse und non esse dem Objectiven angehören, und hiemit der

ontologische Beweis Nichts beweist, weil er sein eigenes Gebiet über

schreitet und zuviel beweist.

Ist hiemit der onlologische Beweis nur dadurch entstanden, dass

Anselmus sich nicht einmal über seinen eigenen realistischen Standpunkt

logisch klar war, so zeigt sich diese nemliche Schwäche auch in jenem

Bekenntnisse des Realismus, welches der „Dialogus de verilate" enthält.

Den schlechthin realistischen Ausdruck „subslantiae universales11 sahen

deus non est, licet haec verba dient in corde aut sine ulla aut cum aliqua extranea

signiftcalione.

341) L. pro insip. c. 4, p. 36.: Neque enim aut rem ipsam quae deus esl

novi, neque ipsam possum coniicere ex alia simili, quandoquidem et tu talem asseris

illam, ut esse non possit simile quidquam, Nam si de homine aliquo mihi

prorsus ignolo , quem eliam esse ncscirem, dici tarnen aliquid audirem, per illam

specialem generalemve notitiam, qua quid sit homo vel homines novi, de Mo quoque

secundum rem ipsam, quae est homo-, cogitare posscm; et tarnen ßeri possei,

ul mentiente illo qui diceret, ipse , quem cogitarem, homo non esset, cum tarnen

ego de illo secundum veram nihilominus rem, non quae esset ille homo sed quae

esl homo quilibet, cogilarem. Nee sie iqitur , ul haberem falsum istud in cogitalione

vel in inlellectu, haltere possum illud , cum audio dici ,,deus" aut ,, aliquid

omnibus maius", cum, quando illud (d. h. jenen Menschen) secundum rem veram

mihique notam cogitare possem, istud (d. h. Gott) omnino nequeam, nisi lantum

secundum vocem, secundum quam solam aut nix aut nunquam polest ullum cogitari

verum; siquidem cum ita cogitalur , non tarn ipsa vox, quae res est utique vera,

hoc est lillerarum sonus vel syllabantm, quam vocis auditae signiftcatio cogitetur,

Sed non ila ul ab illo qui nocit, quid ea soleal voce significari, a quo scilie.nl

cogitatur secundum rem vel in sola cogilatione vera , verum ut ab eo qui illud non

novil et solummodo cogilat secundum animi molum illius audilu vocis effectum signi-

(icationemque perceptae vocis conantem effingere sibi, quod mirum est si unquam rei

veritate poluerit. Ita ergo nee prorsus aliler adhuc in inlellectu meo conslat illud

haberi , cum audio intelligoque dicentem , esse aliquid maius omnibus quae valeant

cogitari. Haec de eo, quod summa illa nalura iam esse dicitur in intelleclu meo.

88 XIII. Anseimus.

wir schon oben (Anm. 319) in der gegen Roscellinus gerichteten Stelle ;

aber eben diese Auffassung hindert den Anseimus natürlich an jedem

Verständnisse dessen, was die Form des logischen Unheiles bedeute,

denn indem er die enunliatio von vorneherein nur als Abklatsch des

objectiven Seins oder Nichtseins betrachten kann, theilt er ihr nicht

einmal in dieser Form die Wahrheit zu, sondern verlegt die Wahrheit

ausschliesslich in das Objective, welches nicht einmal in seinem Auftreten

im Urtheile wahr sei, sondern nur die Ursache der Wahrheit des Urtheiles

enthalte342); ja er verhöhnt förmlich die Form des Urtheiles,

indem er sagt, dass dasselbe auch dann, wenn es im Widerspruche

mit dem objectiven Thalbestande stehe, immerhin die Richtigkeit des

blossen Aussagens und Bezeichnens enthalte, während die wahre Rich

tigkeit, d. h. die Wahrheit selbst, eben nur in jener Objectivität liege,

nach welcher in ohjectivem Sinne zu haschen gleichsam als ethische

Pflicht bezeichnet wird 343), denn da Alles sein Sein nur von der höch

sten Wahrheit empfängt344), gestaltet sich zuletzt das Sein selbst zu

einem Sollen 345). Hiernach ergibt sich wohl ein schlechthin objectiver

einheitlicher Grund der Wahrheit346), aber je stärker das ausschliess-

342) Dial. d. ver. c. 2, p. 1091'.: M. Quando est enuntiatio vera? D. Quando

esl , quod enuntial sive afftrmando sine negando ; dico enim esse quod enuntial,

eliam quando negat esse quod non est, quia sie enuntial, quemadmodum res est.

U. An ergo tibi videlur, quod res enuntiata sit veritas enuntiationis? D. iVon. M.

Quare? D. Quia nihil est verum nisi participando veritatcm , et ideo veri veritas

in ipso vero est; res vero enuntiala non est in enuntialione vera; unde non eius

veritas , sed causa veritatis eius dicenda est.

343) Ebend. p. 110.: M. Ergo non esl enuntiationi aliud verilas, quam reclitudo

D. Video quod dicis ; sed doce me , quid respondere possim , si quis dicat

, quia eliam cum oratio signiftcat esse quod non est , signiftcat quod debet ; pariter

namque accepit signi/icare esse et quod esl et quod non esl , nam si non

accepisset signißcare esse etiam quod non est, non id signißcaret ; quare etiam cum

significal esse quod non est , signiftcat quod debel ; at si quod debet signißcando

recta et vera est, sicut ostendisti, vera esl oratio etiam cum enuntial esse quod non

est. M. Vera quidem non solet dici, cum significat esse quod non est, verilatem

tarnen et reclitudincm habet , quia facil quod debet. Sed cum significat esse quod

esl , dupliciler facit quod debet, quoniam significal et quod accepit significare et ad

quod facta est; sed secundum hanc rectiludinem et veritatem, qua significat esse

quod est, usu recta et vera dicitur enuntiatio, non secundum illam . qua significal

esse etiam quod non est .... Alia esl igitur rectitudo et veritas enuntiationis , quia

significat ad quod significandum facta est, alia vero quia significat quod accepit

significare; quippe isla immutabilis est ipsi orationi, illa vero mutabilis.

344) Ebend. c. 7, p. 112 : An putas aliquid esse aliquando aut alicubi, quod

non sit in summa veritate et quod inde non acccperit , quod est in quantum est,

aut quod possil aliud esse , quam quod ibi est ?

345) Ebend. c. 9, p. 113.: In rerum quoque existentia est similiter vera vel

falsa significalio, quoniam co ipso quia est, dicit se debere esse. Hiemit hängt

auch zusammen, dass Anseimus das reale Nichtsein oder das seiende Nichts völlig

mit dem Bösen idenliflcirt (Epist. H, 8, p. 343 f.) und somit im Vergleiche mit

Scolus Erigena (Anm. 133 ff.) entschiedener den platonischen Realismus bekennt.

346) Ebend. c. 13, p. 115.: Si rectitudo non est in rebus illis , quae debent

rectitudinem , nisi cum sunt secundum quod debent, et hoc solum est illis rectas

esse, manifeslum esl, earum omnium unam solam esse rectitudinem Quoniam

illa (sc. veritas) non in ipsis rebus aut ex ipsis aut per ipsas, in quibus esse dicilur,

habet suum esse, sed cum res ipsae secundum illam sunt, quae semper praesto

est his , quae sunt sicut debent, lunc dicitur huius vel illius rei veritas.

XIII. Anseimus. 89

lieh spiritualistische Erfassen desselben betont wird 34T), desto weniger

ist verständlich, wie der logischen Form des Urlheiles noch irgend eine

principielle Function verbleiben solle.

Wie wenig durchgebildet aber die Auffassung der Logik überhaupt

bei Anseimus gewesen sei , erhellt am deullichsten aus der Schrift,

welche den Titel „Dialogus de grammalico" führt348). Dieselbe ist

allerdings nur ein Schul-Exercitium, welches Anselmus, wie er selbst

sagt, nur im Hinblicke auf übliche zahlreiche Erörterungen ähnlicher

Art verfasste349); aber während wir nicht wissen, ob jene anderen

dergleichen Schriften etwa hesser gewesen seien, ersehen wir jedenfalls,

dass die des Anselmus auf einem bedauerlich niedrigen Standpunkte

stehe. Denn sie ist ein fortgesetztes verstandloses Spiel mit angelernten

Lehrsätzen aus Boethius und bewegt sich in dem tädiösen Bemühen,

Schwierigkeiten, wo kein vernünftiger Mensch welche finden kann, vor

erst aufzustöbern und dieselben dann in adäquater Weise wieder zu

lösen, — kurz, sie ist ein ebenso geringfügiges Erzeugniss einer höchst

beschränkten Schulweisheil wie die obige Schrift Gerbert's, und davon,

dass durch dieselbe das dialektische Studium gefördert worden sei,

kann um so weniger eine Rede sein, als sie sogar bezüglich der logi

schen Parteifrage sich als äusscrst stumpf und matt zeigt.

Das Ganze dreht sich um die Frage, ob „grammaticus" Substanz

oder Qualität sei, da beides zugegeben werden müsse, aber nicht zu

gleich wahr sein könne350). Die vernünftige Antwort aber, dass nem-

347) Ebend. c. 11, p. 113.: Nempe nee plus nee minus conlinet isla diffinitio

veritalis, quam expediat, quuniam nomen rectitudinis ditidit eam ab omni re,

quae rectitudo non vocatur ; quod vero sola mente percipi dicitur, separat eam a

recliludine visibili.

348) Aoselmus sagt selbst (Prof. ad L. d. ver. p. 109.): edidi tractatum non

inulilem, ut puto, introducendis ad dialecticam, cuius initivm tst „De grammalico",

und aus einer diess wiederholenden Stelle bei Sigeb. Gembl. d. scr. eccl. c. 168.

(Fabric. Bibl. eccl. p. 114.: scripsit.... alium librum introdticendis ad dialecticam

admudum ulilem, cuius inilium esl ,,De ijrammaüco") entstand die irrige Meinung,

er habe auch eine eigene ,,lnlroductio in dialecticam" geschrieben.

349) Dial. d. gramm. c. 21, p. 150.: Tarnen quoniam sei's, quantum noslris

Itmporibus dialectici ccrlent de qttaestione a te proposila, nolo te sie his quae diximus

inhaerere, ut ea pcrlinaciter leneas , si quis validioribus argumenlis haec. deslruere

et diversa valueril astruere ; quod si conligerit, sattem ad exercilationem

ditputandi nobis haec profecisse non negabis.

350) Ebend. c. l, p. 143.: De grammalico pcto ul me cerlum facias, utrum

sit substantia an qualitas,' ut hoc cognilo, quid de aliis quae simulier denominatäe

dicunlur, sentire debcam, agnoscitm. Die Quelle der Frage liegt darin, dass

Boethius (p. 121.), wo in den Kategorien grammaticus als denominalivum von

grammatica angeführt wird, in der Erklärung den Aristarchiis als Beispiel eines

grammalicus nennt, und ausserdem bei der Subslanz (p. J34.) grammaticus aus

drücklich bis zu animal zurückgeführt wird, daneben aber (p. 185 f.) bei der Kate

gorie der Qualität grammaticus zum steheitden Beispiele geworden war. Daher

stellt nun Anselmus Folgendes als sich Widersprechendes nebeneinander: Ul quidem

grammaticus probctur esse substantia , sufßcit quia omnis grammalicus komo , et

omnis homo substantia (vgl. Jtoelh. ad Pnrph. p. 63 f.) Quod vero grammaticui

sit qualitas , aperlc fatentur philosophi, qui de hac re tructaverunt , quorum auctorilatem

de his rebus esl impudentia improbare. Item quoniam necesse est, ul grammaticus

sit aul substantia aut qualitas , cum ergo alterum horum verum sit

alterum falsum, rogo ut falsilatem detegens aperias mihi verilatem.

90 XIII. Anseimus.

lieh dennoch beides wahr sei, wird auf den verkünsteltslen Umwe

gen herbeigeführt 351). Der Annahme nemlich , dass es eine Substanz

darum sei, weil ja der Grammatiker ein Mensch, der Mensch aber Sub

stanz ist, tritt zunächst ein verzerrter Syllogismus gegenüber, dessen

Sfhlusssalz dahin lautet, dass kein Grammatiker ein Mensch sei352),

was vorerst dadurch widerlegt wird, dass man auf gleiche Weise auch

beweisen könne, dass kein Mensch ein lebendes Wesen sei 353), worauf

erst nachhinkend die Hinweisung auf den im MitlelbegrifTe liegenden

Formfehler jenes Syllogismus folgt, und die anli-nominalistische Bemer

kung sich anknüpft, dass die Kraft des Schliessens nicht in den aus

gesprochenen Worten, sondern in dem inneren Gedanken liege354).

Das hieraus gewonnene Resultat aber, dass Grammatiker und Mensch

nicht identisch sind355), wird nun neuerdings syllogistisch dahin ver

zerrt, dass kein Mensch ein Grammatiker sei, und zwar geschieht auch

diess nur, um mit abermaliger Beiziehung des analogen Schlusses, dass

kein Mensch ein vernünftiges Wesen sei , zur Berichtigung des Mittelbegriffes

zu gelangen und hiedurcb auf das bereits dagewesene Resultat

zurückzukehren, dass das Wesen des Menschen nicht das Wesen des

Grammatikers sei356). Aber auch diess genügt noch nicht, sondern

351) Ebend. c. 2.: Argumenta, quae ex utraque parle posuisti, necessaria

sunt, nisi quod dicis, si allerum est, alterum esse non passe; quare non debes a

me exigere, ut alteram partem esse falsam oslendam, quod ab ullo fieri non polest ;

sed quomodo sibi invicem non repugnent, aperiam, si a me fieri potesl. Sed vellem

ego prius a te ipso audire , quid his probationibus tuis obiici passe opineris.

352) Ebend. : Illam quidem propositionem quae dicit , grammaticum este hominem,

hoc modo repelli exislimo: quia nullus grammatictts polest intelligi sine

grammatica, et omnis Homo polest intelligi sine grammalica, item omnis grammaticus

suscipit magis et minus (diess ans Boeth. p. 186.) . et nullus homo suscipit magis

et minus, ex utraque contexlione binarum propositionum conßcilur una conclusio,

id esl, nullus grammaticus esl homo.

353) C. 3, p. 143 f.: Non sequitur Contexe igitur lu ipse quatuor proposiliones

in duos syllogismos : Omne animal potesl intelligi praeter rationalitatem;

nullus vero homo polest intelligi praeler rationalitatem. Item: Nullum ani

mal rationale est ex necessilate ; omnis autem homo ralionalis esl ex necessitale.

Ex utroque hoc ordine binarum propositionum videtur nasci: nullus igilur homo esl

animal; quo nihil falsius, licel praecedenles proposiliones titubare in nullo videam

Sed Video horum duorum syllogismorum connexionem per omnia simücm illis

duobus quos paulo anle proluli.

354) C. 4, p. 144.: Junge has duas propositioncs ita integras sicut eas modo

protulisti. Omnis homo potesl intelligi homo sine grammalica ; nullus grammaticus

polest intelligi grammalicus sine grammalica Video, eas non habere communem

terminum , et idcirco nihil ex eis consequi Cummunis terminus syllogismi non

tarn in prolatione quam in sentenlia est habendus; sicut enim nihil efficilur , si

communis est in voce et non in sensu,- ita nihil obest, si est in intelleclu et no»

m prolatione ; sententia quippe ligat syllogismum , non vcrba (so also denkt der

Erfinder des ontologischen Beweises über die Form des Syllogismus!).

355) C. 5.: Exspecto, ul reddas* effectum propositionibus mm.... Conßcilur

ergo , quia esse grammatici non est esse hominis St ita intelligas • ,,yramma—

ticus non est homo", ac si dicatur ,, grammalicus non esl idem quod homo", i. e.,

non habenl eandem difßnitionem , vera esl conclusio.

i 356) C. 6.: Si quis ila conlexerel ,, Omnis grammaticus dicitur in eo quod

quäle (der Ausdruck in eo quod quäle stellt b. Boeth. ad Porph. p. 87 f.) ; nullus

homo dicitur in eo quod quäle ; ergo nullus homo grammaticus", tale mihi hoc videretur

esse, ac si diceretur „Omne rationale dicüur in eo quod quäle; at nuUus

XIII. Anseimus. 91

mit steter Umgehung Hessen, was jeder vernünftige Mefisch von vorneherein

gewnsst und gesagt hätte, wird wieder ein anderweitiger Syllo

gismus beigebracht i dessen Schlusssalz lautet, dass kein Stein ein

Mensch sei, und es knüpft sich daran die Hinweisung auf den Unter

schied der beiderseitigen Schlusssätze, insoferne man wohl sagen müsse,

dass der Stein in keinerlei Weise ein Mensch sei, nicht aber behaupten

dürfe, dass der Grammatiker in keinerlei Weise ein Mensch sei357);

ja noch einmal folgt, und zwar nun in dileromatischer Form, ein ver

schrobener Beweis, dass kein Grammatiker ein Mensch sei, um neuer

dings zu dem jetzt modifioirten Resultate zurückzukommen, dass das

Grammatiker-Sein nicht schlechthin dasselbe sei wie das Mensch-Sein 358).

Diess Alles aber ist noch nicht genug, sondern die Sache wird von

Schritt zu Schritt immer ungeniessbarer. Nemlich vorerst wird die

Möglichkeit offen gelassen, nunmehr nach Analogie des Weiss-Seins doch

wieder zu schliessen, dass einige Grammatiker keine Menschen seien 359);

sodann aber wird ein aus der Wesens-Verschiedenheit zwischen Gram

matik und Mensch (da ersteres eine Inhärenz sei, letzteres aber nicht)

gezogener abermaliger Schluss , dass kein Grammatiker ein Mensch sei,

dazu benützt, um mit anti-nominalistischer Betonung der res das Resul

tat auszusprechen, dass der ohjectiv sachliche Gehalt des Grammatikers

in „Mensch" und „Grammatik" liege, wornach grammaticus zugleich

liomo dicitur in eo quod quäle; nullus ergo homo rationalis" ; hoc autem nulla

probatio verum efflcere valet, ut rationale praedicetur de nullo homine. Similiter

ille Syllogismus, quem modo protulisti , non necessario concludil, grammalicum non

praedieari de homine; hoc enim signific.anl eius propositiones, si secundum veritalem

eas intelligimus , tanquam si diceretur ita ,,0mnis grammalicus dicilw grammaticus

in eo qtwd quäle; nullus homo dicitur homo in eo quod quäle"; ex his autem

duabus proposilionibus nequaquam consequitur ,,nulhis grammaticus praedicatur de

homine" .... Si quis vero .... ita velit inlelligere , ac si diceretur ,,homo non est

idem quod grammaticus' ' , ud hoc probandum, quia essentia hominis non cst

essenlia grammatici, habet carum significatio eommunem terminum.

357) C. 7, p. 145.: Die mihi , si quis sie proponeret „Nullus homo polest

intelligi sine rationalitate ; omnis autem lapis potest intelligi sine ralionalitate",

quid consequeretur, nisi ,,nullus igitur lapis homo" Die ergo quid differt

iste Syllogismus ab Mo tuo syllogismo ? Sed quoniam iste quodam alio modo

polest intelligi, quo ille tuus non polest, habet hanc conclusionem , ut nullo modo

lapis possit esse homo Si« potest, immo debet accipi , ac si dicatur ,, Nullus

homo potest aliquo modo intelligi sine ralionalitate; omnis vero lapis quolibet modo

polest intelligi sine rationalitate", unde conßcitur ,,nullus igitur lapis aliquo modo

est homo". In tuis vero proposilionibus veritas nequaquam similem admittit subauditionem.

358) C. 8.: Esse grammatici non est esse hominis. Si hoc est, qui habet

essentiam grammatici, non ideo necessario habet essentiam hominis, non est

igitur omnis grammaticus homo. At cum omnibui, grammaticis una sit ratio, für

sint homines, profecto (tut omnis grammaticus est homo aut nullus; sed constat,

quia non omnis ; nullus igitur Debet inlelligi illa argumentatio hoc modo : si

esse grammalici non est simpliciter esse hominis, qui habet essentiam grammatici,

non ideo sequilur ut habeat simpliciter essentiam hominis ; ita vero nihil aliud

seqititur, nisi ,,nullus grammaticus esl simpliciter homo".

359) C. 9.: Verum si probarelur, quod, M« puto , fädle ficri polest, quia esse

grammatici ita non cst esse hominis sicut esse albi non est esse hominis, tunc

vere sequeretur aliquem grammaticum passe esse non hominem.

92 XIII. Anseimus.

nach der einen Seite Substanz und nach der anderen Qualität sei 36°).

Nachdem aber ein neuer gegen die Substanzialität des Grammatikers

erhobener Einwand siegreich durch den eben eingenommenen Stand

punkt beseitigt scheint301)» steigt wieder eine andere Schwierigkeit auf ;

denn die beständige Gewohnheit der Dialektiker, das Wort „Gramma

tiker" stets als Beispiel der Qualität, nie aber als Beispiel der Substanz

anzuführen, widerstreite gerade dem gewöhnlichen Sprachgelirauche,

nach welchem man nie jenes Wort an Stelle der damit bezeichneten

Qualität setzen könne, und ferner müsse folgerichtig auch der Begriff

„Mensch", in welchem gleichfalls Qualitäten enthalten seien, ebenso als

Beispiel der Qualität verwendet werden können, was doch nie ge

schehe 362). Diess wird nun dadurch gelöst, dass das Wort „Mensch"

wirklich eine reale Einheit bezeichne und daher wahrhaft ein significativum

betreffs der Substanz sei, nicht aber eigentlich als prädicatives

appellativum auftreten könne, wohingegen das Wort „Grammatiker" nur

eben bezüglich des realen Dinges, welches die Grammatik ist, an sich

(per se) ein significalivum sei , betreffs des Menschen aber nur mit

telbar (per aliud) als blosses appellalivum gebraucht werde, denn über-

360) Ebend.: Aristoteles ostendit, grammaticam (bei Gerberon steht sinnlos

grammaticum) eorum esse quac sunt in subiecto (aus Boeth. p. 119., s. Abschn. XII,

Anm. 92.) , et nullus homo est in subieclo; quare nullus grammaticus homo. M.

Noluit Aristoteles hoc consequi ex suis diclis, nam idem Aristoteles dicit quendam

hämmern et hominem et animal grammaticum (Boeth. p. 134.) Cum loqueris

mihi de grammatieo, num intelligam te loqui de hoc nomine , an de rebus quas

significat? D. De rebus. M. Quas ergo res significat? D. Hominem et grammaticam

M. Die ergo: homo est substantia an in subiecto? D. Non est in subiecto,

sed est substantia. M. Grammatica esl qualitas et in subiecto? D. Utrumque esl.

M. Quid ergo mirum , si quis dicil , quia grammaticus est subslantia et non esl in

subieclo secundum hominem, et grammaticus esl qualitas et in subiecto secundum

grammaticam.

361) C. 10, p. 146.: Sed unum adhuc dicam, cur grammaticus non sit sub

stantia: quia omnis substantia est prima aut secunila (Boeth. p. 128., s. Abschn.

XII, Anm. 91.), grammaticus autem nee prima nee secunda. M. Memento dictorum

Aristotelis quae paullo anle dixi Sed tarnen unde probas? D. Quia est in sub

ieclo, quod nulla suhstanlia esl, et dicitur de pluribus, quod primae non est, nee

est genus aut species nee dicilur in eo quod quid, quod est secundae (Koelh. p. 72.).

M. Nihil horum , si bene meminisli quae iam diximus, auferl grammatieo substanliam

, quia secundum aliquid grammaticus non est in subiecto et est genus et spe

cies, ....est etiam individuus , sicut homo et animal, .... Socrates enim et homn

et animal est et grammaticus.

362) C. 11.: Nemo qui intelligit nomen grammatici, ignorat , grammaticum

significare et hominem et grammaticam, et tarnen si hac ftducia in populo loquens

dicam ,,utilis scientia est grammaticus"^ aut ,,bene seit iste homo grammaticum",

non solum stomachabuntur grammatici, sed et ridebunt ruslici. fiullatenus itaque

credam sine aliqua alia ratione tractatores dialecticae tarn saepe et tarn sludiose in

suis libris scripsisse , quod idem ipsi colloquentes dicere erubescerent. Saepissime

namque ubi volunl ostendere qualilatem aut accidens , subiungunl ,,ut grammaticus

et similia", cum grammaticum magis esse substantiam quam qualitatem aul accidens,

usus omnium loquentium atteslctur; et cum volunt aliquid docere de substantia,

nusquam proferunt ,,ut grammaticus aut aliquid huiusmodi". Huc accedit: cur

homo non est sinüliler qualitas et substantia? homo namque signiftcal substantiam

cum omnibus illis di/ferenliis quae sunl in homine, ut est sensibilitas et mortalilas ;

sed nusquam ubi sit scriptum aliquid de qualitale aliqua, prolatum esl ad exemplum

,,velut homo".

XIII. Anseimus. 93

haupt falle das appellaltium nur dem gewöhnlichen Redegebrauche anheim,

während das significalivum die reale Substanz enthalte363).

Ahnen wir nun schon hiernach, worauf das Ganze hinauslaufen werde,

so vergönnt uns Anseimus noch nicht sofort den Gcnuss seiner realisti

schen Auffassung, sondern schleppt uns noch einige Zeit durch unver

ständige Tändeleien hindurch. Nemlich der Einwand, dass „Gramma

tiker" und „Mensch" demnach in gleicher Weise bezeichnende Aussagen

seien, und hiemit ersleres gleichfalls in einer realen Einheit den Begrifl'

des Menschen und den Begriff der Grammatik umfasse, soll nun da

durch widerlegt werden, dass dann Grammatik kein Accidens, sondern

eine Wesens-DiU'erenz wäre, was ebenso von allen ähnlichen Qualitäten

gellen müsste, sowie auch die Folgerung sich ergäbe, tlass dann ein

Nicht-Mensch, welcher Grammatiker wäre, eben deshalb zugleich ein

Mensch sein müsste 3ti4); ferner sei ja gerade die Adjektivl'orm des

Wortes grammalicus zu bedenken, denn wenn „Mensch" schon an sich

in „Grammatiker" enthalten wäre, könnte man durch Substituirung ins

Unendliche fort das Wort „Mensch" wiederholen müssen, und überhaupt

verrücke man den Standpunkt der abgeleiteten Appellativa, da dann z.

363) C. 12.: fiempe nomen hominis per se et ul unum significal ea, ex quibus

conslat totus homo Quapropler quamvis omnia simul vclut unum totum sub

Wla significatione wio nomine appellentttr homo , sie lamen principaliter hoc nomen

esl significalivum et nun (non fehlt widersinnig bei Gerlicron) appellativum substanliae

Grammalicus vero non significal hominem et grammaticam ul unum, sed

grammaticam per se et hominem per aliud, et hoc nomen quamvis *// appellalivum

hominis, non tauten pruprie dicitur eius signi/icnlnum, et licel stt significalivum

grammaticae , non tarnen propric est eius appellalivum. Appellativum • indem nomen

cuiuslibet rei nunc dico , quo res ipsa usu loquendi appellalur. Diese Unterschei

dung zwischen significalivus und appellalitus ist gleichfalls aus Boethius geschöpft,

einerseits im Hinblicke auf die dortige (p. 308 f.) Delinition des Substantives, und

andrerseits in Folge ausdrücklicher Angaben des Boethius, welcher die betreffende

Stelle Categ. c. 5. folgendermaassen übersetzt (p. 138.): in secundis vero substantiis

videtur quidem simililer appellationis ftgura hoc aliquid significare, non

lamen verum esl , sed magis quäle aliquid signi/icat , wozu noch Bemerkungen bei

der Kategorie der Qualität kommen (p. 174.): qualilas sectindum Arislolelem ipsa

quoque mullipliciter appellatur et communis est multiplcx appellatio etiam in

his nominibus, quae veluli genera de speciebus dicuntur; und (p. 183.): gramma-

Hci enim a grammalica nominanlur , alque hoc est in pluribus , ul posito nomine

si quid secundum ipsas qualilales quäle dicilur, ex las ipsis qualilatibus appellatio

derivelur dislinclis qualilatum vocabulis appellanlur. So ist also auch bei

Anseimus durchweg der bisherige beschränkte Quellenkreis nicht überschritten,

und hätte man damals schon die Ueberselzung der Analytik gekannt, so wären

wohl derartige Erörterungen überhaupt unmöglich gewesen.

364) C. 13, p. 147.: Sicul enim homo conslat ex animali et rationalitale et

mortalitate et idcjrco homo signiftcat haec Irin, ita grammaticus constal ex homine

et yrummalica et ideo nomen hoc significal ulrumque M. Si ergo Ha esl , ut

tu dicts , diffinilio et esse grammalici est homo sciens grammaticam .... Non est

igilur grammalica accidens, sed subslantialis differenlia, et homo esl qenus et gram

malicus species ; nee dissimilis esl ralio de atbedine et similibus accidenlibus , quod

falsum esse tolius artis traclalus oslendil (Boeth. p. 79 ff.) Ponamus, quod

iil u a i mal aliquod rationale, non lamen homo, quod ita sciat grammaticam sicut

homo Est igilur qliquis non homo sciens grammaticam ul omne sciens gram

maticam est grammaticum .... est igilur quidam non homo grammaticus .... sed tu

dicis in grammatico inlelligi hominem quidam ergo non homo est homo, quod

falsum est.

94 XIII. Ansclnms.

6. auch hodiernus ein Zeitwort sein müsste 365). Nachdem aber hiedurch

als bewiesen gilt, dass grammalicus nicht die Suhslanlialitiil des

Menschen einheitlich in sich schliesse, sondern nur die adäquate Be

zeichnung der Grammatik allein sei , soll nun noch deutlich gemacht

werden, in welcher Weise grammalicus bloss mittelbares A|>|iullativum

des Menschen sei ; diess geschieht mit der sinnlosesten Vertauschung

attributiver Begriffe durch ein Beispiel, da, wenn ein weisses Pl'erd und

ein schwarzer Ochs nebeneinander stehen, durch das Wort „Weiss"

mittelbar das Pferd bezeichnet werden könne 3Ö^). Das hi.evon zu er

wartende Resultat ist , dass alle appellative Bezeichnung nur accidenlell

sei 3(i7), wornach der ganze Umkreis des menschlichen Redens, welches

sich in Urlheilen bewegt, dem Accidenlellen anheimfällt, und hiemil

das Wesen des Prädicales für die Logik vernichtet ist, sobald dasselbe

nicht mit dem substantiellen Subjecte identisch bleibt. Ja, es wird

gegen jene Folgerung ein neuer Einwand beigebracht, um siegreich aus

demselben zu dem verstärkten Standpunkte zurückzukehren; nemlich es

könne eingewendet werden , dass bei solcher Trennung von Substanz

und Accidens nun da, wo Mensch und Gramnialik sich in dem Gram

matiker vereinigen, nur die Wahl bleibe, entweder den Grammatiker

selbst sofort als eine blosse Qualität zu bezeichnen , oder sich ausschliesslich

auf die Substanz zu werfen, so dass der Mensch allein in

dieser seiner Substanzialilät schon der Grammatiker wäre 3(i8). Letztere

Alternative nun wird durch ein Wortspiel und ein Gleichniss beseitigt,

denn der Mensch bleibe ja in seiner Selbstständigkeil, während er die

Grammatik als Eigenschaft besitze, und es sei ebenso, wie wenn von

365) Ebend. : St komo esl in grammalico, non praedicalur cum eo simul de

aliquo , non enim apte dicitur, quod Socrales est homo animal (Koelk. p. 64.)

...., sed convenienler dicilur , quod Socrates esl homo grammalicus.... Item, si

grammaticus esl homo sciens grammalicam , ubicunque ponitur grammaticus , apte

ponitur homo sciens grammalicam si igüur apte dicilur ,, Socrates esl homo

grammalicus", aplc quoque dicilur ,, Socrates esl homo homo sciens grammaticam"

...et sie in infinitum Item simulier in omnibus denominath'is id quod denominalur

cum eo inlelligendum est a quo denominalur .... ergo kodiernmu significal

id quod vocalur hodicrnum et hodie ergo hodiernum non est nomen, sed verbum,

quia est vox significans tempus.

366) C. 14.: Sufficienler probalum est, grammaticum non esse apellalivum

grammalicac, sed hominis , nee esse signißcativum hominis, sed grammalicae ; sed

quoniam dixisli, grammaticum significare grammaticam per se et kominem per aliud,

peto ut aperlc mihi has dtias significationes dislinguas M. Quid si vides stanles

iuxla se invicem album equum et nigrum bovem et dicit libi aliquis de equo

,,percule illum" non monstrans aliquo signo , de quu dical , an scis, quod de equo

dicat. D. Non. M. Si vero nescienli libi et interroganti ,,quem?" respondet „all/um",

inteltigis , de quo dicit ? D, Equum inlelligo per nomen albi .... Namque nomen

equi . . . . significal mihi equi substantiam per se et non per aliud; nomen vero albi

substantiam equi significal non per se, sed per aliud, i. e. per hoc quod scio equum

esse album. (Wohl zu bedauern ist der Leser, welcher solchen Unverstand durch

machen soll; jedoch ich musste das Hauptsächliche objectiv vorführen, da ein

blosses subj'ectives Urlheil, dass Anseimus in dieser ganzen Schrift sich als logisch

impotent zeige , Niemandem genügt hätte.)

367) C. 15, p. 148.: harum duarum significationum illa, quae per se esl, ipsis

vocibus significalivis est substantialis , alia vero, quae per aliud est, accidentalis.

368) -C. 16.: Non sine scrupulo accipil animus , grammaticum aut hominem solum , i. e. sine grammatica, esse grammaticum. esse quaiitalent

X1H. Aiiseliwis. 95

zwei Fussgängern der Eine voraus und der Andere hinterdrein gehe,

denn der Vorausgehende sei allein, insoferne er allein vorausgehe, und

zugleich nichl allein, insoferne ein Anderer mitgehe300). Die erslere

Alternative aber wird zum Bekenntnisse des Realismus henützt, wobei

Anseimus mit verbissener Resignation auf die Anschauungen der aristote

lischen Dialektiker eingeht, um wenigstens zu retten, was zu retten ist,

denn da die Auclorität der Kategorien doch als zu gross galt, um sie

vollends zu verwerfen , musste eine realistische Interpretation versucht

werden. Anseimus nemlich sagt, den Grammatiker lediglich als Qualität

zu bezeichnen, sei nur nach dem Standpunkte der aristotelischen Kate

gorien richtig, denn in denselben handle es sich allerdings weder um

das reelle Sein der Dinge selbst, noch auch um die bloss appellative

Bezeichnung durch Worte, sondern um die voces significativae (s. ob.

Au m. 363), insoweit dieselben das substantielle Sein an sich selbst

unmittelbar bezeichnen , und darum sei es in richtiger Weise bei den

Dialektikern üblich geblieben, sich nur in dieser substantiellen Bezeichnimgsweise

zu bewegen, d. h. den Grammatiker nur als Beispiel der

Qualität zu gebrauchen370); denn in diesem realistischen Sinne sei im

Hinblicke auf die Kategorien der Grammatiker eben sprachlich und sach

lich eine Qualität, hingegen abgesehen von dieser dialektischen Betrach

tung, welche aber hiemit das wesentlich substantielle Sein enthalten

soll, bleibe nur das Gebiet der gewöhnlichen appellativen Redeweise

übrig, in welcher der Grammatiker ein Mensch genannt werde, ebenso

wie z. B. in der Betrachtung der Wertformen der Stein richtig ein

Masculiuum genannt werde, während im gewöhnlichen Sprechen ihn

369) Ebend.: quod homo sulus , i. e. sine grammalica, esl grammalicus,

duobus modis intelligi polest, uno vero , altero /'a/so. Homo quippe (diess ist der

verus modus) solus, i. e. absque grammalica, esl grammalicus , quia solus esl habens

grammalicam , grammalica namque nee so/a nee cum homine habet grammaticum.

Sed homo solus, i. e. absque grammalica, non cst grammalicus, quia absenle

grammalica nullus esse grammalicus polest (d. h. der /alsus modus wäre , jenen

Satz so zu verstehen, als müsse nicht doch noch die Grammatik zur selbstän

digen Menschen-Substanz hinzukommen). Sicul qui praecedendo ducil alium , el

solus esl praevius , quia qui scquilur non esl praevius , el solus non est praevius,

quia nisi sit qui sequatur , praevius esse non polest. Hindurch also glaubt der

Realist das Verhältniss der Inhärenz erklärt zu haben.

370) C. 16.: Cum vero dicilur , quod grammalicus esl qualilas, non rede nisi

secundum Iraclalum Aristolelis de categoriis dicilur. C. 17.: D. An aliud kabel

tue traclalus quam ,,omne quod est, aul esl subslanlia aul quanlitas aul qualilus

etc." (Boelh. p. 127.) M. Non lamen fuil principalis intenlio Arislotelis , hoc

in illo libro ostendere r sed quoniam omne nomen vel verbum aliquid horum signi-

/icai ; non enim inlcndebal ostendere , quid sint singulae res , nee quarum rerum

sinl appellalivae singulae voces, sed quarum significalivae sinl ; sed quoniam voces

non significanl nisi res , dicendo quid sil quod voces significanl , necesse fuil dicere

quid sint res De qua significalione videlur tibi dicere, de illa qua per se

significant ipsae voces el quae illis esl subslanliulis , an de allere quae per aliud

ett et accidenlalis ? D. Nonnisi de ipsa , quam idem ipse eisdem vocibus inesse

diffiniendo nomen el verbum (Boelh. p. 293 f.) assignavil, quae per se significanl.

M. An pulas aliquem eorum, qui eum sequenles de diaieclica ecripserunl, aliler

senlire voluisse de hoc re , quam senlil ipse? D. Nulto modo eorum scripla hoc

aliquem opinari permitlunl , quia nusquam invenilur aliquis eorum posuisse aliquam

vocem ad oslendendum aliquid quod significet per aliud, sed seinper ad hoc quod

per te tignificat.

06 XIII. Anselmus.

Niemand als ein männliches Wesen bezeichne311). Also Anselmus er

blickt in den Kategorien wohl eine formelle Macht, bezieht dieselbe aber

lediglich auf die olijectiv vorliegende Tabula logica des wesentlichen

Seins. Wie roh er aber dieses verstanden habe , erhellt deutlich aus

dem Schlüsse der Schrift , wo noch die Frage erörtert wird , ob Ein

Ding unter mehrere Kategorien fallen könne; denn wenn z. B. gesagt

wird, dass armalus auch unier die Kategorie der Substanz gehören

könne, weil der Bewafl'nete eine Substanz, nemlich die 'Waffen, an sich

habe, so ist diess allerdings der Gipfelpunkt logischen Unverstandes,

und wir schliessen gerne mit dem Entscheide, welchen Anselmus hier

über gibt, dass nemlich eine einheitliche Sache schwerlich (— denn

völlig gewiss will er auch diess nicht behaupten —) unter mehrere

Kategorien fallen könne, wohl hingegen ein Wort, welches mehrere

Bedeutungen enthalte, als ein nicht einheitliches nach mehreren Kate

gorien betrachtet werden könne, wie diess z. B. bei albus der Fall sei,

welches sowohl zur Qualität als auch zur Kategorie des Habens ge

höre372).

So verwickelte sich dieser stumpfsinnige Realismus durch eigenes

Unvermögen in Schwierigkeilen , welche für eine wirklich logische Be

trachtungsweise überhaupt nicht existiren , und das gesummte Auftreten

des Anselmus erscheint uns nur als ein Beleg dafür, dass der realistische

Objectivismus mit einem angebornen Missgeschicke in Bezug auf Fragen

der Logik behaftet sei.

Ueberhaupl aber scheint damals , d. h. an der Gränzscheide des

11. und 12. Jahrhundertes, als das Resultat älterer und neuerer logi-

371) C. 18, p. 148 f.: Si ergo proposita divisione praefata (d. h. die Eintheilung

in die zehn Kategorien) quaero a te, quid sit grammalicus secundum hanc

divisionem et secundum eos, qui illam scribendo de dialectica sequunlur, quid quaero

aul quid mihi respondebis? D. Procul dubio non hie polest quaeri nisi aut de voce

aut de re quam signiftcal ; quare quia conslat , grammaticum non significare secun

dum hanc divisionem hominem sed grammalicam, incunctanter rcspondebo, si quaeris

de voce, quia est vox significans qualilatem, si vero quaeris de re, quia cst qualilas

Quare sive quaeralur de voce sive de re , cum quaeritur quid sit gram

malicus secundum Arislotelis traclalum et secundum sequaces eins, rede respondetur

„qualitas", et tarnen secundum appcüalionem vere est subslantia. M. lla est; non

enim movere nos debet , quoA dialeclici aliler scribunt de vocibus secundum qttod

sunt significativae , aliler eis ulunlur loquendo secundum quod sunl appellativae; si

et grammalici aliud dicunt secundum formam vocum atiud secundum rerum naturam ;

dicunl quidem lapidem esse masculini generis cum nemo dical lapidem esse

masculum.

372) C. 19, p. 149.: Nam si grammaticus est qualitas, qui signißcat qualitatem,

non video cur armatus non sit subslantia, quia significat habentem substantiam,

i. e. arma sie grammaticus signißcat habere, quia signiftcal haben

tem disciplinam. M. Nullatenus .... negare possum, aul armalum esse substantiam

aul grammaticum esse habere Rem quidem unam et eandem non puto sub diversis

aptari passe praedicamentis , licet m quibusdam dubitari possil , quod niaiori

et altiori dispulalioni indigere existimo (wir wären in der Thal begierig gewesen

auf diese altior disputalio) .... Unam autem vocem plura significantem non ul unum

non video quid prohibeal pluribus aliquando supponi praedicamenlis , ul si albus

dicitur qualitas et habere. Hierauf folgt noch C. 20 f. die Erörterung, dass albus

kein einheitlicher Begriff, sondern eben aus qualilas und habere zusammenge

klebt sei.

XIII. Honorius v. Autun. 97

scher und theologischer Differenzen sich ein noch ziemlich plump aus

gesprochener Gegensatz zwischen Nominalisten und Realisten herausge

stellt zu haben, indem man sowohl ausser diesen zwei Standpunkten

keinen anderweitigen ins Auge zu fassen fähig war, als auch jeden der

beiden einseilig nocli in extremer und gleichsam ungeschliffner Weise

aussprach. Eine weit reichere und mehr disciplinirte Entwicklung wer

den uns sogleich schon die nächsten Jahrzehnte darbieten, der späteren

Zeit vorläufig ganz zu geschweigen.

Ja bei Einzelnen mochte damals die Auffassung der üblichen Schul-

Logik noch völlig unberührt von dem Parteislreite bleiben, und als ein

Beispiel gänzlicher Naivetät in dieser Beziehung sowie betreffs der Logik

überhaupt können wir zum Schlüsse dieses Abschnittes noch aus dem

Anfange des 12. Jahrb. einige ergötzliche Bemerkungen des Honorius

von Autun (zwischen 1100 und 1120 litterarisch thälig) anführen,

welcher die sieben freien Künste als ebensoviele Wohnsitze der Seele

schildert und dabei über die Dialektik Nichts weiteres vorzubringen

weiss, als dass man durch fünf Thore (die quinque voces) in die eigent

liche Burg (d. h. die zehn Kategorien) gelange, woselbst zwei Kämpfer

in Bereitschaft seien, nemlich der kategorische und der hypothetische

Syllogismus, welche Aristoteles in der Topik ausgerüstet und dann in

dem Buche d. inlerpr. auf das Schlachtfeld geführt habe, so dass man

hier in dem Kampfe gegen die Kelzer sich methodisch üben könne 313).

373) Honor. Augustod. d. animae exilio et patria, c. 4. bei Pez, Thes. II, p.

229 f. : Tertia civilas est diatectica multis quaestionum propugnaculis munita ....

Haec per quinque portas adventantes recipit, scilicel per yenus , per species, per

di/ferens , per proprium, per accidens , unde et isagogae introductiones dicuntur,

quia per lias repalrianles Mroducuntur. Arx huius urbis est substantia, turres circumstantes

novem sunt accidentia. In hac duu pugiles sunl et litigantes eerla ralione.

dirimunt ; cathegorico et hypothetico syllogismo quasi pracclaris armis vianies

muniunt, quos Aristoteles in Topica recipit, argumenlis instruit, in Perihermenüs ad

latum campum syllogismorum educit. In hac urbe docentur ilinerantes haereticis et

aliis hostibus armis rationis resistere etc.

P RAN T L, Gesch. U.

XIV. ABSCHNITT.

ALLMÄLIGE VERVOLLSTÄNDIGUNG DER KENNTNISS DER

ARISTOTELISCHEN LOGIK.

Wenn ich oben S. 4 sagte, das einzige Motiv einer Einteilung

der Geschichte der mittelalterlichen Logik liege mir in dem äusserlichen

Maasse der beschrankteren oder ausgedehnteren Kennlniss ari

stotelischer Schriften, und es reducire sich der Unterschied zwischen

dem Inhalte des vorigen und dieses jetzigen Abschnittes zuletzt darauf,

dass man bis zum Anfange des 12. Jahrhunderies die beiden Analytiken

und die Topik nebst Soph. Elenchi weder kannte noch benützte, hierauf

aber allmälig auch diese Bücher in den Bereich der Erörterungen ge

zogen wurden, so habe ich hier nun vor Allem die Pflicht, vorerst

eben jene litterarischen Daten festzustellen, durch welche die Abtrennung

begründet wird. Es muss nemlich für diesen ganzen Abschnitt, mit

welchem wir in die bewegte Zeit Abälard's eintreten und bis zum

Schlüsse des 12. Jahrhundertes fortschreiten, zunächst der Umkreis des

logischen Materiales, aus welchem die zahlreichen Controversen dieser

Periode entsprangen, vor Augen gestellt werden, d. h. wir müssen

nachweisen, dass und wie man allmSlig theils zur Kennlniss der ge-

.sjuiniti.cn schriftstellerischen Leistungen des Boethius , welcher ja das

ganze Organen übersetzt hatte, gelangte, und llieils neue Uebersetzungen

der genannten Bücher anfertigte, um erst hiernach berichlen zu können,

welcherlei Thätigkeit sich unterdessen auf diesem successiv erweiterten

Boden entwickelt habe.

Dass jene angegebene Beschränkung bis zum Anfange des 12. Jahrb.

wirklich bestanden habe, mag nun sowohl durch die im vorigen Abschnille

(Anm. 98, 156, 183, 196, 209, 253, 258, 277, 288, 310,

363) angeführten positiven Notizen , als auch durch den vollständigen

Mangel irgend einer entgegenstehenden Andeutung vielleicht als bewiesen

gellen. Gerade je mehr wir aber für diese vorige Periode die Kraft

des „Beweises aus dem Stillschweigen" für uns in Anspruch nehmen '),

1) Die Möglichkeit allerdings , dass durch neue Entdeckungen in irgend einer

Bibliothek entgegenstehende Notizen zu Tage gefördert werden können, soll hiemit

nicht verneint werden ; aber dennoch würden Solches nur isolirle Fälle seiu,

welche auf den Betrieb der Logik im Ganzen keinen Einfluss ausgeübt hätten,

denn um die allgemeine Haltung der I,ogik zu erkennen, scheinen die bis jetzt

zugänglichen Quellen hinzureichen.

XIV. Das vervollständigte Material. 99

desto sorgfältiger haben wir auch die vereinzelten und gleichsam über

schütteten Spuren beachtet, in welchen von einer bestimmten Zeit an

jenes Stillschweigen gebrochen wird. Der Wendepunkt liegt nemlich

in dem Bekanntwerden der Analytiken und der Topik nebst den Sophist.

Elenchi^), und wenn dasselbe auch noch so leise und allmälig statt

fand, so lässt sich wohl erwarten, dass eine selbst noch fragmentari

sche Kenntnis* dieser Hauptwerke des Aristoteles nicht ausser Zusam

menhang mit dem nun reicheren und mannigfaltigeren Betriebe der

Logik stehen werde.

Schon eine auf das Jahr 1128 gehende Nachricht, welche dahin

lautet, dass „ein gewisser Jacob u s aus Venedig die beiden Analy

tiken, die Topik und die Soph. Elenchi aus dem Griechischen übersetzte

und zugleich mit. einem Commentare versall , obwohl man eine ältere

Uebersetzung der nemlichen Bücher gehabt habe"3), betrifft, wie man

sieht, eben jene Werke, welche in der früheren Periode unbekannt

und unbenutzt gewesen waren, und sowie einerseits zu beachten ist,

dass der Berichterstatter, welcher selbst dem 12. Jahrh. angehört, das

Vorhandensein der hoethianischen Ueberselzung jener Bücher kannte, —

denn eine andere kann unter der „älteren" nicht gemeint sein — , so

ist andrerseits ebenso klar, dass jener Jacobus die Existenz derselben

nicht wusste und eben hjedurch zur Anfertigung seiner eigenen Ueber

setzung veranlasst worden war. Der örtliche Boden aber, welchem

diese beiderseitigen Momente angehören, ist Italien.

Diese wichtige Notiz aber, welche somit ein Bekanntsein jener

Werke und daneben zugleich ein Nichl-ßekannlsein derselben enthält,

steht nicht so vereinzelt, als man glaubte 4). Es scheinen nemlich

wohl auf den ersten Blick einem Bekanntsein jener Bücher ganz ent

schiedene und weitgreifende Aussprüche Abälard's entgegenzustehen.

Letzterer gibt, — abgesehen von seiner uns hier nicht berührenden

Klage über den Mangel einer Ueberselzung der aristotelischen Physik

und Metaphysik5) — ausdrücklich seine logischen Quellen selbst an

und sagt, dass die lateinische Litteratur der Logik auf sieben Schriften

beruhe , welche auf drei Autoren sich vertheilen : man kenne nemlich

2) Jourdain halte in seinen Recherclies criliques wohl nur die Aufgabe , die

im Miltelalter neu entstehenden Ueberselzungen zu untersuchen, und er konnte

diesen Umschwung, soweit er die Kenntniss des Boelhius betrifft, unberücksichtigt

lassen, aber auch für jenen seinen eigentlichen Zweck sind ihm entscheidende

Stellen (s. unten Anm. ]4. 19. 26 ff.) entgangen.

3) Zu einer Stelle bei Robert <le Monte, Chronica ad arm. 1128, b. Pertz,

Monum. VIII, p. 489. , bemerkt ein Fortsetzer (d. h. ,,alia manus", aber nach

Pertz's Angabe, ebend. p. 293., gleichfalls aus dem 12. Jahrh.) Folgendes: Jaeokus

Clericus de Vener.ia transMit de graeco m lalinum quosdam libros Aristolelis

et commenlatus esl, scilicel Topica, Anal, priores et posteriores et Elfnchos, quamvis

antiquior translatio super eosdem libros habcretur.

4) Cousin (Ouvr. inddits d'Abdlard, p. L ff. und auch Fragm. d. phil. du

moyen dge , Par. 1855 p. 56 ff.) irrt gänzlich und schliesst aus den sogleich zu

erwähnenden Stellen Abälard's nur nach dem äusserlichen Wortlaute , ohne den

Inhalt der logischen Erörterungen zu berücksichtigen.

5) Abael. Dialect. b. Cousin, Ouvr. indd. p. 200.: in Physicis et ... in his

libris , quos Metaphysica. vocat, exsequitur (sc. Aristoteles); quae quidem opera

ipsivs nullus adhuc translator latinae linguae aptavit.

7*

100 XIV. Das vervollständigte Material.

von Aristoteles nur die Kategorien und d. interpr., von Porphyrius die

Isagoge , von ßoethius aber seien in Gebrauch d. divis. , d. diff. top.,

syllog. caleg., syllog. hypolh.^); ausserdeni führt er auch einmal eine

Bemerkung aus Sophist. El. ausdrücklich nur mittelbar aus Boethius

an 7). Während also Abälard, wie sich von selbst versteht, aus jenen

schon öfter (vor. Abschn. Anm. 253, 258, 277) berührten Stellen des

Boethius (Absdin. XII, Anm. 77) genau wissen mussle, welche Bücher

Aristoteles geschrieben habe , bekennt er hiemit wohl völligst unzwei

deutig, dass er die Ueberselzungen der Analytiken, der Topik und

Soph. El. nicht benützen konnte. Aber mehr dürfen wir auch aus

diesem Bekenntnisse nicht schliessen, als dass dem Abälard jene Haupt

werke des Aristoteles nicht zur Hand waren , weil dieselben überhaupt

unter den recipirten Schriften (man beachte die Ausdrücke „usus cognovü"

und „in consuetudinem duximus") sich nicht befanden; d. h.

wir sehen, dass man damals in Frankreich an all jenen Orten, in wel

chen Abälard sich umherlrieb oder in welchen man Überhaupt sich mit

Logik beschäftigte, kein Exemplar des wirklichen Textes jener Bücher

besass ; denn halte man solche besessen, so würde der logische Eifer

jener Zeit sie gewiss ans Tageslicht gebracht haben. Hingegen bleibt

dabei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen,, dass anderweitig Einzelnes

aus jenen Schriften dennoch zur Kennlniss des gelehrten Publikums ge

kommen sei, und wenn sich auch nur eine einzige Angabe fände, welche

nachweisbar aus keiner anderen Quelle, als .aus Einem jener Bücher

geschöpft sein könnte, so wäre der Beweis geliefert, dass irgendwie

anderswoher vereinzelte Daten aus den Analytiken und der Topik in

die Atmosphäre der Logiker Frankreichs transspirirten. Den Nachweis

aber, durch welche Männer und auf welche Weise Solches geschehen

sei, möge man uns nicht auferlegen; es ist unmöglich, ihn zu führen,

ja nicht einmal die örtliche Quelle können wir bezeichnen.

Nemlich dass zur Zeit Abälard's Einzelnes aus jenen bis dahin un

benutzten aristotelischen Schriften zur Kunde gekommen war, können

6) Ebend. p. 228.: Confido, non pauciora vel minora me praeslilurum

eloquentiae peripateticae munimenla, quam HU praestiterunt, quos latinorum celebral

studiosa doclrina Sunt autem Ins, quorum septem cudicibus omnis in hac

arte eloqaentia latina armalur. Aristotelis enim duos tanlum, Praedicumentorum

seilicet et Periermenias, libros usus adhuc latinorum cognovil, Porphyrii vero tmum,

qui videlicet de quinque vocibui conseriplus, genere seilicet specie di/ferentia proprio

et accidente, inlroduciionem ad ipsa praeparat praedicamenta, Boetlrii autem quatuor

in consuetudinem duximus libros, videlicet Divisionum et Topicorum cum Syllogismis

tarn categoricis quam hypolheticis. Quorum omnium summam nostrae dialeclicae

texlus plenissime condudet etc. Dass hiebei unter Topica Nichts anderes als die

Schrift d. di/f. top. zu versieben sei, zeigt ausser der eigenen Darstellung dieses Zwei

ges bei Abälard (s. unten Anm. 392 ff.) eine Menge von Stellen , in welchen er

Einzelnes aus d. diff. top. kurzweg als „Topica" des Boetbius citirt, so z. B. Jntrod.

ad Iheol. II, )2, p. 1078. (geht auf d. diff. top. I, p. 858 f.), Theol. Christ.

Hl, p. 1281. (ebenso), Sie et Non, c. 9, p. 41. ed. Lindenknlil (d. diff. lop. U, p.

866.), ebend. c. 43, p. 105. (d. d. top. III, p. 873.), ebend. c. 144, p. 397. (d.

d. lop. II, p. 867.).

7) Dialect. b. Cousin p. 258. : Sex autem sophismalum genera Aristolelem in

sophisticis elenchis iuis positisse, Boethius in secunda edilione Periermenias commemorat

(Boeth. p. 337.).

XIV. Das vervollständigte Material. 101

wir gerade aus Abälard selbst, und zwar nicht hloss an Einem l'unkle,

sondern an mehreren erweisen. Abälard bemerkt einmal bei Bespre

chung der Definition des genus s) , dass unter Umständen auch das In

dividuum Prädicat sein könne, wie z. B. in dem Satze, ,.hoc album esl

Socrates" oder „hie veniens esl Socrales", eine Erwägung, welche man

vergeblich in sämmtliclien Commentaren des Boethius sucht, wohl aber

mit wörtlicher Uebereinstimmung jener Beispiel-Sätze in der ersten Ana

lytik findet; und eben von dort aus muss diese Notiz auch zur Kenntniss

mehrerer anderer Logiker gelangt sein "). Ferner berichtet Abä

lard, dass „Viele" das Wesen der Definition lediglich in die Angabe der

Qualitäten verlegen10), und wollte man auch sagen, es sei diese An

sicht nur eine extreme Folgerung aus einer längst bekannten Stelle11),

so führt uns ein Zeitgenosse Ahälard's durch die Formulirung jener

Ansicht auf die wahre Quelle derselben, welche uns nur in der aristo

telischen Topik begegnet t2). Sodann auch bedient sich bei der Controverse

über die Universalien Abälard einer Ausdrucksweise (nemlich

universalia „appellant in se") , welche nur dann erklärlich ist, wenn

wir annehmen, dass der Grundgedanke jener Stellen der zweiten Ana

lytik, in welchen Aristoteles über xara navrög und Ka&öiov handelt

(Abschn. IV, Anm. 132 ff.), irgendwie in den Schulen ruchbar geworden

sei 13); und ebendahin dürfte gehören, dass man mit der grammatischen

8) Glossae in Porph. ebend. p. 360. : videtur esse falsum , quod individua de

uno solo praedicentur , mm hoc Individuum Socrates de pluribu.t Itabeat praedicari,

ut „hoc album esl Soerales", ,,hic veniens esl Socrales". Die entsprechende Stelle

des Aristoteles ist Anal. pr. I, 27 (in der Uebersetziing des Boethius p. 490.).

9) Dass die Sache zu einer üblichen Schulcontroverse Veranlassung gegeben

habe, ersehen wir aus loh. Saresb. Metalog. [l, 20 (p. 110. ed. Giles): Hoc enim

ex opinione quorundam sensisse visus esl Arisloleles in Analyticis dicens (folgt

jene Stelle selbst).

10) Dialect. p. 492. : linde mulli, cum significationem subslanliae huius nominis

quod est ,,homo" agnoscant nee qualitales ipsius salis ex ipso percipianl, tantum

propler qualitalum demonslrationcm diffinitionem rcquirunt.

11) Arist. Gut. 5. (s. Abscbn. IV, Anm. 476.); bei Baelh. p. 138.

12) Der Verfasser der Schrift De generibus et speciebus , welche Cousin mit

Unrecht dem Abälard zuschreibt (s. unten Anm. 49. u. 148.), sagt p. 541 f.:

Concedunt omnes, species ex diffcrentiis constare .... dicunl, omnes differentias esse

in qualitate etc. Diess Letztere konnte in solch pointirter Form nur aus Arist.

Top. VI, 5, 144 a. lij ff. (d. h. aus der dortigen Erörterung über die Definition,

womit dann andere Stellen ebend. IV, 2, 122 b. 16. n. 6, 128 a. 26. übereinstim

men, s. Abschn. IV, Anm. 475.) entnommen sein und muss auf solche Weise zu

jenen versprengten Notizen gehört haben , welche nun zur Vermehrung der Schnl-

Controversen beitragen; der Verfasser D. gen. et spec. lenkt dann mit Gewalt die

angerührte Auffassung auf eine andere Stelle des Boeth. ad l'orjih. p. 62. zurück,

besass also gewiss nur die allgemein verbreiteten Quellen-Texte. Hingegen loh.

Saresb. a. a. 0. p. 100. bringt bereits auch SopA. El. 22, 178 b. 36. mit dieser

Frage in Verbindung.

13) Von Abälard's , Glossulae super Porphyrium gibt Ch. de Rdmusat (Abe'lard,

II, p. 93 ff.) einen Auszug, welcher zwar leider fast gänzlich nur in einer franzö

sischen Paraphrase besteht (s. unten Anm. 238.), aber folgende Stelle enthält (p.

1 10.) : Arislotc pensail que les gcnres et les espcces subsislent par appctlation dans

les choses sensibles nu servenl a les nommer en csscncc, ,, appellant in se1'. Wenn

wir nun ,auch nicht wissen können, wie Vieles hiebei rhetorische Zugabe Rernusat's

sei, so ist doch der authentische Ausdruck „appellanl in se" derartig, dass er

102 XIV. Das vervollständigte Material

Form „TO Zen^mti tlvai" ganz vertraut gewesen zu sein scheint, s.

unten Anm. 133. Selbst aber wenn man diese einzelnen Punkte für

ungenügend zu dem von uns beabsichtigten Nachweise halten wollte,

da ja möglicher Weise Einzelne durch Verliefung des logischen Denkens

und ein merkwürdiges „Ingenia conspiranl" ihrerseits selbstständig zu

Auffassungen hätten gelangen können, welche mit aristotelischen fast

wörtlich übereinstimmen (— was zwar an haarsträubende Unwahrschein

lichkeit gränzen würde —), so muss hingegen jeder Zweifel vollends

verstummen, wenn wir sehen, dass Abälard die in der ersten Analytik

vorkommende Definition des Syllogismus ausführlich in wörtlicher Uebersetzung,

und zwar nicht einmal in jener des Boethius, anführt14), und

sodann in gleicher Weise den Wortlaut der darauffolgenden Stelle des

Aristoteles in Einklang mit Boelh. d. syll. caleg. bringt15), sowie ihm

auch bekannt ist, dass der Sprachgehrauch bezüglich des sog. Diclum

de omni, welcher bei Boeth. a. a. 0. sich findet, ein acht aristotelischer

ist 16); ja endlich, — was der schlagendste Beweis von allen ist —,

schlechterdings nirgend andersher entstanden sein kann, als aus einer Kenntniss

der Stellen Anal. post. I, 4 ff. (bes. 73 b. 26 ff.), wo das iV xara noiiiov dem

iV nttga r« 7ro/Uä gegenübergeslellt wird, kurz wo das xaS-' KÜIO und xara

navfog zum aristotelischen xa3-6i.ov sich vereinigt. Die Auffassung des ,,in se"

konnte aus keinem jener Bücher geschöpft werden , welche vordem bis dahin dem

Mittelalter bekannt gewesen waren.

14) Dialect. b Cousin, p. 305. : Syllogismum üaque in primo Analyticorum

suorum Aristoteles lali difßnilione terminavil: ,, Syllogismus, intjuit, oratio esl in

qua positis aliquibus aliud quid a posilis ex nccessilate consequilur ex ipso esse;

dico autem ipso esse per ipsa contingere , per ipsa vero conlingere null ins extrinsecus

egere tcrmini ut fial necessarium" (s. Abschn. IV, Anm. 537.). Dass diess

nicht aus Gellius entnommen ist, zeigt sowohl der Grad der Ausführlichkeit als

auch die oben (Abschn. VIII, Anm. 58.) angeführte Stelle; ebensowenig istApulejne

(Abschn. X, Anm. 16.) die Quelle, denn dieser übersetzt: oralio in qua concessis

aliquibus aliud quiddam praeler illa quae concessa sunt, necessario evenil, sed per

illa ipsa concessa. Die Uebersetzung hingegen bei Boethius (p. 468 f.) lautet : Syl

logismus est oratio, in qua quibusdam posilis aliud quiddam ab his quae posila sunt

ex necessilate accidit eo quod haec sunt; dico autem eo quod haec sunt propter

haec accidere, propler haec vero aceidere esl nullius exlrinsecus termini indigere ut

/tat necessarium. Es ist sogar die bei Abälard vorgeführte Uebersetzung besser als

jene des Boetbius.

15) Ebend. p. 307.: Horum autem Aristoteles alias perfeclos, hoc est evidentes

per se , esse dixit, alias imperfeclos , id est non pgr se perspicuos. „Perfectum

autem, inquit, dico Syllogismum, qui nullius alterius indigeat praeler assumpta,

ut appareal esse verus", ut illi quatuor quos in prima figura ipse disponil; ,,imperfeclum

vero, quod (zu lesen qui) indiget aut unius aut plurium", ut sunt omnes

illi quos ipse in secunda et terlia figura posuit. Die Uebersetzung jener Worte bei

Boethius (p. 469.) lautet: Perfectum vero voco Syllogismum, qui nullius alius in

diget praeter ea quae sumpta sunl , ut appareat necessarium; imperfeclum vero, qui

indigel aut unius aut plurium etc. Die Stelle des Boeth. d. syll. cat. II, p. 593.

ist oben, Abschn. XII, Anm. 135., angeführt.

16) Ebend. p. 313.: lllud tarnen notandum, quod aliis verbis in regulis syllogismorum

usi sumus quam Aristoteles; pro eo namque quod diximus ,, aliud de

alio verbum (zu lesen universo) praedicari", ipse ponil ,,omni alii inesse"; pro

eo quod diximus „universaliler removeri", ipse dicit ,,nulli inesse"; pro eo vero

quod diximus ,,parliculariter praedicari" vcl „removeri", ipse usus esl ,, alte in

inesse" vel „non inesse". Die Stelle der Analytik (in des Boeth. Uebersetzung

p. 468.) s. Abschn. IV, Anm. 538., jene des Boelh. d. syll. cat. s. Ahschn. XII,

Anm. 132.

XIV. Das vervöllstiindigie Material. 103

es kennt Abälard jene aristotelischen Syllogismen, deren Prämissen sog.

modale Urlheile, d. h. Möglichkeils- oder Nothwendigkeits-Urtheile oder

Combinationen derselben mit Urllicilen des Staltfindens sind (s. Ahschn.

IV, Anm. 559—578); aber eben die Art und Weise ist zu beachten,

in welcher er einige Proben solcher Schlüsse anführt1'), denn einer

seits leuchtet ein , dass er sie doch nur unvollständig und gewiss VOJD

blossen Hörensagen kennt, und andrerseits ersieht man, dass dieselben

irgend in Schulen bereits geläufig gewesen sein müssen, indem sie nicht

wie bei Aristoteles mit blosser Buchstaben-Bezeichnung, sondern in den

aus Boethius (d. syll. cal.) üblichen Beispielsworten angeführt werden.

Ist aber somit unumslösslich nachgewiesen . dass, während man keinen

lateinischen Text jener betreuenden Bücher des Aristoteles besass, man

doch einzelne Hauptpunkte der ersten Analytik kannte, so erhalten nicht

bloss jene anderen vorbin erwähnten Einzelnheiten eine bestärkende

Beleuchtung, sondern wir können auch nur auf diese Weise noch eine

weitere Stelle des Abälard richtig und vollständig verstehen, in welcher

derselbe sagt, er wolle über die mangelhaft behandelten vier letzten

Kategorien keine ergänzenden Erörterungen hinzufügen , um nicht etwa

in Conflict mit aristotelischen Schriften zu kommen, welche in lateini

scher Sprache nicht vorhanden seien 18); d. h. der Grund seiner Vor-

17) Ebend. p. 319 f.: Contingit autem aliquando modales (s. Abschn. XII,

Anm. 119.) enuntiationes simplicibits aggrcgari in modis supraposilarum figurarttm,

sicut in Analyticis suis Aristoteles oslciuiü; in prima quidem hoc modo ,,omne iustum

possibile est esse bonum, otnnis virtus iusla est, omnem igüur virlutem possibile

esl bonant esse"; similiter et necessarium et verum per modos sinyulos (Abschn.

IV, Anm. 565IT.); sie quoque et in secunda figura contingit; si quis enim istas

concedat ,,nullum malum possibile esl esse bonum, omne iustum possibile est bonum

esse", huic quoque in.ni contradicet „nullum iustum est malum"; idem in celeris

modis accidil (ebeud. Am«. 571.); lertiae quoque fignrae sie adiungunlur : „omne

bonim possibile est iuslum esse, omne bouum virlus est, quandam igilur virlutem

possibile est iustam esse" ; sie et in celeris (ebend. Anm. 572.). Videntur quo

que syllogismi ex solis modalibus veraciter componi; si quis enim dical „omne quod

possibile est mori possibile est vivere, omnem autem hominem possibile esl mori,

omnem igilur hominem possibile esl vivere", rede primum primae fiyurac modum

perfeeitse videlur (ebend. Anm. 559.). Eine so bestimmt formulirte Angabe einer

solchen Combinationsweise durch die drei Figuren hindurch konnte unmöglich aus

jener leisen und unbestimmten Andeutung entstehen, welche einmal Boethius ('/.

;////. hypolh. l, p. 613.: Quae cum ita sint, si haec eadem ratio ad conlingentes

el necessarias referalur, idem in necessariis et conlingenlibus invenilur) über das

blosse Vorhandensein solcher Syllogismen gibt, sondern das Ganze beruht auf einer

wenigstens fragmentarischen Kenntniss der ersten Analytik, welche ja auch Abälard

selbst als Quelle bezeichnet. Dass aber dergleichen in den Schulen vielleicht nur

zur Erklärung des Buches d. inlerpr. beigezogen wurde, liesse sich etwa daraus

schliessen, dass Abälard unmittelbar fortfährt: Tales namque eliam syllogismos,

qui videliccl ex solis modalibus compununtur, Aristoteles disposuisse invcnitur; ul

enim oslenderel, quod id quod futurum esl necesse esl fieri, lale praemisit argumenlum

in primo Periermenias: „quod futurum est, non polest non ßcri, quod

autem non polest non fteri, impossibile esl non fieri etc." (d. h. Boel/i. ad d. in

lerpr. p. 365.).

18) Ebend. p. 399.: De conlrarietate aulem in vi praedicatnenlorum nihil

omnino in tcxtu fraedicamentorum , quem habemus , delenninavil (so. Aristoteles),

herum scilicel: Quando , Ubi, Situs , Habere. Nee nos quidem quod itnctoritus indelerminalum

rcüquit , delerminarc praesumemus , ne forle aliis eins operilms , quae

latina non novil eloquentia, contrarii reperiamur. (Vgl. Anm. 344.; dass aber die

104 XIV. Das vervollständigte Material.

sieht liegt darin, weil er nicht wissen zu können glaubte, wie Vieles

etwa aus anderweitigen nicht recipirlen Büchern des Aristoteles in spo

radischer Weise ruchbar geworden sei, und er sonach die Möglichkeit

einer ihm unlieben Berichtigung durch Andere scheute.

Man hatte also zur Zeit Abälartls schon Einzelnes aus den bis dahin

unbenutzten logischen Quellen kennen gelernl, und zwar, wie wir sahen,

durchaus nicht ausschliesslich durch die alte boethianlsche Uebersetzung,

sondern auch durch neue Uebertragungen. Die Belege aber für die

Richtigkeit dieser Tbatsache begegnen uns von Schritt zu Schritt reicher

und intensiver. Sowie wir nemlich gewiss nicht irren, wenn wir auch

das Aufkommen von Fragen und Coritroversen, welche die Genesis des

Wissens betreffen (s. unten Anm. 79 f.), auf eine Kenntniss einiger

Kernstellen der zweiten Analytik reduciren 19), so führt uns eine noch

bestimmtere Notiz selbst auf einen einzelnen Mann und zu einem chro

nologischen Anhaltspunkte, indem Adam von Petit-Pont (Näheres über

ihn unten Anm. 440 ff.) es war, welcher offenbar mit eben jenen

aristotelischen Hauptwerken sich beschäftigte und besonders die erste

Analytik in einer i. J. 1132 verfassten Schrift verarbeitete („expressü"),

wobei er sich einerseits ein Verdienst durch Erweiterung der logischen

Quellen erwarb, andrerseits aber durch die Schwierigkeit seiner philo

sophischen Sprache manchen Tadel zuzog 20). Hiedurch aber gewinnen

hier noch vermiedene Ergänzung alshald von Gilbertus Porretanus wirklich beige

bracht wurde, werden wir unten sehen, Anm. 488 ff.).

19) Die Schrift De inlellectibus , welche nicht, wie man unrichtig glaubte (s.

unten Anm. 416.) , von Abälard selbst, sondern von einem Schüler und Anhänger

desselben herrührt, bespricht die Begriffe sensus , imaginalio , exislimatio, scientia

in einer Weise (Näheres unten ebend.), dass keinenfalls die etlichen Bemerkungen

des Boethius d. inlerpr. p 298 f. die alleinige Veranlassung gewesen sein können,

sondern das Ganze nur auf Anal. posl. I, 31. n. 33. n. II, 19. (Abschn. IV, Anm.

51 —84.) beruhen kann. Uebrigens muss auch hiebei eine andere Uebersetzung

als jene des Boethius benützt worden sein, denn Letzterer (p. 543. u. 547.) über

setzt dofß und (fofßffiv nicht mit exislimare und existimatio , 'sondern mit opinari

und opinatio (s. unten Anm. 628.).

20) loh. Saresb, Melal. II, 10, p. 80. (ed. Giles) sagt zunächst über diesen

Adam: Unde ad magislrum Adam, acutissimi virum ingenii et, quidquid alii senliant,

multarum litterarum, qui Arisloteli prae ceteris incumbebat, familiarilalem

contraxi ulleriorem, womit wir, um die Worte „multarum litterarum" und „Ari

sloteli incumbere" richtig zu verstehen, jene Stellen in Verbindung bringen müssen,

in welchen Johannes die neu erwachende Benützung der aristotelischen Hauptwerke

dem einseitigen und ausschliesslichen Studium der Schriften des Boethius gegen

überstellt (s. unten Anm. 26. u. 56 ff.). Sodann aber, wo Johannes (ebend. IV,

3, p. 159.) die erste Analytik selbst bespricht und die sterile Sprache derselben

tadelt (s. unten Anm. 569.), fährt er fort: Unde qui Aristotelem sequunlur in turbatione

nominum et verborum et inlricata subtilitale, ul suum vindicent, aliorum

obtundant ingcnia, partem pcssimam mihi praeelegisse videnlur, quo quidem vitio

Anglicus noster Adam mihi prae ceterii visus est laborasse in likro , quem „Ariern

disserendi" ipscripsit. Et utinam bene dixisset , bona quae dixit; et licet fami

liäres eins et fauleres hoc sublililati adscribunt, plurimi tarnen hoc ex desipientia

et invidentia vani , ul aiunt, hominis contigisse inlerprctali sunt. Adeo enim expressil

Arislolelem itttricatione verborum , ul sobrius auditor rede subiungat „nenne

hoc spumosum " Habenda est tarnen auctoribus gralia, quia de fönte eorum

haurienles labore ditamur alieno. Die Jahreszahl aber der Entstehung dieser Ars

disserendi führt Cousin (Fragm. d. philos. du moyen-dge. Par. 1855. p. 335.) aus

XIV. Das vervollständigte Material. 105

wir auch das Resultat, dass Aliälard sein umfassendes Werk über Logik

noch vor d. J. 1132 (— woferne diese Jahreszahl richtig überliefert

ist —) ausgearbeitet haben muss, denn ausserdem halte er Adam's

Schrift sicher erwähnt und benützt.

Somit ist es uns nicht auffallend, wenn Gilbertus Porrelanus (s.

über ihn unten Anm. 455 ff.) auf die Analytik wie auf ein bereits cursireniles

Buch verweist21), und die Notiz, dass Otto von Freising, der

Iheologische Anhänger Gilbert's, die Analytiken und die Topik nebst den

Elenchi ziemlich als der erste nach Deutschland oder specieller nach

Baiern gebracht habe 22), ist uns gerade durch die ausschliessliche Her

vorhebung jener drei Werke ein schlagender Beleg für die damalige

Vervollständigung der Quellen-Kennlniss, daher wir auch unbedingt an

nehmen , dass Otto jene Schriften nicht etwa aus Italien oder aus dem

Oriente, wohin er in seinen späteren Jahren reiste, sondern aus Paris

von seiner dortigen Studienzeit her mitbrachte, denn auf französischem

Boden wurden jene Kämpfe der Logik geführt, zu welchen die erwei

terte Kenntniss des Aristoteles beitrug. Ob aber die boethianische oder

eine andere neue Uebersetzung es gewesen sei, welche so eine Ver

breitung fand, lässt sich nicht entscheiden; in Frankreich mochte viel

leicht eher Boetbius ans Licht gezogen worden sein, denn ein dortiger

Anonymus aus dem 12. Jahrb. kennt denselben wenigstens als Uehersetzer

der beiden Analytiken23); hingegen in Italien müssen Handschrif

ten jener boelhianischen Ueberselzungen entweder gänzlich gefehlt haben

oder äussersl selten gewesen sein, da noch im 15. Jahrh. der littera

risch höchst gebildete Leonardas von Arezzo behauptet, Boethius habe

einer Handschrift von St. Victor an: Le „De arlc dialectica" ful compose enl'anne'e

1132, c'est ce qtte nous apprend le lilre „Anno NCXXXII ab incarnationc Domini

editus über Adam de arte dialectica."

21) Gilb. Porr. d. sex princ. c. 7 (Arisl. Opp. laline , Venet. 1552, Vol. I,

fol. 34.): Et quidem de principiis haec dicla sufficiant, reliqua vero in to quod

de Analyticis est quaerantur volumine.

22) Radevich, d. gest. Frider. [l, 11. (ed. Urslis. p. 513.): Lilterali scientia

non mediocriter aul vulgariler instmcliis (sc. Otto) inter episcopos Alemaniae vel

primus vel inier primos habcbalur , intanlum ut praeter sacrae paginae cognitionem,

cuius secretis et senlenliartim abditis praepollebat, philosopliicorum et Aristotelicorum

librorum sul/tilitatem in Topicis, Analyticis atque Elenchis ferc primus noslris finibus

apporlaverit. Wahrscheinlich liegt hierin auch die Quelle jener Handschriften,

welche in der Basler Ausgabe des Boethius benutzt wurden (nemlich eine Amerbachische,

eine ans St. Georgen im Schwarzwalde, und eine aus dem Besitze des

Glareanus, also sämmtlich aus der gleichen Gegend), denn aus Italien waren für

jene drei Werke schwerlich Handschriften zu bekommen, s. Anm. 24.

23) Aus einer in Alenc.on befindlichen Handschrift des 12. Jahrh. veröffent

lichte Raraisson, Rapports sur les Bililiolheques etc. Par. 1841, p. 404 ff. eine kleine

metrische (übrigens unbedeutende) Schrift über die sieben Künste, woselbst be

züglich der Logik gesagt wird: Dialeclic.a diffinit et discernil, dividit et asseri(,

Raliocinari potem, vincens invincibilis. Quam lampas clarißcavil Manliani himinis,

Transtulit lianc resolvendo binis Analeclicis (vgl. vor. Abschn., Anm. 288. «. unten

Anm. 569.), Introducens Isagogas binis commentariis , El idem Kategorias cum Periermeniis,

Topica cum Sillogismis atque Differenliis, Diffinitiotium librum cum Divisionibus

Explicavil addcns unum Propositionibus. Wenn wir unter den Propositiones

die Introd. ad syll. cat. und unter Topica die aristotelische Topik verstehen, hätten

wir hier den ganzen Boethius vollständig.

106 XIV. Das vervollständigte Material.

Moss den Porphyrius, die Kategorien und it. interpr. übersetzt24);

wenn daher der durch anderweitige Uebersetzungen bekannte Burgundio

von Pisa, in der zweiten Hälfte des 12. Jahrb., den Ruhm des Aristo

teles aus der zweiten Analytik rechtfertigt und begründet 25), so dürfte

derselbe wahrscheinlich entweder nur eine neu angefertigte Uebersetzung

oder sofort das griechische Original vor Augen gehabt haben.

Noch deutlicher aber und zugleich reichhaltiger sprechen die Miltheilungen

bei Johannes von Salesbury, dessen schriftstellerische Thätigkeit

nur drei Jahrzehnte von jener Abälard's entfernt ist (obige Anm.

20 im Zusammenhalte mit unten Anm. 535) und bereits das ganze Organon

utnfasst (s. Anm. 562 ff.). Zunächst erfahren wir durch ihn,

dass Mehrere es vorzogen , auf eben jene neu erschlossenen Haupt

werke des Aristoteles nicht näher einzugehen, sondern mit Vorliebe

sich immer nur noch auf die „alte" lioelhianische Tradition zu beschrän

ken20); dass dieses Diejenigen waren, welche trotz aller Berührung

mit den bereicherten Zeitanschauungen dennoch über den Streit betreffs

der Universalien nicht hinauskamen, werden wir unten (Anm. 56 ff.)

sehen. Auch klagt Johannes ausdrücklich darüber, dass die zweite

Analytik so äusserst selten in Gebrauch sei, was sich wohl durch den

schwierigen Stil des Verfassers entschuldigen lasse, wobei jedoch Vieles

auf Rechnung der Abschreiber oder, wie „die Meisten" glauben, die

Hauptschuld füglich auf den Uebersetzer falle21). Sowie aber aus dieser

24) Leon. Bruni Amtini Efiist. ed. L. Mehus, Flor. 1741. L. IV, Ep. 22. (wo

selbst es sich um die Cotitrovwse über eine Uebersetzung der arist. Ethik handelt) :

Nullam enim Boetii inlerpretationem habemus praeterquam Porphyrii et Pracdicamentorum

et Perihermenias librorum, quos si accurate leges , etc. (Leonardus v. Arezzo

war geboren 1369, starb 1444).

25) loh. Saresb. Melal. IV, 7. (p. 163. ed. Gilcs): Fuil autem (sc. über posteriorum

Analyticorum) apud Peripateticos lantae aucloritatis scientia demonstrandi,

Ift Aristoteles, gut alias fere omncs, et fere in omnibus philusophos superabat, hinc

communc namen sibi quodam proprietatis iure vindicaret, quod demonstrativam tradiderat

disciplinam (vgl. Anm. 27.); ideu enim, ut uiunt, in ipso nomen jihilosophi

sedil ; si mihi non credilur, audiatur vel Burgundio Pisanus , a qno islud accepi.

Es ist diess sicher der berühmte, i. J. 1194 verstorbene, Jurist dieses Namens (s.

aber ihn Savigny, Gesch. d. R. R. i. Mittelalter, IV, p. 335 ff.), welcher wieder

holt in Konstantinopel gewesen war und nicht bloss mehrere in den Pandekten

vorkommende griechische Stellen, sondern auch vieles Theologische (von Chrysostomus,

Basilius, Job. bamascenus) und den Nemesius d. nat. hom. übersetzte;

möglich wäre ja, dass er selbst eine Uebcrsetzung der Analytik versuchte; mit Be

stimmtheit kann diess allerdings aus den Worten des Job. Salesb. nicht gefolgert

werden.

26) Ehend. c. 17, p. 183.: Ceterum Contra eos, qui veterum favore potiores

Aristotelis libros excludunt Boclhio fere solo contenti , possenl plurima allegari.

27) Ebend. c. 6, p. 162 f.: Posleriorum vero Analyticorum subtilis quidcm

scienlia est et paucis ingenüs pervia Deinde Itaec ulenlium rarilate iam fere

in desuctudinem abiil, eo quod dcmonslralionis usus fix apud so/os mathemalicos

esl Ad haec Über, quo demonstrativa tradilur disciplinii (vgl. Anm. 25.), ceteris

lunge lurbatiur est transposilione sermonum, traicctione litterarum, dcsuetudine exemplnrum

, quae n divcrsis disciptinis mutuata sunt. Et poslremo quod non attingil

auctorem, adeo scriplorum depraeatus est vilio , ut fere quäl capila tot obstacula

habcat; et bene quidem , ul)i non sunt obstacula capitibus plma. Vnde a plerisquc

in Interpretern difficullatis culpa refunditur asserenlibus , librum ad nos non rede

translatum penenisse. Welcher Uebersetzer ist hier gemeint, Roelhius oder ein

Anderer?

XIV. Das vervollständigte Material. 107

Klage natürlich erhellt, dass man jene Bücher kannte, so wird hinwie

derum berichtet, dass die lange vernachlässigte Topik des Aristoteles

eben damals gleichsam vom Tode erweckt worden sei 2S), und an die

Angabe, dass diese Beiziehung der Topik auch wieder ihre Gegner ge

funden habe, knüpft sich die Notiz über einen uns weiter nicht be

kannten Drogo in Troyes, welcher offenbar die Topik nach dem Muster

der aristotelischen bearbeitete 29). Was aber nun insbesondere die Ent

stehung neuer Uebersetzungen betrifft, so folgt allerdings aus einem

Briefe des Johannes sehr wenig, in welchem derselbe sich aus Constanz

Abschriften aristotelischer Bücher überhaupt und ausserdem wegen mög

licher Unzuverlässigkeit des Uebersetzers auch die Hinzufügung von Noten

erbittet30). Hingegen von grosser Wichtigkeit ist, dass er eine Stelle

sowohl in der boethianischen Ueberselziing als auch zugleich in der

„neuen" anführt31), und sowie diese letztere sich durch grössere Wört

lichkeit unterscheidet, so hatte sich Johannes überhaupt eine ganz be

stimmte Ansicht bezüglich der Uebersetzungen gebildet (nemlich nur

wenn dieselben sich so enge als möglich nach einem festen Gesetze an

das Original anschliessen, sei ein Versländniss möglich, welches vor

jeder Einseitigkeit durch eine „ralio indifferenliae" bewahrt bleibe), und

er sagt, es habe dieselbe damals durch einen der beiden Sprachen

kundigen Griechen aus Severinum , d. h. aus Szöreny in Ungarn; ihre

Bestätigung und Empfehlung gefunden 32). Jene ralio indifferentiae selbst

nun berührt uns hier noch nicht, sondern dieselbe wird sich uns in

28) Ebend. III, 5, p. 135. : Quum itaque tarn evidens sit utilitas Topicorum,

miror quare mm aliis a maioribus tamdiu intermissus sit Aristotelis liber, ut omnino

aut fere in desueludinem abieril , quando aetate nostra dilic/entis ingenü pulsante

studio quasi a, mortc vel a somno excitatus est , ut revocarel errantes et viam veritatis

quaerenlibus aperiret.

29) Ebend. IV, 24, p. 181.: Satis ergo mirari non possum, quid mentis habeant,

si quid tarnen habeant, qui haec Arislotelis opera carpunt Magister

Theodoricus , ut memini, Topica non Aristotelis , sed Trecassini Drogonis irridebal,

eadern tarnen quandoque docnit; quidani auditores magistri Roberti de Meliduno (s.

unten Anm 453 f.): librum hunc fere inutilem esse calumniantur.

30) Epist. 221. (U, p. 54 f. ed. Giles): libros Aristotelis, quos habetis, mihi

facialis exscribi precor etiam iterata supplicatione , quatenus in operibus Ari

stotelis, ubi difficiliora fuerint, notulas faciatis , eo quod Interpretern aliquatenus

tuspectum habeo , quia liest eloquens fuerit alias, ut saepe audivi, minus tarnen

fuil in grammatica institulus.

31) Metal. II, 20, p. 108.: ,,Gaudeant", inquit Aristoteles, ,,species, monstra

enim sunt" (so bei Boeth. p. 537.), vel secundum novam translationem ,,cicadationes

enim sunt, aut si sunl , nihil ad rationem," So erscheint der Unterschied der

Uebersetzungen an dem Worte rtgerCa^aia in der bekannten antiplatonischen

Stelle des Aristoteles (Anal. post. l, 22, s. Abschn. III, Anm. 66.), in deren An

führung wir wieder eine Bestätigung dafür erkennen, dass gerade derartige pointirte

Wendungen leichter in Umlauf kamen.

32) Ebend. III, 5, p. 135.: Satis enim inter cetera, quae translationis arclistima

lege a Graecis tracta sunt, planus est (sc. Aristotelis liber Topicorum, s. oben

Anm. 28.), ita tarnen ul fädle sit auctoris sui stilum agnoscere, et ab iis dumtaxat

fdelüer intelligatur , qui sequuntur indiffertnliae rationem, sine qua nemo vnquam

nee apud nos nee apud Graecos , sicut graecus interpres nalionc Severilanus dieere

consueverat, Aristotelem intellexit. Da wegen der Bezeichnung „graecus" nicht an

St. Sever in Frankreich gedacht werden kann, so scheint nur jenes Severinum in

Ungarn übrig zu bleiben.

108 XIV. Theologie. Pseudo-Boelhius De trinitate. '

die Darstellung der Logik des Johannes von Salesbury verflechten (Anm.

574 (f.); wohl aber gehört hieher, dass derselbe im Zusammenhange

liiemit auch noch einen zweiten Uehersetzer (zwar gleichfalls ohne

Nennung des Namens) erwähnt, welchen er in Apulien kennen gelernt

habe 33). Wenn aber, wie diese wichtigen Stellen bezeugen, im byzan

tinischen Reiche und durch Griechen in Unteritalien die Entstehung

neuer Uebersetzungen gefördert wurde, und Solches zur Kunde der

Logiker in Paris oder in England kam, so läge hier eine erste, wenn

auch vorübergehende Spur eines Einflusses aus der Zeit der Anna

Comnena vor (s. folg. Abschn.). — Endlich mag noch, gleichsam zum

Ueberllusse, erwähnt werden, dass bei Johannes neben Citaten, welche

völlig wörllich mit der Uebersetzung des Boethius übereinstimmen, sich

auch solche finden , welche wenigstens als ungenau bezeichnet werden

müssen, woferne sie nicht von vorneherein anderswoher geschöpft

sind 34).

Ist hiemit hinreichend bewiesen, dass die Kenntniss der logischen

Quellen schon vor der schriftstellerischen Thätigkcit Abälard's wenigstens

in Einzelnheilen bereichert wurde und dann allmälig bis zur Zeit des

Johannes von Salesbury sich vervollständigte (für letzteres werden

sich uns noch manche einzelne Belege ergeben, s. Anm. 78, 219 f.),

so kennen wir nun das entscheidende Moment, aus welchem damals ein

nach Intension und Extension gesteigerter Beirieb der Logik hervorgehen

musste. Eine mitwirkende Macht jedoch lag für jene Zeit hiebei durch

ein erklärliches Wecbselverbältniss in der dogmatischen Theologie, denn

sowie schon dem Scotus Erigcna und dem Roscellinus gegenüber die

Orthodoxie auch in logischen Fragen auf ihrer Hut gewesen war, so

zog man im gleichen Interesse jetzt, als die Dialektik lebhafter und

selbstsländiger eigene innere Kämpfe zu durchleben begann, auch Man

ches aus der theologischen Rüstkammer hervor, damit im Streite der

logischen Parteien das Dogma unbefleckt bewahrt bleibe, wobei, da

die streitenden Dialektiker sämmtlich Kleriker waren, es nicht fehlen

konnte, dass nicht auch dogmatischer Inhalt in die Logik hiniiberspielle.

Vor Allem war es die Trinitätslehre, welche ja schon früher bei dem

Auftreten des Roscellinus sich gellend gemacht hatte, nun aber in ver

stärktem Maasse auch positiv einzugreifen begann, und die Geschichte

der Logik ist hier in dem Falle, ein theologisches Produkt berühren

zu müssen , welches durch eine gewisse Formiilirung logisch-onlologischer

Grundsätze in jener Zeit in den kontroversen der Dialektiker mit

wirken konnte. Es ist diess P s eud o -B o e thiu s de Irinüale , wobei

natürlich nicht ohne Eintluss war, dass man gerade den Boethius, den

Repräsentanten aller Logik, für den Verfasser" hielt 35). In eben jener

33) Ebend. I, 15, p. 40. : non pigcbit referre nee /orte audire displicebit, quod

a qraeco inlerpretc et qui lalinam linguam commode noverat, dum in Apulia morarcr,

accepi ele.

34) Zu ersteren gehören Melal. II, 15, p. 86. (Top. I, 11, bei Boeth. p. 667.)

und II, 20, p. 110. (Anal. pr. I, 27, b. Boeth. p. 490.), zu letzteren llj 9, p. 76.

(Top. I, 11, Boelh. p. 667.), U, 20, p 100. '(Soph. El. 22, Koeth. p. 750.), III, 3,

p. 126. (Top. l, 9, Boeth. p. 666.).

35} Ich sage „Pseudo-Boethius"; da ich jedoch den Theologen die Fürsorge

XIV. Pseudo-Boethius De trinitate. 109

Zeit nemlich, d. h. seit Abälard30), häufen sich die Anführungen aus

jenen vier Büchern üher die Trinilät, und Gilberlus Porrelanus begleilete

dieselben mit einem umfangreichen Commentare, so dass es kaum

mehr möglich war, in den betreffenden Fragen sie zu umgehen. Haupt

sächlich aber gehören bezüglich eines Einflusses auf die Logik jene

Axiome hieher, welche der Verfasser am Anfange des 3. Buches an die

Spitze stellt, um aus ihnen im weiteren Verlaufe seine Beweise aufzu

bauen. Dieselben 31) beziehen sich nach Voransschickung eintfr Definition

der communis conceptio auf den in der Theologie üblichen Unterschied

zwischen Essenz (oiißia) und Existenz (vnöcraais), da zu letzterer noch

die Form des Seins hinzukommen müsse und bei ihr hiedurch ein Theilhaben

eintrete, sowie die Möglichkeit eines Ansichhabens sich ergehe,

was sodann zur Unterscheidung von Substanz und Accidens führt und

eine Doppeltheit jenes Theilhabens begründet; dabei aber wird auch

auf die Einheit hingewiesen, in welcher bei einfachen Wesen, im Un

terschiede von den zusammengesetzten, die Wesenheit und die Existenz

verbunden sind, und zuletzt eine natürliche Wesens- Verwandtschaft in

nerhalb der entfalletcn Verschiedenheit in Aussicht gestellt. Diese Grund

sätze, deren theologisch-dogmatische Verwendung uns hier nicht berührt,

wurden bald auch von Dialektikern als „reyulae" neben anderen „auclorilales"

cilirt, und in ontologischen Punkten mochte mancher Logiker

von vorneherein sich hüten, gegen diese Axiome zu vcrstossen, da

ausserdem bedenkliche Consequenzen bezüglich der Trinitäl. Italien drohen

können. So kam es, dass hierin nichl elwa hloss die Logik auf Theo

logie reicher angewendet wurde, sondern auch dogmatische Momente

direcl den Beirieb der ontologischen Seite der Logik beeinflussten.

Ein eigentümliches Verhältniss liegt in dieser Einmischung aller

dings, und es ist merkwürdig, wie in jener Zeil, welche zu einer

klaren und besonnenen Trennung der Gebiele (etwa im Sinne des ülirifür

ihre eigene Litteratur-Geschichle überlassen muss , so kann ich hier nur so

viel bemerken, dass jene vier Bücher de trinitate , wie aus triftigen Granden er

helle» dürfte, nicht vor dem 9. Jahrh. entstanden sein können. Die Abhandlung

von Gust. Bauer, De Boethio Christianen doctnnae assertort (Darnul. 1841.8.), beruht

auf einer zu wenig umfassenden Kenntniss der einschlägigen mittelalterlichen l.iiteralur.

36) Z. B. Inlrod. ad Theol. \, 25, p. 1039. Amlioes.

37) Boelh. Opp. (cd. Basil. 1570), p. 1181 f.: Postulat, ut ex Hebdomadibui

(unier diesem Titel wird die Schrift bei Spateren auch citirt, s. z. B. Anm. 514.)

nostris eins quaeslionis obscurilalem digcram Ul igilur in malhemalica

fteri solet celerisque eliam disciplinis , proposui lerminos reyulasque , quibus cuncta

quae sequunlur efficiam. 1) Communis animi conceptio esl enuntiatio , quam quisque

probat- auditam 2) Diverswn est esse et id quod est , ipsum enim esse

nondum esl , al vero quod esl , accepla essendi forma esl atque consistil. 3) (Juod

esl, parlicipare aliquo polest, sed ipsum esse nullo modo aliquo parlicipal 4)

Id quod est, haben aliquid praelerquam quod ipsum est polest, ipsum vero esse

in/iil 'iliii.il praeler se habet admislum. 5) Diversum est esse, aliquid et esse aliquid

in eo quod est, illic enim accidens, Ine subslantia significatur. t>) Omne quod est,

patticipal eo quo est esse ut sit, alio vero participal ul aliquid sil 7) Omne

Simplex esse suum et id quod esl, unum habet. 8) Omni composilo aliud est esse,

aliud ipsum est. 9) Omnis diversilas est discors, simililudo vero quaedam appelenda

est, et quod appetit aliud, tule ipsum esse naturaliler ostendilur, quäle est

illud ipsum quod appetit.

110 XIV. Theologie.

stian Thomasius oder des Pierre Bayle) natürlich nicht befähigt war,

dennoch die Incommensurabililät der theologischen und der logischen

Wahrheit ausgesprochen wird, während man das Unvereinbare gleichzeilig

betrieb. Ja gerade Abälard selbst, der Peripaleticus Palalinus,

gibt hiefür das beredteste Zeugniss, wenn er sagt, dass den Logikern

joder Peripaletikern Gott unbekannt bleibe, da dieselben Alles unter ir

gend eine der zehn Kategorien unterbringen, Gott aber unter keine der

selben falTen könne38), und während diess noch als der allgemeine

von Augustinus her übliche Standpunkt der Theologie gelten könnte

(vgl. Scotus Erigena, vor. Abschn., Anm. 120 f.), spricht Abälard eben

betreffs der Trinilätslebre am deutlichsten aus, dass die Dialektiker oder

Peripatetiker die gefährlichsten Feinde derselben seien39), da sie auf

dem Standpunkte der Logik aus der Wesens-Einheit der drei Personen

auf individuelle Einheit und umgekehrt aus der Verschiedenheit der

Personen auf Verschiedenheit ihres Wesens schliessen 40). Und in der

Thal verträgt sich der aristotelische Begriff der individuellen Substanz

nicht leicht mit dem Dogma der Trinilät, so dass strenge genommen

alle Logiker, welche an Aristoteles sich anschlössen, dem Vorwurfe der

Ketzerei nicht entgehen konnten.

So ist es erklärlich, wenn Petrus Lombardus, während er den

Zusammenhang des Triniläls-Streites mit der logischen Parteispaltung

bezeugt, zugleich jede Anwendung der Logik auf jene Hauptfrage der

Theologie abweist41), oder wenn sein älterer Zeitgenosse Bernhard

38) Abael. Theol. Christ. III, 3, p. 1271. (b. Martene, Thes. nov. Aneed. Vol. V):

autem illi quoque doctores nostri, qui maxime intendunt logicae, illam summam

maiestalem, quam ignotum Aevm esse proßlentur, mrinino ausi non sunt attingere aut

in numero rerum comprehendere , ex illorum scriptis liquidum est ; cum enim omnem

«•m aut mbstantiae aut alicui aliorum generalissimorum subticianl, utique et deum,

si inter res ipsum comprehenderent , aut subslanliis aut quantitatibus aut ceterorum

firaedicamentorum rebus connumerarent, qui nihil omnino esse ex ipsis convincitur

(p. 1273.) 0"« tarnen omnem rem aut substantiae aut alicui aliorum praedicamentonan

applicant, patet profeclo a tractatu Peripateticorum illam summam maiestalem omnino

esse exclusam.

39) Ebend. c. l, p. 1242.: Supra universos autem inimicos Christi, tarn liaereticos

quam iudaeos sh'e yentiles, subtilius fidem sanclae trinitatis jierquirunt et acutius

arguendo conlendunt professores dialecticae, seu importunitas sophistarum , quos verborum

aymine atque sennunum inundatione beatus esse Plato irridendo iudicat

Seimus quidem, a Peripateticis , quos nunc dialecticos appellamus, nonnullas et 'naximas

haereses esse repressas etc.

40) Ebend. c. 2, p. 1 260. : Quo in loco gravissimae et difficillimae dialecticoiii

HI quaestiones occurrunt; hi quippe ex unitale essentiae trinitatem personarvm impuynant

ac rursus ex diversitate personamm identitatetn essentiae oppugnare laborant.

Horum itaque obiectiones primum ponamus , postea dissolvamus , worauf nun Abälard

drciundzwanzig aus der Logik entnommene Einwände gegen die Trinität aufzählt,

um sie hernach theologisch zu widerlegen.

41) Petr. Lomb Sent. \, 19, 9. (f. 27. ed. Hasil. 1516): Videlur tarnen miki

ita passe accipi, cum ait (sc. Augustinus) „substanlia est commune et hypostasis est

particulare" ; non ita haec accepit, cum de deo dicantur, ut accipiuntur in philosophica

disciplina , sed per similitudinem eorum , quae a -philosophis dicuntur . locutui

est; sicut ibi commune vel universale dicitur quod praedicatur de pluribus, partic-ttlare

cero vel Individuum quod de uno solo, ita hie essenlia divina dicta est universale,

quia de Omnibus personis simul et de singulis separatem dicitur. particulare vero singula

quaelibet personarum, quia nee de aliis communiter nee de aliquo «lim um stngv

XIV. Hugo v. St. Victor. 111

von Clairvaux (geb. 1091, gest. 1153) sich offen als Feind der Dialek- ,

lik bekennt42). Ja auch der hervorragendste Vertreter jener Richtung,

zu welcher die eben genannten gehören, Hugo von St. Victor (geb.

1097, gest. 1141), steht eigentlich völlig ausserhalb jener reichhaltigen

Bewegung, welche damals in der Dialektik eintrat, und sowie er auf

die logischen Partei-Controversen nicht mit einem Worte eingeht, so

hat für ihn auch sein eigener platonischer Realismus kein logisches In

teresse, sondern nur ein psychologisch-praktisches. Indem auch er eine

feindselige Gesinnung gegen die Dialektik hegte43), scheint er selbst

die allgemein zugängliche Litteratur der Logik verschmäht zu haben und

über einige Stellen des Marcianus Capella , Isidorus und Koelhius nicht

weit hinausgekommen zu sein44), so dass er, was den geschichtlichen

Fortschritt der Logik betrifft, sogar noch unter dem Niveau Derjenigen

steht, welche wir gegen Ende des vorigen • Abschnittes besprochen

haben; da er jedoch sowohl der Chronologie nach hieher gehört, als

auch ein Hauplrepräsentant der consequenten innerlichen Auffassung der

Theologie ist, so mag zum Gegensatze der bunt verschlungenen logi

schen Kämpfe, welche wir nun sogleich darstellen müssen, über Hugo's

Standpunkt in Kürze Folgendes bemerkl werden. Nur die Stellung und

Einlheilung neulich der Logik ist es, worüber derselbe sich gelegentlich

äussert, wobei das praktisch-ethische Motiv schon darin erscheint, dass

die drei Hauplzweige der Wissenschaft, d. h. theoretische, praktische

Disciplin und Mechanik, zur Abwehr dreier Uebel, und zuletzt die Logik

um der Vollkommenheil des Sprechens willen erfunden sein sollen 4B).

lariter praedicatur. Propier similitudinem ergo praedicatiotiis substantiam dei dixit

universale et personas particularia «ei indivtdua (c. 10.) üicuntur enim aliqua

differre numero , quoniam ita differunt, ut hoc non sit illud ..... qtialiter di/ferunt

Socrates et Plato et huiusmodr quae apud philosophos dicuntur individua vel particul'iiiu

. ittxla quem niodum non possunt dici tres personae differre numero etc. Dass

übrigens auch Lombardes verketzert wurde, s. unten Anm. 478.

42) Z. B. Serm. 3. in die Pentec. (Opp. ed. Martene, Venet 1567, fol. III, p.

94.) Numquid ijuia l'latonis argutias , Aristotelis versutias intellexi avt ut intelligerem

laliorai'i? Absit inquam, sed quia testimonia tua exquisim. Oder in Bezug auf das

jungfräuliche Gebären Serm. 3. Vigil. Natio (ebend. p. 21.): Ulti nunc Aristytelicae

tubtilitatis facunda quidem sed infoecunda loquacitas?

43) De sap. an. Christi, Prol. (Opp. ed. Rottiomag. 1648, fol. III, p. 59.):

Quid enim hoc esse putatis, quod de rerum veritate tarn diversa senlire solent homines?

Numquid nomina est veritas? Ecce quid est quod dialectica tot diversas et tarn

adversas , ne dicam perversas, habet sententias? Numquid omnes noverunt unum id

qwd est, sed amore fallendi diversa finxerunt? Non sie ego puto. Sed narrant quinque

sotnnia sua (d. h. die quinque voces) et ea , qua primum ipsi in se opinione decepti

Stint, postmodum alias nescientes seducunt. , •

44) Es erhellt diess, abgesehen von dem Folgenden, schon aus der rohen

Angabe Didasc. III, 2. (Opp. III, p. 16 f.): Plato primus logicam rationalem apud

graecos instititit, qnum postea Aristoteles discipulus eins ampliavit, perfecit et in artem

rfdegil ; Marcus Terenlius Varro primus dialecticam de graeco in lalinum transtulit.

poitea Cicero Topica adiecit. Die Quellenstellen für diese Gelehrsamkeit s. oben

Abscbn. XIII, Anm. 27, 29, 39, u. besond. Abschn. VIII, Anm. 20. u. 25.

45) Excerpt. prior. l, d. orig. et discr. artium, c. 4 (Opp. II, p. 335): Tria

sunl remedia principalia contra tria praedicta mala , sapienlia contra ignorantiam,

rirtus contra vitium, necessitas contra mftrmitatetn (c. 5.) Propter aulem ista

tria remedia imenla est omnis ars et amnis disciplina, propter inveniendam namque

iapientiam inventa est theorica, propter inveniendam virtutem inventa est practica,

112 XIV. Hugo v. St. Victor.

Sowie aber letztere Wissenschaft der Entstehung nach die späteste sei,

so trete sie bezüglich des Unterrichtes an die erste Stelle, da die Tüch

tigkeit im Sprachausdrucke die Vorbedingung zu allem Uebrigen sei 46).

In solchem Sinne bezeichnet Hugo die Logik als „sermocionalis", weil

dieselbe „de vocibus'1 handle4'), und er theilt sie nun in einer Weise,

welche uns sehr an Scolus Erigena erinnert (vor. Abschn., Anm. 105),

derarlig ein, dass nach der weiteren Bedeutung des Wortes Aoyog alle

Kundgebung des Sprachvermögens zur Logik gehört, und dieselbe so

in Grammatik und logica ralionalis zerfällt, welch letzlere der engeren

Bedeutung des Wortes Aoyog entspricht und sodann im Hinblicke auf

die allverbreiteten Stellen des Boelhius nach der gewöhnlichen Weise

näher eingelheilt wird4").

Allerdings nun wäre es gewiss bequemer gewesen , in einer der

artigen Schablone die gesammte Logik von vorneherein abzuthun, und

propter inveniendam necessitatem inventa est mechanica Novissima autem omnium

inventa est logica causa eloquentiae , ut sapientes , qui praedictas principales disciplinas

investigarent et unirent, rectius veracius honestius Mas tractare et disserere de

illis scirent, rectius per grammaticum, veracius per dialeclicam, honestius per rhetori

cam; logica natnque facundiae rectitudinem veritalem venustatem administrat. Fast

wörtlich ebenso Didasc. VI, 14. (Opp. III, p. 39.), vgl. ebend. I, 6. (p. 3.) U, 2.

(p. 7.) III, 1. (p. 15.).

46) Didasc. l, 12. (Opp. III, p. 6.): Celerae prius repertae fuerant, sed necesse

fuit logicam quoque inveniri, quoniam nemo de rebus convenienter disserere polest, nisi

prius recte loquendi rationent aynoverit. Ebend. VI, 14. (|). 39.): Islae tres usu

primae fuerunt, sed postea propter eloquentiam inventa est logica, quae cum sit inventione

ultima, prima tarnen esse debet in doctrina. Excerpl. prior. a. a. 0. c. 23.

(p. 339.): In legendis artibus tulis est ordo servandus: prima omnium comparanda

est elaquenüa et ideo expetenda logica, deinde etc.

47) Didasc. II, 2. (p. 7.): miosophia dividitur in theoricam, practicam, mechanicam,

et loyicam ; hae quatuor omnem continent scientiam Logica sermocionalis,

quia de vocibus tractat Hanc divisionem Boethius facit aliis verbis (folgt die

oben, Abschn. XII, Anm. 76., angeführte Stelle).

48) Ebend. l, 12. (p. 6.) : Logica dicitur a graeco vocabulo ioyof, quod nomen

yeminam habet interpretationeni ; dicitur enim iöyos sermo sive ratio (s. Isidor, vor.

Abschn., Anm. 27.), et inde logica sermocionalis sive rationalis scientia dici potest;

logica rationalis, quae discretiva dicitur, continet dialecticam et rlietoricam, logica

sermocionalis genus est ad grammaticam , dialecticam et rhetoricam, et continet sub se

dissertivam; et haec est loyica sermocionalis, quam quartam post theoricam, praeticam

et mechanicam annumeramus. Excerpt. prior. c. 22. (p. 339.) : Logica dividitur in

grammaticam et rationem disserendi ; ratio disserendi dividitur in probabilem,

necessariam , et sophisticam; probabilis dividilur in dialecticam et rhetoricam, necessaria

pertinet ad pkilosophos , sophistica ad sophistas (s. Boethius , Abschn. XII, Anm.

82.) ; arammalica est scientia recte loquendi, dialectica disputatio acuta verton a falio

distinguens , rhelorica est disciplina ad persuadendum quaeque idonea. Didasc. II, 29.

(p. 14.): Logica dividitur in grammaticam et in rationem disserendi .... giammatica

est litteralis scientia ratio disserendi agil de vocibus secundum inlellectus. Ehencl.

31. (p. 15.): liutin disserendi integrales partes habet inventionem et iudicium (s. Boe

thius, Abscha. XII, Anm. 76.), divisivas vero demonstrationem , probabilem, sophifticam;

demonstratio est in necessariis argumentis et pertinet ad philosophum , probabiUs

pertinet ad dialeclicos et rhetoricos, sophistica ad sophistas et cavillatores ; probabtIis

dividitur in dialecticam et rhetoricam, quarum utraque integrales partes habet inven

tionem et indicium. Ebenso ebend. III, 1. (p. 15.). Die nemlichen Angaben kehren

in einer „Epilome in philosophiam" Hugo's wieder, welche kürzlich Hauriau (Hugutf

de Sainl-Victor, Nouv. examen de l' Edition de ses oeuvres. Paris 1859. 8.) herausgab,

s. daselbst p. 167 ff.

XIV. Reichere Bewegung. 113

es hauen hiebei auch die platonisch-christlichen Anschauungen sowie

die theologische Dogmalik in ungestörter Naivelät ihre unnatürliche

Allianz mit verkümmerten und verschrobenen Resten des Arislotelismus

fortführen können. Jedoch der selbsleigeue innere Trieb der Dialektik

war ja auch schon bisher selbst innerhalb der ecclesia docens wach

gebliehen, und da nun, wie wir sahen, von zwei Seilen her, neuilich

einerseits gerade durch den dogmatischen Streit über die Trinilät und

andrerseits durch sporadische und allmälig sich vervollständigende Kenntniss

der bis dahin unbekannten aristotelischen Bücher, eine gesteigerte

Anregung eintrat, so erhob sich jetzt neben aller Mystik der Schule

von St. Victor zugleich eine reiche und vielfach gespaltene Bewegung

auf dem Gebiete der Logik, deren Geschichte hier nach Maassgabe der

vorhandenen Quellen in eine äusserst schwierige Periode eintritt. Die

Schwierigkeit nemlich liegt zunächst darin, dass die uns zugänglichen

Berichte wohl vielfällig bis ins einzelnste Detail hinabreichen, aber da

bei in schlechthin fragmentarischer Form uns über alle verknüpfenden

Fäden im Unklaren lassen, wozu noch die Unbestimmtheit der üblichen

Bezeichnung „quidam" oder des blossen Anfangs-Buchslaben des Namens

eines Logikers hinzukömmt; und es wird so auch überhaupt; z. B. na

mentlich in Bezug auf jenes Fragment, welchem Cousin den Titel „De

generibus el speciebus" gab49), die ohnediess schon missliche Unter

suchung mannigfach durch litlerarische Schwierigkeiten durchkreuzt;

ausserdein ist mancher Berichterstatter an sich von geringerer Verlässigkeit,

und wir slossen auf Widersprüche, welche in Folge des Mangels

an anderweitigen Quellen nicht genügend gelöst werden können.

Fragt es sich aber dann noch, wie dieses zerfahrene und lücken

hafte Material für die Darstellung verarbeitet werden solle, so konnte

ich bei der Unmöglichkeit, die. einzelnen (meist nicht näher bekannten)

Autoren in geschichtlicher Abfolge zu entwickeln, nach vielfacher Er

wägung nur den Ausweg finden, dass ich die Zeit Abälard's collectiv

darstelle, und zwar so, dass in ähnlicher Weise wie im XI. Abschnitte

die zahlreichen Conlroversen nach der Reihenfolge der inhaltlichen Haupt

gruppen der damaligen Logik vorgeführl werden, wobei die verschiede

nen Meinungen über die Isagoge, d. h. der Streit über die Universalien,

einen ausgedehnteren Stoff darbieten , als die Erörterungen über die

übrigen Theile der Logik. Während aber so die hervorragenderen uns

bekannteren Autoren an diese inhaltlichen Momente geknüpft werden,

tnusste ich allerdings hievon gerade bei Abälard eine Ausnahme machen,

dessen Ansicht über die Universalien doch wieder nur bei der später

zu entwickelnden Charakteristik der gesaminien Dialektik Abälard's ihre

49) Es mnsste eine schlimme Verwirrung zur Folge haben, wenn die franzö

sischen Gelehrten mit Cousin dieses Fragment für eine Schrift Abälard's hielten;

H. Ritter hat bierin richtiger geurtheilt (wenn wir auch seiner Vermuthung über

den Autor selbst nicht beipflichten können, s. unten Anm. 146.); hingegen hat,

— um von Rousselot abzusehen, welchem bei Abfassung seines Werkes der 7. Band

Ritter's noch nicht vorliegen konnte — , auch Remusat und sogar Uauriav, Ritter's

Ansicht völlig ignorirt und im Anschlüsse an Cousin auf jene Schrift Schlüsse

gebaut, welche der richtigen Darstellung des Streites über die Universalien nach

theilig sein mussten.

PRAHTL, Gesch. II. 8

114 XIV. Reichere Bewegung.

genügende Erörterung finden konnte, denn von ihm allein ja besitzen

wir eine fast den ganzen Umkreis der Logik umfassende Schrift. Doch

hielt ich eine solche Zertheilung der Conlroversen , soweit sie die Uni

versalien betreffen, hier eben für das kleinste der unvermeidlichen Uebel.

Nach Abälard können dann in gleicher Weise hauptsächlich Gilbertus

Porretanus und Johannes von Salesbury folgen.

In Folge der oben angegebenen Gründe nahm das Studium der

Logik, abgesehen von seiner allseitigen örtlichen Verbreitung, durchweg

an intensiver Schärfe und Präcision zu, und man gewöhnte sich daran,

alle einzelnen Sätze oder Erörterungen durch das ganze damals zugäng

liche Material der Logik hindurch so genau als möglich zu erwägen

und nach verschiedenen Seiten zu beleuchten, wobei allerdings, da

eine eigentlich philosophische Basis gänzlich fehlte, nur eine einseitig

formale Spitzfindigkeit hervortreten konnte, welche ebensosehr zur zersplittertsten

Parteispaltung führen musste, als sie hinwiederum durch

diese genährt und bestärkt wurde, und vielleicht mag die Zahl der Magistri,

welche in solcher Weise das ganze Gebiet der Logik, meist

mit polemischer Erledigung gegnerischer Ansichten, durcharbeiteten, in

Frankreich allein nicht weit hinter einem Hundert zurückgeblieben sein.

Nicht zu wundern wohl ist es, wenn bei solchem Betriebe Diejenigen,

welche die Logik nicht von vorneherein aus theologischen Gründen

ängstlich scheuten , häufig beim ersten Eintritte in dieselbe in Verwir

rung gerielhen 50) ; wirkt es doch auf uns selbst fast schwindelerregend,

wenn wir aus den fragmentarischen Einzelnheiten einen Rückschluss

auf das Ganze machen, welchem sie angehört hatten. Eine grosse Täu

schung ist es, wenn man die damalige Bewegung in der Logik mit den

zwei Worten „Nominalismus" und „Realismus" oder etwa noch mit Hin

zufügung eines dritten, nemlich „Conceptualismus", erledigen zu können

glaubt, denn erstens ist, wie sich zeigen wird, die Parleispallung eine

weit mannigfaltigere, und zweitens bildet dieselbe nur einen Theil des

Gesammt-Betriebes der Logik.

Wenn wir dem Johannes von Salesbury, welcher zwar häufig hloss

nach allgemeinen Eindrücken und Vieles nur aus dem Gedächtnisse nie

derschrieb (s. unten Anm. 536), vollständig vertrauen dürfen, wäre

der Entwicklungsgang der Logik, welche entweder in Compendien (arles)

oder in Commentaren oder in blosser Glossirung bearbeitet wurde51),

in jenen Jahrzehenlen im Ganzen folgender gewesen. Johannes nemlich

spricht von einem Gegner seiner logischen Auffassung, welchen er sym

bolisch Cornificius nennt (s. unten Anm. 528 ff.), und sagt bei dieser

Gelegenheit52), jene beliebte Manier, ohne ordentliches und mühevolles

50) Abael. Dialect. b. Cous. p. 436.: Sed quia labor huius doctrinae diuturnus

.... fatigat lectores, et multorum studia et aetates subtilitas nimia inaniter consumit,

multi ....de ea difftdentes ad eius angustissimas fores non audent accedere; plurimi

vero eins subtilitate confusi ab ipso aditu pedem referunt.

51) Joh. Saresb. Metal. III, Pro/, p. 113. (ed. Giles vol. V.): JVon m transitu

vel semel dialecticorum attigi scripta, quae vel in artibus vel in commentariis aut glossemalibus

scientiam pariunt aut retinent et reformant.

52) Ebend. I, l, p. 13.: Cornificius noster studiorum eloquentiae imperitus et

improbus impugnator (2, p. 14.) populum qui sibi credat habet, et ei turba

XIV. Reichere Bewegung. 115

Studium ein Philosoph sein zu wollen, in Wirklichkeit aber nur ein

Sophist zu sein und Andere in blosser Sophistik heranzubilden, (Hesse

aus jener Schule, in welcher man auf eigene Faust habe geistreich sein

wollen, indem man lediglich auf angebornes logisches Talent sich stützend

sich mit Controversen der läppischsten Art, z. B. ob ein Schwein, wel

ches zu Markt geführt wird, von dem Stricke oder von dem Menschen

festgehalten werde, u. dgl. , beschäftigte, dabei aber stets in gespreiz

tem Dünkel mit etlichen Kunstworten der Logik um sich warf, — eine

Richtung, welche ebenso intolerant gegen jede anderweitige Wissenschaft

und Bestrebung gewesen sei , als sie in ihrer Neuerungssucht und bei

dem raschen Uebergange vom Lernen zum Lehren sich bald in das

grössle Bunlerlei individueller Ansichten zersplittert habe. Eine Folge

dieses haltlosen Treibens sei nun gewesen53), dass die Einen in weitschmerzlicher

Ueberzeugung von der Eitelkeit dieser Dinge in die Klö

ster sich flüchteten, Andere in Salern und Montpellier das Studium der

Medicin ergriffen, um nun diese Wissenschaft in gleicher rabulistischer

insipientium acquiescit, illorum tarnen maxime , qui ... videri quam esse sapientes

appetunt .... 3, p. 15 ff. : sine artis beneftcio .. . faciet eloquentes et tramite compendioso

sine labore philosophos .... Eo autem tempore ista Cornificius didicit, quae nunc

docenda reservat, .... quando in liberalibtts disciplinis lillera nihil erat et ubique spiritus

quaerebatur , qui ut aiunt tatet in littera; Hylam esse ab Hercule, validum scilicet

argumentum a forti et robusto argumentatore , et in hunc modum docerc

omnia, Studium illius aetatis erat. Insolubilis in illa philosophantium schola tunc

temporis quaestio habebatur, an porcus, qui ad venalitium agitur , ab homine an a

funiculo teneatur; item an capucium emerit , qui cappam integram comparavit. Inconveniens

prorsus erat oratio , in qua haec verba „conveniens" et „inconveniens", „argumenlum"

et „ratio" non perstrepebant mulliplicalis parliculis negativis et traiectis

per „esse" et „non esse", ita ut calculo opus esset, quoties fueral disputatum

Sufficiebat ad victoriam verbosus clamor, et qui undecunque aliquid inferebat, ad propositi

perveniebat metam. Poetae, historiographi habebanlur infames et si quis incumbebat

laboribus anliquorum (d. h. der antiken Autoren, des Porphyrius, Boelhius),

.... amnibus erat in risum. Suis enim aut magistri sui quisque incumliebat invenlis;

nee hoc tarnen diu licitum, quum ipsi auditores .... urgerentur, ut et ipsi sprelis his,

quae a doctoribus suis audierant, cuderent et condcrent novas seclas. Fiebant ergo

summt repente philosophi, nam qui illitemtus accesserat, fere non morabatur in scholis

ulterius, quam eo curriculo temporis, quo ovium pulli plumescunt, itaque recentes

magistri e scholis ...pari tempore avolabant .... Ecce noi'a ßebant omnia, innovabatur

yrammatica, immutabatur dialcctica , contemnebatur rhetorica, et nocas tolius quadrivii

vias evacuatis priorum regulis de ipsis plülosopliiae adytis proferebant. Solam „convenientiam"

sive „ralionem" loauebantur , „argumentum" sonabat in ore omnium, et

aliquid operum nalurae nominare, instar criminis erat aut ineptum nimis aut rüde et

a philosopho alienum. Impossibile credcbatur ', convenienter et ad rationis normam

quidquam dicere aut facere, nisi „convenientis" et „rationis" mentio ezpressim esset

inserta , sed nee argumentum fieri licitum , nisi praemisso »omine argumenti.

53) Ebend. c. 4, p. 18 ff. Alu namque monachorum aul clericorum claustrum

ingressi sunt .... deprehendenles in se et alüs praedicantes , quia quidquid didiceranl

Manilas vanitalum est Alii autem Salcrnum vel ad Montem Pcssulanum profecti

facli sunt clientuli medicorum et repente quales fuerunl philosophi, tales in momento

medici eruperunt Alii se nugis curialibus mancipaverunt , ut magnorum:virorum

patrocinio frcti possent ad divitias adspirare Alii autem ad vulgi professiones

easque profanas relapsi sunt parum curantes quid philosophia doceat dummodo

rem faciant „si possunt, reue, si non quocunque modo rem" Hoc autem quasi

quadrivio .... evadebant Mi repentini philosophi .... non modo trivii nostri, sed totius

quadrivii contemplyes.

~ 8*

116 XIV. Reichere Bewegung. Alte und neue Logik.

Weise, wie vorher die Logik, zu hetreiben, wieder Andere aber das

Leben an den Höfen der Reichen und Grossen aufsuchten , endlich An

dere lediglich auf Gelderwerb denkend sich in die niederen Sphären

des Lebens warfen (s. Anm. Ü30), kurz dass bei diesen Allen die Logik

und die Wissenschaft überhaupt in die grösste Missachtung fiel. Hier

auf aber, fährt Johannes fort54), sei ein Aufschwung der freien Künste

durch Männer, wie Gilbertus Porretanus, Theodorich (uns nicht näher

bekannt), Bernhard von Chartres, Wilheljn von Conches, und vor Allen

durch Abälard eingetreten, wodurch eben jene Verächter tieferer und

ernstlicher Studien nur zu Hass angestachelt und zu Schmähungen fort

gerissen worden seien; Schmähungen, welche sie nun auch gegen An

seimus, Wilhelm von Champeaux, Hugo von St. Victor, Robert Pullus

u. A. , sei es in logischer oder in theologischer Beziehung , gekehrt

hätten; die genannten Männer aber seien es, durch welche oder durch

deren Schüler er, nemlich Johannes, seihst seine Bildung empfangen

habe.

Dieser Bericht aber des Johannes von Salesbury wird uns ausser

seinem allgemeinen Inhalte noch insbesondere dadurch wichtig, dass

sich daran die Unterscheidung von „antiqui" und „moderni" (abweichend

von der Bedeutung dieser Worte bei einem früheren Schriftsteller , s.

vor. Ahsclin., Anm. 326.) in dem Sinne anknüpft, dass letztere die eben

angeführten verdienstvollen Logiker, erstere aber jene spitzfindigen Sophi

sten der vorhergehenden Zeit sind65), und wenn wir hierin ein Vor

spiel der späteren Trennung zwischen velus logica und nova logica

erblicken, wornach von dorther der Riickschluss statthaft wäre, dass

die anliqui sich bei der älteren Boethianischen Tradition der Logik

begnügten, die moderni hingegen dem aristotelischen Organen näher

standen, so bestätigt sich dieses entschieden durch das oben, Anm. 26,

Angeführte, sowie durch eine anderweitige deutliche Stelle des Johan

nes selbst 56). Ja ferner sagt derselbe, dass jene windige Geschwätzig-

54) Ebend. c. 5, p. 21 f.: Solebat magister Gilbertus .... eis artem pisloriam

polliceri Sed et alü viri amatores litterarum, utpote magister Theodorims, artium

itudiosissimus investigator, itidem Willelmus de Conchis, grammalicus post Bernardum

Carnotensem opulentissimus , et peripateticus Palatinus, qui logicae opinionem praeripuit

Omnibus coaetaneis suis, adeo ut solus Aristotelis credcrctur usus colloquio, se

omnes opposuerunt errori Praedictorum opera magistrorum et diligentia redierunt

ortes et quasi iure poslliminii honorem prislinum nactae sunt Hinc indignatio,

quam adversus discipulos memoralorum sapientium concepü Cornificii domus •

impudenter etiam obfuscare nilitur Anselmum et Radulfum , nam de Alberico

Remensi et Simone Parisiensi palam loquunlur Willelmus de Campellis er

rosse convincitur scriplis propriis, vix parcitur magistro Hugoni de Sanclo Victore,

Rodbertus Pullus .... dicerelur ßlius subiugalis , nisi sedi aposlolicae deferretur

...... Ego aulem .... fateor aliquos praemissorum habuisse doctores et itidem aliorum

audisse discipulos et ab eis modicum id didicisse quod novi.

55) Ebend. I, Prol. p. 9.: Nam ingenium hebes est et memoria infidelior, quam

ut antiquorum sublilitates percipere aul quac aliquando percepla sunt, diulius valeam

relinere JVec dedignatus sum , modernomm proferre sentenlias , quos antiquis

in plerisque praeferre non dubito. Vgl. Anm. 219, 365, 522.

56) Ebend. III, 6, p. 138.: JVon inanem reputem operam modernorum, qui

equidem nascentes et convalescenles ab Aristotele inventis eins multas adiiciunt rationes

et regulas prioribus • aeque firmas; habemus graliam peripatetico Palatino et aliis

XIV. Alte und neue Logik. 117

keit, als deren örtlichen Hauptsitz er einmal gelegentlich Paris bezeich

net57), aus einer Silbenstecherei hervorgegangen sei, welche die gegen

alle anderen Wissenschaften intoleranten Logiker viele Jahre hindurch,

ja während ihres ganzen Lebens unablässig in Zusammenstellung und

Bekämpfung aller möglichen Meinungen derartig übten, dass Mancher

selbst seine eigene Ansicht nicht mehr wusste58), wobei man dann um

des persönlichen Ruhmes willen selbst die antiken Autoren verschmähte

und die übliche Ordnung der Schul-Logik hei Seite setzte 59). Und

endlich wird nun noch ausdrücklich bemerkt, dass dieser übermässige

und bornirte Aufwand von Zeit und Kräften sich hauptsächlich um die

Isagoge drehte, bei deren Erklärung man den Streit über die Universa

lien für die einzig höchste Aufgabe hielt60), so dass ebensosehr zum

praeceptoribus nostris, qui nobis proftcere studuerunt vel in explanatione veterum vel

in inventione novorum.

57) Epitt. 181. (vol. l, p. 298. ed. Giles): Studäs tuis congratulor, quum

agnosco ex signis perspicuis in urbe garrula et ventosa, ut pace scholarium didum

sil, non tarn inulüium argumenlationum locos inquirere, quam virtutum. Doch könnte,

da der Magister Radulfus Niger, an welchen di&er Brief gerichtet ist, uns nicht

näher bekannt ist, unter der urbs ventosa möglicher Weise auch Avignon zu ver

stehen sein , denn sprichwörtlich sagte man „Avenio ventosa , sine vento venenosa,

cum venlo fastidiosa."

58) Metal. II, 6, .p. 72. : Indignantur puri philosophi et qui omnia praeter logi- •

tarn dedignantur , aeque grammaticae ut physicae expertes et elhicae c. 7, p.

73.: qui clamant in compitis et in triviis docent et in ea, quam solam proßtentur,

.non decenvium aut vicennium, sed totam consumpserunt aetatem Fiunt itaque in

puerilibus academici senes , omnem dictorum aut scriplorum excutiunt syllabam, imo

et litleram, dubüantes ad omnia, quaerentes semper, sed nunquam ad scientiam pervenientes

, et landen converluntur ad vaniloquium ac nescientes, quid loquantur aut

de quibus asserant, errores condunt novos et antiquorum (d. h. der antiken Autoren,

wie oben Anm. 52.) aut neseiunt aut dedignantur sententias imitari; compilant omnium

opiniones et ea quae eliam a vilissimis dicta vel scripta sunt, ob inopiam iudicii scribunt

et referunt, tanla est opinionum et oppositionum congeries ut vix suo nota

esse possil auclori. Ebend. c. 18, p. 93.: De magtstris aut nullus aul rarus est,

qui doctoris sui velit inhaerere vestigiis ; ut sibi faciat nomen, quisque proprium cudit

errorem. Polycr. VII, 12, p. 126.: Vetus quaestio, in qua laborans mundus iam

senuit, in qua plus temporis consumptum esl, quam in acquirendo et regendo orbis

imperio consumpserit Caesarea domus , haec enim tamdiu mullos tenuit, ut quum

hoc «nun» tota vita quaererent, tandem nee istud nee aliud invenirent. Hiezn unten

Anm. 540.

59) Enthet. v. 41 ff.: Si sapis auclores, veterum si scripla menses, VI slatuas,

si quid /orte probare velis , Undique damabunt ,,vetus hie quo tendit asellus, Cur

veterum nobis dicta vel acta referl? A nobis sapimus, damit se nostra iuvenlus, Non

recipit veterum dogmata noslra cohors, JVon onus accipimus, ut eorum verba sequamur,

Quos habet auctores Graecia, Roma colit (v. 59.) Temporibus plaeuere suis velerum

bene dicta, Temporibus nostris iam nova sola placent." Haec schola non

curat, quid sit modus ordove quid sit, Quam teneant doctor discipulusque viam.

60) Metal. II, 16, p. 89.: Sed quia ad hunc elementarem librum (d. h. die Ka

tegorien) magis elementarem quodammodo scripsit Porphyrius, eum ante Aristotelem

esse credidit antiquitas praelegendum ; rede qutdem, si rede doceatur, id est ut tenebras

non indueat erudiendis nee consumat aetalem c. 17, p. 90.: Naturam

lamen universalium hie omnes expediunt et altissimum negotium et maioris inquisitionis

contra meutern aucloris explicare niluntur. Ebend. III, 5, p. 136.: qui in Porphyrio

aut Categoriis explanandis singuli volumina multa et magna conscribunl. Eine be

stätigende Aensserung Abälard's s. unten Anra. 104.

118 XIV. Die Parteispaltung.

Tummelplätze individueller Eitelkeit wie zum Nachtheile des Unterrichtes

zuletzt alle Weisheit in die Erörterung des Porphyrius hineingepfroprt

wurde 61).

So führen uns die allgemeineren Angaben des Johannes von Salesbury

von selbst zu den Cöntroversen über die Universalien, und wir

dürfen aus dem Bisherigen füglich schliessen, dass der Streit in jener

einseilig spitzfindigen Weise in den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderles

entbrannte, so dass hier die geschichtliche Anknüpfung an

das Auftreten des Roscellinus und an die damals stell erhebenden Kämpfe

(s. vor. Abscbn. Anm. 312 ff. u. bes. Anm. 326) deutlich vorliegt. Ja

innere Gründe sprechen dafür, dass von ebendort her bei den Controversen

betreffs der Universalien vorerst die nominalistische Auffassung

die überwiegendere gewesen sein mag, denn nicht bloss der Umstand,

dass jene Logiker nach des Johannes Bericht sich exclusiv und intole

rant gegen jede Real-Wissenschaft verhielten (Anm. 52 u. 58), deutet

auf Derartiges hin, sondern es ergibt sich auch leicht der Schluss, dass

jene von Johannes angeführten verdienstvollen Wiedererwecker der Logik,

welche sämmtlich einem extremen Nominalismus abhold waren oder

theilweise selbst bis an die( äiissersten Gränzen des Realismus fortschritten,

jedenfalls einen Umschwung hervorriefen oder beförderten,

welcher von nominalistischen Grundsätzen hinweg auf anderweitige Bah

nen hinüberlenkle.

Dass aber hiebei, wie wir schon sagten, die Spaltung der Ansichten

sich nicht bloss in einem dichotomischen oder trichotomischen Gegen

satze bewegte, sondern in einer grösseren Zahl von Abstufungen auf

trat, erhellt aus genauerer Einsichtnahme der uns zugänglichen Quellen.

Die ausführlichste Notiz gibt uns wieder Johannes von Salesbury, wornach

die Meinungsverschiedenheit bezüglich der Universalien sich folgendennaassen

gestaltet habe :

1) die Ansicht des Roscellinus, dass dieselben voces seien62), —

s. Anm. 76 II1.;

2) jene des Abälard und seiner Anhänger, dass die Universalien

auf sermones zu reduciren seien, da das Prädicat eines Dinges

nie selbst ein Ding sein könne63), — s. Anm. 283 ff.;

61) Ebend. II, 20, p. 113.: Nee fideliier mm Porphyrio nee utiliter cum Mroducendis

versantur, qui omnium de gencribus et speciebus recensent opiniones, Omnibus

obviant, ul landen suae inventionii mtja.nl titulum. Ebend. III, l, p. 117.: Auslerus

nimis et durus magister esl, tollcns quod positum non est el melens quod non

esl seminatum, qui Porphyrium cogit solvere, quod omnes philosophi acceperunt, cui

satisfactum non est, nisi libellus doceal, quidquid alicubi scriptum invenilur. Polycr.

VII, 12, p. 129.: Qui ergo Porphyriolum omnibus philosophiae partibus replent, introducendorum

obtundunt ingenia, memoriam lurbant. Hiezn die unten, Anm. 98., an

zuführende Stelle des Wilhelm v. Conches.

62) Melal. II, 17, p. 90., woselbst nnch den so eben (Anm. 60.) angeführten

Worten unmittelbar jene Stelle über Roscellinus (s. vor. Abscnn. Anm. 318.) folgt.

63) Ebend.: Alius sermones inluetur et ad illos detorquet, quidquid alicubi de

universalibus meminit scriptum; in hac autem opinione deprehensus est peripatelicus

Palalinns Abaelardus noster, qui mullos reliquit et adhuc quidem aliquos habet professionis

huius sectalores et testes; amici mei sunt, lieft ita plerumque captivatam

detorqueant lillcram , -ut vel durior animus miseratione Mius nioveatur. Rem de re

XIV. Die Parteispaltung. 119

3) die Annahme, dass intellectus oder notio im Sinne Cicero's (d.

h. der Stoiker) dasjenige sei, was man Universale nenne 64), —

s. Anm. 581 ff.

Von diese« unterscheidet Johannes dann Diejenigen, welche an den

Dingen haften („rebus inhaerenl") , sich selbst aber wieder in mehrere

Parteien spalten, sonach:

4) die bald wieder aufgegebene Ansicht des Walter von Mortaigne,

dass die Universalien mit den Individuen (d. h. den res sensibües)

essentiell vereinigt seien, wornach es auf den „Status"

ankomme, nach welchem man das Individuum betrachte65), —

s. Anm. 129 ff. ;

5) der platonische Realismus des Bernhard von Chartres 66) , — s.

Anm. 89 ff. ;

6) die Annahme des Gilbert von Poitiers betreffs der formae natfroe67),

— s. Anm. 460 ff.;

7) die Ansicht des Gauslenus von Soissons, dass die Universalität

praedicari monslrum dicunl, licet Aristoteles monstruositatis huius auctor sit et rem

de re saepissime asserat praedicari, quod palam est, nisi dissimulent, familiaribus

eius.

64) Ebend. (fortgefahren) : Alius versatur in inlellectibus et eos duntaxat genera

dicit esse et species; sumunt mim occasionem a Cicerone et -ßoclhio, qui Arislotelem

laudant auctorem, quod haec credi et dici debeant notiones ; ,,esl autem", ut aiunl,

„notio ex ante percepta forma cuiusque rei cognitio enodatione indigens" (so aller

dings Cicero in der Abschn. VIII, Anm. 37. angeführten Stelle, welche aber zugleich

zeigt, dass derselbe sich nicht auf Aristoteles, sondern auf „Graeci", d. h. auf die

Stoiker berief), et alibi: ,,notio est quidam intellectus et simplex animi conceptio"

(so Boeth. ad Cic. top. p. 805. bei Erklärung jener ciceronischen Stelle, nur voll

ständiger, nemlich: „ conceplio, quae ad res plures pertineat a se invicem differentes,

id vero genus esse, manifestum est", sodann aber nach einigen Zeilen hin

zufügend: at vero Aristoteles nullas putat extra esse substanlias, sed intellectam similitudinem

.plurium inier se differenlium substanlialem genus pulat esse vel speciem);

eo ergo deflectitur quidquid scriptum est, ut- iii^Mecius aut notio universalium univeriitalem

claudat. .'r\h'-fa «»1*0

65) Ebend. p. 90 f.: Eorum «er* $w\ rebuminliaerent , multae sunl et diversae

opiniones. Siquidem hie ideo, quod onwfc. qujlt) unum est, numero est, rem univer

salem aul unum numero esse aut omnino ,.non • esse concludit; sed quia impossibile,

substantialia non esse existentibus his quorum sunt substantialia , denuo colligunt,

universalia singularibus quod ad essentiam unienda. Parliuntur itaque Status duce

Gautero de ttauritania et Platonem in eo quod Plato est dicunt individuum, in co quod

homo speciem, in eo quod animal genus, sed subalternum, in eo quod subslantia generalissimum.

Habuit haec opinio aliquos assertores, sed pridem hanc nullus profitetur.

66) Ebend. p. 91.: llle ideas ponit Plalonem aemulatus et imitans Bcrnardum

Carnotensem et nihil praeter eas genus dicit esse vel speciem (p. 92.) Egerunt

operosius Bernardus Carnotensis et eius seclatores, ut componerent inier Aristotelem et

Plalonem, sed eos tarde ventsse arbiträr et laborasse in vanuni, ut reconciliarent mortuos,

qui quamdiu in vita licuit dissenserunt.

67) Ebend. p. 92. r Porro alius, ut Aristotelem exprimat, cum Gilberto episcopo

Piclaviensi universalUatem formis nativis attribuit et in earum conformitale laborat; est

autem forma nativa originalis exemplum et quae non in mente dei consistit, sed rebus

creatis inhaeret; haec graeco eloquio dicitur tläo;, habens se ad ideam ul exemplum

ad exemplar, sensibilis quidem in re sensibili, sed mente concipitur insensibilis, singularis

quoque in singulis, sed in Omnibus unieersalis.

120 XIV. Die Parteispaltung.

nur in einem „colligere" beruhe 68) (s. Anm. 145 ff.), welche

wegen mancher Schwierigkeiten sich zu

8) der Annahme betreffs der „maneries" gestaltete oder in die obige

stafus-Frage auslief69), — s. Anm. 85 fl'. »

Sowie aber Johannes diess noch einmal zusammenfasst, um alle

diese Ansichten mit Ausnahme der dritten als anti-aristotelisch zu be

zeichnen, und zwar mit einer merkwürdigen Wendung, wornach ihm

zuletzt Jedwedes als Realismus erscheint 70), so spricht er ein anderes

Mal gleichfalls von dieser Parleispaltung und nennt daselbst71) von den

so eben aufgezählten Ansichten nur die ersten vier, neu aber kömmt

nun dort hinzu

9) die Ansicht, dass die Universalien abstracte Formen wie die

mathematischen seien.

Dass wir aber hiemit noch nicht zu Ende sind, sieht jeder Kun

dige schon daraus , dass in des Johannes Bericht Wilhelm von Champeaiix

gar nicht erwähnt ist; nun kömmt aber, — um vorläufig nur

bei der Aufzählung der verschiedenen Meinungen stehen zu bleiben —,

68) Ebend.: Est et alius, qui mm Gausleno Suessionensi episcopo universalitatem

rebus in unum collectis atlribuit et singulis eandem ilemit.

69) Ehend. p. 92 f. : Exinde quum ad interpretandas auctorilates ventum est,

laborat prae dolore, quia in locis pluribus rictum liltcrae indignantis fern non suslinet.

Esl aliquis , qui confugiat ad subsidium novae linguae , quia latinae periliam non

salis habet; nunc enim quum genus audit vel speties, res quidem dicit intclligendas

universales , minc rerum maneriem (unbegreiflicher Weise gibt Giles materiem, ob

wohl die Ausgabe Amslel. 1064 das Richtige hat, abgesehen von den sogleich fol

genden Worten, s. unlen Anm. 85.) interpretalur ; hoc autem nomen in quo auctorum

invencrit vel hanc distinctionem^ incerlum halieo , nisi forte in glossematibus aut

modernorum linguis doctorum. Sed et ibi quid significet, non Video, nisi rerum

colleclionem cum Gausleno aut rcm universalem, quod tarnen fugit maneriem (ebenso)

dici , nam ad utrumque polest ab interpretalione nomen referri, eo quod maneries

(ebenso) rerum numerus aut Status dici polest, in quo talis permanet (also er etymologisirt

vom Stamme ,,maneo") res ; nee deesl, qui rerum Status attendat et eos

genera dieit esse et species. • jU.-ijtpi *>;.,.

70) Ebend. c. 20, p. 95.: Quare ab Aristotele recedendum esl concedendo ut

universalia sinl (s. unten Ainn.:<$90vV)< 0<U< fefragandum opinionibus , quae eadem

(1) „vocibus", (21 ,,sermonibus"^(fy")>>'sfMibilibus rebus", (5) ,,ideis", (6) ,,formis

nativis" (die Ausgaben haben /ofim's, naturis) , (7 u. 8) „colleclionibus" aggregant,

quum singula horum esse non dubilenlur , qui autem ea esse statttit , Aristoleli

adversetur.

71) Polycr. VII, 12, p. 127.: In his aelatem lerere, nihil agentis et fruslra

laborantis est Expediunt haec auctorcs multis modis variisque sermonibus

et litigiosis hominibus multam contendendi materiam reliquerunt. Inde est, qui sensibilibus

aliisque singularibus apprehensis , quoniam haec sola veraciter esse dicunlur,

ea in diversos ,, Status" (4) subvehit, pro quorum ralione in ipsis singularibus

specialissima generalissimaque constituit. Sunt, qui more mathematieorum ,,formas"

(diess das Neue) abstrahunt et ad Mas, quidquid de universalibus dicilur, referunt.

Alii discutiunt „intellectus" (3) et cos universalium nominibus censeri conftrmant.

Fuerunt ef qui „voces" (1) ipsas genera dicerent et species, sed eorum iam explosa

sententia est et fädle cum auclore suo evanuit. Sunt tarnen ndhuc qui deprehenduntur

in vesligiis eorum, licel crubescant auctorem vel sentenliam profiteri solis

nominibus inhaerentes , quod rebus et intellectibus subtrahunt, ,, sermonibus" (2)

adscribunt. Magno se iudice quisque luelur, et ex verbis auctorum .... suam adstruit

senlentiam vel errorem. Oriuntur hinc magna seminaria iurgiorum et colligit

quisque, quo suam possit haeresin conßrmare.

XIV. Die Tarteispaltung. 121

t

noch eine Stelle des Fragmentes De generibus et speciebus hinzu 72),

in welcher gleichfalls die Unterscheidung zwischen Jenen, welche die

Universalien als vox bezeichnen, und denjenigen, welche sie für res

halten, zu Grunde gelegt ist, hei letzteren aber nur zwei Unterarten

derselben namhaft gemacht werden, nemlich

10) die sogenannte ralio indifferentiae (s. Anm. 132 ff.) und

11) die Ansicht des Wilhelm von Champeaux, — s. Anm. 102 ff.

Ferner spricht von diesen Meinungs-Verschiedenheilen einmal auch

Abälard73), woselbst er innerhalb des Realismus zunächst die beiden

so eben genannten Annahmen erwähnt, sodann aber auch

12) eine Auffassung, wornach der Unterschied zwischen Gattung

und Individuum nur in einer Eigenthümlichkeit (praprietas?) des

Daseins liege, insoferne das Universale sowohl in Mehreren zu

gleich als auch in Einzelnwesen auftreten könne.

Hingegen Pseudo-Abälard De intelleclibus (s. unten Anm. 416 ff.)

unterscheidet unbestimmt allgemein nur Realisten, Nominalisten und die

Abälard'sche Ansicht 74).

Endlich aber kömmt noch hinzu

13) die Annahme des Verfassers De generibus et speciebus, — s.

Anm. 148 ff.

72) Bei Cousin, Ouvr. \nt&. d'Abe'lard, p. -513.: De generibus et speciebus

diversi diversa sentiunt. Alii namque voces solas genera et species universales et

singulares esse affirmant, in rebus vero nihil horum assignant. Alii vero res qenerales

et speciales universales et singulares esse dicunt , sed et ipsi inter se diversa

sentiunt; quidam enim dicunt singularia individua esse species et genera subalterna

et qeneralissima alio et alio modo atlenta (der Verfasser bezeichnet diese

Ansicht selbst als ,,senlenlia de indifferenlia" , s. nnlen Anm. 133.); alii vero quasdam

essenlias universales fingunt, quas in singulis individuis Iotas essentialiter esse

credunt (dass diess letztere die Meinung Wilhelm's sei, wird unten erhellen).

73) fn den schon oben, Anm. 13., angeführten Glossulae super Porphyrium

bei Re'musat a. a. 0. p 96. (leider gleichfalls nicht im Originaltexte mitgetheilt) :

La grande question que Porphyre indique en dttbulanl arrele Abilard, et il est

presque oblige' de la trailer seulement pour la poser. Toutes les opinions sur les

universaux se prtvalenl, dit-il, de grandes autoritts (schon hier übersetzt Re'musat

falsch, denn er gibt in der Anmerkung die Original-Worte ,,unus quisque se tuetur

auctorilate iudice", deren Sinn ist, dass jeder seine Ansicht durch die überlieferte

Auctorität, d. h. durch Aristoteles, stützt) p. 97.: Le premier Systeme est celui

de l'existence des choses universelles. II est plusieurs manie'res de Iflablir. Suivant

l'une etc. (nun folgt die Ansicht Wilhelm's von Champeaux, s. unten Anm. 105.)

p. 99.: La seconde manie're etc. (folgt die Indifferenz-Lehre, s. unten Anm.

132.) p. 101 f.: Enfin on s'y prend d'une troisieme manie're pour soutenir que

les universaux sont des choses. Voulanl expliquer la communautt!, l'on du qu'enlre

la ehose universelle et la chose singulie're est une difftrence de proprie'le' , la proprie'te'

qui consiste a etre universelle, la propriMe' qui consiste a etre singuliire.

L'animal, le corps est univcrsel , et n'est pas seulemenl quelque animal et quelque

corps; mais dire ,,1'animal esl universel", revient a dire ,,il y a plusieurs choses

qui sont chacune individuellement animal"; quand „animal" se dit d'un seul, on

enlend qu'un seul, un elre determini est animal Endlich p. 106. folgt in

unbestimmten Ausdrücken die Auffassung der Universalien als voces.

74) Bei Cousin, Fragm. philos. Philos. scolast. Par. 1840. p. 494.: De formis

diversi diversa sentiunt. Quidam enim volunt omnes formas esse essentias (die Rea

listen), quidam nullas (die Nominalisten), quidam quasdam essentias esse conßrmant,

quasdam non (die Anhänger Abälard's, Näheres s. unten).

122 XIV. Die Parteispaltung. Nominalismus.

Von diesem Bunterlei der Meinungen nun werden wir jene des

Ahälard (2.), des Gilbert (6.) und des Johannes von Salesbury (neinlieh

die 3.) erst später in Verbindung mit der gesammten logischen

Thätigkeit derselben erörtern können; sodann aber fallen die 12. und

die 9. darum hinweg, weil wir schlechthin Nichts näheres als das so

eben Gesagte über dieselben wissen ; nur mag bei letzterer bemerkt

werden, dass sie uns entschieden an jene mathematische Betrachtungs

weise erinnert, welche wir oben, vor. Abschn., Anm. 169, schon in

weit älterer Zeit trafen. Die übrigen hingegen müssen wir nun versu

chen genauer zu besprechen, wobei sich uns manche verschlungene

Verwandtschaft zwischen einzelnen derselben und selbst wieder neue

Abarten und Abzweigungen zeigen werden. Auch spielt aber in jene

Controversen , wie sich schon aus dem Vorgange des Boethius (s. Ab

schn. XII, Anm. 85 ff.) erwarten lüssl und es theilweise bereits bei

Roscellinus zu Tage getreten war (vor. Abschn., Anm. 321 f.), in hohem

Grade die Lehre von der Eintheilung und der Definition herein, denn

die Tabula logica des Porphyrius oder Boethius bewegt sich ja haupt

sächlich in den Universalien, womit das Zeugniss Ahälard's übereinstimmt,

dass Viele sich mit jenem Zweige der traditionellen Logik beschäftigten

und Manche sogar die Boethianische Lehre der Einteilung noch zu

vervollständigen versuchten 75).

Was nun zunächst die an Roscellinus anknüpfende Ansicht betrifft,

so scheint dieser Nominalismus in der That nicht so schnell gänz

lich verschwunden zu sein, als es nach den oben angeführten Aeusserungen

des Johannes von Salesbury (s. vor. Abschn., Anm. 325) schei

nen müssle. Denn abgesehen davon, dass dieser nemliche Autor doch

wieder selbst von einer Richtung spricht, welche einseitig nur dem

Klange der Worte folgt und so dieselben fast zum blossen Hauche ver

flüchtigt76), treffen wir nun auch noch in Abälard's Zeit eine Widerholung

jener Vorwürfe, welche Anseimus gegen Roscellinus gewendet

hatte (s. ebend. Anm. 319), und zwar derartig gesteigert, dass der No

minalismus sich schon einem vollständigen Sensualismus genähert zu

haben scheint, wenn behauptet wurde, dass nicht bloss kein Allgemeines

existire, sondern auch durch die Wortbezeichnung das Denken nur die

Einzel- Wesen erfasse 77). Ja mit deutlicher Bezugnahme auf eine Stelle

75) Abael. Dialecl. b. Cousin, p. 450.: Dividende seu diffiniendi peritiam non

solum ipsa doctrinae necessitas commendat, verum diligentcr multorum auctorilas

tractat. Ebend. p. 489. : Movet autem /befasse quosdam , quod sinl quaedam divisiones,

quae in sex suprapositis (d. h. jenen des Boethius, Abschn. XII, Anm. 96.)

non connumerantur.

76) loh. Saresb. Enthet. v. 27 ff. Qui sequilur sine mente sonum, qui verba

capessit, Non sensum, iudex integer esse nequit; Quum vim verborum diccndi causa

minislrct, Haec si nescitur , quid nisi ventus erunt?

77) Pseudo- Abael. D. intell. a. a. 0. (Anm. 74.), p. 488.: Sicut enim, mquiunt,

cum homo sentilur, necesse vel hunc vel ilhim vel aliquem alium sentiri,

eo vidclicet quod omnis homo sit vel hie vel ille vel alius , ita et 'dt intellectu ad

similitudinem sensus ratiocinanhir , ut videlicet si homo intelligatur , necesse sit vel

hunc vel illum vel aliquem alium intelliqi. Praeterea homo nihil aliud sonat quam

quidam homo, unde et qui hominem intclligit, profecto quendam 'hominem intelligit

el ila hunc vel alium intelligit.

XIV. Nominalismus. 123

der Analytik drückten einige extreme Nominalisten, welche selbst das

prädicative Satzverhältniss bekämpft zu haben scheinen (vgl. vor. Abschn.,

Anm. 324 f.), sich sogar derartig aus, dass nicht einmal das Wort

„Individuum" prädicirt werden dürfe, sondern nur die Singularität des

Einzel- Wesens Gegenstand der Aussage sein könne 18). Auch knüpfte

sich eine solche Hinneigung zum Sensualismus 79) an jene der Psycho

logie angehörigen Erklärungen, auf welche Aristoteles in beiden Analy

tiken (s. oben Anm. 19) die Erkenntniss-Theorie stützt80).

Selbstverständlicher Weise hat die Stufenfolge von Gattung zu Art

und von Art zu Individuen bei den Nominalisten keine ontologische Be

deutung, sondern indem sie den Realismus bekämpfen, substiluiren sie

zur Kundgebung ihrer Auffassung für die in der Isagoge üblichen Worte

überall das durch dieselben „Bezeichnete" (significalum) , indem sie z.

B. significatum generis statt genus sagen und in solcher Weise alle

Lehr-Sätze figürlich (figura loculionis) interpretiren, da ihnen ja über

haupt nur die Individuen als seiend gelten, diese aber durch die Worte,

sei es durch specielle oder durch allgemeine, ihre „Bezeichnung" fin

den 81)- Eben Letzteres aber scheint eine Spaltung unter den Nomina

listen hervorgerufen zu haben; nemlich die Einen, und zwar offenbar

die Besonneren, unter welchen ein uns übrigens unbekannter Garmund

genannt wird, hielten doch noch an dem begrifflichen Gehalte des

Wortes, welcher ein inneres Verstehen erzeugt, fest und verneinten es

hiernach entschieden, dass durch den Namen der Gattung auch schon

die Art oder durch eine Inhärenz auch schon das Substrat (z. B. „Mensch"

durch „lebendes Wesen" oder „Körper" durch „Gefärbt") bezeichnet

werde 82) ; Andere hingegen , gewiss die 'Leichtfertigeren und Extre-

78) loh. Saresb. Metal. II, 20, p. 110.: Hine forte est illud in Analylicis

,,Aristomenes intelligibilis semper est, Aristomenes autem non semper" (Anal. pr. I,

33, bei Boeth. p. 495.); et hoc quidem est singulariter Individuum, quod solum

quidam aiunt possc de aliquo praedicari; Plato enim Arislidis ßius nee quantitale

ut atomus nee soliditate ut adamas, sed nee praedicatione, ut dicunt, Individuum est.

79) Ebend. III, 7, p. 140.: Sed minutiores philosopHi cum Porphyrio vulgi sequuntur

opinionem, qui fere id solum consuevit approbare, quod sensibus patet.

Ebend. IV, 20, p. 176.: Vnde et quidam minuti philosophi, eo quod a sensibus

ad scientiam sil processus, nisi eorum quae sentiunlur ullam negant esse'scientiam.

80) Pseudo-Abael. d. intell. a. a. 0. p. 466.: cum quidam omnes imaginationes

quasdam sensuum .... recordationes esse velint, hoc est eas ex rebus senlitis solummodo

haben, etc. Joh. Saresb. Metal. IV, 9, p. 166.: Eorum ergo opinio est, quod

eadem polentia nunc senliat, nunc memoretur, nunc imaginetur, nunc discernat investigando

, nunc investigata assequendo intelligat.

81) D. gen. et spec. b. Cousin, Abe'lard p. 524 : aiunt ßguram lotam esse

locutionem ,,nenus est materia speciei" (diesen Lehrsatz des Boeth. d. divis. s.

Abschn. XII, Anm. 97.), id est: signißcatum generis materia est signißcati speciei;

sed hoc secimdum eos stabile esl, nam cum habeat eorum senlentia, nihil esse praeter

individua et hacc tarnen signi/icari a vocibus tarn universalibus quam singularibus,

idem prorsus signi/icabit animal et homo.

82) Abel. Dialect. p. 210.: Alii enim omnia , quibus vox imposita est, ab

ipso, voce significari volunt, alia vero ea sola , quae in voce denotantur atque in

senlenlia ipsius lenenlur. Iltis quidem magister noster V. (was Cousin höchst will

kürlich als „Willclmus Campellensis" erklärt, s. unten Anm.*102.) favet, his vero

Garmundus (wenn Cousin in einer Anmerkung sagt „infra de eo , sc. Garmundo,

non semel mentio erit", so verstehe ich diess nicht, denn in jenem Texte wenig

124 XIV. Noininalisiiius. Die Lehre von maneries.

liieren, wie z. B. ein gewisser Magister „V.", warfen sich lediglich auf

das Bezeichnen, wornach jedes Ding in jedwedem ihm beigelegten Prädicate

bereits mitbezeiclmet sei, und es ist beachtenswert?!, dass diese

hiebei sich auf die Grammatik stützten, nach welcher jedes Nomen so

wohl eine Substanz als auch zugleich eine Qualität bezeichne 83). No

minalisten der letzteren Art müssen es auch gewesen sein, welche wohl

mit einseitiger Verfolgung der Ansicht des Roscellinus (vor. Abschn.,

Anm. 321) zu der Behauptung gelangten, dass die einfache dictio (d. h.

das einzelne Wort im Gegensatze gegen das Urlheil) überhaupt keiner

lei Theile des Denkactes, nemlich auch keine gleichzeitigen, in sich

trage , sondern wie ein Punkt in unterschiedsloser Einheit Alles , was

unter das Wort fällt, umfasse 84). — Ein paar einzelne Consequenzen

des Nominalismus bezüglich der Kategorienlehre s. unten Anm. 196 f.

u. 199.

Eine Abzweigung des Nominalismus aber war gewiss die Annahme

betreffs der „maneries", s. oben Anm. 69; denn wenn Johannes von

Salesbury dieselbe unter den realistischen Ansichten aufzählt, werden

wir nicht bloss durch jene obige (Anm. 70) Stelle desselben, in welcher

er ja zuletzt Alles als Realismus bezeichnet, sehr bedenklich gemacht,

sondern wir finden auch in einem anderweitigen Berichte die entschie

dene Mittheilung, dass die Nominalisten es waren, welche zur Stütze

ihrer Ansicht, wornach Gattungen und Arten nur die im Subjecte oder

Prädicate .ausgesprochenen allgemeineren oder specielleren Worte seien,

in den betreffenden Stellen des Boethius und des Aristoteles sofort „res".

als „vox" und „genus" als „maneries" bezeichneten 85). Das Wort

stens, welchen Cousin gibt, ist nicht ein einziges Mal mehr Garmund erwähnt)

consensisse videtur. llli quidem auctoritate, hi vero ful/i sunt ratione. Quibus enim

Garmundus annuit, ralionabililer ea sola (fehlt das Verbum, etwa admitlunt oder

dpi.), quae in senlentia vocis tenentur iusta diffinilione „significandi", quae est

„inlellectum generare"; de eo enim vox intellectum facere non polest, de quo in

sententia eius non agitur; unde nee a nomine generis speciem volunt signißcari, ut

hominem ab animali, nee subiectum accidentis a sumpto vocabulo , ut corpus ipsum

a colorato vel albo'; neque enim honto in nomine animalis exprimilur nee subiecti

corporis natura in colorato denotatur, sed tantum illud, quantum subslantia animal

sensihile dicitur, hoc vero tantum, quod informatur colore vel albedine ; habet tarnen

et illud imposilionem ad hominem et hoc ad corpus, de quibus enunliantur.

83) Ebend.: Hi vero, qui omnem vocum impositionem in signiftcalioncm deducunl,

auctorilatem protendunt , ut ea quoque significari dicant a voce, quibuscunque

ipsa esl imposita, ut ipsum quoque hominem ab animali vel Socratem ab hominc

vel subiectum corpus ab albo; nee solum ex arte, verum etiam ex auctoritate grammaticae

id conanlur ostendere ; cum enim tradal grammalica, omne nomen substantiam

cum qualitate significari: , album quoque, quod subiectam nominal substantiam

et qualilalem determinat circa eam, ulrumque dicitur signiftcare (diese Ansicht also

sollte nach Cousin dem Realisten Wilhelm v. Champeaux angehören!).

84) Pseudo-Abacl. d. intell. a. a. 0. p. 472.: Sunt itaque intellectus coniunctarum

et divisarum rerum diclionum tantum, coniungenles vero et dividentes intellectus

orationum tantum sunl ; HU quippe simplices sunt, isti compositi. (So des Ver

fassers Ansicht.) Sunt plerique fortassis (nemlich Nominalisten), qui intellectus

simplices nullas omnino parles habere concedant , neque sctycet per successionem

neque simul (d. h. ungleichzeitige oder successive Theile hat überhaupt nur das

Urtheil, nie aber das* einzelne Wort); qui enim, inquiunt, plura simul inlelligit,

una simplici aclione omnia simul atlendit.

85) D. gen. et spee. a. a. 0. p. 522. : Nunc illam sentcntiam, quae voces solas

XIV. Die Lehre von maneries. Platonismus. Bernhard v. Chartres. . 125

„maneries" seihst ist gleichfalls weder so monströs noch so selten, als

Johannes in seiner obigen (Anm. 69) Angabe meint, denn es begegnet

uns nicht bloss in allgemeiner Bedeutung bei Bernhard von Clairvaux 86),

sondern sogar in speciell logischem Sinne bei einem anderen Autor aus

dem Anfange des 13. Jahrhundertes, nemlich bei dem Kanonislen Huguccio

(gest. 1212), welcher in seiner lexicalischen Schrift „species"

als „rerum maneries" defmirt 8~). Und sowie dieses Wort (das fran

zösische „mamere") nach seiner richtigen Ableitung auf die Bedeutung

„Handhabung" oder „Behandlungsweise" hinausläuft88), so musste es in

logischer Anwendung zunächst die subjective Aul'fassungsweise bezeich

nen und hiemit der nominalistischen Anschauung oder jenem „colligere"

(Anm. 68) näher stehen; hingegen erst, wenn „maneries" von der

Bedeutung „Art und Weise" allmäli» zu der Bezeichnung einer „Sorte"

hinübergewendet war, konnte es in logischem Sinne objectiv so ge

nommen werden, dass die sta(us-Frage (Anm. 65) hereinspielen mochte,

obwohl auch noch bei „Sorte" der Gedanke an das „Sorliren" (d. h.

colligere) nahe genug läge.

Die einseitigen Gegner der einseitigen Nominalisten waren jeden

falls die eigentlichen Platoniker, unter welchen uns zunächst als ein

Hauptrepräsentant Bernhard von Chartres (bis gegen 1 1 60 lebend)

begegnet. Während derselbe ebenso sehr eine höchst ausgedehnte lit

terarische Keimtniss als eine entschiedene Lehrgabe besass 89), war er

kein Freund der Neuerungen, sondern wies auf die Alten hin, auf

deren Schultern allein die neuere Zeit stehe, so dass dieselbe nicht sich

genera et species universales el particularcs pracdicatas el subiectas asserit et non

res , insistamus (p. 523.) Boelhius in commentario super Categorias (p. 114.)

dieit ,,quoniam rerum decem genera sunt prima, necesse fuil decem quoque esse

simplices voces , quae de simplicibus rebus dicerenlur" ; hi tarnen exponunl: „ge

nera, id est manerias". Quasdam autem res universales alt Aristoteles in Periermenias

(b. Soelh. p. 233.) „rerum aliae sunl universales, alias sunt singulares" ;

A« tarnen exponunt: „rerum, id est vocum" Bis aulem tarn apertis auctoritatibus

rationabiliter obviarc non valentes aul dicunl auctoritalcs menliri aut exponere

laborantes , quia excoriarc ncsciunt, pellcm incidunt.

86) Epist. 402. (Opp. ed. Marione., Venel. 1765. /, p. 156.): Mancriei, locutionis

pro sigillo sil, quia ad manum non erat.

87) Huguccio, der Verfasser einer Summa Dccretorum nnd anderer kanonislischer

Schriften (Näheres über ihn s. b. Sarti, d. dar. archigymn. Bonon. profess.

I, p. 296 ff. u. b. Du Gange, Glossar. Praefatio §. XL VI.) hatte ein Vocabularium

(fiter derivationum) geschrieben , welches theilweise aus dem oben erwähnten Papias

(vor. Abschn., Anm. 286 ff.) geschöpft war und mehrfach handschriftlich vor

handen ist. Aus demselben theilt Du Gange s. v. Maneries folgende Worte mit:

Species dicilur rerum maneries, semndum quod dicilur „herba huius speciei, id est

maneriei, crescil in horto meo".

88) S. Diez, Elymol. Würterb. d. roman. Sprachen p. 216. Ein völlig ver

schiedenes Wort ist maneria, welches von maneo abstammt und verwandt mit mansio

„Aufenlbalt" bedeutet (s. Du Gange s. v. Maneria).

89) Joh. Sarcsb. Metal. I, 24, p. 57 f.: Bernardus Carnotensis, exundatissimus

modernis temporibus fons litterarum in Gallia , in auclorum leclione , quia simplex

esset et ad imaginem regulae posilum, oslendebat; figuras grammalicae, colores rhetoricos

, cavillaliones sophismatum , et qua parle sui proposilae lectionis articulus

respiciebat ad alias disciplinas, proponebal in medio; ita tarnen ut non in singulis

universa doceret, sed pro capacitate audientium dispensaret eis in tempore doctrinae

mensuram.

126 XIV. Platonismus. Bernhard v. Chartres.

selbst eitel überheben dürfe90). Der antike Kern aber, für welchen

er schwärmt, ist ausschliesslich der platonische, und da er die Realität

der Universalien auf Plato's Auffassung hin betheuerte91)) mochte er

wohl vergeblich sich bemühen, Solches mit der aristotelischen Ansicht

zu vereinbaren, s. ob. Am«. 66 u. vgl. unten Am«. 143. Ja es fällt

kaum mehr der Geschichte der Logik anheim, zu berichten, dass Bern

hard bei seiner idealistischen Hypostasirung des Seins auch die Singu

larität der Individuen (d. h. natürlich nicht die singulären Individuen

selbst) in der intelligiblen Welt vorgezeichnel erblickt und zu dem mysti

schen Begriffe eines Kreislaufes der Gattungen und Individuen gelangt,

in welchem nur die Namen der Evolutionen oder Involutionen das Wech

selnde seien92). Das Widerspruchsvolle aber, dass diese idealistischen

Verächter der begrifflichen Function des menschlichen Wortes dennoch

auf die übliche Schul-Logik eingiengen, zeigt sich auch bei Bernhard,

von welchem uns in vereinzelter Weise (so dass wir auf eine ähnliche

Bearbeitung der gesammten Logik schliessen dürfen) eine Erörterung

über die Denominativa (s. Abschn. IX, Am«. 44, Abschn. XII, Am». 46

u. 174) überliefert ist. Er führte nemlich auch bei den Adjectivis mit

einem ergötzlichen Gleichnisse den platonischen Realismus durch, indem

ihm das Entsprechende abstracte Substantivum (z. B. albedo) die reine

platonische Idee repräsentirt, hingegen das Verhum (ullti'l) den Beginn

der Vermischung mit dem Accidenlellen bezeichnet, zuletzt aber das

Adjectivum (album) als der Ausdrück der heillosen Vermengung der

Idee mit der concreten Wirklichkeit gilt93). Hiernach dürfen wir es

90) Ebend. III, 4, p. 131.: Dicebal Bernardus Carnolensis , nos esse quasi

nanos giganlium Immcris insidentes , ul possimus plura eis et remoliora videre , non

utique proprii visus acumine aut eminenlia corporis, sed quia in altum subteliimur

et extollimur magnitudine giguntea.

91) Ebend. II, 17, p. 91 'f.: Quoniam universalia corruptioni non subiacent

nee iiiulibiis alterantur, quibus moventur singularia , proprie et vere dicuntur

esse universalia, siquidem res singulae verbi substantivi nuncupalione creduntur indignae,

quutn nequaquam stent, sed fugiant, nee expeclent appellationem

Herum species transeuntibus individuis permanent eaedem Hae autem ideae, id

est exemplares formae , rerttm primaevae omnium rationes snnt, quae ncc diminutionem

suscipiunl nee augmentum, stabiles et perpeluae, u. s. f., — kurz an Stelle

einer verständigen Auffassung eines Erkcnntnissprincipes fmden wir nur beschau

liche Tiraden.

92) Aus dem Megacosmus Bernhard's theill Cousin, Ouvr. inid. d'Abel. p.

627 ff. Einiges mit. Dort lesen wir z.B. p. 628. : Noys summt et exsuperanlissimi

Dei est inlellectus et ex eius divinilate nata nalura, in qua vitae vivenlis imagines,

notiones aeternae, nmndus intelligibilis, renan cognitio praeftnila lllic in genere,

in specie, in individuali singularitate conscripta, quidquid mundus , quidquid parluriunt

elemenla u. s. w. p. 629.: Sie igitur providenlia de generibus ad species,

de speciebus ad individua, de individuis ad sua rursus principia repetüis anfractibus

rerum originem retorquebal Usia aamque primaria foecunda pluralilatis simplicitas

p. 631.: Solis successionum nominibus varialur, quod ab aevo nee contimiatione

nee essenlia separalur. Die Logik ist bei solchem Schwulst wohl zu

Ende, oder halte vielmehr nie angefangen.

93) loh. Saresb. Melal. III, 2, p. 120.: Ex opinione plurium idem principaliler

signiftcant denominativa et ea, a quibus denominanlur. Sed consif/niftcatione diversa

aiebat Bernardus Carnotensis, quia ,, albedo" signiftcut virginem incurruptam, „albet"

eandem inlroeunlem thalamum aut cubantem in loro , „album" vero eandem, sed

cormptam. Hoc quidem, quoniam „albedo" ex assertione eius simpliciler et sine

XIV. Platonismus. Wilhelm v. Conches. 127

schwerlich bedauern, dass uns nicht mehr Detail über die logischen

Untersuchungen desselben kund geworden ist.

Gleichfalls an Plato schloss sich an Wilhelm von Conches

(gest. um 1160), eine der schwierigsten Persönlichkeiten in Bezug auf

Literaturgeschichte der mittelalterlichen Philosophie 94). Doch jener

mit patristischer Philosophie verüochtene Platouisuius, welchen derselbe

in Cosmographie, Psychologie und Physik entwickelt, berührt uns hier

nicht, sondern wir beschränken uns auf das Wenige, was betreffs der

eigentlichen logischen Fragen zu erwähnen ist. Indem Wilhelm in der

Erkenntnisslehre sich auf den platonischen Standpunkt eines aufwärts

schreitenden Idealismus stellt '•'•'), und auch ausdrücklich ausspricht, dass

er unter den heidnischen Philosophen dem Plalo den Vorzug gebe 96),

unterscheidet er wohl eine vierfache Betrachtungsweise aller Dinge,

nemlich eine dialektische, sophistische, rhetorische, philosophische9'),

tritt aber betreffs der ersteren beiden (bei beiden letzteren ist es ihm

ohriediess selbstverständlich) entschieden auf die Seite der Realisten, in

dem er Diejenigen bekämpft, welche alles Reale ausschliessen oder zu

letzt nicht einmal mehr die Namen der Dinge, sondern überhaupt nur

etliche Worte (d. h. nemlich wohl die qyinque voces) zulassen wollomni

participalione subiecti ipsam significal qualilatem ; ,,albft" aulem candem

principaliter , etsi participationem penonae admiltat, si enim illud excutias, quod

verbum hoc pro substantia signi/icat, qualilas albedinis occurret, srd in accidmlibus

verbi persouam reperies; ,,album" vero e ändern significal qualüalem , sed infusam

commixtamque subslantiae et iam quodammodo magis corruptam Mulla quoque

proferebat undique conquisila, quibus persuadcre nilebatur, res inlerdum pure, interdum

adiacenler praedicari, et ad hoc denominutivorum scienliam perutilem asserebat.

94) S. Oudin, d. scripl. ecel. II, p. 1228 ff. und Brucker, Bist. crit. phil. III,

p. 774., welch letzterer zuerst es bemerkte, dass die „Dragmaticon" betitelte Schrift

des Wilhelm von Conches sieb gedruckt finde als Werk eines Guilclmus Aneponymus

iu einer von Grataroli besorgten Ausgabe. Und da nun die ,,Magna de naturis

philosophia" Wilhelm's, ,von welcher wohl Gonr. Gesncr (Epit. Biblioth. ed. Tigur.

1583, fol. 301.) einen Incunalicl-Druck sah, aber Oudin nicht einmal mehr Hand

schriften auffinden konnte, völlig verloren zu sein scheint, und auch von der „Phi

losophia minor" Wilhelm's offenbar nur der Anfang unter dem Titel ITt^l SiSd-

Zetov in den Werken des Beda Venerabilis (ed. Colon. 1688. II, p. 206 ff.) gedreckt

ist, darf ich hier wohl gelegentlich berichten, dass von jenem Draymaticon die

Münchner Universitäts-Bibliothek ein Exemplar besitzt (Dialogus de subslantiis physicis

confectus a Wilhelme Aneponymo philosopho . . . Industria Guüielmi Grataroli.

Argenlor. 1567. 8.), und dass aus diesem seltenen Buche die Kenntniss der Phi

losophie Wilhelm's noch am vollständigsten geschöpft werden könne. Ausserdem

hat Cousin, Onvr. ine'd. d'Abe'l. p. 669 ff. höchst schätzenswerthe Bruchstücke ver

öffentlicht.

95) S. die bei Cousin a. a. 0. mitgetheilten Bruchstücke, bes. p. 673 f.

96) In genannter Ausgabe des Gratarolus p. 13.: 5t genlilis adducenda est

opinio , malo Platonis quam altcrius inducalur; plus namque cum nostra fide concordat.

97) Ebend. p. 4.: De eodem namque dialeclice, sophistiee, rhelorice, vel philosophice

disserere possumus. Considerare namque de aliquo , an sit singulare an

universale, est dialeclicum; probare, ipsum esse quod non est vel non esse quod

est, sophisticum est; probare, ipsum esse dignum pracmio vel poena, rheloricum;

sed de natura ipsiusque moribus et officiis disserere, est philosophicum. Dialeclicus

trgo, sophisla, orator, philosophus, de eadem re diversa considerantes et intendentes

dispulare possunt.

128 XIV. Realismus. Wilhelm v. Champeaux.

ten 98). Wohl aber gesteht er wenigstens, in ähnlicher Weise wie

Scolus Erigena, sich selbst auf Boethius berufend, dem menschlichen

Geiste die Function zu, die concret existirenden Dinge mit entsprechen

den Namen zu belegen"), und sowie er einmal gelegentlich auf die

verschiedenen Bedeutungen des Wortes „Substanz" eingeht100), so ver

trug es sich mit seinem Realismus sehr wohl, dass er zugleich ein

hervorragender Grammatiker war101).

Wenn Bernhard von Chartres den platonischen Realismus haupt

sächlich in idealistischen Belheuerungen oder sonstigen erbaulichen Wen

dungen kundgab, so war es jedenfalls schwieriger und verdienstlicher,

einmal das Yerhältniss ins Auge zu fassen , in welchem man sich die

Universalien als exislirende Dinge zu den einzelnen Individuen denken

solle; und in diesem Versuche liegt die Bedeutung des Wilhelm von

Champeaux (gest. 1121), wenn auch der logische Gesichtspunkt bei

dem Realismus desselben noch hinler den onlologischen zurücktritt.

Doch muss von vorneherein bemerkt werden, dass wir über die An

sichten des Wilhelm von Champeaux bei Weitem nicht so ausführlich

unterrichtet sind, als Cousin und Andere meinten; denn wir dürfen in

dergleichen Dingen durchaus nicht weiter gehen, als die uns zugäng

lichen völlig unzweideutigen Nachrichten reichen lü2). Schriftstellerische

• 98) Ebend. p. 5.: Quod intelligentes quidam res omnes a dialeclica et sophistica

disputalione exterminaverunt , nomina tarnen earum receperunl, eaque sola esse

universalia vcl singularia praedicaverunt ; deinde supenenit stullior aetas , quae et

res et earum nomina exclusit atque omnium disputationem ad qualuor fere nomina

reduxit; utraque tarnen secla, quia non erat ex deo-, per se defecit. Jene quatuor

nomina können kaum etwas Anderes sein, als die quinque voces, vielleicht mit Ausschluss

des proprium; im Gegensatze gegen eine solche Beschränkung der Anzahl

werden wir hinwiederum selbst sex voces treffen, s. Anm. 278.

99) Ebend. p. 29.: Q'ti hoc nomen „corpus" imposuil constilulo ex qualuor

elemenlis, quod oculis occunebal, illud imposuü; unde ait Boelhius (p. 112.) „rebus

existenlibus et in naturae constitulione manenlibus humanus animus vocabula imposuit".

100) Ebend. p. 8.: Nullus qui scripta auctorum riete inlelligit, hoc nomen

„substantia" mullarum esse signißcalionum dubitat aliquando subslantia est

res per se existens ; aliquando tarn isla quam yenera et species istorum substantia

dicunlur, unde ab Aristolele in primam et secundam dividilur; aliquando .... actus

subsistendi, aliquando possessio.

101) Joli. Saresb. Melal. ], 5, p. 21.

102) Cousin hat nemlich bei Herausgabe der Dialektik Ahälard's und des

Fragmentes D. gen. et spec. jene sämmtlichen in der Handschrift vorkommenden

Abkürzungen ,,magister V.", ,,magister noster ¥.", ebensosehr auf Wilhelm von

Champeaux bezogen wie jene Stellen, in welchen „Willelmus" sich findet; ja er

that sogar das Nemliche, wo einmal (d. gen. et spec. p. 509.) mit den Worten

„Vel alilcr secundum magistrum G." eine Entgegensetzung gegen den vorher (p.

507.) genannten magisler Willelmus deutlich genug bezeichnet ist. Und sowie es

nun geradezu leichtfertig ist, unter jenem magister G. gleichfalls unseren Wilhelm

zu verstehen, so haben wir auch keinen Anhaltspunkt hiefür bei der Abkürzung

„K.", zumal da dieser Buchstabe selbst dagegen spricht. Da Ahalard, ehe er zu

Wilhelm v. Champ. kam, bei allen hervorragenden Dialektikern Belehrung suchte

(Epist. l, c. l, p. 4. Ambocs.: proinde diversas diiputando perambulans provincias,

ubicunque huius artis vigere Studium audieram, Peripateticorum aemulalor factus

sum), so kann er eine Menge Männer, deren Namen wir nicht kennen, als „magi

ster noster" bezeichnen, und wir müssen uns vor voreiligen Schlüssen auf be

stimmte Personen hüten, um nicht auf Abwege (s. z. B. oben Anm. 83.) zu gera

XIV. Wilhelm v. Champeaux. 129

Produkte Wilhelm's sind uns nicht zur Hand103), und wir sind haupt

sächlich auf eine Angabe Abälard's beschränkt, welcher sich rühmt,

Wilhelm's Ansicht über die Universalien derartig mit Glück bekämpft

zu haben, dass derselbe sie bedeutend modificirte, hiedurch aber an

Geltung und Frequenz seines Unterrichtes so sehr verlor, dass ein förm

licher Uebergang Aller zu Abälard's Ansicht stattgefunden habe 104).

Wilhelm nemlich habe zunächst behauptet, dass die Universalien als

einheitlich gleiche Dinge in unzerstückler Ganzheit auf wesentliche Weise

(essenlialiler) den sämmllichen unter sie fallenden Individuen zugleich

einwohnen, und hiemit zwischen den Individuen kein Wesens-Unterschied

bestehe, sondern dieselben nur in der Mannigfaltigkeit zufälliger Be

stimmungen beruhen. Und sowie sich diess durch die oben (Anm. 72)

angeführte Stelle aus D. gen. et spec. wörtlich bestätigt, so erhalten

wir ebendort eine nähere Erklärung, welche uns sogar auf eine ganz

vereinzelte Stelle des Boethius hinüberweisl und hiedurch einen richtigen

Einblick gewährt, wie das Gelriebe der damaligen Parlei-Controversen

wohl mehr durch zerbröckelte Schulweisheit als durch innere principielle

Auffassungen gelragen war. Wilhelm behauptete nemlich, es seien

unier jenem zufällig Hinzukommenden (adveniens) die individuellen For

men zu verstehen, welche den im Gattungsbegriffe bestehenden Stoff

derartig ausprägen (maleriam informanl) , dass dabei das allgemeine

Wesen nach seinem ganzen Gehalte (secundum lolam suam quanlitalem)

eine Individualisirung erfahre, was dann in dieser Weise betreffs der

then. Den Folgerungen Cousin's schlössen sich aber Rousselot, Haureau und auch

H. Ritter an.

103) Haureau, De la phil. scol. \, p. 233. berichtet, dass Ravaisson in der

Bibliothek zu Troyes 42 Fragmente Wilhelm's gefunden habe; die dereinstige Ver

öffentlichung derselben würde gewiss manchen Aufschluss geben. Dass Wilhelm v.

Champ. ,,Glossulae super Periermenias" geschrieben habe, darf nach dem so eben

(vor. Anm.) Gesagten nicht gefolgert werden, da die betreffende Stelle bei Abaelard

Dialect. p. 225. eine so betitelte Schrift nur einem „magisler noster V."

zuschreibt.

104) Abael. Epist. l, c. 2, p. 4.: Perveni tandem Parisios , ubi iam maxime

disciplina haec fiorere consueverat, ad GuiUelmum scilicet Campellensem praeceptorem

mtum in hoc lunc magisterio re et fama praecipuum, cum quo aliquanlulum moratus

primo ei acceptus postmodum gravissimus exstili , cum nonnullas, scilicet eius senlentias

refeilere conarer et ratiocinari contra cum saepius aggrederer et nonnunquam

superior in disputando i'idcrcr (p. 5.) Turn et/o ad eum reversus , ut ab ipso

rheloricam audirem , inter cetera disputaliontim nostrarum conamina antiquam eius

Ae universalibus scntentiam patentissinüs argumcntorum dispulationibus ipsum commutare

, imo destruere compuli. Eral autem in ea sentcntia de cummunilate universalium

, ut eandem essentialiter fern lolam simul singulis suis inesse adstruerel individuis

, quorum quidem nulla esset in essentia diversilas, sed sola multitudine

uccidentium varietas. Sie autem islam suam correxit sentenliam, ut deinceps rem

eandem non essentialiter, sed individualiter (die Variante „indifferenter", welche

Ambois am Rande gibt, fand sich auch in mehreren Handschriften, s. Haureau a.

a. 0. l, p. 236.) dicerel. El — cum hanc ille correxissel , imo coaclus dimisisset

sententiam, in lantam lectio eius devoluta est negligentiam, ut iam ad dialeclicae

Indianern vix admillerelur, quasi in hac scilicet de universalibus sentcntia tota hiiius

arlis consislerel summa (vgl. Anm. 60.). Hinc tantum roboris et aiictoritatis nostra

suscepil disciplina, ut ii qui antea reliementius magistro illi nostro adliaerebanl et

maxime nostram infestabant doctrinam, ad nostras convolarent scholas.

PRAHTL, Gesch. II. 9

130 XIV. Wilhelm v. Champeaux.

ganzen Stufenleiter von Gattung durch Art zum Individuum herab gelte 105).

Auch führte er, wie anderwärts Abälard berichtet, von den zehn Kate

gorien beginnend diesen Process einer Information bis zu den Individuen

hinab durch, und konnte dabei, da jene unterscheidenden individuelleren

Formen selbst wieder auf Universalien zurückweisen, die Aussagbarkeit

der Universalien dadurch erklären, dass dieselben den Individuen ent

weder wesentlich oder durch Beifügung., (adiacenler) zukommen lü8).

Eben hierin aber liegt entschieden eine gewisse Gröblichkeit dieses Rea

lismus , welche unschwer in ihrer äussersten Consequenz aufgedeckt

werden konnte, da ja dann in jedem Individuum nicht bioss die ganze

Reihe aller ihm entsprechenden Art- und Gattung« -Begriffe, sondern

auch in Anbetracht der accidentellen Unterschiede abermals eine mehr

fache Reihe allgemeinerer Begriffe ungelheilt reell vorhanden sein mfisste,

so dass zuletzt jedes einzelne Ding ein realer Inbegriff aller Univer

salien wäre und ein cruder Pantheismus als Folge sich ergäbe; sowie

wieder andrerseits, wenn mehr jene Zufälligkeit der individualisirenden

Bestimmungen betont würde, schliesslich ja sämmtliche Substanzen ein

ander gleich wären, da jenes Zufällige ihr substantielles Wesen nicht

berühre, so dass auch von dieser Seite her der Vorwurf des Pantheis

mus schwer vermieden werden konnte (s. unten Anm. 283). Vielleicht

mochte Abälard wirklich derartigen Einwendungen seinen Sieg über

Wilhelm verdanken, und wenn Letzlerer in Folge liicvon zu der Ansicht

umsprang, dass die Universalien in individueller Weise (individuulilur),

also bereits nicht mehr in total einheitlicher Weise, den Individuen ein

wohnen107), so hatte er durch dieses Umschlagen zum Gegentheile

105) D. gen. el spec. p. 513 f.: Homo quaedam species est, res una essentialiler,

cui adveniunt formac quaedam el efftciunt Socralem; illam eandem essenliatiler

eodem modo informant formae facientes Flalonem el cetera individua hominis,

nee aliquid esl in Socrate praeler Mas formas informanles illam materiam ad faciendum

Socralem, quin illud idem eodem lempore in Platane Information sit formis

Plalonis. El hoc inlelligunl de singulis speciebus ad Individua et de generibus ad

species .... 1,'lii enim Socrates est, et homo vniversalis ibi esl, secundum lotam suam

quantitalem informatus Socratitate (betreffs des Begriffes Socratüas s. die entspre

chende Auffassung des Porphyrius und Boelbius Abschn. XI, Anm. 43.) ; quidquid

enim res universalis suscipil, tola sua quanlilule relinel quidquid suscipit, Iota

sui quantitate suscipil. Gerade auch dieses aber ist aus Boethius geschöpft, wel

cher (ad Porph. p. 87.) gelegentlich der Differenz sagt: fieque enim ul in corpore

solet esse alia pars alba alia nigra, ita ßeri in genere polest; genus enim per se

consideralum partes non habet, nisi ad species referalur; quidquid igilur habet,

non partibus , sed tola sui magnitudine retinebit. So reducirt sich bezüglich der

Geschichte der fnittelalterlichen Philosophie mancher Schein auf seinen wahren

Gehalt; vgl. Anm. 129, 134, 170, 286.

106) Glossul. sup. Porph. hei Re'musal (s. Anm. 13. u. 73.) p. 97.: II y a

naturellemcnt dix choses ge'ncrales ou communes, ce sonl les dix cate'gories; de ces

universaux primilifs pruviennent les choses giluerales qui sotit essenliellement dans

les choses individuelles, gräcc a des formes diffdrenles. Ainsi l'animal, qui de

nature est substance , csl, comme subslance animee, sensible dans Socrale ou dam

Brunel, tout entier dans l'un comme dans l'aulre, sums autre diffe'rence que celle

des formes. A ce campte l'universel seraü atlribuable a plusieurs , en sens qu'une

«lerne chose serail en plusieurs , diversifife uniquement par l'opposition des formes,

et convicndrail ainsi aux individus soil essenliellement, soit adjectii'ement („essentialiter

vel adiacenter"),

107) Auch ich halte demnach, wenn auch aus anderen Gründen als Haur£au

XIV. Wilhelm v. Champeaux. Die Schwierigkeiten des Realismus. 131

seiner früheren Ansicht sich eben einfach blamirt, und es wäre erklär

lich, dass seine Schüler in 'Masse von ihm abfielen, wenn wir auch

nicht vergessen wollen, dass derartige Berichte Abälard's, welche theilweise

ihn selbst betreffen, sehr leicht mit einer Dosis Eitelkeit versetzt

sein können. Jedenfalls aber stimmt es mit jenem Realismus und mit

jener Einschachtlung der Gallungs*- und Art-Begriffe und der accidenlellen

Formen vollständig überein . wenn Wilhelm (offenbar bei Erörte

rungen über die Einteilung, s. unten Anm. 122) behauptete, in dem

Namen der Differenz, welcher nicht adjeclivisch, sondern substantivisch

zu nehmen sei, liege schon der Artbegrilf derartig, dass dabei Stoff

(d. h. Gattung) und Form (d. h. Differenz) zugleich gedacht werden

und z. B. „Beseelt" genau dasselbe wie „beseelter Körper" bedeute los).

Auch ist uns überliefert, dass derselbe bezüglich der Theilung des Üontinuirlicben

(s. unten Anm. 126) an dem Begriffe eines letzten Uniheil

baren, z. B. des Punktes, festhielt109), sowie endlich die vereinzelte

Notiz, dass er betreffs der Topik das Wesen der invenlio in die Auf

findung eines Alittelbegriffes verlegte 110).

Wahrscheinlich gaben gerade die Schwierigkeiten , an welchen die

Ansicht des Wilhelm v. Champeaux leidet, die Veranlassung dazu, dass

die Realisten, während sie im Allgemeinen den Standpunkt desselben

oder Ritter, in obiger Stelle (Anm. 104.) die Lesart , ,individualiter" für die rich

tige, weil sie eben auf ein haltloses Umspringen Wilhelm's hinweist, wohingegen

die sog. Indifferenz-Ansicht, welche in der Variante „indifferenter" läge, schon

maoclft nicht unbedeutende Anhänger zählte, und die Berichterstatter über dieselbe

es sicher nicht verschwiegen hätten, wenn gerade Wilhelm v. Champ. selbst sich

später zu ihr bekannt hätte.

108) Ab'ael. Dialect. b. Cousin p. 454 f.: luvat .... perquirere, cum dicitur

divisio generis fteri per differentias , \atque in loco specierum diflerenliac poni dieuntur,

utrum per diflerentiarum nomina ipsas formas specierum accipiamus , an

potius ipsa vocabuda di/ferentiarum intelligamus , quae a quibusdam sumi dicunlur in

offtcio specialium nominum ac pro speciebus designandis usurpari, ut tantundem

,,rationaie" raletil quanlum „rationale animal" et tantundem ,,animatum" quantum

,, Ultimatum Corpus", ut non solum formae significatio, verum etiam materiae teneatur

in nominibus di/ferenliarum. Quae quidem sententia W. magistro noslro praevalere

visa est; volebal enim, memini, tantam abusionem in vocibus fieri, ut , cum nomen

diflerentiae in divisione generis pro specie poneretur, non sumptum esset a differeiitia,

sed substanlivum speciei nomen poneretur; alioquin subiecli in accidentiä divisio dici

polest secundum ipsius sententiam, qui differenlias generi per accidens inesse volebat;

per nomen ilaque di/ferentiae speciem ipsam volebat accipere,

109) D. gen. et spec. p. 507.: Quod''si conlinuum dicamus, quidam inde sie

argumentantur : Si domus est, paries est, et si paries est, dimidius paries est, et

si dimidius paries est, et dimidium dimidii est, et ila usque ad ultimum lapülum ;

quare si haec domus esl, et tiltimus lapillus est; si ergo nullus lapillus est, etiam

nulla domus est Solebat autem opponere magister Willelmus huic argumentationi

sie : Licet prima consequentia (i. e. si haec domus est , hie paries est) vera

til, non tarnen illa quae sequitur (i. e. si hie paries est, hie dimidius paries est)

vera eril; non enim verum est complexionaliter , quod, si quaelibet pars sequitur

ad tolum suum, idcirco ad positionem eiusdem partis sequatur pars illius; sequitur

enim bipunctalem lineam pars eius , i. e. punctum, non tarnen ad punctum pars eius

sequitur, quia nullum habet.

110) loh. Saresb. Metal. III, 9, p. 145.: Versatur in his (sc. in Topicis) iuventionis

materia, quam hilaris memoriae Willelmus de Campellis de/inivit, etsi

non perfecte, esse scientiam reperiendi medium terminum et inde eliciendi argumentum.

9*

132 XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus.

billigen mochten, durch Begründangs- oder Verbesserungs- Versuche selbst

wieder unter sich in eine Menge von Parteien zerfielen, deren einzelne

Unterschiede — von den Namen ihrer Vertreter ganz zu geschweigen

— wir in ihrer Durchführung nicht mehr näher verfolgen können.

Ausser theologischen Bedenken, welche sich erhoben, mochte man die

Universalien als Erzeugnisse einer Schöpfung oder als ewige Wesen

nehmen, zumal da Einige wirklich alle einzelnen Eigenschaften Gottes

auf solche Weise als „Dinge" bezeichneten ln), war es in onlologischer

Beziehung wohl jene gegenseitige Einschaehtlung aller Universalien,

welche man vermeiden wollte. Einige daher ergriffen die allerdings

plumpe Aushülfe, dass sie obiges (Anm. 105) „Hinzukommen" der artmachendeii

Unterschiede als ein nur vorübergehendes nahmen, um hiedurch

die Selbstständigkeit der Gattung zu wahren 112). Andere hin

gegen zogen eine aristotelische Auffassung hei, indem sie die Galtung

als den in seinem Wesen gleichbleibenden Stoff betrachteten, welcher

in den Arten verschieden geformt werde, gerielhen aber eben wegen

jener Wesensgleichheit in Conflict mit der Lehre von den Gegensätzen 113).

Und sowie bezüglich des Processes einer solchen Formgebung wieder

die Frage auftauchte, ob der artmacheude Unterschied nur das Mittel

der Artbildung sei, oder hingegen zugleich mit der Galtung in das

Wesen der Species selbst übergehe, und Einige (offenbar näher an

Wilhelm v. Champ. stehend) sich auch wirklich für Letzteres entschie-

111) D. gen. el spec. p. 517.: Genera et species aut crealur sunl aul cftatura ;

si creatura sunt, ante fuit suus. creator quam ipsa crealura; ita ante fuil deus

quam iuslitia et fortiludo .... .itaque ante fuit deus quam esset iustus vel fortis.

Sunt autem qui ... Mam divisionem .... sie faciendam esse dicunl: quidquid est, aut

genitum est aut ingenitum; universalia autem ingenila dicuntur et ideo coaeterna, et

sie secundum eos qui hoc dicunt, ... non deus aliquorum factor est. Aliael. Introd.

ad theol. II, p. 1067. (Amboes.): Tertius vero praediclorum (sc. magislrorum divinae

paginae, nemlich eia muyisler in pago Andegavensi) non solum personarum proprietates

res diver sas a deo constituit , vertan eliam potentiam dci , iuslitiam , misericoritiam

. iram et cetera huiusmodi, quae iuxta humani scrmonis consueludinem in deo

significantur , res quasdam et qualitales ab ipso diversas, sicul et in nobis, concedit,

ut quot ferc vocabula de deo dicuntur, toi in deo res diversas constiluat.

112) D. gen. et sp. p. 515 f.: /Wurf ergo maioris simplicilatis , quod dicunl

quidam, quia di/ferentiae quidem udveniunl generi, sed non fundantur, linde et per

se dicitur , quia sibi ipsi facil subieclum.

113) Abael. Dialect. p. 399 f.: Nota autem, id quod diximus, contraria maxime

esse adversd, eorurn abesse sententiae, qui eandem in essentia matcriam generis in

Omnibus proponunl speciebus ipsis, ut eadem prorsus sit in essentia materia hominis

et asini, quae est animal, sed diversae quidem hie et ibi Mius formae. Es bezieht

sich auch jene oben (Aura. 1Ü5.) augeführle Stelle des Boethius auf die Frage

über die Gegensätze. Ja es scheint diese schwierige Controverse sicli in irgend

einen Schulwitz vom „grossen Esel" zugespitzt zu haben, denn kaum anders werden

wir die Worte D. gen. et spec. p. 536.: duo npposita esse in eodem , quod scilicet

inconveniens e/fugere non possunI, qui grandis asini sentenliam tenenl verstehen

können, da die Schreibweise des dortigen Verfassers nicht znlässt, ,, grandis asinus"

etwa als beschimpfende Bezeichnung des Wilhelm v. Champeaux zu nehmen; wie

jedoch der Witz furmulirt gewesen sei, können wir nicht einmal errathen. Aehnliches

wohl finden wir bei einer anderen Controverse, s. unten Anm. 352., und

eine wirkliche Formulirung, in welcher jedoch der Begriff „grandis" keine Stelle

findet, s. unten Anm. 434.

XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus. i 33

den114), so trat andererseits für die Gatlungs- und Art-Begriffe auch

dadurch eine Schwierigkeit hervor, dass Gegensätze (wenigstens in ihrem

individualisirten Dasein) an Ein und demselben Subjecle sich finden,

wornach also, wenn z. B. ein Mensch zwar .keusch, aber zugleich geizig

ist, in demselben das Universale des Guten mit jenem des Bösen zu

sammentreffen müsste; Einige nun halfen sich mit einer Distinction

zwischen den höheren Gattungen und den specialisirlen Arten der Gegen

sätze, indem sie wenigstens diese letzteren von der Möglichkeit des

Zusammentreffens ausschlössen, Andere hingegen dehnten sogar auch

auf diese das bedenkliche Zugestündniss aus115). Vielleicht gerade hiedurch

wurden wieder Andere zu dem radicalen Mittel veranlasst, zu

behaupten, dass die ganze Funelion des artmachenden Unterschiedes

überhaupt nur in der Kategorie der Substanz ihre Stelle hahe, bei den

Qualitäten hingegen dasjenige, was man Arten oder Unterarten nenne,

eigentlich sofort als Gestaltung von Individuen zu betrachten sei, denn

z. B. Weiss und Schwarz seien in der gleichen Weise zwei verschie

dene Wesen wie zwei Menschen -Individuen t16). Ja Einige glaubten

selbst bei den Substanzen den Grundsatz, dass nach Wegfall der Gat

tung auch die Art wegfalle (nicht aber umgekehrt), sogleich beschränken

zu müssen , sobald mit dem Wesen der Gattung eine qualitative Aenderung

vor sich gehe, denn es sei z. B. unrichtig zu sagen: „Wenn es

kein Mehl gibt, gibt es kein Brod", da das Mehl vorerst in Teig zu

ändern sei und hiemit auch bei gänzlichem Mehl-Mangel os Brod geben

könne, woferne es nur Teig gehe111).

114) Abael. Dial. p. 477.: Ralionalilas enim et morlalitas advenientes substantiae

animalis eam in speciem creant, quae est homo; nee mm ipsae generis subslanliam

in speciem reddunt, ijisae quoque in essentiam speciei simul transeunt, sed soln

genera vel subiecta specißcantur non quidem mm differentiis sed per differentias

.... Si enim di/ferentiae in speciem Iransferrentur cum genere, sicut quorundam senlentia

tenet , profeclo cogeremur fateri , et di/ferenlias ipsas cum genere aeque

m essenlia speciei convenire , unde et ipsas de stibstanlia rei esse et in porlem materiae

venire contingerel.

115) Ebend. p. 390.: Sunt autem quidam qui contrario genera in eodem esse

non abhorrent, sed contrarias species in eodem tsse impossiliile confitentur. Dicunt

enim quod cum omnia accidentia per individua in subiecta veniant, et ipsa contraria

genera per individua sua subiectis contingunt, ut t'irtus et vitium, quae in hoc

Aoffline per hanc castitatcm et lianc avariliam recipiunlur, quae individua .sunl castilatis

et avaritiae, quae invicem species non sunt contrariae Verum species con

trarias esse in eodem per atiqua xnti individua , illud prohibet, quod nee ipsarum

individua in eodem possunl esse, quorum sunl tota substantia ea quae sunt contraria,

utpote species Sunt autem et qui species contrarias in eodem passe consistere

non denegant.

116) D. gen. et spec. p. 541.: Sunl tarnen qui solum praedicnmenlum substantiae

di/ferentias habere dicunt , ' et cum qualitas dividatur in iliias proximas species,

dicunt illas non diversificari a genere per aliquas diffcrentias , sed sicut illa essentia

hominis quae esl in mc, non est quae illa est in altero, et tarnen dissimili forma

non differunt, eodem modo albedo non est nigredo , nee tarnen aliqua forma suae

essenliae differt ab ea , sed utraque mera est epsentia.

117) Abael. Dialect. p. 485 f.: Deslructo genere speciem perimi necesse est. perempta

vero specie genus rcmanere contingil Quod tarnen quidam in hin delerminant,

in quorum conslitutione maleria sutim' esse non mutat , srd quod habebat

per se , etiam in coniunctione retinet, ut hie paries, qui et in constitulione domus

paries manet , sicut ante fuerat. Farina autem panis maleria dicitur, sed versa in

134 XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus.

Sowie aber diese Controversen, welche meist mit einem Aufwand«

von Stellen aus Boethius geführt wurden, hereits, wie man sieht, an

die Gränze des Unverständigen heranrückten , so hatten sie nach dein

Vorbilde der- üblichen Schul-Logik ihren verwandten Tummelplatz auch

in der Lehre von der Einteilung (s. oben Anm. 75) und der Defini

tion. Alle Realisten kamen zwar darin »herein, dass sie im Anschlüsse

an die Auffassungsweise des Boelhius (Abschn. XII, Anm. 98) oder viel

mehr des Porphyrius (Abschn. XI, Anm. 41 ff. vgl. Abschn. III, Anm.

78 ff.) dem platonischen Verfahren einer fortgesetzten Dichotomie den

Vorzug -gaben 118); aber schon sogleich bei der zur Definition erforder

lichen Eintheilung der Gattung musste die 'Frage wiederkehren, wie es

sich mit den am Gattungsbegriffe unterscheidbaren Wesens-Theilen ver

halte, und während die Einen behaupteten, dieselben seien durch Mi

schung vereinigt, etwa wie auch aus der Mischung von Weiss und

Schwarz eine anderweitige dritte Farbe entstehe119), wiesen Andere

darauf hin, dass ja alle VVesenstheile der Gattung auch einzeln als

Prädicate von den zur Gattung gehörigen Individuen ausgesagt werden

können120); hingegen auch diess wurde von Einigen wieder beslritten,

da jene Wesenstheile nur als allgemeinere Begriffe, d. h. abgesehen von

ihrer Verbindung mit anderen wesentlichen Merkmalen, Prädicate seien,

nenilich als Prädicat werde z. B. vom Menschen nicht die speciell mensch

liche Körperlichkeit, sondern eben die allgemeine Körperlichkeit über

haupt ausgesagt, und ebenso auch die Geistigkeit121). Eine andere mit

Letzterem offenbar verwandte Controverse betraf die Frage, ob hei der

Eintheilung der Gattung der Name des arlmachenden Unterschiedes nur

auf die Species oder zugleich auch auf die zu Grunde liegende Gattung

sich beziehe 122). Auch konnte, je nachdem man die Differenz mehr

von der Galtung trennte (Anm. 112, 114), die Aufgabe der Definition

in die blosse Angabe der Qualitäten verlegt werden und hiedurch unter

den in der Schul-Tradilion (Abschn. XII, Anm. 2, 107 u. 178) aufgepanem

suum mulat esse, cum scilicet farinam esse deserit et in micas convertitur,

unde necquidquam conceditur, ut , si farina non sit , panis desil etc.

118) Ebend. p. 459.: St autem genus semper vel in proximas speties vel »n

proximas di/ferentias divideretur , omnis divisio generis, sicttl Boethio (d. divis. p.

643) placuit, bimembris esset Hoc autem ad eam plulosophicam sentenliam

respicit, quae res ipsas , non tantum voce s , genera et specics esse confitetur.

119i Gilb. Porret, ad ßoeth. d. Trin. (Boelh. Opp. ed. Basil. 1570) p. 1144.:

Putant quidam imperili quod non sit vera dictiu, si quis dicat ,,homo est corpus"

non addens ,,el anima", aut si dicat ,,homo est anima" non addens ,,et

corpus", opinantes, quod, ex quo diversa ul unum componant coniuncta sunt, esse

utriusque adeo sit ex illa coniunclione confusum, ut sicut cum album et nigrum

permiscentur , quod ex illis sit, nee album nee nigrum dicilur , sed cuiusdam alterius

culoris ex illa permixtione provenientis.

120) Ebend. p. 1143.: corporalüas non modo de hominis illa parte, quae

corpus est, verum etiam de homine praedicatur, et rationalitas non modo de hominii

illa parte, quac Spiritus est, sed etiam de homine praedicalur (p. 1144.) quidquid

de parle naluraliter, idem et de composito affirmandum.

121) Ebend. p. 1144.: Eorum aliqui dicere gestiunl, aliam rationalitatem quarr:

illam , quae est humani Spiritus , de homine dici , et simililer scientiam aliam et

aliam corporalitalem quam quae humani corporis est.

122) Die beireffende Stelle ist vollständig oben, Anm. 108., angeführt.

XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus. 135

zählten Arten der Definition die qualitative den Vorzug erhalten 123).

Noch schwieriger aber gestaltete sich nach Obigem (Anm. 112 u. 116)

die Frage, wie es mit der Definition der Qualitäten selbst, d. h. der

adjectivisch ausgedrückten Begriffe, stehe, und es erhob sich hierüber

eine der ausgedehntesten Conlroversen ; denn wenn man auch bezüglich

der Vorfrage, ob bloss das Wort oder dessen begriffliche Bedeutung

zu definiren sei, in realistischem Sinne sich für Letzteres entschieden

hatte, so dass die Eigenschaft als ein Geformtsein durch ein Universale

(z. B. formatum albedine) delinirl würde, so konnte wieder gefragt

werden, ob diess die Definition der Eigenschaft selbst (albedo} oder

des qualificirten Substrates (ulbwn) sei; und hielt man sich dann, da

ersteres zu einer sinnlosen Verdopplung führt, an letzteres, so trat das

Bedenken auf, ob hiemit jedes einzelne derartige Substrat definirt sei,

oder ^twa sämmtliche zusammen, und notwendiger Weise zeigte sich

wieder diess Beides als haltlos, da weder die Dinge selbst, sondern

nur eine Eigenschaft definirt ist, noch auch die Dinge vermöge Einer

Eigenschaft, die sie gemein haben, in ihrem Wesen identisch sind 124).

Sowie aber diese ganze Discussion im Principe noch auf dem nemlichen

niedrigen Standpunkte steht, welchen wir üben (vor. Abschn. Anm.

350 ff.) bei dem Realisten Anseimus trafen, so tragen auch die Streitig

keiten über die zweite Methode des Eintheilens (Abschn. XII, Anm. 96

u. 100), nemlich über die Theilung des Ganzen in seine Bestandtheile,

eine arge Einseitigkeit in sich. Denn wenn die Frage, was ursprüng

licher Theil (pars principalis) sei , in die Alternative hineingetrieben

wurde, dass die Einen jene Theile als ursprüngliche bezeichneten,

welche, während sie das Wesen des Ganzen constituiren, selbst nicht

mehr Theile eines Theiles sind (z. B. beim Menschen Seele und Leih),

die Anderen hingegen jene letzten Bestandteile, durch deren Zerstörung

123) Abael. Dialect. p. 492. : Multi, cum signißcalionem substanliae hui H* nominis

quod est ,,homo" agnoscant, nee qualitates ipsius satis ex ipso percipiant,

tantum propter qualitatum demonstrationem diffinitionem requirunt.

124) Ebend. p. 495.: AI vero in Ins diffinitionibus quae sumptorum (diess bei

Abälard das übliche Wort für Adjectiva , s. unten Anm. 321.) sunt vocabulorum,

magna , memini, quaestio solel esse ab Ais, qui in rebus utiiversalia prima loco

ponunl .... Duplex mim horum nominum quae sumpla sunt signißcalio dicilur, altem

principalis , quae esl de forma , allera vero secundaria , quae esl dt formal» ; sie

enim ,,album" et albedinem, quam circa corpus subiectum determinat, primo loco

signiftcare dicilur, et secundo ipsius subieclum, quod nominal. Cum itaque atbum

hoc modo difßnimus „formatum albedine", quaeri solet , utrum haec rfiffinitio sit

tantum huius vocis , quae est „albunt", an alicuius suae signißcationis. At vero

cum vocem non secundum essentiam suam, sed sianificationem difßniamus , videtur

haec diffinitio rede ac primo loco illius esse. Restat ergo quaerere, sive ülius

significationis sit, quae prima est, i. e. albedinis, sive eins, quae secunda est. quae

est ,, subiectum albedinis". AI vero si haec diffinitio albedinis sit, praedicalur de

ipsa , et de quocunque albedo dicilur, et ipsa Aiffinilio praedicalur; at vero quis

albedinem vel hanc albedinem formari albedine concedat ? Si vero difßnilio supraposita

eius rei, quam „album" nominant, esse dicatur, ... quaerilur , utrum

uniuscuiusque sit per se, quod albedinem suidpiunt, sive omnium simul acceplorum.

Quod si uniuscuiusque sit üla difßnitio, ulique et margaritae; unde de quocunque

illa diffinitio diätur, et margarita praedicatur , quod omnino falsum est. Si vero

omnium simul acceplorum esse concedatur, oporlebit, ut de quocunque difßnitio illa

enuntiatur, omnia simul praedicentur , quod iterum falsum esl.

136 XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus.

das Ganze zerstört wird (z. B. Haupt oder Herz), als die ursprünglichen

betrachteten125), so war in Folge des onlologischen Realismus bei

ersterer Beantwortung dieser ganze Gesichtspunkt der Einlheilung ent

stellt und in das Gebiet der Definition verdreht, bei letzterer aber unbe

dachtsam die subjective Denkfunction des Menschen, welche den Theilbegriff

erst schall't, in den objecliven Bestand umgesetzt, eine Stumpf

heit der Auffassung, von welcher sich bereits der roscellinische Nomi

nalismus (vor. Abschn. , Anm. 321 f.) freigemacht halte. Während die

Einen die Theilung ins Unendliche als eine objectiv materielle verstanden

und hiebei die gestaltende Form unberücksichtigt Hessen oder vielmehr

vernichteten126), warfen sich Andere, wie z. B. ein gewisser Magister

„G.", auf die Wirkung der Form und hielten das quantitative Verhältniss

der Stofftheile für gleichgültig 121), und auf solcher Basis wurde dann

die Controverse geführt, inwieferne ein Mensch bei Zerstörung «eines

Finger-Nagels noch Mensch bleibe oder nicht 128).

125) Ebend. p. 463 f.: Est autem quaestio, quas principales, quas secundarias

partes vocari conveniat ; alii enim secundum constitulionem, alii secundum deslruclionem

has consiileranl. Hi namque eas principales vocant, quae parlium partes non

sunt, sed tarnen tolius, ul in hoc homine animam et Corpus, quüms coniungilur, vel

in hac domo hunc parielem et hoc tectum et hoc fundamentum. Qui vero principalilatem

secundum destructionem considerant, dicunl eas tantum principales esse,

quae substantiam totius destruunl, ul capul, quod abscissum hominem perimil.

126) D. gen. et spec. p. 510.: Quidam adhuc argumentanlur : si haec domus

est, et quaelibet eius disgregala pars est, el Ha hie asser est, cum sit eins disgregata

pars; tt si hie asser est, medielas huius asseris est, deinde dimidium dimidii,

et sie usque ad punclum ; ilaque si haec domus est , et hoc punclum huius asseris

est; quare si hoc punclum non est, nee ista domus esl. Eine zweite Stelle wurde

schon oben, Anm. 109., angeführt. Ferner Abael. Dialect. p. 182.: Talern ralionem

magislri nostri senlentia praclendebat , ul ex punclis lineam conslare convincerelur :

cum, inquit, linea ubique possit incidi atquc separates parlibus in capite uniuscuiusque

puncta appareanl, quae prius eranl coniuncla, oportet per tolam lineam puncta

esse ; quod si puncta de essentia lineae non sint, magis partes lineae continuare

possunl, quam albedo supraposila?

127) D. gen. el spec. p. 509.: Vel aliler secundum magistrum G. (s. Anm. 102.):

Prius videndum esl, quid dicanl voces istae ,,si paries est, et hie dimidius paries" ;

dicitur inde , hie paries non est posilus ex duobus lapidibus vel qualuor et forma,

sed corpus infeclum tali proprietale, quae parielem facial; quotiens ergo in aliquo

subieclo talem formam reperiunt , sive augmentelur quantitas sive diminualur , forma

tarnen, quae prius fuerat, remanet, verbi gratia, si alterum capul serpenlis duo

capila halicntis ampulelur, serpens tarnen, qui prius fuerat, remanet. Abael. Dialect.

p. 181.: Sunt autem quidam, qui .... neque lineam ex punclis neque superficiem

ex lineis aut corpus ex superftciebus conslare cSncedunl JVo» esl ilaque haec

constitulio ad omnem lineam referenda, sed ad maiores, quas sensu quoque ipso

concipimus et per quas honünes mensurare consueverunt.

128) D. gen. et spec. p. 511.: Sie ilaque crescendo novusque crealuras pro

gressive creando, donec ad aliquam Socralis perveniatur particulam, utpole ad ungues,

habebis unam magnam naturam, quae erit pars Socralis et non Socrales, quia in eius

conslitulione non est ungula, quae ungula pars est etiam Socralis cum illa magna

parle. Hac autem ungula deslruela deslruitur pars illa nalurae, cuius ungula pars

esl, quae natura est Socrales, et ila destruitur Socrales; illa autem magna natura,

quae prius pars Socralis eral et non Socrales, destructa ungula remanet Socrales , et

ila quod prius non erat Socrales, fit Socrales. Oder ähnlich ebend. p. 512.: Haec

senlentia medium digiti naturam unam esse negal, sed si abscindaluf; crealuram esse

merito dubilal; aut ergo creatura erat in digilo, priusquam ampularetur, aul post

abscissionem crealur.

XIV. Die Lehre von Status. Walter v. Mortagne. 137

Wenn auf diese Weise der Realismus jenes Missgeschick, welches

ihm in den eigentlich logischen Fragen ankleben muss, wirklich mannig

fach beurkundete, so ist es nicht zu wundern, dass von mehreren Seiten

neue Wege zur Erklärung der Universalien eingeschlagen wurden, wobei

man den Schwierigkeiten des Realismus ebensosehr wie der Einseitig

keit des Nominalismus zu entgehen wünschte. Die Redeutung einer

Uehergangsformation scheint zunächst jene Auffassung zu haben, welche

von ihrem Stichworte als die „s tatus- Ansicht" bezeichnet werden

könnte, und gleichfalls (vgl. Anm. 112) durch jene Bedenken veranlassl

zu sein scheint, welche den Rehauptungen des Wilhelm v. Champeaux

entgegenstanden. Wenn nemlich das allgemeine Wesen der Gattung

durch individuelle Formen seinem ganzen Gehalte nach specialisirt wer

den soll (Anm. 105), so ist schwer einzusehen, wie es mit jenen „hin

zukommenden Eigenschaften" (advenientia) stehe, welche innerhalb einer

Gattung- entweder variircn oder nur vorübergehend sind. Hier nun

griffen Einige zu dem Auskunftsmillel, dass das Universale von solchen

Qualitäten wohl afficirt werde, nicht jedoch insoferne es eben ein Uni

versale sei, und sowie 'man einmal so weit gegangen war, konnten

sich leicht die Universalien, welche bei den Realisten als Dinge (rei)

gegolten hatten, wirklich in hlosse „Zustände" verwandeln, d. h. es

wurde nun in der Stufenfolge von Gattung zu Individuum nicht mehr

das Universale, sondern der „slatus universalis" in Betracht gezogen,

eine Auffassung, welche sowohl durch das durchgängige Motiv einer

Tabula logica nahe genug gelegt war, als auch ihrerseits gleichfalls

auf eine Stelle des Boethius sich stützen konnte 129). Ein Vertreter

dieser Ansicht war Walter von Mortagne v(er lehrte zur Zeit Abälärd's

in Paris und starb als Bischof von Laon i. .1. 1174), welcher

zwar mit überwiegendem Eifer den dogmalischen Controversen seine

Thäligkeit zuwandle 13°), aber auch in die Dialektik vorübergehend ein-

129) Ebend. p. 514 f.: Amplius sanilas et languor in corpore animalis fundalur,

albedo et nigredo simpliciter in corpore; quod si animal loltitn exislens in Socrate

lanQUore afftcitur, et lotum, quia quidquid suscipit , Iota sui quantitate suscipit,

eorfem et momento nusquam est sine languore ; esl autem in Platane totum illud

idem ; ergo etiam ibi langueret ; sed ibi non languet. Iilem de alliedine et nigredine

circa corpus. Ad hacc enim non refugianl, ul dicanl etc Addunt: ani

mal universale languet, sed non in quanlum est universale. Ulinam se videanl....

Si ad Status se transferatit dicentes ,, animal in quantum est universale nun languel

in universali slatu", respondeant, de quo velinl agere per has voces „in statu unitertali".

Die Quelle aber dieses Begriffes ,, slatus universalis" werden wir mit

Recht bei Boethins erblicken, wo derselbe gelegentlich der Qualität (ad Ar. praed.

p. 180.) sagt: Nihil impedil , secundum aliam scilicel alque aliam causam, unam

eandemque rcm gcmino generi spcciei suae supponere, ut Socrales in eo quod paler

est ad aliquid dicilur , in eo quod humo substanlia est, sie in calore atque frigore

in eo quod quis secundum ea videtur esse dispositus in dispositiune numeralur,

denn in dem Ausdrucke „in eo quod" liegt hier das Entscheidende, sowie in einer

noch deutlicheren Stelle (ebend. p. 189.): Si secundum aliam atque aliam rcm

duoltus generibus eadem res .... supponatur, nihil inconveniens cadit ; ita quoque

et habitudines in eo quod alicuius rei habiludines sunt , in relalione ponuntur , in

eo quod secundum eas quales aliqui dicuntur, in qualilale numerantur ; quare nihil

est inconveniens, unam atque eandem rem secundum divcrsas naturae suae potcntias

(diess sind ja die Universalien) pluribus adnumerare generibus.

130) Seine Briefe (gedruckt b. D'Achery Spicil. ed. De la Barre, Par. 1723,

138 XIV. Walter v. Mortagne. Die Indifferenz-Lehre.

wirkte. Er suchte nemlich die numeräre Einheit des Universale mit

der Wesensverhindung, in welcher es mit den Einzel-Dingen siehe, da

durch zu vereinbaren, dass er an dem Individuum die Individualität und

den Artbegriff sowie den Gattungsbegriff bis hinauf zur obersten Gat

lung je als verschiedene Zustände — Status — unterschied 131). Jeden

falls liegt in dieser Ansicht, wenn uns auch nähere Mitlheilungen über

dieselbe gänzlich fehlen, das Beachtenswerte, dass einerseits das Uni

versale den Einzel-Dingen näher gerückt ist, und andrerseits für jene

Unterscheidung der Zustände die subjective Denkoperation mehr in den

Vordergrund tritt. Daher erscheint auch jener Bericht (s. oben Anm.

69) nicht unglaubhaft, wornach von der nominalislischen Annahme be

treffs der „maneries" Einige in die stafws-Frage hinübergelenkt zu haben

scheinen (s. Anm. 88).

Die innere Entwicklung aber leitet uns hiemit von selbst auf die

Indifferenz-Lehre hin, welche insbesondere eine vermittelnde

Stellung zwischen den Parteien einnimmt. Sie beruht darauf, dass Ein

und dieselbe Sache zugleich allgemein und einzeln sei, indem nicht etwa

ein Universale den Dingen wesentlich einwohne, sondern nur an den

selben als mehreren gleichartigen ein unterschiedslos (indifferenter)

Gemeinschaftliches sich zeige; hiernach also wird dasjenige, was an

mehreren Dingen das Gleichgeltende oder innerlich Aehnliche (indiffe

rent! oder consimile) ist, in der Definition als Gattungsbegriff bezeichnet,

und für das so gefasste Universale ist die Möglichkeit der Aussage

(praedicari de pluribus) gerettet, während der Realismus immer Gefahr

lief, ein Ding von einem Dinge aussagen zu müssen (s. unten Anm. 287),

und diese letztere subjectiv logische Seile konnte nun wohl allenfalls

auch mit dem Begriffe eines Status verbunden werden, so dass jedes

Ding einen Zustand der Individualität und zugleich einen Zustand der

Allgemeinheit an sich habe132); aber dennoch ist der ganze Standpunkt

von jenem Waller's verschieden. Während nemlich dort noch an der

Existenz des Universale festgehalten wird und eben dieses es ist, welchem

III, p. 520 II.) sind nur dogmatischen Inhaltes und berühren die Geschichte der

Philosophie nicht im Geringsten.

131) Die Belegstelle s. oben Anm. 65.

132) Abael. Glossulae sttp. Porph. bei Remusal (s. Anm. 13. u. 73.) p. 99 f.:

La seconde maniire de soulmir l'universalUd des choses, c'est de prdendre que la

meme chose est universelle et particuliere ; ce n'est plus essentiellemenl, mais indiff^

remment quc la chose commune est en divers Ce gut est dans Platon et

dans Socrale, c'esl un indi/fiirenl , un semblable , ,,indifferens »et consimile". H

est de certaines choses qui conviennenl ou s'accordcnt entre eile s , c'esl-ii-dire , qui

. sont semblables en nature, par excmple en tant que corps, en lanl qu'animaux;

elles sont ainsi universelles et parliculieres, universelles en ce qu'elles sont plusieurs

en communauti d'atlributs essenliels , parliculieres en ce que chacune esl distincte

des autres. La diftnilion du (ferne (,, praedicari de pluribus") ne s'applique alors

mix choses qu'elle concerne qu'cn tant qu'elles sont semblables , et non pas en tant

qu'elles sont individuelles. Ainsi les memes cho&es ont deux ftals, leur etat de

gerne, leur elal d'individus , et suivant leur Hat elles comportent ou ne comportent

pas une däßnilion differente. Ob Rämusat in der Handschrift hier wirklich das

Wort ,, stalus" gefunden habe — es scheint wenigstens so —, oder dieser Zusatz

nur auf seiner eigenen Auffassung beruhe, weiss ich nicht; doch s. jedenfalls so

gleich d. folg. Anm. n. 135 f.

XIV. Die Indifferenz-Lehre. 139

verschiedene Zustände zugeschrieben werden , tritt bei der Indifferenz-

Ansicht in aller Schärfe die dem Nominalismiis (Anm. 77 f.) angehörende

Auffassung an die Spitze, dass überhaupt Nichts anderes existire, als

nur Individuen, und ii>dem das Denken sich auf diese als auf seine Objecte

wirft, entstehen nur durch die Verschiedenheit der Auffassung

(aliler et aliler allenlum) die Universalien, so dass Zustand (slalus) oder

Natur (natura) des Individuum-Seins oder des Art-Seins u. s. f. nur

als subjective Anschauungsweisen zu betrachten sind, und vor Allem

isl es hiebei gleichsam ein negatives Verfahren, welches vom Individuum

zum Allgemeinen führt, 'indem das Denken (inlelleetus] die individuellen

Unterschiede stufenweise bei Seite lässt (tion concipil) , absichtlich vergisst

(oblilus), hintansetzt und abstreift (postponil, relinquit), um in

dem Erfassen des Unterschiedslosen zum Höchsten, d. h. zur Substanz

fortzurücken 133). Sonach kann sich auch diese Ansicht, ähnlich wie

die anderen, auf einzelne Stellen des Boethius berufen, wenn sie be

hauptet, dass das Individuum, als Individuum betrachtet, gar kein Un

terschiedsloses an sich trägt, welches ihm mit anderen Individuen ge

meinsam wäre, sondern es gleichsam der Unterschied selbst ist, hingegen

je mehr man dieses nemliche Individuum als Art oder Gattung betrach

tet, man desto mehrere gemeinschaftliche unterschiedslose Mpmente an

ihm entdeckt und dann all das Gemeinschaftliche als Art- oder Gattungs-

Begriff zusammenfasst 134), so dass hiemit allerdings, weil zuletzt an

133) D. gen. et spec. p. 518.: Nunc ilaque illam, que de indifferentia est,

sententiam perquiramus, cuius haec est positio : Nihil omnino est praeler Individuum,

sed et illud aliler et aliter allenlum species et genus el gencralissimum est (ebenso

in der schon oben , Anm. 72., angeführten Stelle). Itague Socrates in ea natura

(man beachte „natura", wofür sogleich hernach „ Status" steht), in qua subieclus

est sensibus, secundum illam naiuram, quam significat de „esse Socrati" (dieser

Sprachgebrauch — TÖ 2foxfjuifi tlvai — beurkundet sicher eine Gewandtheit in

der Terminologie der arislot. Analytik, s. oben Anm. 8 ff.), individuum est ideo,

quia tale est proprietas, cuius nunquam tola reperitur in alio De eodem Socrate

quandoque habetur intelleclus non condpiens quidquid notat haec vox ,, Socrates",

sed Socralitatis oblilus id tantum percipit de Socrate, quod idem notat „homo", i.

e. animal rationale mortale, et secundum hoc species est .... Si intellectus postponat

ralionalitatem- et mortalüatem, et id lantum sibi subücial , quod nolat haec vox

,,animal", in hoc statu (also ,, Status" in dem Sinne von obigem „natura") genus

est. Quod si relictis omnibus formis in hoc tantum consideremus Socratem , quod

notat „substantia", generalissimum est.

134) Ebend. : Socrates, in quantum est Socrates, nullum prorsus indifferent

habet, quod in alio invenialur , sed in quantum est homo, plura habet indifferentia,

quae in Plalone et in aliis inveniunlur; nam et Plato similiter homo est ut Socrates,

quamvis non sit idem homo essentialiler, qui est Socrales. Idem de animali et

subslanlia. Um aber diess auf seine Quelle zurückzuführen, genügen folgende

Stellen des Boethius ad Porph. p. 56.: Cogilantur vero universalia, nihilque aliud

species esse pulanda est nisi cogitalio collecta ex individuorum dissimilium numero

substantiali simililudinc, genus vero cogilatio collecta ex specierum similitudine ; sed

haec simililudo cum in singularib^s esl , fit sensibilis , cum in universalibus , fit

intelligibilis ; ferner ebend. p. 78.: Indiriduorum quidem similitudinem species colligit

, specierum vero genus; similitudo autem nihil est aliud nisi quaedam unitas

qualitalis ; und ebend. p. 80. : ea namque sola dieidunlur, quae pluribus communia

sunt; in his enim unumquodque dividitur, quorum esl commune quorumque naiuram

ac similationem conlinet ; illa vero, in quibus commune dividitur, communi natura

participant, proprietasque communis rei his , quibus communis est , convenil ; at vero

140 XIV. Die Indifferenz-Lelire. Adelard v. Bath.

jeder individuellen Erscheinung auch die Seite (slalus} ihrer allgemein

sten Gattung crl'asst werden kann, es so viele allgemeinste Gattungen

gibt, als es Individuen gibt, und nur wieder durch Erwägung eines ge

meinschaftlich Unterschiedslosen die höchsten Gattungen in zehn Klassen

(Kategorien) sich gruppiren, aber alle zusammen doch wieder darin Ein

Allgemeinstes ausmachen, dass sie eben das unterschiedslos Gemein

schaftliche sind 135). In gleicher Weise gestaltet sich dann auch das

Verhflliniss der Aussage, denn während das Individuum stets nur sein

eigenes Prädical ist, kann diejenige Seite an ihm, welche als Art oder

Gattung erfasst wird , eine gegenseitige Bezugsetzung zu anderen Indivi

duen herbeiführen, d. h. z. B. das Mensch-Sein des Socrates ist Prä

dicat (inhaeret) auch für Plato, und umgekehrt, und dieses Gattung-Sein

des Individuums ist Sammelbegriff (colligitvr) sowohl für dieses Indivi

duum selbst, als auch für die übrigen gleichartigen136), — kurz das

Verhältnis« des Allgemeinen und des Einzelnen reducirt sich auf ein

„Insoferne" (in quantum), und indem es weder ein bloss Allgemeines

noch ein bloss Individuelles gibt, ist es die Verschiedenheit der Auf

fassung (diversus respeclus), wodurch das Allgemeine als Einzelnes und

das Einzelne als Allgemeines betrachtet wird 137).

Indem nun diese Indifferenz-Lehre zuletzt doch wieder mit dem

„Singulare sentilur, universale intelligilur" übereinstimmt und hiemit

sich auch auf Boelhius (Ahschn. XII, Anm. 91) stützen konnte, und

immerhin zugegeben werden durfte, dass die Universalien für uns hienieden

in diesem Jammerthale nur als Individuen eine wahrnehmbare Exi

stenz haben, während ihnen in Wahrheit ein intelligibles Sein zukomme,

so konnten namentlich wegen jenes aufwärts führenden „Abstreifens"

des Individuellen (Anm. 133) sich selbst Platoniker mit der Indifferenz-

Ansicht befreunden , während zugleich Aristoleliker an derselben die

Wechselbeziehung zwischen Allgemeinem und Besonderem, sowie die

Werthschätzung der subjectiven Denkoperation beachten mochten (ein

Beispiel der letzteren Auffassung werden wir unten, Anm. 432 f., bei

einem Schüler Abälard's treffen). So ist es erklärlich, dass Adelard

von Bath, welcher um d. J. 1115 eine auf Platonismus beruhende

proprielas individuorum nullt communis est. Hier nemlich ist sowohl das simile

oder commane als auch das colligere (Anm. 136.) deutlich genug vorgezeichnet.

135) Ebend. p. 519.: Solvunt illi dicenles , generalissima quidem in/inila esse

essentialiter, sed per indi/ferentiam decem lanhmi ; quot enim individua subslanliae,

tot et sunt generalissimae sulistantiae ; omnia tarnen illa generalissima generalissimum

unum dicunlur, quia indifferentia sunt ; Socrates enim in eo quod est substantia,

indifferent est cum qualibet substantia in en sla.lv, , quod substantia est.

136) Ebend.: Sed et hi dicunl: Socrates in nullo statu alicui inhaeret nisi

sibi essentialiler , sed in statu hominis pluribus dicitur inhaerere . quia alii sibi in

differentes inhaerent; eodem modo in statu animalis (p. 520.) Dicunt ita:

Socrates in quantum est homo, de se colligüur (man beachte dieses Wort) et de

Platane caeterisque; unumquodque Individuum, ii^quanlum est homo, de se colligilur.

137) Ebend. p. 521.: Illi tarnen non quiescunt, sed dicent : nullum singulare,

in quantum est singulare , est universale , et e comerso , et cum universale est,

singulare est universale , et e converso. Ebend. p. 520. : Negant hanc consequentiam

,,si est universale , non est singulare", nam impositione suae sententiae habetur:

omne universale est singulare et omne singulare est universale diversis respectibus.

l

XIV. Adelard v. Bath. 141

Schrift „De eodem et dwerso" verfasste 13S), eben durch die Indifferenz-

Lehre den Gegensalz zwischen Plalo und Aristoteles ausgleichen zu

können glaubte. Derselbe klagt über den schroffen Gegensatz der logi

schen Parteien sowie über die Neuerungssucht seiner Zeit 139), aber er

ist der Ansicht, dass durch richtige Erklärung betreffs der Universalien

der Streit sich scblichten lasse140). Er äussert sich hiebei über die

Art- und Gattungs-Begriffe völlig übereinstimmend mit der Indifferenz-

Annahme, ja selbst fast mil den neinlichen Worten (z. B. diversus respeclus,

oMivisei, non allendere u. dgl.), so dass man glauben kann,

unser obiger Berichterstatter habe Adelard's Schrift im Auge, denn die

einzige Abweichung ist, dass hier der Begriff des slalus nicht beige

zogen wird, und vielleicht etwas mehr Gewicht auf die Worlbezeichnung

fällt 14 *). Sodann aber folgt in platonischem Sinne eine Klage darüber,

dass für den Menschen das Allgemeine durch die unerlässlicbe Sinneswahrnehmung

verfinstert sei, während die Universalien in ihrer reinen

Einfachheit ursprünglich nur im göttlichen Novg vorlagen142), und

138) Näheres über ihn s. bei Jourdain, Recherche* crit. 2. Aufl. (1843) p.

26. u. 97. u. 258—277., woselbst aus einer Pariser Handschrift ansehnliche Bruch

stücke dieses Buches in Ueberselzung mitgetheilt sind.

139) Ebend. p. 262.: L'un pre'lend qu'on doit parlir les choses sensibles,

l'aulre commence par les choses non sensibles. Celui-ld soutient que la science

n'est que dans les premieres, celui-ci qu'ellu esl hors des derntires; ils s'inquie'tent

ainsi muluellemenl , ä fin qu'aucun d'eux ne s'allire la conßance .... (p. 263.) 'A

qui donc faut-il croire d'entre ceux qui tourmentenl nos oreilles de leurs innovalions

journalieres , qui chaque jonr naissent pour nous, nouveaux Aristoles et nouveaux

Plalons, qui promcltenl egalement et les choses qu'ils savenl et celles qu'ils ignorenl ?

140) Ebend. p. 267. : L'un d'eux (d. h. Plato und Aristoteles), transporle'

par l'e'lnation de son esprit et les ailes qu'il semiilt s'etre cre'e'es par ses efforls,

a entrepris de connaitre les choses par les principes eux-memes, a exprime ce qu'ils

e'taieitt avant qu'ils ne se reproduisissent dans les corps, el a deßni les formes

arche'lypes des choses. L'aulre, au, conlraire , a commence par les choses sensibles

el cumposees. El puisqu'ils se reconlrenl dans lern route, doit-on les dire opposes?

Si l'un a dit que la science e'tait hors des choses sensibles, el l'aulre, qu'elle iHa.il

dans ces memes choscs, voici ctimmenl U faul les Interpreter.

141) Von den nun unmittelbar folgenden Worten (bei Jourdain p. 267.) gibt

Haure'au, De la phil. scol. I, p. 255. den lateinischen Originaltext: Genus el species,

de his enim sermo, esse el rerum suliiectarum nomina sunl. Harn si res consideres,

eidem essenliae el gencris el speciei et individui nomina imposila sunl, scd rcspeclu

diverso. Volenles enim philosoplii de rebus agere secundum hoc quod sensibus subiectae

sinnt, secundum quod a vocibus sinijularibus notanlur et numeraliter diversae

sunt, individua vocavemnl, sc. Socratem, Hatonem et ceteros. Eosdem autem aliler

inluenles, videlicel non secundum quod sensualiler dicersi sunl, sed in eo quod

nolanlur ab hac voce ,,homo", speciem vocaverunl. Eosdem ilem in hoc lanlum,

quod ab hac voce „animal" nolanlur, consideranles genus vocaverunl. Nee tarnen

in consideratione speciali formas individuales lollunl, sed obliviscunlur, cum a speciali

nomine non ponantur; nee in generali species ablalas intelligunt, sed inesse

non attendunt, vocis generalis significatione contenti ; vox enim haec ,,animal" iure

illa notal subiecla cum animalione et sensibilitale , haec autem ,,homo" totum illud

el insuper cum rationalilale et mortalilate, „Socrales" vero illud idem addila insuper

numerali accidentium discretione. .

142) Ebend. p. 256.: Assueti enim rebus , cum speciem intueri nilunlur,

eiusdem quodammodo cali/jinibus implicantur nee ipsam simplicem nolam .... contemplari

nee ad simplicem specialis vocis positionem ascendere queunt. Inde quidam,

cum de universalibus ageretur, sursum inhians ,,Quis locum eorum mihi oslendet?"

142 XIV. Adelard v. Bath. Joscellinus.

hieran knüpft sich sogleich die wunderliche Behauptung, dass eben

desshalb sowohl Aristoteles Recht habe , welcher die Universalien in

jenes Gebiet verlegte, in welchem allein sie uns zugänglich sind, als

auch Plalo, welcher sie dorthin verweist, wo sie ihr wahres Sein haben,

kurz dass Beide, während sie im Wortausdrucke sich zu widersprechen

scheinen, in der Sache übereinstimmen 143). Viel Kopfzerbrechen kann

diese Versöhnung dem Adelard wohl nicht gemacht haben 144).

Eine dem Principe der Indifferenz-Lehre analoge Auffassung, wenn

auch mit einer etwas verschiedenen Methode, könnte die Ansicht des

Gauslenus oder Joscellinus von Soissons (v. 1125—1151 dortselbst

Bischof) gewesen sein, dass nemiich die [Iniversalien nicht schon

an sich in den Individuen liegen, sondern denselben erst zukommen,

insoferne das Individuelle in eine Einheit vereinigt (in unttm coUectu)

werde145); denn es vertrüge sich diess vollständig mit obigem Grund

satze (Anm. 133), dass nur Individuen existiren, und die Entstehung

der Universalien im menschlichen Denken würde hier nur nicht durch

ein Abstreifen , sondern von vorneherein durch ein Sammeln (colligere)

erreicht, welches auch die Indifferenz-Lehre schliesslich doch nicht um

gehen konnte (Anm. 136). Doch wissen wir über des Gauslenus Mei

nung durchaus Nichts näheres146), und während wir einerseits weiter

oben (vor. Abschn. Anm. 175) sahen, dass auch der Realist Otto von

Clugny sich einer ähnlichen Ausdrucksweise bediente, ja auch Johannes

von Salesbury den Gauslenus für einen Realisten zu halten scheint

(was jedoch vielleicht nicht von grosser Bedeutung ist, s. ob. Anm. 70

u. 85), so kann uns andrerseits wohl nur die Lostrennung der Universalien

von den Einzel-Individuen hauptsächlich dazu veranlassen, die

Annahme des Gauslenus näher an die Indifferenz-Lehre zu rücken, wozu

etwa noch als Bestätigung käme, dass derselbe auf die nominalistische

inquit. Adeo rationem imaginatio perturbal Sed id apud mortales. Divinae

enim menti .... praesto esl, et materiam sine formis et formas sine aliis , imo et

omnia cum aliis .... distincte cognoscere; nam et anlequam coniuncta essent universa,

quae vides , in ipsa Noy simplicia erant.

143) Ebend. : Nunc aulem ad propositum redcamus. Quum igitur illud id,

quod vides, et genvs el specics et individuum sit , merilo ea Aristoteles nonnisi in

sensibilibus esse proposuil , sunt etenim ipsa 'sensibilia quaevis aculius considerata;

quum vcro ea, in quanlum dicuntur speciei el genera, nenio sine imaginatione per

se pureque inluetur jhiemit finden wir hier wahrlich schon das „unbekannte Ding

an sich"), Plalo extra sensibilia, scilicet in menle divina, et conspici et exislere

dixit. Sie viri illi, licet verbo conlrarii mdeantur, re tarnen idem senserunt.

144) Zumal konnte ihm ja auch die bekannte gleichlautende Stelle Cicero's

(Acad. I, 6. bezüglich des Antiochus) wenfgstens durch Augustin (d. civ. dei, VIII,

6.) zugänglich sein. Dass auch Bernhard v. Chartres sich bemühte, Plato und

Aristoteles zu vereinigen, s. oben Anm. 66.

145) Die Quellenstelle s. oben Anm. 68.

146) Denn wenn H. Ritler, dessen Angaben über Waller v. Mortagne, Ade

lard v. Bath u. s. f. theils überhaupt der nöthigen Präcision entbehren, theils

geradezu unrichtig sind , die Schrift De generibus et speciebus sofort dem Ganslenus

vindiciren will, so würden zu einer solchen Annahme die etlichen Worte jener

einzigen Quellenstelle, welche wir über Gauslenus besitzen, selbst dann kaum

ausreichen , wenn sie sich mit den Ansichten des Verfassers D. gen. et spec. ver

trügen. Dass aber Letzteres sehr zweifelhaft ist, mag aus demjenigen hervor

gehen, was wir nun sogleich über jene anonyme Schrift anzugeben haben.

S

XIV. De generibus et speciebus. 143

,,manen'es"-Ansiehl liinübergewiesen habe (ob. Anm. 68). Dann aller

dings hallen wir hier eine Wiederholung dessen, was schon bei den

früheslen Anfängen einer Parleispallung seitens der nouiinalislischen

Richtung beliauplet wurde 141).

Wenn wir aber bezüglich der Universalien die Annahmen Abälard's,

sowie jene des Gilberlus Porrelanus und des Johannes von Salesbury

erst weiter unten im Zusammenhange mil den Gesamml-Anschauungen

derselben zu erörtern vorziehen müssen (s. oben S. 113), so bleibt uns

für jetzt nur noch der unbekannte Verfasser der Schrift „De generibus

et speciebus" 14S) übrig, welcher uns manche Berührungs- oder Ver

wand Ischafts-Punkte mit mehreren der bisher erwähnten Ansichten zeigen

wird. Das Ganze war ursprünglich gewiss eine Abhandlung „De divisione"

(vgl. Anm. 118— 128) völlig in derselben Weise wie die gleich

namige Schrift Abälard's (s. Anm. 277 u. 353 ff.), und sowie der An

fang des uns erhaltenen Textes noch die Frage über die ursprünglichen

Theile eines Ganzen behandelt, so bot dann auch hier die Erörterung

über die Einlheilung der Gattung dem ebenso kennlnissreiehen als scharf

sinnigen Verfasser die Gelegenheit, in dem Streite über die Universalien

sowohl die Meinungen Anderer kritisch zu beleuchten als auch seine

eigene Ansicht zu begründen 149). Er bekämpft den Nominalismus vor

erst kurzweg dadurch, dass die Worte überhaupt kein Sein haben, da

dasjenige, was durch zeilliche Abfolge ersl entsteht, nicht ein einheit

lich Ganzes constiluiren könne, eine Bemerkung, welche eben, so weit

sie die Function" des Gedankens im Urlheile betrifft, auch gegen Abä

lard's Ansicht (Anm. 315) gerichtel istloü); sodann aber auch lasse

sich ja das Verhältniss zwischen StolV und Form, welches heim Uebergange

von Galtung zu Arl obwalte, durch Worte gar nicht aussprechen,

da nie ein Wort der Stoff eines anderen Wortes sei151). Hinwiederum

147) Nemlich Pseiido-Hrabanus (vor. Abschn. Anm. 153.) und jener soge

nannte Jepa (ebcnd. Anm. 170.) haben sich in ganz ähnlicher Weise über den

Gattungsbegriff geänssert.

148) Der Anfang des Buches, welches Cousin (Ouvr. inedits d'Abclard, p.

507—550.) aus einer Handschrift von St. Gennain herausgab, fehll, und der Titel,

welchen Cousin selbst machte, mag wohl fortan recipirt bleiben, jedoch gewiss

mit Ausnahme des Zusatzes „Petri Abaelardi", denn dass das Ganze nicht ein Werk

Abälard's ist — s. oben Anm. 49. — , hätte auch Cousin bemerken sollen; es

erbellt diess nicht bloss aus stilistischen Eigenlhümlichkeiten (z. 6. bei Lösung

von Einwürfen ein eingeschaltenes „Attende" oder „Solulio", oder hinwiederum ein

eigenthümliches Lieblingswort des Verfassers ist „ralionabile ingenium" u. dgl.),

sondern auch aus inneren Abweichungen der Ansicht selbst, welche sich sogar zur

Polemik steigern. Ich verweise hierüber, um Wiederholungen zu vermeiden, nur

auf die folgenden Anm. 150, 167, 168 und besonders 171, woselbst eine Annahme,

welche dem Abälard angehört, geradezu als „lächerlich" bezeichnet wird.

149) Bei sorgfältigem Studium der Schrift dürfte der Vorwurf der Unbeholfen

heit und Dunkelheit, welchen H. Ritter (VII, p. 363.) gegen dieselbe ausspricht,

wohl gänzlich verschwinden.

150) Bei Cousin a. a. 0. p. 523. : -llem voces nee genera sunt nee species

nee universales nee singulares nee praedieatae nee svbiectae, quia onmino non sunt;

nam ex Ais , quae per successionem fiunt , nullum omnino tolum constare , ipsi qui

hanc sententiam tenent, nobiscum credunl.

151) Ebend. p. 523 f.: Quemadmodum stalua eonstat ex aere malerie , forma

aulem figura, sie species ex genere malerie, forma autem differenlia (s. Anm. 160 f.),

144 XIV. De generibus et speciebus.

aber beslreitet er auch den Realismus des Wilhelm v. Champeaux, da,

wenn das Universale nach seinem ganzen Gehalte im Individuum individualisirt

werde (Anm. 105), nicht bloss dieser nemliche ganze Gehalt

doch wieder zugleich in einem anderen Individuum sich linden müsse 152),

sondern auch die variirenden oder transilorischen Eigenschaften allen

Individuen zukommen müssten 153), und ausserdem in dem Gattungsbe

griffe dann auch die Gegensätze gleichzeitig vorlägen 154). Und ebenso

ferner wendet er sich polemisch gegen die Indifferenz Lehre, indem er

sie sowohl in ihrem Priiicipe, d. h. in jenem Begriffe des „Gemein

schaftlichen" (Anm. 134) angreift155), als auch die dortige Ansicht

bezüglich des Sammelbegriffes („colligere", Anm. 136) bekämpft156),

und ebensosehr die Consequenz, welche in der Verwischung des Unter

schiedes zwischen Allgemeinem und Einzelnem liegt, verneint 157). Seine

eigene Ansicht blickt schon in der Erörterung über die Theilung ins

Unendliche (Anm. 126 f.) durch, wo er anerkennt, dass ein Ganzes

noch fortbestehen könne, wenn auch ein Theil desselben seine Form

verliere und an Stoff vermindert werde 158), sowie besonders in der

Auffassung, dass zwei Punkte noch nicht eine Linie ausmachen, wenn

nicht eine einheitliche schöpferische Kraft (una crealura) mitwirke159).

Auch in der Polemik gegen ein Amendement des Realismus (Anm. 112)

quod assignare in vocibus impossibilc est;'nam cum animal genas sit hominis, vox

vocis nullt) modo est allera alterius materia.

152) p. 514.: Quod si ila est, quis solvcre polest, quin Socrates eodem (em

pöre Romae sit el Alhcnis? Vbi enim Socrates esl. et homo universalis ibi est

secundum tatam suam quantüalem informatus Socratilate .... Si ergo res universalis

tota Socratilate a/fecla eodem lempore el Romac est in Platane Iota, impossibile est,

quin ibi etiam eodem tempore sil Socralitas, quae totam iltam essentiam continebat;

ubicunque autem Socratitas est in homine, ibi Socrales est, Socrales enim homo

Socralicus est.

153) Ebend. Die Stelle ist bereits oben, Anm. 129., angeführt.

154) p. 515.: Quam slatim enim rationalitas illam naturam tangit, sc. animal,

tarn slalim species efßcitur et in ea rationalitas fundatur; illa ergo totum informal

animal; sed eodem modo irralionalitas totum animal informal eodem tempore; ita

duo opposita sunt in eodem secundum idem.

155) p. 519.: Neque enim Socrates aliquam naturam, quam habeat, Platoni

communicat , quia neque homo qui Socrates est neque animal in aliquo extra Socralem

esl.

156) p. 520.: Socrates tarnen nullo modo de ph/ribus colligitur, quia in

pluribus non est. Schon diess müsste uns behutsam machen, den Gauslenus für

den Verfasser der Schrift zu halten, doch s. _unten Anm. 162.

157) p. 521.: AI vcro ncc particularitas nee universalitas in se transeunt ;

namque universalilas polest praedicari de particularilatc , ut animal de Socrale et

Platone, el particularilas suscipil praedicalionem univcrsalitatis , sed non ut univer-

'salitas^sit parlicularilas , nee quod parlicularc est, universalitas fiat.

158) p. 510.: Non scquilur „si hie asser est, et medietas huius asseris eit,"

passet enim destrui medietas, non quantum ad totam cius massnm, sed quantum

ad formam, et tarnen remanenlibus cius aliquibus parliculis non destruerelur hie

asser, quoniam medielalis eins materia, forma lantum pereunte , tota non periret.

159) p. 511.: Si quaelibel duo puncla proxime iuncta faciunt bipunctalem

lineam, quae sit una crealura, tunc habebit unum fundamentum; sed una alomus

non erit eius fundamentum, iam enim esset bipunclaliter lineatum p. 513.:

possumus dicere, quod ipsa bipunclalis linea fundalur in illis duabus alomis ut in

subiectis, non in subiecto.

XIV. De generibus de speciebus. 145

stellt er sich entschieden auf das von Porphyrius her (Absnhn. XI,

Anm. 44) in die Annahmen des Boethius (Abschn. XII, Anin. 97) über

gegangene Gleichniss des Kunstwerkes, wornach ihm die Gattung der

Stoff und der Unterschied die Form ist, das Product seihst aber, d. h.

die Species , in welcher der Stoll' die Form trägt (/brmom suslinet),

als eine bleibende Vereinigung betrachtet und auch mit dem Worte

„malerialum" bezeichnet wird100), wofür hinwiederum auch der eigenthümliche

Ausdruck „diffinüivum tolum" mit schroffer Festhaltung der

Theil-Anschauung sich findet181). Genauer aber begründet er diese

seine Meinung foigendermaassen: Im Individuum trägt (sustinel) eine

gewisse Wesenheit (essenlm), welche der Stoff ist, die Form der Indi

vidualität an sich und ist mit ihr zusammengesetzt, wodurch eben die

Verschiedenheit der Einzel-Individuen entsteht; eben diese Wesenheit

nun, insoferne dieselbe nicht bloss in dem einen oder anderen Indivi

duum, sondern zugleich auch in allen zusammen als Stoff vorliegt, ist

die Species, welche hiemit trotz aller Vielheit der einzelnen Wesen

heiten (essenlialiler mulla) als ein Sammelbegriff (colleclio) mit den

Worten „Ein Universale" oder „Eine Natur" bezeichnet wird, ungefähr

wie auch der Begriff „Volk" viele Einzelne umfasst162); es wird nemlich

nicht etwa die ganze Species in jedem Einzel-Individuum individualisirt,

sondern nur ein Theil derselben, d. h. eben Eine solche Wesenheit,

welche ja mit der die Species ausmachenden Gesamuitheit (concolleclio)

nicht identisch ist, sondern mit ihr nur die ähnliche Zusammensetzung

oder ähnliche schöpferische Kraft (similis composüio, similis crealio)

gemein hat, daher auch das Gleichniss mit dem Volke oder mit einem

Heere nicht völlig passt, indem zwischen den einzelnen Wesenheiten

und ihrer Gesammtheit wegen jener Aehnlichkeit der Erzeugung eine

grössere Wesens-Gleichheit besteht, als zwischen einem Soldaten und

dem Heere; besser hingegen kann dieses ganze Verhältniss damit ver

glichen werden, dass z. B. eine grössere Masse Metall in Einem ihrer

160) p. 516.: Sed dico: facla est species ex genere et sithslantiali differentia,

et sicitt in statua aes esl materia, fnrma autem figura, simililer genus est materia

speciei, forma atilem differenlia; materia est, quae suscipit formam. Ita genus in

ipsa specie constituta formam sustinet, nam et postquam constiluta est, ex materie

et forma constat, i. e. ex genere et differenlia p. 517.: omne materialum suf-

/icienter conslituitur ex sua maleria et forma.

161) p. 522.: Speciem ex genere et substantiali differentia constare , ut statua

ex aere et figura, auctore Porphyr io (b. Boeth. p. 88.) constal; itaque pars esl

speciei materia et simulier differentia, ipsa vero species est totum diffinilivum eoruro.

162) p. 524. : Quid nobis potius lenendum videatur de his, deo annuente amodo

ostendemus: Unumquodquc Individuum ex materia et forma composilum esl; ut Socrates

ex homine maleria et Socralitale forma, sie Plato ex simili materia, sc. homine

, et forma riiversa, sc. Platonitale. componilur ; sie et singuli homines. Et

sicut Socralilas, quae formaliter consliluit Socratem, nusquam est extra Socratem,

sie illn hominis essentia, quae Socratilatem sustinet in Socrate, nusquam est nisi in

Socrate. Ita de singulis Speciem igitur dico esse non illam essenliam hominis

solum, quae est in Socrate vel quae esl in aliquo alio individuorum , sed totam

illam colleclionem ex singulis aliis huius nalurae coniunctam, quae tola colleclio,

quamnis essenlialiter mulla sit , ab auctnrilalibus (d. h. von Porphyrius und Boe

thius) tarnen nna species, unum. universale, nna nalura appellalur, sicut populus (s.

vor. Abschn. Anm. 153.), quamvis ex mullis personis collectvs sit, wnus dicitur.

l1 KANT i., Gesch. U. 10

XIV. De generibus et speciebus.

Theile zu einem Messer und zugleich in einem anderen zu einem Griffel

verarbeitet wird IU3). Diess Nemliche nun wiederholt sich beim Gattungs

begriffe, indem jede von den Wesenheiten (essenliae), welche zur (iesammtheit

einer Species gehören, wieder aus einem Stoffe und einer Form

zusammengesetzt ist, nur mit dem Unterschiede, dass die Form hier

nicht mehr bloss die Eine der Individualität ist, sondern selbst in sich

die Mehrheit der artmacheuden, d. h. substantiellen Unterschiede in sich

involvirt; jener Stoff aber erscheint als solcher unterschiedslos (indifferens)

in jenen einzelnen Wesenheiten , welche der Artbildung als Stoff

zu Grunde liegen, und es heisst nun Gattung die Vielheil (mulliludo)

der Wesenheiten, welche Träger (sustinere, recipere) der Artunter

schiede sein können "''). Und endlich gilt das Gleiche auch bezüglich

des „ersten Princips", denn die Wesenheiten (essenliae), welche zu einer

Gattung gehören, bestehen abermals aus Stoff und Form und sind ihrem

Stoffe nach gleichfalls unterschiedslos (indifferentes) , während sie die

Galtungs-Unlerschiede als ihre Form an sich tragen, und so gelangt man

noch ein Mal zu einer Vielheil (mullitudo) von Wesenheilen als zum

generalissimum, von welchem schliesslich nur noch gesagt werden kann,

dass sein Stoff die „reine Wesenheit" (mera essenlia) oder die Substanz

selbst, seine Form aber die' Empfänglichkeil der Gegensätze (susceplibüüas

conlrariorum) sei 165). So streift der Verfasser durch seine

163) p. 526. : Speciem esse dicimus mullitudinem essentiarum inter se simil

i n ni, ut hominem l II ml tanlum humanitatis informatur Socratitate , quod in

Socrate est, ipsum autem species non est, sed illud quod ex ccteris similibus essentiis

conficitur. Allende. Materia est omnis species sui individui et eius formal»

suscipit , non ila scilicel, quod singulae essenliae illius speciei informenlur illa

forma, sed una tanlum, quae tarnen simüis est composilionis prorsus cum omnibut

aliis eiusdem naturae essenliis .... Neque diversum una essenlia illius concolleclionis

a tota collectione, sed idem, non quod hoc esset illud, sed quia similis creationis

'in materia et forma hoc erat cum illo Massam aliquant ferream, de qua faciendi

sunt cultellus el slylus , videntcs dicimus : hoc fulurum maleria cullelli et

slyli, cum tarnen nunquam tota suscipiat formam allerutrius, sed pari, stylt,' pOrs

cultelli (p. 527.) Maior identitas alicuius essenliae illius colleclionis ad

totum, quam alicuius personae ad exercilum, illud enim idem est cum Mo suo, hoc

i'/'t'u diversum. Hiezu p. 535. : Hoc enim habet noslra sententia, quod animal illud

genus in parte sui recipil rationalitalem el in parte irrationalilatem.

164) p. 525.: llrm unaquaeque essenlia huius coUeclionis, quae humanilas

appellatur, ex maleria et forma constat, sc. ex animali materia, forma aitlem non

una, sed pluribus , rationalitale et mortalitate et bipedalitate et si quae sunt ei

aliae substanliales. Et sicut de homine diclum est, sc. quod illud hominis, quod

sustinel Socratilatem , illud essenlialiler non suslinet Platonitatem, ita de animali;

nam illud animal, quod formas humanilatis, quae in me esl, sustinet, illud essenlialiter

alibi non esl, sed illi indiffertns est in singulis materiis singulorum individuorum

animalis. Hanc ilaque multiludinem essenliarum animalis, quae singularum

specierum animalis formas sustinet , ijrnus appellandam esse dico, quae in hoc diversa

esl ab illa mulliludine, quae speciem facil; illa enim ex solis illis essentiis,

quae iitdividuorum formas suslinent, collecla est, ista vero, quae genus est, ex Ais,

quae diversarum specierum substanliales differentias recipiunt.

165) Ebend. : Item, ut usque ad primum principium perducalur, sciendum est,

quod singulae essenliae illius multiludinis , quae animal genus dicilur, ex materia

aliqua essentia corporis el formis substnnliaUbus , animatione et sensibilitate , con

stat, quae, sicut de animali dictum est, nusquam alibi essenlialiter sunt, sed illat

indifferentes formas sustinent omnium specierum corporis. El haec lalium corporii

XIV. De generibus et speciebus. 147

eigentümliche Potenzirung oder Einschachtelung der essenlia doch wieder

an Wilhelm v. Champeaux hin, und hat daher wahrlich nicht, wie

Gauslenus, das Universale vom Individuum getrennt (s. Anm. 145 f.),

zugleich aber kömmt er durch die Begriffe der collfclio und des indifferens

in Berührung mit der Indifferenz-Lehre, während ihm dieselben

allerdings weit mehr eine objeclive Geltung haben.

Um so eigentümlicher aber muss sich hier die Auffassung der

subjecliv logischen Function , d. h. des Urtheilens, bezüglich der Uni

versalien gestalten, während doch erst hiedurch die Ansicht des Ver

fassers ihren vollen Abschluss findet. Er klagt, dass es keine Definition

des Prädicat- Verhältnisses gebe; denn es sofort als objeclive Inhärenz

zu verstehen, sei ein ungerechtfertigter Gehrauch, abgesehen davon,

dass letzlere nur im obigen Sinne einer Theilung genommen werden

dürfe186), und sowie man sich vor den Consequenzen der Indifferenz-

Lehre hüten müsse, so sei es überhaupt zu verwerfen, wenn im Hin

blicke auf den definitorischen Gehalt der Species praedicari und^ esse

identificirt werden167), — eine Bemerkung, welche sicher gegen Abälard

(s. unten Anm. 318) gerichtet ist und noch mehr einen speciell

polemischen Ausdruck erhält, wenn mit unverkennbarer Wendung gegen

eine Ansicht Abälard's (bezüglich der „sumpto", s. unten Anm. 321)

behauptet wird , dass sämmlliche allgemeine Bezeichnungen , mögen sie

Adjectiva oder Substantiva sein, sich mittelbar auf objeclive Gestallungen

beziehen168). Kurz das Urtheil sage nie aus, dass das Subject selbst

essenliarum multitudo genus dicitur illius naturae, quam ex multiludine essentiarwn

animalis confectam iiximus. El singulae corporis , quod genus est, essentiae ex\

materia, se. aliqua essenlia substanliae, et forma corporeitate conslant. Quibus ^

indifferentes essentiae incorporeüatem , quae forma est, speciem sustinent; et illa

talium essenliarum mulliludo substanlia generalissimum dicitur, quae tarnen nondum

est Simplex, sed ex materia mera essentia, ut ita dien m, et susceplibililale contra- ;

riorutn forma conslat.

166) p. 526.: Audi et attende: Praedicari quidem inhaerere dicunt ; usus quidem

hoc habet, sed ex auclorilale non imieni; conccdo tarnen; inhaerere autem dico

humanitatem Socrati, non quod Iota consumatur in Socrate, sed una tantum eius

pars Socratitate informatur (s. Anm. 163.). p. 531.: Nasse debes , quod nusquam,

quid sil praedicari, plane dielt auctoritas; nam quod solel dici, quod praedicari

est inhaerere, usus est ex nulla auctorilate procedens.

167) p. 527. : Item species in quid praedicatur de individuo (diese Abkürzung

,,praedicari in quid" begegnet uns hier zum ersten Male, vgl. Anm. 282.; nemlich

bei Boethius p. 68. lautet die Porphyrianische Definition der Species, s. Abschn.

XI, Anm. 41., vollständig: species est, quae de pluribus in eo quod quid praedi

catur); praedicari autem in quid, ut aiunt, est praedicari in essentia, praedicari

imieni in essenlia est, hoc esse illud. Cum ergo dicitur: „Socrales est homo"

habebimus illud idem inconveniens , quod in aliis sententiis, sc. singulare est univer

sale (s. Anm. 137.).... Hoc conseulio , „praedicari in essenlia" dicerc , ,,hoc esse

illud" nego.

168) p. 527 f.: Sed dicunt: „rationale" allerius nomen esl pro impositione

scilicet animalis, et aliud esl quod principaliter signißcat, sc. rationalilas,

quam praedicat et subiicit; „homo" vero nihil aliud vel nominal vel significat, quam

illam speciem. Absit hoc. Imo sictil „rationale" et „homo", sie et quodlibet aliud

universale subslantivum alterius nomen esl, per imposilionem quidem eius, quod prin

cipaliter significat , v. g. rationale vel album imposilum fuil Socrali vel alicui sensibilium

ad nominandum propter formas, i. e. ralionalitalem et albedinem, quas prin

cipaliter signiftcant.

10*

148 XIV. De generibus et speciebus.

das Prädicat selbst sei , sondern nur dass ersleres unter die Zahl jener

Wesenheiten gehöre, welche entweder von einem bestimmten Stoffe constitiiirl

sind oder einer bestimmten Form unterliegen 189), und demnach

werde, — wofür sich der Verfasser sogar auf eine vereinzelte Stelle

des Boelhius berufen kann — , der eine Species bezeichnende Name

eben nur den betreffenden Einzel-Individuen, nie aber der Species selbst,

gegeben 17°), wobei Substantiva und Adjectiva darin sich unterscheiden,

dass erslere auf den Stoff und letztere auf die Form sich beziehen, so

dass Diejenigen, welche von einem Accidentellen, d. h. von einem

„adiacens" sprächen, — was aber eben wieder Abälard thut, s. unten

Anm. 283 f. —, im grössten Irrthume seien m); wenn aber es so sich

mit der ursprünglichen Bedeutung der Worte verhalle, so seien Aus

drücke wie z. B. „Mensch ist ein Artbegriff" nur nothgedrungene Uebertragungen

172).

Schon hiedurch ist klar, dass der Verfasser (im Gegensatze gegen

Abälard) den eigentlichen Werth der Synthese, welche im Urtheile liegt,

misskennt und in platonischem Sinne die Worte sämmllich isolirt als

subjeclive Abbilder objectiver Exemplare betrachtet, was man kaum deut

licher aussprechen könnte, als er selbst thut, wenn er z. B. sagt: „Ver

nünftig" sei nicht der Name desjenigen, was als Subject dem Prädicale

der Vernünfligkeit unterliege, sondern der Name eines Wesens, welches

durch die „Vernünfligkeit" consliluirt wird 173); ja auf diese Weise

muss er das Prädicatsverhältniss so unbestimmt allgemein fassen, dass

es mit der Erzeugung des significanten Worles überhaupt zusammen

fällt, und, da dieses letztere Moment für Subject und Prädical das

gleiche ist, der Unterschied zwischen beiden zu einem bloss äusserlichen

und zufälligen wird; hiebei aber stützt er sich auf eine Stelle

des Priscianus, in welcher auf Grundlage des allgemeinen stoischen

Sprachgelirauches (s. Abschn. VI, Anm. 112 ff.) die Partikeln als „syncalegoreumala"

bezeichnet werden, woraus geschlossen werden könne,

169) p. 528. : Itaque cum dicilur „Socrates est homo", hie est sensus ,,Socrates

est unus de materialiter constitutis ab homine", .... sicut cum dicilur ,,Socrales

esl ralionalis", non isle est sensus „res subiecta est res praedicata", sed „Socrates

est unus de subiectis huic formae quae est ralionalitas".

170) Ebend. : Quod aulem „homo" impositum sit Ais, quae materialiter consliluuntur

ab homine, i. e. individuis et non speciei, dicit Boethius in commentario

super Calegorias his verbis etc. (s. Boclh. p. 129.); vgl. vor. Abschn. Anm. 121.

171) Ebend.: Nomina illa tantum dicunlur substantiva, quae imponuntur ad

nominandum aliquem propter eius maleriam .... vel expressam essenliam; ad~

iecliva vero illa dicunlur, quae imponunlur alicui propter formam, quam principaliter

signißcat Nam quod d/ci solet , adieclh'um esse, quod signißcat accidens secundum

quod adiacet, et substanlivum , quod significat essentiam, ridiculum est vel sine

intellectu.

172) p. 529.: Sciendum esl ergo: vocabula, quae imposita sunt rebus propter

almA significandum principaliter circa eas , quandoque transferunlur ad agenaum de

principali signißcatione , ul cum translative dicitur „rationale esl differenlia" et

,,album est species coloris", niliil aliud inlelligo quam ,,rationalitas." et ,,albedo";

sie. ..cum dicitur ,,homo est species" Concedimus itaque, hanc translalionem

necessitate fieri.

173) p. 547.: Rationale enim non est nomen subiecti ralionalitalis, sed rei quae

a ralianalitate consliluitur , quae non est ipsum animal.

XIV. De generibus et speciebus. 149

dass dann alle übrigen Worte eben calegoreumala, d. h. Prädicamente,

seien 174). Die ausgedehnte Wirkung, welche diese hier zum ersten

Male vorübergehend beigezogenen Syncategoreumala später in der Logik

äussern , müssen wir natürlich dem weiteren Verlaufe überlassen, die

Folgerung hingegen, welche hier unser anonymer Verfasser daraus zieht,

führt zu einem Platonismus, welcher uns sehr an Scotus Erigena er

innern muss. Wenn neinlich „praedicari" auf diese Weise das Nemliche

wie „significari principaliter" ist, so fällt die intellectuelle Funclion

des Menschen in jene objectiven Formen und Gestaltungen hinüber,

welche den Individuen zu Grunde liegen, denn es erzeugt sich der Be

griff (inleüeclus constüuüur, generalur) mittelst des Wortes im Hinblicke

auf das objective Universale175), und auch die Inhärenz, wenn man

mit ihr nach überkommener Gewohnheit das Prädicatsverbältniss identißciren

wolle, hat eben doch nur eine objective Bedeutung in dem

Werde-Process der Dinge 176). Kurz es handelt sich nur um die ein

heitlichen „Naturen", welche den Dingen zu Grunde liegen, und wenn

der Begriff der Nalur auf obige (Anm. 163) similis creatio oder bezie

hungsweise zur Abgränzung gegen andere Formationen auf dissimilis

creatio reducirt wird 177), so schliesst sich hieran eine platonisch-my

stische Creations-Theorie an, welche uns hier nicht berührt 17S). Indem

aber dabei sowohl nach Obigem für die Aussage das Hauptgewicht auf

174) p. 531.: Mihi aitletn videtur, guod praedicari est principaliter significari

per vocem praedicatam, subiici vero signißcari principaliler per vocem subiectam, et

hoc quodammodo videor habere a Prisciano, quod in tractatu orationis ante nomen

(d. h. in dem Capilel vor der Erörterung über Nomen) dicit praepositiones et coniunctiones

syncategoreumata, t. e. consignificantia; scimus aulem „syn" apvd graecos

,,cum" praepositionem significare, „calegorare" autem „praedicari", unde categoriae

praedicamenta dicunlur. Si ergo idem est „calegvreumata" quod „signißcantia" , idem

erit „praedicari" quod „signi/icari principaliler" (die Stelle b. Prise. II, 15. lautet:

Partes igitur orationis sunl secundum dialecticos duae , nomen et verbum, quia hae

solac etiam per se coniunctae plenam faciunl orationem, alias autem partes syncategoreumata

, hoc esl consignißcantia , appeilabant .)

175) p. 532.: Idem erit „praedicari" quod „signi/icari principaliter", quam

solam significationem recepil Aristoteles iuxla illud „album nikil signiftcat nisi qualitalem"

(Cat. 5, s. Abschn. IV, Anm. 476.; so verdrehte man jede beliebige Stelle

zu Gunsten seiner eigenen Ansicht) ; cwn enim albuni subieclum albedinis nominando

signiftcet, illam solam siqnificationem notavit Aristoteles, in qua intellectus constituitur

per vocem Sii-ni ensis et gladius eundem generanl inlelleclum, ita illa duo

nomina facerent.

176) p. 533.: Quod .« „praedicari" quidem pro ,,mhaerere" accipilur, quod

et nos conccdimus, neque enim bonvm itsum abolere volumus, sie dicendum est: omnis

natura, quae plurious inhaeret individuis malerialiler , species est.

177) Ebend.: Hie autem lantum agitur de naturis; si autem quaeras , quid

appellem naluram, exaudi : naturam dico, quidquid dissimilis creationis est ab omnibus,

quae non sunl vel illud vel de illo , sive una essentia sit sive plures, ut Socrales

dissimilis creationis ab Omnibus, quae non sunt Socrates, similiter et homo

Sfecies est dissimilis creationis ab omnibui, rebus, quae non sunt illa species vel

aliqua essentia illius speciei. Auch der Einwand bezüglich des Phönix, welcher

nur in Einem Exemplare cxistirt (s. Abschn. XII, Anm. 87.) wird berücksichtigt,

aber (p. 534.) durch die Bemerkung beseitigt, dass der Gegensatz zwischen matena

und materiatum (ob. Aum. 160.) dennoch in seiner Allgemeinheit festzuhalten sei.

178) p. 538—540.

150 XIV. De generibus et speciebus.

die Unterscheidung der essentia malerialis und essentia formalis fällt m),

als auch in onlologiseher Beziehung der Form allein eine Wirksamkeit

zugeschrieben wird180), so muss jene — übrigens gleichfalls dem

Abälard (s. unten Anm. 306) angehörende — Ansicht bekämpft werden,

wonach die oberste Gattung (genus generalissimum) der Stoff selbst,

und sonach die Formen seine nächsten Arten wären m), denn dem

Verfasser gilt, wie wir sahen (Anm. 165), die oberste Gattung selbst

schon als ein Product aus Stoff und Form, und es bleibt ihm daher

für jenen letzten höchsten Stoff, d. h. für die „reine Wesenheit" kein

anderes Prädicat als das blosse Sein, d. h. „esl" übrig182), genau

ebenso, wie auch (s. Anm. 170) jene Wesenheil, welche als Stoff den

Individuen zu Grunde liegt, nicht seihst schon einen Prädicats-Namen

hat, sondern ein solcher Collectiv-Name erst von den betreffenden Indi

viduen ausgesagt wird 183). Nun aber wird dieses Letztere auch auf

die Formen, d. h. auf die artmachenden Unterschiede ausgedehnt; es

wird nemlich in einer langen und äusserst zugespitzten Erörterung

gegen die gewöhnliche Annahme (Abschn. XI, Anm. 44, und Abschn.

XII, Anm. 87) dargethan, dass der artmachende Unterschied nicht unter

die Kategorie der Qualität fallen könne, da dann die Qualität in zwei

oberste Arten, nemlich in die Differenz und die übrige Qualität zer

fallen müsste, deren jede von beiden doch wieder nur durch einen

artmachenden Unterschied constiluirt werden könnte, welch letzterer

alier ja gleichfalls unter die Qualität fallen müsste, was er in keiner

Weise, weder als Gattung noch als Art oder Unterart, kann, sowie

auch es dann in keiner anderen Kategorie einen artmachenden Unter

schied geben könne, weil jede Species der Qualität (zu welchen ja

derselbe gehören würde) nur ein artmachender Unterschied innerhalb

der Qualität selbst sein könnte 184). Und wenn nun hiernach auch die

179) p. 548.: Concedo , ratimalitatem praedicari de homine in substantia ul

animal, sed illud ut formalem essentiam, aliud vero ut materialem; vere autem

assero, nuUam sirnplicem formam de alio praedicari substantialiter , qitam de his,

quae formaliter conslüuit.

180) p. 549.: Non esl diuersus effeclus materiamm, imo formarum Apparet,

quod ille e/fectus sequitur formas et non materiam.

181) p. 546.: JVe concedere cogamur, et materiam substantiae generalissimum

esse genus, et susceptibililatem contrariorum et quaslibet simplices formas esse species

Respondendum est, quod in difßnitione generis intelligendum est, td quod genus i

est debere praedicari de pluribus speciebus proxime sibi suppositis, quod quia deesq

illi materiae, idcirco non esl genus. ^

182) Ebend. : Possumus eliam dicere, quia illa mera essentia ad interrogationem

factam per quid convenienter non respondetur Si ergo quaeritur ,,quid esl substanlia",

respondeamus ,,est" ; neque enim polesl responderi per nomen „substantia",

rtamque non est nomen nisi materiatorum a substantia, vet ipsius substantiae per

translalionem supervacue responderi manifestum est.

183) p. 534.: Opponelur: illa essentia hominis , quae in me est, aliquid est

aut nihil Respondemus, lali essentiae nullum nomen esse datum nee per impo~

sitionem nee per translationem.

184) p. 54t.: Bestat nunc de differentiis , an alicui praedicamento sint arfscri-j.

bendae, an omnino a pracdicamen/is removendae iustius videantur (p. 542.)

Dicunt omnes, differentias esse in qualitate Quod si omnes differentiae in qualitate

tenenlur, differentiae specierum qualilatis in eodem praedicamento annumerandae

sunt, quod qualiter stare possit videamus. Praeceptum est Boethii in libro Divisionum

XIV. De generibus et speciebus. 151

das Wesen constituirenden Formen, selbst mit Berufung auf eine ein

zelne Stelle des Hoel.liii.is, gleichfalls aus dem Bereiche des Prädicats-

Verhältnisses ausgeschieden werden185), so bleibt der ontologische

Vorgang selbst, insoferne er auf Stofl' und Form beruht, dem Prädiciren

entrückt, und der Mensch bezeichnet durch Prädicate nur die

Producte des Vorganges, d. h. die einzelnen zusammengesetzten Dinge,

in deren Gebiet die Anwendung der Kategorien und hiemit auch die

Eintheilung in Substanz und Accidens ihre Stelle habe 186). So sind

wir allerdings wieder so ziemlich bei Scotus Erigena (s. vor. Abschn.

Anm. 105, woselbst in ähnlichem Sinne von der „Natur der Dinge" die

Rede ist, und Anm. 121, wo die Geltung der Kategorien hervortritt)

angekommen, wir verstehen aber eben darum auch, wie der Verfasser,

welcher als den Kern seiner Ansicht bezeichnet, dass das Allgemeine

nicht das Einzelne sei187), gegen alle Hauptrichlungen seiner Zeitge

nossen betrefl's der Universalien polemisiren kann, während er zugleich

mit allen sich gewissermaassen berührt.

Nun aber bildete, wie wir schon oben, S. 114, bemerkten, der

Streit über die Universalien immerhin nur einen Theil der gesammten

logischen Thätigkeit jener Zeit, und sowie uns auch Johannes v. Salesbüry

ausdrücklich bezeugt, dass ausser jener Frage es noch mehrere

andere Gegenstände üblicher Controversen gab 188), so müssen wir ver-

(s. ob. Anm. 118.) , omne genus per duas proximas species sufficienler naturalitcr

dividi. Duo ergo species sunt sub qualitale generalissima, in quas ipsum generalissimum

sufficienler distribuilur ; hae per adventum differentiarum in genus constiluunlur,

quo differentiae qualitates sunt, si omnes di/ferentiae praedicamento qualitalis annumerandae

sunt. Quod si esl, aut erunt ipsum generalissimum aut ipsae species dividentes

aut sub illis ipsis speciebus proximis continebuntur. Ipsum generalissimum

sui ipsius forma non est Item ipsae dif[erentiae species non sunt, quae ab ipsis

constitnimtur (p. 544.) quocunque modo dividas qualitatem, nulla species qualitatis

erit, qnam non sit necesse differentiam esse alicuü speciei qualitalis, quod

si verum est, nullius speciei alterius praedicamenti poterunt esse differentiae.

185) p. 545.: Videtur mihi, substantiales differentias in nullo praedicamento

esse, sed simplices formas tantum esse nee aliquo modo ex maleria et forma constare,

ipsas autem in subiectam materiam venientes naluram aliquam constituere, quamvis

a nullo constituantur Etiam Boethius (ad Ar. Praed. p. 130.) ... polentissima

confirmat auctorüate ila dicens: ,,cum tres substanliae sint , materia, species et quod

ex utrisque conficitur hie neque de sola specie neque de sola materia, sed de

utrisque mixtis compositisque proposuit" Ecce hie apertissime Boethius dicil,

subslanlialcm formam in praedicamento non esse.

186) p. 546.: Sensus est, quod res- ex materia et forma compositae in praedicamentis

sunt, res vero simplices in praedicamento non sunt; quod $i forte invenias

auctoritatem , quae videalur asserere, omnes res esse in praedicamento, de composilis

dici intelligas, illamque divisionem quae est ,,quidquid est, substantia aut accidens",

de compositis factam esse dicimus, simplices enim formas accidentia non appellamus.

Ueber Letzteres s. Anm. 191.

187) p. 547.: nostra sententia, quae nullum universale esse singulare recipil.

188) Joh. Saresb. Polycr. VII, 2 (Opp. ed. Giles IV) p. 87.: Sunt autem dubitabilia

sapienti, quae suis in utramque partem niluntur firmamentis; talia sunt,

quae quaerunlur de materia et motu et principiis corporum, de progressu multitudinis

et magnitudinis sectione, an terminos omnino nonhabeal (s. ob. Anm. 125 ff.),

de tempore et loco, de numero et oralione, de eodem ej divers», in quo plurima

attritio est, de dividuo et individuo, de substantia- et forma vocis, de statu

universalium , de usu et fine ortuque virtutum etc.

152 * XIV. Einzelne Controversen.

suchen, auch nocli betreffs der übrigen Theile der Logik die damalige

Zeilrichlung an der Hand einer fragmentarischen Ueberlieferung zu charakterisiren,

wodurch wir zugleich die Kennlniss jenes Terrains ver

vollständigen dürflen, in welchem sich Abälard's Leistungen bewegen.

Was hiebei zunächst die Kategorien betrifft, welche zwar von

Einigen geringschätzig behandelt wurden 189), so boten schon jene ein

leitenden Begriffe des aequivocwn , univocum und denominalivum (s.

oben Anm. 93) eine Veranlassung zu Meinungs-Verschiedenheiten dar 19°).

Sodann aber wurde die Gegenüberstellung von Substanz und Accidens

(Abschn. XII, Anm. 90) von Einigen besinnen, von Anderen aber ent

weder mit Beschränkung auf die concrelen Dinge der Natur gerecht

fertigt oder auf das blosse Prädicats-Verhällniss (vgl. Anm. 186) be

zogen oder selbst mit Verwechslung von Form und Accidens in den

Begriff des aus Theilen bestehenden Ganzen verlegt191). Auch die Er

örterung der einzelnen Kategorien gab manchen Stoff zu Controversen,

welche jedoch die Gränze des bei Boethius Vorliegenden nicht über

schritten; so halle sich bezüglich der Relation die Verschiedenheit der

platonischen und der arislolelischen Auffassung durch die Commentatoren

(Ahschn. III, Anm. 49, Abschn. IX, Anm. 3.1, Ahschn. XI, Anm. 71)

auch in die Discussion bei Boelhius forlgepflanzl (Abschn. Xll, Anm. 93),

und somit erscheint dieser Streitpunkt auch hier wieder192); auch

stritt man, ob nicht die Begriffe der Aehnlichkeil oder Gleichheit mehr

zur Qualität als zur Relation zu rechnen seien, sowie Einzelne sogar

189) Ebend. Melal. IV, 24 (Opp. V.) p. 181.: Alii detrahunt calegoriis.

190) Ebend. III, 2, p. 120.: Ex opinione plurium idem principaliler significant

(lenominutiva et ea, a quibus denominantur (nur Realisten können dies behauptet

haben). Abael. Dialecl. p. 481.: Nee aequivoca ex sola debenl praedicatione iudicari

, sed nee univoca propter eundem communionis causam Sunl aulem nonnulli,

qui .... non ad ea, quibus est imposilum vocabulum aequitiocum et de quibus

enuntialur, respiciunt, imo ad ea, ex quibus est imposilum, ut „ampleclor", cum

ad eandem personam, amplectentem simul el amplexam, aequivocwn dicalur secundum

diversarum proprietatum difftnitiones, aclionis scilicet el passionis, non ad personam

commune dicatur , sed ad proprielales , quas aeque designat.

191) Pseudo-Abael. d. inlell. b. Cousin, Fragm. philos. Par. 1840, p. 493.:

Quaerilur, an haec divisio „earum quae sunt, aliud est substantia aliud est accidens"

sit sufficiens. Quodsi concedalur, tunc, cum ralionalilas sit, oportet esse subslanliam

vel accidens; si aulem accidens fueril, polest adesse et abesse, quod falsum esl

Quidam dicunt, quod de quocunque verum est dicere „istud esl una res", de

eodem verum est dicere, esse subslantiam vel accidens; hi tarnen non concedunt, rem

unam debere dici, quod per opus hominum habet existentiam ut domus , nee quod

habet parles disgregatas ut populus Alii vero duobus modis dicunt divisionem

sufficienlem esse, praedicatione scilicet et continentia secundum naluram. Praedicatione

quidem v. g. animalium aliud est rationale aliud irrationale, haec divisio

est sufficiens praedicatione, quia de quocunque poterit dici „istud est animal", de

eodem slalim consequetur, esse vel rationale vel irrationale. Continentia ut tale

sil exemplum: domus alia pars paries alia lectum alia fundamenlum ; accidens

tarnen ibi large accipitur pro forma.

192) Abael. Dialect. p. 201 f.: Quae quidem difßnilio ab alia in eo maxime

diversa credilur, quod hanc Aristoteles secundum rerum naturam protulil, ittam vero

Plato secundum constntctionem nominum dedit Sunl aulem, qui quemadmodum

Plalonicam diffinilionem nimis laxam vituperant, ita et Arislotelicam nimis slriclam

appellant.

XIV. Einzelne Controversen. 153

die Kategorie der Lage (süus) zur Qualität zählten193), oder man

bezweifelte die Berechtigung der Kategorien ubi und quando, da die

selben aus den zur Quantität gehörigen Begriffen des Ortes und der

Zeit abgeleitet seien und somit z. B. dem Frageworte „qualiler" völlig

parallel stünden194), oder hinwiederum fragte man über die richtige

Unterordnung der Begriffe „Tod" oder „Schlaf" u. dgl. 195), oder man

stritt über die Auffassung des in den Kategorien mehrfach vorkommen

den magis vel minus, ob nemlich durch die Gradabstufung hloss das Sub

strat oder bloss die Eigenschaft oder Leides zugleich berührt werde196);

auch konnte bei solchen Gelegenheiten die principielle Parteisiellung

hervortreten , insoferne die Nominnlisten z. B. den Begriff „Gestern"

als ein Nicht-Seiendes bezeichneten 197), oder auch betreffs der Belation

und der Gegensätze ihren Standpunkt geltend machten, während die

realistische Ansicht ihrerseits dasselbe lliat198). Am häufigsten aber

scheint die Kategorie der Quantität besprochen worden zu sein, schon

darum weil dieselbe wieder auf die Fragen über den Theilbegriff (Anni.

193) Ebend. p. 204.: Sunt tarnen, qui ,,aequalis et inaequalis , similis el

disiimilis" inier qualitales conlrarias recipianl. p. 208.: lli vero, qui similitudinem

potius inier qualitates enumerant, ut magislro nostro V. (s. Amn. 102.) placuit.

(Die Quelle dieser Controverse ist Boeth. p. 157. im Vergleiche mit p. 187.)

Ebend. p. 201.: Vnus , memini, magister noster «tat, qui positionis nomen ad qua

litates quasdam aequivoce delorquerel. Hiezu Anm. 501.

194) Ebend. p. 199. : Videntur aiilem nee generalissima esse ,,ubi" vel ,, quando",

eo quod prima principia non videanlur ; quae enim ex alio nascunlur , prima non

videnlur principia, sed ipsa quoijue principia habent; ubi autem ex loco , quando

au/ cm ex (empöre originem ducunl Solei autem a multis in admirationem ac

quaestionem deduci, cur magis ex loci v r l temporis adiacentia praedicamenta innascanlur,

quam ex adkaerentia aliarum specicrum sive generum ; tarn enim bene ,, qualiler"

unius nomen generalissimi videlur sicul „ubi" vel ,, quando", cuius quidem speeies

bene vel male dicerentur sicul ,, quando" heri vel nudiuslertius vel ,,ubi" Bomae vel

Antiochiae esse. Die Quelle dieser Controverse ist ausser dem Abschnitte über die

Quantität, in welchem ja locus und tempus eine eigene Erörtermjg fanden (Koelh.

p. 146.), besonders der Commentar des Boelhius selbst, p. 190.: „quando" et

„ubi" esse non polest, nisi locus ac tempus fuerit.

195) Ebend. p. 402.: Solei autem de morte et vita quaeri, utrum in privationem

et habitum an potius in contrario recipiantur. p. 406.: St «n dormiente, inquiunl,

visio esset, videre eum oporlerel, si vero caecitas inesset, nunquam amplius

ipsum videre conlingeret.

196) Gilb. Porret, de sei princ. c. 8. (bei Arist. Opp. lat. Venel. 1552, l, f.

34.) : Dicitur autem „magis et minus suscipere" tripliciter ; aiunt enim quidam secundum

cremenlum et diminutionem eorum, quae suscipiunt, subiectorum; aliler autem

et alii , ipsa quidem, quae suscipiuntur , in suscipientt diminui et crcsccre, annuntiant;

alii autem secundum utrumque amborum diminutionem et augmenlalionem.

197) Abael. Dialect. p. 196.: „Heri'1 rei existenlis dcsignativum non videtur

sed fortasse hi, qui magis in speciebus rerum naturam quam vocabulorum

imposilionem altendunt, per „heri" quandam praesenlem adiacentiam designari volv.nl.

198) Ebend. p. 392.: Quod quidem mullos in hanc senlenliam induxil, ut contrarium

nomen lantum unieersalium , non cliam singularium, confiterentur , albedinis

quidem et nigredinis., non Im im, albedinis vel huius nigredinis; sie quoque et relatimm

el „privalio et habitus" nomina tanlum uitiversalium dicunt; relativa quidem

lantum universalite dicebanl ex relatione construclionis ; „habitus" quoque et „privatio"

universalium lanlum nomina dicunt , eo quod in individuis non possunt servari.

Ebend. p. 398.: Quidam lalem eum (sc. Boethium) divisionem innuisse dicunt, quod

contrario alia sunt genera alia specialiisima ; spccialissima vero sie subdividunlur,

ut eorum alia sub eodem genere, alia sub diversii contrariis ponanlur.

154 XIV. Einzelne Controversen.

125 ff.) hinüberführte. Wahrend die Nominalisten die Zahlbegriffe völlig

analog dem Uebrigen auffasslen und daher die einzelnen Zahlen als

Arien bezeichneten, deren Gattung die Zahl selbst sei199), verneinten

diess ihre Gegner, weil es hei den Zahlen an der zum Art- oder Gattungs-

Begriffe erforderlichen Wesens-Einheit der Natur fehle, und hier

nach die Zahlen nur als adjectivische Ausdrücke eines collectiven Ver

fahrens zu bezeichnen seien, welches Letztere man dann auch aufsämmlliche

Momente der Quantität anwendete, insoferne nur die einfa

chen Grundlagen derselben, nemlich die Begriffe des Punktes, des Eins,

des Augenblickes, des Buchstaben, des Ortes, eine Wesens-Realität

beanspruchen könnten, alles Uebrige aber auf blosse collective Aus

drücke sich reducire 20°); auch wurde von Einigen auf den Unterschied

hingewiesen, welcher bezüglich der Theilbarkeit zwischen dem Zeitbe

griffe und dem übrigen continuirlichen Theilbaren bestehe201).

In der Lehre vom Urtheile scheint häufig der ganze hauptsäch

liche Inhalt der Logik , soweit derselbe zum blossen Unterrichte der

jüngeren Schüler verwendet wurde, zusauimengefasst worden zu sein,

denn man verarbeitete das Buch De interpr. zu Compendien, zu ,,/ntroducliones"

oder zu einer „summa arlis", und indem man über die

Theile und Formen des Urlheiles, über Quantität, Qualität, Aequipollenz,

über Conlräres und Contradictorisches, über Wahrheit und Falschheit,

über Umkehrung und Modalität der Urtheile u. dgl. Regeln zusammen

stellte, suchle man das aristotelische Buch gleichsam schulgerechler zu

199) Ebend. p. 190.: Hi vero, quibus videlur,' in specialibus aul generalibus

vocabulis non solum ea contineri, quae una sunt naturaliler, sed magis ea, quae

substantialiter ab .ipsis nominanlur , possunt fortasse et ista (nemlich die einzelnen

Zahlbegrifle) species appellarc , quum videlicet magis logicam in impositione vocum

sequantur quam physicam in natura rerum investiganda.

200) Ebend. »p. 188 f.: Numerum aulem collecUonem unitatum determinant

Unde maxime magisri nostri sententia, mcmini, confirmabat, binarium ternarium ceterosque

numeros species numeri non esse nee numerum genus eorum, cuius videlicet

res una naturaliter non esset; liae namque duae unitates in hoc hominc Romae habilanle

et in illo qui est Antiocliiae, consistitnt atque hunc binarium componunt.

Quomodo una res in natura diceretur aut quomodo ipsae spatio tanlo dislanles unam

simul specialem seu generalem naturam recipient? Unde potius numeri nomen et binarii

et ternarii et ceterorum a collectionibus unitalum sumpta dicebant. Ebend. p.

179 f.: Harum autem (sc. quantitalum) aliae sunt simplices aliae compositae; simplices

vero quinque dicunt, punctum scilicet, unilatem, instans quod est indivisibile

temporis momentum, elementum quod est vox indindua, simplicem locum Hat

aulem tantum, quae simplices sunt, magistri nostri senlentia specialcs appellabal

naturas, eo videlicel quod sint unae natmaliter, quae parlibus carent; quae vero ex

his sunt compositae, composila individua dicebat nee una natmaliter esse — magisque

earum nomina sumpta esse a colleclionibus quibusdam.

201) Ebend. p. 186.: Ciim autem res singulae sua habeant tempora in se ipsis

fundata, sua scilicet momenta, suas horas, suos dies vel menses vel annos, omnes

tarnen dies simul existentes vel menses vel anni pro uno accipiuntur (p. 187.)

In aliis totis Mum posilum ponit partem et pars destructa perimit totum ....; in

(empöre vero e converso est, velut in die; &i enim prima est, dies esse dicitur, sed

non amverlilm; — at vero si dies non est, prima non est, sed non convertitur

In his itaque totis, quae per unam tantum partem semper existunt , illud

quod de inferenlia totius et partis Boelhius (de diffi- top. II, p. 867.) docet, non

admittunt.

XIV. Einzelne Controversen. 155

machen und mancherlei Ergänzungen oder Erweiterungen beizubringen 202).

In letzterer Beziehung aber ist uns Nichts näheres überliefert; hingegen

dass hieran sich auch wieder einzelne Controversen knüpften , ersehen

wir auch aus den beschränkten uns zugänglichen Quellen. So wurden

schon sogleich über den Begriff der vox significaliva (Abschn. XII,

Anm. 109) Schwierigkeiten erhoben, welche bezüglich der Fortpflanzung

des Schalles sich so sehr ins Abstruse verstiegen, dass Einige zuletzt

die Luft selbst als das Significante bezeichneten203). Nicht viel besser

ist die gelegentlich der Einheit der Bezeichnung aufgeworfene Frage,

ob ein Wort auch die Buchstaben, aus welchen es besteht, „bezeichnen"

könne 204). Eintlussreicher hingegen mochte es sein, — obwohl uns

weitere Consequenzen nicht überliefert sind — , wenn man beim nomen

eine scharfe Gränze zwischen signißcare und nominare zog, insoferne

ersteres auf die Allgemeinheit und letzteres auf das Einzelne gehe 205),

sowie vor Allem, wenn bei der Controverse, ob die Präpositionen und

Conjunctionen gleichfalls „bezeichnende" Worte seien oder gar nicht

zu den Redetheilen gezählt werden dürfen, die Dialektiker in Berührung

202) Joh. Saresb. Melal. III, 4, p. 130.: Quidquid in islo docetur libro (d. h.

De interpr.) , compendiosius et manifeslius poterit quilibet doctorum, quod et multi

faciunt , excepta reverentia verborum, in doctrinalibus parare rvdimentis, quas introducliones

vocant; vix est enim aliquis , qui haec ipsa non doceat adiectis aliis non

minus necessariis .... Percurrunt itaque, quid nomen, quid verbum, quid oralio,

quae species eius, quae vires enuntialionum, quid ex quanlitate sortiantur aut qualitate,

quae determinate verae sint aut falsae, quae quibus aequipolleant , quae consenliant

sibi, quae dissentiant, quae praedicala divisim, quae coniunclim praedicentur

aul conversim, et quae non, item quae sit natura modalium , et quae singularium

contradiclio p. 131.: Quis enim contentus est iis, quae vel Aristoteles in Periermeniis

docel? Quis aliunde conquisita non adiicü? Omnes enim tolius artis summam

colligunt et verbis facilibus tradunt. Vgl. unten Anm. 366.

203) Abael. Dial. p. 193.: Quomodo ergo eadem vox simul a diversis audiri

conceditur atque diversorum aures attingere? Sed ad haec quidem diversi diversas

proferuni solutiones. Hi quidem , qui audiri etiam remota volunt, dicunt, vocem

ante os proferentis remanenlem essentialiter secundum sensuum discrelionem ad aures

diversorum venire. Illi aulem, qui audiri nolunt nisi praesentia, hanc in voce physicam

considerant, quod, quando lingua noslra aerem perculit sonique formam ipsi

noslrae linguae iclus attribuit, ipse quidem aer, cum ab ore nostro emiltitur extertoresque

invenit aeres , ipsis etiam, quos reverberat, consimilem soni formam altribuit,

illeque fortassis aliis, qui ad aures diversorum perveniunt. p. 190.: Nostri

tarnen, memini, sententia magistri ipsum tantum aerem proprie audiri ac sonare ac

significare volebat. Vgl. unten Anm. 499.

204) Ebend. p. 488.: Totum constat ex suis parlibus, vox ex suis non constituitur

signißcalionibus , et fit quidem dimsio totius in partes , vocis vero non in

signißcationes. Nam etsi hoc, in quibusdam vocibus conlinoat, ut scilicet ex suis

iungantur signißcationibus , ut hoc vocabulum quod esl ,,ens" ex litteris suis, quas

etiam significal, non tarnen id ad naturam vocis , sed lotius referendum est; in eo

enim quod ex eis constat, totum est earum, non eas siiinifcans. Est eliam et alia

quorundam solutio , ut scilicet concedant, nullam vocem coniungi ex signißcationibus

diversis, ad quas videlicct diversas impositiones secundum acquivocationcm habeat ;

neque enim ,,ens" ad quaelibet plura dicunt aequivocum, sed tantum ad diversorum

substantias praedicalorum, unde de litteris, quae in eodem claudunlur pracdicamento,

aequivoce non dicitur.

205) Joh. Saresb. Melal. II, 20, p. 100.: Quod fere in omnium ore celebre est,

aliud scilicet esse quod appellativa significant et aliud esse quod nominant; nominantur

singularia , sed universalia significantur.

156 XIV. Einzelne Controversen.

mit den Grammatikern kamen, unter welchen die Einen einseitig für

Letzleres sich entschieden, Andere aber auch die Interessen der Logik

berücksichtigten und hiedurch eine Vereinbarung ermöglichten, wornach

für jene Redetheile (etwa ähnlich wie bei dem Verfasser De gen. et

spec., s. Anm. 174) ihr späterer Eintritt in die Logik wenigstens vor

bereitet werden konnte206); gleichfalls einem Einflüsse der Grammatik

(möglicher Weise durch Bernhard v. Chartres, s. Anm. 89) kann die

Terminologie zugeschrieben werden, wornach man Urtheile, wie z. B.

„Mensch ist ein Substanliviim" als „materialiter imposita" oder als Ur

theile „de signißcante et significato" bezeichnete 201). An der Frage

über das Wesen der Affirmation und Negation konnte wieder der Par

tei-Gegensatz hervortreten, indem die Einen sich an die Sprachform,

Andere an die Begriffe, Andere an die objective Realität hielten208).

Auch bei manchen einzelnen Punkten, welche im Commentare des Boethius

sich erörtert fanden, entschied man sich bald für bald gegen die

Auctorität desselben, so z. B. betreffs der Einheil des Urlheiles209),

oder bezüglich der Zerlegung des Verbums in die Copula und ein Parlicipium210),

oder bei den Urlheilen , in welchen das „est" nicht die

206) Abael. Dialecl. p. 216.: I'racpositiones et coniunctioncs de rebus eorum,

quibus apponuntur1 quosdam intellectus facere videntur , atque in hoc imperfecta

earum signißcatio dicitm , quod — ipsa quoque res , de qua intellectus habetur , in

huiusmodi dictionibus non tenelur sicut in nominibus et verbis , quae simul et res

demonslrant Unde certa apud grammaticos de praepositionibus sentenlia exstitit,

ut res quoque eorum, quorum vocabnlis apponunlur, ipsae designarenl Unde

illa quorundam dialecticorum sfntentia potior videlur , quam grammalicorum opinio.

quae omnino a partibus orationis huiusmodi voces , • quas signißcativas esse per se

non iudicavit, divisil ac magis ea quaedam supplemenla ac colligamenla (s. Abschn.

XII, Anm. 43, 60. u. 111.) partium orationis esse dicil (p. 217.) Sunt etiam

nonnulli , qui omnino a signißcativis huiusmodi dictiones removissc dialecticos adstruant.

207) loh. Saresb. Metal. III, 5, p. 137. : Interdum tarnen dictionem rem esse

contingit, quum idem sermo ad agendum de se assumitur, ut in iis , quae praeceptores

nostri materialiter dicebant imposita et dicibilia, quäle est ,,homo est nomen,

currit est verbum." Abael. Dial. p. 248.: Quidam tarnen transitivam grammalicam

in quibusdam propositionibus, esse volunt, qui quidem propositionum alias de

consignificantibus vocibus, alias vero de significante et significato fieri dicunl, ul sunt

illae, quae de ipsis vocibus nomina sua cnuntiant hoc modo ,,homo est nomen vel

vox vel disyllabum". Vgl. Anm. 618.

208)' Abael. Dialect. p. 404.: Quidam aulem per ,,iacere sub affirmatione et

negatione" finitum et infinitum vocabulum accipiunt, ut ,,sedel, non sedet" ; quidam

vero inlelleclus ab afßrmalione et negatione generalos (s. Anm. 175.); sed nos potius

ea, quae ab af/irmatione et negalione dicuntur accipimus , essentias scilicel rerum,

de quibus per afßrmalionem et negationem agitur. Nicht recht verständlich aber

ist Joh. Sar. Metal. II, 11, p. 81.: expcdil dialeclica quaesliones , quäle est, an

affirmare sit enuntiare (umgekehrt an enuntiare sit afßrmare hätte eher einen er

denklichen Sinn), et an simul exstare possil conlradictio .

209) Abael. Dial. p. 298.: Sunt autem, qui adstruant, diversa accidentia unam

enuntialionem facere, cum talia sumuntur, quae ad diversa referuntur , veluti st

dicatur ,,homo cilharoediu bonus" (s. Boelh. p. 419.).

210) Ebend. p. 219.: Idem dicit „homo ambulat", quantum proponit „horno

est ambulans" (ßoeth. p. 429.). Sed ad hoc, memini, magister nosler V. opponere

Kolel: si , inquit , verbum propriam significationem inhaerere dicit, verum autem sit,

eam inhaerere, profecto ipsum verum dicil ac sensum proposilionis perficit.

XIV. Einzelne Controversen. 157

factische Existenz des Subjectes involvirt 211), oder bei der Frage über

das Quanlilätsverhältniss zwischen Subjecl und Prädicat212), woran

sicli auch grammatische Spitzfindigkeiten anknüpfen konnten213). Ja

auch jene richtige Vervollständigung, welche die aristotelische Schrift

De inlerpr. durch Boethius in den Angaben über das „unbestimmte Urtheil"

gefunden hatte (Abschn. XII, Anm. 115), wurde von den Einen

gerechtfertigt, von Anderen aber verworfen, unter welch letzteren uns

ein Magister „V.", welcher „Glossulae super Periermenias" schrieb, ge

nannt wird214). Bezüglich der modalen Urtheile, — s. Abschn. XII,

Anm. 119, die Terminologie „modalis" erscheint nun als völlig recipirt

— , ist es wahrlich eine eigenlhümliche Auffassung, wenn Einige

dieselben derartig von den nicht-modalen ableiteten, dass nicht der thatsächliche

Inhalt, sondern der Sinn der Aussage durch die Worte „mög

licherweise" oder „nothwendigerweise" modilicirt werde, oder wenn

Andere sagten, die Möglichkeit oder die Notwendigkeit selbst seien in

solchen Urlheilen das Prädicat 21ä); auch war der Unterschied zwischen

211) Ebend. p. 223 f.: Unde quidam, mm dicitur Homero quoque defunclo

„Homerus est poela" (ßoelh. p. 423.) „esse" quoque, quod inlerponitur , in

designalione non exiitentium valv.nl uccipi — Noslri vero senlenlia magistri non

secundum verbum accidentalem dicebal praedicationem, sed secundum totius conslruclionis

significaluram et impropriam locutionem Sed quaeritur in illa significativa

loculione „Moments est poela", cuius nomen „Homerus" aul „poela" accipialurat

uero, si hominis, falsa est emmlialio eo defuncto, si vero poematis, .... esl novu

vocis aequivocatio.

212) Ebend. p. 247.: In his aulem quae secundum accidens praedicantur nee

lotam subiecti substantiam continenl, sed in parte tantum subieclum atlingunt (lloc/li.

p. 263.), .... non est necesse, praedicatum vel maius esse subiecto vel acquale,

veluli cum dicitur ,, animal est homo" vel ,,quiddam animal est homo" (vgl. Koelh.

p. 562.). Quamvis tarnen et hie quidam concedunt, animal quod subiicitur non esse

maius homine, dicunt enim, quia animal, quod homo est, ibi subiicilur, quod non

est maius homine.

213) loh. Saresb. Metal. II, 20, p. 101.: Quia „omnis homo düigit se", quodsi

ex relativae dictionis proprietate discutias, incongrue dictum forte causaberis et falsum,

siquidem sine collective sive distributive accipiatur , quod dictum est

,,omnis" pronomen relativum, ,,se" quod subiungilur nee universilati singulorum

nee alicui omnium veraciler apletur. Est igitur licentiosa relatio .... (p. 102.) unde

ex senlentia eorum, qui angustiis et subtilitatilius semper insistunt nee bonae ßdei

ralionem in colloquiis aul Icctionibus curanl, haec potius enunliationis forma est,

qttam regularis formae enuntiatio.

214) Abael. Dialect. p. 225.: De orationibus vero inftnitis quare hoc loco Arislotelei

mentionem non fecerit , solel quaeri . . . Alu ilaque Arislotelem simplicis

enuntialionis constitutionem demonslrasse hoc loco volunt, alii vero nullo modo orationem

inftnitari (dieses Wort begegnet uns hier zum ersten Male) concedunt, quibus,

memini, magister nosler V. asscntiebat; nee quidem id lam secundum sententiam

negabat, quam secundum constructionis naturam, cuius quidem invalidam de

coniunctionc dictionum calumniam in Glossulis eins super Periermenias invenies.

215) Ebend. p. 267.: Bestal, qualiler modales proposiliones ex simplicilms

descendere conßteamur ; esl antem magistri nostri sentenlia, eas ita ex simplicibus

descendere, quod de sensu earum aganl , ut, cum dicimus ,,possibile esl Socralem

currere vel necesse", id dicamus , quod „possibile est vel necesse, quod dicit ista

propositio: Socrales currit". Ebend. p. 273.: Haec enim ,,quendam hominem non

est possibile esse album" secundum magistri praedictam expositionem, quae de sensu

simplicis agit, sie ,,non est possibile, quod dicit Itacc propositio: quidam homo est

alias". Ebend. p. 277.: Quidam aiutit, per possibile possibüitalem praedicari, per

158 XIV. Einzelne Controversen.

possibile und conlingens offenbar ebensosehr ein Gegenstand von Con

troversen geworden216), wie andrerseits die Aequipollenz der modalen

Urlheile 217), oder wenn Boelbius bei der Unterordnung des disjunctiven

Urlheiles unier das hypolhetische (Abschn. XII, Anm. 141) nur die

Form „Aul A esl aul H eil" im Auge gehabt halte, so wollten nun

Einige diess durch eine syntaktische Keduction auch auf die Form „A

esl aul B aul C" ausgedehnt wissen218).

Aus dem Bereiche der Syllogistik dürfen wir von vornelierein

keine derartige Controversen-Lilteralur erwarten, denn die betreffenden

Compendien des Boelhius sind gleichsam blosse schulmSssige Formulare,

welche keine Gelegenheit zu Meinungsverschiedenheiten darbieten , die

arislolelisclie Analytik hingegen wurde, wie wir sahen (Anm. 8—34),

eben damals erst allmälig bekannt und ermangelte selbst dann noch

einer solchen commentirenden Zurichtung, wie sie für die anderen

Theile der Logik längst vorhanden gewesen war. Doch findet sich

wenigstens bei Johannes v. Salesbury eine Noliz, wornach jene äusserst

schwierige Stelle der erslen Analytik belreffs der Umkehrung modaler

Urlheile (Abschn. IV, Anm. 246) zu besonderer Erwägung gekommen

zu sein scheint, irisoferne man die dortigen Begriffe der Naturbestimmt

heit, des Möglichen und des Nicht-slallfindens durch eine eigene Ter

minologie (maleria naluralis, conlingens, remola) zu bezeichnen für

nölhig fand219). Aus derselben Quelle erfahren wir auch, dass die aus

modalen Urlheilen bestehenden Syllogismen , welche bereits Abälard ge

kannt hatte (Anm. 17), nun sowohl bei den Theologen als auch"in den

Schulen der Dialektik häufig in Anwendung gebracht wurden220). .Ein

necessilatem , ut , cttm dicimus ,, possibile esl Socralem esse vel necesse",

possibilitatem aul necessilatem ei altribuamus.

216) loh. Sar. Melal. IV, 4, p. 161.: „Conlingens", cuius lalissimus usus,

quo „possibili" aequabalur (s. Abschn. XII, Anm. 119.), in communi modernorun

usu parietes scholarum nusquam egredilur.

217) Mini'l. Dial. p. 275.: Quidam in his propoiitionibus (Abschn. XII, Anm.

122.) dicunl , quod si possibile est vel necesse esl, Socratem non esse equum,

possibile esl vel necesse est, esse non equum — In universalibus non ila concedunt,

ul videlicel \lanlundem valeal „non" ad „esse" praeposilum, quanlum id , quod

,,esse" copulal compositum.

218) Ebend. p. 442.: Sunt lamen qttidam, qui nee dismlimem ullam inlcr

cateyoricam et hypothelicam in disiunctione compositas habent, sed idem dicunl proponi,

cum dicilur „Socrates esl vel sanus vel aeger", et cum dicilur „aal Sacrales

esl sanus aul aeger", ut scilicel omnis enitnliatio, quae disiunctas recipit coniiutcliones,

hypothetica credutur; volunl itaqtie semper in huiusmodi categoricis, quae

disiunctiones recipiunl, hypolheticae sensum inlelligi, veluti cum dicilur „Socrales

esl sanus vel aeger", lale esl ac si dicotur „aul Socrates est sanus aul Socralts

esl aeger".

219) loh. Sar. Melal. IV, 4, p. 160, woselbst in einer Inhalts-UebersiciU

der ersten Analytik auch Folgendes vorkömmt: quid in loto esie aul non esse;

quas proposiliones ad usum syllogizandi converli contingat et quas non; quidve oblineal

in his , quae modernorum (s. Anm. 55.) t/su dicunlur esse de nalurali male

ria aut contingenti aut remota; quibus praemissis trium figurarum subneclit raliones

etc.

220) Ebend.: Deinde habita modalium ralione Iransil ad commixliones quae de

necessario sunt aul contingenli cum his, quae sunl de inesse .... Expositores vero

divinae paginae ralionetn modorum pernecessariam eise dicunl Ksl txim modits,

XIV. Einzelne Controversen. 159

gelegentlich einmal erwähnter Fangschluss bezüglich der Möglichkeit

des Künftigen ist aus Cicero nachgebildet221).

Dass hingegen wieder die Top i k sich einer ausgedehnteren und

mannigfaltigeren Bearbeitung zu erfreuen hatte, geht schon im Allge

meinen aus dem Werke Abälard's hervor, welcher bei den einzelnen

Topen sich so äussert, dass er überall schon eine bestimmte Anzahl

formulirter „Regeln" vorgefunden haben muss, in welche man in den

Schulen die Angaben des Boethius (De diff. lop.) redigirt hatte222);

auch versuchten von jener Zeit an, in welcher die aristotelische Topik

wieder hervorgezogen wurde (ob. Anm. 28 f.) in der That Einige eine

Bereicherung dieses Zweiges der Dialektik durch Auffindung neuer Topen

und neuer „Regeln"223), zugleich aber mochte sich auch eine richtige

Einsicht über die Stellung und Bedeutung der Topik verbreiten 224).

Doch blickten auch hier die allgemeinen Differenzen des Standpunktes

durch, wenn die Einen einseitig mehr die einzelnen Begriffe abgesehen

vom Sprachausdrucke225), Andere aber nur die innere Nothwendigkeit

der Abfolge in der Argumentation betonten220), wieder Andere hin

gegen gerade die subjektive Wahrscheinlichkeit berücksichtigt wissen

wollten227). Sodann aber knüpften sich mannigfache Controversen auch

an einzelne Topen oder Regeln an 228).

ul iüiii/1, quasi quidam medius habitus terminorum (vgl. Abschn. XII, Anrn. 150).

Et profecto licet nullus modos omnes, vnde modales dicuntur, singulatim enumerare

sufficiat, quod quidem nee ars exigit (s. ebend. Anm. 163.), turnen magistri scliolarum

inde commodissime disputanl. Vgl. unten Anm. 623.

221) Ebend. Polycr. II, 23, p. 125.: Restat tibi illius Stoici lui quaeslio ....

Quaerebat enim, an posses aliquid facere eorum, quae minime facturus es etc. Vgl.

Abschn. VI, Anm. 136. u. 164.

222) Abael. Dialect. z. B. p. 334. (sunt igitur quutuor huius inferentiae regu

lae), p. 353. (regulae anlecedenlis et consequenlis), p. 375. (regulae ab interpretatione),

p. 376. (tres autcm regulas a genere in usum duximus) n. s. f. durch die

ganze Topik hindurch.

223) loh. Sar. Melal. III, 9, p. 145.: JVon omnes tarnen locos huic operi (d.

h. Boeth. de diff. lop.) insertos arbiträr, quia nee potuerunt, quum cl a modernis

huius praeeunte beneftcio aeque necessarios evidcntius quolidie doceri conspiciam.

Ebend. 6, p. 138.: IVon tarnen huic operi (d. h. der aristotelischen Topik) tantum

tribuo , ut inanem repulem operam modcrnorum , qui equidem nascentes et convalescentes

ab ArisMele invenlis eins mullas adiiciunl rationes et regulas prioribus aeque

ßrmas.

224) Ebend. 5, p. 134.: scientia Topicorum ex opinione mullorum dialeclico

et oratori principaiiter facit.

225) Abael. Dialect. p. 426. : Dicuntur in argumentis ea, quae a propositionibus

ipsis significuntur , ipsi quidem inlelleclus , ut quibusdam placel, quorum conceptio

sine etiam vocis prolalione ad concessionem alterius ipsum cogit dubitanlem.

226) Ebend. p. 427.: Sunt autem, memini, qui verbis auctorüalis nimis adliaerenles

omne necessarium argumentum in se ipso necessarium dici velint.

227) Ebend. p. 335.: Sunl autem quidam, qui non solum neccssarias consecutiones,

sed quaslibet quoque probabiles veras esse faleantur; dicunl enim, verilatem

hypothelicae proposilionis modo in necessitate modo in sola probabilitale consislere

, in qua quidem sententia magistrum etiam nostrum deprehensum doleo

(p. 336.) dicunl tarnen, quia omne quod probabile est, verum est, saltem secundum

eum , cui est probabile.

228) So wollten Einige zu den maximae propositiones (Abschn. XII, Anm. 165.)

auch die Hauptregeln des kategorischen Unheiles beigezählt wissen (Abael. Dial.

p. 539 f.), Andere dieselben noch weiter ausdehnen (ebend. p. 366.), oder man

160 XIV. Einzelne Controversen. Abälard.

Bedenken wir aber nun, dass fast Sämmtliches , was wir bisher

vorzuführen hatten, nur aus zwei Schriftstellern, nemlich aus Ahälard

und Johannes von Salesbury, von welchen uns zufällig grössere Werke

erhalten sind, entnommen werden musste, und daher bei reicherem

Quellensloffe wir jedenfalls noch weit Mehreres kennen lernen würden,

sowie auch dass jede der angeführten Einzelheiten seitens ihres Ver

treters auf einen Betrieb des gesammlen Umkreises der damaligen Logik

zurückschliessen lässl, so werden wir, was die Exlension der logischen

Thäligkeit jener Zeit, namentlich in Frankreich, betrifft, unsere Vor

stellung kaum hoch genug spannen können. Anders allerdings mag es

sich, gleichsam zur Bekräftigung einer bekannten allgemeinen Wahr

nehmung, mit dem Momente der Intension verhalten, denn wirkliche

Selbstständigkeit, geschweige denn eine philosophische Auffassung, be

gegnete uns nirgends. Sowie das Mittelalter überhaupt von dem äusserlich

aufgedrungenen Materiale einer Tradition abhängig war und blieb,

so giengen auch die zahlreichen Controversen der Logik nicht von einem

inneren Impulse aus, sondern beruhen auf einer von Aussen durch den

"Stoff der Schultradition gegebenen Anregung, auf welche sie gleichsam

warten mussten, um überhaupt zum Vorscheine zu kommen. So rnussten

wir ja auch die Vertreter der hervorragendsten Partei-Ansichten ihres

Ruhmes entkleiden, als hätten sie von sich selbst aus Bahn gebrochen;

denn irgend vereinzelte und herausgerissene Stellen des Boethius, auf

welche man sich eben warf, zeigten sich uns (Anm. 105, 129, 134,

170) als die Ausgangspunkte, nach welchen dann das Uehrige gereckt

und gestreckt wurde. Und wenn unter unseren Händen vielleicht auch

Abälard einem ähnlichen Schicksale nicht entgeht (Anm. 286), so ist

diess nicht unsere Schuld, sondern liegt in der geschichtlichen Wahr

heit als solcher begründet.

Eben jene Erwägung, dass in jener Zeit einerseits eine sehr grosse

Menge von Lehrern sich mit dem überlieferten Stoffe der Logik bis in

das einzelste Detail hinab beschäftigte, und andrerseits eben durch die

traditionelle Litteratur alle derartigen Erzeugnisse bedingt und geführt

waren, müssle uns schon von vorneherein in unserem Urtheile über

Abälard (geb. 1079, gest. 1142) zur Vorsicht auffordern, und in der

Thal auch wird uns die nähere Einsichtnahme seiner Leistungen im

Zusammenhalte mit jenen seiner Zeitgenossen vor einer allzu grossen

Ueberschälzung desselben bewahren 229). Während wir nemlich bezügverlegte

das antecedens und consequens in die einzelnen Glieder des Schlusses

(ebend. p. 353 f.), oder man beschränkte den locus a praedicalo bloss auf kate

gorisch-hypothetische Urtheile (p. 381.), während Andere ihn nur als Beweisgrund

des locus a genere gelten Hessen (p. 384.) ; auch wurde über letzteren Topus

selbst wieder mannigfach gestritten , ob er unbedingt gelte (p. 378.) oder nur

causal zu verstehen sei (p. 386.), und ähnliche Controversen betrafen den locus

ab efficiente, bei welchem Theologisches mitspielte (p. 413.) oder den locus ab

inlerpretatione , in wie weil derselbe mit etymologia zusammentreffe (p. 375.).

229) Insbesondere scheinen die französischen Gelehrten zu einer Ueberschätzung

ihres Landsmannes geneigt zu sein, worin es ihnen unter den Deutschen Schlosser

zum mindesten gleichthut. Das umfassende Werk von Charles de Rtmusat, Abflard

(Paris 1845) 2 Bände, ist im biographischen Theile das Beste, was wir in

der neueren Litteratur über Abälard besitzen, hingegen treten bei Entwicklung der

XIV. Abälard. 161

lieh der Ethik in Abälard mil Freuden einen Ketzer seiner Zeit erblicken

und anerkennen, seine theologischen Verdienste aber der Geschichte

der Theologie überlassen müssen, wird sich uns zeigen, dass er auf

dem Gebiete der Logik nicht selbstsländiger sich bethätigte als vielleicht

hundert Andere in jener Zeit 23°). Allerdings besass er eine grosse

Lebhaftigkeit des Geistes und vor Allem eine ausserordentlicbe Gewandt

heit in rhetorischer Darstellung, er warf sich, sowie auf Alles, was

er ergrifl', so auch auf die Dialektik mit passionirtem Eifer, und trat

sofort als äussersl anregender Lehrer auf231); auf Leichtigkeit des Ver

ständnisses war dabei sein hauptsächliches Augenmerk gerichtet, indem

er auch in der Wahl des Sloll'es sich den Ansprüchen der Schüler an- •

bequemte23'2), und es ist erklärlich, dass er darum mehrfach aufge

fordert wurde, seine logische Lehrgabe zum Nutzen Anderer zu bethätigen

233). Aber nur dieser seiner formellen Virtuosität verdankt er

Lehre die geschichtlichen Voraussetzungen, welche in den allgemeinen Bestrebungen

jener Zeit lagen, vielleicht zu sehr gegen die persönlichen Verdienste Abälard's in

den Hintergrund, wozu bezüglich der Dialektik noch der schon oben (Anm. 49,

vgl.. 148) gerügte Uebelstand hinzukömmt. Die Darstellung, welche Abälard bei

H. Ritter (Gesch. d. Phil. VII, \i. 406 IT.) gefunden hat, müssen wir unumwunden

als eine misslungene bezeichnen. /

230) Es kann nicht oft genug daran erinnert werden, dass unsere ganze Un

tersuchung lediglich von dem quantitativen Maasse unseres Quellen-Materiales be

dingt ist. Und hierin besteht zwischen Abälard und den übrigen Dialektikern seiner

Zeit nur der Unterschied, dass von Ersterem zufalliger Weise uns sehr Vieles er

halten ist,, v. uriiiidi wir bei ih'in im Stande sind, seinen Grundgedanken in reicherer

Gliederung zu erkennen und durchzuführen, was bei Letzteren uns unmöglich ist.

Aber diesen unserer Darstellung günstigen Vortheil in einen objectiven Vorzug Abä

lard's umzusetzen, müssen wir uns hüten.

231) Dass er ein Schüler des Roscellinus, aber auch des Wilhelm von Champeaux

war und ausserdem bei allen übrigen hervorragenden Lehrern Anregung

snchte und fand, s. vor. Abschn. Anm. 314. u. in diesem Abschn. Anm. 102. u.

104. Von seinem Auftreten als Lehrer erzählt er selbst, Epist. l, c. 2, p. 4.

(Amboes.): Peneni (ändern Parisios .... Factum tandem est, ut supra vires aetalis

meae de ingenio meo praesumens ad scholarum regimen adolcscentulus adspirarem et

looum, in quo id agerem, providerem, insigne videlicet tunc temporis Meliduni castrum

et Sedem Regiam (p. 5.) Ab hoc autem scKblarum nostrarum exordio ita in arte

dialectiffa nomen meum dilatari eoepit, ut non solum condiscipulorum meorum, verum

etiam ipsius magistri (d. h. Guilelmi Campellensis) fama contracta paullatim exstinguerelur

(p. 6.) Tunc ego Melidunum reversus scholas ibi nostras, sicut antea,

conslilui Meliduno Parisios redii, . . . extra civitalem in monte S. Genovefae scholarum

nostrarum caslra posui.

232) Joh. Saresb. Hetal. III, l, p. 116 (ed. Giles): Sie omnem librum legi

oportet , ut quum facillime potesl eorum, quae scribuntur, liabeahtr cognitio; non

enim occasio qunerenda est ingerendae difficultatis , sed ubique facilitas generanda.

(Ji'.i'M morem scculum reeolo Peripatelicum Palatinum; inde est, M opinor, quod se

ad puerilem de yeneribus et speciebtts, ut pace suorum loquar , inclinavit opinionem,

malens instruere et promovere suos in puerilibus, quam in gracitate philosophorum

etse obscurior; faeiebat enim studiosissime , quod in omnibus praecipit fieri Auqustinus

, t. e. rerum intellectui serviebat.

233) Abael. Introd. ad theol. I, Prol. p. 974. (Amboes.): Ad has itaque eontroversias

äissolvendas cum me sufficere arbilrarmtur, qtiem quasi ab ipsis incunabulis

in philosophiae sludiis ae praecipue dialecticae, quae omnium magistra rationum

videtur, conversatum scianl atquc experimento, ut aiunt, didicerint, iinanimiter po&tulant

, ne lalentum mihi a domino commissum miilliplicare differam. Epist. l, c. 2,

p. 5. : Non multo autem interiecln tempore ex immoderala sludii afflirlione KOTPB*

NTL, Gesch. II. H

162 XIV. Abälard.

den Beinamen „Peripalelicus Palalinus", denn einerseits galten seinen

Zeitgenossen die Worte „Peripaletiker" und „Logiker" als synonym, da

man ja von Aristoteles überhaupt ausser dem Organon Nichts kannte,

und es bezeichnet jener Ausdruck nur eine sehr einlässliche oder be

sonders wirksame Beschäftigung mit diesen aristotelischen Schriften 234),

ohne dass man dabei etwa an eine volle Durchführung des aristoteli

schen Principes dachte ; andrerseits aber hat Abälard selbst wohl einen

glücklichen Fund gemacht, wornach er an Eine bei Boelhius vorliegende

Stelle die Berechtigung der aristotelischen Lehre vom Urlheile anknüpfen

konnte; hingegen stellt er sich darum durchaus nicht auf das Princip

des Aristotelismus, sondern versteht die Ontologie schlechthin nur nach

dem Sinne Plato's. Ja noch mehr; in Abälard zeigt sich uns die ganze

Unklarheil, welche dem damaligen Miltelalter in allen eigentlich principiellen

Fragen anklebt, gleichsam als eine in rhetorischer gewandter

Form verkörperte, denn er bietet uns das merkwürdige Schauspiel dar,

dass er in Einem Athemzuge christlicher Trinitäts-Theologe und meta

physischer Platoniker und logischer Arisloteliker und dazu noch rheto

rischer Ciceronianer ist, eine haarsträubende Mischung, welche natürlich

von seinen Zeitgenossen nicht als etwas Monströses erkannt, sondern

im Gegentheile zu seinem grüsslen Ruhme gewendet wurde 2S5).

Von der schriftstellerischen Thätigkeit Abälard's, soweit dieselbe

dem Gebiete der Logik angehört, war früher nur die „Invecliva in

quendam ignarum dialeclices" zugänglich236), .bis in neuerer Zeit be

kanntlich Cousin sich das Verdienst erwarb, aus Pariser Handschriften

nicht hloss ein grusseres die gesaminie Logik umfassendes Werk Abä

lard's, welchem er den Titel „Dialectica" gab, sondern auch mehrere

Coramenlare desselben, neinlich Gtossae in Porphyrium, Glossae in

Calegoriai, Gl. in libr. de interpr., Gl. in Topica ßoelhii, zu veröffent

lichen237); hiezu kam noch durch Remusal die Hinweisung auf einen

zweiten Commentar zur Isagoge, die „Glossulae super Porphyrium",

welche bezüglich einiger Punkte zu dem Wichtigsten gehören 23S).

replus infirmitale coactus sum repabiare, et per atmos aliquot a Frantia quasi remotus

quaerebar ardenlius ah iis, quos dialectica soHicitabat duclrina.

234) loh. Saresb. a. a. 0. l, 5, p. 21.: Peripatelicus Palalinus, qui logicae

opinionem praeripuil omnibus coelatuis suis adeu, ul solus Arislotetis crederelur

usus colloquio.

235) In der von Petrus Venerabilis verfassten Grabschrifl Abälard's (hei Abael.

Opp. ed. Amboes. p. 342.) kommen folgende Worte vor : Gallorum Socrates , Plato

maximus Hesperiarum , Noster Aristoteles, logicis , quicunque fuerunl , Aul par auf

tni'liin Ad Christi veram transinil philosophiam; in einem anderen von Ba\vlinson

gefundenen Epitaphium (bei Remusal a. a. 0. I, p. 271.) beisst es: Plangit

Arislotelem sibi togica nuper ademptum, Et plangit Socratem silri moerens ethüa

ilemptum , fhysica Platonem , facundia sie Ciceronem.

236) Abael. Opp. ed. Amboesius (Paris. 1616. 4l, '-p. 238 ff.

237) Ouvrages infdils d'Abelard, publies par V. Cousin. Paris 1S36. 4, wo

selbst die Dialectica p. 173—497. (mehrere Partien jedoch nur im Auszuge abge

druckt), die Glossen p. 551—610. Ein nicht zu billigendes Verfahren aber ist

es, dass Cousin zu den einzelnen Theilen der Dialektik eigenmächtig Titel-Ueberschriuen

schuf, welche den Leser eher verwirren als unterstützen; das Richtige

hierüber s. unten Anm. 273 ff.

238) Abelard. par CA. de flemitsat II, p. 97 ff. Je bedeutsamer aber das

XIV. Abälard. 163

Verloren hingegen isl eine für den erslen dialektischen Unterricht der

Anfänger verl'assle Schrill, welche von Abälard selbst mehrmals citirl

wird und (im Zusammenhange mit einer überwiegenden Belonung der

Topik) die Ueberschrifl „De loco et argumentatione" gehabt zu haben

scheint2311); dieses nemliche Werk ist es jedenfalls, welches an zwei

anderen Stellen unter einem bis zur Unkenntlichkeit verschriebenen

Kamen genannt wird 24°). Wenn er ferner wieder anderwärts sich so

ausdrückt, als habe er unter dem Titel „Grammalica" noch eine aber

malige Umarbeitung der Kaiegorienlehre verfassl '24'), so scheint es

wenigstens nicht unmöglich zu sein, dass er an grammatischen Begriffen

die logische Seite erörterte, denn sowie wir schon oben (Anm. 206 f.)

ein gewisses Ineinandergreifen beider Disciplinen trafen , so wird auch

bei Abälard selbst mehrfach eine Rücksicht auf I'riseianus genommen

(s. unten Anm. 250, 263 u. bes. 272).

Abälard steht als Theologe vollständig auf dem mittelalterlicheit

Standpunkte bezüglich der Wertschätzung der Dialektik. Hit Berufung

auf jenen so häufig angeführten Ausspruch Augustin's 242) gesteht er

dort Mitgelbeilte gerade für die logische Parteitage ist , desto mehr müssea wir

es beklagen, dass Remusat (mit einer einzigen Ausnahme) nicht den lateinischen

Originaltext der von Ravaisson gefundenen Handschrift andrucken liess, sondern

eine französische Paraphrase der Hauptslellen in seinen darstellenden Text TeTllocht,

wornach bei Manchem ein Zweifel entsteht, wie viel davon auf Rechnung

Remusat'» zu setzen sei. Die gelehrte Mitwelt hatte in solchen Fällen wohl einen

gerechten Anspruch aul genaue quullenmässige Angaben.

239) Dialect. p. 254.: Quae autcm invicem conlrariae proposiliones vel contra

. dicloriue , qnae etiam subalternae vel subcontrariae dieantui , a«! quas ad invicem

inferenli'i vel differenlias qualesque conversiones habeanl , m las inlrodticlionibus

diligenlius palefecimus , quas ad lenerorum dialecticorum eruditionem conscripsimus.

Ebend. p. 305. : diffinilioncm syllogismi Boelhius commemorat ac diliyenter sinyulas

expediendo differenlias purtractat , sicul in illa altercalione ,,de loco et argumenlatione"

monslrarimus. quam ad simplicem dialecticorum institutionem conscripsi

mus. Ebend. p. 332. : Wo» esl autem ptaelermittenda ad cognitionem loci differentiae

doctrina introduclionum noslrarum, quas ad primam tenerorum introduclionem con

scripsimus. Ebend. p. 366.: determinationes quae a quibusdam maximis propositionitius

apponuntur superßue (s. Anm. 228.), ... quas quidem in las intrudttclionitnis,

quas ad parvulorum inslilutionem coitscripsimus , nos posuisse meminimus.

Ebend. p. 381.: Nunc aulem locos a praedicato vel subieclo tructemus, quos quidem

multi in his lumlum consequentiis assignant , quae ex categorica et hypothelica iungunlur

(s. ebend.), sicul in inlroductionibus panulorum ostendimus.f

240) Ebend. p. 308. : Sed de his quidem (sc. proposilionibus in syllogismo)

quae utroque lermino parlicipant, in secundo poicherii (Cousin vermnthet enchiridii)

noslri salis diclum esse arbiträr. Ehend. p. 424. : Huius autem urgumentationis

sophisticae solutioncm primus fanlasiarum (C. schreibt sofort introductionum) noslra

rum lilii-i plene cunlinet.

241) lniiiiii. ad theol. 111, p. 1125 (Amboes.) : Quod autem nee loco moveri

poisit, qui spiritus -est, tarn pltilosopliorum quam sanctorum asserlionc docemur,

sicul de quantitale tractanles oslendimus, cum grammaticam scriberemus. Theol.

Christ. IV, p. 1341 (b. Martene, Thes. Anecd. V.): fies omnino recte dici non polest,

quae in se veram non habet enttarn, ut sit in se una res numero a oetens omnibus,

quae i]>sa non statt, rebus entialilcr discretu (s. unten Anm. 304.); sed de Hoc

diligentem , ul arbiträr . tractatum in'rclractatione praedicamentorum nostra continel

grammatica.

242) Inlrod. ad theol. H, p. 1047.: Adeo dialeclicam commendare ausus esl

(sc. Augustmus), ul eam solani scienliam esse profiteri videatur , cum eam solam

11*

164 XIV. Abälard.

die Notwendigkeit einer Disciplin zu, welche im Interesse der Beweis

führung auch die Kenntnis* der Sophislik in sich schliesst248), ja in

solchem Sinne empfiehlt er sogar, auf eine aristotelische Stelle ver

weisend, den Zweifel'244), aber als das Entscheidende gilt auch ihm

(vgl. vor. Ahsdm., Aiini. 17 f.) die Gesinnung, in welcher die Dialektik

praktisch ausgeübt wird, indem nur der Missbrauch logischer Gewandt

heit verwerflich ist245). Kurz auch hei Abälard verbleibt die Dialektik

als Führerin des Wissens dennoch in jener dienstbaren Stellung, ver

möge deren sie dem Kampfe gegen die Ketzer gewidmet ist24"), und

sowie er diejenigen, welche er für Ketzer hält, als Pseudo-Philosophen

bezeichnet und gegen sie seine eigenen philosophischen Argumentationen

richten will247), so bringt er principiell auch sogar das -Wort „Logik"

in eine Verbindung mit dem theologischen Logos-Begriffe 24S). Aller

dings fliesst hieraus jene fast spasshafte Erscheinung, von welcher wir

schon oben , Anm. 38 ff. , sprechen mussten , dass der Dialektiker Abä

lard die Dialektiker als die grösslen Feinde der Trinilät bezeichnete, und

passe facere dicat scientes. Ebenso Theol. Christ. II, p. 1235. Epist. 4 (Invectiva.

etc.), p. 239.: Harte quippe scicntiam lantis praecouiis efferre beatus ausus es<

Auguslinus, ut comparatione celerarum artium eum solum facere scire faleatur, tanquam

ipsa sola sit dicenda scientia.

243) Inlrod. ad theol. II, p. 1048.: Dispntalivuis disciplina ad omnia yenera

quaeslionum, quae in sanctis libris continenlur, plurimmn mir/. Episl. 4, p. 239.:

Utraque tarnen scienlia, tarn dialeclica sciliccl quam sophistica , ad discretionem

pertinet argumentorum , nee aliler quis in argumentis esse discretus poterit, nisi qui

falsas ac deceplorias argumenlaliones a veris et congruis argumenlationibui, distinguere

valebit.

244) Sie et Non , ed. Lindenkohl \i. 16.: /rnquens interroyatio , ad quam quidem

... philosophus Hin omnium pcrspicacissimus Aristoteles in praedicamcnlo ,,Ad

aliquid" studiusos adhortatur dicens ,,.... dubitare autem de sinyulis non eril inulile"

(bei Boelh. p. 172.); dubitando mim ad inquisitionem venimus , tnquirendo

veritatem percipimus.

245) Inlr. ad theol. II, p. 1052.: Nemu elenim scienliam aliquam malam esse

dixerit, nliam ülam, quae de malo est, quae iuslo liomini deesse non polest, non

ut ni'! l u in agal , sed ul a »ta/o sibi providcat (p. 1053.) Seienlias itaque approbamus,

sed fallaciis abutentium resistimus. Ebenso Theol. Christ. III, p. 1242 f.

Dialect. p. 435.: Neque enim crimen est in seiende, quibus obsequiis aut quibus

immolationibus daemones noslra iiota perficiant (diese Disciplin nennt er ,,nefaria

mathematica") , sed in agendo Si ergo scire malum non est, sed agere, nee

ad scienliam, sed ad actum referenda est malilia.

246) Diatecl. p. 435. : Haec autem esl dialectica , cui quidem omnis veritatii

seu falsitatis discretio Ha subiecla est, ut omnis jihüosofluae principalum , dux

universae doctrinae , atque regimen possideal , quae fidei quoquc calkolicae ita neeessaria

monslralur , ut schismaticorum sophisticis ralionibus nullus possil, nisi qui

ea praemuniatur , resislere.

247) Theol. Christ. IV, p. 1312.: Hon enim hoc opmculo veritaleiit docere,

sed defendere intendimus, maxime adversus pseudophilosophos , qui nos philoiophicis

marime ralionibus aggrediuntur ; unde et nos per casdem, scilicet philosophicas,

raliones, quas solas recipiunt et quibus nos impetunt , eis praecipue satisfacere

decrtvimus de/endendo veritatem polius quam docendo.

248) Epist. 4, p. 241.: Cum ergo verbum patris dominus Jesus Christus köyuf

graece dicatur, sicut et noi/ fa palris appellatur, plttrimum ad eum pertincre videtur

ea scientia, quae nomine quoque Mi sit coniuncta et per dcrivationem quandam a

iöyos logiea sit appellata el sicut a Christo Chrisliani ita a ioyus logica proprie

dici videatur, citius eliam amatores tanto verius appellantur philnsophi , quanlo reriores

sunt illius sophiae superiuris amalores.

XIV. Abälard. . 165

es liegt ja auch im Geiste aller dogmen-uhilosophischen Erörterungen,

dass er diejenigen Dialektiker, welche die Dialektik niclit gerade nach

seinein Sinne anwendeten, kurzweg als Atheisten brandmarkt 249), daher

er diesen Andersdenkenden auch die gesamnUe Logik mit einem ver-.

Sichtlichen „vesler Aristoteles" und die Grammatik nebst dein Priscianus

förmlich an. den Kopf schleudert250), wohingegen freilich wieder An

dere eben an der Abälard'schen Verquickung logischer Momente mit der

Trinitätslehre Anstoss nehmen konnten251).

AtfeF Abälard mochte wohl glauben, sich gut aus der Schwierigkeit

ziehen zu 'können, indem er das Gebiet der Dialektik als ein lediglich

irdisches von dem göttlichen lostrennte: nur ist er, insoferne schon

längst Scotus Erigena das Nemliche gethan, dadurch weniger consequent,

dass er nicht, wie jener, das in einer Iheologica affirmaliva Behauptete

wieder mittelst- einer Iheotoyia negaliva zurückzieht; wohl aber konnte

er hiedurch erreichen, dass jener „vester Aristoteles" nun doch zugleich

auch „sein Aristoteles" war. Wenn er nemlicli auf das Irdische den

Gebrauch der Kategorien beschränkt, da ja alle menschliche Aussage

das dem Zeitlichen zugewendete Verbum enthalten muss 252), und über

haupt den Wortschatz der Menschen als ein die Gottheil nie erreichen

des Uffitel der menschlichen Begrifl'shildung bezeichnet253), welches

249) Theol. Christ. 111, p. 1275.: Responde tu, mi aeute dialectice seu versipellis

'sophisla, qui anctorilate Peripatelicorum me arguere nileris, .... quomodo ipsos

quoque älteres tuos absolvis , secundum quorum traditiones nee deum substantiam

esse »icc^PBkm esse aliquid uliud cogeris confilcri? Constal secundum vestraruin

arlium disciplinas, quat omnium reriim naivras in decem praedicamenta distribuunl,

deum penilus u i In/ esse.

250) Ebend. p. 1282.: Sed cwn Aristoteles vester dicit in primo Perihermenias

etc aul mm Priscianus dixit etc.

251) Otto Fris. de gest. Frid. l, 47, p. 433. (ed. Urstitim) : Sententiam ergo

tocum scu nominum (s. unten Anin. 258.) in naturali lenens facullale non caute

theologiae admiscuit, quare de sancta trinilate docens et scribens tres personal

nimis attenuans, non bonis usus exemplis , inier cetera dixit (nemlich Introd. ad

theol. II, p. 1078.): ,,Sicul eadem nratio est propositio, assumptio et conclusio, ita

eadem essentia est pater et ftlius et Spiritus sanctus Bern. Clarav. Epist. 190.

(tract. c. error. Abael.), Opp. ed. Martene l, p. 283—289, woselbst z. B. p. 284.:

Constituit enim (Inlr. ad theol, p. 1083.), hoc esse filium ad patrem quod speciem

ud genus , quod hominrm ad unimal, quod aereum sigillum ad aes, quod aliquant

potentiam ad polentiam. Quis hoc ferat, quis non claudat aures ad voces sacrileqas?

Hiezu unten Anm. 478.

252) Inlrod. ad theol. 11, p. 1073. : Palet itaque, a traclatu phüosophorum rerum

omnium naluras in decem praedicamenta dislribuenttum illam summam maiestatem

esse exclusam omnino , nee Mo modo reyulas aut traditiones eorum ad illam sum

mam alque ineffabilem celsitudinem conscendere, sed creaturarum naturis inquirendis

eos esse contentos secundum quod scriptum est ,,qui deterra est, de terra loquitur."

Ebenso Throl. Christ. III, p. 1273 f. (s. oben Anm. 38.), woselbst die Begründung

dieser Ansicht lautet : quod vero umnis hominum locutio ad creaturarum Status

maxime accommodata sit, ex ea praecipue parte oralionis apparet, sine qua teste

Prisciano (7»s(. gr. XVII, 12.) nittla constal orationis perfectio, ex ea scilicet, quae

dicitur verbum; haec quippe dictio temporis designativa est. quod incoepit a munda.

Uebrigens weist uns diess Letztere auch schon auf Ahälard's Auffassung des sermo

hin, s. unten Anm. 315.

253) Theol. Christ, p. 1275.: vocabula homines instituerunt ad creaturas äesignandas

, quas inlellic/ete potuerunt, cum videlicet per illa vocabula suas intelleetus

166. XIV. Abälard.

liiemit auch gegenüber den von Gott geschalt'enen Dingen nur als mensch

liches Erzeugniss /u betrachten ist254), so befindet er sich beziiglich

der Logik allerdings in einer Uebereinslimumng mit Aristoteles (s.

Abschn. IV, Anin. 108 ft'. und die entsprechenden Stellen des Boethius

Abschu. XII, Anm. 109 f.)- Und sowie er nun- ausdrücklich Logik und

Physik derartig unterscheidet, dass der Gegenstand der ersleren die

Namenbezeichnung (vocum imposilio) sei, letzlere hingegen die Eigenthünilichkeit

der Dinge als solcher betrachte, wodurch aber eben beide

Wissenschaften wechselseitig von einander abhängig seien 255Wlo kann

er von Aristoteles sagen, dass derselbe, insofern er der L«gik diene,

mehr in den Worten (voces), als in den Dingen verweile250). So gilt

ihm Aristoteles als die höchste Auctorilät, an welcher man nicht rütteln

dürfe, geschweige denn, dass man ihr je irgend widerstreite25')- Ja

diese so eben angeführten Stellen könnten uns sogar glauben machen,

Abälard habe diesen, seinen Führer Aristoteles geradezu im Sinne der

Nominalisten verslanden, und wir finden, dass seine Lehre selbst auf

seine Zeitgenossen diesen Eindruck machte 25S), während wiivuns aller

dings überzeugen werden, dass Solches nur auf oberflächlichlr Ansicht

beruhen kann. .V*

In grossem Irrthume jedoch befänden wir uns, wenn wir Abälard

hiernach überhaupt auch nur für einen Arisloteliker hallen wollte)), denn

er ist ja Platoniker, und Plato gilt ihm wieder als der grössle Philo

soph 259), was uns freilieh einigennassen an die Schwatzhaftigketl .Cicemanifestare

vellenl; cum ilaque honto vuces invenerit ad stios MeUectuiBltni/'eslandos,

deum autem miiiime intelligere sufficiai, recte illud ineffabile bonum effari nnmine

non cst ausus.

254) Dialect. p. 487. : Neque enim vox aliquu naturaliter rei significatae inest,

sed secundum kominum impositionem ; vocis cnim impositionem summus arlifex nobis

commisit, rerum autem naturam propriae suac dispositioni reservavit, unde et vocent

secundum impositionis suae originem re significala posteriorem liquel esse.

255) Ebend. p, 351.: Hoc aulem logicae disciplinae 'proprium relinquilur , ut

scilicel vocum imposiliones pensandu , quantum unaquaque proponatur oratione sive

dictione, disculial; physicae vero proprium es t, inquirere, utrum rei natura consentiat

cnunlialioni .... Est autem alterius consideralio alleri necessaria; ut enim lo

gicae discipulis appareal, quid in singulis intelligendum sit vocabulis , prius rerum

proprictas est investiganda; sed cum ab his rerum natura non prae se, sed prae

vocum imposilione rcquiritur , tota eorum inlentio referenda est ad.logicam; cwu

autem rerum natura percepta fueril, vocum sirjnificatio secundum rerum proprietates

distinguenda est, prius quidem in singulis dictionihtus , de.inde in orationibus , quae

ex dictionibus iungunlur. S. Anm. '325.

256) Ebend. p. 401.: Si enim omnia eius (sc. Aristoteiis) opera studiose inspiciamus,

magis eum in vocibus immorari quam in rebus inueniemus , liberiusgue

verba eius de vocibus quam de rcbus exponerentur , quippe qui logicae deserviebat.

257) Ebend. p. 339. : hanc namque dux Peripateticorum Aristoteles dif/initionem

dedil. p. 228.: Peripateticorum princepn Aristoteles, p. 204 : sed et si Aristolelem

Peripatelicorum principem culpare praesumamus, quem nmplius in hac arte recipiemits?

p. 293. : sed. nihil adversus Arislotelem.

258) Obige (Anm. 251.) Worte des Otto v. Freising: senlenliam vocum seu

nominum in nalurali tenens facultate, welche dort nach jener schon früher (vor.

Abschn. Anm. 316.) angeführten Stelle folgen, woselbst Abälard's Ansicht in directe

Verbindung mit der Lehre des Roscellinus gebracht wird.

J59) Theol. Christ. I, p. 1175.: revolvatur et ille maximus phüosophorum Plalo.

p. 1186.: alioquin summum philosophorum Plaloncm summum slultiim esse depre

XIV. Abälard. 167

ro's erinnert, hui welchem ^leiclifalls nach Belieben bald Plalu bald

Aristoteles der grösste Philosoph genannt wird, in den Ansichten der

platonischen Sekte erblickt Abälard (auf Augustin sich berufend) die

meiste Uebereinstiuimung mit dem katholischen Dogma , besonders be

züglich der Trinilät, ja sogar einen Vorzug in jedem Wissen über

haupt200); nicht bloss der Begriff des platonischen Wellschöpfers und

seiner Güte und Weisheit21"1)! sondern insbesondere die Lehre von der

Weltseele ist es, welcher er seine Beislimmung. schenkt 2li2). Und von

da aus schliesst er sich nun auch in jenem Momente, welches für die

Logik das principielle ist, an l'lato an, indem er mit Berufung auf

Priscianus und Macrobius die Formen der Gattungen und Arten als die

Original-Ideen der Dinge in den göttlichen Verstand verlegt263).

Wenn wir aber nun hei Letzterem allerdings nicht mehr einschen

können, wie es sich dann mit jenem „nilül adversus Aristolelem" (Anm.

257) verhalte, zeigt uns Abälard hinwiederum noch eine dritte Auf

fassung der Logik; denn er ist zuletzt weder Aristoteliker noch Platoniker,

obwohl er —- oder vielmehr wohl weil er — beide Anschau

ungsweisen zu vereinigen bemüht ist (s. unten Anm. 292 f.), sondern

er erblickt in der Logik nur ein praktisch dienstbares Werkzeug, und

in dieser Beziehung braucht er es dann allerdings mit den Principien,

mögen dieselben platonisch oder aristotelisch sein, eben nicht sehr gehendemus.

p. 1191.: iwu sine causa maximus Platu plulosvphorum prau ceteris

commendalur ab omtribus. Hiezu die unten, Anm. 293, anzuführende Stelle.

260) Ebend. p. 1175.: Plalu eiusque scquaces, qui testimonio sanclorum patrum

prae ceteris yentilium philasophis ßclei christianae attendenles totius trinitatis summam

post prophetas pulenler ediderunt. p. 1191.: Pluribus quoque sanclormi leslimonüs

didicimus, Platonicam sectam enthaltene ßdei concordare. p. 1192.: liquidum

esl , Platonicam sectam fidei sunctae Irinilalis plurimum semper assentire Cum

ilaque in omni doclrinu philosophiae Platonica secta enituerit, .... Augustinus commemorat

, inmfpiptis eorum se repperisse , in quibus quidcm tnta fere fidei noslrae

summa circa divinitalem verbi apertissime continelur. •

261) Ebend. p. 1157. : Ex summa ilaque illa bonitale sua deus — iuxla eliam

Platonis assertimem uptimus ijise omnittnt conditor. p. 1163.: deum yenitorem universitalis

Plato dicit , a quo sr ilicet . univcrsa aliu habent eise. p. 1176.: Plalo

quoque omne quod a dro esse habet, genitum ex ipso dicit.

262) Dialecl. p. 471.: anima mimdi , qtiam singularem Plato coißtavit

(p. 475.) qtiam imimam mundi Plato vocavit, quam ipse ex noy, i. e. menle divina,

nalurae assemit et eandem in omnilms simul esse corporibus finxit. Theol. Christ.

I, p. 1176.: Nunc uutem illa Plalonis cerba de anima mtmdi diligenler disculiamus,

ut in eis spirilum sanclum integerrimc designatum esse ugnoscamus (p. 1177.)

cum itaque in ipsa anima mimdi individua et dividua, sive ut diclum est eadem et

diversa, conmrril substantia , etc. tV*gl. Introd. ad theol. I, p. 1015 f.

263) Theol. Christ. IV, p. 1336.: Ad hunc modum Plato formas exemplares in

mtnte divina considerat, quas ideas appellat, et ad quas postmodum'quasi ad exemplar

quoddam summi artiftcio providcntia operata es(. Introd. ad theol. II, p. 1095 f.:

Hanc autem conccptionem , qwa scilicet conceptus menlis in effectum operando prodit,

Priscianus in primo constructionum (d. h. Inst. gr. XVII, 44, p. 135. ed. Hertz)

diligenler aperil dicens , generales et speciales formas rerum intelligiliiliter in mente

divina conslitisse , antequam in corpora prodirent. Ebend. I, p. 987.: Sie et Ma

crobius (Somn. Sc. l, 2, 14.) Platonem. insccutiis mentem dei, quam graeci vovv

appellanl , originales rermn species , quae ideae dictae sunt, continere meminit, ante

quam ettam , inquit Priscianus, in corpora prodirent ,' h. e. in c/fecln opmim provenirent.

168 XIV. Ahälard.

nau zu nehmen. Nicht bloss scheint jene l'ür Anfänger bestimmte Schrift

völlig auf dem Boden der Tupik verblieben zu sein264), sondern er

gelangt auch anderwärts an der Hand der Ciceronischen Definition dazu,

das Wesen der Logik in die „Beurtheiiuhg der Argumentation" zu ver

legen, welche hieinit das Auffinden der Beweise voraussetzt265), sowie

sich ihm an die verschiedenen Arten der Beweise (argumenla) der in

der Schultradilion übliche Unterschied zwischen Dialektik, Philosophie,

Sophistik anschliesst 268J. Und dürfen wir hiernach vielleicht auch

schon Abälard's eigenen Ausspruch , er wolle in seiner Dialektik eine

Begründung der peripatetischen Beredtsamkeit (eloquentiae peripateticae)

geben, beim Worte nehmen267), so tritt dieses Motiv jedenfalls deutlich

hervor, wenn er schon die Isagoge unter die Theorie des Auffindens

der Beweise (die inrcniio subsumirt und hauptsächlich an die auf den

qwinque voces beruhenden Topen denkt2"8), oder wenn er ebenso auch

das hypothetische Urtheil nur unter diesem Gesichtspunkte auffasst und

daher die Topik demselben vorausschickt 2<io). Uebrigens mochte wohl

diese Seite der Logik , nemlich eine grosse Gewandtheit des Auffindens,

auch in Abälard's eigenem Auftreten die hervorragende gewesen sein,

so dass er diese Begabung leicht in Scharfe und Feinheit philosnphi-

264) Demi alle oben (Aum. 239 f.) angeführten Stelleu, in welchen er jene

Schrift eil in, enthalten entweder direct die Beziehung auf die Topik oder lassen

wenigstens eine solche zu.

265) Glossulae s. Porph. bei Remusal (s. Anm. 238.) p. 94.: Est scientia alia,

agendi alia discernendi, solo, autem scientia discernendi philosophia dicitur, worauf

dann (p. 95.) die Eintheilung in Physik, Ethik, Logik folgt, und von letzterer

gesagt wird: Est logica auctortlale Tullii (s. Abschn. VIII, Anm. 23.) diligens ratio

disserendi, i. e. discrelio argumenlorum , per quae disserilur, i. e. disputalur ; non

enim est togica scientia utendi argumentis sive componendi ea, sed discernendi et

diiudicandi veraciler de üs Duae argumenlorum scientiae, una componendi, quam

dicimus ratiocinativam, alia aulem discernendi composita, quam loyicam appellamus.

Seine Quelle hiefür ist Boeth, ad Top. Cic., woselbst in der Erörterung über inventio

und iudicium (s. Abschn. XII, Anm. 76.) besonders (p. 762.) die Worte zu

beachten sind: fieri non polest, ul de inventione iudicelur , nisi ipsa mventio prius

exstiterit.

266) Diutecl. \>. 42b. : Non est illud pruetermittendum, quod ipse (sc. Boethius)

ostenderil , quae scientia quibus utatur argumentis , dialecticos quidem et rltetores

maxime probabilitatem attendere, phüosophos vero necessilatent , sopliistas vero neutrum

etc. s. Abschn. XII, Anm. 82.

267) Ebend. p. 228.: Con/ido autem, in ea , quae mihi largius est, mgenii

abundantia ipso cooperanle scienliarum dispensatore non paticiora vel minora me praestiturum

munimenta eloquentiae peripateticae, quam illi praestilerunt, quot latinorum

celebrat studiosa doctrin'a.

268) Glossae in Porph. (b. Cousin) p. 553. : Scientiae inveniendi supponitur

iste tractalus (A. h. die Isagoge), quia Itic docemur invenire rationes sufficientes ad

probandas quaslibet quaesliones factas (p. 554.) necessarium ad ea , quae

sunt utilia, in demonslral tone , quia locus a genere, a specie, ad diffinitionein servil

demonstrativis syllogismis.

269) Dialect. p. 324.: Quoniam ergo liypotheticae enuntialiones, quarum sensus

sub consecutione conditionis progonitur, inferenliae suae sedem ac veritatis evidentiam

ex locis quammaxime tenent, ante ipsas rursus hypothelicits propositiones topicorum

tractalum ordinari convenit , ex quo maxime hypolheticamm propositionum veritas

seit falsitas dignoscilw.

XIV. Abälard. 169

scher Disputationen ubd ebenso in Witz und Scherz der Rede hethäligen

konnte 27°).

Diese überwiegende Bezugnahme auf die Argumentation ist es nun

aucli , welche dem umfassenden Werke Abälnrd's, der „Diatectica", so

wohl in Gruppirung der Haupttheile als auch in Behandlung des Ein

zelnen einen grundsätzlichen Charakter aufprägt. Allerdings müssen wir

es sehr bedauern, dass gerade der Anfang des Werkes, nemlich die

Darstellung der isagoge und ausserdem die ersten Kapitel der Katego

rien, verloren ist; doch sind wir im Stande, nicht hloss, wie sich

zeigen wird, die Lehre betreffs der l'niversalien genügend zu entwickeln,

sondern vor Allem auch den Grundplan des Ganzen einzusehen.

Die Gliederung ist folgende. Indem das bei Boethius durchgängig

eingebürgerte Motiv eines Aufsteigens vom Einfachen zum Zusammenge

setzten (Abschn. XU, Anrn. 83, 123, 131) zu Grunde gelegt wird, ist

bei der menschlichen Kundgebung (vox, s. ob. Amn. 252 ff.) das Wesent

liche der Unterschied zwischen iliciio, d. h. dein einzelnen Worte, und

oralio , d. h. der zusammenhängenden Rede2"1)- Aber nicht bloss auf

der Auctoriläl des Boethius oder etwa auch des Augustinus (Abschn.

XII, Aniu. 34) beruht diese Scheidung, sondern auch Priscianus (Inst.

gr. H, 14 ff.) ist es, welcher hierauf den entschiedensten Einfluss ge

habt hat, denn wenn Abälard den ganzen ersten HaupUheil der Dia

lektik, welcher von der dictio handelt, als „Liber parlium" bezeichnet

und dabei sogar den Ausdruck „parles oralionis" gebraucht, so ist die

grammatische Anschauung deutlich genug ausgesprochen. Diese logische

Erörterung der Redetheile zerfällt aber dann in drei Abschnitte, nemlich

in die „Antepraedicamenla" (s. diese Bezeichnung schon oben, vor.

Alischn., Amn. 310), welche dir Isagoge enthalten, woselbst es sich

um die von Natur aus bestimmten Prädicale handelt (s. unten), sodann

in die „Praedicametila", d. h. die Kategorien, in welchen die natür

lichen Dinge ihre Wortbezeichnung erhalten, und endlich in die „Postpraedicamenla",

d. h. die Angaben über Nomen und Verbum als die

Bezeichnungsweisen der Dinge und zugleich als die wesentlichen Bestandlheile

des Urtheiles 272). Hierauf demnach folgt als Inhalt des

270) Otto Fris. de gesl. t'rid. l, 47, p. 433. (lirstis.): Inäe mayistrum induens

Parisios venit, plurimum in invenlionum (diess ist ja gerade das technische Wort)

subtilitate non solum ad philosophiam necessariamtn , sed et pro commovendis ad

iocns animis hominum uiiUum valens.

271) Dialeet. p. 212.: AM autem diclio simplicis vocalniti nuncupatio, i. e. vox

lotaliter, non per partes, signißeativa, ut ,,homo" vel „cuirit" ; oratio autem dictionum

collectio, i. e, vox ad illiquid significandum invenla , cuius parlium aliquid

extra significat, ut „Homo currit" .... At quoniam dictiones orationibus naturaliter

priores sunt , quippe eas constituunt ac perfithmt , priorem quoque in Iractatu locum

obtinere ipsae meruentnl.

272) Ebead. p. 226. sagt Abäiard beim Uebergange von diesem ersten Haupttbeile

zum zweiten: Hactenus quidem, Dagoberte frater, de partibus orationis, quas

dictiones appellamus , sermonem texuimtu , quarum traclatum tritms voluminibus

comprehendimus • primam namque partem libri Partivm. anlepraedicamenla posuitmts,

dehinc aulem praedicamenta submisimus , denique vero postpraedicamenta novissime

adiecimus , in quibus Partium lextwn tomplevimus. Die Auffassung der Anteprädicamentr

wird sich unten zeigen; bei dem Uebergange aber von den Prädicamenten

170 XIV. Abälaril.

zweiten Haupllheiles die oratto, und zwar handelt es sich, da nach

dem Vorgange des Boethius (Abschn. XU, Anm. 112) das kategorische

Urtheil als das einfache und das hypothetische als das zusammenge

setzte betrachtet wird, zunächst um ersleres und im Interesse der Ar

gumentation zugleich auch um die auf demselben beruhenden Syllogis

men273), und Abälard bezeichnete diesen Abschnitt hiernach als „Liber

calegoric.orum"'214). Wenn aber nun die Lehre vom hypothetischen

Urtheile sich anreihen soll, so lässt er, auch hiezu durch ' Boelh. d.

diff. top. (s. Abschn. XII, Anm. 167) vcranlasst, die Gültigkeit dieser

Urtheilsformen von den Topen bedingt sein (s. Anm. -269), und schickt

hiemit den „Liber tvpicorum" voraus, worauf erst das hypothetisch«

Urlheil selbst und die auf ihm beruhenden Syllogismen folgen275),

zu den Postprädicamenteu wird p. 209. gesagt: Evulutus superius lextus ad discrelionem

signiftcationis nominum et rerum naluras, quae vocibus designanlur, diligenler

secundum distinclionem decem praedicttmentorum aperuit; nunc autem ad voces significativas

recurrentes, quae solae doctrinae deserviunt, quot sint moiii signiftcandi

sludiose perquiramus (in ähnlicher Weise p. 245.: non itaque propositiones res

aliquas dcsignanl simpliciter qttemadmodum nomina), und es folgt hiemit p. 209 —

226. nicht, wie Cousin's willkürliche Ueberscbrift glauben macht, der Abschnitt De

inlerpr., sondern nur eine Erörterung über die Satztheile. Mit dieser Bezeichnung

und Unterabtheilung des ersten Haupttheiles stimmen dann auch Abälard's eigene

Citate überein, indem er sowohl auf das Ganze unter dem Namen Liber Partium

verweist (p. 377.: sicut in libro Partium docuimus a. p. 477.: sicut in libro Partium

Iraclalu speeiei disseruimus) als auch die Unterabtheilungen in eben jener Bezeich

nung erwähnt (p. 174. : sicul secundus Anlepraedicamentorum de di/ferentia conlinct;

p. 249.: nam ,,homo mortuus" .... eomposilum nomen est ... sicut in primo Postpraedicamentorum

oslendimus , was sich ebenso wie die gleichlautenden Citate p.

296. u. 299. auf p. 214. bezieht; bei den beiden Verweisungen p. 204. sicut in

libro Partium ostendimus und p. 205. in libro Partium rcquirantur ist sicher primo

statt libro zu lesen). Uebrigens ist uns durch diese ganze principielle Betonung

der „Bedetheile" nun erklärlich, dass Abälard eine Bearbeitung der -Kategorien

wirklich als „Grammatica" bezeichnen konnte (Anm. 241.).

273) p. 227.: Justa et debila scrie texlus exigente post Iractalim singularum

liictionum occurrit comparatio orationum .... IVon uutem qiiarumlibel orationum conslniclionem

(auch diess ist ein Ausdruck des Priscianus, s. ob. Anm. 263.) cxsequimur^

sed in las lantum opera consumenda est, quae veritalem seu falsitatem continent,

in quarum inquisitione dialecticam maxime desudare nteminimus ; unde cum

inter propositiones quaedam earum simplices sint et natura priores, ut caiegoricae,

quaedam verv composilac ac pasleriores , ut quae ex calegoricis iunguntur hypothcticae

, has quidem quae simplices sunl prius esse Iractindas unaque carum syllogismos

ex ipsis componendos esse apparet.

274) Allerdings gibt hier (p. 227.) die Handschrift den Titel ,,Abaclardi Analylicomm

priorum primtis", aber nicht nur corrigirt sie sich selbst bei der zweiten

Unterabtheilung dieses Abschnittes, woselbst p. 253. die Ueberschrift lautet „Explicil

primus, incipit secundus eorundem, hoc est catcijoricorum", sondern auch

Abälard selbst cilirl diesen Abschnitt als Liber calegoricorum (p. 395.: sed de hoc

quidem uberius in libro categoricorum cgimus).

275) p. 437.: Congruo ordine posl categoricorum sylloyismorum traditionem

hypotheticorum quoque tradamus constitutionem. Sed sicut ante ipsorum categorico

rum complexiones calegoricas propositiones oporluit Iraclari, ex quibus ipsi materiam

pariter et nomen ceperunt , sie et hypolhcticorum tractatus prius est in hypotlielicis

propositionibus eadem causa consumendus , de quarum quidem locis ac veritale inferentiae

quia in Topicis satis , ut arbiträr, disseruimus, non est nie in eisiiem

immoranilum, sed satis, earum dirisiones exsequi.

XIV. Abäiard. 171

welch letzteren Abschnitt er „Liter hypolhelicorum" nannte2™). So

hat Abäiard nach seiner Auffassung die Theorie der Argumentation, von

den einfachen Bestandteilen zum Zusammengesetzten fortschreitend,

vollständig entwickelt, und es sieht der „Liber divisionum", welchen

Cousin als fünften Theil der Dialektik bezeichnete, in keinem Zusammen

hange mit dem Vorhergehenden277), sondern ist eine selbstständige

Monographie (den gleichen Gegenstand wie die Schrift De gener, et spec.

betreffend), in welcher Abäiard die Schriften des Boelhius de divisione

und de definilione unmittelbar miteinander verband , so dass in Er

wägung der inneren Verschiedenheit dieser beiden (Abscbn. XII, Anm.

103) sich recht deutlich zeigt, wie bei Abäiard das logische Interesse

in das rhetorische übergehe. Indem wir daher nun für unsere Dar

stellung dem angegebenen Eintheilungs-Motive Abälard's folgen , werden

wir das Nölhige über den Abschnitt de divisione, welcher sich an die

Lehre vom Begriffe anschliesst, völlig ebenso wie hei Boethius noch

vor der Lehre vom Urtheile einschalten.

Was den ersten Abschnitt des ersten Haupttheiles, nemlich die

Isagoge oder die sog. Antepraedicamenta betrifft, so müssen wir

die erwähnte empfindliche Lücke anderweitig, und zwar namentlich aus

Remusat's (Anm. 238) Mittheilungen, zu ergänzen versuchen, werden

aber hiezu auch alle jene übrigen Stellen beiziehen, welche unser Verständniss

der logischen Parteistellung Abälard's verstärken oder erwei

tern können, so dass schon hier das Wesentliche und Principielle

möglichst vollständig erläutert und eine richtige Einsicht in Ahälard's

Logik überhaupt gewonnen werden soll, worauf dann bezüglich der

übrigen Theile der Dialektik auf solcher Grundlage nur mehr das Ein

zelnere anzuführen übrig bleibt.

Es hat etwas Auffallendes in sich, wenn Ablärd in den Glossen

zur Isagoge nicht bloss von „sechs Worten" spricht, indem er zu den

üblichen fünf noch „Individuum" hinzufügt, sondern auch bemerkt, es

handle sich ausser diesen Worten selbst auch noch um das von ihnen

Bezeichnete — signißcala eorum — 27S); jedoch ersleres klärt sieh

theils durch die Quellenstelle, welcher es entnommen ist279), theils

276) Auch hier ist das neniliche sonderbare Verhältniss, dass die Handschrift

vorerst (p. 434.) den Titel „Abaelardi Analyticorum poslcriorum primus" gibt, dann

aber beim Uebergange zur zweiten Unterabtheilnng das Richtige zeigt (p. 446.):

Explicil primus hypolhelicorum, incipit sccundus.

277) Es findet sich auch nirgends in dem Buche eine Anknüpfung an andere

Theile der Dialektik angedeutet.

278) Glossne in Porph. b. Cousin p. 553.: Inlcnlio forphyrn esl in hoc operc

tractare de sex vocibus, i. e. de gcnere el de specie et de differentia et de propriti

et de accidenti et de individuo, et de significalis eorum .... Considertms, nullas

wces magis esse neeessarias ad calegoriat, quam islas sex t'oces, quoniam ex islis

sex vocibus consliluuntur praedicamenla, idco perclegit traclare de istis sex vocibus.

Huius operis sunt materia istae sex voces et earum signißcata, finis ipse categoriae.

(Cousin verdarb den richtigen Sinn der Handschrift durch Aenderung und durch

Interpunktion.) Scientiae inveniendi siipponitur iste traclatus (Anm. 268.), quia hie

docemur invenire ralioncs sufficientcs ad probandas quaslibcl quaesliones factas de

istis sex vocibus et de significatis eurum. Vgl. unten Anm. 603.

279) Diese Sechszahl hat nemlich, wie sich von selbst versteht, Nichts zu

schaffen mit jener Stelle, welche aus den griechischen Commentatoren (Abschn.

172 XIV. Abälard.

durch die ausdrückliche Bemerkung auf, dass L'orphyrius nicht nöthig

gehabt hübe, den ßegrifl' des Individuums gleich anfangs mitaufzuzählen,

da ja das Individuum jedenfalls unter die übrigen fünf Worte falle und

an sich ebensosehr eine prädicative Bezeichnung eines Gegenstandes

sei, wie die Gattungen und Arten2*0). Wenn aber nun gerade diese

Betonung des Prädicats-Verhältnisses wieder mit dem zweiten Punkte,

nemlich mit der Auffassung des „von den sechs Worten Bezeichneten"

zusammentrifft, so gibt hier Abälard über diese Grundfrage keine nähe

ren Aufschlüsse, sondern selbst bei jener Kernstelle (prima quaeslio),

an welche , wie wir längst sahen , die ganze Parleifrage sich ange

schlossen hatte, gibt er nur eine spitzfindige und betreffs der Univer

salien nichtssagende Unterscheidung zwischen solus intelleclus, nudus

inlelle.ctus und purus intelleclus 2S1), und auch das übrige Folgende

schliesst sich überwiegend in hlosser Wortcrklärung an den Text der

Isagoge an282).

Hingegen erhält eben dieser Punkt, welcher uns hier noch dunkel

bleibt, das meiste Licht durch die anderen sog. kleineren Glossen zur

Isagoge. Dort nemlich knüpft Abälard an seine Angaben über die An

sichten Anderer (wobei er uns oben selbst als Quelle diente) vorerst

polemische Bemerkungen, um hierauf seine eigene Auffassung der UnU

versalien zu entwickeln. Gegen Wilhelm v. Champeaux bemerkt er (s.

oben Anm. 106), dass, wenn ein so lockerer Zusammenhang .zwischen

den individualisirendeti Formen und den allgemeinen Substanzen ange

nommen werde, zuletzt alle Substanzen, — auch den Phönix, welcher

nur Ein Mal existirt, nicht ausgenommen — , eben als Substanzen ein

ander gleich und identisch sein müssen und hiernach auch von der

Substanz Gottes sich nicht unterscheiden können, sowie dass diese

XI, Anm. 134.) anzulaufen war, sondern ucruhl auf dem Inhalte jener Angaben

des Porphyrius (ebend. Arim. 43.), welche bei Boetlt. p. 15. lauten: Eorum , quae

dimnlttr , alia ad proprielatem dicuntur, sicut sunl omnia individua, ut est Socrates

et hoc et illud, alia quae ad multitudinem , ut sunt genera et species et di/ferentiae

et propria et accidentia.

280) p. 553.: Kl nun. inlcndat Iractare de istis sex vocibus >•/ otnne (zu lesen

omnes) tractat , tarnen non proponil nisi de quibusdam tantum- ideo non ponil de

individuo, quia Individuum conlinetur sub unoquogue et in sitjnißcatione et in praedicamcntali

ordine , nam quemadmodum genera et species proprie ponuntur in praedicamenlo,

eodem modo individua ipsorum. Auch diess lag im Commentare des

Boethins zur angeführten Stelle vor, welcher (p. 16 f.) sagt: Ha individua, quae

ad unitatem dicuntur, cunctis superioribus (d. h. quinque vocibus) supposita sunt

Individua vero ....ad nihil aliud praedicantur nisi ad se ipsa, quae 'singula

atque una .iunt , atque ...ad uniiatem dicuntur. D. h. Abälard entnahm sich dar

aus, dass die individuellen Bezeichnungen eben doch ausgesagt werden. — dieuntw.

praedicantur —.

281) p. 555. : lila dicimus poni in solis inlellectibus, quae tantum inlelligunlur

et non sunt lila dicimus poni in nudis intellectibus , quae, eum sint, aliter

intelli(/untur esse, quam sint lila dicimus poni in puris intellectibus, quae iatelliguntur

simpliciter ut sunt.

282) Bemerkt mag werden, dass auch hier die schon oben (Anm. 167.) er

wähnte abgekürzte Redeweise, „praedicari in quid" oder „praedicari in quäle"

für „praedicari in eo qnoa quid" oder „praedicari in eo quod quäle" durchgängig

recipirt ist.

XIV. Abälard. . 173

Wesens- Gleichheit aller Substanzen oder ihre Gleichgültigkeit gegen jed

wede individuelle Gestaltung dazu führe; auch das Zusammentreffen von

Gegensätzen an Einer Substanz zulassen zu müssen 2S3). Gegen die

Indifferenz-Lehre wendet er (s. Anm. 132) vor Allein die Definition des

Gattungsbegriffes (genus esl, quod praedicalur de pluribus) , wornach

nie Ein und das Nemliche zugleich Gattung und Individuum sein könne,

und sodann auch das Verhältniss der Aussage überhaupt, bei welchem

zwischen Individuen und Arlbegriffen unterschieden werden müsse und

unmöglich die Individualität vom Allgemeinen selbst prädicirt werden

könne, wohingegen, wenn man das Individuum zugleich schon als Art

oder Galtung nehme, die Aussage des Gattungsbegriffes ihres Subjectes

beraubt werde oder bei Qualitäten (d. h. bei adiacentia) eben nicht

mehr eine von mehreren Subjeclen geltende Aussage sein könne2"*4).

283) Glossulae s. Porph. bei Kemiisat a. a. 0. U, |>. 98. : Ce systtrne exigt

que les formet aient si peu de rapport avec la mattere qui leur serl de sujet, que

das qu'elles disparaissent, la mattere ne differe plus d'une autre matiere snus aucun

rappnrt, et que lous les sujels individuels se riduisent a l'unite et a l'idenlite'. Une

grate htrisie esl au baut de celte doclrine, car avec eile la subslance ditiine, qui est

re'cormue pour n'admettre aucune forme, est necessairemenl identique ä taute substance

quelconque ou a la subslance en ge'ndral Et non seulemenl la subslance de

dien, mais la substance du phenix (s. Abschn. XII, Anm. 87.), qui est unique,

n'est dans ce Systeme que la substance pure et simple, sans accidenl, «uns proprie'te,

qui , partout la meme , est ainsi la substance universelle. C'est la meme substance

qui est raisonable et sans raison , absolumcnt comme la meme substance est d la

fois blanche et assise, car elre blanc et etre assis ne sont que des formes oppose'es

comme la rationalste et son contraire, et puisque les deux premieres formes peuvenl

notoirement se'trouxer dans le meme sujet, pourquoi les deux secondes ne s'y Irouveraient-

elles pas egalemenl ? Est-ce parce que la rationaliU et l'irralionalite sonl

contraiief? Etles ne le sonl point par l'essence, car elles sonl toules deux de l'essence

de qualile ; elles ne le sont ,.per adiacentia", car elles sont, par la supposition,

adiacentes d un sujet idenliquc. Uu moment que la meme substance convient

d lautes les /'armes, la contradiction peul se re'aliser dans un seul et meme etre.

284) Ebend. p. 100.: Mais c'est lä ce qui n'est pas soutenable. La dtfinition

qui veul que le genre soil ce qui esl allribuable a plusieurs, a ele donnie A l'exclusion

de l'individu. Ce qu'elle dtfinit ne peul en soi elre d aucun titre, en aucun

e'tal , individu. Dire qu'une meme chose töur a tour comporle et ne comporle pas

la de'finition du genre, c'est dire que celte chose est, comme genre, atlribuable a

plusieurs, mais que, comme genre aussi , eile ne l' est pas, car un individu qui

serait aUribuable d plusieurs serait un genre, par conse'quent l'assertion est contraiictoire

ou plulöl eile n'a aucun sens. Les auteurs disent que cette proposition

,,1'hmnme se promine", vraie dans le parliculier , est fausse de l'espice. (Hier

jedoch rauss Itcmusai entweder einen unrichtigen Text vor sich gehabt oder den

richtigen unrichtig verstanden haben, denn die wiederholte Lehre des Boethins,

p. 15, p. 36 u. s. f., lautet mit Anwendung des gleichen Beispieles — Cicero

ambulal , homo ambulal — natürlich dahin, dass das Accidens primitiv vom Indi

viduum und abgeleiteter Weise von der Species ausgesagt werde, nicht aber dass

letzteres falsch sei.) Commenl mainlenir cetle dislinction, si une meme chose est

espece et individu? .... (p. 101.) L'indwidualite resultant de formes accidenlelles

ne saurail elre l'attribut essenliel d'une subslance susceptible d'unnersalili ; cependant

celte substance en lanl que particulie're , distincle de ses semblables , est essenliellement

individuelle, violation manifeste de la regle de logique qui porle que ,,dans

wn mime l'affirmation de l'oppose exclul l'afßrmalion de l'autre oppose". Lorsqu'on

dit que le genre est aUribuable ä plusieurs, on parle ou d'altribution essentielle

(„praedicari in quid") ou de taute autre; s'il_s'agit d'attribution essentielle, comme

on le nie apres l'avoir affirmi , eile cesse d'etre essentielle, ou eile empörte avfc

174 XIV. Abälard.

Endlich uucli gegen jcue uns nicht näher bekannte Annahme bezüglich

einer proprielas der Dinge (s. Anui. 73) richtet er wiederholt den neuilicheu

aus der Definition des Gattungsbegriffes entnommenen Einwand

und bezeichnet überhaupt jede Verwechslung oder Vennengung des.

Individuums mit dein Allgemeinen als das Bedenklichste und Unhalt

barste 285).

Nach seiner eigenen Ansicht über glaubte er das Uichlige, wodurch

er zuletzt den Gegensatz zwischen l'lalo und Aristoteles versöhnen zu

können meint, dadurch gefunden zu haben, indem er sich auf Eine

Stelle des Buches De inlerpr. warf, in welcher das Allgemeine als das

jenige bezeichnet wird, was „von Natur aus dazu gemacht ist, von

Mehreren ausgesagt zu werden" (quod nalum est de pluribus praedi

cari), und er konnte hiedurch in der schon oben (Anni. 254) erwähn

ten Weise die objcctiv natürliche Entstehung der Dinge neben dem

subjecliv menschlichen Erzeugnisse der Wortbezeichnuug einbergehen

lassen, ja dieses Verhältnis^ sogar durch das Gleichniss der Statue aus

drücken, welche aus dem objectiv vorliegenden Steine und der durch

Menschenhand hinangebrachten Form besteht286). Hierauf aber nun

beruht das eigentliche Partei-Schibolet Abälard's, denn aus jener Nalurbestimmlheil

des Ausgesaglwerdens folgt, dass weder die Dinge als

solche noch die Worte als solche das Allgemeine seien, sondern die

Allgemeinheit nur in dem Ausgesaglwerden selbst, also in der Redeform

des Urlheils', kurz im „sermo" liege, wodurch nun die -verfehlte und

unhaltbare Ansicht vermieden werde , dass man ein Ding von einem

eile son sujel; s'it s' agil d'altribulion accidenlelle („in adiacenlia"), la definHio»

n'esl plus exacle, eile ne convient plus •< loul genrc.

285) Ebend. p. 102.: La, difficulte esl loujours de faire cadrer ce syslenu um.

la defmition du genre. II faul que la propriele d'elre altribuable A plusieurs sepan

l'universel de l'individuel; or, on vient de dire que de plusieurs choses chacune eil

individuellemenl animal; le nom individuel d'animat serait-il donc le nom de plu

sieurs? l'individu serait-il atlribuable a plusieurs? Cela ne se peut. Mais comme

animal ne peut plus se dire de plusieurs, mais de chacun, il n'y a plus de genre,

ou plutöt loul esl renverse; c'esl l'individu ou le non-unitersel qui prend la place

de l'univcrsel, c'esl ce qui ne peut s'affirmer de plusieurs, qui s'affirme tle plusieurs,

et c'esl une fluralile ou chucun s'affirme de plusieurs que l'on appelle l'individu.

286) Ebend. p. 104 f.: Aristole, au dire d'Abelard, parail l'insinuer clairemettt,

quand il definil l'universel ce qui est ne atlribuable a plusieurs ,,quod de pluribus

nalum esl praedicari". C'esl une propridtä avec laquelle il est ne, qu'il a d'oriyine

,,a nalivitalc sua". Or, quelle est la nativite, forigine des discours ou de noms?

l'institution humaine , landisque l'origine des choses est la crealion de leurs natvres.

Celle diff^renee d'origine peul se renconlrer lä meme ou il s'agit d'une memeessence:

ainsi dans cet exemple ,,celtc pierre el celle slalue ne sont qu'un", l'e'lat de pierre

ne peut elre donne a la pierre que par la puissance divine , l'elal de Statue Ita

peul elre donne par , la main des kommen. Es lautet nemlich jene , Abscbn. IV,

Aiiin, 197., angeführte Stelle des Aristoteles in der Uebersetzung bei Boeth. p.

338.: Quoniam autem sunt haec quidem rerum universalia, illa vero singularia, dico

aulem universale, quod de pluribus natum est praedicari, singulare vero, quod non,

elc. Hier also konnte Abälard für den Realismus auf das Wort „rerum" und

zugleich für den Nominalismus auf „praedicari" sich stützen. So sind in jener

Zeit, welche keine principielle Einsicht hatte, sondern nur lleissig die Tradition

stndirte, auf einzelne herausgerissene Stellen der Schul-Litleratur, von dem Einen

auf die eine, von einem Anderen auf eine andere, sofort die Partei-Ansichten auf

gebaut worden. Vgl. oben Anm. 105, 129. 134, 170 n. unten 293.

XIV. Abälard. 175

Dinge aussagen könne, wornach ein Hing als Ding gleichmässig in meh

reren Dingen sein uiüsste, wohingegen (— „reu de re non praedicatur"

—) Alles, was ausgesagt wird, und insoferne es ausgesagt wird, nicht

ein Ding, sondern eben eine Aussage ist287). Und indem nun Abälard

hicmit obige Definition der Gattung in Verbindung bringt, verneint er

ausdrücklich, dass, wenn die Aussage (serao) allgemein ist, dann etwa

auch das Wort als Wort allgemein sei, denn .auf gleiche Weise könne

man zuletzt auch schliessen, dass der Buchslabe allgemein sei, hingegen

müsse man bei jener Definition den durch sie definirten Gegenstand,

d. h. die (Haltung selbst, in's Auge fassen, wodurcli sich zeige, dass

nicht die Gattung selbst in all ihrer Totalität in dem einzelnen Worte

enthalten sei, wohl über das die Gattung ausdrückende Wort in einem

Urllieile von Mehreren) ausgesagt wird, kurz dass eben das Urlheil aus

sagbar ist, — „sermo esl praedicabüü" —, weil das Denken die Worte

behufs der Darstellung der Dinge ordnet 2SS). Wenn hiernach das Wort

nicht nach seinem äusserlich wirklichen Klange, sondern nach seinem

inneren Sinne ausgesagt wird, und also seine Bedeutung es zu einem

Allgemeinen macht 289), so darf man auf solche Weise wohl sagen,

dass Gatlung und Art ein Wort (vox) seien, nicht aber umgekehrt, dass

das Wort die Gatlung oder die Art sei, denn das individuelle Wesen,

welches . das Wort ist, kann nicht von Mehrerein ausgesagt werden,

wohingegen ein objectiv Dingliches den Gattungen und Arten enlspre-

287) Ebend. |>. l D.i.: Or , du moment que l'itniversel est d'origine allribuable

; plusieurs, m les choses ni les mots ne sont universels. da ce n'est pas le mot,

«Ja feoia;, mais le discours „sermo", c'est-ä-dire l'expression du mal, qui esl attribuables

d divers, et quoiquc les discours soienl des mols,'ce ne sont pas les mots,

mais les discours qui sont uniuersels. Quant aux choses , s'il tflait mai qu'-une

chose piit s'affirmer de plusieurs chos.es, une seule et meme clwse se relrouverail

egalement dans plusieurs, ce qui rt'pugne. Daher ebenso üialect. p. 496.: nee reni

ullain de pluribus dici, sed nomen tatilum concedimus. Hiezu die schon oben, Anm.

63., angeführte Stelle des Job. v. Salesbury.

288) Ebend. p. 107 f.: Mais Abelard se /ail des objections. Commcnl l'oruison

peut-elle etre universelle, et non pas la voix, quand la description du yenre convient

aussi bien d l'une qu'd l'aulre? Le genre est ce qui se dit de plusieurs qui different

par l'espece; ainsi le de'crit Porphyre. Or , la descriplion et le decrit doivent

convenir d toul sujel quelconque ; c'est une regln de logique , la regle „de quocunque",

et comme le discours et les mots ont le meme sujet, ce qui est dit du discours

esl dit des mots. Däne, comme k discours, la voix esl le genre. Cette proposition

esl incongrue ,,non congn.it"; car la lellre etant dans le mot, et par conse'quent

s'atlTtbttant d plusieurs comme lui , U s'ensuivrait que la lettre est le yenre, C'est

que, pour que la description ou deßnitioH du genre soit applicable, U faul qu'on

l'appliqtie d quelque chose qui ait en soi la re'alitii du diißni, ,,rem definiti" ; c'est

la'condition de l'application de la regle ,, de quocunque", et ici cctte condilion n'existe

{HU. Le mot nc contient pas laut le de'fini, U n'en a pas taute la compre'hension,

et U n'est attribw! d plusieurs, uffirme de plusieurs, „praedicatum de pluribus",

que parce que le discours est predicable, ,,est sermo praedicabilis", c'est-ä-dire

parce que la pensee dispose des mols pour decrire toutes choses.

289) Ebend. p. 108.: On peul donc dire que le discours e'lant un genre, el le

discours etant uu mot, un mot est le genre; seulement U faut ajouter que c'est ce

mot avec le sens qu'on u entendu lui donner. Ce n'est pas l'essence du mot, en tanl

que mal, qui peut clre attribue'e d plusieurs; le son vocal qui constitue le mot est

toujours actuel et parliculier ä chaque fois qu'on le prononce, et non pas universel,

mais c'est la signißcation qu'on y altachc qui est geniale.

176 XIV. Abälard.

übendes Sein bei solcher Auffassung ungestört zugestanden werden

kann290). Neulich Gattungen und Arten, insoferne wir sie denken,

beziehen sich wohl auf Etwas, was exislirl, und ergreifen es, aber

nur durch Übertragung konnte man sagen, dass dieselben als die von

uns gedachten Universalen exisliren, denn der richtige Sinn ist nur,

dass Etwas existirt, was zu diesen Universalien Veranlassung gibt291).

Und auf diese Weise IIIIIH glaubt Abälard, sei der Unterschied zwischen

Plato und Aristoteles kein innerlich wesenllicher, sondern betreffe nur

den Wortausdruck (vgl. oben Anm. 143 f.), denn nach Aristoteles seien

die Galtungen und Arten, während sie durch menschliche Nanienbezeichnung

in den Einzel- Dingen liegen, dennoch als das den reinen all

gemeinen Auffassungen des Erkennens Entsprechende ausserhalb des

sinnlich-wahrnehmbaren Einzelnen, und nach Plato seien die Univer

salien gleichfalls nicht nur Sache subjectiver Denk-Auffassung, sondern

eben als Gegenstand derselben objectiv ausserhalb des Sinnlich-Wahr

nehmbaren existirend 202); ja Abälard findet sogar für diese Uebereinslimmung

des Plato und Aristoteles, während er aus Macrobius die

Schulanekdoten über die Feindschaft des Letzteren gegen Ersteren kennt,

wieder einen Beleg in einer einzelnen höchst äusserlich herausgerissenen

290) Ebend. p. 109.: Abelard ... permet qu'on tlise que le gcnrt ou l'esptce

esl un mal „esl vox", et U rejetle les proposilions converses; car si l'on disait

que le mot esl genre , espece , universel, an attribuerait une essence individuelle,

celle du mot, a plusieurs, ce qui ne se peut. C'est de meme qu'on peut dir« „cel

animal („hie Status animal") est cette mattere, la Socratite est Socrate" l'un et

l'autre de ces deux est quelque chose, quoique ces proposilions ne puissent elre renversees.

Dialecl. p. 480.: in significationibus suis voeabula saepe nominantur, ut

Qum ea quoque vel genera vel species ml universalia vel singularia vel subslantias

vel accideiitia nominamuf ; nomen uiilem hur loco accipiendum est quaelibet vox

signi/tcath'a simplen, qua rebus praeposila voeabula prdedieamus.

291) Ebend. p. 109.: II decide que, bien que ces concepts (ob wohl hier im

lateinischen Originale „conceptvs" steht? ich vermuthe eher, dass es „intellectus"

laute, s. unten Anm. 313 IV.) ne donnent pas tes choses comme discreles , ainsi que

les donne In Sensation, ils n'en sonl pas moiits justes et valablcs, et embrassent les

choses reelles. De sorte qu'il est vrai que les genres et les especes subsistenl, en

ce sens qu'ils se rapportent ä des choses subsislantes, car c'est par metaphore (wohl

„per translalionem") seulcment que les phüosophes ont pu dire que ces univefsaux

subsislent. Au sens propre, ce serait dire qu'ils sont substances, et l'on veut exprimer

seulement que les objets qui donnenl Heu (etwa „locum praebent"?) aux

universaux, subsislent. Les doules que ce langage figure' a fait nailre sont la setile

source des diffieulUs qui semblent arreter Porphyre. Bei dieser ganzen Stelle be

klagen wir es am meisten, nur auf Remusal's nicht nnbederfkliche Umschreibung

angewiesen zu sein.

292) Ebend. p. 110.: Abelard re'duit ces difficu/te's d des simples questioits de

mols. Ainsi pour lui le dissentiment entre Aristote et Platon venait seulement de

ce que le premier pensait que les geiircs et les espices subsistent par appellalion

dans les choses sensibles., ou sereent d les nommer en essence, ,,appellant in se",

et que cependanl ils sonl hör s de ces choses, en ce sens qu'ils correspondent d dts

concepts,' purs de toutes /'armes accidentelles sensibles, landis que flalon voulait que

les genres et les espices fussenl non-seulement concu, mais subsislanls hors des

sensibles. Ainsi, dit Abtlard, la difffrence n' est pas dans le sens, quoiqu'elle

semble se montrer danf les lermes. Ueber die Quelle des Ausdruckes „appellant

in se" s. oben Anm. 13.; hingegen für die Entgegensetzung des Platonismus and

Arislotclismiis ühei'h.mpt konnte Abälard auch Buetli. ad Porpk. p. 56. benutzen.

XIV. Abälard. 177

Stelle der Kategorien, woselbst er dem Aristoteles den platonischen

Realismus aufdrängen will 293).

So weist uns nun jener für Abälard als Ausgangspunkt und als

Auctorität geltende Satz „quod nalum fsl de pluribus praedicari" (Anm.

286) von selbst gleichzeitig auf zwei Wege hinaus, deren einer in der

Richtung desjenigen, quod „nalum'1 esl , liegt und in Platonismus aus

mündet, während der andere die Richtung des „praedicari" einschlägt

und zu einem Aristotelismus führt, welcher stets den parallel laufenden

anderen Pfad in Aussicht behält, und zwar all beides, um die Dialektik

in der Theorie der Argumentation zu verwerthen.

Was nun hiemit die erslere dieser beiden Richtungen betrifft, so

haben wir hier nicht die Aufgabe einer Geschichte der Theosophie, und

werden daher unter demjenigen, was auf Plalo zurückweist, nur das

für die zweite, logische, Richtung Erhebliche entwickeln müssen. Die

Quelle für Abälard war hiebei .natürlich jener Platonismus, welcher

durch Porphyrius in den Boethius übergegangen war, und so wird aus

des Letzteren Schrift de divisione die Anschauung aufgenommen, dass

durch eine „creatio" die Art aus der Gattung entstehe , indem ähnlich

wie bei der Statue eine Form dazukomme (superveniente forma) , so

dass der Stoff (maleria) in dem neuentstandenen Gebilde (inaler iai u IH,

vgl. Anm. 160) fortbestehe, und eine Gleichheil des Seins zwischen

Art und Gattung sich ergebe 294). Hiernach besteht die Species aus

zwei Bestandteilen, nemlich materialüer aus der Gattung, formalüer

293) Dialect. p. 205 f.: Haec quidem de relativis (a. oben Anm. 192.) Arislolelem

plurimnm sequentes diximus Si etiaifr scripta magistri eius Platonis in

hoc arte (d. h. in der Logik) novissemus, utique et ea reciperemus , nee forsitan

calumnia discipuli de definitione magislri recta viderctur. Nwimus eliam ipsum Ariitotelem

et in aliis locis adversus eundem magislrum suum et primum totius philosophiae

ducem ex fomite fortasse invidiae aul ex avaritia nominis , ex mani/'eslatione

scientiae surrexisse, quibusdam et sophisticis argumenlalionibus adversus eins

sentenlias inhianlem dimicasse, ut in eo, quod de molu animae Macrobius (Somn.

Sc. II, 14, 2 u. 15, 1) meminit Sed quoniam Platonis scripta in hac arte

nondum cognovit lalinilas, nostra, eum defendere in his quae ignoramus, non praesumamus.

Unum tarnen confiteri possumus, si attentius Plalonicae definitionis verba

pensenlur , eam ab Aristotelica non discrepare sentenlia; nam in eo quod dixil,

quod „hoc ipsum quod sunl aliorum dicuntur" (diess nemlich ist die Definition des

Relativen bei Boeth. ad Praed. p. 155.), non tarn visus ad vocalem constructinnem,

ut aiiiiit, respexisse, quam ad naturalem rerum relationem; cum enim ait ,,hoe

ipsum quod sunt", essentiam demonstravit , non vocabulum. In solcher Weise also

Terfubr man mit einzelnen Stellen und einzelnen Worten, um Auctoritäten für Par

tei-Ansichten zu gewinnen. Vgl. Anm. 286.

294) Theol. Christ. IV, p. 1305.: Ex materia quippe ipsum tnaleriatum generari

et creari quodammodo tradunt philosophi; unde Plalo Ylen, i. e. corpoream naturam,

lanquam malrem corporum ponit, et Boethius in libro Divisionum (p. 639 f., s.

Abschn. XII, Anm. 97 f.) genus dividi in species quasi in quasdam a, se quodam

modo crealiones Aic.il, eo quod species ex ipsa generif subslantia nasci et conßci

habeant superveniente forma, ut homo ex animali supervenienle rationalitate et mortalitale

, sicul statua ex aere supervenienle ftgura; et cum idem sit materia, quod

ma.lma.lv.rn; sicul idem esl animal quod homo (s. ebend. Anm. 98.) vel hoc aes

guod haec statua, non tarnen ipsum materiatum est materia sui aut ipsa maleria

est malertala ex se, licet sit hoc ipsum, quod est materia eius elc. Dialecl. p. 486.:**

in constitulione speciei genus, quod quasi maleria ponitur, accepla differenlia, quae

quasi forma superaddilur , in speciem transil.

PBANTL, Gesch. II. 12

178 XIV. Abälard.

aber aus dem artmachenden Unterschiede, d. h. der differentia subslanlialis

; diese letztere aber hat ausschliesslich nur die Funclion, eben

die Species zu erzeugen , denn — was polemisch gegen andere An

sichten, s. ob. Anm. 114, bemerkt wird — sie gehl nicht mit dem

Stolle selbst in das Wesen der Species über, da sie hiedurch zu einem

Theile des Stoffes der Species würde, sondern sie ist nur die wirk

same Kraft, daher auch das Gleichniss der Statue nur nach einer äus.serlichen

Aehnlichkeil zu verstehen ist, denn Species ist ja die Statue

nicht,' sondern nur eine menschliche Zusammenlegung29). Auch darf

jene crealio nicht so verstanden werden, dass etwa in zeitlicber Existenz

die Gattung vorher da sei, ehe die Species ins Dasein trete, denn ge

rade im natürlichen Sein der Dinge exisliren die Gattungen nur in den

Arten und umgekehrt29"), sondern diese Priorität oder Posteriorilät fällt

dem Gebiete der Aussage (praedicatio) anheim , welche bald auf die

Form, bald auf das durch sie Geformte u. s. w. gehen kann 29T). Wenn

aber hei diesem Entstehen der Arten aus den Gattungen jene schwie

rigere Frage bezüglich der Gegensätze (ob. Anm. 113 u. 115 f.) zu er

ledigen war, so ist hierüber Abälard's Ansicht folgende: Die Verschiedenbeil

der Arten kann nur dadurch bewirkt werden, dass eine Ver

schiedenheit der Substanzen besiebt; diese aber ist ein Erzeugniss des

artmachenden Unterschiedes, welcher eben darum ein substantieller

heisst, weil er eine Ausscheidung innerhalb der Substanz und dabei

295) Dialecl. p. 477. : Hominis cnim alia pars substanlia animalis, alia forma

ralionalilatis vel morlalitatis , conwonit autem animal liominem matcrialiler, rationalitas

vero et mortalitas formaliter^ebenso Glossac ad I'orph. p. 575.). Neque enim

ralionalitas et inorluliliis, cum qualüates sinl, in essenliam liominis, qui substanlia

est , possunt converti, sed solo animalis subslantia homo ef/tcilur, per Informationen

tarnen subslantialium cius difterentiarum , unde rede Porphyrius ,eas substanliales

differentias esse deßnit (b. Boeth. p. 84., Tgl. Abschn. XI, Anm. 44.), secundum

quas ipsa genera, quae ab ipsis divisa sunt, specificantur .... Nee cum ipsae generis

substantiam in speciem reddunt, ipsae quoquc in essenliam speciei simul transeunt,

sed so/o genera vel subiectu spedftcanlur , non quidem separala a differentiis , sed,

nisi ei differenliae adt'eniunt, ipsa sola non etiam differenliae specics efßcittir, non

quidem cum differentiis , sed per differenlias , sicut in libro Partium tractalu speciei

disseruimus (s. Anm. 272.); si enim differentiae in speciem Irans ferreutur cum gtnere,

....ipsas de substanlia rei esse et in partem materiae venire continyeret

(p. 478.) Nihil aliud materia iam /ormis actualitcr coniuncta quam ipsum materiatum,

ui nihil aliud est hie annulus aureus quam aurum in rolundilatem ductum

Statuac compositio, quam Boethius (p. S8.) ponit, .... speciei non videtur , cum nee

materia sil unttrn, sed operalione Itominum, nee substanliae nomen, sed accidenlis,

cum statua videatur et a quadam composilione isumjilum.

296) Introd. ad theol. H, p. 1083.: Cum autem species ex genere crcari seu

gigni dicantur, non tarnen ideo necesse est, genus species suas (empöre vel per

existentiam praecedere, ut videlicet ipsüm prius esse contigerit quam Mas; nunquam

etenim genus nisi per aliquant speciem suam esse contingit, vel ullatenus animal

fuit, antequam rationale vel irrationale fuerit, et ita specics cum suis generibus

simul naturaliler exislunt, ut nullatenus genus sine illü, sicut nee ipsae sine genere

esse poluerint.

297) Theol. Christ. III, p. 1277.: Proprietas itaque materiae ipsa esl priorilas,

Secundum quam ex ea materialtter aliquid fieri habet, materiati vero proprietas est

ipsa e converso poslerioritas ; proprietales itaque ipsae impermixtae sunt perpraedicalionem,

lieft ipsa propriata peimixtim de eodem praedicentur ; aliud quippe est

praedicare formam, aliud formatum ipsum, h. e. rent ipsam formae subicctam*

XIV. Abälard. 179

zugleich eine Einheit der abgeschiedenen Gruppen, deren jede Eine

gemeinschaftliche Natur hat, bewerkstelligt29*); und sowie hiernach

nicht mehr in einer Wesens-identität der Stoff, welcher die Gattung ist,

in den sämmllichen Arten vorliegt, so sind es lediglich nur die Arten

der Substanz seihst, welche durch den arlmachenden Unterschied er

zeugt werden; wenn daher alle übrigen, nicht aus der Suhslanz her

vorgehenden Arten ohne Wirkung eines substantiellen Unterschiedes

entstehen und somit im blossen Stoffe begründet sein müssen , so ist

die Einheit des letzteren als eine Wesens-Aehnlichkeit (consimililudo)

zu verstehen, durch welche z. B. hei dem gemeinschaftlichen Wesen

des Farbe-Seins die Gegensätzlichkeit des Weissen und Schwarzen nicht

ausgeschlossen ist299). So unterscheidet Abälard zwischen Formen,

welche seihst Wesenheiten sind und in den zu Grunde liegenden Stoff

(subieclum) erst eintreten müssen, um ihn zu Etwas zu machen, was

er ohne sie nicht wäre, und zwischen solchen Formen, welche keine

Wesenheilen selbst sind, sondern schon in) Stoffe der Galtung enthalten

sind 30°); in ersteren liegt natürlich der eigentliche artmachende Unter

schied, sowie in letzteren das sog. zufällige Merkmal accidenteller Un

terschiede, d. h. jene adiacenlia (Anm. 284), welche Gegenstand der

nicht-substantiellen Aussage ist 30 '). lliemit aber sind bei den wesent

lichen Formen die Gegensätze durch die Thätigkeit des artmachenden

298) Dialect. p. 418.: Diversitas itaque substantiae diversitatem generum ac

specierum facit, .... nam etsi in speciebus substantiae specierttm diversitalis causa

sit differentia, hoc tarnen ca rerum diversitate , substantiae quam faciunt, conlingit;

unde etiam substantiales sunl appellatae liuiusmodi differentiae, quae in substantiam

venientes et discrelionem subslantiae /'aciunl et unionem communis nalurae; neque

mim alia in speciali aut gcnerali natura concludimus , nisi ea quae natura substan

tiae dir in u tmivil operalio.

299) Eb'end. p. 400, woselbst nach der oben, Anm. 113., angeführten Stelle

folgt: Si enim oamium specierum est eadem in essentia materia, tunc albedinis et

nigredinis et ceterorum contrariorura, quae omnia eiusdem ycneris species esse nccesse

est Nostra quoque sentenlia lenet, solas substanliae species differentiis confici,

ceterasque species per solam subsistere maleiiam , sicul in liliro Partium ostendimus.

Si ergo eadem prorsus est materia, quae est in ipsis diversilas? Sed eadem (d. h.

rli:-L'n.ilas in ipsis est) , quae esi in consimililudine substantiae non indeterminatae

essentiae; neque.enim ea qualitas, quae est essenlia albedinis, essentia est nigre

dinis, esset enim albedo nigredo, sed consimilis in natura generis superioris ; eonsimilitudo

aulem vel substanliae vel formae contrarietatem non impedit. Bezüglich

der consimililudo vgl. Anm. 307.

300) Pseudo-Abael. de intell. b. Cousin, Fragm. phil. (1840), p. 495 f.: Alu

aulem , qui quasdam formas esse essentias , quasdam minime, perhibent, sicut Abaelunlus

et sui , qui artet» dialeclicam non obfuscando sed diligentissime perscrutando

dilucidant, nullas formas essentias es$e approbant , nisi quasdam qualitates , quae

sie insunt in subiecto, quod subiectum ad esse earum non sufftcil, sicut ad esse

quanlilalum ipsum subiectum sufftcil vel ad esse sessionis ntcessaria est disposilio

partium Niillam enim formam essenliam asserunt, cui polerit assignari,

subieclum ad esse illius sufficere.

301) Theol. Christ. III, p. 1280.: sine illa forma sit communis differentia, h.

e. separabile accidens , ut nasi curvitas, sine magis propria differentia, i. e. substantialis

, sicut est rationalitas , qimr. scilicet substanlialis differentia non solum

facit alterum, i. e. quoquo modo diversum, verum etiam aliud, h. e. substantialiter

atqne specie diversum. Die Quelle bievon ist Porphyrius (Abschn. XI, Anm. 44.),

d. h. Boetli. p. 79 ff.

12*

180 XIV. Abälard.

Unterschiedes erst entstanden und sofort ausgeschieden , während sie

bei den unwesentlichen Formen als Möglichkeiten im Galtungsstoffe vor

liegen302), und es konnte Abälard, indem er sämintlicheu bloss quali

tativen Gegensätzen kein Wesens-Substrat unterlegte, sondern ein solches

nur in den art-constituirenden Gegensätzen anerkannte , sehr leicht mit

Aufrechthaltung der Unvereinbarkeit des Gegensätzlichen jener obigen

(Anm. 115) Schwierigkeit entgehen303). Während aber so jener Creations-

Process, in welchem der artmachende Unterschied ausscheidend

wirkt und das Ausgeschiedene nach Einheilen zusammenfällt (Anm. 298),

in fortschreitender Stufenfolge bis zum Einzel-Individuum sich erstreckt,

welches als solches wesentlich (d. h. essenlialiler oder enlialüer, nicht

jedoch seiner Substanz nach) von seines Gleichen geschieden ist 304),

su gilt für Abälard im Anschlüsse an Porphyrius und Boethius allerdings

wohl der Begriff des „ens" als ein vieldeutig allgemeiner Name 30r>),

hingegen „subslanlia" muss, insoferne diess der Begriff des genus ge

neralissimum ist, als jener oberste und letzte Stoff betrachtet werden,

an welchem die Thäligkeit des artmachenden Unterschiedes beginnt306).

So lehrt Abälard als Platoniker eine objective Ontologie der Uni

versalien, welche einerseits von dem plumperen Realismus des Wilhelm

von Champeaux sich durch sorgfälligere Benützung des Boethius zu

ihrem Vortheile unlerscheidet, andrerseits aber durch obigen Begriff

der consimililudo (Anm. 299) zugleich mit dem Verfasser De gen. el

spec. (Anm. 163 u. 177) oder mit der Indifferenz-Lehre (Anm. 132)

in eine gewisse Berührung trill30').

302) So kann z. B. bezüglich der albedo , welche natürlich keine Substanz

ist (Koelh. p. 173 f.), gesagt werden, Introd. ad theul. III, p. 1119.: Cum idem

sil ,,id quod esl album, esse nigrum" el ,,albedinem et nigredinem eidem simul

inesse", non tarnen, ut possibile esl, id quod est album, esse nigrum, ila etiam

possibite est, albtdinem et nigredinem simul eidem inesse.

303) Dialect. p. 390. : Quod si genera contrario per individua specierum non

conlrariarum in eodem conlingant, non est inconveniens (z B. dass Jemand zugleich

keusch und geizig ist, s. Anm. 115.), quippe ipsa contraria non sunt eorum tota

substanlia, sicut species Omnia itaque contraria in eodem esse negamus, statt

el ipse in eodem (d. h. Arist. Categ.) docuit ,,sed nihil, quod videalur simul con-

Iraria recipere passe" (Boelh. p. 205.).

304) Theol. Christ. IV, p. 1341., welche Stelle schon oben Anm. 241. ange

führt wurde. Ebend. III, p. 1280.: Haec ilaque so/a et omnia numero sunt differentia,

quae Iota quantitate suae essentiae discrela sunl, sive solo numero ab invicem

dislent, ut Socrales el Plalo , sive etiam specie, ut hie homo et ille equus, seu genere

quoque, ut hie homo et haec albedo, seu quacunque forma ab invicem differant.

S. Aura. 337.

305) Glossae ad I'orph. (b. Cousin) p. 569.: Ens est aequivocum .... videlicel

illam definilionem , qüam habet ens in praedicamento subslantiac, nunquam habebil

in praedicamenlo quantilalis; .... ens non habet unam substanlialem dcfinitionem,

eum qua praedicalur de Omnibus generalissimis , cum hac definitione praedicatur ens

de substantia: substantia est ens, quod neque est qualitas nee quantitas etc. S.

Abscha. XII, Anm. 89.

306) Ebend. p. 565.: Subslanlia esl generalissimum, quia esl solum genus ....

(p. 566.) quemadmodum subslanlia est genus generalissimum, cum suprema sil, eo

quod iiullum genus supra eam sil, etc. Hiezu obige Stelle Anm. 298. und Dialect.

p. 485.: Genus omne naturaliler prius esl suis speciebus genus est materia

specierum.

307) In einer ähnlichen an jene Ansichten erinnernden Weise drückt sich

XIV. Abälard. 181

Was aber nun die andere, logisch-aristotelische Anschauungsweise

Abälard's betrifft, so müssen wir /,u entwickeln versuchen, wie er

obigen Begriff des „sermo" (Aniu. 286 ff.) verstanden wissen wolle und

im Einzelnen begründe, wobei es von vorneherein als beachtenswert!]

erscheint, dass er durchweg seinem dortigen Ausgangspunkte gelreu

bleibend sich an Stellen hält, welche in dem Buche De inlerpr. ent

halten sind. Soll nemlich obiger Grundsatz festgehalten werden, dass

das Ausgesagtwerden (praedicari) in der Naturbestimmtheil der Univer

salien liege, so ist es zunächst nur eine Umschreibung hicfiir, wenn

gesagt wird, dass die Aussage (sermo) mit den Dingen in einer ur

sprünglichen Verwandtschaft stehe 30S), was jedoch natürlich so zu ver

stehen isl, dass die Wortbe/.eiclmung (vocum imposilio) als das Spätere

von den durch sie bezeichneten objektiven Dingen (res significala) be

dingt und abhängig ist30"); ja dass in diesem Sinne selbst die H.odeulung

des Wortes (signißcalio) noch das Frühere ist, von welchem erst

das Wort als Wort abhängt310). Auf diese Weise sind dann allerdings

die Gattungen und die Arten Nichts anderes als das durch diese Worte

Bezeichnete311), aber dasjenige, was hiedurch bezeichnet wird, kann

hinwiederum Nichts anderes sein, als die Erzeugnisse jenes Creations-

Processes von der Gattung an bis zum Individuum herab, und indem

die Gattungen und Arten nur in den Individuen eine concrete Existenz

haben , sprechen wir z. B. in dem Salze „Sokrates isl ein Mensch" nur

von dem durch diese Worte Bezeichneten , nicht aber ja von diesen

Worten als Worten312). Eben aber, da die Gattungen und Arien als

Abälard aus Tln'ul. Christ. III, p. 1261.: Sed nee Socrales, cm» sil a Platane numero

diversus, h. e. ex di&cretione propriae essentiae ab ipso alias, ullo modo ab

ipso aliud dicitur, h. e. substanlialiter di/ferens , cum ambo sinl eiusdcm naturac

secundum eiusdem speciei convenientiam , in eo scilicet quod ulerque ipsorum homo

est. Ebend. p. 1279.: Idem vero simililudine dicunlur quaelibct discrela essentialiler,

jquae in aliquo imiicem similia sunt, ut species idem sunl yenere vel individua

idem in specie. Vgl. auch Anm. 337.

308) Introd. ad theol. II, p. 1074. : Constat quippe iuxta Boethium ac Platonem,

cognatos de quibus loquunlur rebus oportere esse sermones. S. Boeth. ad Ar.

de interpr. p. 323.

309) Dialect. p. 487.: vocem secundum impositionis suae oriyinem re significala

fosleriorem liquet esse. Ebend. p. 350.: Si nominis huius, quod est „homo",

propriam impositionem lenuerit , secundum id scilicet , quod substantiae hominis ut

existenti ex animali et rationalitale et mortalilate datum est, ratam omnino conseculionem

videril. Hiezu die oben, Anm. 255., angeführte Stelle.

310) Dialect. p. 345.: neque enim nomina neque verba sunt suis non existentibus

signißcalionibus. Ebend. p. 482.: propria signißcalio, illa scilicet, de qua

inlellectum proprie vox queat generare.

311) Glossae in Porph. p. 567.: genera et species, id est ipsa signißcata harum

vocum, sowie in obiger (Anm. 278.) Stelle stets: sex voccs et signiftcata carum.

312) Dialecl. p. 204.: Neque enim substcmtia specierum diversa esl ab esscntia

individuorum, sicut' in libro (zu lesen primo, s. Anm. 272.) Partium oslendimus,

nee res ila sicut vocabula diversas esse conlingil; sunt namque diversae vocabulorum

in se essentiae specialium et singularium, ut ,,homo" et ,,Socrates", sed non ita

rerum diversae sunt essentiae; unde illam rem, quae est Socrates, illam rem, quae

homo est, esse dicimus , sed non illud vocabulum, quod esl „Socrates", illud, quod

est ,,homo" ; unde quod in re speciali contingit, et in ipsius individuis necesse est

conlingere, cum videlicet nee ipsae species habeanl nisi per individua subsislere nee

1 82 XIV. Abälard.

solche nicht das concret Existirende sind, so gilt der alte Spruch „singulare

sentüur, universale intelligilur", und indem die inlellecluelle

Auffassung (inlellectus) das Nicht-Sinnfällige ergreift313), muss sie, weil

jenes nicht-sinnfällige Universale dasjenige ist, was zum Ausgesagtwerden

bestimmt ist, notwendiger Weise den Entstehungsgrund der Aussage

enthalten und durch jede Aussage als Entstehungsgrund derselben zum

Bewusstsein kommen, d. h. sermo generalur ab inlelleclu et general in

lelleclum 3 ' 4). So ist das Aussagen (sermo) das Terrain der Universa

lien und nur im Ausgesagtwerden (praedifarf) , nicht etwa als Dinge

(denn ein Ding als Ding ist ja nicht ein Ausgesagtes), sind sie eben

Universalien.

Während aber nun so jene inlellectuelle Auffassung (intellectus),

insofern« sie das Nicht-Sinnfällige ergreift und hiemit die Erzeugerin

der yrtheile wird, ihrerseits auch auf den platonischen Idealismus (Anm.

263) zurückweist, ist für die Logik, welche auf die menschlichen

Kundgebungen der Rede sich bezieht und in Aristoteles ihren Meisler

hat (Anin. 255 ff.), jene Kehrseite das Entscheidende, wornach durch

das Urlheil die intellecluelle Auffassung zum Bewusstsein kömmt Es

trägt dabei der Gedanke ein Moment des Zeitlichen (vgl. Anm. 252)

an sich, denn jedes Urlheil bedarf, um ausgesprochen zu werden, eine

Zeit, und erst nach dem successiven Auftreten all seiner Theile ist es

wirklich significant, und während das Transilorische der Theile des

Urtheiles nicht seihst schon eine Form hat, welche etwa die „Bedeu

tung" wäre, macht nur das Erfassen des Gedankens (intcllecl-un conceplus)

den Satz zu einem bedeutungsvollen oder bezeichnenden315),

so dass auch die Einheit des Urtheiles in der Einheit des Gedankens,

welchen es erweckt, besteht310). Eben darum aber hat das Unheil,

»n ea, quac informanl et ad invicem faciunt respicere, nisi per individua, venire

(vgl. Anm. 296.).

313) Introd. ad theol. II, p. 1061.: proprie de invisibilibus intellectus dicilur,

secundum quod quidem intetlectuales et visibiles nalurae distinguuntur.

314) Theol. Christ. I, p. 1162 f.: Licet eliam ipsum nostrae mentis conceptum

ipsius sermonis tarn e/feclum quam causam ponerc , in proferente quidem causam, m

audiente effectum, quia et sermu ipse lo/jucnlis ab eins intellectu proßciscens generalur

, et eundcm rursus in audilore general inlelleclum. Pro hoc itaque •nhi.riiini

sermonum et inlellectuum cognalione non indeccnter in corum nominibus »minus ßeri

licet translationes, quod in rebus quoque et nominibus proptcr adiunctionem signißcationis

frequenter contingil.

315) Dialect. p. 191 f.: Nostra in eo sententia pendel , ut post onmium partium

suarum prolalioncm oralio signiftcare dicalur • tunc enim ex ea inlelleclum colligimus

, mm prolatas in proximo dictiones ad memoriam reducimus, nee ullius tocii

signiftcatio perfecta e'st, nisi ea tota prolata Cum igilur dicinms, prolatam

oratiunem signiftcare, non id inlelligi volumus , ut ei, quod non est, formam ali

quant, quam tigni/iealionem dicunl, altribuamus, sed polius inteüeclum ex prolata

oralione conceptum anitnac audientis conferimus, ut cum dicimus „Socrales currit",

signißcatus hie videtur sensus, quod intellectus ex prolatione ipsius conceptus in

an i in a alicuius exislit Quod inlellectus aliquis generelur, possumus orationem

quamlibet ita signißcativam dicere , quod unum de his , ex quibus intellectus concipiatur.

Die Quelle hievon ist Boeth. p. 296 f., s. Abschn. XII, Anm. 110.

316) Ebcnd. p. 297.: Mulliplicem illam dictionem dicimus, quae pltiribus imposila

eil, ex quibus non fit unum, h. e. plura in senlenlia lenet non secundum

id, quod ex eis unus procedat inlelleclus ; sie autem e converso omnis illa una est

|

XIV. Äbälard. 183

sowie auch das Wort als Bestandteil desselben, wesentlich zugleich

zwei Seilen, deren eine in den Dingen liegt, über („de") welche es

handelt (significatio realis), die andere aber den Gedanken betrifft, wel

chen es enthält und erzeugt, über welchen es aber nicht handelt (significalio

intelleclualis) , »und so geht das ohjecliv faclische Sein und

Nicbt-scin dem Wahr- und Falsch-Sein des Urtheiles parallel317). Nemlich

das Wort „praedicari" bat allerdings drei Bedeutungen, indem es

einmal ganz äusserlicli von der hlossen Aneinanderreihung eines Subjectes

und eines Prädicates, abgesehen von allein realen Inhalte, ge

braucht wird, sodann aber in zweifachem Sinne das Verhältniss des

ohjeetiv Fac tische n betrifft, insoferne das praedir.ari bezüglich jenes

Creationsprocesses (Anin. 294 ff. u. 312) entweder das Geformte (malerialum)

oder die Form (/orma) mit dem Gallungsstoffe (maleria) in

eine Beziehung setzt; natürlich aber ist nur letzleres beides dasjenige,

worüber („de quo") das Urtheil handelt, und in solcher Bedeutung ist

praedicari so viel als esse, so dass , insoferne wir nu/ in Worten Urtheile

aussprechen können, es der Modalität der Ausdrucksweise anheim

fällt, wenn ein Urlheil bejahend oder ein anderes verneinend u. dgl.

ist318). Auch trifft ja jene doppelle Beziehung, welche in den Urtheilen

dictio, quae plurium significaliva es t. secundum id, quod ex eis unus inlellectus procedat.

S. Boelh, p. 335. (d. h. Aristoteles, s. Abschn. IV, Anm. 185 ff.).

317) Ebend. p. 238. : Sunt igilur verum ac falsum nomina intellecluum, vcluti

cum dicimus ,,intellectus verus et falsus", h. e. habitus de eo , quod in re est vel

non est, quos quidem intellectus in animo audientis prolala proposilio yenerat

Sunt rursus vervm ac falsum nomina proposilionum, ut cum dicimus „propositio vera

vel falsa", i. e. verum vel falsum intellvctum generans. Siynißcant proposiliones idem,

quod in re est vel quod in re non est; sicut enim nominum et verborum duplex ad

rem et ad intellectum significatio, ila etiam propositiones, quae ex ipfis componunlur,

duplicem ex ipsis significationem conlrahunt , unam quidem de intelleclibus , aliam

vero de rebus Palet insupcr adeo , per propositiones de rcbns ipsis, non de mtellectibus

nos agere. p. 240 f.: Kestal ilaque, ut de solis rebus, ul dictum est,

propositiones agant, sive idem de rebus, quod in re est, enunlienl, ut „homo est

itnimal , homo non est lapis", sive id, quod in re non est, proponant, ut ,,homo

non est animal, homo est lapis", ut etiam de significalione reali proposilionis , non

tantum de inlellectuali , supraposila propositionis definilio (Boeth. p. 291.) possit

exponi sie ,,significans verum vel falsum, i. e. dicens illud, quod est in re vel quod

non est in re", et in hac quidem significalione verum et falsum nomina sunt earum

existentiarum rerum, quas ipsae propositiones loquuntur. Cum autem eandem de-

/initionem el de inlellectibus ipsis hoc modo exponimus „significans verum vel falsum,

4. e. generans secundum invenlionem suam de rebus, de quibtts agitur , verum vel

falsum intellectum", lunc quidem ipsos nominal intelleclus. Nola aulem, sive de in

lellectibus sive de rerum exislentiis exponamus, oratimis praemissionem necessariam

esse. Die Quelle bievon b. Boelh. p. 321. Vgl. auch Anm. 347.

318) Ebend. p. 367.: Tribus autem modis ,,praedicari" sumilur, uno quidem

secundum enuntiationem vocabulorum ad se invicem in conulructione , duobus vero

secundum rerum ad se inhaerentiam , aut cum videlicet in essentia cohaeret sicul

materia materiato, aut cum alterum allen secundum adiacentiam adhacret ut forma

materiae. Ac secundum quidem enuntiationem omnis enuntiatio .... praedicatum el

subiectum habere dicitur Sed non de his in propositione agitur, sed de praedicatione

tantum rerum, illa scilicet solum, quae in essentia, quae verbo substantivo

exprimitur, comistat Tantum itaque '.praedicari" illud accipimus , quantum si

„hoc illud esse" dicercmus , tanlum per ,,removeri", quantum per „non esse"

Cum üaque per „praedicari" „esse" accipiamus, superflue vel ,,vere" vel „affirma

tive" apponitur; quod enim est aliquid, vere est illud, affirmative aulem enuntia

184 XIV. Abälard.

enthalten sein kann, mit der alten Unterscheidung zwischen „de subieclo"

und „in subieclo" (s. Alischn. XII, Anm. 92) zusammen, und das

Gesetz der Aussage (lex praedicamenti) hat seinen Wirkungskreis in

eben jenen zwei realen Bedeutungen des Urtheiles 319).

Hiemit ist uns nun obige (Anm. 272 ff.) Gliederung der Dialektik

Abälard's erst völlig versländlich. Im sermo , d. h. im Urtheile, liegt

Alles. Hiefür aber sind die Universalien die gebornen, im Creationsprocesse

entstandenen PrSdieate, welche das Denken platonisch erfassl

und im Urlheile aristotelisch als Universalien ausspricht, daher ja Abä

lard auch das Individuum als sechstes Wort den üblichen fünf noch

beizählte (Anm. 278 ff.),- denn das Individuum als prima subslanlia

(Abschn. XII, Anm. 91) oder, wie es liier auch genannt wird, als

principalis subslanlia, wird eben mit jenem Worte (vox) bezeichnet,

welches der letzten Stufe des Grealions-Processes entspricht320); ferner

aber musste Abälard hiebei, da er den arlmachenden Unterschied nur

als wirksame Kraft, welcher nicht selbst in den Gatlungsstoff eingehe,

betrachtete (Anm. 295), den Namen der Differenz nicht als Subslantivurn

nehmen, wie Wilhelm v. Champeaux gethan hatte (Anm. 108), sondern

konnte den Schwierigkeiten, welche hierüber auch von Anderen erhoben

wurden (Anm. 122) dadurch ausweichen, dass er das die Differenz

bezeichnende Wort als ein von derselben abgeleitetes Adjecliviim —

„sumplum" — erklärte 321). Nach jenen gebornen Prädicaten aber

tionis esl delerminalio , quia tantum in vocibus consistit af/irmalio, sicut et modi

vel determinatiunis apposüio; modus enim vel determinatio (s. Abschn. XII, Anm.

119.) tantum vocmn sunt designativa, quae solae moderanlur vel delerminantur in

enuntiatione positae. S. Anm. 327. u. 375.

319) Glossae in Caleg. p. 579 f.: omnia aut dicunlur de principalibus substantiis

sibi subiectis servata lege praedicamenti .... aut sunt in eis subiectis.

Eine andere Ausdrucksweise hiefür ist (ebend. p. 585 f.) die Unterscheidung zwi

schen praedicari substantialiler und praedicari accidenlaliter (Itwlli. p. 134.), vgl.

Anm. 322.

320) Ebend. p. 584.: species, in quibus continentur principales substantiae

genera et species ordinata post principales substanlias sola dicuntur- secundae

substantiae (u. öfters ebenso), p. 591.: Vere primae substanliae signißcant aliquid

hoc individualc , quia illud , quod signiftcatur a prima subslantia , scilicct quae vox

esl sicut et eonsimilia (so ist nach der Handschrift mit kleiner Aenderung zu lesen,

Cousin gibt Widersinniges), est individuum et unum numero , i. e. parificalum numerali

descriplione , i. e. significalur ab hac voce, quae est individuum et unum

numero.

321) Dialect. p. 456.: De nominibus differentiarum sciendum est, ut non quidem

substantiva, sed sumpta a differentiis snmanlur, posita tarnen loco specierum; oportet

enim in eadem significatione vocabula differenliarum sumi in divisione generis, in qua

signi/icatione ipsa in definitione speciei ponuntur, mm scilicei nomini generali adiacent

(p. 457.) sicut in nostra fixum est sentenlia, nullo modo inier accidentia

differentias admittamus (s. oben Anm. 300 f.); quod aulem Porphyrius per differentias

genus in specifs. dividi dixit, secundum eam dictum esl senlentiam, qua naturam

generalem in species' redigi atque dislribui per susceplionem differentiarum realiter

voluit , aut potius per differentias genus in species dividi voluit , cum earum voca

bula adiuncla nomini generis speciem designant alque dcfinüionem speciei componu.nl,

hoc modo ,,animal aliud rationale, aliud irrationale animal." Ebend. p. 189.: In

iumptis enim non ca, quae ab ipsis nominantur, comparantur, sed tantum formae,

quae per ipsa circa subiecta delcrminanlur ; alioquin et subslanlias ipsas comparari

contingeret , quae a sumptis nominibus nominanlur , ut ab eo quod esl album.

XIV. Abälard. 185

folgen dann in den Kategorien die Dinge selbst, insofern« sie durch

Worte bezeichnet werden — „nalurae , quae vocibus designanlur" —,

und die Kategorien enthalten demnach die Dinge322), wohingegen zu

nächst hierauf die Worte als das Bezeichnende betrachtet werden und

den Uebergang zum Urlhe'ile (sermd) selbst, welches aus ihnen zusammen

gesetzt ist, bilden.

Das Urtheil aber sodann enthält nicht die Dinge, sondern enthält

den Gedanken (inlelleclus) , hingegen handelt es über die Dinge, nicht

aber etwa indem es die Dinge bezeichne, sondern indem es den vom

Denken erfassten Zusammenhang der Dinge mit dem Creationsprocesse

enthält. Während demnach das Aussagen des Seienden (im Urlheile)

nicht selbst ein Seiendes ist, handelt es sich bei dem Aussagen um

einen sachlichen Verhalt, d. h. um das objectiv sachliche Zusammen

hängen des durch das Subjcct und des durch das Prädicat Bezeichne

ten 323). Diese Unterscheidung von „enthalten" und „handeln" bildet

den innersten Kern der Abälard'schen Auffassung bezüglich des Urlheiles

324). Die Aussage hat neinlich allerdings eine sprachliche Seite,

und indem wir Ein und das nemliche Ding mit mehreren Bezeichnungen

im Urtheile benennen (z. B. den Sokrates bald Mensch, bald Körper,

bald Substanz nennen) , liegt eben hierin ein Unterschied zwischen

Sprachausdruck und Realität (vgl. Anm. 312); aber während die Aus

sage (praedicalio) für sich allein in einer Losreissung von der sach

lichen Inhärenz (rerum inhaerentia) durchaus Nichts ist, hat gerade die

Logik die Aufgabe, das Urlheil in diesem Sinne nach der Seite des

Wortausdruckes zu untersuchen326). Die Hauptsache ist ja eben das-

322) Ebend. p. 209. u. 245., welch beide Stellen schon oben, Anm. 272.,

angeführt sind. Hiezu aber p. 220. : Subiectarum vero rerum diversitas secundum

decem praedicamentorum discretionem superius esl ostensa, qua principalis ac quasi

substantialis nomini signißcatio detur ; celerae vero signißcaliones , quae secundum

modos significandi accipiuntur, quaedam posleriores alque accidentales dicunlur. Vgl.

A iini. 319.

323) Ebend. p. 241.: Diqnum aulem inquisitione censemus , utrum Mae existentioe

rerum, quas propositiones loquuntur, sinl aliquae de rebus existentibus

p. 245.: Ciarum itaque ex suprapositis arbiträr esse, res aliquas non esse ea, quae

a propositionibus dicuntur Palet insuper, ea quae propositiones dicunt nullas res

esse , cum videlicel nullt rei praedicatio eorum aplari possit; de quibus cnim dici

polest , quod ipsa sint „Socrates est lapis" vel „Socrales non esl lapis" Esse

autem rem aliquant vel non esse, nulla esl omnino rerum essentia; non ilaque proposiliones

res aliquas desiynant simpliciler quemadmodum nornina. Imo qualiter sese

ad invicem habeant, utrum scilicet sibi conveniant annon, proponunt; quae idcirco

verae sunt, cum üa esl in re sicut emmtianl, tunc autem falsae , cum non est in

re ita; et est profecto ita in re, sicul dicil vera proposilio, sed non est res aliqua,

quod dicit; unde quasi quidam rerum modui habendi se per propositiones cxprimilur,

non res aliquae desifinantur.

324) Nur aus dem Misskennen dieses Unterschiedes floss es, dass Cousin und

mit ihm Hauröau und llernusul. in Abälard's Lehre einen Intellectualismus oder

Conceptualismns erblickten.

325) Dialect. -p. 247 f.: S« quis itaque secundum rerum inhaerentiam realem.

aeceperil praedicationem ac subiectionem , secundum id scilicel , quod unaquaeque res

in se recipit ac subsistit , sicut nihil esse eam videret praeler ipsam, ita eam nilül

esse per se ipsam invenerit. At vero magis praedicationem secundum verba propositionis,

quam secundum rei existentiam , nostrum est attendere, qui logicae deser

t86 XIV. Abälard.

jenige, worüber das Urtheil „handelt"; diess aber ist weder das Wort

noch der Gedanke (inlellucius), denn weder ist durch die Existenz Eines

Wortes die eines anderen Wortes gefordert, noch auch sind die Ge

danken, welche die Urlheile „enthallen", in einer zwingenden gegen

seitigen Verwandtschaft, da wir ja in 'jedem Urlheile nur Einen Ge

danken haben, und die Annahme, dass wir mehrere zugleich hätten,

zu der Consequenz führen würde, dass wir gleichzeitig unendlich viele

Gedanken hätten, indem sachlich in der Thal jeder Zustand unendlich

Vieles in zusammenhängender Folge enthält; hingegen nur in demjenigen,

worüber das Urtheil „handelt", ist der reale Zusammenhang oder jenes

sachliche Sichverhalten (Anm. 323) zu finden und festzuhalten 326) , da

her auch die Modalität der Ausdrucksweise, d. h. ob Bejahung oder

Verneinung oder dgl. (s. Anm. 318), weder in den Worten noch in den

Gedanken liegt, sondern nur auf ihren ohjectiv dinglichen Grund zurück

zuführen ist327).

Ist es aber auf diese Weise dem Abälard beim Urtheile nicht um

den Gedanken (intelleclus), sondern um die faclische Inhärenz im Ding

lichen zu thuri, so verstehen wir nun auch, warum er nach dem Motive

des stoisch-boelhianischen Zusammensetz-Spieles das kategorische Urtheil

nur als Vorstufe des hypothetischen Urlheiles behandelt, in welch letz

teres sich die Topik als Basis der Gellung desselben einschiebt. Das

hypothetische Urtheil als zusammengesetztes hat ja die Rolle, der adä

quate Ausdruck des Zusammenhanges zu sein , und dieser wird durch

Schlüsse, vorausgesetzt dass die Prämissen für den Hörer eine Geltung

der redenden Aussage haben, in dem Verfahren der Argumentation klar

gemacht. D. h. dasjenige, was der denkende Mensch in platonischer

Weise erfasst und durch das Urtheil in aristotelischer Weise ausspricht,

soll nun in rhelorisch-ciceronischer Weise zur Argumentation verwerthet

werden. Auch in der Argumentation nemlich, — wie polemisch gegen

Andere bemerkt wird, s. Anm. 225 — , handelt es sich nicht um die

Gedanken (intellectus), sondern um das Nemliche, worüber die Urtheile,

aus welchen sie besteht, handeln, nur mit dem Unterschiede, dass hier

vimus , st!r.ui><tii>n quod quidem de eodem diversas facinms eyuntialiones hoc modo

„Socrales esl Sorrates vel homo vel corpus vel subslanlia" ; aliud enim in nomine

Socratis quam in nomine hominis vel ccteris inlellitjilur , sed non esl alia res unius

nominis , quod Socrali inhaerel , quam altcrius. Hiezu obige Stelle Anm. 255.

326) Ebend. p. 352 f.: Neque enim veram hanc consequenliam ,,si esl homo,

est animal" de vocibus agenlem possumus accipere sive diclionibus sive proposilionibus

; falsum esl enim, ul, st haec vox „homo" exislal, haec quoque sil quae esl

,, animal" ; ac similiter de enunlialionibus sive. earum inlelleclibus. Neque enim

necesse esl, ul qui inlelleclum praecedenti proposilione generalum habel, habeal quo

que inlellcclum ex consequenli conceplum; nulli enim diversi inlelleclus ila sunl af

fines, ul allcrum eum altcro necesse sil haberi, imo nullos inlelleclus simul diversos

animam relinere, ex propria quisque discrelione conviceril , sed lolam singulis in

lelleclibus, dum eos habel, vacare inveneril; quod si quis essenliam inlellecluum ad

se sequi sicul essenliam rerum, ex quibus habenlur inlelleclus, concesseril, prafecto

quemlibel inlelligenlem infinilos inlelleclus habere concederet secundum id scilicet, quod

quaelibel propositio innumerabilia consequenlia habel Ul igilur veritatem conseculionis

leneamus, de rebus lanlum eam agere concedamus et in rerum natura rcgulas

anlecedenlis ac consequenlis accipiamus. »

327) Ebend. p. 404., welche Stelle schon oben, Anm. 208., angeführt ist.

XIV. Abälard. 187

die Subsumplion (inferentia) es ist, durch welche der in dem sachli

chen Bestände vorliegende nolhwendige Zusammenhang (necessitai) im

Schliessen ausgedrückt wird 328), und Ahülard glaubt es kaum oft genug

hervorheben zu können, dass die Abfolge zwischen „antecedens" und

„consequens" (s. Abschri. XII, Anm. 144) niohl im Gedanken, sondern

lediglich factisch in der geschaffenen Natur und der realen Grundlage

aller Urtheile selbst schon vorliege329), daher er auch jener anderen

Einseiligkeit, welche wir oben (Anm. 215) trafen, schrolF die Auffassung

gegenüberstellt, dass die Modalität der Urtheile auch bezüglich der Be

griffe des Möglichen und Notwendigen (ebenso wie oben Anm. 327)

auf eine dingliche Modificalion des Seins zu begründen sei 33°).

So glauben wir nun durch das Bisherige über Wesen, Princip und

Durchführung der Dialektik Abälard's eine richtige Einsicht gewonnen

zu haben, für welche wir selbst, falls es nölhig wäre, ein von einem

Zeitgenossen herrührendes Epitaphium Ahälard's331) als äusserlichen

Beleg benutzen könnten. Allerdings ist es kein aristotelischer Geist,

welcher uns in dieser Dialektik entgegenwellt, sondern weil eher ver

spüren wir den verpestenden Einfluss des Stoicismus (s. Abschn. VI,

Anm. 47—56), welcher sich in die Schriften des Boethius hineinge

zogen hatte; denn jene Verbindung eines rohen Empirismus mit dem

328) Ebeud. p. 426 f.: Dicuntur in argumentis ea, quae a propositionibus

ipsis signiftcantur, ipsi quidem inlellectut, , ut quibusdam placel. quorum conceptio

sine etiam vocis prolatione ad concessfionem alterius ipsum cogit dubitanlem , unde et

bene ralionis nomen in praemissa definitione («l. h. in der ciceronischen, s. Abschn.

XII, Anm. 165.) dicunt apponi, ralio cnim nomen cst inlellectus , qui in anima esl.

Sed si divisionis terba allendamus, potius argumcnlum accipicndum erit in designatione

eorum, quae a propositionibus dicnntur, quam eorum intellectuum, qui ab ipsis generantur

Neque enim in propositione quidquam de iiitrlhrii/ dicilur , sed cum

de rebus agitur, per ipsam inlellectus generatur, qui ncque in sua essentia necessitatem

lenet neque inferentiam ad allerum Unde potius de his, quae propositiones

ipsae dicunt, supraposita deßnilio accipienda esl.

329) Introd. ad theol. III, p. 1134.: Ex quo apparet, quam venan sit, —

in illa philosophorum regula, cuius possibile esl antecedens et consequens, eos ad

crealurarum tantum nomen accommodare. Dialect. p. 239 f. : Ex his itaque' manifeslum

est, in consequentiis per propositiones de earum inlelleclibus agendum non

esse, sed magis de essentia rerum Et in hac quidem significalione eorum, quae

propositiones loquuntur , una tarnen regula exponilur, quae all , posito anlecedenti

poni quodlibet consequens eius ipsius, h. e. existente aliqua anlecedenti rerum essen

tia nccesse est existere quamlibet rerum existentiam consequentem ad ipsam. Ebend.

p. 351. : Si <i>iis ilaque vocum imposilioncm recte pensaverit, cnuntiationum quarumlibet

vcritatem facilius deliberaveril et rerum conseculionis necessitatem velocius animadverterit.

Ebenso p. 343 f. u. p. 382.

330) Dialect. p. 270.: Vnde oportet, ut reclae sint modales, ut etiam de rebus

sictit simplices agant et Im n r quidem de possibili et impossibili et nccessario, quod

quidem tarn in his , quae sinijulare subieclum habenl , quam in his , quae universale,

licet inspicere. S. Anm. 379.

331) Aus Rawlinson angeführt bei Re'musat II, p. 104.: Hie docuit voces cum

rebus significare, Et docuit voces res signißcando notarf, Errores generum correxil,

ita specie-rum ; Hie genus et species in sola voce locavil , El gcnus et species sermones

esse nolavit; Siynißcativum quid sil (diess nemlich ist das Unheil, s. Anm.

315.), quid significatum, Kignificans quid sit (diess ist das einzelne Wort), prudens

diversificavit ; Hie quid res cssent, quid voces signiftcarent , Lucidius reliquis patcfecil

in arte peritis; Sie animal nullumque animal genus esse probatur, Sie et homo

et nullus homo species vocitatw.

188 XIV. AbSlard.

formalen Motive des fortschreitenden Zusammensetzet» und mit dem

rhetorischen Interesse der Argumentation tritt gerade da , wo Abälard

überall die logischen Momente an die faktische Sachlage der Dinge

veräussert, an die Stelle einer dem deflatorischen Wissen wahrhaft

dienenden Syllogistik, und im innersten Kerne ist Abälard bezüglich

der Logik weit, mehr ein rhetorischer Theoretiker der Argumentation,

als etwa ein Platoniker oder- Aristoteliker. Jedoch er ist vielfach ent

schuldbar, da er ja von den Hauptwerken des Aristoteles nur etliche

zerstreute Einzelnheiten vom hlossen Hörensagen kannte (Anm. 8—18),

und insbesondere darum, weil die unvernünftige Anordnung der Theile

des Organons sowie die porphyrianischen Anschauungen des Boelhius

eine schiefe oder zwiespaltige Auffassung hervorrufen mussten. Es

rächt sich bei Ahälard und vielleicht bei all seinen Zeitgenossen, dass

einerseits die Isagoge und die Kategorien dem Platonismus näher stehen

und andrerseits zugleich das hernach Folgende den Aristotelismus ent

hält; und ausserdem mochte Abälard durch seine persönliche Begabung

selbst über ein tieferes Erfassen dieser Gegensätze hinausgehoben und

zu einem Rhetorismus hingelrieben sein. Es scheint, dass Abälard, wenn

er in jenen späteren Jahrhunderten gelebt hätte, wohl sicher ein An

hänger des Petrus Raums gewesen wäre.

Es ist uns nun aber noch übrig, Abälard's Entwicklung der Dia

lektik auch durch die einzelnen Theile derselben zu verfolgen, wobei

uns derselbe in gleiche Linie mit den obigen, ihren Namen nach unbe

kannten Urhebern der dort erwähnten einzelnen Conlroversen tritt.

Nach Abälard's eigener Eintheilung (Anm. 272 ff.) folgt nun, nach

dem die Ergänzung des Inhaltes der Antepraedicamenla uns zu den all

gemeineren und principielleren Erörterungen geführt halte, der zweite

Abschnitt des ersten Haupttheiles, nemlich die Praedica men la,

wobei selbstverständlicher Weise Boelhius zu Grunde gelegt ist und

Schritt für Schritt begleitet wird. Die Begriffe des untiocum u. dgl.

fallen nach Obigem (Anm. 312 u. 325) natürlich nur der sprachlichen

Seite anheim332). Die Kategorie der substantia, welche anderwärts

im Anschlüsse an Ps.-Boeth. de Irin, auch als subsistenlia gefassl wird 333),

erhält ihre Besprechung durchgängig im vollständigsten Anschlüsse an

ßoethius 334). Ausführlicher wird die Quantität erörtert, obwohl hiebei

Abälard auf die Erörterungen Anderer sich stützen mussle, da er nach

seinem eigenen Geständnisse in der Arithmetik unwissend war335); er

stimmt denjenigen bei, welche (vgl. Anm. 109 u. 127) der Ansicht

waren, dass die Linie aus Punkten bestehe336), und hält bezüglich des

332) So gelegentlich • Dialect. p. 480.: Hoc itaque nomen, quod cst aequivocum

sive univocum ex vocabulis tantum in rebus contingil.

333) Introd. ad Iheol. II, p. 1071.: linde cl substantiae quasi subsistentiae

esse dictae sunt, et celcris rebus, quae ei assislunt el non per se subsislunl, naturaliter

priores sunt.

334) Dialect. p. 173—178. (Der Text der Handschrift beginnt überhaupt erst

in Mitte der Kategorie subslantia , d. h. bei Boelh. p. 133.)

335) Ebend. p. 182.: Elsi multas ab arit/imeticis soluliones audierim, nullam

tarnen a me praeferendam iudico, quia eius arlis t#narum umnino me cognosco.

336) Ebend.: Talern 'intern, memini, rationem magislri nostri sententia praeten

XIV. Abälard. 189

Zahlbegrill'es an der durch den Creations-Process bedingten natürlichen

Einheit fest (Anin. 304), wornach im Gegensatze gegen obige Meinungen

Anderer (Anm. 199 f.) hier die Particularilät der Einzelnheit die reali

stische Grundlage bildet, so dass einerseits „Zahl überhaupt" schon die

Pluralität enthält und gleichbedeutend mit „Einheiten" ist, und andrer

seits die bestimmten verschiedenen Zahlen als Substantive die Bezeich

nungen für verschiedene colleclive höhere Einheiten sind, vergleichbar

dem collectiven Verfahren, durch welches wir die Dinge nach verschie

denen Gesichtspunkten in Arten oder Unterarten oder sonstige Gruppen

bringen 337). Insoweit dort auch die menschliche Rede als ein Quan

titatives zu erörtern ist, bestreilet Abälard obige Einseiligkeil, wornach

die Luft für das Significante gehalten wurde (Anm. 203), und indem

er dem Schalle diese Function zuweist, sucht er diese Ansicht durch

Auctoritäten zu stützen338). Unmittelbar nach der Quantität aber reiht

er die Kategorien übt und quando ein, da dieselben von Natur aus in

ihrem Ursprünge, mit den in der Quantität erörterten Begriffen des Ortes

und der Zeit verbunden seien339), und während er so diese beiden

Kategorien , auch z. B. mit Einschluss des Begriffes „Gestern" 34°),

realistisch fasst, gelangt er wegen des „im Orte Seins" und des „in

der Zeit Seins" auf die verschiedenen Bedeutungen des „inesse" 341)>

! , ul ex punclis lineam constare convinceretur (p. 183.) Alioquin supraposila

magistri senlenlia, cui et noslra consenlil, etc.

337) p. 186.: numerus semper in nalura discretionem habet, qui solam unitulis

parlicularilatem requiril Nomen numeri plurale simpliciter videlur alque idem

cum eo, quod esl unitates .... p. 189.: Unde opportunius nobü videtur, ut , sicut

supra tetigimus , numeri nomen subslanlivum lanlum sit ac parliculare unitalis atque

idem in signißcatione quod unitates, binarius vero vel ternarius ceteraque numerorum

nomina inferiora sunl ipsius pluralis , sicut homines vel equi ad animalia aut albi

homines et nigri vil tres vel quinque homines ad homines. El fortasse quoniam

unmia Substantive numerorum nomina in unilatibus ipsis pluraliter accipiuntur, omnia

eiusdem singularis pluralia poterunt dici secvndum hoc scilicet, quod diversas unilatum

collectiones demonstrant (vgl. Aum. 307.). Numerus quidem simplex metiatur

plurale , alia vero secundum certas collectiones determinata. Hierauf folgt dann die

oben, Anm. 199., angeführte Stelle. Vgl. auch p. 421.: Haec enim unitas hominis

Parisiis habitantis et illa hominis Romae manentis hunc faciunt binarium, unde sola

unitatum pluralüas numermn perßcil; ebenso p. 486.

338) p. 190. : JVos autem ipsum proprie sonum audiri ac signiftcare concedimus

p. 192.: unde et J'riscianus (Inst. gr. l, 1) ait, vocem ipsam längere auram,

dum auditur, ac rursus ipse Boethius (de Musica , p. 1071.) lotam vocem ad

aures diversorum simul venire perhibet, worauf noch in folgender auffallender Form

auf Auguslin und Boethius verwiesen wird (p. 193.): ipsum etiam Auguslinum in

Calegoriis suis äsierunt dixisse , und etiam ßoelhius dicitur in libro musicae artis

adhibuisse.

339) p. 195. : Bactenus de quanlitatc dispulalionem habuimus. Nunc ad traclatum

praedicameulorum rcliquorum operam transferamus, eaque post quanlitalem exscquamur,

quae ei naluralilcr adiuncta videntur ac quodammodo ex ea originem ducere

ac nasci; haec autem ,, quando" et ,,ubi" nominibus Aristoteles designal, quorum

quidem alterum ex tempore alterum ex loco duxit exordium.

340) p. 196., s. oben Anm. 196.

341) p. 197.: Quum autem et „quando" in tempore esse et „ubi" in loco esse

delerminamus , non incommode hoc loco demonstrabimus , quot modis esse in aliquo

accipimus; Boethius aultm in editione prima super Categorias novem computat (folgt

nun die Aufzählung derselben aus Boeth. p. 121., s. Abschn. XII, Anm. 92.; Cousin

nimmt Anstoss, weil er diese Stelle des Boethius nicht fand!).

\,

190 XIV. Abälard.

sucht aber im Gegensatze gegen obige Bedenken Anderer (Anm. 194),

welche die Analogie des Fragewortes „qualiler" beizogen, jene das

inesse betreuenden Ausdrucksweisen dem grammatischen Sprachgebrauche

zuzuweisen342), hingegen jene zwei Kategorien als solche dadurch zu

rechtfertigen, dass in ihnen eine Vergleichung möglich sei, sie daher

nicht auf die Quantität, welche eine Vergleichung ausschliessl, zurück

geführt werden dürfen343), woran sich übrigens noch die Klage an

knüpft, dass Aristoteles die letzten sechs Kategorien überhaupt so karg

behandelt habe 344). In der Controverse über die Relation (ob. Anna.

192) entscheidet sich Abälard schliesslich für die Auctoritüt der aristo

telischen Definition345), sowie in der Frage über die Stellung der Begrifl'e

des Aehnlichen und Gleichen (Anm. 193) dafür, dass dieselben

zur Qualität gehören 34°).

Die Poslpr aedicamenla sodann als dritter Abschnitt des Liber

parlium enthalten, wie wir sahen (Anm. 272), die Erörterung über

Nomen und Verbum, insoferne dieselben die Bezeichnungsweisea der

Dinge sind und als Theile betrachtet werden, aus welchen das Urlheil

als Ganzes zusammengesetzt ist. Die von uns im Obigen entwickelte

Ansicht Abälard's über den Begriff der Bezeichnung (significari oder

342) p. 200.: St quis autem ,,qualiter" dicat nihil aliud quam qualitatem

demonstrare, et ,,ubi" dicemus nihil aliud quam locum designare vel „quando"

nihil aliud quam tempus ; unde et earum definitiones recte vel ,,in luco esse" vel

,,in (empöre esse" dicimus , quae, si grammaticae proprietatem insistamus , nihil

aliud a loco vel tempore diversum ostendunt Videntur itaque magis pro nominibus

accipienda esse „esse in loco" vel ,,esse in tempore", quam pro definilionibus.

343) Ebend.: Haec autem generalif,sima ipsa, ut arbiträr, comparationis necessitas

meditari eompulit ; cum enim quanlilates non comparari constaret (Boeth. p.

154), non poteramus comparalioncm „diu" vel „diuturni" vel „extra" ad tempus

vel locum reducere, indeque maxime inveniri praedicamenta arbiträr, ad quae Ma

reducantur.

344) Ebend.: Ac de his quidem praedicamentis difficile est perlraetare, quontm

doctrinam ex auctoritate non liabemus , sed numerum tanlum; ipse enim Aristoteles

in tota praedicamentorum Serie sui studii operam nonnisi quatuor praedicamenlis

adhibuil, subslantiae scilicel, quantitali, ad aliquid, qualitati; de facere autem vel

pati nihil aliud damit, nisi quod contrarielalem et comparationem suiciperent

de reliquis aulem quatuor, quando scilicet, übt, situ, habere, eo quod manifesla

sunt, nihil praeler excmpla posuit De itbi quidem ac quando ipso quoque altestanle

Boelhio (p. 190.) in Physicis de omnibusque altius subtiliusque in his libris,

quos Metaphysica vocal, exsequitur , quae quidem opera ipsius nullus adhuc translator

latinae linguae apluvit , ideoque minus natura horum nobis est cognila. Vgl.

obige Anm. 18., woselbst wir schon auf die durch Gilbertus Porretanus später

beigebrachte Ergänzung hinweisen mussten, s. unten Anm. 488 ff.

345) p. 204.: Aristoteles de imper/ectione restriclionis sicut Plato de acceplatione

niniiae largilatis culpabilis vidctur ; uterque enim modum excesseril, atque hie

quasi prodigus, illa tanquam avarus redarguendus. S?d et si Arislotelem peripattticorum

principem culpare praesumamus, quem amplius in hac arte recipiemus ? Üicamus

itaque, omni ac soll relationi eius diffinüionem convenire etc.

346) p. 208.: At vero cum simililudo relalionibus aggreijetur (Koeth. p. 157.),

non videtur secundum solas qualilates simile dici His autem, qui simile ac

dissimile inier qualilales compulant (Boeth. p. 187.), monstrari polest, res quaslibtt

in eo, quod dissimites sunt, esse similes .... At fortasse non impedit , si in eo,

quod dissimilitudinem participant, similes invenianlur (d. h. er hält sich an die

letztere Stelle des Boetuins).

XIV. Abälard. 191

significatio) führt ihn hier dazu, seine Uebereinstimmung mit jenem

Garuiundus (Anm. 82) auszusprechen, welcher als gemässigter Nomi

nalist in dem begrifflichen Gehalte des Wortes, nicht im Worte als

solchem, das Wesen der Bezeichnung erblickte; eine Auffassung, welche

Abälard durch Stellen des Boethius bestätigt findet347). In dem Streite,

ob die Präpositionen und Conjunctionen als Redetheile zu betrachten

seien (Anm. 206), sucht er eine Vermilllung zwischen den einseitigen

Standpunkten der Grammatiker und der Dialektiker herzustellen, indem

er jenen Redetheilen wohl die Fähigkeit des Bezeichnens zuschreibt,

aber dieselbe in der nemlichen Weise wie den Modus der Aussage

(Anm. 327 u. 330) auf eine dingliche Modification zurückführt348), wo

durch, wie man sieht, auch nach Abälard's Ansicht die sog. Syncategoreumata

(s. Anm. 174 u. 206) folgerichtig Bi der Logik irgendwo

ihre Stelle linden müssten. In allem Uebrigen aber schliesst er sich

enge an Boelhius an und sucht Bedenken, welche von Anderen erhoben

wurden, zu widerlegen341'), wozu ihm sowohl bezüglich der Urtheile,

welche nicht die factische Existenz ihres Subjectes enthalten (Anm. 211),

Gelegenheit geboten war350), als auch insbesondere bei dem sog. un

bestimmten Urtheile (Anm. 214), betreffs dessen er theils den techni

schen Sprachgebrauch zu begründen versuchte351), theils die Leistung

des Boethius rechtfertigte 352).

347) p. 210., woselbst unmittelbar auf obige Worte (Anm. 82.) folgt: Unde

manifeslum esl , eos velle vocabula non omnia illa siynißcare , quae norninant (dass

z. B. animal nicht sofort schon homo „bezeichne"), sed ea tanlum, quae deßnite

desiynant, ut animal scilicet animal sensibile aut album albedinem, quae semper in

ipsis denotantur. Quorum sententiam ipse commendare Boethius (p. 639.) videtur,

mm ail in divisione vocis ,,vocis autem in proprias significaliones divisio fit etc."

(p. 211.) Si tarnen ,,signißcare" proprie ac semndum rectam et propriam eius

diffinitionem signamus , non alias res signißcare dicemus, nisi quae per vocem concipiuntur.

Vgl. Anm. 317.

348) p. 217.: lila ergo mihi senlentia praelucere videlur, ut grammaticis con

senlicntes , qui etiam logicac deserviunl, has quoque per se significativas esse conßtearnur,

sed in eo signißcalionem earum esse dicamus, quod quasdam proprielales

circa res eorum vocabulorum , quibus apponuntur praepositiones , quodammodo determinenl

Coniumtiones quoque, dam quidem rerum demonslrant coniunctionem,

quandam circa eas detenninant proprietalem.

349) Z. B. p. 219., wo gegenüber dem oben, Anm. 210., erwähnten Ein

wände bemerkt wird: Yerum ipse verbo deceplus erat ac pravc id cepcral, verbum

dicere rem suarn inliaerere.

350) p. 224.: Sed ad hoc, memini, ut magistri noslri scntenliam defenderem,

respondere solebam, Homeri et poetae nomen, si per se intelligantur , Hmierum designare

, unde bcne denegetur simpliciter Homerum esse, qui iam defunclus est; at

vero .... Iota magis orationis sententia inlelligenda. Dasselbe wiederholt er in der

Lehre vom Urtheile p. 251.

351) p. 220.: Est autem causa vocabuli „infinitum" non tarn ad significationem

reducenda, crnn scilicet nee solis nee omnibus infinitis mdeatur conveiiirc, quam ad

quandam impouentis institutionem p. 221.: Patel, infiniti difßnilionem non esse,

quod infinita continel , sed causam potius esse novae transpositionis et impositionis

nominis. S. Boelh. p. 311 f.

352) p. 225 f.: Si sensum exsequamur, inßnüationis quoque proprietas in

oratione quoque imenielur , et quaecunque sub ßnita non conlinentur, sub inßnita

eadem possunl ; ut, cum verum sit, Socratem non esse album asinum, veram quo

que el eam concedimus „Soerates est non albus asinus", ita quidem, ut non solum

192 XIV. Abälard.

Insoferne aber auf dein Inhalte des Liber partium, d. h. auf der

Auffassung der Universalien , der Kategorien und der Bezeichnungskraft

des Wortes , auch hei Ahälard ebenso wie bei Boelhius die Lehre von

der Einteilung und der Definition beruht, so reihen wir hier jene an

dere Schrift des Abälard, welche mit der „Dialeclica" nicht in Einem

Faden zusammenhängt (s. Anm. 277), ein. Im Liber Divisionum

ncmlich, woselbst Abälard nach des Boelhius Standpunkt Einlheilung

und Definition als Eine gemeinschaftliche Disciplin nimmt und der ers le

ren nur die Stellung einer vorbereitenden Manipulation für die letztere

anweist, dabei aber auch sein eigenes Verdienst in Bearbeitung dieses

Zweiges zu erwähnen nichl vergisst 353), schliesst er sich zunächst,

auch schon in der Aufzählung der sechs Methoden der Eintheilung

(Abschn. XII, Anm. 96}-, ganz an Boethius an354), aber bei der Ein

lheilung der Galtung in die Arien bekämpft er die Ansicht der Realisten,

welche an dein Verfahren der platonischen Dicholomie festhaken zu

müssen glaublen (Anm. 118); denn dasselbe könne keine Anwendung

auf die Kalegorie der Relalion linden, da, wenn es zwei Arten des

Relativen gäbe, diese weder auf eine oberste Gattung des Relativen

bezogen werden könnfen, — indem sie als relative dann gleichzeitig

mit der Gallung als ihrem Correlalum sein müsslen, was aber bei Gat

tung und Art nicht der Fall ist — , noch aber auch auf Unterarten,

indem jede derselben entweder auf ihre eigenen Unterarten zu beziehen

wäre — was zum neinlichen Widerspruche führen würde — , oder

auf die Unterarten der ihr coordinirten z weilen Species, wodurch, da

diess wechselseitig geschehen müssle, die Unterordnung zwischen Oberund

Unier-Arten in Verwirrung komme355). Bei der Eintheilung des

ullium inßnitelur et asinus remancat, ac si ila dicatur ,,esl asinus non albus", sed

ut tola simul oratio ,, albus asinus" negalione excludatur (es erinnert diess an obigen

— Anm. 113. — -rälhselhaften Syllogismus vom „grandis asinus"); alioquin magis

itna dictionum tanlum inßnitarelur.

353) p. 450.: Dividendi seu difßnicndi peritiam .... multorum auctoritas traclat;

quorum non quidem aimulatorcs non ingrati eorumque vesligia sludiose ampleclentes

ad tuam , fraler, imo ad fommunem omnium utililalem in eisdem desudare

compellimur. Non enim tanta fuil anliquorum scriplorum perfectio, ut non et nostro

doctrina indigeat Studio, nee tanlum in nobis mortalibus scicnlia polest crescere, ut

non ultro possil augmentum rccipere. Quoniam vero divisiones diffinitionibus naturaliler

priores sunl, quippe ex ipsis conslilutionis suae originem ducunl, in ipso quoque

traclalu divisiones merito priorem locum obtinebunt, difßnitiones vero posteriorem.

354) p. 452 ff.

355) p. 458.: Si autem genus semper vel in proximas species vel in proximas

differentias divideretur, omnis divisio generis, sicut Boelhio (p. 643, s. Abschn. ' XII,

Anm. 98.) placuit , bimembris esset Hoc aulem ad eam philosophicam sententiam

respicit, quae res ipsas , non lantum voccs , genera et species esse con/itetur.

Sed ad haec, memmi, obiectionem de relalione tiabebam; si enim in omnibus id

conligit generibus, ut duabus proximis speciebus conlineanlur, ulique et ,,ad aliquid"

duabus proximis speciebus comprehendilur, quibus sufficienter dividitur ; licet enim

earum nomina non habeamus, in natura tarnen rerum non minus consislunt. Sed ad

supremum genus non possunt re/'erri; quippe id, quod omnibus relalivis prius et

genus omnium est , simul cum ipsis non esl , unde nee relativum est ad eas, omnia

enim ad aliquid simul esse nalura, Aristoteles in praedicamentis docuit; ex eo quoque

ad ipsum referri non possunt duae Mae species Sed nee ad subieclas

species referri possunI; si enim aliqua illarum specierum ad inferiores specierum ad

XIV. Abälard. 193

Ganzen in seine Bestandteile trat Abälard in der Frage, was die ur

sprünglichen Theile (partes printipales) seien, den beiden oben (Anm.

125) erwähnten einseitigen Annahmen Anderer dadurch gegenüber,

dass er jene Bestandllieile als die wesentlichen bezeichnete, deren Zu

sammenfügung unmittelbar das Ganze constituirt. also z. B. Grundmauer

Wände und Dach bei dem Hause, d. h. er legte dabei die Verwirkli

chung des Wesens des Ganzen zu Grunde356), sowie er auch bezüglich

der Theile der Zeit (s. Anm. 202) sich dafür entschied, dass das

aus snccessiven Theilen bestellende Ganze nicht sachlich objectiv ein

Ganzes sei, sondern nur gleichsam als Ganzes oder Eines (quasi unum,

quasi tolum) durch die Betrachtung aufgefasst werde 35T). Er unter

scheidet aber auch im Anschlüsse an Boethius (Abschn. XII, Anm. 97)

die Eintheilung der Gattung von der Eintheilung des Ganzen derartig,

dass, da die Theile der Stoff des Ganzen sind und die Gattung der

Stoff der Arien ist, die erstere Eintheilung eine Zerlegung in das Spä

tere, die letztere aber eine Theilung in das Frühere sei 358). Bei der

Eintheilung des Wortes in seine Bedeutung (Abschn. Xll, Anm. 101)

reducirt er die auf die Modalität des Wortes bezügliche in gleicher Weise

wie oben, Anm. 348, auf dingliche Modifikationen 359) ; seine Ansicht

aliquid referalur , itaque vel ad sibi suppositam vel ad suppositam altert; scd ad

suppositam sibi non polest, cum prior in natura sit ut genus ; quodsi haec ad speciem

illi suppostlam et Ma ad speciem isli suppositam referatur, necesse est, allerem

ulttra priorem et posleriorem esse in nalura (p. 460.) JVora poterat (so oder

ähnlich ist zu lesen statt des sinnlosen JVo(a) itaque huius praedicamenti generalissimum

duabus contineri speciebus ; aitl nos itaque in his ultra quam oportcat sub

tiles stimus , aut , si auctorilatem salvam conservemus, non ad omnium praedicamentorum

genera respexil.

356) p. 468. : de principalitate partitim — quid nostro praeluceal arbilrio, supponamus.

Principales ilaque partes nobis appellari videnlur, quarum ad se coniunctionem

tolius perfectio stalim subsequilur, ut tecto et fundamento et pariete coniv.

nr.li s domus stalim perßcitur, sed non ita eorum partibus compositis; elsi enim

(so ist zu lesen für non) in lecto omnes partes eius iam sinl disposilae ac simililer

in pariete et fundamento, deest tarnen ad perfectionem domus compositorum , et parietis

et tecti et fundamenti, ad se invicem coniunctio, quorum quidem c.onvenlus

domus perfectionem stalim reddit.

357) p. 469.: Horum enim lotorum existenliam, quae partes permanentes non

habent, ut in orationibus et lemporibus conlingil, non possumus secundum omnes

partes simul accipere, quippe cum ipsae simul nunquam sinl, sed sibi succedanl,

unde tanlum secundum partium ipsarum existentiam lotorum dimelimur essenliam ....

(p. 470.) Sed si rei veritatem eonßteamnr , nunquam proprie ista partibus constare

conligerit Oportel ista lala, non esse confiteri, sed tarnen quasi de totis philosophos

de eis egisse secundum hoc scilicet, quod ea, quae praeterila eranl vel fulura

erunt (dieses Wort fehlt in d. Handschr.), cum eo, quod praesenlialiter est, consideralione

quasi unum colligebanl .... Quae ilaque in re Iota non sunt, secundum

tarnen eorum eonsiderationem quasi Iota accipiunlur.

358) p. 485.: Genus omne naturaliter prius est suis speciebus, totum vero

posterius fartibus, sive illae natura lantum sive tempore compositionem tolius praecedant;

quod enim in materia rei collocatur natura, necesse esl praecedere id, quod

ex eo efficitur ; parles aulem lotius materia sunt, genus vero specierum; unde fil,

ut genus in posttriora distribuatur , tolum vero in priora dividalur. Theol. Christ.

IV, p. 1293.: Vars aulem teste Boethio (p. 640.) prior est ab eo , cuius pars est,

et eo eius constilutiva divisio in priora ftl, sicul generis in posleriora. Ebenso

«>hcnd. p. 1262.

359) üialect. p. 481 f.: At quoniam vocis in signißcationes omnem divisionem

PRAHTL, Gesch. II. 13

194 XIV. Abälard.

über die Frage, ob ein Wort auch seine Buchstaben bezeichnen könne,

wurde schon oben, Anin. 204, angeführt. In der hierauf folgenden

Lehre von der Definition 36°) gibt er eine commentirende Umschreibung

des Boethius 361), wobei er Gelegenheil hat, jene Meinung, dass die

Definition nur auf die Qualitäten sich beziehe (Anm. 123), dadurch zu

modificiren, dass allerdings die Namenbezeichnung schon für sich mehr

das substantielle Wesen enthalte (Anm. 317 u. 347), hingegen die An

gabe der Eigenschaften durch den artmachenden Unterschied auch ihrer

seits auf den formbildenden Process der Substanz (Anm. 294 ff.) ein

gehe, und so Beides ineinander übergreife 3B2). Auch jene andere

Schwierigkeit, welche die Deßnition der Qualitäten selbst betraf (Anm.

124), löst er in analoger Weise; denn indem die Eigenschaft als ein

bloss Beiwohnendes (Anm. 301) betrachtet wird, kann die Definition

sowohl auf dieses Beiwohnende selbst, als auch auf die durch dasselbe

modificirten Dinge gehen, und ebensosehr auch als Definition des Namens

der Eigenschaft gelten, insoferne ja bei den Namen dasjenige, was

durch sie bezeichnet wird, Gegenstand der Definition ist, und die Defi

nition als ein Ausgesagtes stets in Worten sich bewegen muss383). In

letzterem Sinne wird die Definition als ein Urtheil erklärlicher Weise

namentlich in der Topik aufgefasst , woran sich dort die Bemerkung

monslravimus , illam quoque vocis divisionem, quae in modos fit, ptrlraclemus

Unde nee vocis divisio proprie videtur, mm in ea de voce non agatur, imo de rebvs

tanlum.

360) Ebend. p. 490.: Hactenus quidem de divisionibus traclalum habuimus ...

Nunc vero consequens esl, ul ad diffinitiones nos convertamus , quae, sicut dictum

esl, ex divisionibus nascuntur.

361) So z. B. wiederholt er (p. 491.) auch desselben Auffassung, dass nur

die mittleren Wesenheiten definirt werden können , s. Atischn. XII, Anm. 99.

362) p. 492. : Diffinitiones maxime propler ostensioncm proprietatum indticimtur,

interpretaliones vero ita nomen aperiunl, ut sola subslantiae demonstratio sufficere

queal. Tunc enim inlerpretatio proprie requiritur, cum de nominativo quoque substantiae

(die Handschr. hat nominaliva qu. sulistanlia , Cousin gibt nominata qu.

mbstantia) duhitatur nee cui etiam subslantiae imposilum sil, tenetur; tunr atitem

diffinitio sui>eraddilur, cum formae proprietas ignoratur. Cum aulem vel interpretatio

de qualitate quoque vel diffinitio de substantia etiam proponat, principatiter

tarnen illa propter substantiam monslrandam, haec vero propter qualitates ad aliarum

rcrum diffcrentiam et plenam rei demonstrationem componitur.

363) p. 495 f. (nach der in Anm. 124. angeführten Stelle): Sed ad haec,

memini, tales erant solutioncs , quae ab Omnibus suprapositis obiectionibus liberare

viderentur. Dicatur ilaque illa diffinitio albedinis esse non secundum essentiam suam,

sfd secundum adiacentiam acceptae ; unde et eam praedicari convenit et de ipsa albedine

secundum adiacentiam hoc modo ,,omne album est formalum albedine" et de

omnibus, de quibits ipsa in adiacentiam praedicatur Polest etiam dici difftnitie

eadem esse huius nominis quod est „album", non quidem secundum essentiam suam,

sed secundum significationem , nee in essenlia sua de ipso praedicabitttr, ut videlicet

dicamus, hanc vocem ,, album" esse formatam albedine, sed secundum significationem,

i. e. scilicet cum signi/icando , ac si diceremus ,,res quae alba nominalur, est for—

mata albedine". Est autem vocem diffinire eins significationem secundum diffinitionem

aperire, rem vero diffinire ipsam demonstrare. Ilaque sive di/'ßnitio vocis esse sire

cuiuscunque signifcatlpnis esse eius diccrelur, solvi poterat; scilicet profecto nihil esl

diffinitum, nisi declaratum secundum significationem vocabulum dicimus, nee rem

ullam de pluribus dici, sed nomen lanlum concedimus (über Letzleres s oben

Anm. 287.).

XIV. Abälard. 195

knüpft, dass das Definirle und die Oeflnilion wohl bezüglich des Wesens

identisch sind, nicht aber im Sprachausdrucke, indem, während beide

das Nemliche bezeichnen, doch die Definition mehr auf den Creations-

Prozess der Substanz gehe, hingegen das Defmirte noch manches An

derweitige enthalte, was in der Definition nicht ausgedrückt ist, so

dass demnach auch hier, wie oben Anui. 323—330, der dingliche

Befund, über welchen das definitorische Urlheil „handelt", die Haupt

sache ist und durch denselben die Regel sicji bedingt, dass die Defini-

'tion weder zu eng noch zu weit sein soll364).

Was aber sodann den zweiten Haupttheil der Dialektik, nemlich

die Lehre von der oralio (s. Anm. 273 f.) betrifft, so äussert sich Abä

lard im Liber Categoricorum mit einem sehr hohen Selbstbewusstsein

gegenüber seinen Neidern, über seine eigene Leistung im Vergleiche

sowohl mit der Tradition als auch mit der Thätigkeit seiner Zeitge

nossen, welch letztere er als „moderm" (vgl. Anm. 55 u. 219) bezeich

net365); ja er meinte, das Buch De Interpret, (vgl. oben Anm. 202)

sei überhaupt nur durch die Auctorilät gehalten , und es sei leicht,

über diesen Theil der Logik eine Schrift zu verfassen, welche dem-

364) p. 370.: Diffinitio, cum orationis sit species, naturum oralionis non potesl

excedere, seil, sicul omnis oratio ex partibus suis suam contrahit significationem

(s. Anna. 315.), ita diffinüio ex suis; alioquin dictio videretur, si videlicel ad significalionem

lotius, non parlium, respiceremus (p. -371.) Animal rationale

mortale idem prorsus est, quod homo, nee tarnen ex his sequilur, ut si quid sil

animal rationale mortale, sit homo, si propriam vocum demonstrationem altendamus;

si vero magis rei essenliam, quam vocum proprietalem , insistamus magisque identitalem

essentiae, quam vim verborum attendamus , profecto consequentia, ut videlicet

vel toi u m in ,, animal rationale mortale", quod in ,,homo", inlelligamus , vel

in „homo" tantum, quantum in „animal rationale mortale" .... Unde darum esl,

quanlam vim cum enunliationibus vocum proprielas leneat, maximeque illa attendenda

esl vocum signißcalio , quae prima est , i. c. quae in voce ipsa denotalur et secundum

quam ipsa vox imponilur .... Nam et cum difftnitio et difßnitum ad eandem

prorsus substantiam habeant imposilionem atque enunliationem, saepe • tarnen non

idem prorsus de ipsa notant ; nam „animal rationale mortale" secundum id tantum

liominis substantiae datum est, quod est animal informalum rationalilate et mortalitate,

„homo" vero secundum ceterarum quoque formarum differcntiarum Informationen

Haec aittem ratio diffinitionem in rei demonslratione accipi probat, quod in

ipsa consequentia lantum de rebus , non de vocibus , agitur. Theol. Christ. III, p.

1278.: difßnitio ...., quae ex intefiro vim et proprietatem difßniti exprimit et sententiam

nominis in nullo excedil nee ab eo exceditur (s. Abschn. XII, Anm. 108.).

365) Dialect. p. 227 f. : Nee propler aemulomm delractationes obliquasque invidorum

corrosiones noslro decrevimus proposito cedendum nee a communi doctrinae

" vsu desislendum. Elsi enim invidia noslrae tempore vüae scriplis noslris doctrinae

viam obutruat, in his quisque , quod doctrinae necessarium sit, inveniet. Nam

elsi Peripatelicorum princeps Aristoteles catcgoricorum syllogismorum formas et modos

breviter quidem et obscure perslrinxerit , .... Boethius vero hypothelicorum complexiones

eloquentiae latinae tradidit, graecarum quidem Theophrasli et Eudemi operum

moderator (s. Abschn. XII, Anm. 139.), .... posl omnes tarnen ad perfectionem doctrinae

locum Studio nostro in utrisque reservatum non ignoro. Item quae ab eis

summatim designata sunt vel penitus omissa (— aber neue Ergänzungen bringt Abä

lard, höchstens etwa mit Einer Ausnahme, s. Anm. 391., nirgends bei —), labor

nosler in lucem proferat , interdum et quorundam maledicta conigat et schismaticas

expositiones contemporaneorum nostrorum uniat et disscnsiones modernonim, fi tan

tum audeam proftteri tiegolitim , dissolvitt.

13*

196 XIV. Abälard.

selben in keiner Beziehung nachsiehe 366). Doch müssen wir gestehen,

dass Abälard hiebei von Eitelkeit geblendet sein mochte, denn er lässt

sich auch hier nur von Boethius leiten. Aus diesem ist Alles, was zu

Anfang über oratio gesagt wird, entnommen367); nur bei der üblichen

Einteilung der Satzarten, woselbst aus Marcianus Gapella (Abschn. XII,

Anm. 62) auch der Wunschsatz aufgenommen ist, wird der von Boe

thius (ebend., Anm. 111) hinzugefügte Vocativ-Satz bestritten368). Was

die Definition des logischen Urtheiles selbst betrifft, so kann nach Obigem

(Anm. 317) die aristotelische Definition in jene rhetorische hinüberge-'

lenkt werden (s. Abschn. VIII, Anm. 45) , welche bei Boethius in der

Topik sich findet 369). Es folgt hierauf die Einlheilung in kategorische

und hypothetische Urtheile (Abschn. XII, Anm. 112), wobei neben der

üblichen boethianischen Terminologie (s. ebend. Anm. 124) uns hier

zum ersten Male das Wort „coputo" begegnet, welches hiemit damals

in der Schule bereits üblich gewesen sein muss 37°). Das Quantität*-

verhältniss zwischen Suhjects- und Prädicats-Begriff (maior und minor)

fällt nach Obigem (Anm. 318 u. 325) dem Sprachausdrucke anbei in 371)-

Die Eintheilung des kategorischen Urlheiles veranstaltet Abälard

nach vier Gesichtspunkten, indem auf das Prädirat die sog. Qualität

und auch die Modalität, auf das Subjecl aber die Quanlität bezogen

wird, sodann in den Terminis überhaupt die Einheitlichkeit oder Viel

heitlichkeil liege und endlich nach der Zeit sich eine Einlheilung in

drei Arten ergebe 372). Vielleicht war es diese Gliederung, in welcher

366) loh. Saresb. Metal. III, 4 (wo von dem Werthe des Buches De interpr.

die Rede ist), p. 131.: Dixisse recolo Pcripatelicum Palatinum , quod verum arbi

trär, quia fädle esset, aliquem noslri temporis librum de hac arte componere, qm

nullo antiquorum, quod ad conceptionem veri vel elegantiam verbi , esset in/'erior,

sed ut auctoritalis favorem sortiretur , aul impossibile aut di/ficillimum.

367) Dialect. p. 229—233.

368) p. 234.: Harum igitur orationum, quae perfectae sunl, aliae stml enuntiatwae,

aliae inlerrogativae, aliae deprecativae, aliae imperalivae, aliae desiderativae

Addunt autem quidam sextam speciem, vocalivam scilieet orationem; sed mM

qitidem vocatio non videtur diversam speciem a supraposilis procreare , quae quidem

vocatio omnibus aequaliter polest apponi.

369) p. 237 f.: Propositio est oratio verum falsumve significans ; quae quidem

diffinitio (bei Boelh. de diff. top. p. 858.) eadem omnia et sola conlinel cum ea,

quam secundum Aristotelem protulimus Nee quidem incommode ; sicut enim

omnes proposiliones vel affirmativae vel negativae ac solae , ita etiam verac vel

falsae.

370) p. 246.: Hanim ilaque aliae sunt categoricae , i. e. praedicalivae

aliae hypotheticae, i. e. conditionales Esl aulem categoricarum natura sfcundum

membra sive specics demonstranda ; sunt autem mcmbra, ex quibus coniunttae sunl,

praedicatum ac subiectum atque ipsorum copula, secundum hoc scilieet, quod rcrbum

a praedicalo seorsum per se accipimus , verbum vero interpositum praedicatum

subieclo copulat. Die Quelle dieser Schul-Terminologie liegt in den, Abschn. XII,

Anm. 124., angeführten Stellen des Boethius^ wenn auch bei Letzterem das Wort

„copula" selbst noch nicht vorkömmt. Vgl. jedoch folg. Abschn. Anm. 11.

371) p. 248.: Quod ilaque praedicatum iubiecto maius vel aequale dicittir

(Abschn. XII, ebend.), ad vocum enuntialioncm , non ad essentiam rei , reducitur.

372) p. 253.: Ad praedicali enuntiationem pcrtinet, quod proposilioties

affirmativae dicuntur vel negativae, quodque aliae ipsum simpliciler aliae cum aliquo

modo pracdicant, unde alias simplices alias modales appellamus. Ad subiectum vero

illud referlur, quod aliae universales aliae parliculares aliae indeßnitae aut singu

XIV. Abälard. 197

er ein besonderes Verdienst seiner Darstellung erblickte, die Reihenfolge

aber der hier angegebenen Gesichtspunkte änderte er in der Entwicklung

des Einzelnen. Zuerst wird über Affirmation und Negation gehandelt,

wo bezüglich des realen Gegensatzes nicht bloss die an Apulejus

(Abschn. X, Anm. 10) erinnernde Terminologie „maxime repugnans",

sondern auch für die alternativen Gegensätze der Ausdruck „immediatio"

oder „dividenlia" erscheint 373). Bei der contradiclorischen Ent

gegensetzung wird jene Annahme des Boethius, welche bezüglich des

allgemein bejahenden Urtheiles oben, Abschn. XII, Anm. 114, angeführt

wurde, bekämpft, und die aristotelische Angabe (Abschn. IV, Anm. 217)

als die richtige bezeichnet374), was eben damit zusammenhänge, dass

Aristoteles überhaupt bei dem contradictorischen Gegentheile die erfor

derliche Rücksicht auf die Modalität der Ausdrucksweise (Anm. 318 u.

327) genommen habe375). Hierauf folgt die Erörterung der Quantität

der Urlheile und der durch Quantität und Qualität sich ergehenden Ver

hältnisse derselben376), wobei es eigenthümlich ist, dass Abälard nicht

der boethianischen Terminologie „consentiens" oder „conveniens" (Abschn.

XII, Anm. 117 u. 128), sondern des bei Apulejus (Abschn. X, Anm.

11) vorkommenden VVortes „aequipollentia" sich bedient377). Sodann

folgt die Modalität in einer Compilation , welche aus flontli.. de interpr.

lares nominantur. Ad multip Untätern vero terminorum illud attinel, quod aliae tmae

sunt aliae multiplices. Ad diversitatem vero temporum, quod aliae de praesenli aliae

de praelerito aliae de futuro propommtur.

373) p. 255. : Ea namque opposita contrario difßnhmt , quae prima fronte sibi

opponuntur, h. e. quae maxime sibi repugnant , velul album et nigrum, quae nullo

modo cidem simul inesse possunt Quod itaquc simul abesse non possit, oppositionent

non exigil , sed dividentiam seu immediationem. lieber dividentia vgl.

unten Anm. 427.

374) p. 256.: Ex his itaque mauifestum est, ei, quae dicit „omnis homo

iuslus esl", magis repugnare ,,nullus homo iuslus esl", quam „non omnis homo

iustus est" Eadem enim haec „non omnis homo iustus est" cum ea videliir,

quae profonil ,,quidam homo iustus non est", atque pro una et eadem utramque

Boethius accipil , cum tarnen earwn senlentia diversa appareat his , qvi eam perspicacius

inspiciunt. Multum enim refcrt ad senlentiam enuntiationis .... negativa parlicula,

... quod quidem ex hypotheticis quoque enuntiationibus ostcnditur ; non enim

eadem est sententia istarum ,,si est homo, non est iustus" et „non, si est homo,

est iuslus" (p. 257.) Unde subtilius Aristoteles negalionem universalem, quam

tioethius , distinxit; hie enim „non omnis homo est albus" rede scmper opponü,

Boelhius autem ,,quidam homo non esl albus".

375) p. 259. : Apparet autem , . ,. . Aristotelem contradictionem affirmationis

cf negationis non tarn secundum senlentiam, quam secundum constilulionis maleriam

demonslrasse .... Quia vero Aristoteles non solum scntentiam contradictionis , verum

etiam conslitutionem demonstrare intendil, quae in eorundem terminorum voce consistU,

rede, postquam eosdem terminos negationem habere dixit secundum prolalionem,

cetera secundum sententiam determinanda videbantur (p. 260.) Est itaque recta

ac propria tarn voce quam sensu negatio , quae negatio praeposita propositae enunti&

tioni senlentiam eius exstinguit Ex his itaque manifeslum esl, subtilius Ari

stotelem considerassc negalionem universalis affirmationis, quam Boethium.

376) p. 262. Cousin gibt nur den Titel, ohne den Inhalt, welcher auf Boe

thius (Abschn. XII, Anm. 1 13 ff.) beruhen muss, abzudrucken.

377) Glossae in libr. de interpr. p. 597 f.: Modo vult ostendere aequipollentiam

earum .... Nota, hanc regulam esse in omnibus aequipollentibus u. s. f. stets; nur

Ein Mal findet sich dort p. 600. consenlire in aequipollenlia. S. Anm. 381.

198 XIV. Abälard.

l

(Abschn. XII, Anm. 119 ff.) und zugleich aus Boelh. de syll. hyp. (ebend.

Anra. 150 ff.) entnommen ist378), dabei aber in unablässiger Wieder

holung auf die dingliche Basis der Modalität (ob. Anm. 330) hinweist379),

womit zusammenhängt, dass auch hier (vgl. Anm. 216) possibile und

contingens als völlig gleichbedeutend genommen werden 38°). Auf Grund

des Boethius (Abschn. XII, Anm. 122 u. 150) werden sowohl die For

men der modalen Urtheile als auch deren Umkehrung (mit der boelhianischen

Terminologie, s. ebend. Anm. 130) und deren Aequipollenz er

örtert381), worauf dann im Gegensatze gegen andere Auffassungen

(Anm. 215) abermals die Möglichkeit als das von der Natur Zugelassene

und die Nothwendigkeil als das von derselben Geforderte bezeichnet,

und hiemit auch die Modalität des Wahr- und Falsch-Seins in Verbin

dung gebracht wird382). Erst hiernach bespricht Abälard, was bei

Boethius vorausgeht, neinlich das durch die Zeit bedingte Verhällniss

der Urtheile , namentlich insoferne dieselben auf die Zukunft gehen,

wobei er sich vollständigst an die boethianische Erklärung des Aristo

teles anschliesst 383). Ebenso verfährt er in der äusserst weitschwei

figen Erörterung über den noch übrigen Gesichtspunkt, welcher die

Einheil oder Vielheillichkeit des Urtheiles betrifft384), und unter wel

chen sofort schon hier auch das hypothetische Urlheil (nach Boethius,

s. Abschn. XII, Anm. 146) gebracht wird385).

378) Dialecl. p. 262 ff. woselbst z. B. (p. 264.) auch die Hindeutung auf die

erschöpfte Anzahl aller möglichen Combinationen (Abschn. XII, Anra. 152.) sich

findet.

379) p. 266—270., oder z. B. p. 273.: Sie enim rede videnlur mihi omnes

huiusmodi proposiliones exponi, ul de rebus ipsis agamus sie: „omnem liominem

possibile esse album", i. e. natura omnis hominis patitur albedinem, i. e. nullius

hominis natura repugnat albedini u. s. f.

380) p. 265.: Possibile quidem et continaens idem prorsus sonanl.

381) p. 268.: Quod tarn in convcrsione simplici quam in conversione per contrapositionem

licet inspicere. p. 271 it. folgt die Angabe der durch Combioation

der Modalität mit Quantität und Qualität möglichen Formen , nemlich Possibile est

omnem (oder nvllum oder quendam) liominem esse (oder non esse) album, und

ebenso bei Impossibile und bei Necesse, sowie bei Non possibile, Non impossibile

und JVow necesse. Dann im Hinblicke hierauf p. 276.: Nunc aittcm dispositis in

ulroqite generc proposilionum ordinibus modalium regulas aequipollentiae tradamus.

Dass hingegen die auf Subordination beruhende Abfolge bei den modalen Urtheilen

unmöglich sei, wird ausdrücklich bemerkt (p. 276.): Sunl autem quidam, qui et

nostram tenent sententiam, qui in consequentiis modalium inferentiae simplicium

locos vel regulas non admiltant ; dicunt enim totius rel parlis naturam in talibus

omnino deßcere inferenliis; falsum mim aiunt, quod si omne animal impossibile est

esse hominem, omnem liominem impossibile est esse hominem u. s. f.

382) p. 277 f.: Nunc aulcm utrum aliqua proprietas per modalia nomina, ul

quidam volunl , praedicetur, persequamur ; aiunt enim, per possibile possibilitatem

praedicari, per necesse necessilalem .... Sed falso est .... sed per possibile id demonstratur

, quod natura patiatur , per necesse, quod exigal et constringal

Verum anleeedit quidem ad possibile , sequitur vero ad necessarium ; falsum autem

ad impossibile lanlum sequitur ; si enim necesse est esse, verum est esse, et si vertan

est esse, possibile est esse; si vero impossibile est esse, falsum est esse.

383) p. 280—294. (In gleicher Weise äussert er sich über diesen Gegenstand

auch Jntrod. ad theol. III, p. 1134.).

384) p. 294-303.

385) p. 304.: Cadunt aulem sub ditiisionem unarum et multiplicium proposiXIV.

Abälard. 199

Unmittelbar hierauf aber reiht sich als Abschluss dieses Abschnittes

die Lehre von den kategorischen Syllogismen an386), woselbst wohl

jene acht aristotelische Definition des Syllogismus, welche wir oben,

Anm. 14, als Beweis einer sporadischen Kenntniss der Analytik anzu

führen halten , an die Spitze tritt, aber die Entwicklung dann sogleich,

nach Einschaltung einer zweiten aristotelischen Stelle (s. dieselbe oben

Anm. 15) und einer Bemerkung über eine Terminologie (s. oben Anm.

16), lediglich aus Boethius de syll. caleg. (s. Abschn. XII, Anm. 131 IT.)

entnommen wird 3S7). Es bietet die Aufzählung und Darlegung der

sämmllichen Modi des kategorischen Schlusses durchaus Nichts eigerithiimliches

dar, höchstens etwa mit der einzigen Ausnahme, dass

Abälard in der dritten Figur die bei Boethius erwähnte und von Porphyrius

herrührende (Abschn. XII, Anm. 137, Abschn. XI, Anm. 82) Hin

zufügung eines siebenten Modus verwirft338), lieber einen Selbstwider

spruch, in welchen er bei Reduclion der Syllogismen mit seiner eigenen

Ansicht über den conlradictorischeu Gegensatz (Anm. 374) geräth, hilft

er sich sehr leicht mit der „Wahrscheinlichkeit" hinweg359). Sodann

aber folgt jene merkwürdige Stelle, in welcher Abälard eine gewisse

Kennlniss jener aristotelischen Syllogismen zeigt, welche aus Conibinationen

der Möglichkeit^ • und Nolhwendigkeils-Urlheile unter sich und

mit Urtheilen des Stallfindens bestehen, s. oben Anm. 17.; sowie er

aber die Sache gleichsam nur vom Hörensagen zu kennen scheint, so

erblickt er auch in jenen Schlüssen, welche nur aus modalen Urlheilen

allein bestehen, keine eigentliche Schlusskraft, sondern blossc Wahr

scheinlichkeit390). Endlich aber versucht er noch eine eigentümliche

Ergänzung der Syllogistik, von welcher wir nicht wissen, ob sie da

mals in den Schulen überhaupt üblich gewesen sei, oder ob Abälard

selbst sie erdacht habe; es wird nemlich auch auf Combinalionen hin

gewiesen, welche aus Urlheilen der Gegenwart mit Urtheilen der Zu-

Hon um non solum categoricae enunlialiones , terum etiam hypotheticae; sunl multiplices

hypotheticae, in quibus vel ex uno plura vel ex pltiribus unum vel ex pluribus

plura consequunlur u. s. f.

386) p. 305.: Hacc aulem de proprietalibus categoricarum enuntialionum dicta

sufficianl; nunc autem in fiijuris et modis syllogismorum, qui ex ipsis ftunt, propositum

nostrum pcrficiamus.

387) p. 306—319. Auch die Terminologie ist selbstverständlicher Weise jene

des Boethius, and so finden wir auch (p. 310. u. 313.) die Bezeichnung „directi"

und „imperfecti syllogismi" , sowie den Ausdruck „per reflexionem conversionis",

welcher dem boethianischen „per conversionem refractionemque" entspricht, s.

Abschn. XII, Anm. 136.

388) p. 316.: Nos Aristotelem sequentes sex tanlum modos huius fiyurae esse

depreltendinms.

389) p. 319.: lllud aliquos movcre polerit, quod in oslensione impossibilitatis

per contradictoria ac recta dividenlibus ulimur his proposilionibus, quas superius

conlradictorias esse negaeimus, cum quandoque cas non esse veras contingat, univer

salem scilicet af/irmalivam et particularem neyativam, vt sunt islac „omne iustum

virtits est, quoddam iuslum virlus non esl," At vero etsi non necessüate huiusmodi

resolutio constringat, probabilitatem tarnen maximam tenet.

390) p. 321.: Lieet aulem syllogismi rede dici non possint hi, quos ex solis

modalibus constitutos adiecimus, quia tarnen maximam probabilitatem tenent , non

incommode quandoque a disputantibus inducuntur.

200 XIV. AbSlard.

kunft oder der Vergangenheit bestehen, was in allen Modis d'er Fall

sein könne, aber nur dann wirklich einen Schluss gebe, wenn Eines

der Urtheile ein Urtheil der Gegenwart sei391).

Es folgt hierauf der Liber Topicorum, da aus dem oben an

geführten Grunde (AnriT. 269) die Topik dem hypothetischen Urtheile

vorausgeht. Die ciceronianisch-rhetorische Tendenz der Dialektik Abälard's

zeigt sich recht deutlich an der ausserordentlichen Breite und Weit

schweifigkeit, mit welcher dieser ganze Abschnitt behandelt ist. Doch

ist es nur Weniges, was wir aus demselben hervorheben müssen, denn

dem Inhalte nach beruht das Ganze auf Boethius 392). Die Folgerung

(inferentia) , welche in dem Verhältnisse zwischen dem Vordersatze und

dem Nachsatze eines hypothetischen Urtheiles bestehe, unterscheide

sich von der Schlussfolgerung eines Syllogismus dadurch, dass sie nicht

wie jene in sich selbst die vollkommene Schlusskraft trage, sondern

noch einer Verstärkung aus einem gewissen Verhalten (habiludo) der

beiden verbundenen Begriffe bedürfe, und diese Bekräftigung der Ab

folge als einer wirklich nolhwendigen liege eben in den Topen 393),

d. h. jenes Verhalten sei nur das Mittel, nicht der Gegenstand der

Folgerung, denn diese gehe stets auf die Wesenheit der im hypotheti

schen Urtheile verknüpften Dinge 394). Aber an dem Nexus der Nothwendigkeit

sei (im Gegensatze gegen die Meinung Anderer, s. oben

391) p. 322.: Possunt quoque per lempora proposiliones syllogismorutn variari

in singulis ftguris. In prima «H/CM sie ,,omnis homo morietur, omnis citharoedus

est homo, quare omnis citharoedus morietur" vel „omnis senex fuit puer, Nestor

itulem est senex, quare fuit puer". In secunda vero hoc modo „nullus lapis morie

tur, omnis homo morielur, quare nullus homo esl lapis" ; vel ita „nullus puer fuit iurenis,

omnis autem senex fuit mvenis , quare nullus senex puer est". In tertia

quoque talis fit ad modum temporum admistio „omne mortale morietur, ornne autem

mortale vivum esl, quoddam igilur vivum morietur" Sie quoque per singulos

modos trium figurarum praesenti tempori cetera quoque poterunt agyregari; ex solis

aulem propositionibus celerorum temporum nulla secundum aliquam figmam syllogismi

necessitas videlur contingere , sicut nee ex solis particularibus aut negativis.

392) Abälard behandelte diesen Zweig der Dialektik auch in den „Glossae

super Topica" (b. Cousin p. 605 ff.), schloss sich aber dort lediglich erklärend

an Boelh. de diff. top. mit Beiziehung einiger Stellen des Commentar's zur ciceronischen

Topik an.

393) p. 325.: Inferentia in necessilale consecutionis consistit, in eo scilicet,

quod ex sensu antecedentis senlentia exigitur consequentis , sicut in hypothetica proposilione

dicitur. p. 328.: in illis consequentiis, quae formas tenent syllogismorum,

.... ita in se perfectae sunt huiusmodi inferentiae, ul nulla habitudinis natura indigeant,

nullam ex loco firmilatem habeanl; cuius quidem lad proprictas haec est, van

inferentiae ex habitudine, quam habet ad terminum illatum, conferre conscquentiae,

ul ibi tanttim, ubi imperfecta est inferentia, locum valere conßteamur Hoc ergo,

quod ad perfeclionem inferentiae deest, lud supplel assignalio. Sowohl die Bezeich

nung „inferentia" ist aus dem boethianischen Sprachgebrauche ,,inferre" entstanden,

als auch die Auffassung, dass die Abfolge auf dem Nexus der Nothweadigkeit

beruhe, ist dem Boethius entnommen, s. Abschn. XII, Anm. 153 f.

394) p.. 330 f.: Quae enim in ea ponunlnr vocabula, essentiae tanlum , non

habitudinis, sunt designativa, ut „homo" et „animal" et „lapis"; qui itaque

dicunt „si est homo, est animal, si est homo, non est lapis", nullo modo de habitudinibus

rerum, sed de essentiis agunt, ut , si aliquid sit essentia hominis , et

essenlia animalis esse concedalur , et lapidis substantia esse denegetur.

XIV. Abälard. 201

Anm. 227) bei dem hypothetischen Urtheile entschieden festzuhalten395),

und durch diesen Nexus, welcher in jener Verhältniss-Beziehung liege,

unterscheide sich dasselbe vom categorischen Urtheile , welches die

Müsse Existenz ausspreche, während das hypothetische mit voller Nuthwendigkeit,

abgesehen von der Existenz der Dinge, gelle, aber eben

darum bezüglich desjenigen, was aus der blossen Wirklichkeit nicht

entnommen werden könne, die Beihülfe der Topen in Anspruch nehme 396).

Daher sei in diesem Sinne bei dialektischen Erörterungen das Zugeständniss

des Mitredenden , abgesehen von der l'actischen Richtigkeit,

als eine solche Nothwendigkeit zu verstehen397), und bei dem hypo

thetischen Urtheile handle es sich nicht, wie Einige meinen (Anm. 228),

um die einzelnen Glieder desselben, sondern eben um den ganzen

Nexus zwischen antecedens und consequens 398); auch sei aus dem

gleichen Grunde das disjunctive Unheil, wie schon Boethius (s. Abschn.

XII, Anm. 141) gezeigt habe, nur als eine andere Salzform des hypo

thetischen zu betrachten 3"). Auf dieser Grundlage werden dann die

sog. „maximae proposüiones" (s. ebend. Anm. 165) im Anschlüsse an

Boethius besprochen und mit Bekämpfung der Ansichten Anderer (oben

Anm. 228) auf die Form des hypothetischen Urlheiles beschränkt400).

395) PI 336.: Quod autcm veritas hypolhelicae propositionis in necessitate

cansislal, tarn ex auctorilate qwm ex ratione lenemus. Diese Auffassung des hypo

thetischen Urtheiles scheint dem A^iälard speciell eigenthttmlich gewesen zu sein

(Jo/i. Saresb. Polycr. II, 22, p. 122.: Solebat nostri temporis Peripatelicus Palatinus

omnibus his conditionibus obviare , ubi non sequenlis intelleclum anlecedentis conceptio

claudil aut non antecedentis conlrarium consequenlis destructoria ponit , eo

quod omnes necessariam teuere consequentiam velit. Ebend. Metalog. 111, 6, p. 138.:

Miror tarnen, quare Peripateticus Palatinus in hypotheticarum iudicio tarn arctam

praescripseril legen, .... si quidem hypvlheticas respuebat nisi manifesta necessitate

urgente).

396) p. 343.: Categoricarum autem proposilionum verilas, quae rerum actum

circa earum exislenliam proponit, simul cum illis incipit et desinit; hypotheticarum

rero senlenlia nee finem novit nee principium, unde et anlequam homo et animal

creala fuerint , vel postquam eliam omnino perierinl , aeque in rcrilale consislit id,

quod hacc consequentia proponit „si est homo animal rationale mortale, est animal."

p. 347.: Quia vero calegoricae enunliationes aclum rerum proponunt quantum ad

enuntiationes inhaerentiae praedicati, actus vero rerum ex ipsarum rerum praesenlia

manifeslus est, necessitas autem inferenliae ex aclu rerum perpendi non polest, quae

aeque, ut dictum est,<et rebus existentibus et non exislentibus pennanel, arbiträr,

hinc locum lantum in hypolheticis proposilionibus requiri, cum de vi inferentiae rerum

earum dubitatur, quae ex actu rerum convinci non possunt.

397) p. 342.: Neque enim dialecticus curat, sivc vera sit sive /a/so inferentia

propositae consequenliae , dummodo pro vera eam recipial ille , cum quo sermo conseritur

, sed hacc concessio verae inferentiae in necessitale recipienda est.

398) p. 353. : Quidam tarnen käs regulas non solum in tola antecedentis et

consequenlis enuntiatione, vertun etiam in terminis eorum assignant , sed regulae

sunt aecipiendae in his, quae Iota proposilionum enuntiatione dicuntur.

399) p. 368. : Quod autem antecedens et consequens in disiunctis quoque Boe

thius accipil, non ad rerum essenlias , sed ad enunliationum constilutionem respexit

...., quod ex resolulione disiunctae dignoscitur , ex qua eliam resolutione hypothe

licae, i. e. conditionales , disiundivae quoque sunl appellatae.

400) p. 359 f. : Maxiinarum proposilionum proprietates inspiciamus , quibus

quidem singularum verilas consequenliarum exprimituf, quaeque ultimam et perfeclam

omnium conseculionum probationem tencnt Cum ilaqne dixitnus, eas consecutionis

sensum habere, categoricas enunliationes exclusimus.

202 XIV. Abiilard.

Hierauf folgen die einzelnen Topen, wobei Abälard mit Ausschluss der

rhetorischen nur die dialektischen beiziehen will401); die Reihenfolge

derselben beruht auf jener Erörterung, in welcher Boelhius de diff.

top. (s. Abschn. XII, Anm. 168) die Topen des ihninistius (Abschn. XI,

Anm. 96) mit den ciceronischen in Einklang zu bringen versucht402);

den Schluss aber bilden Bemerkungen über Argumentation überhaupt

und über die rhetorische Bedeutung der Induclion und des Enlhymema's403).

Dass die Entwicklung der einzelnen Topen sich in der An

gabe und Aufzählung schulmässig fixirter „Regeln" bewegt, wurde schon

oben (Anm. 222) bemerkt, und wie sehr überhaupt die Topik in den

Schulen Gegenstand und Veranlassung zahlreicher Conlroversen gewesen

sei, zeigt sich im Zusammenhange mit Obigem (Anm. 228) auch in Ahälard's

eigener Darstellung404).

Endlich nun im Liber hypothelicorum, d. h. in der Lehre

von den hypothetischen Urtbeilen und Syllogismen , wird der gesammte

401) p. 334.: III ml praesciendum esl, nus, qui haec ad doctrinam artis dialeclicae

scribimus , eos solum locos exsequi , quibus ars ista consuevil uti.

402) Im Vergleiche mit jener Reihenfolge, welche oben, Abschn. XII, Anm.

184., angegeben wurde, gestaltet sich die Sache hier folgendermaassen: Den An

fang machen auch hier (p. 368.) die Topen aus der Substanz selbst, nemlich a

deßnitione, a descriptione , a nominis interprelatione ; dann aber reihen sich in

einer combinirenden Auswahl aus Themistius und Cicero die Topen aus den Fol

gerungen der Substanz an (p. 375.), nemlich a,gcnere, a toto, a partibus divisivis,

a partibus conslitutivis , a pari, a praedicato, ab anlecedenti, a consequenli ; hier

auf (p. 386.) folgen als Topen , welche extrinsems genommen werden , nur die

Unterarten des loms ab oppositis, nemlich a relatione (mit Einschluss des simttl

und prius), a contrariis, a privatione et habitu, ab afßrmatione et negalione (hei

dieser Besprechung der vier Arten des Gegensatzes wird fast der ganze betreffende

Abschnitt aus den Kategorien beigezogen); sodann folgen als lad medii (p. 408.)

a relativis , a divisione et parlilione, a conlingentibus , und hierauf werden als

solche, welche selten in Anwendung kommen (p. 409.: sunt autem alii, quibus

dialectici ran ac mmquam fcre uluntur , quos tarnen Boelhius non praetermisil),

unter den Topen ex consequenlibus subslantiam noch nachträglich angegeben: a

causa, a materie, a forma, a fine, a motu. Uebrigens hat Cousin in diesem

ganzen Abschnitte häufig nur durch Titel-Ueberschriften die Reihenfolge angedeutet,

ohne den Inhalt selbst zu veröffentlichen.

403) p. 430 ff. Die Quellenstellen aus Boeth. de diff. top. , worauf diese An

gaben beruhen, s. Abschn. XII, Anm. 82. u. 137.

404) So z. B. führte der locus a subslatitia nicht bloss auf die Lehre von

der Definition hinüber (Stellen aus der Topik dienten uns oben, Anm. 364., als

Quellen), sondern es spielte in der Frage über ,,idem" und „diversum" (p. 373.)

vermöge des Pseudo-Boethius de Irin. (Anm. 37.) auch Theologisches herein (vgl.

Introd. ad theol. II, p. 1077 f. Theol. Christ. III, p. 1276 ff.), sowie bei dem locus

a causa cfficienle und a motu (p. 413 ff.) die göttliche Causalität des Weltschöpfers

erörtert wurde. Der locus a genere (p. 378 ff.) leitet auf den realistischen 'Crcations-

Process hin und trifft so mit der richtigen Auffassung des locus a praedicato

(p. 384.) zusammen, welch letzterer unbeschränkt allgemein gelle (p. 381.). Bei

dem locus ab oppositis begegnet uns hier die Terminologie ,.complexa" und ,,tucomplexa"

(p. 407.: complexa aulem contraria eas dicimus propositiones , quac de

eodem contraria enuntiant hoc modo „Socrates est sanus , Socrates esl aeger") , so

wie ,,constantia" (p. 408.: ut immediata infcrentiam habeant, adiiciendum esse,

cuius respectu immediata sint, quae quidem determinatio constantia appellalur) ; auch

vermisst Abälard eine Durchführung der Gegensätze durch alle Kategorien (p. 399.),

d. b. er vermisst, was Gilbertus Porretanus wirklich hinzufügte, s. Anm. 18.

u. 344.

XIV. Abälard. 203

Inhalt der Schrift des Boethius de syll. hypolh. wiedergegeben. Indem

Abälard aus derselben zunächst die Einteilung des hypothetischen Urtheiles

(s. Abschn. XII, Anm. 139 II'.) entwickelt 405), entscheidet er

sich Jietrctl's der mit der Conjunclion „r u m" beginnenden Urtheile (s.

ebend. Anra. 143), über welche er früher eine andere Ansicht gehabt

halte, nun für die Auctoritat des Boethius, d. h. er nimmt jene Ur

theile als hypothetische40"); auch bekämpft er obige (Anm. 218) Mei

nung Anderer bezüglich der Stellung des „vel...vel" in den disjunctiven

Urlheilen 407). Hierauf aber folgt eine merkwürdige Angabe über die

Umkehrung der hypothelischen LJrlheile; nemlich die disjunclive Form

derselben lasse sich rein umkehren (durch Vertauschung der Glieder

der Disjunction !), ebenso auch das eine Gleichzeitigkeit enthallende Ur

lheil , welches mit „c«m" beginnt ; hingegen bei dem eigentlich hypo

thetischen , welches auf dem Nexus der Naturnotwendigkeit beruht,

sei der allbekannte Grundsatz der Abfolge (s. denselben bei Boelhius

Abschn. XII, Anm, 145) als conversio per contraposilionem zu neh

men 408). Wenn aber diese angebliche Ergänzung der traditionellen

Lehre von Anderen bekämpft wurde, so waren diese gewiss eben so

im Rechte, als Ahälard im Unrechte war, wenn er in solcher Ent

gegnung gleichsam ein Märlyrthum seiner wissenschaftlichen Leislungen

erblickte 40!)). Sodann reiht sich zum Schhisse noch die Entwicklung

der hypothetischen Syllogismen an; dieselbe ist vollständig aus Boethius

entnommen, nur mil einer Aenderung der Reihenfolge; zuersl nemlich

werden jene angeführt, welche oben Abschn. XII, Anm. 155—158

405) p. 437—439.

406) p. 440.: A'unc vero de temporalibus in proximo dispuiandutn esl; in his

autem nulla nalma consecutionis altendilur, sed sola comitationis socielas , ul mdelicel

simul sil ulrumque .... Acquc enim qui dicit ,,cum Socrales esl animal, est

homo", verus est et qui proponil „cum ipsc est homo , est animal" Memini

tarnen, quia dicere solebam, tunc hypolheticam esse propositionem, cui temporale

adverbium apponebatur , cum ipsum ad propositiones Iotas referebatur , turn vero

categoricam, cum ad simplices tenninos ponebatur (p. 441.) AI rero licel Imiusmodi

temporales ralionabilius calei/oricae quam hypothelicae videantur, nos tarnen

Boethio adliaerentes eis tanquam hypotheticis in modis sylloiiismorum utamur.

407) p. 442., woselbst auf die oben, Anm. 218., ansefiihrten Worte folgt:

Quod quidem falsum esse convincitur ex eis categoricis, qttae cum universales sint,

Qisiunctivas habenl coniuncliunes, vclut ista ,, omne animal est vel sanum vel aegrum" ;

cum enim haec vera esse non dubilelur, falsa esl manifeste hypolhctica, quae ita

proponitur ,,aul omne animal est sanum, aut omne animal esl aegrum", cum videlicet

neulrum sit.

408) p. 443.: Nunc autem de conversionibus omniiim hypotheticarum superest

disptitare Temporales quidem liypotheticae et disiunctuf, simplicem tenent conversionem;

sicul enim aequc dici polest ,,aut nox esl aul dies est" vel ,,aul dies

est aut nox est", ita aequc dicitur ,,cum pluil, lonat" et „cum lonat, plv.it"

Naturalium autem coniunclarum conversiones per contraposilionem solum ficri hoc

modo „ii est homo, est animal; si non est animal, non esl homo".

409) p. 444.: Sunt autem nonnulli ,' qui ad nomen conversionis hypothelicarum

obstrepant et vehementer obstupeant, eo quod de earum conversionibus Kutthium Irac-

Inre non viderint nee alium quemquam, qui consequentiarum naluram ostenderet ;

linde nos quidem non ex falsitate, sed ex novo conversionis nomine redarguunt ....

Si enim ex addilamcnto vel novilatc me accusent, quomodo et illi absolvi possunl,

quieunque ad alicvius scientiae perfeetionem ex se aliquid post primos traclatores

adiecerunt ?

204 XIV. Abälard. Anonymus De inlerpr.

angegeben sind, dann folgt der Inhalt der dortigen A um. 162, hierauf

jener der Anm. 159—161, zuletzt jener der Anm. 163; der Grund

dieser Aenderung lag für Abälard darin, dass jene dortselbst Anm.

159—161 angeführten hypothetischen Syllogismen sich in den drei

Figuren des kategorischen Schlusses bewegen, und daher diese „Ggurirten"

(figurali) Syllogismen nicht in Mitte der nicht-figurirten einzu

reihen seien410).

So ist uns Abälard nach Maassgabe der uns erhaltenen Quellen der

hervorragendste Repräsentant des damaligen Betriebes der Logik , aber

während wir stets im Auge behalten, dass er eben Einer unter Vielen

war, dürfen wir einerseits aus seinen Leistungen auf die seiner näch

sten Zeitgenossen schliessen, und werden andrerseits zu der Annahme

berechtigt sein, dass ein eigentlicher Fortschritt der Logik weder durch

ihn noch durch Andere in jener Zeit hervorgerufen wurde , sondern

dass nur in der grösseren Anzahl der Dialektiker überhaupt und in dem

reicheren Detail-Studium der traditionellen Schul- Logik der Unterschied

gegen die frühere Zeit beruhe.

Als einen Schüler Abälard's zeigt sich uns der Verfasser eines

anonymen Commeiitares zu dem Buche de inlerpr. 4 1 ') ; denn

derselbe wählt nicht bloss die Abälard'sche Bezeichnung „doctrina sermonum"

für die Logik, welche er in einer Dreitheilung gliedert, die

uns an Obiges (Anm. 271 f.) erinnert412), sondern er erörtert auch

bezüglich der Redetheile, d. h. des Nomens und Verbuins, die Frage,

in welchem Sinne dieselben in der Lehre vom Urtheile zu besprechen

seien, in einer Weise, welche als eine Schärfung der Ansicht Abälard's

bezeichnet werden muss; es sei nemlich die primSre Funclion der

Worte, dass sie die Gedanken (inlelleclus) erwecken und bezeichnen

(vgl. Anui. 314 fl'.), während die Bezeichnung der Dinge das Secundäre

sei, welch Letzteres den Katqgorien anheimfalle (Anm. 272), sowie Ersleres

der Lehre vom UrlheiTe 413); denn gerade darin, dass die Worte

410) p. 447 f.: lps>e namque Boethius inter syllogismos consequenliarum ex

allem tantum liypolhelica constantium et syllogismos consequenliarum ex ulraque

hypothelica connexarum eos medius locavit , qui ex mediis proposilionibus nascentes

Iribus ßguris continentur Nos tarnen lüs syllogismis, qui figurali non sunt, eos,

qui figurali sünl et a lange divcrsis proposilionibus nascunlur, interserere noluimus.

411) In einigen Bruchstücken publicirt bei Cousin, Fragm. philos., Philos.

scolast. 2. Aufl. Par. 1840, p. 408 ff. (Anfl. v. 1855, p. 326 ff.).

412) p. 409.: Doctrinae sermonum huic arli accommodatae in tribus inlegritas

consistit, i. e. in doctrina incomplexorum, propositionum et syllogismorum

Quod aulem traclalus iste de propositionibus institualur, monstral tarn operis inscriplio

quam assignalio intentionis.

413) p. 410.: In parte huius operis agilur de dictionibus , nomine videlicel et

verbo, in parle de propositionibus p. 411.: Sed asserunt quidam, de nomine

et verbo hie agi per hoc, quod intellectum signiftcant; cum enim duplex sit signißcatio

vocum, una quidem de rebus , altera tero de intellectibus , hie de vocibus agi

secundum hoc, quod intellcclum signißcanl, quae principalior est. Ex quo aperte

huius operis intcnlio a Praedicamentorum intciilione distarc ostenditur; ibi enim de

vocibus incomplexis secundum rerum signißcationem agitur, quae secundaria ab tnlelleclttum

signißcatione habelur posterior; primo enim intellectus , secundario ret

significantur ; ad in In l enim aliud facla est vocum institulio nisi ad intellectum , nil

quippe voces in scienlia rerum faciunt, sed tantum intellectus de eis excitant .....

XIV. Anonymus De inlerpr. Anonymus De intellectibus. 205

stets zu Sätzen führen, liege ihre Bedeutsamkeit für das geistige Er

fassen (conceplio), und so seien Nomen und Verbum als Satztheile in

der Lehre vom Urlheile nur in diesem auf die Gedanken bezüglichen

Sinne zu verstehen, und ihre dingliche Bedeutung könne hier nur neben

bei berührt werden 414). Und während hiemit der Verfasser sich auf

jenen Standpunkt stellt, welchen Ahälard in den von ihm sogenannten

Postprädicamenlen eingenommen hatte , erhält hier die Auffassung des

Urtheiles, d. h. des sermo, ein so entscheidendes Uebergewicht, dass

der durch das Urtheil erweckte und in demselben liegende Gedanke

(inteUeclus) sogar scharf den platonischen Ideen gegenübergestellt wird,

da die letzteren bloss Fictionen seien, in welchen man nur die Aehnlichkeiten

der Dinge durch die Einbildungskraft festhalte, während die

Aufgabe des Sprachausdruckes darin liege, nicht blosse Aehnlichkeiten,

sondern die Dinge selbst und deren Denk-Auffassung zum Bewusstsein

zu bringen416). Hiemit wäre hier sowohl jene platonische Seile, welche

der Dialektik Abälard's anklebt, bereits abgestreift, als auch eine Pole

mik gegen jene Wendung angedeutel, in welcher die Slatus-Ansicht und

die Indifferenz-Lehre sich berühren, und vielleicht könnte man, wenn

wir die Meinung des Verfassers vollständiger kennen würden, hier mit

Recht das Princip eines Intellectualismus erblicken, welches bei Ahälard

selbst jedenfalls durch platonische und ciceronianische Anschauungen

sehr entstellt und getrübt ist. <.

Gleichfalls einem Schüler und Anhänger Abälard's gehört die Schrift

„De inlellectibus" an, welche Cousin als ein Werk Abälard's her

ausgab416). Wenn der Verfasser im Anschlüsse an die „doclrina ser-

Unde mm tarn res quam intellectus significenlur, asserunl, hie de vocibus non secitnditm

rerum, sed secundum inteUccluum significationem agi.

414) p. 412.: Vnde propositionem semper reddere possunl et semper ad animi

conceptionem , non quantum ad rerum nominationem , signi/kare dici possunt; quare

Aristoteles de nonrinc et verbo ibi agil propter orationis constilutionem .... Quod

autem de vocibus hie lanlum secundum inlellecluum significationem agalur , monslrat

bifaria vocum distinclio facta, in nomen et verbum, quibus simplitibus sive coniunctis

quilibel inteUeclus exprimi possunt- in Praedicamentis enim, übt de vocibus

secundum rerum significalionem agilur, secundum rerum decem diversitatcm denaria

vocum incomplexarum facta est partitio. Nos aulcm dicimus, quod licet de nomine

el verbo secundum inlellecluum signiftcationem agal Aristoteles, tarnen quod de vocum

significatione communiter inducit, non est ex intcntione , sed incidenter.

415) p. 414.: Quod autem ideae meditatae a Platane a vocibus primo loco

non significentur , planum erit, si prius, quid ipsae sint, inspexerimus. Sunt itaque

formae imaginariae , quas sibi pro rebus animus configurat , ul illis res ipsas speculetur

et per eas rerum imaginationcs sive memoriam retineat, quas quidem ideas

live exemplares formas nominant, Plato vero cas incorporeas naturas, i. e. insensibiles

similitudines nuncupat (die Quellenstelle für diesen Ausdruck s. oben Anm.

134.) Vnde eas effigies incorporeas, i. e. non tractabilcs corporeis sensibus,

Ptalo nominal , qui quidem volebal a vocibus primo loco significari , quod Aristoteles

improbal; non enim propter rerum vcl inlellecluum similitudines voccs repertae snnt,

sed magis propter res ipsas et earum intellectus (Boeth. p. 304., d. h. Aristoteles,

s. Abschn. IV, Anm. 108.), ut de rebus nobis doctrinam facerent, non de huiusmodi

figmenlis, el intellectum de rebus constiluerenl, non de ftgmenlis.

416) In der oben (Anm. 411.) angeführten 2. Aufl. (v. 1840.) der Fragm.

philos. p. 461—496. (es ist ein eigentümliches Verfahren, dass Cousin in späteren

Auflagen diesen Bestandtheil seiner Sammlung wieder wegliess). Dass die Schrift

206 XIV. Anonymus De intelleclibus.

monum" die Begriffe (intrllHc.tux, erörtern und sowohl ihre verschiede

nen Arten als auch besonders ihren Unterschied von Sinneswahrnehmungen,

Einbildungskraft, Meinung, Wissen, Vernunft, angeben will417),

so mussten wir ihn eben darum schon oben (Anm. 19) gleichsam als

Zeugen dafür anführen, dass man in jener Zeit eine gewisse, wenn

auch fragmentarische oder vereinzelte, Notiz von der zweiten Analytik

des Aristoteles hatte, und es möchte wohl dem Einflüsse einer solchen

erweiterten Kenntniss zuzuschreiben sein, dass diese ganze Abhandlung

in der Thal zu dem Besten gehört, was jene Zeit aufzu weisen hat.

Der Verfasser, welcher dem herrschenden Platonismus gegenüber sich

als völlig unbefangen zeigt, steht auf dem aristotelischen Standpunkte

der Erkenntnisstheorie, dass das Denken dem Ursprünge nach wohl

mit der Sinnes-Wahrnehmung verflochten sei, insoferne es aus derselben

seine Anregung empfange41''), dabei aber doch nur durch eine von den

Sinnes -Werkzeugen unabhängige Thätigkeit der erwägenden Vernunft

sein eigentliches Dasein erweise419), so dass die Vernunft (rofe'o) als

die geistige Urteilsfähigkeit die Real-Polenz des begrifflichen Denkens

(inlellectus) sei , wovon die Vernünftigkeit (ralionalilas) sich nur als

die graduell gesteigerte Fähigkeit unterscheide 42°). Eben aber in der

Verflechtung des Denkens mit dun Sinnen liege es, dass auch die Ein

bildungskraft (imaginalio), welche auf Erinnerung beruhe und daher

trotz allem Zusammenhange mit den Eindrücken dennoch über die un

mittelbar gegenwärtige Sinneswahrnehmung sich frei erhebe, sehr wohl

nicht ein Werk Abälard's selbst sei, geht daraus hervor, dnss der Verfasser gegen

das Ende (in der oben, Anm. 300., angeführlen Stelle) selbst den Abälard nennt;

allerdings war Cousin der Ansicht , dass die letzten Capitel der Schrift nur zu

fällig anderswoher angereiht seien ; jedoch selbst wenn dem so wäre (— obwohl

ich eher das Ganze für Einen Tractatus über verschiedene controverse Materien

halten möchte —), so scheint aus sprachlichen Gründen auch der Anfang nicht

ein Product Abälard's zu sein, denn nicht bloss ist der Stil überhaupt hier viel

härter und eckiger als jener Abälard's, sondern der Verfasser gebraucht auch als

synonym mit intelleclus die Worte „speculationes" oder „visus animi", welche man

bei Abälard vergeblich sucht. Uebrigens s. auch Anm. 432 f.

417) p. 461.: !>>' speculationibus itaque, hoc est intelleclibus, disserturi statuimus

ipsos primum a ceteris animae passionibus sive a/feclionibus disiungere.

deinde ipsos quoque ab invicem propriis separarc diffei'enliis, proul necessarium

doclrinae sermonum existimamus esse; stmt aulem quinque, a quibus diligenter eos

disiungi mnvenit, sensus videlicet, imaginatio, existimatio, scienlia, ratio.

418) p. 461.: Cum sensu inlellectus turn origine turn etiam- nomine < »Hindus

ett; origine quidem, quod quislibet quinque sensuum rem quamlibet allraclando ipsius

nobis inlelligentiam mox ingerit — Vocabulo etiam, — cum videlicet senstun verborum

dicimus pro inlellcclu ipsonan. p. 482.: Iota humana nolitia a sensibus

surgit.

419) p. 462.: Sensus perceplio rei corporalis est corporeo indigens instrumento

.... Intelleclus vero nee corpore» exercitio indigel instrumenti ...nee etiam virtuterei

exislentis Praeterea sensus nullam vim deliberandi aliquid habet .... Inletlectus

esse non polest, nisi ex rationc aliquid atlendatur.

420) p. 463. : Ralionem aulem dicimus vim ipsam seu facilitatem discreli animi,

qua rerum naturas perspicere ac diiudicare veraciler sufßcit Tantum itaque inier

rationalitatcm et ralionem di/ferrc arbiträr, quantum inier potentiam currendi et polenliam

fädle currendi Patet, intellectum tarn a sensu quam a ratione divenum

esse et cum necessario ex rationc deseendere tanquam perpetuum ralionis effeclum.

XIV. Anonymus De intellectibus. 207

Quelle von Begriffen sein könne, und zwar namentlich derjenigen, in

welchen wir die Eigenschaften (formae accidentales) der körperlichen

Dinge erfassen421), und überhaupt gehe eine Einsicht (intelligenlia),

welche gänzlich ohne alle Sinneswahrnehmung oder Einbildungskraft

bestünde, über die diesseitige Existenzweise des Menschen hinaus, und

auch wenn man hiehei an unmittelbare göttliche Offenbarung denke, so

sei dieselbe eben darum nicht eigentlich als ein begriffliches Denken,

sondern eher sofort als Wissen zu bezeichnen 422). Das begriffliche

Denken unterscheide sich so sowohl von dem Meinen (exislimalio),

welches zwar gleichfalls nur in Urtheilen, d. h. in der Satzverbindung,

sich bewege, durch die fortschreitende Thätigkeit der vernünftigen Er

wägung423), als auch von dem Wissen (scienlia), welches als bleibende

innere Gewissheit des Geistes auch dann beharre, wenn das Meinen

oder das begriffliche Nachdenken nicht ausgeübt werde424).

Ist so die Thätigkeit des begrifflichen Denkens wahrhaft nach dem

Sinne des Aristoteles in die Mitte zwischen die blosse Sinneswahrnehmung

und das reine Wissen gestellt, so wird nun auf solcher Grund

lage die Abälard'sche Auffassung des sermo mit einigen Modificalionen

durchgeführt. Die Gedanken als Erzeugnisse des Aussagens (vgl. Anui.

314) werden ebenso, wie letzteres in diclio und oralio zerfällt (Aniu.

271), in einfache und in zusammengesetzte getheilt425), wobei das

unterscheidende Merkmal darin liegt, dass in ersteren der ganze Gehalt

421) p. 464.: Itnaginalio esl quacdam sensus recordatiu confusa anmute

perceptio sine sensu, eins scüicet rei, quam imaginariam con/usam dicimus. p. 466. :

Nolandum quoque, quod, cum quidam omnes imaginalioncs quasdam sensuum recordationes

esse velinl, h. e. eas ex rebus sentitis solummodo haberi, Aristoteles tarnen,

teste Boethio super Periermenias (p. 298.), inlelleclus nostros imaginationibus minimc

haberi pmhibet Sensus consuetudo, a quo omnis littmana nolitia surgil , quaedam

per imaginalionem ingeril animu, quae nullo modo attendimus .... utpote pleraequc

accidentalcs formae corpomm, quas f'rcquenter sensibus experti sumus.

422) p. 467.: Forlasse iuxla Boelltium (p. 296.) intelligenlia, quam paucorum

admodum hominum et solius dei esse dicil, omnem et sensum et imaginationein ita

transcendit , ut sine ulraque Itabealur Quod nequaquam iuxla, Aristotelftn in hac

vita contingere credimus, nisi forte per excessum contemplationis revelatio clivina alicui

fiat, magisque hunc excessum nientis ab Arislolele scientiam, quam inleltectum,

appellari credimus. Während allerdings Bot'lhius die aristotelischen Stellen (aus

de an.) über imat/inatio anführt, scheint lelzlere Aeusserung über scientia nur auf

eiüer versprengten Noliz aus der zweiten Analytik (s. Abschn. IV, Anm. 116 ff.)

beruhen zu können.

423) p. 468.: Exislimare credere est, et exislimalio idem quod credulilas sine

fides , intelligere autcm speculari est per rationem .... Nee ulla est existimalio niii

de eo, quod proposilio dicere habet, h. e. de aliqua rerum vel coniunclione vel divisione.

Vgl. Anm. 628.

424) p. 469.: Scientia atitem neque intellectus est neque exislimalio, scd esl

ipsa animi certitudo , quaf nun minus absenle vel existimatione vel inlellectu permanet.

Auch diess war nicht aus Boethius zu schöpfen , sondern weist auf die

Analytik zurück (s. Abschn. IV, Anm. 81.).

425) Ebend. : Nunc autem iuxla promissionis nostrae propositum ipsos ab invicem

intelleclus superest diiigenter distinguere, ut secundum eos clara fial sermonum

discrelio .... Sicut enim sermonum, qui excitanl intellectus, ita est et intellectuum

natura, ut videticet, sicul sermonum alii simplices sunt, singulae scilicel dictiones,

niii compositi velut oraliones, ila et intelleclus ex sermonilms habili .... modo

simplices sunt — modo compositi.

XIV. Anonymus De intellectibus.

auf Ein Mal (Anm. 322), in letzteren hingegen nur successiv (Anm. 315)

zum Bewusstsein kömmt 42B), was dann auch im Hinblicke auf den

Unterschied zwischen Namenbezeichnung und Definition (vgl. Anm. 360 II'.)

derartig ausgedrückt wird , dass die ersleren Gedanken inlrller.iux contunctorum

und die letzteren inlMurtus coniungenles seien, sowie ent-

• sprechend bei den sog. negativen Begriffen, d. h. beim nomen inftnilum

(Aum. 351) die ersteren dtvt«oruin und die letzteren dividentes 4 2 7).

Nach diesem Standpunkte wird hierauf auch die Frage über die Einheil

der Gedanken erledigt, indem dieselbe, abgesehen von der factischen

Richtigkeit, lediglich in das Erwecken Einer geistigen Anschauung, die

Vielfältigkeit hingegen in das successive, durch Pausen unterbrochene,

Erwecken mehrerer Anschauungen verlegt wird428). Die Berechtigung

oder Nichlherechtigung (sanum vel cassum) der Gedanken, gleichviel

ob sie einfach oder zusammengesetzt seien, liege in dem faclischen Be

stände der Dinge429), hingegen von Wahrheit oder Unwahrheil (verum

vel falsum) könne nur bei zusammengesetzten die Rede sein, denn hier

werde ein vom Denken erfasster Gegenstand als grammatisches Subjecl

(vgl. Anm. 317 f.) durch eine denkende Erwägung in einer gewissen

Verbindung oder Nicht- Verbindung ausgesprochen, daher hier auch die

grammatischen Verhältnisse der Verbindung, d. h. der sog. Construction,

von Einiluss seien J3°), in welcher Beziehung z. B. das disjunctive

426) p. 471.: Et hoc esl, ul arbiträr, di/ferenlia intellecluum dictionis et orationis

easdcm prorsus res signi/'icantium , quod videlicel per dictionem, quac nullis

scilicet siijni/icativis parlibus conslal , omnia simul inlelligimus , per orationem vero

eadem per successionem colliaimus.

427) Ebend. : Est ilaque intellectus nominis et diffinilionis eins proprie quodammoAo

idem et quodammodo diversus, idcm quidem secundum effcclum intellectamm

rerum, .... diversus aulem, quia ibi omnia simul, hie succedunt El ideo hi

intellectus, qui de rebus ut iam coniunctis habelur, coniunclorum esl; ille aulem

coniungcns esl intellectus , qui per successionem progrediendo rcbus prius intellectis

alias postmodum inlellcclas aggreyal p. 472.: Ita inlellectus divisorvm et dividens

; sicut enim ,, animal" intcllectum coniunctarum rerum facit, ita ,,non animal",

quod eit inßnitum nomen, divisorum /acil ; cl sicut animalis dif/inilio coniungentem

facil intellcctum, ila descriptio non-animalis dividentem Sunt itaque intelleclus

coniunctarum vel divisantm rerum diclionunt lantiini , coniungentes vero vel

dividenles inlelleclus orationum tanlum sunt. Beireffs des dividens vgl. oben Anm.

373.

428) p. 473 f.: Unos aulem dicimus inlellectus , quicunque simplices sunt vel,

si sunt compositi, in una coniunctione vel divisione seu disiunclione consistunt

JVec referl ad conceptionis modum vel unitatem, sive in re ila lit, ut concipitur, sive

non, sed ad conceptus solummodo vcritatem; aeque enim unus cst intellectus „lapis

ralionalis"', quomodo „animal rationale" Saepe aulem contingil in tmo intellectu

plures fieri coniunctiones , — verbi gratia si dien m ,,liomo ambulans qui currit"

p. 475. : Mulliplicem vero intelleclum dicimus multos intelleclus ab invicem dissolutos,

ut si dicam „animal" et postmodum paullulßm quiescens addam „ratio

nalt". Vgl. hingegen Abälard's Ansicht, Anm. 316.

429) p. 475 f.: Sanas quidem dicimus intellectus, per quoscunque ila, ut sese

res habet, altendimus , sire illi quidem sint simplices sive composili; cassi vero c

contrario dicuntur tarn simplices ijuam composili, quos frequenlius opiniones vocare

consuevimus (s. Boeth. p. 305.).

430) p. 476 f.: Veros aulem vel falsos inlellectus ilicimus eos solummodo, qui

composili sunt Unde bene secundum intclligenliac quoque, non lanlum constructionif

, ordinem subiectum dicimus terminum, per quem intellectu primo res subsli

XIV. Anonymus De intellectibus. 209

Urlheil (welches auch hier als Species des hypothetischen betrachtet

wird, s. oben A tun. 399) im Gegensatze gegen obiges dir i dun* als af

firmatives Urlheil genommen werden müsse431). Die Betrachtung aber

der Berechtigung (sununt) der Gedanken führt nun auf die Frage, oh

denn all jenes Denken, in welchem wir die Dinge anders erfassen als

sie sind, unberechtigt (cassum) sei; und indem darauf hingewiesen

wird, dass wir im Denken durch „abslraclio" sowohl vom Stoffe ab

sehen und bloss die Form helrachlen können, als auch von der indivi

duellen Erscheinung absehen und bloss das einheillich Gleiche derselben

erfassen können, sowie dass wir umgekehrl durch „sublractio" von der

Form absehen können, so wendel der Verfasser bezüglich der „abslractio",

welche auf die Universalien hinausläuft, jene nemlichen Ausdrücke

an, welche wir oben (Anin. 132 ff.) bei den Verlrelern der Indifferenz-

Lehre Iral'en, aber er lenkl diese Ansicht in den aristotelischen SRin

hinüber, indem er ausdrücklich sagt, dass das indifferens, während es

in der vielheillichen concreten Erscheinung nie das Existirende ist, doch

wesentlich (essenlialiler) Nichts anderes als das Individuum, sondern

gänzlich das Nemliche (penüus idem) sei und eben nur durch die Aus

sage (per praedicationem) von den Individuen abstrahirt werde 432J;

und indem er hicniit von dem platonischen Nebenzuge, welchen die

Auffassung der Universalien bei Abälard hatte, sich völlig frei macht,

weist er entschieden dem menschlichen Denken (inlelligere) es zu, die

Dinge in solchem Erfassen des indifferens eben anders zu denken, als

tuilur, quam deinde in copulalione i>el remolione alicuius deliberemus p. 478.:

Sicut autem in eo , quod dicilur, vis enuntiationis consistit, .... ita in intellectu

termini, qui dicilur, h. e. praedicatur, vis deliberanlis inlelligenliae constituitur

p. 479.: Non est ilaque necesse, ut eaedem penitus voces in signißcatione idem penitus

in contcxtu conslructionis valeant, de quo plenius in conslructionibus prosequimur.

Den Priscian'schen Ausdruck ,,conslruclio" trafen wir schon oben Anm. 263 u. 273.

431) p. 479 f.: Differt autem ab invicem dividens et disiungens inlelleclus, quod

dividens inlelleclus negationis est, disiungens vero afßrmationis , ...ex pluribus,

quae mente concipil, unum tuntum constituil, ul ... quicunque sunt hypotheticarum

disiunctarum inlelleclus.

432) p. 480 f.: lliud quoque inquiri ac diffiniri necessarium iiidico , ulrum

omnis intelleclus aliter quam res sese habeat allendens cassus ac vanus dicendus sit

Per abslractionem autem illos dicimus intelleclus , qui vel naluram alicuius formae

absque respeclu subieclae maleriae in se ipsa speculanlur , vel naluram quamlibet

indifferenter absque suorum scilicel individuorum discretione meditantur .... Cum

naturam humanam, quae singulis inest hominibus, ila indifferenter considero, ut nullius

hominis personalem discrelionem altcndam, h. e. simpliciter hominem excogito,

in eo scilicel tanlum, quod homo est, i. e. animal rationale mortale, non etiam in

eo, quod est hie homo vel ille, universale a subiectis abstraho individuis. Sit itaque

abslraclio superiorum ab inferioribus , sive scilicel universalium ab individuis

per praedicationem subiectis, sive formarum a maleriis per fundationem subiectis.

Sublraclio vcro e contrario dici polest, cum aliquis subieclae naturam essenliae

abeque omni forma nititur speculari. Vlerque autem intelleclus, tarn abstrahens sci

licel quam sublrahens, aliler quam res se habet concipere videlur p. 482.: JVi/squam

enim ila pure subsistil, sicut pure concipitur , ...et nulla est nalura, quae

indifferenter subsistat , sed quaelibel res, ubicunque est, personaliter discreta est atque

una numero reperitur .... Humana nalura in hoc homine , i. e. in Socrate, quid

atiud est quam ipse? Nihil utique aliud, sed idem penitus essentialiter Tota

humana nolilia a sensibus surgil; ac per hoc insensibilium rerum Status ad modum

iensibilium excogitare ipsa nos sensuum experimenla compellunl.

PRANTL, Gesch. U. 14

210 XIV. Anonymus De inlellectibus.

sie in tler concreten Erscheinung sind, was natürlich nichl damit zu

verwechseln sei, wenn das Denken eine laotische Unrichtigkeit ent

halte 433). Aber auch die Kehrseile jener Frage wird erörtert, neiulich

ob alles Denken, welches die Dinge erl'asst, wie sie sind, ein berech

tigtes sei; und es dreht sich die Beantwortung um die Widerlegung

oder Lösung eines Fehlschlusses, welcher damals in den Schulen unter

dem Namen des „Esels-Be weises" (s. Anm. 113) üblich gewesen /.u sein

scheint und auf folgenden Witz hinauslief: Wer denkt, dass Sokrates

ein Esel ist, denkt, dass ein gewisses lebendes Wesen (nemlich Sokrales)

ein Esel ist; da aber ein gewisses lebendes Wesen wirklich ein

Esel ist, so denkt Jener richtig 434). Uebrigens bringt der Verfasser

bei seiner Besprechung der Denktliätigkeit auch noch eine Unterschei

dung bei, welche im Vergleiche mit Abälard in Bezug auf Feinheit und

Tiefe der Auffassung als ein Fortschritt bezeichnet werden muss: nem

lich das begriffliche Denken (inieiligere) überhaupt unterscheide sich

von dem begrifflichen Denken eines speciellen Objectes, denn bei letz

terem erhalle in dem blossen Erfassen des Ohjectes das geistige Schauen

an dem Objecle seine Bestimmtheit und seinen Ahschluss, und ebenso

reiche auch das Bezeichnen (significare), indem es das begriffliche

Denken erwecke, über die Einzel-Bezeichnung eines Objectes hinaus,

da letztere in einem bestimmt abgeschlossenen Denken verweile 435).

433) p. 483 f.: Cum dicu ,,intelligo istam rem aliler qttam sit", duo sunl

sensus: unus quidem hviusmodi, si ita dicam, quod alius modus sit in intelligendo

rem, alius in subsislendo , i. e. alius modus tit in intelligcnliu eins, alius in subsislentia

ipsius — Alius vero sensus , si ita dicam „intelligo hanc rem aliler quam

sif", j. e. in slalu alio eam atlendo , quam ipsa in se habeal, vel quocunque modo

aliler se habenlern quam sese habeat Sie uiiquc quaeslio supraposita polest intelligi

....et secundum diversos sensus diversae sunl dandac responsiones. Si enim

ita quaeralur, utrum omnis intelleclus, qui alium modum atlendendi habet, quam res

subsislendi, vanus sit, nun est concedendum. Aus dieser ganzen Erörterung geht

hervor, dass Cousin zu vorschnell war, wenn er diese Schrift für ein Werk Abälard's

hielt.

434) p. 482 f.: Aliam propositi nostri parlem persequamur, ulrum videlicel

omnis inlelleclus sanus sit dicendus , qui ita ut sese res haltet eam intelligil. Quod

. . . habet nonnullam impugnationem. Quippe qui hunc hominem asinum esse intelligil,

intelligit et ipsum esse animal et quoddam animal esse asinum, quae ulraqur

vera sunl; concedendus est inlelligere, esse animal, cum in asino necesse sit

animal substanliam inlelligi Ac per hoc profccto, qui intelligil, hunc hominem

esse animum, verum inlelligere convincitur p. 485.: Non esl audiendus ; cum

i'iinii hoc nomen ,,asinus", quia simplex est sermo, simplicem habeal intelleclwn el

non ex parlibus coniunclum, non possumus in praedicalione eius intelleclus diversarum

enuntiationum distinguere Obüci solet, quod omnis, qui inlelligit Socratem

esse asinum, intelligit quoddam animal esse asinum, et omnis qui inlelligil

quoddam animal esse asinum, intelligil verum, et ila omnis, qui inlelligit Socralem

esse asinum, intelligit verum. Facile responsum damus , quod videlicet , si medius

terminus in eodem sensu sumalur, firma sit omnino complexio.

435) p. 487.: Hon est necesse, nl si alicuius intelleclus conceplus habeam,

quoquo modo ideo illud intelligcre dicari et licel intelligere simpliciter sumpium sit

ab intellectu , non tarnen intelligere hoc sumptum est ab inlellectu huius rei, cum

videlicet — inlelligere hoc non sit simpliciter hunc inlellectum habere, sed sie eum

habere, ut insuper visus animi termi-netur ibi ac perficialur. Nam et significare idem

est quod intellectum constituere, non tarnen significare aliquid idem esl quod inlel

lectum de eo constituere. Alioquin, cum singuli serniones inlelleclus quoque ticut el

XIV. Anonymus De inlellcctibus. Adam v. Petit-Ponl. 211

So können auch die sensualislischen Nuancen des Noininalismus eben

von diesem Standpunkte aus bekämpft werden, dass die Denkthätigkeil

in freier Erwägung in sich selbst fortsc-breite 4363, und es wird diese

Selbständigkeit des Denkens gegenüber dem factischen Bestände noch

an einigen anderweitigen Beispielen nachgewiesen437). Eine hierauf

folgende Erörterung über die Einlheilung des Seienden in Substanzen

und Accidentien wurde ihrem Hauptkerne nach schon oben, Anm. 191,

angeführt. Endlieh aber wird in kurzer Andeutung die Frage über die

Universalien (s. oben Anm. 74) derartig erledigt, dass sowohl den Rea

listen die nothwendige Consequenz einer ins Unendliche fortgesetzten

Einschachtlung der Formen als auch den Nominalisten der Mangel an

Ideal-Sinn vorgeworfen wird438), und bezüglich der Formen die Ahälard'sche

Ansicht die Zustimmung des Verfassers erhält439).

In der stärkeren Betonung der Lehre vom Urtheile mochte vielleicht

mit Abälard auch Adam von Petit-Pont übereinstimmen440), wel

chen wir als einen Bearbeiter der ersten Analytik schon oben (Anm.

20) erwähnen musslen, sowie eine unten (Anm. 522) anzuführende

Stelle gleichfalls einen Beleg enthält, dass er jenes Werk benutzte.

res significare dicuntur, non tarnen ideo de inteUectibus rursum alias intellectus constiluunt.

436) p. 488., woselbst nach den oben, Anm. 77., angeführten Worten folgt:

Quod omnino falsum apparel Cum ilaque dicimus ,,homo intelligilur", hie esl

sensus , quod aliquis per inlelleetum naturam concipit humanam, h. e. animal tale

altendit p. 489.: Ex nalura tarnen ipsius sensus, qui, nisi in aliquam rem

existentem agal, exerceri non potest, concedendum arbiträr, quod si quis hominem

senlial , hunc vel illinn sentiat. AI vero intelleclus non minus haberi polest etiam,

si res non sit , quiu et eorum, quae iam praelerita sunl , memoria recordamur et,

quae futura sunl, per proviäentiam iam concipimus et, quae ntaiquam sunl, nonntinquam

opinamur alque fingimus, ut chimaeram, centaurum, Sirenen, hircocervum

(s. Boeth. p. 296.. Ahschn. XII, Anm. 110.).

437) p. 489 f.: Qtiaeril etiam illud fortassis aliquis, cum audio ,,omnis homo",

utrum intelligam omnem hominem, vel cum dicitur de aliquibus duobus , quod ,, alter

eormn currit", utrum intelligam allerum eorum currere, vel cum dicilur „chimaera

quae est alba", utrum inlelligam chimaeram, quae est alba, sicut cum audio „chi

maera" inlelligo chimaeram, nee non eliam, ulrum cum audio hoc nomen „non intelligibile",

intelligam non intelligibile . Hiebei wird dann p. 490 —492. überall ge

zeigt, dass mit dem ,,inlelligo" durchaus nicht das aüsserlich factische Sein mit

gegeben sei.

438) p. 494.: 0«« aulem forma's universalüer essentias esse volunl, si ralionabililer

agant, inquiramus ; et primum inquirendum videtur, si concesserint, unum

praedicari de unaquaque, sie quoad praedicationem suam (der Text, welchen Cou

sin gibt, ist unverständlich) unitatem messe illi de quo praedicatur, innuant. Quod

si concesserint, Socratem habere unitatem, cum unus sit, concedere debent, et uni

tatem Socratis habere unitatem formam sui, cum una sit, et illam aliam, et sie

tanla multiplicitas fiel, quod in natura numerus non occurral (s. unten Anm. 477.)

p. 495. : Illi autem qui non asserunt essentiam nisi substantias , fortasse vere

virlules et vitia et colores aliquid . esse denegabunt; sed quam rede id faciant, sapientes

iudicent.

439) S. die schon oben Anm. 300. angeführte Stelle.

440) Er war ans England gebürtig, trat als Lehrer des Triviums in Paris

auf, wo er seine Schule in der Nähe von Petit-Pont hatte, und wurde später Bi

schof von St. Asaph in Nord-Wales. Dass er in der Theologie ein Gegner des

Gilbertus Porrelamis war, berichtet Otto Fris. de gest. Frid. I, 51, p. 436. Urstit.

14*

212 XIV. Adam v. Petit-Ponl.

Wohl würde es durch eine solche Thätigkeit sich erklären, dass Adam

zu den Neuerern gehörte und somit über Diejenigen lachte, welche Alles

in die Isagoge hineinpfropften (s. Anm. 56 ff.), aber er scheint dennoch

nach dem Sprichworte, dass man mit den Wölfen beulen müsse, ver

fahren zu sein 441) und wenigstens als Lehrer mit ziemlicher Afl'ectation

im Aeusseren doch nur allbekannte Dinge vorgetragen zu haben442),

wobei er wohl auch in eitler Prahlerei Manches als eigene neue Er

findung ausgeben mochte 443). Von seiner schon oben , Anm. 20, ge

nannten „Ars disserendi" gab Cousin einige kärgliche Bruchstücke, mit

welchen uns wahrlich wenig gedient ist 444). Wir ersehen nernlich

daraus nur, dass Adam in der Einleitung eine eigenlhümliche Unter

scheidung aufstellte, wornach das Wissen (scienlia) auf geistiger Be

gabung allein (vgl. oben Anm. 422), die technische Durchführung aber

(ars) auf Begabung und Uehung, und die Gewandtheil (facullas) auf

Begabung, Uebung und Technik beruhe445), sowie dass er von dem

Urlheile ausgegangen zu sein und innerhalb desselben den sachlichen

441) loh. Saresb. Metal. 111, 3, p. 129. (ed. Giles): Plane magis dedocent

quam erudiunt, qui in hoc libello (d. h. in der Isagoge) legunt universa et etan

brevilate sua conlenlum esse non sinunt; quidquid alicubi dici polest, hie congervnl

Deridebal cos noster ille Anglus l'eripateticus Adam, cuius mstigia sequuntur

multi, sed pauri praepcdienlc invidia profilentur; dicebalque se aul nullum aul audilores

paucissimos habilurum, si ea simplicitate sermonum et facililate senlenliarum

dialecticam traderel, qua ipsam doceri expediret.

442) Waller Mapes (s. unten Anm. 525.), Mitamorph. Goliae , v. 193 ff. (ed.

Th. Wrighl p. 28.): Inter hos et alias in parte remota Parvipontis incola, non loquor

ignota, Disputabat digilis direclis in iota, Et quaecunque dixerat, erant per

se nota.

443) loh. Saresb. Enlhel. v. 49 ff. , woselbst nach den oben Anm. 59. ange

führten Versen folgt: Incola sum modici Ponlis novus auclor in arte, Dum prius

invenlum glorior esse mcum; Quod docuere senes nee nouil amica iuvenlus, Pecloris

invenlum iuro fuisse mei; Sedula me iuvenum circumdal lurba putatque Grandia

iactanlem nonnisi vera loqui.

444) Cousin, Fragm. pliil. (s. Anm. 416.) 2. Aufl. (1840), p. 417 ff. (Aufl. v.

1855, p. 333 ff.). Abgesehen von dem äussersl corrupten Texte der Handschrift,

an welchem alle Versuche einer Exegese scheitern, ist auch die Masse des Mitgetheilten

doch allzu gering. Dass aber das Werk Adam's für uns von Wichtigkeit

sein müsste, sieht man aus folgendem Anfange des 2. Buches, welcher eine Recapitulalion

des 1. enthält und bei Cousin (p. 423.) lautet: Ad prioris a sequenli

libro distinctionem (Cousin's Text hat sil distinctiones), quid in hoc dicendum, quid

in illo dictum, interserere (scheint licet oder cfgl. ausgefallen zu sein). De quo et

ad quid cl qualüer artis disserendi inslitulio, praemonslravimus ; a quibus disserendi

principium in cortim principiis duplicem, in ipsis dupliciter dupliccm disserenti atlenlionern

praescripsimus , de quo dical et qualiler id designet; posl principia item

duplicem, quid de eo dical et qualiler id designel; de quibus autem dical, prima

in qiiatuor, denique distinctius distinximus , et ex hoc principiorum genera, quae

sunt et ad quae, docuimus. Nemlich so unverständlich diese Worte auch grossentheils

sind, so blickt doch eine ganz eigenthümliche Gliederung des Ganzen durch.

445) p. 419.: Principium proposili, de quo et ad quid et qualiter ars disse

rendi instiluenda, dicere; propositum aulem, de eo et ad id et sie artis rationem

instituere. Erit autem, qualiter arlem inslilui conveniat, cognito eius inilio manifestius

Innolescal igitur, quoniam initium non idem scientiae et artis et facultalis

disserendi; id aulem innotescet, ex quibus horum inilia, cognito; sunt autem

ex tribus: ingenio , usu, arte Scientiae enirn disserendi ex ingenio absque ceteris

initium; artis autem ex hoc et usu; facullatis aulem ex his et arte.

XIV. Robert Pulleyn. Peter v. Poiliers. 213

Inhalt und die sprachliche Form unterschieden zu hüben scheint446).

Einen Schüler Adam's werden wir unten (Anm. 522) treflen.

Während nun auf solche Weise, wie wir uns bisher hinreichend

überzeugen konnten , die Dialektik in reicher Fülle als specielle Disciplin

eine ausführliche Pflege fand, fehlte es um die Milte des 12.

Jahrhundertes auch nicht an Solchen, welche lediglich von der Theo

logie aus gelegentlich auf logische Momente stiessen und dann in der

üblichen Weise mit dem platonisch-christlichen Realismus es sich ziem

lich bequem machten oder die Unvereinbarkeit der Logik und der Glaubens-

Mysterien aussprachen. So erwähnt Robert Pulleyn (er lehrte

in Paris und in Oxford, starb im J. 1154), welcher vor keiner dogma

tischen Consequenz zurückscheut, sondern Alles "und Jedes zu construiren

versucht, bei seinen Erörterungen über die Trinität auch Ansichten

der Dialektiker, wobei wir theils Wilhelm v. Champeaux theils Abälard

wiedererkennen 44~) ; er selbst jedoch, in der Ueberzeugung, dass hierin

die Dialektik ein vergebliches Unternehmen sei448), schaukelt sich ab

sichtlich von Zugeständnissen aus, welche uns an die Indifl'erenz-Lehre

erinnern, in einen völligen Skepticismus hinein, indem er verschiedene

Partei-Stellungen der Logik gleichmässig als berechtigt zugesteht und

zuletzt bei dem blossen gewöhnlichen Sprachgebrauche bezüglich der

Uni versauen stehen bleibt449). Und während Petrus von Poitiers

446) p. 421.: Principium disserenäi ab interrogalione vel enuntiatione. Quoniam

igitur ab ipso disserendi principio docendi disserere proposilum inchoari conveniens,

sie de iis docendi disserere principium , a quibus est disserendi /'.'**

igitur enuntiatio veri vel falsi dictio ut ad disserendum; inlerrogatio vero quid sil,

notivs est quam ut diffiniri oporteal p. 422.: Duplieem uirinque considerationem

adhibendam instituimus . alleram eorum, de quibus et quae dicuntur, alleram

verborum, quibus ea de illis. Quoniam mim, quae consideratione percipiunlur, verbis

designari aeque conveniens , de quo et quibus enuntietur vel interrogetur, ex arte

considerato, qualiler secundum locutionem utrumque ut ad disserendum designari conveniat

, non minus attente considerandum.

447) Rob. Pulli Sentent. l, 3 (ed. Mathoud, Paris. 1655 fol.), p. 33 a.: Dicet

dialecticus : Specks est tola substantia individuorum totaque species eademque in singulis

reperilur inditiiduis; itaque species una est substantia, eius vtro individua

mullae personae et hae mullae personae sunt illa una substantia, nam secundum Porphyrium

onmes homines participalione speciei sunl unus homo (diess ist die Ansicht

Wilhelms v. Champeaux, s. Anm. 105.).... Sed dices: Sunt nonnullae formae generum,

quae ea nequaquam ducunt ad esse specierum; sunt quoque proprietates pertinentes

ad substanliam, sed non effieiunt personam (so Abälard, s. Auin. 300 i.).

448) Ebend.: Dialeclice, obscuro obscurum incredibili creditum sohere quaerit;

nihil proficis.

449) Ebend. p. 35 b. : Omnem rem vere informem discretione cogilatuum , non

»arielale formarum, distinguimus ; haec enim est vis menlis, ut concipiat diversis

modis rem licet formis non diversam (diess trifft wörtlich mit dem „diversis modis

attendere" der Indifferenz-Lehre, s. Anm. 133., zusammen). Quod dico, difßcile

esl videre , difficilius explanare. Nam concolores per quid inter se conveniunt, per

quid a discoloribus di/ferunt, si accidentia non sunt? An, ut quidam aiunt, conveniunl

et di/ferunt, sed in nullo , ut albi similantur (diess wäre Abälard's ,,consimile",

s. Anm. 299. u. 307.); sed in quo? An in participatione speciei? Sed ratio

evincil , universalia non esse (diess beruht auf dem Ausspruche „r«s de re non

praedicatur", s. Anm. 132. u. 287., oder stimmt mit Johannes v. Salesbury über

ein, s. Anm. 590.). An in dividua albedine? Sed singuli cernuntur suam, non alterius,

haben (so die Nominalisten, s. Anm. 78.). Verumlamen sibi similes esse

214 XIV. Peter v. Poitiers. Robert v. Melun.

(ein Schüler des Petrus Lombardus, blühte um 1160— 1170) gleichfalls

gegen die Anwendung der Dialektik auf die Trinitäts-Frage prolestirle 45°),

knüpfte er dennoch viele seiner Erörterungen an Pscudo-Boethius De

Trinitale (s. Anm. 35 ff.) an, und zwar mit der komischen Bemerkung,

jene Schrift sei mehr philosophisch (!) als theologisch, und man dürfe

daher durch dieselbe sich nicht irreleiten lassen451); auch zeigt die

Unterscheidung der Substanz als Subject und der Substanz als Form,

sowie die Unterscheidung der substantiellen Form als einer das Indivi

duum erzeugenden und als einer die Arten und Gattungen hervorrufen

den nur den rohesten platonisch-theologischen Realismus 46'2). Desglei

chen findet sich hei seinem Zeitgenossen Robert von Melun, dessen

äusserliche Gewandtheit in der Dialektik sehr gerühmt wird453), nur

der onlologische gewöhnliche Realismus, welcher theoretisch zu stumpf

ist, um auf die logischen Momente überhaupt einzugehen, oder, wo er

solches ihut, sich eben blamirt, wie z. B. wenn gegen die Einheitlich

keit der Bedeutung , welche in „esl", und jener, welche in „ens" hegt,

polemisirt wird 454). Zu verwundern aber ist es demnach nicht, wenn

liquel, quia, licel diversas , habent tarnen albedines. Sed ii formas lollimus, unde

similes? Si sie dico, in consuetudine loquor, autores tarn dtiinos quam mundanos

videor haben adversos.

450) Petri Pictav. Sentent. I, 32 (ed. Malhoud, Paris. 1655, (öl.), p. 93 a.:

Non videtur ergo transferenda conversalio dialecticorttm ad huiusmodi propter inconvenientia

— 33, p. 94 b. : Quod ergo dicil Johannes Damasccnus (s. Abscho. XI,

Anm. 170.), non ila accipiendum , ul universalia et individua ila accipianlur sicut

in philosophicis disciplinis Si quaeratur, an hoc praedicabile ,,deus" sit univer

sale vel Individuum, neulrum hie admittendum. Und dennoch wurde auch er ver

ketzert, s. Anm. 478.

451) Ebend. I, 4, p. 8 b.: Ideo imponitur Bocthio, quod illam diffinilionem

( ii. b. der persona) magis posuil ul philosophus, quam ul theologus. 32, p. 93 b. :

Sed nostri llieologi plerique non habent illam diffinilionem pro aulhenlica, quia magis

fuil philosophus quam theologus et magis ad probabilitatem locutus est quam ad

veritatem,

452) Ebend. l, 6, p. 12 a.: Substanlia a subslando dicilur ipsum subiectum,

quod subslat formis, sive sil corpus sive alia res; substantia a subsistendo dicitur

forma, quae adveniens subieclo illud sulisistit, i. e. sub se et aliis formis sistit, i.

e. substare sibi et aliis facit, sicut imag'o sigilli ceram Sed subslanlialis

forma duplex est, vel quae facit ,,quis", el lalis est omnis individualis proprietas,

i. e. individuo et proprio nomine, ul Plalonitas, cuius participatione Plato est quis;

vel quae facit ,,quid", ut speciale vel generale , i. e. quae speciali vel generali no

mine signiftcalur, ut humanilas, animalitas, cuius participalione Plato est quid, non

vero quis.

453) loh. Saresb. Melal. II, 10, p. 78 f. (ed. Giles): Sie ferme toto biennio

conversatus in monte (A. h. Sanctae Genovefae) artis huitis praeceptoribus usus sum

Alberico (s. unten Anm. 521.) el Roberto Melidunensi, ul cognomine designelur, quod

meruit in scholarum regimine, natione siquidem Angligena esl, quorum alter

Alter autem (d. h. Robert) in responsione promptissimus sublerfugii causa propositum

nunquam dcclinavit articulum, quin alleram conlradiclionis partem eligeret aul

determinata multiplicilale sermonis docerel, unam non esse responsionem in responsionibus

perspicax , brevis el commodus.

454) Ausser jenem , was bei Bulaeus , hisl. univ. Par. II, p. 264. sich findet,

hat Hauriiau, de la phil. scolast. l, p. 333 ff. noch Mehreres ans Handschriflen

mitgetheilt; aus Letzterem kann, da alles Uebrige unseren hiesigen Zweck nicht

berührt, bezüglich eines logischen Punktes folgende Stelle (p. 333.) angeführt

werden: Has vero voces „esl" el ,,em," eiusdem esse significalionis , omncs philo

XIV. Gilbert Porrelanus. 215

die Schüler dieses Robert über die aristotelische Topik als ein unbrauch

bares Buch schmähten (s. oben A um. 29).

Hingegen hat bei Gilberlus Porretanus (geboren in Poitiers,

daher auch Pictaviensis genannt, gestorben i. J. 1 154) 'das theologische

Gezanke über die Trinilät zu einer ganz bestimmten logischen Auffassung

bezüglich der Universalien Veranlassung gegeben, und wir müssen daher

ausser der Schrift De sex principüs, welche in den nächsten Jahrhun

derten für sehr bedeutend gehalten wurde, auch den Commentar dessel

ben zu Ps.-Boelhius de 2'rinita<e4j5) näher ins Auge fassen. Dass

Gilbert bereits die aristotelische Analytik kannte , wurde schon oben

(Anm. 21) erwähnt; jedoch macht er, abgesehen von jenem Citate, in

der That keinen weiteren Gebrauch von einer inneren Kenntnis« der

dortselbst enthaltenen Principien, sondern bewegt sich nur in dem enge

ren Umkreise der allgemein üblichen Schul-Logik 456). Während auch

er uns das eigenthümliche Schauspiel des Widerspruches zeigt, mit

allem Aufwands logischen Scharfsinnes über die Trinitäl zu discutiren

(s. jedoch Anm. 478) und dabei zugleich eine durchgängige Scheidung

Gotles und des natürlichen Gebietes festzuhalten, scheint er allerdings

über Aufgabe und Stellung der Logik durchaus in sich selbst nicht klar

gewesen zu sein. Es lässt sich bei ihm das ontologische und das

logische Gebiet nicht einmal in jener Weise wie bei Abälard auseinan

derhalten, sondern trotz all seinem realistischen Grundlone acceplirt er

völlig naiv und unbedenklich die Function des menschlichen Sprachaus

druckes; denn die Erweckung des Gedankens verlegt er, einen Salz

des fi^ethius wiederholend, ganz gleichmässig in die Eigentümlichkeit

der Dinge und ebensosehr in die feste Bedeutung der Worte457), und

wenn er auf die nemliche Weise die Qualität des Urtheiles in der Ab

folge der Dinge und der Worte oder in der Modalität des Ausdruckes

findet, — was uns an Abälard erinnern könnte, s. Anm. 318, 327,

330 —, und somit die Aufmerksamkeit auf die Sprachform einschärft458),

so stellt er wieder den philosophischen Gehalt, welcher auf die Eigen-

Ihümlichkeil der Dinge (proprielas rerum) geht, sofort neben die der

sophicae clamilanl scriplurae ; in istis ergo locutionibus „mundus est ens", „mundus

est", lerminis oppositis idem siynificatur ; sed nullus tanta amentia ignorantiae excaecatus

est, qui aliquam hurum vocum „essenlia, es.t , ens" in illa significatione

retenla, in qua creaturis convenit, deum <iel essentiam divinam significari praesumal

n. s. w.

455) Gedruckt in Boethii Opera ed. Basil. 1570, p. 1128—1273. —'

456) So erwähnt er z. B. p. 1185. den Unterschied zwischen Syllogismus und

Enthymema, p. 1187. „dialecticorum topica generalis omnibus nota", p. 1225. „regula'dialeclicorum

de conversione", p. 1187. „conceptio communis", f. 1224. „conceptus

non entis" (z. B. Centauren), p. 1226. nihil als nomen inßnitum, u. dgl.,

und auch die Erwähnung der sechs Sophismen (p. 1130.) kann er aus der nemlichen

Quelle wie Abälard (s. oben Anm. 7.) geschöpft haben.

457) p. 1131.: Cttm in aliis inlelligentiam excitet rei certa proprietas aut

certa vocis positio, etc p. 1132.: Tria quippe sunt, res et intellectus et sermo;

res intellectu concipitur, sermöne signißcatur (Boeth. p. 296., s. Abschn. XII, Anm.

110.).

458) p. 1130.: Qualüas autem orandi vel in rerum alque dictionum consequentia

vel in earundem tropis attenditur. p. 1268.: Quia omnis dictio diversa significal,

quid et de quo diligen'i auditor attendit.

216 XIV. Gilbert Porretanus.

Logik anheimfallenden Verhältnisse der Aussage (loquendi ralioites) und

zugleich neben die grammatischen, die sophistischen und die rhetori

schen Momente hin459).

Ist so Gilbert in den Fragen über das Verhältnis des objecliv

ünlologischen zu dem subjectiv Logischen selbst noch naiver, als Scolus

Erigena gewesen war, so ist es hingegen nach der ersteren Seite der

Begrill1 der Substanz, durch welchen er in dem Streite über die Uni

versalien eine Parleislellung einnimmt; und wenn dieselbe uns wesent

liche Berührungspunkte mit anderen Ansichten zeigen wird, so ist diess

eben ein neuer Beleg dafür, dass die Parteien in mannigfachen Knoten

punkten sich kreuzten. Gilberl nemlich unterscheidet an dem Begriffe

der Substanz, welcher in allumfassender Weise als höchster Gattungs

begriff von allen, sowohl körperlichen als unkörperlichen, Wesen gilt,

nach dem Standpunkte der theologischen Terminologie (d. h. des PS.-

Boelhius) zwei Seiten, wornach bei einem Wesen sowohl dasjenige,

was es ist (quod est — subsistens), als auch dasjenige, wodurch es

ist, was es ist (quo est — subsistenlia), als seine Substanz bezeichnet

wird 4ßo). In letzleres aber nun, nemlich in die Subsistenz, verlegt er

in einer eigentümlichen Weise dasjenige, was wir bei Scolus Erigena

als die „Nalur der Dinge" (vor. Abschn. Anm. 105 u. 127) und bei

dem Verfasser der Schrift De gen. el spec. als „una crealura" oder

„similis crealio" (oben Anm. 159 u. 163) trafen; nemlich er deüuirt

Nalur kurzweg als den die Wesen formenden arlmachenden Unterschied,

und indem er es ablehnt, ein Subsistirendes oder etwa auch die Galtung

oder Art als Natur zu bezeichnen, sagt er, die Natur oder Dasjenige,

459; p. 1246.: Ne ergo tectorem decipere possit aliqua dictio, quae, cum sensum

aurium sono excital , in quacunque oratione ponalur, offert menli, quaecunque

significat, rerum proprictatem , quam aptid philosopltos didicit, recolal et loquendi

rationes, quas logica ministrat, atlendal atque <tvvial;iv ex grammalicorum, ii^iv

ex dialecticorum seu sophistarum, (irjaiv ex rhetorum locis considerans de tot significalis

id, quod ad propositum pertinet, convenientium illi rationum adminiculis

eligal.

460) p. 1152.: Hoc nomvn, quod est ,, substanlia", nun a genere naturalium,

sed a communi ratione omnium, quae sunt esse, subsistenlium inditam esl non solum

illis , quae sunl esse, i. e. subsislenliis , sed etiam illis , quorum ipsae sunt esse,

i. e. omnibus subsistentibus ; quoniam tarnen omnium, i. e. corporalium et incorporaliitm,

subsistentium, quod ab illorum subsistenlia communi generalissinmm esse, nomen

non habetur, saepe latini hoc pro eo ponunl; unde et in Isagoge Porphyrius

(Boelh. p. 68.), nbi ait „substanlia est quidem", supponil ,,et ipsa est yenus",

>l u ''in iste (d. h. Ps.-Boelh, de Trin.) sequilur, pro omnium subsistentium generatissimo

ait ,,substanlia" . p. 1151.: Error, .... nescire huius nominis, quod est ,,subslantia"

multiplicem in naluralibus usum , vidclicet non modo id, quod esl, ventm

etiam id, quo est, hoc nomine nuncupari. p. 1161.: JVon enitn subsistens tantum,

sed eliam subsistentia appellalur substanlia, eo quod utraque accidentibus , diversis

tarnen rationilius , substant. Subsistens igilur est substantia, non qua aliqua rerum

esl aliquid, nihil enim sttbsislente est aliquid, sed est illa substanlia, quae esl aliquid

• subsistenlia vero est substantia, non cui quid nitalur, quo ipsa aliquid sit,

sed qua solum subsistens esl aliquid. Es wäre unrichtig, wenn man in dem Aus

drucke „id, quod est" das quod als grammatisches Siibject nähme; es ist Prädical,

denn die Formel für die concreten Dinge gestaltet sich folgendermaassen: res

subsistentcs sunt esse subsislentiarum , d. h. Dasjenige, was ist, ist das Sein seines

Wesens.

XIV. Gilbert Porretanus. 217

wodurch Etwas sein Sein hat, d. h. die Subsistenz, liege in den sub

stantiellen Formen (formae substanliales) und denjenigen qualitativen

und quantitativen Bestimmtheiten, welche mit denselben verflochten

seien461), — eine Auffassung, welche er im Sinne des Realismus auch

auf die Natur des Individuum-Seins derartig ausdehnt, dass er z. B. in

dem I'lato-Sein (Plalonüas) , welches hiemit gleichfalls eine Subsistenz

ist, auch den Grund der Individualität des Leibes Plato's erblickt402).

Aber jene „substantiellen Formen", mit welchen noch anderweitige Eigen

schaften verflochten sind, erhalten nun ihren eigenllichen Umkreis in

den concreten Dingen, denn eine Form wohl sei auch das Wesen

Gottes, und Formen seien die platonischen Ideen der Dinge als Urbilder

derselben, Formen endlich seien auch die mathematischen Verhältnisse

der Figur, aber in all diesen dreien Bedeutungen sei Form ein Imma

terielles, hingegen jene Form, welche als das Sein der subsislirenden

Dinge der Grund dessen ist, dass sie sind, was sie sind, und hiemit

als Stoff Desjenigen auftritt, was mit ihr sich verflicht, sei eben darum

nicht immateriell, sondern hier seien Form und Stoff vereinigt463). In

dieser letzteren Sphäre aber nun, welche auch die_des Werdens und

der Bewegung sei, könne die geistige Auffassung des Menschen auf

461) p. 1231.: Haec igüur est propria naturae signifkatio, quae dif/inielur, *

i. e, secwndum quam signißcalionem natura difßnielur hoc modo : Natura est unamquamque

rem informans specifica di/ferentia; secundum hanc diffinitionem null um

princifium, nullum subsistens corporeum vel incorporeum, nullum genus vel species

sulisistentis, nullum omnino accidens appellalur natura, sowie die kurz vorhergehen

den Worte: naturae nomine monstrare cupientes rerum , quae generibus et speciebus

suis sunt aliquid , vel generum ipsorum atque specierum substanlialem proprietalem,

qualis est v. g. rationalitas. p. 1255 f.: Natura eitim subsistentis est, qua ipsum

subsistens aliquid est; hae vero sunt substantielles formae et quae illis in ipso subsistente

adsunt qualitates et mensurae quoniam sunt alias verioris numiiiis

subsiitentiae , quae 'nunquam a subsistente reccdenles perpeluae vocanlur. Hiezu

Anm. 486.

462) p. 1128.: Est enim proprium naturalium, quod sicul numero diversorum

proprielates diversae sunt , ita quoque subsislenliae numero sunt diversae , et quod

und singularis subsistenlia nonnisi unum numero faciat sitbsislentem , ut Platonis et

Ciceronis non solum accidentales proprietales, i'erum etiam subslantiales, quibus ipsi

sunt (t1, g. vel diversa corpora vel diversi homincs) divcrsae sitnt, et quaecunquc

singularis proprielas Platonem corpus esse vel hominem, eadem nutlum alium e.«.sc

facil idem.

463) p. 1138.: Forma quoque multipliciter dicilur. Nam essenlia dei, quo \

opifice est quidquid est, prima forrna dicilur. Qualttor quoque sincerae snbstanliae

, ignis, aer, aqua, lerra, non quidem quae in sylva (d. h. uiij) muluam

concrelionem habere praedicta sunt, sed quae ex sylva et intelligibili specie sunl

exemplaria eorundem corporum, lätai graece, laline" vero formae cognominatae sunt.

Illud ctiain quorumlibet subsislentium quodlibet esse, ex quo unumquodque eorum est

aliquid, et quod eorum, quae sibi adsunt, maleria est, eorundem subsistentium dicitur

forma, ul corporalitas omnium corporum. Dicitur etiam forma illud quartum

genus qualitatis , quod est corporum figura Ex his manifeslum est , quod materiarum

alia informis et ideo simplex, ut t:/7/, alia formata et ideo non Simplex,

ut corpora Quae vero sunt TSsc subsistentium, et materiae dicuntur et formae.

SiriTÜtter formarum alia nullius fliateriae, ul opificis essentia, qua ipse vere est.

Illae quoque sincerae subslanliac, quae corporum exemplaria sunt, sine materie

formae sunt Quae vero sunl subsistentium esse, sicut iam dictum est, non

modo formae sed etiam materiae nuncupantur. Figurae vero sensilium formae

taatum cognominantur et non materiae.

218 XIV. Gilben Porretanus.

Grundlage der Sinneswahrnehmung und des Gedächtnisses (vgl. oben

Anm. 418 IV.) die an sich unahstraclen und concret gewordenen For

men des natürlichen Seins (inabslracla , concrela, naliva) durch eine

andere Betrachtungsweise abslract erfassen — alislrac.iim atlendere —464),

und sowie bei der Erkennlniss des Göttlichen ein intellectuelles Ver

fahren, betreffs der mathematischen Formen aber ein disciplinäres Ver

fahren bestehe, so habe der Philosoph in den natürlichen Dingen ratio

nell (ralionabiliter) zu verfahren, indem er die Worte, durch welche

sowohl dasjenige, was die Dinge sind (quod est), als auch jenes, wo

durch sie es sind (qiw esl), bezeichnet wird, mit verständigem Nach

denken erfasse, und eben dieser Umkreis der natürlichen Dinge sei es

ja auch, in welchem Arten unter Gallungen subsuniirt und Gattungen

von Arien ausgesagl werden 465). So ist uns durch diese Anschauungs

weise Gilbert's 46(l) bereits klar, wie richtig Johannes von Saleshury

sich ausdrückte, wenn er sagt, Gilbert verlege die Universalien in die

„formae nalivae" der geschaffenen Dinge und bemühe sich um die „conformilas"

derselben, welche einerseits vom Denken als das Allgemeine,

erfasst werde und andrerseits in der Erscheinung singulär auftrete46')'

Es erhält diess aber auch noch seine weitere Bestätigung.

Die substantielle Form nemlich hat darin ein Sein, dass sie es ist,

welche das ganze Wesen und die mil demselben verflochtenen Attribute

eines Dinges bewirkt und so als eine totale der Artbegriff ist, welcher

aus Gattung und arlmachendem Unterschiede besteht 4*s), wornach in

464) Ebend.: His itaque divisis addcndum est, quod primaria materia, i. t.^

iiirj, et primaritte formae, i. e. oiiOCa opiftcis et sensiiium täfai , omni motu

carent. Quae vero inabstracta a se invicem atque concreta sunl, i. e. sensilia, moventur.

Formae vero sensiiium, quamvis inabstraclac ideoque motum habentts , st

tarnen abstractim attendantur (man beachte diesen Ausdruck, s. Anm. 133.), hac

vere abstractorum imitatione sine motu esse dicuntur; non enim tantum sicuti sunt,

verum etiam aliter quam sunt, res aliquae saepe vere concipiunlm: Proplcr quod

etiam ipsa animi speculatio dividittir — Cum enim nativu, siciit sunt, t. t. con

crela et inabslracta, considerat, ex sua quidem propria polcstate, qua humane anano

datum est, ex sensuum atque imaginationum praeeuntibus adminiculis reri sensilia

ratio dicitur; sed ex his quae consideral, nn.liris srilicel et inabstractis et mgtum

habenlibus, naturalis et in molu et inabslracta cognominatur . ™. . Speculalio, quae

nativorym ju&b,&iractas formas ... considerat. Hiezu Anm. 487.

465) p. llwl: Ac per hoc in naturalibus, quae sicuti sunt percipi debenl, sc.

concreta et inabstracta, oportebit philosophum versari ralionabililer , ut scilicel posito

nomine, quo et id, quod est, et id, quo est, siijnificatur, ea vi mentis, qua concreta

reri debet, diligenter altendal, quid proprie sibi vel quod est vel quo esl concretionis

consorlio exigat et quid celerarum speculationum locis communicet In naturali

bus enim dicitur homo species generis ... ideoque naturalis concretionis proprietate

dicitur genus de specie praedicari In malliemalicis vero ... oportebit eum versari

disciplinabiliter .... In divinis intellectualiler versari oportebit.

466) Die Quelle hievon liegt natürlich in der platonisch-theologischen Onlologie

des Pseudo-Boelhlus.

467) Die Stelle ist oben, Anm. 67., angeführt.

468) p. 1142.: Ea quae est tola forma substanliae hominii non modo ex eo, '

quod ipsa tola eum , in quo est, f'acit hominem, sed et ex eo, quod alia parte sui

cwti/i'iit facit animatum, alia sensibilem, alia rulionabilem, rede dicitur esse aliquid.

Quidquid est alicuius esse, aut est Iota subslanlia illius , cuius dicitur esse,

auf pars eins, quod est Iota substantia; et Iota quidem substantia species, quae de

XIV. Gilbert I'orrelanus. 219

der Subsistenz, durch welche ein Ding zu dem Subjecle seiner Wesens-

Allribule gemacht wird , mehrere Subsistenzen wie in Einem Geflechte

zusammenlaufen 40I)). Hiedurch aber haben die Gatlungs- und Arl-Begriffe

ein anderes Sein als die Dinge selbst ; denn erstere haben eben

nur das Sein der Subsislenz, letzlere hingegen haben das Sein, Subjecle

und Träger der in der Suhsistenz vereinigten Attribute zu sein470).

Und su erfassl das Denken die Gallungs- und Arl-Begrill'e als die Uni

versalien gegenüber den parliculären Dingen, indem es aus den coucret

exislirenden Trägern der Attribute auf das Sein der Subsislenz

sammelnd (völligere) schliessl 4T1) , wobei dann die natürlichen Dinge

im Hinblicke auf die Gattungs- und Arl-Subsislenz, an welcher als an

dem wesenllichen Sein die einzelnen Dinge theilhaben, mit den Gallungs

und Art-Samen bezeichnet werden , sowie die Atlribule als I'rädicale

ausgesagt werden und auch denominativ die Suhsistenz selbst das Subject

genannt wird 472). Sowie aber der Begrift" des Sammeins (colleeo

dicitur, est, pars vero eius, quod est loluni esse, genas est auf diflerentia, quae \-

speciem ipsam conslituil.

469) p. 1145.: Subsistentia causa es't, ut id, quod per eam est aliquid, suis

propriis sil subiectum. p. 1175.: Quotiens enim subsistens ex subsistentibus coniunclum

est, necesse est, eius lolum esse, i. e. illam qua ipsum perfectum est .••«//-

sistentiam , ex omnium parlium suartim omnibus subsislentiis esse coniunclam.

470) p. 1239.: Genera et species, i. e. generales et speciales subsistenliae, subsistunt

tantum , non subslanl verc , nequc enim accidentia generibus speciebusve con-'~>

lingunl, ut quod sunl, accidenlibus dcbeanl (der Begriff aceidens ist hier wie über

all in dem Sinne genommen, dass er gegenüber der Substanz die übrigen neun

Kategorien umfasst) .... Individua vero subsistunt quidem vere, — informala enim

tunt tarn propriis et specificis di/ferentiis , per quas subsitlunl; non modo atitem

subsislunt, verum etiam subslanl individua, quoniam et accidentibus, ut esse possint,

minislrant, dum sunt seilicet subiecta accidenlibus.

471) p. 1238.: Essentiae in universalibus sunl, in particularibus substant, ....

subtistetitiae in universalibus sunt , in pafticularibus capiunt subslanliam. 1.~e. sub

stant .... Vniversalia, quae intelleclus ex particularibus coliigit, sunl, qttoniam parlicularium

illud esse dicuntur , quo ipsa parlicularia aliquid sunt; particularia vero

non modo sunt, quod ulique ex huiusmodi suo esse sunl, verum ttiam subslanl.—

472) p. 1137.: Ad generales quoque et speciales subsislentias, quae subsistentium,

in quibus sunt, esse dicuntur, eo quod eis, ut sint aliquid, confcrunl, emsdem

nominis , t. e. materiae, alia fit denominatio. p. 1140.: Essentia est illa res,

quae esl ipsum esse, i. e. quae non ab alio hanc mulual dictioncm , et ex qua est

esse, i. e. quae ceteris omnibus eandem quadam cxtrinscca parlicipalione communical

— namque in naturalibus onme subsistentium ex forma esl , i. e. de quocunque

subsistenle dicitur ,,est", formae, quam in schabet, participatione dicilur. p. 1141.:

Omnia de subsistenle dicuntur , ut de aliquo homine Iota forma substanliae , qua

ifte est perfectus homo, et omne genus umnisque differcnlia , ex quibus esl ipsa

eomposita, ut corporalilas et animalio, el 'denique omnia, quae vel loti illi formae 4

adsunl, ut humanitati risibüitas, vel aliquibus partibus eius. p. 1145.: Quoniam

subsistentia causa est, ut id quod per eam est aliquid, suis propriis sit subiectum,

ipsa quoque per denominalionem eius subiecta dicilur et eorundem materia (p-

1146.) el ideo generaliter mm qualilalibus qualitas dicilur el cum solis albedinibus

specialiter albedo, alque adeo mvlta sunl, quae de istis dicuntur , ul saepe etiam

efßciendi ratione a coaccidenlibus ad ea, quibus coaccidunt, denominativa transsumplio

ftat, ut ,,linea esl longa, albedo esl clara". p. 1199.: Hoc igitur , quod

habet a substantia, nomen ad ea, quae ex ipsa ftuxerunt, denominalive transumptiim

est.

220 XIV. Gilben Porrelanus.

cft'o), weichen Gilbert förmlich zu einer Definition der Galtung benutzt 473),

uns schon oben in der Indifferenz-Lehre (Anra. 136), bei Gauslenus

(Anm. 146) und hei dem Autor De gen. et spec. (Anm. 162) begegnete,

so verbindet Gilbert damit in realistischem Sinne eine Auflassung, welche

er durch die Ausdrücke „subslanlialis simililudo" oder „conformanles

subsislenliae", am liebsten aber durch das bei ihm so häufige Wort

„conformitas", selbst mit Ausdehnung auf die Namen der Dinge, bezeich

net474), wobei wir die Verwandtschaft mit der „simüis crealio" des

Buches De gen. et spec. (Anm. 163) und insbesondere mit Abälard's

„consJmiftJttdo" (Anm. 299) nicht verkennen können; bemerke nswerth

aber ist, dass Gilberl das Wort „indifferenlia", welches ihm doch ganz

nahe liegen musste, ausschliesslich nur bei den theologischen Discussionen

über die Trinitäl anwendet475), hingegen wohl de» Wortes

„idenlitas", sowohl bei Substanzen als auch bei Attributen , sich be

dient476). Er nimmt überhaupt diese formgebende Kraft der Univer

salien so realistisch, dass ihm nicht hloss z. B. die Weisse, sondern

auch die Einheit als eine dergleichen Form erscheint, welche bei jedem

Präilicate mitwirken müsse, um den Träger desselben zu Einem Dinge

zu machen477), und während e* hiedurch dem oben angeführten Ein

wände (Anm. 438, was möglicher 'Weise selbst direct gegen Gilbert

gerichtet sein könnte) preisgegeben ist, gelangt er dabei auf eine für

die Trinitälsfrage nutzbare , aber von Anderen wieder heftig bekämpfte,

Unterscheidung zwischen Einheit und Eins otler überhaupt zwischen

473) p- 1252.: Genus vero nihil aliud pvlandum eil. niti subsiilentiarvm secundum

totam eorum proprietatem ex rebtu seeundum species iuas differentibüs simtlitudine

comparala collectio.

474) p. 1135.: Dirersae lubsislentiae , ex quarum aliis homines et ex aliis

equi sunl animalia, non imilationis vel imaginaria, sed substantiali simililudine

ipsos, qui secundvm eas subsistunt , faciunl esse cmformet, p. 1136.: Üictmlvr

etium mulla subsistentia unum et idem non nalurae unius singularilale , sed mullaruui

. quae ralione similitudinis fit, unione .... lila, quae diversarum naturarun

adunal conformitas , genere vel specie unum dimntur Tres homines neque ytnere

neque specie, i. e. nulla subsistentiarum dissimililudine , sed suis accidentibtu

dissimilüudinis distant , sunl conformanlium iptos subsisteatiarum numero plures.

p. 1175.: Conformilate aliqua plures homines dicuntur unus homo. p. 1192.: Stcuudum

propositae nalurae plenitudinern dieilur subslantialis similitudo, qualiter album

albo simüe esl et homo homini. p. 1194.: Tales sunt omnes differentiae illae,

quae tel huic generalissimo proxime cwn ipso qvaedam conlraclioris iimiHtudiais

eonstiluunt genera, quae a logieis subalterna appeUanfur, vel subalternis similiter

adhaerentes quamlibet tut ipsis svbsistentiam specialem componunt. p. 1234.: Homo

tidelicet tubsistenlia specialis, quae est huius nominis qualitas uiia quidem conformilale,

sed plures essenliae singularilale , de tingulis hominibu». Ebenso p 1251

1262. n. s. f.

475) So z. B. p. 1134. u. 1152. n 1169.

476) p. 1169.: Identitate unionis homo idem quod honto est, nam Plalo et

Cicero unione speciei sunt idem homo — ; identilate, quae ex proprielatis est unttate,

rationale idem quod rationale est, teluti anima hominis et ipse homo non unione

speciei, sed unilate proprietalis sunt unum rationale.

477) p. 1178.: Unilas omnnan praedicamenlorum comes est; nam de quocunque

aliquid praeduatur, id praedicalo quidem est hoc, quod nomme ab eodem

sibi mdito tt verbi svbstantiti eomposilione esse signißcalur, sed unitale ipsi coaccidente

ett unum, ut album albedine quidem aUntm eil, sed unilate. eoaccidente albedini

unum, et timul albedine ei eius camile unitate est albm unum.

XIV. Gilbert Porrelanus. 22t

den Zahlwörtern und den ihnen zu Grunde liegenden Idealformen, insoferne

erslere nur von den concreten Dingen , welche eben der formgebenden

Wirkung der ideellen Universellen unterliegen, ausgesagt werden

können479). Sodann aber knüpft sich an den Begriff der conformilas

auch noch die Auffassung, dass im Individuum alle möglichen Bestimmtheilen

derartig vereinigt sind, dass dasselbe in der Totalität seiner Subsistenz

(vgl. Anm. 462) mit keinem anderen Wesen conform ist, und

hiemit die Individualität in dieser Wesens-Unähnlichkcit liegt, wohin

gegen alles Nicht-Individuelle auf einer Aehnlichkeit beruht und hiernach

in seine individuellen concreten Erscheinungsweisen, welche in ihm ähn

lich, unter sich aber unähnlich sind, gelheilt werden kann; es be

zeichnet Gilbert diese Anschauung dadurch , dass er das Wort „divii/

uu1", welches wir hier zum erslen Male treffen , für die sog. nomina

appellaliva und „individua" für die sog. nomina propria wählt4'9,).

Eine logische Verwerthung dieses onlologischen Realismus liegt in

jenem Aufundahklellern an der Tabula logica, welches nach dem Vor

gange des Boelhius in Definilion und Division yeübt wird480), und

hiemit in der Funclion des Aussagens, insu ferne durch dasselbe nie das

concrele Sein selbst, sondern nur das Wesen, d. h. die Subsistenz und

die Wesens-Altrihute, über die concreten Dinge ausgesagt werden461),

478) p. 1148.: Quod esl unum, res esl unilali sitbiecta, cui scilicel vel ipsa

unitas inest, iil albo , vel adesl, ut albedini; unitas vero esl id , quo ipsum, cui

inest, et ipsum, cui adest, dicimus unum, ut album unum, albedo una. Kursus ea,

quae dicimus esse duo , in rebus sunt , t. e. res sunt dualilali similüer subieclae,

quae duae sunt Ideoque non unilas ipsa, sed quod ei subiecluni esl, unum

est, nee dualilas ipsa, sed quud ei subieclum est, recte dicilur duo , iiam i'ere

omnis numerus non numeri ipsius, sed rerum sibi suppositarum est numerus. Dass

aber überhaupt selbst dieses orthodoxeste Bestreben bei manchen anderen Theologen

wenig Dank einarndtete, sehen wir daraus, dass, wie Bulaeus , Inst. un. l'ur. I, p.

404. berichtet, der Prior Walther von St. Victor eine eigene Schrift gegen die

„vier Labyrinthe Frankreichs", neralich gegen Petrus Lombardus, Abälard, Petrus

v. Poitiers und Gilbert, verfasste; aus Handschriften derselben (in der Bibliothek

von St. Victor) theilt Launoi, de var. fort. Arislot. c. 3, p. 29., folgende Stelle

mit: Quisquis hoc legerit, non dubilabil, quatuor labyrinthos Franciae , t. e. Abaclardum

et Lotnbardum, Pelrum Pictavinum et Gilbertum Fonelanum, uno spiritu Ariitotelico

a/'flatos, dum ineffabilia trinitatis et incarnationis scholaslica levitate tractarent,

mullas haereses olim vomuisse et adhuc errores pullulare.

479) p. 1164.: St etiim dividuum facü sinrililudo , consequens est, ut individuum

dissimilitudo. p. 1236.: Homo et sol a grammaticis appellativa nomina, a

dialecticis vero dividua rocanlur, l'lato veru et eius singularis albedo ab eisdem

grammaticis propria, a dialecticis vero individua; sed horum homo tarn actu quam

natura appellativum vel rfividuum est, sol vero nalura lantum, non actu; multi namque

non modo natura, verum etiam actu, et fuerunt et sunt et futuri sunt subslantiali

similitudine similes homines. p. 1165.: Restat igilur, ut illa tantum sinl individua,

quae ex onmibus composita nullis aliis in Mo possunt esse conformia, ut ex omnibus

, quae et aclu et nalura fuerunl vel sunt vel fulura sunt, Platonis collecta Platonitas.

480) p. 1128.: Sicul in difftniliva demonstralione specics genere, sie in divisiva

genus specie declaratur. p. 1130.: „Nulla species de suo genere praedicalur"

in difßnilionum genere verum est, item „omnis species de suo genere praedicalur"

in divisionum genere verum est.

481) p. 1244.: Nunquam enim id, quod est, praedicalur, sed esse et quod

illi adest praedicabile est, et sine tropo nonnisi de eo , quod esl. (Wenn hiemit

222 XIV. Gilben l'orretanus.

d. h. Gilberl spricht seinen Realismus aus, indem er alle Kategorien

als die reellen Causalilälen ihrer Erscheinung in den concreten Dingen

betrachtet und so als oberste Gallungen nicht der Aussagen, sondern

der Objccte bezeichnet, wornach die logische Kunclion (facutlas logica)

nur einen Abklatsch der Realität enthalt482). Dabei aber scheidet er die

Kategorien nicht bloss in der üblichen Weise, dass die Substanz allen

übrigen neun gegenübersteht, sondern letztere zerfallen ihm wieder in

solche, welche zu dem inneren Wesen gehören, und solche, welche nur

eine äusserliche Verbindung enthalten483;; nemlich Qualität und Quan

tität, welche zur „Natur" (Anin. 461) oder Subsistenz gehören, dienen

darum noch der Aussage des wahren Seins (vere esse), wohingegen die

übrigen sieben Kategorien, —- also mit Einschluss der Relation —,

nur dem äusserlichen wechselnden Verhältnisse der Zustände (slalus,

vgl. i-h-nininiiniliu. hei Boethius, Abschn. XII, Am». 166) anheimfal

len484).

Gilbert die blossen Exislentialsälze als nichtssagend bezeichnete, su kam er biedurrh

wieder in Conllict mit Theologen , s. Otto Frising. de gest. Frid. I, 52, p.

437. Urslis.: Eral qiiippe quorundam in logica sentenlia, quod, cum quis diceret,

Socratem esse, nihil diceret ; quos praefalus episcopus seclans talcm dicli usum haud

praemeditale ad theologiam verlernt).

482) p. 1173.: Horum nominum illa significat'a, quae diversis rationibus grammatici

qualüates, dialeetici categorias , i. e. praedicamenta , vixa.nl, praedicanlur

substantieller, p. 1153.: Qualitas omnium qualilatum ycneralissimum est et quantitas

omnium quanlitatum ideoque qualitas est qualitas gencre cuiuslibet qualilatis,

quäle vero esl quäle qualitale cuiuslibet generis . . . . similiter nullum, quod tsl

ad aliquid, relatio est, et nulla relalio est ad aliquid, sed id, de quo ipsa dicititr,

est ad aliquid .... Vbi quoque et quando et haben et situm esse et /'acere et poti

nominu sunt generalissima non eorum, quae praedicantur, sed eoriim, je quibus prae

dicanlur Haec igilur praedicamenta talia sunt retationibus logicae facultalis,

qualia illa suliiecta, de quibus ca convenit dici, permiserint. p. 1146.: Celeras,

quae in corporilius sunt, voeantei formas hoc nomine abulimur, dum non ideae , sed

idcarum sint itxöt'ff, i. e. imagines, quod ulique nomen eis melius contenit; OSMmilantur

enim quadam extra substantiam imilatione Ms formis , quae non statt

in ni nln i u conslitutae, sinceris.

483) p. 1153.: dmdquid hoc esl subsistentium esse, eorundem substantia didtur,

quod ulique sunt omnium subsistentimn fjieciales subfistenliae . et omnes, ex qui

bus hae compositae sunt, scilicel eorundem subsistenlium , per quas ipsa sibi conformia

sunt, generales , et omnes, per quas ipsa dissimilia sunt, differentiales

Accidentia vero de illis quidem svbstanliis, quae ex esse sunl , aliquid dicunlur,

sive in eis crenta sive exlrinsecus affixa sint, sed eis lanlum , quae esse svnl,

accidunt.

484) p. 1156.: llner quidem, i. e. substanliae , qualitalcs, quantitates , sunl

talia, quibus vere sunt, quaecunque his esse proponuntur , ideoque rede de ipsis

praedicari dicunlur ; reliqua vero septem generum accidentia . . . non vefa essendi

ralione praedicanlur, nam cxtrinsecis scilicel circtanfitsus el determinatus minime

praedicaretur, si non suis esset per se proprietatibt/s infortnatus. p. 1160.: sie ergo

praedicatio alia est, quae vere inhacruns inhacrere pracdicalur, atia, quae quamvis

forma inliaerenlium fial , tarnen ita exlerioribus datur , ut ea nihil alicui inhaerert

inlflligalur. p. 1255 f. : Cetera vero (vgl'. Anm. 461.), quae de ipso natttraliter

dicunlur, quidam eins Status vocantur, eo quod nunc sie nunc vero atiler, relinfm

has quibus aliquid est mensuras et qualilales et maxime subsistentias, statuatttr

, situ vcl loco vel habilu vcl relalione vel tempore vel aclione vel passione stainitiif.

So wird auch ausdrücklichst von der Relation gesagt p. 1163.: rclatita

praedicatio consislit non in eo, quod esl etse.

XIV. Gilliert Porreianus. 223

Eben diess Letzlere aber nun führt uns auf Gilberl's Schrift De

sex pri'neiprö485), ein in der That klägliches Machwerk, welches wahr

lich nur durch die Bornirlheit des Albertus Magnus zu Ansehen und

Gellung kommen konnte. Es begegnet uns dort zunächst wieder (vgl.

A n u. 461) der Begriff des substantiellen Seins, in welchem die Form

einer Verflechtung der Wesens-Beslandlheile liegt486), wobei ebenso

unmotivirl wie oben (Anm. 464) bemerkt wird, dass aus der Singulari

tät der concreten Dinge durch das Denken das einheitlich Gemeinschaft

liche (commune) und Universelle erfassl wird487). Sodann aber wird

auf. die Kategorien mit jener neinlichen (Anm. 483 f.) Zweitheilung in

innerliche und äusserliche übergegangen, jedoch mit dem Unterschiede,

dass nun hier die Relation nichl mehr unter den äusserliclien aufgezählt

wird , sondern dieselben nur aus den sechs letzten Kategorien (actio,

passio, ubi, quando, süus , habere) bestehen sollen, und da die ersten

vier Kategorie» schon hinreichend von Aristoteles besprochen seien, so

will Gilbert nun eben jene übrigen sechs vollständiger erörtern 45s).

So erfüllt er ein Bedürl'niss, welches wir schon früher (Anm. 18 u.

344) aussprechen sahen, und indem er in seinem realistischen Wahne

auch diese Kategorien als „prinripia" bezeichnet (vgl. Anm. 477 u.

482), erhielt diese seine verslandlose Schrift auch in Anbetracht ihres

Titels später eine solche Bedeutsamkeit, dass sie gleichsam als integrireiuler

Theil in das Organon aufgenommen wurde.

Zuerst wird aclio definirl und mit schärfstem Dualismus zwischen

körperlicher untl psychischer Action als reciproc mit dem Begriffe der

Bewegung bezeichnet4**), worauf die Bemerkung folgt, dass die Eigenthümlichkeit

der Action darin liege, passio zu erzeugen, und hiernach

die aclio das uranfängliche „Princip" sei4510), und es wird nun der

48ö) In Folge der Aufiiabme in das Ürgano» gedruckt in fast sämmtlichen

ältesteu lateinischen Ueber*etzangen des Aristoteles; ich citire nach Arislot. Opp.

lal. Venet. 1552, fol. vol. I.

486) Cap. l, f. 31. v. A.: Forma est composilioni contingens, simplici et invariabili

essenlia consislens Substanliale vero äst , quod confert esse ex quadum

compositione composilioni. ut in pluribux, quod impossibite est decsse ei.

487) f. 31. v. B.: Sicut ex plurium parlium coniunctione constitutio quaedam

primorum excedcns quantitatem efßcitur, sie ex singularium discretione nimm quoddam

inlelligitur eorum excedens praedicationem. So auch f. 32. r. B. : omnes ijuidem

livmines eius hominis , qui communis esl et universltlis.

488) f. 32. r. A.: Eorum vero, qwe contingunl existenli, singulum aut extrinsecus

adrenit aut inlra substantiam cvnsideratur simpliciler, ut linea, superficies,

corpus; ea vero , quae extrinsecus cunlin/junt , aul urlus aut pati aut dispositio aut

eise alicubi aul in mora aut habere necessario erunt. Sed de his , quue subsistunl

et quoe non solum in quo existunt exigunl, in eo qui ,,,/^e categoriis" libro inscribitur

dispvtatum est; de reliquis vero continuo agamus.

489) Cap. 2, ebend. : Actio vero est, secundum quam in id, quod subücitur,

agere dicimur .... Differunt autem, quuniam ea, quae corporis est, movens est ne

cessario illud, in quo est, .... actio aulcm animac non id movet, in quo est, sed

coniunctum; anima emm, dun agil, immobilis est .... Omnis ergo actio in motu

est, ontnisque motus in aclione firmabitur.

490) f. 32. r. B.: Naturalis vero actionis proprictas est, passionem ex se in

id, quod subiicilur, inferre, omnis enim actio passionis esl effectiva et sie actus

quidem esl primordialc principiutn.

224 XIV. Gilbert Porretauus.

Begriff des „facere" in den dürrsten und grundlosesten Behauptungen

aucl) auf alle übrigen Kategorien angewendet491), und nach dem Muster

der vier ersten Kategorien das Verhältniss des Gegensatzes und das

Mehr oder Minder auch an dem facere und pali aufgezeigt 492). Dann

folgt trotzdem zweitens passio, bei welcher die Verschiedenheit der

Wortbedeutung hervorgehoben wird 4*3). Hierauf wird drittens quando

vorgeführt, welches wohl mit tempus verwandt sei, aber von demselben

sich dadurch unterscheide, dass die drei Zeiten, Vergangenheit und

Gegenwart und Zukunft, kein quando seien, sondern nur eine Wirkung

und Eigenschaft, vermöge deren Etwas als vergangen u. s. f. bezeichnet

werde (Aehnlirhes s. oben Anm. 194); auch könne nach dem quando

Nichts gemessen werden, wohl aber nach der Zeit494). Hieran reiht

sich als Gipfelpunkt des Unsinnes die Angabe eines Unterschiedes zwi

schen quando und ulti, da das quando der Gegenwart zugleich mil dem

Augenblicke selbst in dem Nemlichen sei, was bei dem nlii. nicht sich

finde495), sowie eine Eintheilung des quando und des lempus in ein

fache und zusammengesetzte496), und zuletzt die Notiz, dass das Verhältuiss

des Gegensatzes und des Mehr oder Minder bei quando nicht

statthabe 497). Nun folgt viertens uM, wobei die analoge Unterscheidung

zwischen ubi und locus auftritt498), und an die Unmöglichkeit, dass

491) Ebend. : Facere vero id, quod quäle esl, ex se gignit .... Quantitalum vero

particularium positio e/fectrix est et qualitatum ...., universa enim haec a situ subslanliam

et generationem habent — Situs autem agere et pali, in dispositionis namque

compositione quacdam generalio simplicium ftt, quam in motiva actione consislere

necesse est. Quando vero lempus, ubi vero locus, habere autem corpus, ea enim,

quae circa corpus sunt, habrre dicunlur.

492) Ebend.: Recipil aulem facere et pali conlrarietatetn et magis et minus ,

secare enim ad-planture contrarium est .... et calefieri magis et minus dicilur.

493) C. 3, f. 32. v. A.: Passio esl eflectus illalioque aclionis — Est autem

pali eorum, quae multipliciter dicunlur; animae enim actionum miaquaeque passio

dicilur , dicilur quoque passio, quod in naturam agil, ut morbus Ea vero,

quae nunc relinquunlur, in eo qui est „De generalione" libro ttaclanlur (dieses Citat

ist aus Itoi'lh. p. 190. entnommen).

494) C. 4, ebend. : Quando vero est, quod ex adiacentia (vgl. Anm. 504.)

lemporis relinquilur ; tempus vero quando non esl, utriusque autem ralio coniuncla

est, ut tempus quidem praeterilum quaudo non esl, cffectus autem eins et affeclio,

secundum quam dicilur aliquid /wisse, quando est; instans aulem quando non est,

sed secundum quod aliquid aeqtiale vel inaequale est; eius autem affectio, secundum

quam aliquid dicilur in inslanti esse, quando est; futurum similiter tempus quando

non esl. f. 32. v. B.: Distat aulem et lempus ab eo, quod quando, quoniam se

cundum lempus aliquid esl mcnsurabile, ut motus annuus ...., at vero secundum

quando nihil mensuratur , sed aliquando dicitur esse.

495) f. 32. v. B.: Differt enim quando ab eo, quod esl ubi, quoniam in quocunque

tempus est vel fuit vel erit, in eo quidem quando esl vel fuit vel erit , quod

secundum idcm tempus dicilur; quando enim, quod existenti est, cum ipso instanti

est, et simul in eodem sunt — Ubi vero et locus, a- quo est vel /</, nunquam timul

in eodem; ubi enim in circumscriplione est, locus autem in complectenle.

496) Ebend.: Quando autem sicut et tempus aliud quidem compositum est,

aliud vero Simplex; est aulem compositum, quod in compbsila aclione consistit,

Simplex vero, quod cum simplici procedit.

497) Ebend. : Inest aulem quando , non suscipere magis et minus .... amplius

quando nihil est contrarium.

498) C. 5, f. 33. r. A.: l/W vero est circumscriptio corporis a circumscriptione

XIV. Gilben Porretanus. 225

zwei Dinge in Einem Orte oder Ein Ding an mehreren Orten sei, sich

auch obige Controverse (Anm. 203) über die Fortpflanzung des Schalles

anknüpft 4<ja) ; auch das ulii wird in einfaches und zusammengesetztes

eingetheilt , und demselben das Verhältniss des Mehr oder Minder, so

wie auch jenes des Gegensalzes, sogar mit ausdrücklicher. Beziehung

auf die Begriffe des Oben und Unten, abgesprochen 50°). Fünftens folgt

silus, oder wie Gilbert es nennt, .positio, in möglichst rohem Realismus

aufgefasst, so dass alle speciellen Erscheinungen dieser Kategorie, wozu

auch z. B. Rauh und Glatt gezählt werden (vgl. Anm. 193), nur als

abgeleitete Ausdrücke betrachtet werden101); dass diese Kategorie der

Gegensätzlichkeit fähig sei, wird darum verneint, weil Gegensätze nur

Einer Gattung angehören, hingegen das Sitzen und das Liegen verschie

denen Gattungen anheimfallen , indem nur vernünftige Wesen sitzen

können, die übrigen aber liegen502); und während auch das Verhält

niss des Mehr oder Minder hier unstatthaft sei, müsse diese Kategorie

in die nächste Verbindung mit der Substanz gebracht werden , da die

Substanzen eben in ihr ihre Anordnung finden 503). Sodann ist sechslens

noch habilus übrig, welche Kategorie mit dem uns von Ahälard

her (Anm. 284) bekannten Begriffe der atliaeentia identilicirt wird 504);

loei proveniens ; tocus aulem in eo esl, quod capit et circumscribit .... Mm esl

aulem in eodem locus et übt, locus enim in eo , quod capil , übt vtro in eo, quod

circumscribitur et compleclitur.

499) Ebend.: Nequaquam tgitur duo in eodem loco esse simul possunt nee

idem unum in diversis Movel aulem quis quaestionem fortasse idem in diversis

et pluribui concludens, etenim vox in auribus diversorum est Confiteri oportet

vmnino , unam parliculam aeris ad aures dmersorum jiei'venire Relinquitur igitur,

diversum sensum esse imaginabililer se generantium et similiter.

500) f. 33. r. B. : Ubi aulem aliud quidem simplex , aliud vero compositum ;

simplex quidem, quod a simplici loco procedil , cumpositum autem. quod ex composito

Carel autem ubi inlentione et remissione, non enim dicitur allerum allero

magis in loco esse vel minus .... Inest autem ubi , nihil esse cunlrarium Sursum

enim et deorsum esse contrario pluribus videntur .... ionlingit autem tontraria

in eodem esse ...., si enim sursnm esse et inferitis esse contrario, sunt, cum idem

sursum et deorsum sit, collii/ilur, idem sibimel contrarium fteri.

501) C. 6, f. 33. v. A.: Positio est quidam partium situs et generationii, ordinatio,

secundum quam dicunlur stantia vel sedcntia Sedere aulem et iacere posiliones

non sunl, sed denominative ab his dicta sunt. Solet autem quaeslio induci de

cuno et reeto, aspero et leni .... Non sunl untern positiones ea, quae dicta sunt

omnia , sed qualia circa situm existentia.

502) Ebend. : Suscipere autem videtur silus contrarietatef, nam sedere ad id

quod stare conlrarium esse videtur .... Ponentibus autem nobis , haec contraria esse,

inconvenientiu recipere co//imur, hoc quod unum sit contrarium plurium .... Amplius

autem contrariorutn quidem ralio est , circa idem natura existere ; sedere uutem et

iacere non circa idem natura sunt seiuncla, esl enim sedere proprie circa rationalia,

iacere vero et accumbere circa diversa.

503) f. 33. v. B.: Proprium autem positionis, neque magis neque minus dici

Magis autem -proprium videtur esse positionis, substantiae proxime assistere

Omnibus quidem aliis formt s suppositis; positio enim nihil aliud est, quam natiirulis

ipsius substanliae ordinatio.

504) C. 7, f. 33. v. B.: Habilus esl corporum, et eorum, quae circa eerpus

sunl, adiaeentia, secundum quam hoc quidem habere, illa vero dicunlur haberi;

haec autem non secundum tolum dicunlur, sed secundum. particularem divisionem, ut

armatum esse.

PRUNTL, Gesch. II. 15

226 XIV. Gilbert Porretanus.

wenn dann gesagt wird, das Verhältniss des Mein oder Minder sei in

der Regel bei habere statthaft, zuweilen aber, z. B. bei ßekleidet-sein,

unstatthaft, und die Gegensätzlichkeit bestehe in dieser Kategorie nicht,

weil Bewafl'netsein und Beschuhtsein nicht Gegensätze seien 505), so

gibt auch diess hinreichend Zeugniss von der logischen Befähigung des

Verfassers; als Eigentümlichkeit dieser Kategorie wird angegeben, dass

dieselbe stets auf eine Mehrheit hinweise, was nur in mancher Bezie

hung auch bei der Quantität und der Relation der Fall sei 500) ; endlich

werden noch fünf verschiedene Bedeutungen des Wortes habere ange

führt 507). Nachdem aber dann diese Erörterung über die „Principien"

abgeschlossen wird508), folgt noch eine specielle Besprechung des

magis el minus, wobei Gilbert die oben (Anm. 196) erwähnte Controverse

abschneidet, indem die Gradabstufung weder in der Substanz

selbst liegen könne, da diess gegen den Begriff der Substanz verstiesse,

noch aber auch in den Accidenzien, da dann der höhere Grad z. B.

der Weisse in der Grosse der Oberfläche liegen müssle(!), wornach

sich ergebe , dass auch nicht in beiden zugleich , nemlich in Substanz

und ihren Accidenzien, das Mehr oder Minder seinen Sitz habe509).

Der positive Entscheid aber, welchen nun Gilbert gibt, beruht darin,

dass das magis vel minus in deui Grade liege, in welchem der factische

Bestand näher oder entfernter der Wortbedeutung des die Qualität

bezeichnenden Wortes stehe, eine Gradabstufung, welche bei Substanzen

darum nicht eintrete, weil die Bezeichnung derselben in festen Gränzeu

(in terminis) sich bewege, wobei jedoch Gilbert zum Selbstbekenntnisse

des Unsinnes , welchen er vorbringt, hinzufügen muss, dass eine solche

Festigkeil sich doch auch bei einigen Qualitäten finde510), nie Sache

505) f. 34. r. A.: Suscipit aulcm liahilm, magis el minus, annatior enim est

eques pedite .... In quibusdam aulein non videlur, quod cum magis et minus praedicentnr,

ut vestitum esse el similia. Habitui quoque nihil est contrarhtm^ elertim

armatio calceationi non esl conlrarium.

506) Ebend. : Proprium quidem habilus esl, in pluribus exislere .... In paucis

aulem aliis principiis huiusmodi invemes ; in quantilate enim solum et in Ais,

quae ad illiquid sunt, similia reperies Habilus aulem omnis in pluribus necessario

ear.islil, ul in corpore el in his , quae circa corpus sunt.

507) Ebend.: Dicilur aulem habere mullis modis; habere enim dicitur alleiationem

dicüm etiam vas aliquid habere .... habere quoque in membro dicimur

.... dicitur vir uxorem habere et recipere uxor virum .... Quare modi habendi , qui

diei consueverunl , quinario numero lerminanlur.

508) Ebend. : Et quidem de principiis haec dicla sufficiant, reliqua vero in eo,

quod de Analyticis est, quaeranlur volumine (s. Anm. 21.).

509) C. 8, f. 34. r. B. : Non ergo secundum suscipientium ipsorum crementum

vel decremenltmi cum ,,magis vel minus" aliqua dicunlur; nulla enim ralio obviaret,

hominem el animal el substanliam el cetera consimilia cum ,,magis et minvs" diei

Mons eliam alio monle maior dicilur, cum neuler crescat vel decrescat

Amplius aulem neque secundum ea, quae inficiunt; si enim secundum magniludinetn

albedinis vel alicuius celerorum dicitur illiquid albius aliquo vel secundum parvitatem

minus albitm vel quomodolibet aliter, utique et magis albus equus vel homo vel quodlibet

aliud albius margarita dicetur; etenim maior albedinis quantilas equo accidit

quam margaritat f. 34. v. A.: fatet ilaque , nihil secundum magis el minus

praedicari neque secundum subiecli solum augmentum vel diminulionem neque secun

dum accidentis ; quare neque secundum ulrumque,

510) f. 34. v. A.: Oportel igitur ab alio ea invenire . quae cian „magis et

XIV. Gilbert Porretanus. Otto v. Freising. 227

läuft ja schliesslich auch in den Kern aus, dass in der Vielheit des

Materiellen' überhaupt das Werden und die Relativität ihre eigentliche

Stelle haben511), und der unlogische Realist macht dann für dieses

Gebiet den Sprachausdruck zum Maassstabe , während er für den Um

kreis des wahren Seins in dem Worte nur den Abklatsch einer Idee

besitzt.

So gibt uns Gilhert's Schrift über die Kategorien einen wahrhaft

trübseligen Beleg dafür, dass jene Zeit um Nichts weniger unbeholfen

und unfähig war, als die vorhergegangenen Jahrhunderte, sobald man

nur irgend ohne das Gängelband der Tradition in den einfachsten Dingen

einen selbständigen Schritt zu thun versuchte.

Ais einen Anhänger aber Gilbert's bezüglich der Auffassung der

Üuiversalien zeigt sich uns Otto von Freising (.geb. 1109, gest.

1158), welcher in seine historischen Werke zuweilen förmliche Excurse

philosophischen Inhaltes verflicht und dabei in den üblichen Redens

arten seinen theologischen Respect vor Plalo und zugleich die Werth-

Schätzung der aristotelischen Logik ausspricht512). Indem er gelegent

lich einmal der Annahme beistimmt, dass die concret existirenden Wesen

den Inhalt und Gegenstand der erklärenden Aussagen bilden, hingegen

die Art- und Gattungsbegriffe im Hinblicke auf die in ihnen beruhende

Ursächlichkeit von den Dingen prädicirt werden513), erklärt er sich

ein anderes Mal ausführlicher über dieses Verhältniss, wobei er voll

ständig die Ansicht Gilbert's, selbst im Wortlaute übereinstimmend (naminus"

dicantur. lluiusmodi vcro sunl ea, quae mnt in voce eorum, quae adveniunt,

et non secundum subiecli vel mobilis cremenlum vel diminutionem, sed quoniam eorum,

quae sunl in voce, impositioni propinquiora sunl sive ab eadem remoliora sunt; de

Itis etenitn cum „magis" dicunlur, quae proximiora sunt ei, quae in ipsa voce esl,

impositioni, cum „minus" autem de his, quae remotiora consistunl — Quanto igilur

ad vocis impositionem accedens puriori infiätur albedine, tanto et candidior assignabitvr

Dubitabil autem aliquis , quare haec quidem cum „magis et minus" dican

tur, substantiae vero minime. Hoc autem contingit, quoniam substantiarum impositio

quidem in termino est, ultra quem transgredi impossibile esl. Additur autem et de

accidentibus quibusdam, qvae sine „mngis et minus" dicunlur, ul quadrangulus,

triangulus et simüia.

511) f. 34. v. B.: In subieclo enim duo sunt, quorum haec quidem esl forma

secundum ralionem , haec autem secundum materiam; quando igitur in his duobus

est transmulalio , generalio et corruplio erit simpliciler secundum verilalem Est

autem maleria maximc quidem subiectum generationis et corruptionis proprie susceplibile

Haec autem hoc aliquid significant et substantiam, haec autem quäle, haec

autem quantum; quaecunque igitur non substanliam signiftcant , non dicuntur simpliciler

sed secundum aliquid generari.

512) Chron. II, 8, p. 27. ed. Urslisius: Socrales educavit Platonem el Aristolelem

, quorum aller de polentia sapienlia bonilale crealuris ac creatura mundi

creationeve hominis tarn luculenter , tarn sapienter , tarn vicine veritati disputat ,

alter vero dialecticae libros artis vel primus edidisse vel in melius correxisse acutissimeque

ac disertissime inde disputasse invenitur.

513) De gest. Frid. Prolog, p. 405. Urstis.: Sicul enim iuxla quorundam in

logica nolorum positionem, cum non formantm. sed subsistenlium proprium sit praedicari

seu declarari , genera tarnen et species praedicamento transsumplo ad causam

praedicari dicuntur, vel, ul communiori utar exemplo , sicut albedo clara, mors pallida,

eo quod claritatis altera, palloris altern causa sit, appellatur, etc. (Der

Ausdruck transsumptio , sowie das nemliche Beispiel albedo clara bei Gilbert p.

1142., s. Anm. 472.)

15*

228 XIV. Ollo v. Freising. Pseudo-Boethius De unitate.

lirum, nalura, /orwio, con/ormis, coadunalio, — „omne esse ex forma

esl'' —) wiederholt614). In demselben Sinne bezeichnet er an einer

anderen Stelle (mit polemischer Wendung gegen Wilhelm v. Champeaux)

das Universale als „quasi in unum versale" und knüpft hieran eine ety

mologische Rechtfertigung der Worte und Begriffe diri/hium und <»«•/<-

Dtduum515); auch theilt er mit Gilherl die naive Gleichstellung der

Dinge und Worte516), sowie er auch einmal jene logische Turnübung

erwähnt, welche an dem Klellerhaume der Tabula logica veranstaltet

wird51").

Zur gleichen Gruppe gehört auch eine kleine anonyme Schrift „ De

unilale ei uno'~, welche offenbar in den damaligen Trinitäts-Streitigkeilen

die Veranlassung ihrer Entstehung hat, aber ebenso wie jenes

ältere Werk De trinüale für ein Erzeugniss des ßoelhius gehalten

wurde 418). Es waltet in der Frage über die Einheit, auf welche auch

514) De yesl. Frid. I, 5, p. 408. : Nalivum velul naluin aul ijenilum dcscendens

a genuino (s. Anm. 464.) In nativis igitur omnem naturaal seu formam, guat

integrum esse subsistenlis sit, vel actu et nalura vel nalura sallem conformem habere

necesse est .... Partei, autem hie roco eas fonnas (Anm. 468.), quae ad componendam

speciem aul in capile ponuntur, ul yenerales, aul aggreyanlur, ul differenliales, aul

eas comilanlur, ul accidenlales .... Palet, humanitalem Socratis secundum onmes

partes et omnimodum effeclum humanilati tlatonis conformem esse, ac secundum hoc

Socratem et Platonem eundem et unum in universali dici solere (Anm. 474.)

Concretio eliam in naturalibus non solum coadunatione formae et subsislentis , sed

ex multitudine accidentium, quae subslantiale esse comitantur, considerari polest

(Anm. 464. u. 471.) — Sunl aliae formae subiectum inleyrum informantes, quae

naturam lantttm conformem habenl; esse quippe solis , elsi non actu, natura confor

mem habere noscitur , quare, quamvis plures soles non sunl. sine repuynantia tarnen

naturae plures esse possent (Anm. 479.) (p. 410.) Omne namque esse ex forma

est .... Tantum de ea , quae a philosopliis yenitura , a nobis factura seu crealura,

dici seiet, disputationem instituimus; sed notandum, quod comjiositio alia formarum,

alia est subsislentium , formarum ex /ormis, subsislentium ex subsistenlibus .... For

marum autent aliae compositac , aliae simplices ; simpliccs, ul albedu, compositae, ut

humanitas unde Boelhius in octava reyula libri llebdomaile ,,omni composilo

aimA est esse, aliud ipsum est" (s. Anm. 37.).

515) Ebend. 53, p. 437.: Univei salem dico, non ex eo, quod una in pluribus

sit, quod esl impossibilc (Anm. 105.), sed ex hoc, quod plura in similitudine vivendo

ab assimilandi unione utiiversalis quasi in unum versalis dicalur — Ex quo palet,

quare sinyularem individualem vel particularem dixerim proprietate.m , eum nimirunt,

quae siiiim subiectum non assimilal aliis , ut humanitas, seit ab aliis dividil, diseernit,

partitur, ul ea, quam ftcto nomine solemus dicere „Platonilas", a dividendo

individua , a partiendo particularis , a dissimilando sinyularis dicta. Nee opponas,

quod fiolius a diridendo dil'iduam, quam indh'iduam dici oporleal; nam cum suum

subiectum non solum ab aliis dividal vel dissimilcl, sed eliam in sua individualitate

et dissimilitudine lam ßrmiler manere facial, ul nee sil nee fueril nee futurum sit

aliud fubieclum, quod secundum eiusmodi proprielalem illi assimilari queal, melius

individuum privando, quam dividuum ponendo vocatur, eiusque opposilum, quod divi

dendo pluribus communtcal el communicando dividil, rectius dividuum dici debet

(Anm. 479.).

516) Ebend. p. 438.: i'itnt enim omne esse ex forma sil, quodlibel subsistens

rem el nomen a sua capil fonna (Anm. 458, 474, 482.).

517) Ebend. 60, p. 444 : luxta logicorum enim reyulam melhodus a geuere

ad deslruendum, a specic valet ad construendum (Anm. 480.).

518) Gedruckt bei Itoellut Opp. ed. Batil 1570, p. 1274 (f. Ravaisson (Rap

ports sur les bibliolhiques des de'parlemenls de l'oueit. Paris 1841, p. 169.) fand

XIV. Einzelne Autoren. 229

Gilbert geführt worden war (Anm. 477 f.) jener nemliflic Realismus,

wie bei Gilbert oder bei Otto519), und wir mögen vielleicht höchstens

erwähnen, dass sich hier eine wunderliche Aufzählung verschiedener

Bedeutungen des Wortes „unum" findet 52°).

In die neniliche Zeit aber, d. h. ungefähr zwischen 1140 und 1170,

fällt auch das Auftreten einiger Anderer, von welchen wir fast nur die

Namen kennen, und es drängt sich uns bei jedem Schritte unserer Un

tersuchung wieder die Erwägung auf, dass die uns zugänglichen Quellen

immer noch nur eine fragmentarische Kenntniss ermöglichen. Man wird

es ja als zufällige Notiz bezeichnen müssen, dass Johannes von Salesbury,

wo er den Lauf seiner Studien erzählt, einen gewissen Alberich

nennt, welcher nach Abälard's Tod in St. Genevieve zu Paris docirle

und energisch den Kampf gegen die Nominalisten aufnahm , wobei ihn

ein bedeutendes Talent des Distinguirens unterstützt haben mag521).

Ferner berichtet Johannes, er selbst habe einen gewissen Willi r am

von Soissons in der Logik unterrichtet, welcher dann durch ihn

bei Adam von Petit-Pont (Anm. 440 fl'.) eingeführt worden sei und hier

auf gegen die Anhänger der allen Logik (anliqui, logicae. velustas, s.

in einer Handschrift von St.-Michel einen anonymen Tractat, welcher nach den von

ihm angeführten Anfangs-Zeilen identisch mit diesem Pseudo-Boethius ist.

519) p. 1274.: Omne enim 'esse ex forma est in rebus creatis , sed nullvm

esse ex forma est, nisi eum forma materiae unita est; esse enim non est nisi ex

coniunctione formae cum materia .... Cum autem forma materiae unitur, ex coniunctione

ulriusque necessario aliquid unum constüuitur .... linilio autem non fit

nisi ab unitate — Forma autem non tenet unitatem cum materia, nisi unitas sit;

ideo materia eget unilate ad uniendum se et de natura sua habet mulliplicari ; unilas

vero retinet, unit et colligit, ac per haec, ne materia dividatur et spargatur, necesse

est ut ab unitate retineatur u. s. f.

520) p. 1276.: Unum enim aliud est essentiae simplicitale , ... aliud simplicium

cognitione, .... aliud continuitate , ....aliud composüione, .... aliud aggrcga.-

tione, .... aliud praepositione , ... aliud accidente, ... aliud numero, .... aliud ratione,

.... aliud natura unum, ut parlicipatione speciei plures homines unus, aliud ....

natione, .... aliud more.

521) loh. Saresb. Metal. II, 10, p. 78 f. (ed. Giles): Contuli me ad Peripatcticum

Patatmum, qui tunc in monle Sanctae Genovefae clarus doclor et admirabilis

Omnibus praesidebat; ibi ad pedes eius prima artis huius rudimenla accepi

Deinde post discessum eius , qui mihi praeproperus visus est , adhaesi magistro Al

berico, qui inter ceteros opinatissimus dialecticus enitebat et erat revera nowinalis

sectae acerrimus impugnator. Sie ferme toto bicnnio conversatus in monle artis

huius praeceptoribus usus sum Alberico et magistro Roberto Melidunensi (s. oben

Anm. 453.) quorum alter (d. h. Alberich), ad omnia scrupulosus locum quaestionis

inveniebat ubique, ut, quamvis polita planities , offendiculo non careret et,

ut aiunt, seirpus ei non esset enodis, nam et ibi monstrabal, quid oporteat enodari

Apvd hos loto exercitatus biennio sie locis assignandis assuevi et regulis et

aliis rudimentorum elemenlis, quibus pueriles animi imbuuntur et in quibus praefati

doctores polenlissimi erant et expeditissimi, ut etc. Eine Erwähnung dieses Alberich

findet sich auch bei loh. Saresb. Enthet. v. 55 f. : hte loquax minimumque dicax

redolet Melidunum, Creditur Alberico doctior isle suo. Welcher Alberich aber unter

den Mehreren dieses Namens, welche in jener Zeit erwähnt werden, es gewesen

sei, lässl sich nicht mit Bestimmtheit sagen; die erwähnte Zeitangabe macht es

wahrscheinlich, dass es Alberich von Rheims, mit dem Beinamen de Porta Veneris,

war, welcher später den Johannes v. Salesbury und den Erzbischof Thomas bei

ihrem Exile in Italien gastlich aufnahm. S. Bulaeus , hist. nn. Par. II, p. 724. u.

Histoire litter, de la France XII, p. 75.

230 XIV. Einzelne Autoren.

oben Aniii. 55 IV.) eine eigentümliche Veranstaltung (machina) ersonnen

habe 522). Sodann bezeichnet Johannes ein anderes Mal ausser jenem

seinem Gegner, welchen er Cornificius nennt (s. sogleich unten), den

Vertreter einer anderen, wie es scheint, übertriebenen und abstrusen

Richtung der Logik mit dem fingirten Namen Ser tor ius 523). Hiezu

aber kömmt ausser schlecht beglaubigten Notizen über einen David

in Hirschau und einen Johannes Serlo von York 524) noch eine an

derweitige Mittheilung durch einen Autor aus dem Ende des 12. Jahrhundertes,

nemlich durch Walter Mapes, welcher in seinen Gedich

ten gelegentlich eine Kenntniss der in den Schulen hervorragenden

Persönlichkeiten und Richtungen zeigt; derselbe erwähnt (mit der Be

merkung, dass Abälard die meisten Anhänger habe) ausser dem Bern

hard v. Chartres, dem Petrus v. Poiliers und dem Adam von Petit-Pont,

einen gewissen Reginaldus, einen gewaltigen Schreier, welcher Alle

tadelte und den Porphyrius an den Galgen hieng (laqueo suspendii),

so dass wir vielleicht in ihm jenen Cornificius des Johannes v. Salesbury

erblicken könnten ; ferner neben dem Robert Pulleyn einen äusserst

spitzfindigen Manerius, einen witzigen Bart h olo in aus und einen

Robert Amiclas 525). Auch mag erwähnt werden, dass das Gedicht

522) Ebend. p. 80.: Vnde ad magistrum Adam — familiaritatem conlraxi ulleriorem

.... Interim Willermum Suessionensem , qui ad expugnandam, ut aiunt sui,

loyicae vetustatem et consequentias inopinabiles construendas et anliquorum sententias

diruendas machinam postmodum fecit, prima logices docui elementa et taudem tarn

diclo praeceplori apposui. Ibi /orte didicit, idem esse ex contradiclione', quum Ari

stoteles obloquatur , quia „idem quum sit et non sit, non necesse est idem esse"

(diese Worte finden sieb Anal. pr. H, 4, 57 b. 3, s. Abschn. IV, Anm. 614.) et item

quum aliquid sit, non necesse est idem esse et non esse; nihil enim ex contradictione

evenit et contradictionem impossibile est ex aliquo evenire, unde nee amici

machina impellente urgeri potui, ut credam, ex uno impossibili omnia impossibilia

provenire. Selbst abgesehen davon, worin denn diese räthselbafte machina bestan

den haben soll, ist mir diese ganze Stelle, deren Text wohl auch verdorben sein

mag, völlig unverständlich geblieben; nur so viel geht aus einer anderen Stelle

(unten Anm. 624.) hervor, dass man an jene aristotelischen Worte die hypotheti

schen Syllogismen anzuknüpfen versuchte.

523) Enthel. v. 116 ff.: Si quis credatur logicus , hoc satis est; Insanire putes

potius , quam phüosophari , Seria sunt etenim cuncta molesta nimis , Dukescunl

nugae, iniUitm sapientis abhorrent, Tormenti genus est saepe videre librum. Ablaclan&

nimium teneros Sertorius olim Discipulos fertur sie docuisse suos; Doctor enim

iuvenum prelio compulsus et aere Pro magno docuit munere scire nihil.

524) frühem. Ami. Hirsaug. ann. 1137. (Ed. St. Gatt. 1690, I, p. 403.): Da

vid monachicum habitum suscepit Scripsit quaedam non spernendae lectionis

opuscula de grammatica L. l, in Perihermenias Aristotelis libros duos. Dass je

doch die Angaben des Trilhemius geringen Werlh haben, weiss jeder Kundige;

hingegen uoch weit schlimmer steht es bekanntlich mit Pitseus, welcher häufig,

wo er nicht den Leland ausschrieb, reine Lügen ersann, daher es vielleicht kaum

der Erwähnung werlh ist, dass derselbe, De illustr. Angl. script. p. 223 f. (öd ann.

1160.) sagt: Joannes Scrlo dictus magister Serlo .... ex Eboracensi canonico factus

est... Fonlanus Abbas Scripsit .... de aequivocis dictionibus librum unum, de

univocis dictionibus librum unum.

525) The latin poems commonly altributed to Walter Mapes , collected and eäited

by Thomas Wright (London 1841. 4.), woselbst auch das Nähere über Walter

Mapes in der Einleitung erörtert ist. In Einem Gedichte, Metamorph. Goliae, v.

189 ff. (p. 28.), findet sich folgende Stelle: Ibi doctor eernitur ille Carnolensis, Cuius

fingua vehemens truncat velut ensis, Et hie praesul praesulum stat Pictatiensis, Prius

XIV. Der sog. Cormficius. 231

mit einer Austreibung der Mönche aus den Schulen der Philosophen

endigl 526), sowie dass ein anderes Gedicht, welches ungefähr der nemlichen

Zeit angehört, in sehr launiger Weise den Gegensalz zwischen

sinnlichem Pfaflenlhum und seiner logischer Bildung schildert527).

An die Genannten reiht sich endlich noch jene ganze Richtung an,

welche Johannes v. Salesbury, indem er nicht gegen die Person, son

dern nur gegen die Sache kämpfen will, mit dem. symbolischen Namen

Cornificius bezeichnet528). Die zahlreichen Stellen, in welchen er

diesen seinen Gegner oder die Anhänger desselben erwähnt, treffen in

dem Einen Punkte zusammen, dass es Mehrere gab, welche jede Tech

nik des denkenden Redens (eloquentia oder logica) von vorneherein als

unnütz verwarfen, da Alles auf Naturanlage beruhe, und hiemit, wer

diese besitze, ohne alle Technik von sich selbst auf das Richtige komme,

wer hingegen keine Begabung habe, auch durch die Theorie nicht ge

fördert werde529). Und wenn hinzugefügt wird, dass diese „Philoet

nubentium miles et caslrensis (hierauf die oben, Anm. 442., angeführten Verse)

.... Celebrem theoloyum ndimus Lombardum, Cum Yvone Helyam Petrum (beides

Grammatiker) et Bernardum, Quorum opobalsamum , spiratos et nardum, El professi

plarimi sunt Abaelardum, Rcginaldus monachus clamose contendit Et obliquis singulos

verbis comprehendtt , Hos et hos redarguit, nee in se descendil , Qui noslrum Porphyrium

laqueo suspendit. Roberlus theologus corde vivens muiido Adesl et Maneriut,

quem nullis semndo, Alto loqvens spiritu et ore proftmdo, Quo quidem subtüior nullus

est in mundo. Hinc et Bartholomaeus fadem acutus Khetor, dialcclicus, sermone

aslutus , Et Robertus Amiclas simile seculus , Cum his, quos praetereo, populus

mintitus.

526) Ebend. v. 233. (p. 30.): Quidquid tantae curiac sanclione dafür , Non

cedat in irritum, ralum habeatur; Cucullatus igilur grex vilipendalur Et a philosophicis

scolis expellatur. Amen.

527) De presbytero et logico (gleichfalls von Wright herausgegeben a. a. 0.

p. 251 ff.) in 216 Versen, worin sich allerdings für unseren Zweck kein geschicht

licher Beitrag findet. Der Gegensatz der Richtungen spricht sich aus z. B. v.

29 ff.: Logicus: Fallis , fallis , presbyler, coelum Chrislianum, Abusive loqueris,

laedis Priscianum, Te probo falsidicum, te probo vesanum .... Presbyler : Tace, la.ce,

logice , tace, vir fallator, Tace, dux insaniae , legis vanae lator ... Log.: Peccasti,

sed gravius adiici!. peccare, Legern hanc adiiciens vanam nominare; Sanum est, rfiiserere

vel grammalizare , Si insanum putas, velim dicas quare. Presb.: Deo est

odibile vestrum argumentum; Ibi nulla veritas, totum est ßgmentum , oder z. B. v.

129 ff. : Log.: Audi, inter phialas quid philosopharis; follus, non philosophus, hinc

esse probaris , Slullo sunt similia singula, quae faris, Epieure lubrice, dux inglutiei

, Cuius deus venler est, dum sie senis ei etc.

528) loh. Saresb. Metal. I, 2, p. 14.: Utique par est, sine derogatione personae

sententiam impugnare , nihilque turpius, quam, qmun sentenlia displicel avl

opinio, rodere nomen auctoris .... Ceterum opinioni reluclor, quae mullos perdidil,

eo quod popultim, qui sibi credat , habet, et licet antiquo novus Cornificius ineplior

sit, ei tarnen tmba insipientium acquiescit. Polycr. l, Prol. p. 15.: Aemulus non

quiescil, quoniam et ego meum Cornificium habeo .... Quis ipse sil, nisi ab iniuriis

temperet, dicam , procedat tarnen et pubUcet, arguat meum ratione vel aucloritate

mendacmm. Aus der Ausdrucksweise in diesen beiden Stellen geht hervor,

dass der Name Cornißcius nur von einer antiken Persönlichkeit auf den eigenen

Feind des Johannes symbolisch übertragen sei, und es ist mit Gewissheit anzu

nehmen, dass die Angaben des Oonatus (Vita Virgilii, c. 17 f., s. Virg. Opp. ed.

Wagner I, p. xcix f.) über einen Cornificius, welcher „ob pcrversam naturam" ein

Gegner Virgils gewesen sei, die Veranlassung hiezu darboten.

529) Ebend. Mtlal. I, l, p. 12.: Miror ilaque , quid sibi vult, qui eloqutntiae

negat eise slwrfendum p. 13.: Cornificius noster studiorum eloquentiae

232 XIV. Der sog. Comificius. Johannes v. Salesbury.

sopheu auf eigene Fausl" mit Verschmähung des ganzen Triviuuis und

Quailriviums sich auf praktische Dinge und auf Gelderwerb warfen 53°),

so läge hierin ein bedeutsames Anzeichen, insoferne diese Richtung

nicht etwa von klerikaler oder dogmatischer Anschauung aus, sondern

in Folge eines praktischen Dranges dein Wüste der Schulweisheil abgeneigt

gewesen wäre und auf den unmittelbaren Werth individueller Be

gabung hingewiesen^ hätte. So könnten wir Solches als ein Vorspiel

späterer Tendenzen verstehen. Dürften wir auf den sog. Cornificius

auch die Notiz beziehen , dass Einige die Kategorien und die Isagoge

als unnütze Elementarbücher verwarfen531), so könnten wir vielleicht

den obigen Regiiialdus wenigstens für einen Vertreter dieser Partei

hallen532), wenn es nicht unnütz wäre, bei einer so lückenhaften

Quellenkenntniss blosse Vermulhungen aufzuslellen. Wie aber Johannes

selbst sich die Entstehung einer solchen Opposition gegen die Schul-

Logik gedacht habe, wurde oben, Auin. 52 f., angegeben.

Hiemit aber wenden wir uns zu eben jenem Autor selbst, welchen

wir bisher schon so häutig als Quelle benützen mussten, nemlich zu

Johannes von Salesbury533). Derselbe (gestorben i. J. 1180)

imperitus et improbus impugnalor. C. 3, p. 15.: Fabeliis tarnen et nugis suos

pascil inlerim audilores, quos sine artis beneficio, si vera sunt quae promittil, faciet

eloquentes et tramite contpendioso sine labore philosophos. C. 6, p. 23. : Neque euim

ut Cornificius . meipsum docui ... Non esl ergo ex eius sententia studendum praeceptis

eloquentiae, quoniam eam cunctis natura ministrat aut negal; si ultro minislrat aut

sponte, opera superfluit et diligentia; si vero negat, inefftcax est et inanis. C. 10,

p, 29.: Eo itaque opinionis vergit intentio , ut non omnes mutos faciat , quod nee

ficri potest nee expedit, sed ut de medio logicam tollat. Elend. II, Praef. p. 62.:

Logica, quam, etsi mutilus sit et amplius muMandus, Cornificius parietem solidum

coecati more palpans impudenter altentat et impudenlius criminalur. Ebend. IV, 25,

p. 181.: Sed Cornificius noster, logicae criminalor, philosophantium scurra, non

immerüo contemnetur. Enthet. v. 61 S.: Cum sit ab ingenio totum, non sil titi

curae, Quid prius addiscas posteriusve legas. Haec scola non curat, quid sit modus

ordovc quid sit, Quam teneant doctor discipulusve viam.

530) Metal. I, 4, p. 20. : Alii atitem Cornißcio similes ad vulgi professiones

easquc profanas relapsi sunl parum curanles, quid philosopltia doceal, quid appetendum

fugicndumve denttntiet, dummodo rem faciant, si possunt, rede, si non quocunque

modo rem (Hör. Ep. I, l, 65.) Evadebant illi repentini philosophi et

cum Cornificio non modo trivii nostri, sed totius quadrivii contemplores.

531) Ebend. III, 3, p. 123.: Sunt, qui librum istum (d. h. die Calegoriae),

quoniam elementarius est, inulilem fere dieunt, et salis esse putant ad persuadendum,

se in dialectica disciplina et apodictica esse perfectos, si contetnpserint vel ignoraverinl

illa, quae in primo commento super Porphyrium , antequam artis aliquid

attingatur, docet Boethius praelegenda.*

532) Möglicher Weise könnte dann in obigem „laqueo suspendit" (Aam. 525.)

selbst wieder ein Wortspiel mit Cornificius und carnifex stecken. Ein anderes Wort

spiel mit cornicari s. unten Anm. 545.

533) Gründliche litteratiirgeschicbtliche Untersuchungen über Job. v. Salesbury

hat Christ. Petersen in seiner Ausgabe des Entheticus (Hamb. 1843) gegeben. Die

Monographie, in welcher Herrn. Peuter (Job. v. Salesb. Z. Gesch. d. christl. Wissensch.

im 12. Jahrb. Berl. 1842) die Lehre des Johannes darzustellen versuchte,

leidet durchgängig an einer ebenso schiefen als äusserst mangelharten Orientirung

des Verfassers. — Ich citire nach der Gesammtausgabe von A. Giles (Oxford

1848, 8, 5 Bände, wovon der Polycraticus den 3. u. 4. Band füllt, der Metalogicus

aber im 5. sich findet), wenn auch dieselbe durchaus nicht sorgfällig gemacht

XIV. Johannes v. Salesbury. 233

hatte das Studium der Logik in Aliälard's Schule hegonnen, bei obigem

Alberich, bei Robert von Melun und Wilhelm von Conches fortgeselzt,

trat dann in wissenschaftlichen Verkehr mit Adam von Petit-Font, hörte

abermals Dialektik bei Gilberl I'orretanus, Theologie bei Robert Pull'eyn,

kehrte dann zu den Abälardiauern zurück, welche während der zwanzig

Jahre Nichts gelernt und Nichts vergessen hatten534), und verfasste

um d. J. 1160 535) seinen Melalogkus, in welchem er hauptsächlich

seine Ansichten über Logik niederlegte. Johannes hat dieses sein Werk,

wie er selbst sagt, nach langjähriger Unterbrechung seiner logischen

Studien nur aus dem Gedächtnisse rasch in kurzer Zeit geschrieben,

nicht um einen Coiumentar zum Lehren oder Lernen zu verfassen, son

dern hauptsächlich um gegen die erhobenen Angriffe den Nutzen der

Logik zu erweisen und so dieselbe zu vertheidigen 538).

Der Nützlichkeits-Standpunkt ist ihm der entscheidende, und es

wird uns schon hiernach nicht unerwartet sein, wenn wir in ihm einen

völlig principlosen Eklektiker treffen werden 537). Bei dem praktischen

lltililäls-Drange unterscheidet er sich von seinem Gegner Cornificius nur

ist und namentlich durch die sinnloseste Interpunktion häutig das Verständniss er

schwert (die nöthigen Aenderungen hierin nehme ich stillschweigend vor).

534) Melal. II, 10, woselbst nach der oben Anm. 521. angeführten Stelle

folgt (p. 79.) : Deinde nie ad grammaticum de Conchis transtuli ipsumque triennio

docenlent audivi ; hierauf folgt der Inhalt obiger Anm. 522., sodann (p. 81.): Reversui

itaque ... reperi magistrum Gilbertum ipsumque audivi in logieis et divinis;

sed nimis cito subtraclus est; successil Roberlus Pullus, quem vita pariter et scientia

commendabant ; deinde me excepit Simon Pexiacensis .... sed hos duos in solis theologicis

habui praeceptores .... lucundum itaque Visum est, veteres, quos reliqueram

et quos adhuc dialectica detincbal in monte , revisere socios, confene mm eis super

ainbir/uitalibus pristinis , ut noslrum invicem ex collatione mulua commetircmur profectum.

Inventi sunt, qui fueranl et ubi; neque enim ad palmam visi sunl processisse

ad qttaestiones pristinas dirimtndas neque propositiunculam unam adiecerant.

Ebend. III, 3, p. 129.: Habui enim hominem (d. h. den Adam v. Petit-Pont, s.

Anm. 441.) familiärem assiduitale colloquii et communicatione librorum et quotidiano

fere exercitio super emergcntibus articulis conferendi; sed nee una die discipulus

eius fui , ei tarnen liabeo gratias . quod co docente plura cognovi , plura ipsitis . . .

ipso arbitrio reprobavi. Vgl. hiezu Anm. 54.

535) S. Petersen a. a. 0. p. VI u. 73 ff.

536) Metal. Prol. p. 8.: S« quidem, quum opera logieorum vehementius tanquam

inutilis rideretur, et me indiynanlem et renitentem aemulus quotidianis fere

iurgiis provocaret , landem lilem excepi et ad calumnias studui respondere Placuit

itaque sociis, ut hoc ipsum tumultuario sermone dictareni, mm nee ad sententias

subtiliter examinandas nee ad verba expolienda Studium superesset aut otium

(p. 9.) Nam ingenium hebcs est et memoria inftdelior, quam ut antiquorum (s.

Anm. 55 ff ) subtüitates percipere aut, quae aliquando percepta sunt, diutius valeam

retinerc Et quia logicae suscepi patrocinium, Metalogicon inscriptus esl liber.

Ebend. 111, praef. p. 113.: Anni fere viginti elapsi sunt, ex quo me ab ofßcinis

et palaestra eorum, qui logicam proftlentur, rei familiaris avulsit angustia .... Unde

me excusatiorem habendum puto in bis, quae oblusius et inctillius a me dicta lector

inveniet.... (p. 115.) Ergo procedal oralio , et, quae antiquatae occurrunt memoriqe

de adolescentiae studiis , quoniam iucunda aetas ad mentem reducilur etc. III,

10, p. 156. : propositum est scilicet, ut potius aemulo occurratur, quam ut in artes,

quas omnes docent aut discunt , commentarii scribantur a nobis.

537) Herrn. Reuter ist gänzlich in Irrthutn , wenn er von einem „höheren

philosophischen Standpunkte" spricht, von welchem aus Johannes sich über die

damals streitenden Parteien erhoben habe.

234 XIV. Johannes v. Salesbury.

dadurch, dass er nicht wie jener die Schuldoetrin verwirft, sondern

diese selbst praktisch machen will ; aber Philosoph ist er ebenso wenig

als. Cicero, mit welchem er sich in inniger Uebereinstimmung befindet.

Er bekennt sich ja selbst ausdrücklich zur Probabilitäts-Lehre der von

Cicero empfohlenen akademischen Sekte 538) und findet hiernach in der

praktischen Nutzbarkeit den einzigen Zweck aller Wissenschaft539). In

solchem Sinne äussert er sich über die Wortklauberei und Spitzfindig

keit der Dialektiker in so starken Ausdrücken, dass der principiellsle

Feind aller Logik kaum heftiger sprechen könnte540); ja sogar an den

Erörterungen über die Kategorien, welche sein Lehrer Gilben gepflogen

hatte, findet er, obwohl vielfach mit demselben einverstanden (s. unten

Anm. 582 11'. 593 ff. u. 606 ff.) dennoch zu ladein, dass hierüber die

moralische Selbslerkenntniss verkürzt werden könne541), und hinge

rissen von dem Eifer für Moraltheologie bezeichnet er die aristotelische

Logik, welche er doch gegen Angriffe verlheidigen will, mit dem Worte

astuliae, welches wir bei fanatischen Gegnern der Philosophie zu finden

gewohnt sind 542).

538) folycr. l, frei. p. 15.: In' philosophicis academice disptilans pro ralionit,

modtilo, quae occurrebant probabilia, sectatus sum, nee Academicorum erubesco professionem,

qui in his, quae svnt dubitabüia sapienli, ab eorum vestigiis non recedo;

licet enim secta haec tenebras rebus omnibus videalur inducere, nulla veritali examinandae

fidelior et auctore Cicerone, qui ad eam in seneclute diverlil, nulla profectui

familiarior est. Melal. II, 20, p. 102.: qui me in his, quae sunt dubilabüia

sapicnti, academicum esse pridem profesius sum,

539) Melal. Prol. p. 9. : De moribus vero scienter nonnulla inserui raltis, omnia,

quae leguntur aut scribuntur, inutilia esse, nisi quatentis afferunl aliquod adminiculum

vitae; est enim quaelibet professio philosophandi inutüis et falsa, quae se

ipsam in cultu virtutis et vitae exhibitione non aperil.

540) Polycr. VII, 9, p. 110.: Suspice ad moderalores philosophorum temporis

noslri , eos in regula una aut duobus aut pauculis verbis invenies occupalos,

aut, ut multum, pauculas quaestiones aptas iurgiis elegerunt, in quibus ingenium

i,uum exerceant et consumanl aelatem; eas tarnen non sufficiunt enodare, sed nodum

et totam ambiguitatem cum intricalione sua per audüores suos Iransmillunl posleris

dissolvendum, .... lalebras quaerunt, variant fadem, verba distorquent, . , . si in eo

perstiteris, ut, quocunque verba defluant et volvantur, quid velint, inlelligas, et

quid sentianl in lanta varietate verborum, 'et tandem v'mcientur sensu suo et capientur

in verbo oris sui, si substantiam eorum, quae dicunt, altigeris firmiterque tenueris,

Ebend. 12, p. 122.: Errant ulique et impudenter errant, qui philosophiam in

solis verbis consistere opinantur; errant, qui virtutem verba putant Qui verbis

inhaerent, malunt vidcri quam esse sapienles , .... quaestiunculas moveut, intricant

verba, ut suum et alienum obducant sensum, paratiores ventilare quam examinare,

si quid difficultatis emersit. Hiezu obige Anm. 58.

541) Ebend. 111, 2, p. 164.: Inde est forle, quod illi, quia prima tolius

philosophiae elementa posteris tradere curaverunt , substanliam singulorum arbitrali

sunl inluendam, quanlitalem, ad aliquid, qualitatem, silum esse, übt, quando, haben,

facere et pati, et suas in omnibus his proprietates , an intensionem admittant et

susceptibilia sint conlrariorum et an eis ipsis aliquid inveniatur adversum (all diess

letztere bat eben Gilbert erörtert, s. Anm. 489—509.); provide quidem haec et

diligenler, elsi in eo negligentiores exstilerunt, quod sui ipsius nolitiam in tanta

rerum luce non assecuti sunt etc.

542) Ebend. IV, 3, p. 227.: Astutias Aristotelis , Chrysippi acumina omniumque

philosophorum tendiculas resurgens mortuus confutabat. Melal. III, 8, p. 141.:

Pythagoras naluram excutit, Socrates morum praescribit normam, Plato de omnibut

persuadet, Aristoteles argutias procurat. Vgl. Anm. 560.

XIV. Johannes v. Salesbury. 235

Suchen wir hiernach ausfindig zu machen, welche principiclle

Stellung Johannes der Logik anweise, so deutet er einmal bezüglich

der Eintheilung der Wissenschaften einen Grundton an, welcher uns

sehr an Hugo v. St. Victor erinnert (Anm. 45 f.), indem als dienende

Mächte unter der Herrschaft der dirina pagina die mechanischen, die

theoretischen, die praktischen Disciplinen, und die das feste Bollwerk

aufbauende Philosophie bezeichnet werden543), wobei beachtenswert!!

ist, dass auch Hugo die Aufgabe der Logik in die Vervollkommnung

des Sprechens verlegt. Und wenn ein anderes Mal im unverkennbarsten

Anschlüsse an Gilben (Anm. 465) eine dreifache Funclion der Vernunft

(ratio) unterschieden wird, insoferne der concrete Gebrauch derselben

(modus concretn'us) auf die sinnlich wahrnehmbare Natur gehe, die

abstract auflösende Thätigkeit (resolvere) zur Mathematik führe, und die

beziehungsweise Vergleichung (conferre el rej'erre) Aufgabe der Logik

sei644), so sehen wir schon hieraus, dass Johannes die Fähigkeit hat,

verschiedene Ansichten Anderer beliebig aufzugreifen und eklektisch

nebeneinander hinzustellen.

Nun aber ist der eigentlich eklektische Standpunkt für die Logik

der rhetorische, denn dieser überhebt sich aller Schwierigkeiten, welche

in den philosophischen Grundfragen auftreten können, und so ist auch

Johannes von der Mühe dispensirl, sich etwa für Eine philosophische

Auffassung zu entscheiden. Ohne die Stellung der Logik im Gebiete

der Wissenschaften näher zu bestimmen, und ohne das Verhältnis des

subjectiven Denkens zur Objectivilät oder zur Form des Sprachausdrucke s

nach irgend Einer bestimmten Ansicht zu erörtern, kann er sich dabei

begnügen, in einer bunten Fülle verschiedener Wendungen und mit Be

nützung der üblichen Schullradilion den Feinden der Logik den Begriff

und den Werlh der „eloquentia" entgegenzuhalten 545). Die Art und

Weise, wie sich das Denken zu dem Wortausdrucke verhalle, wird

durch eine rhetorische Floskel bezeichnet, indem von einer „süssen

und fruchtbaren Ehe" der Vernunft und des Wortes gesprochen wird 546),

543) Enlhel. v. 441 ff.: Haec scripturarum reyina vocatur, eandem Divinam

dicunt, .... Hanc caput agnoscit philosophia suum; Huic omncs arles famulae; meehanica

quaeque Vogmala , quae variis usibus apta vides , Quae ius nun reprobal,

$ed pullicus approbat «SMS, Huic operas debent militiamque suam; Praclicus huic

servil servitque theoricus ; arcem Imperii sacri philosophia dedtt. In Bezug auf Hugo

Tgl. Anm. 555.

544) Ebend. v. 659 ff. : Res triplici spectare modo ralio perhibetur, JVec quartum

potuit mens reperire modum; Concretivus hie est, alius concreta resolmt, Res

rebus confert \lertius atque refert; Naturam prinms , malhesim medius comitalur,

Vindical extremum logica sola sibi.

545) Uelal. I, 7, p. 24.: Cornicatur haec domus insulsa, suis tarnen verbis,

et quam comlat totius eloquii contempsisse praecepta .... Ait enim, superftua sunt

praecepta elnquentiae , quoniam ea naturaliler adesl aut übest (Anm. 529.). ('«"',

inquam, falsius? Est enim eloquentia facultas dicendi commode , quod sibi vult

(minus expediri .... (p. 25.) Ergo cui fadlitas adest commode cxprimendi verbo quidem,

quod sentit, eloquens est; et hoc faciendi facultas rectissime eloquentia nominatur,

qua quid esse praestantius possit ad usunt, compendiosius ad opes, fidelius

ad gratiam , commodius ad gloriam, non fädle Video.

546) Ebend. I, l, p. 13.: Ralio , scientiae virtutumque parens, ... quae de

verbo frequentius concipit et per verbum numerosms et fructuosius parit, aut omnino

,—' 236 XIV. Johannes v. Salesbury.

und den gleichen Werlh hat die Redensart, dass die Eigentümlichkeiten

der Dinge in die Worte „überfliessen", und bei der bestehenden Ver

wandtschaft der Dinge und der Aussagen (vgl. das Nemliche bei Abälard,

Anm. 308, und Aehnliches bei Gilberl, Anm. 457) es sich nur

darum handle, eine Fülle von .Dingen im Geiste und eine Fülle vun

Worten i in Munde zu besitzen547). Kurz der einmal vorliegende Be

fund der redenden Kundgebung bietet für Johannes den wesentlichsten

Gesichtspunkt dar, und so definirt er „Logik im weitesten Sinne" in

Cicero'nischer Terminologie als ratio loquendi vel disserendi , wornach

ihr die Discipliuirung der Aussagen (magisterium sermonum) anheim

falle, und sie hierin sowohl ihren Nutzen zeige als auch unter den

freien Künsten die erste Stelle einnehme, denn in jenem weitesten Sinne

umfasse sie auch den Umkreis der Grammatik "*). Indem aber hiemit

sich doch die Forderung ergäbe, bei dieser weilen Definition das wech

selseitige Verhältniss der Grammatik und der Logik (vgl. sogleich unten

Anm. 556) genauer festzustellen, lässl der wissenschaftliche IndiO'erentismus

des Johannes auch diese Frage wieder bei Seite hegen, indem

der Entscheid darüber, ob die Grammatik wirklich ein Theil der Logik

sei, ausdrücklich abgelehnt wird549). Wenn ferner gesagt wird, die

Dialektik solle durch Erwägung der Aussagen (sermones — der so häu

fige Gebrauch dieses Wortes erinnert von selbst an Abälard —) zu einer

Wissenschaft der Prüfung und Feststellung des Wahren gelangen , so

hat diess wieder nur den beschränkten Sinn, dass die Dialektik als

treulichste Dienerin der Rede-Gewandtheit (minislra eloqutntiae) hierin

ihren Nutzen bewährt, indem sie zum Maassslahe des Wissens wird 55°),

sterilis maneret aul quidem infoecunda, si non conceptionis fructum in lucem ederet

eloquio , et invicem, quod sentit, prudens agitalio mentis hominibus publicarel; haec

aulem est illa dulcis et fnictuosa conittgalio rationis et verbi, qtiae etc.

547) Ebend. 16, p. 42.: Natura enim eopiosa est et ubertatis sitae ijratiam

humanae indigentiae facit; inde ergo est, quod proprietas rerum redundat in voces,

dum ratio affectet, sennones rebus, de quibus loquilnr, esse cognatos. Polycr. VII,

12, p. 124.: Mhil enim utilius , iiiliil ad gloriam aut res acquirendai commodias

iuventuti, quam eloquentia, quae ex eo plmimum comparutur, si rerum in mente et

in ore cofia sil verborum.

548) Mctal. I, 10, p 29 f.: Est itaque logica, ut nominis significatio latissinie

paleat, loquendi vel disserendi ratio (s. Abschn. VIII, Anm. 23.); conlrahitur enim

interdum et dumlaxat circa disserendi raliones vis nominis coarctatur. Sive itaque

ratiocinandi vias doceal sive omnium sermonum regulam praebeat , profeclo desipiunt,

qui eam dicunt esse inutilem Sed, ut quam latissinie .protendätur signiftcatio,

ei ad praesens sermonum omnium magisterium tribuutur. Ebend. 13. p. 34. : Harum

aulem omnium (d. h. arlium liberalium) prima est logica, ab ea tarnen s«i

parte , quae in prima sermonum institutione versatur , ut ngmen logices , sicut iam

dictum est, quam latissinie pateat et non modo ad disserendi scienliam contrahatur ;

est enim grammalica scientia rede loquendi fcribendique et origo omnium liberalium

disciplinarum.

549) Ebend. II, praef. p. 62.: Sit aul non sit grammalica pars logices, non

conlendo; cunstal enim, quod in sennonibus vertitur eosque ministrat, etsi non omnes

sermonum examinet rationes.

550) Ebend. III, 2, p. 121.: Quum eo tcndal dialectices tota intentio, ut termonum

vim aperiat et ex eorum praedicatione examinandi veri et slatuendi scientiam

assequatur; hoc agil, sire dividat, sive definiat, sive colligal, sive ea quae fuerunt

collecta resolrat. Ebend. 11, 9, p. 77.: l.iquet , dialecticam, quae inier ministras

XIV. Johannes v. Salesbury. !237

und zuiu Beweise dieser Nützlichkeit stellt auch Johannes seinem Cornifieius

jene augustinischen Worte entgegen, welche wir nun schon so

oft angeführt trafen551)- Gerade der Nutzen aber wird nur in der

obigen Fülle der Dinge zu Tage treten können, und darum dringt Jo

hannes darauf, dass man von dem logischen Schul-Unlerrichle, welcher

in Wortkram und Sophislik sich bewege, hinwegstrebe und auf den

Stoff anderer Disciplinen übergehe, damit eine Fülle der Rede (copia

eloqurnliae) erwachse, vermöge deren man in Allem wenigstens nach

Wahrscheinlichkeit dispuliren , wo nicht sogar das Unwahre siegreich

bekämpfen könne 562). Wie sehr aber diess mit innerer Anknüpfung

an die rhetorische Seite der Logik, d. h. an die Topik, gemeint sei,

geht daraus hervor, dass in wörtlicher Uehereinslimmung mit Boelhius

de diff. lop. nur nach dem Standpunkte der Argumentation die metho

dische That der Logik auf die streitigen Punkte (quaeslio oder Ihesis)

der einzelnen übrigen Disciplinen beschränkt wird, welch letztere hiedurch

auf diesen nützlichsten Zweig des Wissens angewiesen seien 553).

Denselben Sinn hat es auch noch, wenn sodann die „Dialektik im enge

ren Sinne" als ratio disserendi definirl und ihr in üblicher Weise die

Unterscheidung des Wahren und Falschen, jedoch abermals mit Beizie

hung des Wahrscheinlichen, zugewiesen wird 554), und um der Technik

elequentiae expeditisstma est et promptissima , unicuique prodesse ad mensuram

scientiae suae.

551) Ebend. IV, 25, p. 182.: l'ater Auguslinus, cui temerarium est obciare,

eam tanlis effert praeconiis , ut vitupcrari non possit nisi ab Itis , quorum nulla est

pmdeniia .... ,,Haec docet docere, haue docft discere Quid valeat stire , seit

so/o; scientes facere non solum vult , sed et polest". Quid ad haec Cornificius?

552) Ebeqd. 28, p. 184.: Fere enim inuülit est logica, si sit sola ; tuuc demum

eminet , quum adiunctantm virlute splendescit. Tcnerae tarnen aelati indulgcndwn

esl antplius , et, ut copiam eloquentiac comparet, inlerim est /'erenda verbositas

Procedente ergo aetale et sensu verbositatis cohibeatur Hcentia et sophislicae,

quam Aristoteles dictilivam, nos circumventoriam vel caviltatoriam dicere possumus,

improbitas conquiescat. Ebend. II, 9, p. 77.: Sie dialeclica, si aliarum disciplinarum

i'iijore deslilualur, quodammodo manca esl et imililis fere; si aliarum robore

tigeat , polens est, omnem destrucrc falsitatem et. ut minimum ei adscribam, sufftcit,

de omnibus probabililer disputare. Enthet. v. 111 ff. : Laudat Aristotelem solum,

»pernit Ciceronem Et quidqttid Latiis Graecia capta dedil , Ccmspuit in leges, vilescit

physica, quanis LMera sordescit , logica sola plucel. Vgl. Anm. 52.

553) Melal. II, J2, p. 83.: Versaltir exercilium dialecticae in omnibus disciptini

» , siquidem quaestionum habenl materiam • sed eam , quae hypothesis dicitur, i.

e. quae cinumstanliis (s. Abschn. XII, Anm. 166.) implic alur , relinquil oralori

Thesim vero vindical sibi, i. e. quaeslioncm a praedictarnm circumslantiarum nexibus

absolutam. 13, |i. 83.: Quaerimt ergo simjulae (sc. disciplinae), et licel snis muniantur

principüs , eis tarnen logica methodos suas, eompendii scilicel raliones, com~

muniter subministrat , ttndc nnn modo ad exercitalionem , sed ad obvialiones et ad

disciplinas utilissima esl.

554) Ebend. II, l, p. 62.: Ut itaque nominis significalio conlrahatur, logica

est ratio disserendi , per quam lolius prudenliae agitatio solidatur. 2, p. 64. : hie

quidem, sicut Koethius in commento secundo super Porphyrium asseril (p. 47.), est

ortus logicae disciplinae; oportuit enim esse scicntiüin, qnüe vetum a /'also discerneret

et docerel, quae ratiocinatio veram teneat semitam ilispulandi, quae verisimilem , et

quae ftcla sit et debeat esse suspecta; alioquin veritas per ratiocinantis operam non

poterat inveniri. l, 15, p. 41.: Dialectica autem id dumtaxat acceptat, qnod verum

esl an: verisimile, et quidquid ab his longius dissidet, dicit absurdum.

238 XIV. Johannes v. Salesbury.

der Argumentation willen soll so die Dialektik als erste Einführung in

die Philosophie benützt werden 555). Da aber jede Argumentation oder

Disputalion in Wortausdrücken sich bewegt, so wird nun in Anbetracht

dieser engeren Definition (vgl. hingegen Aniu. 548) in ähnlicher Weise

wie bei Abälard (Anm. 271) die Grammatik, welche bloss von dicl>«

handelt, von der Dialektik, deren Gegenstand und Inhalt die dicla seien,

unterschieden , dabei aber in lediglichem Indifferenlismus die Frage als

unerheblich bezeichnet, ob es sich dabei utn die Aussage oder um das

Ausgesagte handle 55B). Und während Johannes hiemit wieder die in

der Schule von Boethius her übliche Eintheilung der „Logik" verbin

det557), führt ihn zugleich seine Kenntniss des Aristoteles auf die

Unterscheidung der Apodeiktik und der Dialektik, wobei ihm jedoch

auch die erslere keinen inneren eigenen Zweck in sich selbst trägt,

sondern immer die Nutzbarkeit der gesammten so eingetheilten Logik

die Hauptsache bleibt 55S).

Von solchem Standpunkte aus vertritt nun Johannes gegen die V'erädiler

der Dialektik auch den Werth der vorhandenen logischen Lilteralur.

Dass er in dieser Beziehung der erste Autor des Mittelallers ist.

555) Ebend. II, 3, p. 65. : l'rofecta igitur hinc est et sie perfecla scienlia disserendi,

quae dispulandi modos et raliones probationtim aperit — aliis philosophicis

disciplinis posterior tempore, sed ordine prima (ebenso Hugo v. Victor, Aon). 46.,

vgl. Anm. 543.); inchoantibus enim philosophiam praelegenda est, eo quod vocum et

inlellecluum interpres est. sine ijnibus nullus philosophiae articulus rede procedit

in lucem.

556) Ebend. 4, p. 67.: Est autem dialeclica, ul Augustino placel (s. Abschn.

XII, Anm. 30.), hene disputandi scienlia Esl autem dispulare, aliquid eorim,

quae dubia sunt aul in contradictione posita aut quae sie n'l sie proponunlur, ralione

supposita probare vel improbare, quod quidem , quisquis ex arte probabiliter facit,

ad dialectici pertingil metam. Hoc aulem ei Humen Aristoteles auclor suus imposuit,

eo quod in ipsa et per ipsam de dictis disputatur; ut enim grammatica de dictiir

nibus et in dictiotiibus teste Remigio (vor. Abschn., Anm. 172.), sie ista dt diclts

et in dictis est; illa verba sensuum principaliler , sed haec examinat sensus verborum,

nam iexiov ijraeco eloquio, sicut ait Isidorus (vor. Abschn. Anm. 27.) dictum

appellatur. Sive autem dicatur a graeco >Ufif, quod locutio inlerpretatur säe

a lexTÖv, quod diclum nuncupatur , non multum refert, quum examinare tocutionii

vim et eius quod dicitur veritatem et sensum, idein aut fere idem sit ; vis enim

verbi sensus esl. III, 5, p. 137.: Est aulem res, de quo aliquid i dicibile . qmd

de aliquo; dictio, qun dicitur hoc de Mo, worauf die oben, Anm. 207., angeführten

Worte folgen.

557) Ebend. II, 3, p. 60. : Pro eo namque loyica dicta est, quod rationalis, i.

e. ralionum minislratoria et cxaminalrix est. Divisit eam Plalo in dialeclicam et

rheloricam, sed qui efficaciam eius altius meliunlur , ei plura altribuunt , siquidem

ei demonstrativa, probabilis et sophislica subiiciuntur, u. s. w. völlig nach Boetbios,

s. Abschn. XII, Anm. 82. Ebenso 5, p. 68.: Di'nionstrutira et probabilis et sophi

slica, onmes quidem consistunt in invenlione et iudicio et itidem dividentes, defnientes

et colligenles domesticis rationilius utuntur, s. ebend. Anm. 76.

558) Ebend. II, 14, p. 35.: Principia ilaque dialecticae probabüia sunt, sicut

demonstrativae necessaria. III, 10, p. 152. : Sophisma esl Syllogismus Utigatoriut.

pkilosophema vero demonslralivus , argumenlum autem Syllogismus dialeclicus , sed

aporisma (s. Abschn. IV, Anm. 33.) Syllogismus dialecticus contradictionis. Bonn*

omnium esl necessaria cognilio et in facultalibus singulis perulilis esl exercilatio.

p. 154.: Sie suorum inslrumetitorum necesse est logicum expeditam höhere famltaiem,

ut srilicet principia noveril, probabilibus abundel. syllogizandi et indueendi omnes

ad manum habeat raliones.

XIV. Johannes v. Salesbury. 239

welcher eine vollständige kciintniss des gesammlen aristotelischen Organons

zeigt , wurde schon oben , Anin. 26 u. 56 ff., bemerkt, und es ist

nun anzugeben, wie er sich das ganze Material und die einzelnen Theile

desselben anschaute und zurechtlegte. Den Aristoteles, dessen logische

Schriften er nicht mehr wie Andere theilweise vom blossen Hörensagen

kennt, bezeichnet er als den wahren Feldherrn (campiductor) aller

Logiker und, wenn auch mit Vorbehalt der Auctoritäl des christlichen

Glaubens und der Moraltheologie, jedenfalls als den Lehrer der Disputirkunst

559), d. h. für den inneren philosophischen Werth der aristo

telischen Logik hat natürlich der Ciceronianer Johannes keinen Sinn,

sondern er erblickt in ihr nur eine äusserliche Tecknik, daher er auch

— was an obigen Ausdruck „aslutiae"', Anm. 542, erinnert — der

Ansicht ist, Aristoteles sei in der Polemik gegen Andere stärker als in

dem positiven Aufhauen der eigenen Lehre flti°). Von der Annahme aus

gehend, dass die Logik als Technik der Aussagen (sermones), indem sie

inventio und iudicium enthält (Abschn. XII, Anm. 76), das Werkzeug

aller Disciplinen sei, und eben hiedurch Aristoteles sich den Beinamen

des „Philosophen" erworben habe6-'1), betrachtet Johannes das ganze

Organon in einer Weise , welche völlig mit Abälard's Auffassung (Anm.

271 ff.) übereinstimmt, indem Aristoteles die einfache vox significativa

aus der Hand des Grammatikers empfangen und in den Kategorien der

artig erörtert habe, dass sie hernach in der Zusammenfügung des Urtheiles

(De inlerpr.) betrachtet werden könne, und hierauf die Entwick

lung dessen, was zu invenlio und iudicium gehört, folgen könne; die

Isagoge, welche Porphyrius zu dem ersten Hauptabschnitte verfasst habe,

gehöre eben nur als Einleitung zu dem Ganzen und solle nicht, wie

Viele, thun (Anm. 56 ff.), gleichsam zur Hauptsache gemacht werden 562).

559) Ebend. III, lü, p. 147.: llct rattonaUs upifex et campiduclor (Giles gibt

campi doclor) eorum, qui logicam profitentur. IV, J, p. 157.: Campiductor (ebenso)

ilaque Peripaleticae disciplinae , quae prae ceteris in veritatis indagatione laborat,

infelicem summam operis dedignatus lotum componit (Anspielung anf Hör. Ars poet.

v. 34.) , cerlus , quod cuiusqm operis perfectio gloriam sui praeconatur auctoris.

IV, 23, p. 180.: Sicul optimus campiduclor (hier auch bei Gites das Richtige) hunc

ad inferendam pugnam, illum inslruit ad cautelam. 27, p. 183.: Nee tarnen Aristolelem

ubique plane aut sensisse aut scripsisse protestor , ut sacrosanctum sil , quidquid

scripsit; nam in pluribus obtinente rartone et auctoritale fidei convincilur errasse.

linde sie accipiendus est , ul ad promovendos im'enes ad ijratiores philosophiac

instituta doctor sit non morum, sed disceptationum.

560) Ebend. III, 8, p. 141.: Aristotelem prae ceteris omnibus tarn aiiae disserendi

ratiocinationes quam deftniendi tilulus (d. h. der Inhalt des 6. Buches der

Topik) illuslraret . si tarn patenter adstrueret propria, quam potenter destruxit

atiena.

561) Knlhel. v. 821 fl'.: Magnus Aristoteles sermonum possidel artes Et de virtutum

culmine nomen habet, ludicii libros componit et inveniendi Vera, facultates

tres famulantur ei ; fhysicus est moresque docel . sed logica servil Auclori semper

ofßciosa «MO; Haec illi nomen proprium facit esse, quod olim Donat amatori sacra

sophia suo; Harn qui praecellit, tituli communis honorem Vindicat. Melal. II, 16,

p. 88.: Omnes se Aristolelis adorare vestigia gloriantur, adeo quidem, ut commune

omnium philosophorttm nomen praeeminentia quadam sibi proprium fecerit; nam et

antonomatice , i. e. excellenter, philosoplius appellatur.

562) Metal. II, 16, p. 89.: Hie ergo (d. h. Aristoteles) probabilium raliones

redf.o.11 in arlem et quasi ab elementis incipiens usque ad propositi perfectionem

240 XIV. Johannes v. Salesbury.

So scheide sich aber das Organon auch wieder in zwei Hauptgruppen

ab, insoferne die Isagoge, die Kategorien und De inlerpr. nur als Vorbereitungsstufen

(praeparaticia artis) gellen können, indem diese Bücher

mehr ad arlem, als de arte seien, wohingegen die eigentliche Technik,

worin invcnlio und iudicium ihre Fülle entwickeln, in den drei Haupt

werken Topik, Analytik und Soph. Elenchi vorliege663). Ehen aber

im Hinblicke auf inventio und iudicium ergebe sich hinwiederum ein

anderer Gesichtspunkt der Eintheilung, insoferne die Topik nebst den

ihr vorausgehenden Büchern überwiegend und grundsätzlich zur inventio

gehöre, hingegen ebenso Analytik und Soph. El. dem iudicium dienen

sollen; doch dürfe man diese Eintheilung (von welcher wir dann aller

dings nicht wissen, warum sie überhaupt zu Grund gelegt worden sei)

auch wieder nicht schroff festhalten, da auch die Analytik und Soph.

EL zur invenlio beitragen, und umgekehrt auch die Topik zu iudiciunt

förderlich sei 6Ö4). Neben all diesem aber beutet Johannes die Durch

führung eines Gleichnisses für die Auflassung des Organons aus, indem

die Kategorien den Buchslaben , das Buch De inlerpr. den Sylben ent

sprechen soll566), worauf dann die Topik das Wort (diclio) repräsenevexil.

Hoc aulem planum csl liis, gut scrulanlur et discutiunl opera eius. Vocti

enim firimo significalivas , i. e. sermones incomplexos de grammatici manu acctptens

differenlias et vires eomm diligenler exposuit, ut ad complexionem entmtiationum et

inveniendi iudicandique scienliam facilius uccedant. Sed quia ad hunc elementarem

librum magis elementarem quodammodo scripsil Porphyrius, eum anle Aristotelem esse

credidit aiUiquilas praelegendum ; rede quidem, si rccte doceatur, i. e. ul lenebras

non inducat endiendis nee consumat aelatem Vnde quoniam ad alia inlroductorius

esl, nonrine Isagogarum inscribihir ; itaque inscriptioni deroganl, qni sie rersanlur

in hoc , ul locum principalibus non relinquanl.

563) Nachdem nemlich Metal. III, l über die Isagoge, c. 2 u. 3 über die

Kategorien und c. 4 üher De interpr. gehandelt worden, beginnt c. 5, p. 134.:

Artis praeparalicia praecesserunt, ad quarn suus opifex et quasi legislator rüdem

omnino lironem irreverenter et, ut dici svlet, Malis manilius non vensuit admiltendum

Utilissima quidem snnl et , si non satis proprie dicantur esse de arte,

satis vere dicuntur esse ad arlem; parmn untern refert, sie magis dicatur an sie.

Ipsum itaque quodammodo corpus arlis deduclis praeparaticiis principaliler consistit

in Iribus , scilicet Topicorum , Analylicorum, Elenchorum notilia ; his enim perfecle

eognitis et habilu eornm per et exercitium rolioratis invenlionis et iudicii copia suffragabitur

in omni facultate tarn ttemotislralori quum dialectieo et sophistae.

564) Ehend. IV, l, p. 157.: linde qimm invenlionis instrumenla procurasset

et usutn , quasi in cun/latorio sedens examinalorium quoddam sluduil cudere, quo

diligentissima ßeret examinalio rutionum; hie aulem est Analylicorum liber, qui ad

iudicium principaliter speclat et tarnen ad invenlionem aliqualenus proftcil ; nam

disciplinartim omnium connexae sunt rationes , et quaelibet sui perfeclionem ab aliis

mulualnr. III, 5, p. 134.: Scienlia Topicorum, quae elsi inventionem principaliter

insliual, iudiciis tarnen non mediocriler su/fragalur siquidem sibi invicem universa

contribuunt , eoque in proposila facultate quisque expedilior est, quo in vicina

et cohaeretile instructior fuerit ; ergo et tarn Analytica quani Sophistica confenmt i»-

ventori et Toptia itidem conducit iudicanti. Fädle tarnen acquieverim , singulas in

suo proposito dominari et acccssorium esse beneßcium cohaerenlis. IV, 8, p. 164.:

Licet ad iudicium maxime dicatm haec scienlia (sc. demonstrativ«) pertinere , utte*-

tioni tarnen plurimum confert.

565) Ehend. III, 4, p. 130.: Liber Periermeniarum eel potius Periermenias (s.

vor. Abschn. Anra. 33.) ratione proporlionis syllabicus est, sicut fraedicamenlonan

elementarius , nam elementa rationum, quae singulalim tradil in sermonibus incomplexis

, iste colligit et in modum syllabae comprehensa producit ad veri fal.'-iijue

XIV. Johannes v. Salesbury. 24t

lire und hierin das Zusammenfassen (coUectio) der liestandtheile ent

halte566), und. zwar in der Weise, dass bei der stets aufsteigenden

Entwicklung das erste Buch der Topik die Grundlage der ganzen Logik

sei 567), und somit dann das achte Buch der Salzverbindung (eonslructio,

ein Ausdruck Prisci,an's, vgl. Anm. 273) entspreche, wodurch in

eben diesem Buche der Höhepunkt der Logik erklommen sei, und das

selbe im Vergleiche mit der ganzen neueren Litteralur (der moderm,

s. Anm. 55 II'.) als die bei weitem nützlichste Schrift bezeichnet werden

müsse °68). Die hierauf sich anschliessende erste Analytik wird unter

Hinzufügung einer barbarischen Interpretation des Namens (vgl. Anm.

23 u. ror. Abschn. Anm. 288) zwar gleichfalls wegen ihres Nutzens

gelobt, jedoch zugleich wegen ihrer sterilen Form getadelt, da nicht

bloss der gleiche Inhalt anderwärts (d. h. offenbar bei Boelh. de syll.

cat. u. Inlrod. ad syll. cat.) viel leichter und eindringlicher entwickelt

sei, sondern jenes Werk überhaupt in seiner verworrenen (con/ums)

und unverständlichen Schreibweise für den äusseren Apparat der Argu

mentation (ad plirasim inslruendarn) ziemlich unbrauchbar sei, und man

daher nur die in demselben enhaltenen Regeln (also ungefähr in der

Weise wie hei Boelhius a. a. 0.) auswendig lernen solle, das Uebrige

aber wie Spreu oder dürres Laub bei Seite lassen könne 569). Und

signiftcationem. Tantae quidem subtüitalis esl habilus ab antiquis, ut in praeconium

eius celebralum feral hidorus (s. ebend. Anm. 34.), quia Aristoteles, quando Periermenias

scriplitabat, calamum in mente tingcbat.

566) Ebend. 6, p. 137 f.: Sicul aulem elemenlarius csl Praedicumenlurttm, Periermeniantm

vero syllabicus, ita et Topicorum über quodammodo diclionalis esl.

Licet enim in Periermeniis agatur de simplici enuntiutione , quae utique veri /'alsive

dictio est, nondum tarnen ad vim colligendi pervenit nee Mud assequitur, in quo

dialectües praecipua opera rcrsatur; hie vero primus est in rationibui explicandis

doclrmamqiie facit localium argumentationum et sequentium complexionum pandil

initia.

567) Ebend. 5, p. 135.: Octo quident vohtminibus claudilur, fiuntque semper

novissima eius poliora prioribus; primus tmtem quasi malert am prueiacit omnium

nliquorum el totius logicae quaedam cunsliluit fundamenta.

568) Elend. 10, p. 147.: Arma lironum suorum locavit in arena, dm» sermonum

sitnplicium significalionem evolteret et item emmtiationum locorumque naturam

aperiret Ut aulem praemissae similitudinis sequamm proportionem , quemadtnodum

Categoriarum elementarius, Periermeniarum syllabicus, praemissi Topici dictionales

libri sunt, sie Topicorum oetavus conslniclorius esl rationum, quarum elementa

vel loca in praecedentibus monslrala sunl, Solus itaque versatur in praeceptis, ex

quibus ars compayinalur, et plus conferl ad scienliam disserendi, si memoriler habealur

in corde, quam omnes fere libri dialecticae, quos ntoderni praeceptores nostri

in scholis legere consuevemnl; nam sine eo non disputatur arte, sed casu.

569) Ebend. IV, 2, p. 158.: Analylicorum quidem perulilis est scienlia et sine

qua quisquis logicum profttetur, ridimlus est. Ul vero ratio nominis exponatur,

quam graeci imalyticen dicunt, nos possumus resolutoriam appellare (diess entnahm

«r aus Boethius, s. Abschn. XII, Anm. 77.), familiarius tarnen assignabimus , si

dixerimus ,,aequam locutionem", nam illi ,,ana" aequale, ,,lexim" locutionem di

cunt. Frequens autein est, quum sermo parum est intellectus, ut eum in notiorem

retolvi desideremtts aequivalentcr ; unde et interpres meus (wohl Einer jener beiden

Uebersetzer, welche wir oben Anm. 32 f. (rufen), quum verbum audiret ignotum,

et maxime in composilis, dicebat „analetiia hnr"t quod volebut aequiv alenler exponi.

.... Ceterum licet necessaria sit doctrina, liber non eatenus necessarms est; quidquid

enim continet, atibi facilius et ftdelius tradilur, sed cerle veritis aut fortius

L, Gesch. II. 16

242 XIV. Johannes v. Salesbury.

wenn sich nach des Johannes Ansicht diese Unversländlichkeit z. B.

namentlich in dem letzten Capitel der ersten Analytik (Abschn. IV, Anru.

649 f.) zeige570), so richtet er den riemlichen V'orwurf auch gegen die

ganze zweite Analytik, nur mit dem Beisätze, dass ein Theil der Schuld

vielleicht an der Uebersetzung liege671). Hingegen nun ündet der

Ciceronianer Johannes wieder sein rhetorisches Fahrwasser in den Soplt.

Elenchi, welche er hieuiil losgetrennt von der Topik an den Schluss

des Organons stellt; er sagt, kein anderes Buch sei für die Jugend

nützlicher als dieses, und sowie dasselbe den grössten rhetorischen

Behelf (ad phrasim) gebe , so sei es auch den beiden Analytiken vor

zuziehen, weil es den logischen Sprachausdruck (eloquentia) in leichte

rer Verständlichkeit fördere5'2). Aus der Topik aber, welche ja die

Grundlage der Logik enthält, seien die betreffenden Schriften des Ci

cero und des Buethius geflossen, sowie des Letzteren Buch De divisione

(hierin allerdings hat Johannes vollständig Recht), welches unter den

boelhianischen Werken eine besonders hervorragende Stelle einnehme 573).

Somit sind wir nun über den Standpunkt des Johannes vollständig

orienlirt und erblicken in demselben gewiss mit Recht eine Steigerung

dessen, was Abälard (Anin. 267) eloquentia Peripalelica genannt hatte,

nusqvaiit, siquidem et ab invito fidem exlorquel .... Porro exemplorum confusione et

traieclione litlerarum, quas turn de induslria turn causa brevilatis turn ne falsitas

alicubi exemplorum argueretur interscruit, adeo confusus csl, ul cum magno labore

eo perveniatur, quod facillime tradi polest. 3, p. 159.: Sicut aulem rcgulae utiles

sunt et necessariae ad scienliam , sie liber fere inulilis esl ad phrasim inslruendam,

quam nos verlii supeUeclilem possumus appellare ... Ergo scientia memoriter est firmanda

, et verba pleraque excerpenda sunl. ... guae'aliu commode Iransferuntur et

quorum polest esse frequentier usus ; reliqua coaequantur foliis sine fruclu et ob hoc

aut calcanlur aut sua relinquunlur in arbore. (Hierauf folgt die oben Anm. 20.

angeführte Stelle.) Ebend. III, 4, p. 132.: Sunl autem pleraque, quae si a suis

avellas sedüius, aul niltil aut minimum sapiunl audilori, qualia fere sunt omnia

Analyticorttm cxcmpla, ubi litlerae ponunlur pro lerminis, quae sicut ad doclrinam

proßciunt sie tractata, alias inutilia sunt; regulae quoque ipsae, sicul plurimum

vigoris habenl a veritate doctrinae, sie in commercio verbi minimum possunt.

570) Ebend. IV, 5, p. 162.: Poslremo agil de cognilione nalurarum; -gründe qutdem

capitulum et quod licel aliqualenus proposilo conferat , fidem tarnen promissi

nequaquam implel. Unum scio, me liuius capituli beneficio neminem in cognitione

naturarum vidisse perfectutn.

571) Die Stelle wurde schon oben Anm. 27. angeführt.

572) Melal. IV, 22, p. 178 f.: Sophisticam esse diel um est, quae falsa imagine

tarn dialecticam quam demonstralivam acmulalur et speciem quam virtutem sapientiae

magis affectal — Opus quidcm dignum Aristolele et quo aliud magis expedire •«-

ventuti non fädle dixerim Fruslra sine hac se quisque gloriabitur esse philosophum,

quum nequeat caverc mendacium aut alium deprehendere mentientetn ....

Vnde et ad phrasim conciliandam et totius philosophiae investigalioncs sophisticae

exercitalio plurimum prodest, ila tarnen ul verilas , non rerbositas sil liuius exercilü

friiclus. 24, p. 181.: In eo autem mini videntur (se. Elenchi) Analyticis praeferendi.

quod non minus ad exercilium conferunt et faciliori inlelleclu eloquenliam

promovent.

573) Ebetid. III, 9, p. 145.: Qui vero librum hunc (d. h. die aristotelische

Topik) diligentius perscrutalur, non modo Ciceronis et Roethii Topicos ab his septeat

voluminibus (d. h. aus den sieben ersten Büchera) erutos deprehendet, sed librum

Uivisionum, qui compendio verkomm et elegantia sensuum intcr opera Hoelhii, quae

ad logicam spectant, singularem gratiam naetus esl.

XIV. Johannes v. Salesbury. 243

und wenn in philosophischer Beziehung schon bei Ahälard eine unor

ganische Vereinigung entgegengesetzter Ansichten obgewaltet hatte, so

ist bei Johannes auch diess in höhcrem Grade der Fall. Es ist eigent

lich consequent, dass Letzterer bei seinem ausschliesslichen Augenmerke

auf die Eloquenz der Argumentation sich sogar um eine bestimmte For

mel umsieht, durch welche er über alle Schwierigkeilen, die in einer

festen philosophischen Parleislellung liegen könnten, sich von vorneherein

hinausheben kann. Diese Formel ist seine „ratio indifferentiae" , d. h.

das Verfahren des vollendeten Indifferentismus. Er weist nemlich zu

nächst , da es sich um die Kennlniss der aussagbaren Dinge (rerum

praedicamentalium, s. Anm. 605) und der Aussagen selbst (sermonum)

handelt, auf die Vieldeutigkeil der Aussagen hin, und bemerkt, dass

dieselben zur Zeit des Aristoteles einen anderen Sinn haben konnten,

da ja nach dem Ausspruche des Horatius die Worte in stetem Wechsel

dahinfliessen und nur der Gebrauch sie so oder so feststelle 514). Und

wenn nun auch zugegeben wird, dass bei gleichem Sinne der Wortgebrauch

der Alten ehrwürdiger sei, als jener der Neueren515), so sei

grundsätzlich der Gebrauch doch mächtiger, als Aristoteles selbst, daher

man auch, insuferne die objectiv dingliche Wahrheit und hiemit der

reelle Sinn der Worte in Frage komme, wohl die Wortausdrücke zum

Opfer bringen dürfe, während andrerseits, so lange es eben angehe,

zugleich Wortlaut und innerer Sinn aus der älteren Lehre beibehalten

werden könne576;. Schon hieraus ersieht man, dass dieser Grundsatz

zu einer äusserst bequemen Manier führen muss , alle auftauchenden

Schwierigkeiten zu escamotiren, denn man braucht in all solchen Fällen

nur zu sagen, der Wortausdruck habe im Laufe der Zeiten eine andere

Bedeutung erhalten-, oder es liege an demselben überhaupt Nichts. So

sagt ja Johannes (gelegentlich einer Ansicht des Bernhard von Chartres)

selbst, er lege kein Gewicht darauf, ein Wort beim Wort zu nehmen,

574) Ebend. 3, p. 128.: l'rofeclu rerum praedicamentalium et sermonum perulilis

est notitia , et quia multiplicitas sermonum plerumque intelligentiam claudit,

quotiens dicatur unumquodque, docet (sc. Aristoteles) esse quaerendum .... Contingil

aulem tractu temporis et acquiesctnte utentium voluntate, multiplicilatem sermonum

nasci itemque exstingui (p. 129.) Mulliplicius dicitur , qtiam Aristotelis (empöre

dicerelur , et quae lunc verba aliquam, nunc forte nullam habent significationem,

siquidcn, ., Mulla renascentur quae iam cecidere, cadentque Quae nunc sunt in honore

vocabula, si volet usus, Quem penes arbitrium est et ius et norma loquendi" (Hör.

Ars poel. v. 70 ff.).

575) Ebend. 4, p. 131.: Praeterea revercnlia exhibenda esl verbis auctorum

cum cultu et assiduitate utendi, turn quia quandam a magnis nominibus antiquitatis

praeferunt maiestatem, turn quia dispendiosius ignoranlur , quam ad urgendum aut

resistendum polenlissima sunt Licel itaque modemorum et veterum sit sensus

idem, vencrabilior est vetustas.

576) Ebend. p. 133.: Palet itaque, quod usus Aristotele polentior esl in derogando

verbis vel abrogando verba, sed veritatem rerum, quoniam eam homo non

staluil, nee voluntas humana convellit. Itaque, si fteri polest, artium verba teneantur

et sensus; iin autera minus, dum sensus maneat , excidant verba, quoniam

artes scire non est scriptorum verba revolvere, sed nasse vim earum alque sententias.

Enthet. v. 27 ff.: Qui sequitur sine menlc sonum , qui verba capessil,, Non sensum,

iudex inleger esse ncquit ; Cum vim verborum dieendi causa ministrat, Haec si neseilur

, quid nisi ventus erunt?

16*

244 XIV. Johannes v. Salesbury.

und es sei gar nicht nöthig, mit einer einzelnen Stelle in solchem Sinne

auch alle übrigen in Einklang zu bringen577). Und in der Thal gestaltet

sich auf diese Weise die ratio indifferentiae, welche er auch behufs

des Uebersetzens für die richtige hält (Aniu. 32), überall da, wo er

sich auf dieselbe beruft, zur ausgesprochenen Methode der Unwissen

schaftlichkeit. Denn sicher höchst leichtfertig ist es, wenn er nicht

bloss „significare" und „praedicare" als völlig synonym nimmt, während

doch Abälard sich um eine feste Begriffsbestimmung bemüht hatte (Anm.

318), sondern dabei es auch als durchaus gleichgültig bezeichnet, ob

z. B. durch die Adjectiva die Eigenschaft oder deren Träger gemeint

sei; und indem er für jeden einzelnen Fall diess einer benigna interpretalio

überlässt, gelten ihm die Kategorien gerade darum als ein haupt

sächlicher Empfehlungsgrund seines Verfahrens , weil sie bald über ilie

bezeichnenden Worte bald über die bezeichneten Dinge handeln 57S).

Ebenso verfährt er gelegentlich mit einer aristotelischen Stelle und

kömmt dabei nach seiner indifferentia oder ralio licenliae zu dem Resul

tate, dass das sinnlich-wahrnehmbare Einzel-Individuum ebensosehr Prädicat

wie Subject sein könne B79), Und wenn in solchen Fragen bei

Johannes die 'Logik zu Ende ist, ehe sie überhaupt begonnen hat, so

577) Mi'lul. III , 2 , p. 120. , woselbst nach der oben Anm. 93. angeführten

Stelle folgt: Habet haec opinio sicut impugnatores sie defensores suos. MM pro

minimo esl, ad nomen in talibus disputare, quum intelligentiam dictorum sumendam

novcrim ex causis dicendi; nee sie memoralas Aristotelis aliorumvc aucloritales inlerpretandas

arbiträr, ut trahatur istuc , quidquid alicubi dictum reperüur.

578) Ebend. p. 122.: Ex quo liquel , quoniam ,, significare" sicut et „praedi

care" multipliciter dicitur; sed quis modus familiarissimus sit, discernere palam est.

Inde esl, quod „iustus" et similia passim apud auctores nunc dicuntur instiun nuttc

iustitiam significare vel praedicare — Tale est illud Aristotelis „qualitatem significant,

ut iillium , quantitatem ul bicubitum" (Cal. 4, s. Abschn. IV, Anm. 303.; bei

llwtli. p. 127.); sie utique, quia danlur a qualitate vel quantilate, ita et qualitatem

praedicant, qitam apposita demonstrant inesse subiectis; interdnm dicunlur significare

qualia, quoniam appositione sua declarant, qualia sinl subiecta. Sed haec a se, st

sit benignus inlerpres , non tnultum distant, etii audito ,,albus" inlelligatur, in quo

est albedo , quum autem ,,albedo" dicitur, non intelligatur , in quo talis color, sed

potius color faciens lale. Illud nero, quod audita voce concipil inlellectus, ipsius

familiarissima significatio est. 3, p. 1 22 f.: Quia ergo aut aeqtiivoce aut univoce

aut denominalive , ut sequantur indifferentiae rationem , singula praedicanlur, ipsaque

praedicalio quaedam ratiocinandi maleria est , jjraedicamentorum praemissa sunt iitslrumenta

Rationem vero indifferentiae , quam semper approbamus, liber iste commendal

prae ceteris, etsi ubique diligenter insfiicienti manifesta sit; agil cnim nunc

de significantibus nunc de significatis aliorumquc doctrinam facit nominibus aliorum.

579) Ebend. 11, 20, p. 110.: Hinc forte est illud in Analyticis „Arislomenes

inlelligibilis semper est, Arislomenes autem non semper" (Anal. pr. l, 33, bei H vel h,

p. 495.); et hoc quidem est singulariter individuum, quod solum quidam aiunt passe

de aliquo praedicari .... Ego quidem opinionem hanc vehementer nee impugno nee

propugno; nee enim multum referre arbiträr ob hoc, quod illam ampleclor indi/ferentiam

in vicissitudine sermonum, sine qua non credo quempiam ad mentem auclorum

fideliter pervenire (p. 111.) Itaque hie sicut et alibi exseculus est, quod decet

liberalium arlium praeceptorem , agens, ut dici dolet, Minerva pinguiori, ut intelligerelur

Quid ergo prohibet, iuxta hanc licenliae ralionem, ea quae sunt senatbilia

vel praedicari vel subiici. Nee opinor, auctores hanc vim imposuisse sermoni,

ut alligatus sit ad unam in iuncturis omnibus signi/icalionem, sed doclrinaliter sie

esse loculos, ut ubique serviant inlellectui, qui commodissimus esl et quem ibi haberi

prae ceteris ratio exigil. Hiezu unten Anm. 604.

XIV. Johannes v. Salesbury. 245

dürfen wir uns nicht wundern, dass er in etwas versteckteren Schwie

rigkeiten sofort ungenirt seinen Standpunkt ausspricht, wie z. B. wenn

er bezüglich des allgemeinen Urtheiles die objective Inhärenz und die

subjective Aussage als gleichbedeutend nimmt und höchstens dabei eine

Aenderung des Wortausdruckes erblickt, welche im Laufe der Zeiten

sich eingestellt habe 58°).

.Verfolgen wir hiernach das Einzelne, was Johannes bezüglich des

Umkreises der Logik äussert, nach dem Faden der Eintheilung, welchen

er selbst für das Organon zu Grunde legte, so begegnet uns bei ihm

erklärlicher Weise zunächst in der Erörterung der Isagoge, d. h. in der

Frage über die Universalen, der äusserste Synkretismus oder Eklekticismus,

welcher zuletzt in eine stoisch-ciceronische Auffassung ausmündet.

Nicht der Standpunkt eines über dem einseitigen Partei-Gezanke stehen

den Philosophen, sondern Mangel an philosophischem Scharfsinne oder

Bequemlichkeit des rhetorischen Praktikers ist es, wenn Johannes den

ganzen Streit über die Gattungs- und Art-Begriffe als einen kindischen

bezeichnet, indem er sich dabei lediglich auf jene obige (Aiun. 574 f.)

Vieldeutigkeit der Worte zurückzieht, da Gattung und Art sowohl das

Princip der Entstehung, d. h. die onlologische Basis der Dinge, als

auch das Aussagbare, d. h. den logischen Werth der allgemeinen Be

griffe, bedeuten können551). Und sowie er hiebei sich auf des Boethius

Erklärung- der Isagoge stützt, so ist es, wie sich zeigen wird (Anm. 602),

schliesslich auch wieder eine einzelne Stelle des Boelhius, in welcher

die Ansicht des Johannes concentrirt vorliegt, so dass wir auch bei ihm

neuerdings einen Beleg vorfinden, wie sehr die ganze logische Bewegung

jener Zeit an herausgerissenen Ausspriichen der traditionellen Autoren

klebte. Völlig ähnlich wie Ahälard an Eine einzige Stelle die Doppelt

heit seiner Auffassung anknüpfte (Anm. 286) , verhält sich das Ganze

anch bei Johannes, insoferne er den Universalien eine ontologische und

zugleich eine logische Geltung verleiht; nur ist bei ihm die Verquickung

der Standpunkte nicht bloss mannigfaltiger und abenteuerlicher, sondern

580) Ebend. III, 4, p. 132.: Quod dicitur „in lolo esse alterum allen" vel

,,in lolo non esse" el ,,universaliler aliquid de aliquo praedicari" vel ,,ab aliquo

rctnoveri" idem esl (vgl. Anm. 16.). Frequens tarnen usus est allerius verbi et alterius

fere inlercidil , nisi qualenus ex condicto interdum admitlitur. Fuit fortasse

tempore Aristolelis ulriusquc usus eelebrior, sed nunc prae altero viget alterum, quoniam

ita vull usus. Sie et in eo, quod dicitur contingens , aliqualenus derogätwn

est ei, ijitod apud Aristotelem oblineliat. (Vgl. Anm. 216.)

581) Ebend. l, p. 116 f.: Se ad puerilem de gencribus el speciebus incliti'ti'it

opinionem (d. h. Abälard) malens instruere el promovere suos in puerilibus,

quam in gravilale plalosophorum esse obscurior Itaque sie Porphyrius legendus

esl, ul sermonum, de quibus agitm, signi/icatio lenealur et ex ipsa superficic

habeatur sensus verborum Sufftdat ergo inlroduccndo nasse, quia notnen gencris

mttlliplex est el a prima inslilutionc significat generationis principium , dehinc

Iranslatum est ad significandum id, quod de differentibus specie in quid praedicatur

(über diese abgekürzte Terminologie s. Anm. 282.). Item et species multipliciter

.lii-ilitr. na/m ab inslitutione f'ormam signißcat — , hinc aulem sumplum est ad significationem

eius , quod de di/ferentibus numero praedicatur (All dieses beruht auf

Boeth. p. 22. u. 57 f.) Quid ergo sibi volunl, qui quidquid aliud excogitari

polest, adüeiunl? — Vocabulorum simplicüer apcrianlur significaliones , apprehendalm

illa, quae proposito congruit , per deseriptiones ccrtissimas etc.

246 XIV. Johannes v. Salesbury.

auch weit widerspruchsvoller, als bei Äbälard. Nemlich Johannes spricht

nicht bloss gelegentlich als Theologe über die Begriffe der Substanz

und der Wesenheit in der nemlichen Weise, wie wir diese Dinge bei

Pseudo-fioelhius de Irin, und bei Gilbert finden582), sondern auch in

jener Schrift, welche der Logik gewidmet ist, äussert er ausdrücklich

seine Uebereinslimmung mil Plato's ontologischem Realismus, wornach

dem Intelligiblen das wahre Sein zukömmt, die concreten Dinge aber

nicht einmal des Verbums „esse" würdig sind 583). Und sowie er die

Unvergänglichkeit der Substanz und die fortdauernde Wirksamkeit der

Form als die reale Basis des Seienden behauptet, dabei auf dem alt

überlieferten Satze „singulare senlüur, universale inlelligilur" fassend 584),

so ist ihm auch Gilhert der Führer in Bezug auf die Begriffsbestimmung

der Natur und die formgebende Kraft des artmachenden Unterschie

des 585), ja er bedient sich sogar des Wortes „forma naliva" (vgL

Anm. 467), und desgleichen fehlt auch der Begriff der Theilhaftigkeit

bei ihm ebensowenig als bei allen Realisten 5S(i); endlich selbst die

Auffassung der Individualität gestaltet sich auf eine Weise, dass wir

Gilberl's Unterscheidung zwischen dividua und indiridua (Anm. 479)

darin wiedererkennen587).

582) Epist. 169 (I, p. 270.): Quidquid autem subsistit , sine dubio in genere

vel in natura ml in subslantia manet; quum ergo essentiam dicimus signiftcare naturam

vel genus vel substantiam , intelligimus eins rei, quae in Ais unmiliux semper

esse subsistat Quod si apud graecos expressam habent differentiam haec, quae

hie tolies inculcata sunl , esscnlia, natura, genus, subslantia, eam expediri omnium

arbiträr interesse quam plurimum.

583) Metal. IV, 35, p. 193.: Plato quoque eorum, quae vcre sunt, et eorum,

quae non sunt sed esse videntur, differenliam ducens intelligibilia vere esse asserttit.

Unde et eis post essentiam primam recte competit esse, t. e. firmus certusque

Status, qucm verbum, si proprie ponitur, exprimit substantivum ; temporalia vero

videnlur quidem esse, eo quod intelligibilium praelendunl imaginem, sed appellatione

verbi substanlivi non satis digna sunt, quae cum tempore transewit , ut nunquam in

eodem statu permaneant, sed ut /UM u s enanescant; fugiunt enim, ut idem ait in

Timaeo (p. 49 E) nee exspcctant appellalionem p. 195.: Ideam vero .... sieut

aeternam audebat dicere, sie coaeternam esse neyabat.

584) Enthet. v. 1013 f.: Nulla perire polest subslantia, formaque formae Suecedens

prohibet, quod movet, esse nihil. v. 1233 f.: Solis corporeis sensus carnalis

inkaeret, Res incorporeae sub ratione iacent.

585) Metal. I, 8, p. 26.: Est autem natura, ut quibusdam placet (hiemit ist

offenbar Gilben gemeint, s. Anm. 461.), lieft eam sU diffinire difßcile, tis quaedam

genitiva rebus omnibus insita, ex qua facere vel pali possunt; geniliva autem

dicitur, eo quod ipsam res quaeque contrahat a causa suae generalionis et ab eo,

quod cuique est principium exislendi (p. 27.) Sed et unamquamque rem informans

specißca di/fertnlia mit ab eo est, per quem facta sunt omnia, aut omnino

nihil est Esto ergo sie potens et efficax vis illa geniliva indita relnts originaliter.

586) Enthet. v. 395 ff.: Est idea potens veri substantia, quae rem Quamlibet

informal et facit esse, quod est; Omne quod est verum, convincit forma vel aclus,

JVec falsum dubites, si quid titraque caret. Forma suo generi quaevis addicla tenetur

Et peragil semper, qmdqitid origo iubet; Ergo quod in forma nativa constat

agitve, Quod nalura manens in ratione manet, Esse sui generis verum quid dicilur

idque Indicat effectus aut sua forma probat. Polycr. III, l, p. 162.: Implet autem

haec vita omnem crealuram, quia sine ea nulla esl substantia creaturae; onine enim

quod est, eius participatione est id quod est.

587) Metal. II. 20, p. 105.: Ergo si gentra et species a deo non sunt, omnno

XIV. Johannes v. Salesbury. 247

Aber nach solch unzweideutigen Aussprachen staunen wir nun

billig, wenn Johannes darum, weil das Intelligible nicht universell sein,

sondern nur universell begriffen werden könne, den Streit über die

Universalien für einen gegenstandslosen erklärt, in welchem man die

Substantialität eines Schattens oder eines flüchtigen Nebels zu erhäschen

suche 588). Auch erhält für die Logik nun Plato nebst Augustin und

allen Platonikern förmlich seinen Abschied, um dem Aristoteles Platz

zu machen, allerdings mit dem tröstlichen Zusätze, dass des Letzleren.

Ansicht vielleicht wohl um Nichts wahrer, aber jedenfalls für die logi

schen Partien passender sei589). Sonach werden nun alle Diejenigen

getadelt, welche in die Isagoge eine platonische Auffassung hineinlegen

oder anderweitig von Aristoteles abweichen, und mit der entschieden

sten Berufung auf den Ausspruch des Aristoteles, dass die Universalien

keine getrennte Existenz für sich haben, wird jede Ansicht, welche von

einem Sein derselben spricht, von vorneherein abgewiesen590), und so

namentlich auch die Status-Lehre von diesem Gesichtspunkte aus be

kämpft591). Sind wir aber nun in der That begierig, wie dieser Wider

spruch gegen das Vorige sich lösen soll , so steigert sich vielleicht

unser Erstaunen noch von Schritt zu Schritt. Johannes stellt nemlich

wohl zunächst den Gedanken (inlelleclus) derartig in den Vordergrund,

dass er in fast wörtlicher Übereinstimmung mit dem Verfasser De intellectibus

nicht bloss das verbindende und trennende Denken (inlelleclus

•niltil t, u.nl; quod si unumquodquc eorum ab ipso est, unum plane et idem bonuii

est. Si autem quid unum numero est, prolinus et singulare est; nam quod quidam

unum aliquid dicunt, non quod in se, sed quod mulla mval expressa plurium eonformitate,

arliculo praesenti non derogant Omnis namque substantia accidentium

pluralitale numeru sähest; accidens aulem unme et forma quaelibel itidcm numero

subiacet, sed non accidentium aul formarum participatione, sed singtlaritale subiecti.

588) Polycr. VII, 27, p. 127.: Sicut in umbra cuiuslibet corporis fruslra soliditalis

substantia quaerilur, sie in Ins quae inlelligibilia sunt dumtaxat et universaliter

concipi, nee tarnen unitiersaliter esse, queunl, solidioris exislenliae subslanlia

nequaquam intenitur. In his aetatcm lerere nihil agentis et frustra laborantis est,

nebulae siquidem sunl rerum fugacium et, quum quaeruntur avidius, citius evanescunt.

589) Metal. II, 20, p. 112.: Lieft Plalo eoetum philosophorum grandem et tarn

Augustinum quam alias plures nostrorum in staluendis ideis habeat assertores, ipsius

tarnen dogma in scrutinio universalium nequaquam sequimur, eo quod hie Peripaleticorum

pnncipem Aristotelem dogmatis huius principem proßtemur Ei, qui Peripaleticorum

libros aggreditur, magis Aristotelis sentcntia sequenda est, forte non quia

verior , sed plane quia his disciplinis magis accommodata est.

590) Ebend. 19, p. 94.: Quati ab adverso petentes (nemlich die Erklärer der

Isagoge) veniunt contra mentem auctoris et, ul Aristoteles planior sit, Platonis sententiam

docent aut erroneam opinionem, quae aequo errore deiiiat a sententia Arislotelis

et Platonis, siquidem omnes Aristotelem profilmtur. 20, p. 94.: Porro hie

genera et species non esse, sed intelligi tantum asseruit (Anal. posl. I, 11 u. 22,

s. Abschn. III, Anm. 66. u. Abschn. IV, Anm. 373.) (p. 95.) Ergo si Aristo

teles verus est, qui eis esse tollit, inanis est opera praecedenlis investigationis

Quare ab Aristotele reeedendum est concedendo , ut universalia sint , u. s. f. , s.

Anm. 70.

591) Ebend. 20, p. 102 f.: Sed esto, ut statum aliquem generalem appellatna

significent, .... Status ille quid sit, in quo singula uniuntur et qui nihil singulorum

est, etsi aliquo modo somniare possim, tarnen quomodo sentenliae Aristotelis coaptetur,

qui universalia non esse contendit, non perspicuum habeo.

248 XIV. Johannes v. Salesbury.

coniungens el disiungens, s. Anm. 427) und hauptsächlich vor Allem

die Kraft des Abslrahirens (int. abstrakens , s. Anm. 432) hervorhebt,

sondern auch mit Zurückweisung des Einwandes, dass das abstrahirende

Denken ein nichtberechtigtes (cassus, s. Anm. 429) sei, dem Denken

die Fähigkeit vindicirt, die Dinge anders zu betrachten, als sie im Concreten

sind (s. Anm. 432 f.), und hiedurch die Abstraclion als die Grund

bedingung aller geistigen Technik bezeichnet, wobei er sich sowohl in

Uebereinstimmung mit Gilbert (abstractim attendere , s. Anm. 464) be

findet, als auch in Ausdrücken sich bewegt, welche wir bei der In

differenz-Lehre trafen (generalüer inlueri, diverso modo attendere, s.

Anm. 133 u. 137), und zugleich wieder mit dem Verfasser De gen,

et spec. in dem Begriffe des Sammeins der Aehnlichkeiten (s. Anm. 162 f.)

zusammentrifft, ja unter dem Vorbehalte, dass es sich nur um die subjective

Denkkraft bandle und objectiv in der Natur die Universalien nicht

existiren, sogar jenes Wortes sich bedient, welches in der von ihm

bekämpften Status-Lehre (s. Anm. 132) das übliche war 592).

Laufen so in bunter Auswahl aus den Ansichten Anderer mehrere

Fäden in die Auffassung der subjectiven Denkoperalion zusammen, so

soll nun unerwarteter Weise lueniit wieder der Gilbert'sche Realismus

in Verbindung kommen; nemlich Unkörperlichkeit sei nur negative Be

zeichnung der Universalien, hingegen nach ihrer positiven Grundlage

seien dieselben, wie überhaupt Alles, in ein Abhängigkeils- Verhällniss

zu Gott zu bringen; Gott aber habe die geformte Materie geschaffen,

d. h. sämmllicbe Formen, sowohl die substantiellen als auch die accidentellen

(s. diess bei Gilbert oben Anm. 461 f.) haben ihr Sein und

ihre Wirksamkeit von Gott, und so habe bei der Ausprägung der Dinge

eine Rücksicht auf Art-Begriffe obgewaltet, welche hiemit der Logiker

592) Ebend. 20, p. 95.: Nee verendum, ut cassus sü inlellectus, qui ea perceperit

seorsum a, singularibus, quum tarnen a singularibus seorsum esse tion possint.

Inlellectus enim quandoquc rem simpliciter intuelur , «elut si hominem per se inltieatur,

— quandoque gradatim suis incedit passiltus, ut si hominem albere contemplelur,

et hie quidem dicitur esse compositus. Porro simplex rem interdiim inspicit , ut est,

ut si Platonem altendat, interdum alio modo; nunc enim componendo, quae non sunt

composita, nunc abslrahendo, :quae non possunt esse disiuneta p. 96. : Cetenim

componens qui disiuneta coniungit (das Beispiel ist lürcocmus), inanis est; abstrahens

vero ftdelis et quasi quaedam officina omnium arlium, El quidem rebus etristendi

unus est modus, quem scilicet nalura contulit , sed easdem inlelligendi aut

signißcandi non unus est modus; licet enim esse nequeal homo, qui non sit iste vel

alius homo , inlelligi tarnen potest et significari Ergo ad signiftcalionem incomplexorum

per abstrahentem intellectum genera concipiunlur et species, quae tarnen si

quis in rerum nalura diligenlius a sensibilibus remola quaerat, nihil aget et frustrn

laborabit, nihil enim tale natura peperit; ratio autem ea dcprehendit subslaiilialem

similitudinem rerum differentium perlractans apud se. Polycr. H, 18, p. 96.: Inlel

leclus — nunc quidem res ut sunt, nunc aliler inluetur nunc simpliciter nunc, romposite,

nunc disiuncla coniungit nunc coniuncta dislrahit et disiungit .... p. 97.:

Si abstrahentem tuleris intellectum, liberalium artium officina peribit .... Sie hominem

inlellectus attingit, ut ad neminem hominem aspectus illius descendat generaliter intuens,

quod nonnisi singulariter esse polest .... Dum itaquc rerum similitudines el

dissimilitudines colligit, dum differentium convenientias et convententium differenliaf

altius perscrutatur , .... mullos apud se rerum invenit Status, alias quidem univer

sales alias singulares.

XIV. Johannes v. Salesbury. 249

nicht von Gott trennen dürfe, sondern kraft deren „die Dinge vorerst

in ihre Wesenheit und sodann in das menschliche Denken eingiengen" 5<J3j.

In Folge dieser mystischen Kausalität desjenigen, was Gilbert substan

tielle Form genannt hatte, kann nun Johannes sagen, die Subslantialital

der Universalien gelte nur bezüglich des Erkenntnissgrundes (causa

cognitionis) und zugleich bezüglich des Entstehens der Dinge (>uitur<n,

denn jedes Wesen, welches in der Tabula logica auf einer je niedreren

Stufe stehe , bedürfe zu seinem Sein und zu seinem (iedachtwerden

eines anderen auf einer je höheren Stufe befindlichen Wesens; aber

ein Sein haben die Universalien weder als Körper noch als Geister noch

als Einzel-Dinge 594). So also glaubt der Anhänger Gilbert's ein Aristoteliker

sein zu können, und sowie er meint, er entgehe jener unnöthigen

Verdopplung der Wesenheilen (s. Abschn. III, Anm. 64), welche

eine Folge der platonischen Auffassung ist595), so sagt er auf das

Ausdrücklichste, dass die Universalien, welche den Dingen in ähnlicher

Weise zu Grunde liegen wie der unkörperliche Plan des Handelns den

sinnlich wahrnehmbaren Handlungen zu Grunde liegt, eben ausschliesslich

nur in den Einzel-Dingen gefunden werden, welch letztere als die

erscheinenden Exemplare (exempla) derselben sichtbar vorliegen, d. h.

Johannes vertritt — und er ist hierin der Erste , welcher diess ihut

— entschieden die Auffassung der „universalia in re" und bekämpft

sogar die platonische Ansicht der „universalia anle rem", da es ausserhalb

des Einzelnen kein Allgemeines gebe 5!}G). Da ihm aber dabei immer

593) Metal. 11, 20, p. 103.: Sed el nomina, quae praemisi , ,, incorporeum"

et ,,insensibile" universalibus convenire, privatim/a in eis dumtaxal sunt nee proprietales

aliquas, quibus nalura universalium discernalur, illis atlribuunl, siquidem nihil

incorporeum aul insensibile universale est Quid est aulem incorporeum, quud

non sit subslantia creata a deo vel ipsi cuncrclum ? .... Valeant aulcm , imo dispereant

universalia, si ei obnoxia non sunt. Omnia per ipsum facta sunt, utique tarn

subiecta formarum quam formae subieclorum Formae quoque tarn substanliales

quam accidentales habent ab ipso at sint et ut suos in subieclis operenlur effeclus;

quod itaque ei obnoxium non esl, omnino nihil est (hiezu niiluii Anm. 613.)

p. 104.: Ul enim ait Auguslinus , formatam crcavit deus materiam .... Eo spcclat

illud Boethii in primo de Trinitate ,,omnc esse ex formet est" (Anm. 37.) .... Cuilibel

ergo esse, quod est aut quäle aut quanlum est. a forma est p. 105.:

Fundamenta iecit deus , et in ipsa expressione rerum habita est menlio specierum,

non illarum dico, quas logici fmgunt non obnoxias creaturi, sed formarum, in qui

bus res prodierunt primo in- essentiam suam et in humanum intellectum demum, nam

hoc ipsum aliquid, quod coelum aul terra dicilur, formae e/fectus est.

594) Ebend. p. 97.: Quod aulcm universalia dicuntur esse subslanlialia singularibus

, ad causam cognitionis referendum est singulariumque naturam (in ähnlicher

Weise hatte Scotus Erigena von den Universalien die Ausdrücke causaliter und

effectualiter gebrauch!, Abschn. XIII, Anm. 129.); hoc enim in singulis patel, iiquidem

inferiora sine superioribus nee esse nee intelligi possunl Quia ergo

tale exigil tale et non exigilur a tali tarn ad cssenliam quam ad nolitiam , ideo

hoc illi substanliale dicitur esse ; idem esl in individuis , quae exigunt species et

genera , sed nequaquam exiguntur ab eis Universalia tarnen el res dicuntur

esse et plerumque simpliciler esse, sed non ob hoc aut mulci corporum aut subtüitas

spiriluum aut singularium discreta essenlia in eis attendenda esl.

595) Ebend. p. 98.: Itaque detur, ul sint universalia aut etiam ul res sint,

si hoc pertinacibus placet; non tarnen ob hoc verum ml, rerum numerum augeri vel

minui pro eo, quod ista non sunt in numero rerum.

596) Ebend.: Nihil autem universale est nisi quod in singularibus invenitur . . . .

250 XIV. Johannes v. Salesbury.

der Gilbert'sche Begriff der substantiellen Form vorschwebt, so ist es

erklärlich , dass er an jene aristotelischen Stellen sich hält, in welchen

Gattungs- und Art-Begriff als etwas Qualitatives bezeichnet werden597).

In diesen qualificirenden Formen erblickt er die „Hand der Natur",

welche die Dinge in die Formen einkleidete, damit der Mensch sie

leichter erfassen könne, und darum tritt nun die prima xubslanlia des

Aristoteles, d. h. das Individuum, in den Vordergrund, von wo aus das

Denken für sich allein zu dem Allgemeinen der Art- und der Gatlungs-

Begriife sich mittelst der Formgleichheit des Einzelnen (conformüas, s.

diesen Begriff bei Gilbert oben Anui. 474) in aufsteigender Linie er

hebt 598), und sowie Johannes hiebei wieder mit der Indifferenz-Lehre

zusammentrifft, so gehraucht er auch in dieser Beziehung selbst den

Ausdruck „con/örmis slalus" 5"). So wird die Formgleichheit der

Nee moneat, quod singularia et corporea exempla sunl universalium et incorporalium;

quum omnis ratio gerendi incorporea sit et insensibilis , illud tarnen quod geritur et

aclus quo geritur plerumque sensibilis sit (auch dieses erinnert an die Bedeutung,

welche Scotus Erigena in das Wort „agere" legt, s. Abschn. XIII, Anm. 131.).

p. 108.: Habita tarnen ralione aequinocationis , qua ens vel esse dislinguitur pro

diversitate subiectorum, species et genera ulrumque non sine ratione esse dicuntur.

Pcrsuadet enim ratio, ut ea dicanlur esse, quorum exempla conspiciunlur in singularibus

, quae nullus ambigit esse. JVon autem sie dicuntur genera et species exemplaria

singulorum, ut iuxta Plalonici dogmalis sensum formae sint exemplares, quae

in menle divina intelligiliiliter constilerint , anlequam prodirent in corpora (dicss ist

die Stelle Priscian's, s. Anm. 263.), sed quoniam, si quis eius , quod communiter

concipitur imdHp hoc nomine ,,homo" aut quod deßnilur, cum dicitur httmo esse animal

rationale mortale, quaerat exemplum, slatim ei tlato aliusve hominum singulorum

ostendilur, ut communiter signiftcantis aut definientis ratio solidetur.

597) Ebend. p. 100.: Item Aristoteles, genera, inquit, et species circa substantiam

qualilalem determinant (Cal. 5, s. Abschn. IV, Anm. 476.) — item in

Elenchis (c. 22, bei Boeth. p. 750. in etwas abweichender Uebersetzung , s. Anm.

34.) ,,homo et omne commune non hoc aliquid, sed quäle quid vel ad aliquid aliquo

modo vel huiusmodi quid signiftcal" et post pauca „manifestum, quoniam non dandum,

hoc aliquid esse, quod communiler praedicalur de omnibus, sed aut quäle aut

ad aliquid aut quantum aul talium quid significare". Profecto quod non est hoc ali

quid, siyni/icatione expressa non polest explanari quid sit.

598) Polycr. II, 18, p. 98.: Et primo substantiam , quae omnibus subest, acutius

inluetur (sc. inlcllectus) , in qua manus naturae probalur arliftcis , dum eam

variis' proprielatibus et formis quasi suis quibusdam vestibus induit et suis sensuum

perceptibilibus informal, quo aplius possit liumano ingenio comprehendi. Quod igilur

sensus percipit formisque subiectum est, singularis el prima substanlia est ; id vero,

sine quo illa nee esse nee intelligi polest , ei substanliale est el plerumque secunda

substantia nominatur — Universale, si, licet non natura, conformilate tarnen sit

commune multorum, quod forte facilius in intelleclu, quam in natura rerum, potent

inveniri, in quo genera et species, differcntias , propria et accidentia, quae utüversaliter

dicuntur, planum est inveniri, quum in actu rerum substantiam universalium

quaerere exiguus fruclus sit et labor infinitus , in mente vero uliliter et facillime

reperiuntur. Si enim solo rerum numero di/ferenlium substantialem simitiludinem

quis mente perlraclet, speciem lenet; si vero etiam specie differentium convenientia

menti occurrat, generis latitudo mente diffundilur; denique dum rerum, quas naltira

substantialiter vel accidenlaliter assimilavit, conformitatem percipit intellectus, uni

versalium comprehcnsione movetur p. 99.: Numquid abstrahens intellectus, dum

haec agil, otiosus est aut inutilis , per quem animus honestarum artium gradibus

ad thronum consummalae philosophiae conscendit?

599) Enthet. v. 849 ff. : Est Individuum, quidquid natura creavit , Conformisque

XIV. Johannes v. Salesbury. 251

Dinge mit der Gemeinschafllichkeit des Gedankens (intMeclus communitas,

communüer intelligi) in unmittelbare Verbindung gebracht600),

die Universalien selbst aber als solche lediglich in die Erkenntnissweise

(modus inlelligendi, was selbst mit der Lehre von der maneries über

einstimmt, s. Anm. 88) verlegt, wornach sie „figürliche" und nur der

„Doctrin" angehörende Worte (auch die Nominalisten hatten von figura

locutionis gesprochen, s. Anm. 81) oder kurzweg „Pigmente" genannt

werden, welche zu den Einzel-Dingen in dem Wechselverkehre des

Zeigens und Gezeigtwerdens stehen und darum von Aristoteles füglich

als „monslra" (— monslrare —) bezeichnet werden konnten601).

Diese Auffassung der (Jniversalien aber ist nun allerdings so dehn

bar, dass Johannes in den Begriff des Pigmentes auch das psychologi

sche Erfassen der Urbilder (exfmplaria) , welche in mystischer Weise

aus den Dingen (exempld) auf die Seele wirken , verlegen kann und

hieliei seinen eklektischen Synkretismus deutlich genug ausspricht, in

dem er neben jenem nominalistischen Anklänge die Universalien mit

einem an Scotus Erigena (s. unten Anm. 613) erinnernden Ausdrucke

als psychologische Erzeugnisse (phunlaslax) bezeichnet, hiemil aber zu

gleich die stoisch-ciceronische Auffassung verbindet, wornach dieselben

subjective Begriffe (JWotou, noliones, s. die oben Anm. 64 angeführte

Stelle) sind, und ausserdem noch sehr merklich an den Platonismus

hinüberstreift oder wenigstens mit Gilbert übereinstimmt, insoferne auch

ihm die (Jniversalien als die aus den Aehnlichkeiten der Einzel-Dinge

hervorleuchtenden Spiegelbilder einer ursprünglichen ideellen Reinheit

gelten, womit schliesslich noch der Aristotelismus sich vermischt, da

diese Phantasie -Gebilde eben keine von den Einzeldingen gelrennte

Existenz besitzen, sondern, wenn man sie so festhalten wollte, wie

Schatten oder Traumbilder entschwinden 602). Wenn es nun in der

est rationis opus; si quis Aristotelem primum non censet habendum, Non red-

Ail meritis praemia digna suis.

600) Metnl. II, 20, p. 98.': Ergo quod mens communiler intelligit et ad singularia

mulla aeque perlinft, quod vox communiler significul et aeque de mullis verum

est, indubilanter universale est. p. 107.: Secundum intellectum illum deliberari polest

de re subiecta, i. e. aclualiter exemplificari ob inlellectus communitatem , et res,

jtiae sie intelligi polest, elsi a nullo intelligatur, dicilur esse communis; rcs enim

sibi conformes sunt , ipsamque conformilalem deducla rerum cogitatione perpendit

mtellectus.

601) Ebend. p. 107.: Ergo dwnlaxat intelliguntur secundum Aristotelem unitersalia,

sed in aclu rerum nihil est, quod sit universale; a modo enim inlelligendi

ßswalia haec et licenler quidem et doctrinaliter nomina indita sunt. p. 108.: Ergo

ex sententia Aristotelis genera et species non omnino quid sit, sed quält quid quodammodo

concipiuntur et quasi quaedam sunt ßgmenla rationis se ipsam in rerum

inqttisitione et doctrina subtilius exenenlis Possunt et monstra dici (in Bezug

auf die bekannte antiplatonische Stelle des Aristoteles, s. dieselbe oben Anm. 31.),

jwtniam invicem res singulas monslrant et monstranlur ab eis. III, 3, p. 127.:

Ea uero, quae intelligunlur a singularibus abstracto, .... animi figmenta sunt, ....

quae ex conformilalc singularium intellectu non casso concipiuntur.

602) Ebend. H, 20, p. 96.: Sunt itaque genera et species non cfuidem res a

singularibus actu et naluraliler alienae, sed quaedam naluralium et aclualium phanfcsiae

(anch dieses Wort findet sich gleichfalls — vgl. Anm. 594. u. 596. —

bei Scotus Erigena, s. Abschn. XIII, Anm. 125.) renitentes intellectui de similitu

252 XIV. Johannes v. Salesbury.

Thal kaum möglich scheint, mehr Widersprüche aufeinander zu häufen,

als hier sich zusammenfinden, so müssen wir uns freilich daran erin

nern, dass Johannes Akademiker zn sein behauptete, und ihm der Vorzug

der aristotelischen Speculationsweise nicht so fast in der Wahrheil der

selben, sondern nur in einer gewissen Angemessenheit zu liegen schien

(Anm. 589). Keiuenfalls aber darf es uns wundern, wenn nun auch

die oben (Anm. 598) sehr betonte „individuelle Substanz" des Aristo

teles neben aller Berufung auf den Grundsatz, dass das der Natur nach

Spätere für den erkennenden Menschen das Frühere ist, dennoch unter

den Händen des Johannes in eine sehr unaristotelische Wendung hinfibergelenkl

wird ; denn derselbe denkt auch hiebei nur an jenen Creations-

Process , welchen Gilbert bis zur Individualität (nicht bis zum In

dividuum) fortgesetzt hatte (Anm. 462), und in solchem Sinne stellt er

den Begriff des Individuums den Gatlungs- und' Art- Begriffen völlig

gleich603), — eine Auffassung, welche uns daran erinnert, dass schon

Abälard das „Individuum" gewissermaassen zu den Universalien zählen

wollte (s. Anm. 278). Ja, während Johannes gesagt hatte, in der

Logik sei Aristoteles der Führer, stumpft er vermöge seiner rhetorischstoischen

Auffassung der Universalien sogar jenes Partei-Schibolet ab,

welches stets die Aristoteliker den Platonikern entgegenhielten, neulich

den Satz „res de re non praedicalur" (s. Anm. 132 u. 287), denn er

meint, wenn auch nicht das Ding selbst als solches in den Urlheilen

sich befinde, so werde doch in dem Prädicate das Ding bezeichnet,

und auf solche Weise hebe die obige duldsame Auslegung, d. h. die

Methode des Indifferentismus (Anm. 574. ff.) auch über diese Schwierig

keil hinweg °04). Zuletzt ja erklärt er sich in Erwägung der Vieldeutl/

in: Hrliiiilium tanqutan in speculo nalivae purilatis ipsius animae , quas graeci

fvvoCas sive flxoi'oifrti lag appeüant , h. c. rerum imagines in mcnle apparentes

(s. Abschn. Vlll, Anm. 3.7. u. in Bezug auf Gilberl ob. Anm. 482., die Hauptstelle

aber des Boethius ob. Anm. 64.); itnima enim quasi reverberata acie contemplationis suae

in se ipsa reperit, quod diffinit, nam et eius cxcmplar in ipsa esl, exemplum vero in

actualibus p. 97.: lila ilaque exemplaria cugitabilia quidem sunl et quasi phantasiae

et umbrae cxistentium secundum Arütotetem, quas si quis apprehendere nititur

per existentiam, quam habenl a singularibus separatam, velut somnia elabuntur.

603) Ebend. p. 109.: Quae autem communiora sunl, et priora quidem simpliciter,

nam et in aliis inlelliguntur ; quae vero singularia, posteriora; sed plerumque,

quae naturaliter priora sunt, et nolitia simpliciter ignotiora sunt nobis, namque

solida magis familiariora sunt sensibus , quae vero subtiliora, longius abstmt (Arisf.

Anal. post. I, 2, s. Abschn. IV, Anm. 74.) ... Sunt itaque yenera et species exem

plaria singulorum, sed hoc quidem magis ad ratianem doclrinae, si Aristoteles verus

est, quam ad causam essentiae. Procedit et haec monstruosa, ut licentius loquar,

figmentitrum speculalio usque ad ventilationem 'singulariam Quum enim Plaio

esse non possit informis et expers loci aut temporis, eum ratio quasi nitilum deducto

respeclu qtianlltatis et qualitatis aliommque accidentium simpliciter inluetur et

Individuum nominal; sed et hoc ulique doctrinalis instanliae et subtilioris agitaiionis

figmentum est; nihil enim tale in rebus occurrit,- täte quid tarnen /ideliter inteUigitur.

604) Ebend. p. 111 f.: Hoc ipsum ergo quod dicitur „praedicari", ab adiunctis

plures significandi contrahit modos Nam quum sermo de sermone iungibilitatem

quandam terminorum verac affirmationis innuit, quum de re sermo dicitur

praedicari, ostendilur, quod et talis nuncupalio aptalnr. Kern vero de re praedicari

XIV. Johannes v. Salesbury. 253

ligkeit der Worte auch noch damit einverstanden, dass man die Univer

salien selbst Dinge nennen könne605), wobei wir allerdings aus dieser

äussersten wissenschaftlichen Gleichgültigkeit den Eindruck empfangen,

als sei es überhaupt nicht der Mühe werth gewesen , uns um die Ein

sicht in die Meinung des Johannes bezüglich der Universalien so sehr

zu bekümmern.

Nach dem Bisherigen, was über den allgemeinen logischen Stand

punkt des Johannes sowie über seine Stellung zu der hauptsächlichsten

Parlei-Conlroverse anzugeben war, ist von vorneherein nicht zu erwarten,

dass er in den übrigen Haupltheilen der Logik, obwohl ihm auch die

Kemilniss der Analytiken zu Gebot stand, eigentlich einen förderlichen

Einfluss ausgeübt habe; und es sind auch im Ganzen nur wenige ein

zelne Punkte, welche wir hervorheben müssen.

Was hiemil zunächst die Kategorien betrifft., so tritt erklärlicher

Weise hier wieder mehr die Auffassung des Gilbert in den Vordergrund,

und es stimmt völlig mit demselben überein, wenn Johannes diesen

Zweig der logischen Erörterungen, welchen er als „praedicamentalis

inspeclio" bezeichnet, hauptsächlich in die Erwägung des Was (quid)

und der qualitativen Bestimmtheit (praprietales, vgl. Anm. 459) und der

Gegensätzlichkeit verlegt, wobei er die Beschränkung auf das Natürliche,

d. h. auf dasjenige , was Gilbert (Anm. 464) nutirum genannt hatte,

einhält 606). Hiemil aber verbindet sich ihm der Standpunkt Abälard's

(s. Anm. 272), dass in den Kategorien es sich um die einfachen unverbundenen

Sprachausdrücke handle, insoferne dieselben an sich „be

zeichnend" sind601). Die Erörterungen über univocum, aequivocum

u. dgl. nennt er, hierin dem Isidorus folgend, Werkzeuge der Katego

rien608), und es liegen ihm dieselben wegen seiner steten Berücknterdvm

nolat , quoniam hoc eil hoc , ul puta Plato homo , aHardvm quoniam hoc

parlicipat hoc, utpote subieclum accidente. Nee erubesco con/ileri, quod res de re

praedicetur in propositione , elsi res in proposilione ton sit , quum hoc in mente

miki tersetur, quod res signi/icelur praedicalo termino verae afßrmalionis, euius subitcto

aliqua de re agitur aut res aliqua significalur. Itaque non adversandum tillerae

arbiträr, sed amicandvm eique mos gerendus est in admittenda licentioris verbi in-

<ü/ferentia.

605) Ebend. p. 112.: Sed et rei nomen latius pateal , ul possil universalibus

convenire, quae sie auclore Arislotele intelliguntur abstracta a singularibus, ut (amen

esse non habeant deduclis singularibus. So erklärt sich dann freilich der aben

teuerliche Ausdruck „res praedicamentalis", Anm. 574.

606) Ebend. IV, 30, p. 187.: Esl aulem praedicamentalis inspeclio el prima

fere philosophandi via, de qualibet re proposita quid sil attendere , itemque quibus

proprietalibus ab aliis differal el quomodo aliis conformelur, deinde an sil ei quid

wnlrarium el an ipsum susceplibile contrariorum ; quae quum innotuerunl, res familiarius

assignala in noliliam. Iransil. Polycr. IV, frei. p. 218.: Est ergo primus

fkilosophandi gradus, genera rerum proprietalesque disculere, ul quidquid in singulis

eerum sit, prudenler agnoscal. Ebend. II, 22, p. 121.: Denique apud philosophos

i au! HUI est, talia manere praedicata, qualia subiecla permiserinl , omniumque praedicamentalium

rim et proprietatem naturalium ftnibus limitari.

607) Metal. III, 2, p. 119.: Categoriarum liber Aristolelis elementarius est el

accedentis ad logicam quodammodo infantiam excipit; traclal enim de sermonibus incomplexis

in eo, quod rerum signi/icalivi sunt, quo nihil prius est apud dialecticum.

Vgl. hingegen Anm. 578.

608) Ebend.: Univocorum quoque et denominativorum adeo necetsaria est cogni

254 XIV. Johannes v. Salesbury.

sichtigung der Vieldeutigkeit der Worte ganz besonders am Herzen,

obwohl er wie wir sahen (Anm. 577), durch seinen Indifl'erentisnaus

gerade auch diese Begriffe abschwächte oder verwischte ; das mullivocwm

und diversivocum will er überhaupt lieber der Grammatik zu

weisen B09). Jene „Bezeichnung des Unverbundenen" (significatio incomplexorum)

soll durch zwölf Fragen zur Erkenntniss gelangen, deren

erste das „Ob" ist, worauf zehn Fragen entsprechend den Kategorien

folgen, und als zwölfte das „Warum" den Schluss macht; letztere je

doch fällt in ihrer Beantwortung dem göttlichen Wissen anlieim und

geht somit über die Philosophie hinaus, welche sich mit den ersten

elf begnügt, wovon die erste wieder nicht zur Logik gehört; indem

aber die Logik den Umkreis des Gewordenen (d. h. Gilbert's nativum)

durchforscht, findet sie für ihre zehn Fragen die zehn Kategorien vor,

welche als Sprachausdrücke für das in den concreten Dingen Verfloch

tene (Anm. 469) „aasgedacht" sind, und so haben die zehn „genera

praediculiilium" völlig gleichmässig in den Aussagen und in den Dingen

(sive in sermonibut sive in rebus) ihren Umkreis 6 ' °). Während so

die Hauptfrage dein Johannes auch hier wieder gleichgültig ist, legt er

ein grösseres Gewicht auf jenen Einen Beispiel-Salz, in welchen Alcuin

alle zehn Kategorien gebracht hatte611), und entscheidet sich auch darin

für Gilberl's Auffassung (Anm. 481 f.), dass er selbst einer aristoteli

schen Stelle gegenüber die Behauptung festhält, dass sämmtliche Kate

gorien nur zur Erkenntniss des Wesens, d. h. des „Was", dienen612);

tio, ut ttaec tria, scilicet aequivoca, univoca et denominativa, asserat Isidorvs

calegoriarum inslrumenta (s. Abscbn. XIII, Anm. 32.).

609) Ebend. 3, p. 123.: Multivoca et diversivoca, quae Boethius ailiir.it (s.

Abscbn. XII, Anm. 88.), magis ad grammalicam pertinent.

610) Ebend.: Incomplexorum significatio innotescit Primo quidem nosje

de aliquo, an sil, deinde , quid, quäle, quantum, ad quill, übt, quando sit, quomodo

silum, quid habeat, faciat, patialur; novissima speculatio est in singulis,

quare iit , et quae iam non modo ad angelicam perfectionem, sed ad divinae maiestatis

praerogativam accedit .... (p. 124.) Cumulus itaque scientiae in hoc duodenario

solidatur; investigatio philosophica undenarü sobrietate contenta est; porro

logicus dccem instilutionis suae elemenla cognoscit Sed quia naturalium prima

est inquisilio , in ipsa primo dccem praedicamenta formata sunt excogitatique sermones

, quibus de his, quae primo occurrunl sensui aut intellectui, qualia sint Corpora

aut Spiritus, quid, quantum el quäle esset, aut secundum ceteras quaestioncs naturaliler

procedentes , dcclaretur unumquodque eorum; unde et praedicamenla dictn

sunt, sive in sermonibus sive in rebus, decem genera praedicabilium , quae sie ad

singulares individuasque substantias applicantur.

611) Ebend. p. 126 f.: Isidorus , Alcuinus et quidam alii sapienlum

sententiam plenissimam praedicamcntorum absttiutione perßciunt, ut in hoc eorum

patet exemplo, s. Abschn. XIII, Anm. 57.

612) Ebend. p. 126.: Omnia ergo genera speciesque subslantiarum et qualitalum

aliorumque primo ingerunt praedicamento , quoniam appositione generts speciei

primae satisftt quaestioni, i. e. declaratur de aliquo, quid ipsum sit Hoc quidem

ab Aristotele videtur alienum; ait enim: nun folgt die oben Abscbn. IV, Anm.

324. angeführte Stelle Top. I, 9 in einer von Boethius (p. 666.) etwas abweichen

den Uebersetznng (s. Anm. 34.); hierauf: Equidem non hie videtur auctor exprimere

, quod in eodem praedicamento, ctsi eundem modum habeant pracdicandi, sint

omnia genera, aul quod novem genera accidenlalium rerum non praedicenlur de sttbslanliis,

aut quod eodem modo praedicenlur de subicclis et de conlenlis suia.

XIV. Johannes v. Salesbury. 255

ja für die Gilberfsche Annahme (Aniu. 462 u. bes. 479), dass die in

dividuellen Bestimmtheiten die Totalität der Substanz betreffen, beruft

er sich sogar auf den Üionysius v. Areopag, d. h. auf Scotus Erigena613).

Indem er aber, wie gesagt, die ontologische und die logi

sche Seite völlig naiv parallelisirt, bringt er jene Verflechtung der concreten

Dinge, gleichfalls wie Gilbert (Anni. 472), in eine Verbindung

mit der Grammatik, indem die Substanz dem Substantivum, die übrigen

Kategorien aber als Ingredienzen der Eigentümlichkeiten dem Adjectivum

entsprechen sollen , und wegen der auf alle concreten Wesen

sich erstreckenden Kategorie des Thuns und Leidens oder der Bewegung

(Anm. 464 u. 489 f.) sieh notwendiger Weise das Verbum ein

stellt614).

In der Lehre vom Urtheile, für welche Gilberl's Ontologie Nichts

darbot, schliesst sich Johannes offenbar theilweise an Abälard an, denn

er spricht nicht bloss wie Jener (Anm. 314 ff.) von dem wechselsei

tigen Erwecken der Gedanken durch die RedeC15), sondern insbeson

dere gilt auch ihm (vgl. bei Abälard Anm. 330 u. bes. 382) das Wahr

sein und Falsch-sein als eine blosse Modalität, welche bei den Dingen,

bei den Gedanken, und bei den Aussagen eintrete1'16). Hingegen he-

613) Ebend. II, 20, p. 106. : .Sie el quodlibel aecidens in lato sui subiecto est

totaliler, scd totius partialitcr , si pro parle, et quodlibet subiectum accidentis sui

IMtibus coaequatur; hoc idem de generibus et speciebus protestari non vereor; quin

mundo reclamante dicam, quoniam a deo sunt aul omnino nihil sunl (s. Anm. 593.) ;

rliuii'il mecum el Dionysius Areopagila et numerum, quo disccrnuntur , pondus quo

staluunlur, mensuram qua diffiniuntur omnia, dei dicil imaginem (vgl. Abschn. XIII,

AI»«. 139 f.). Andere Anklänge aus Scotus Erigena s. oben Anm. 602.

614) Ebend. I, 14, p. 36.: Subslantiis omnibus sua quasi impressa sunt nomina;

sed quuniam ipsarum multae sunt di/ferentiae, aliae quidem a quantitate, aliae

a qualitale, aliae a variis accidentium formis , item aliae ab Ins quae familiariora

sml et ad esse conducunt; idcirco quibus hoc designaretur, nomina sunl invenla,

quae possent adiici subslantivis et eorum mm el naluram quodammodo depingerent.

Sicut enim accidenlia subslantiam vestiunt et informanl, sie qttadam proportime

ralionis ab adieclivis subslanliva informanlur .... Pro eo, quod substantia, quae

sensui aul rationi obiicitur , sine motu, quo agendo vel patiendn aliquid temporaliter

movetur, esse non potesl, idco ad designandos motus corporales agenlis aul patientis

excogitala sunl verba.

615) Enthel. v. 497 ff.: 4er subtilis, quem guttur formal et oris Organa, qui

sonitu possit ab aure capi, Vox est, quae reseral uni , quid cogitet alter, Inque

ticem reddii pervia corda sibi. Melal. I, 19, p. 49.: Sermo inslilulus est, ul exflicet

inlellectum.

616) Melal. IV, 33, p. 190.: l.ocutio, quae vera dicilur, a modo, quem innuit,

mtidalis appcllatur; item opinio vera a modo percipiendi et ratio vera a qualitale

examinis sui; res quoque singulae verae dicunlur, dum in his taliler percipiendis

nullius imaginis phantasmate circumvenialur opinio. Ebend. 36, p. 196.: S«

enim rem sie esse ul est, aul non esse ul non est, comprehendil (sc. intfllectus)

iudicio cerlo et ßdeli usus est; sin autem vel non esse quod est, vel esse quod non

est, opinatur, procul dubio fallitur et errat; idem quoque est in sermonibus ; res

aulem, quae se ipsatn , proul est, inlellectui subiicit , vera est; quae aliter, vana

et falsa. Ergo a modo percipiendi .... convincitur veritas aut falsilas turn opinionum

SMOTO rerum, sermonum vero o modo signiftcandi. Enthet. v. 405 ff. : Hinc aliud

verum rerum connexio monstrat , Quam sine compositis nemo videre potesl; Est inleUeclus

verus, quia concipit ipsam; Sicque triplex veri diclio rebus inest; Est sermo

verus, quoliens designat eandem, Si se res habeant, nt dato verba ferunt.

256 XIV. Johannes v. Salesbury.

züglich des sug. unbestimmten Urtheiles (vgl. Amn. 351) nimmt er den

Standpunkt ein, dass dasselbe für das Erkennen untauglich sei6.1").

Jene Urlheilsformen, welche der Grammatik angehören und uns oben

lAimi. 207) unter dem Namen „malerialiter imposila" begegneten, be

zeichnet er als „secunda imposüio" 6 ' 8) , und er warnt bei dieser Ge

legenheil vor dem logischen Missbrauche, welcher mit solchen Urtheilen

durch sophistische Witze gemacht werden kann, dabei die Probe eines

absichtlich gebildeten unsinnigen Satzes gebend"19). Bemerkenswert!!

ist, dass er ebendorl die „Syncalegoreumata" (s. Anm. 174, 206, 348)

erwähnt, jedoch in einer Weise, wornach er nicht geneigt scheint,

denselben für die Logik eine Bedeutung zuzugestehen, da er sie eben

jenen grammatischen Bezeichnungen gleichstellt, welche als blosse se

cunda imposilio nicht leicht wieder auf den primären dinglichen Si.un

zurückangewendet werden können Ü2°).

Aus dem Gebiete der Topik mag etwa erwähnf werden, dass Jo

hannes in den Erörterungen des Aristoteles über den Gattungsbegriff

eine Ergänzung und Berichtigung der Angaben des Porphyrius erblickt021),

sowie dass er im Hinblicke auf die maximae praposüiones (s. Abschn.

XII, Anm. 138) ähnlich wie Boethius die Festigkeit des mathematischen

Beweis- Verfahrens hervorhebt 622).

In der ersten Analytik findet er nicht bloss bei den Formen des

kategorischen Schlusses eine Unvollsländigkeit , welche durch Spätere

gehoben worden sei (Abschn. XII, Anm. 136), sondern sagt auch be

züglich jener Schlüsse, welche aus Combitialionen kategorischer Urlheile

617) Melal. II, 20, p. 101.: Omnis itaque dictio, quae non satis proprie

ponitur aut cerlo et iua ratione definito innititur subiecto; alioquin suo privabilur

ofßcio, quum ratio cognitionis ci'rtitudinis finem quaerat aut teneat.

618) Ebend. l, 15, p. 37.: Procedat ralio ad secundae impositionis originem.

Rebus itaque qunm nomina primitus essen! imposila, reversus ad se unnnu* imponentis

ipsis nominibus vocabula indidit, per quae sermonum Ergo diclum est nomen substmtivum , adiectivum, .... vdeorcbtruimn.a procederet.

619) Ebend. p. 40.: Al/usio est, si quis dicat ,,equus desinil in S" et similia;

item ,,Cato sedens inter Janiculum et calendas Martias (es erinnert diess un

willkürlich an den Volkswitz der Augsburger: „Zwischen Pfingsten und dem Klinker-

Thor") vesles populi Romani quaternario aut senione resarcit" aut sermo non est aut

quot'is sermone nugatorio corruptior.

620) Ebend. 16, p. 43.: Et qtiidem, quae u rebus sumpta sunl, ad res redire

possunt, sed quae inrenta sunl , ut rerborum indicent qualitatem, non eadem commoditate

rel usu devocantur, ul rerum indicent qualilnlem; videntur enim aliquid haben

iimile mm his generibui verbofum, quae graece syncategoremata appellantur, eo quod

sicut Muni m ab adiunctis aut est aut perpenditur signißcatio, sie ista originis stiae

sociata sermonibus suum commodc cxcitanl inlellectum , alio vero traducta retut natitnili

viyore destiluta evanescunt vel absona sunt.

621) Ebend. III, 7, p. 140.: Hoc tarnen ab Arislolele (Top. IV, l—6.), quoniam

Porphynus, quem parvuli sequuntur, aliud docitit, adiiciendum pnto , quoniam

sicut genus univoce et non denominatne , sie nee secundum quid praedicalur; und«

constal, corpus non esse genus animalis Sed minutiores philosophi cttm Porphyrio

vulgi sequunlur opinionem, qui fere id solum consuevil approbare , quoii senitbus

palet.

622) Polycr. VII, 7, p. 103.: Sie et geomelriae prima petitiones quasdam quasi

totius artis iaciunt fundamenta, deinde communes animi conceptiönes adiiciunt, et

sie quasi aeie ordinata ad ea, quae sibi sunt demonstranda, pfocedunt.

XIV. Johannes v. Salesbury. 257

mit Nolhwendigkeils- und Möglichkeits-Urtheilen bestehen (Absehn. IV,

Aum. 558 ff.), dass dieselben von Aristoteles nicht erschöpfend darge

stellt seien , und hiemit noch für Andere hier eine Thätigkeit übrig

bleibe, welche jedoch für das bestehende praktische Bedürfniss der

artiger Schlussweisen praktisch Bequemeres liefern solle623), — ein

Gerede, welches auch seinerseits selbst auf obige benigna inlerpretalio

Anspruch machen zu müssen scheint. Aehnlich spricht er sich über

die hypothetischen Schlüsse aus, welche vielleicht Aristoteles wegen

ihrer Schwierigkeit absichtlich weggelassen habe; doch sei neben einer

Hinweisung auf diese Syllogismen, welche schon in der Topik vorliege,

insbesondere Eine Stelle der Analytik die Veranlassung gewesen , dass

Boelhius und Andere die Lücke ergänzten, obwohl auch durch diese

noch nicht die wahre Vollständigkeit erreicht worden sei 624). Dass

Jobannes auch bei der Analytik nur den praktischen Zweck der Argu

mentation im Auge hatte, zeigt sich bei seiner Erwähnung der petillo

principii 625), sowie einiger anderer technischer Momente, unter welchen

er für das Verfahren des Gegenbeweises die Terminologie „catasyllogismus"

wählt e2ti). Aus der zweiten Analytik konnte er die Kennlniss

623) Metal. IV, 4, p. 160.: Trium figurarum subneclit raliones (sc. Aristoteles)

... el qui modi in singulis fiyuris ex complexione extremitalum proveniant, docet,

daltt qmdem semente rationis eorum, quos sicul Boethius asserit (die Stelle ist oben

Alisclm. V, Anm. 46. angeführt) Theophrastus et Eudemus addiderunt. Deinde habila

modalium ralione transit ad commixtiones , quae de necessario sunl aut contingenti,

mm his quae sunl de tnesse Nee tarnen dico , ipsum Arislolelem alicubi,

quod legerim, nisi forle quod ad proposüum, de modalibus sufficienler egisse , sei,

procedendi de omnibus fidelissimam scienliam tradidil; expositores vero divinae pajinoe

rationem modorum pernecessariam esse dicunt .... Et profecto licet iiullus

modos omnes, unde modales dicuntur , singulatim enumerare sufficial , quod quidem

nee ars exigit, tarnen magislri scholarum inde eommodissime dispulant et, ul pace

multiludinis loquar, Aristotele ipso commodius. Vgl. Anm. 220.

624) Ebend. 21, p. 177.: Dialecticam et apodicticam ... . praecedcntia docent.

In iis tarnen de hypotheticis syllogiimis nihü aut parum est actitatum, seminartum

tarnen datum esl ab Aristotele, ut ei istuc per induslriam aliorum possit esse proetstus:

Quum enim tarn probabilium quam necessariorum loci monstrati sint, osten-

•*("« est, quid ex quo sequalur probabiliter aut necessario , quod quidem ad hypotheticorum

iudicium maxime spectat Praelerea Boelhms (De syll. hyp. p. 609.)

hoc pro seminario inveniendorum dicit acceptum, quod Aristoteles ait in Analylicis

(s. oben Anm. 522.) ,,idem quum sit et non sit, non necesse est idem esse." Ergo

ipse el alii (s. Abschn. XII, Anm. 139.) aliqualenus suppleverunt imperfectum Aristotelem

in hac parte, sed quidem ul mihi visum eit, imperfecte. (Inwieweit Letz

teres richtig sei, s. ebend. Anm. 155. n. 163.) .... Sed fürte ab Aristotele de industria

reliclus est hie labor, eo quod plus difficultatis quam ntililatis videtur haben

liber illius, qui diligentissime scripsit; profecto si hunc Aristoteles more suo exseqvetelur,

verisimile est, tantae difficullatis fore librum, ul praeter Sibyllam intelligat

«emo. Nee tarnen hie de hypolheticis satis arbiträr expeditum, supplementa vero

scholarum perutilia et necessaria sunl.

625) Ebend. 5, p. 161.: Adiicil (Anal. pr. II, 16., s. Abschn. IV, Anm. 628.)

ft regulam petitionis principii, quae speculalio tarn demonstratori quam dialeclico

satis accommodata est, licet hie probabililale gaudeal, üle veritatem dumtaxat ampleetatur.

626) Ebend. p. 162.: Sequitur de causa falsa eonclusionis , ut catasyllogismi

(so ist auch wirklich in der Ueberselznng dos Boetbius p. 516. das betreffende

Capitel überschrieben, Anal. pr. H, 19., s. Abschn. IV, Anm. 631.) et elenchi (ebend.

Anm. 632.) et de fallacia secundum opinionem (ebend. Anm. 634 f.) et de conver-

PBANTL, Gesch. II. 17

258 XIV. Johannes v. Salesbury. Alauns v. Lilie.

der sog. vier aristotelischen Principien schöpfen627), und ausserdem

wurde auch er auf die erkenntniss-theoretischen Fragen geführt, welche

er jedoch weit schlechter erörtert als der Verfasser De inlelleclibu*

(Anin. 418 II'.), denn auf einen noch ziemlich aristotelisch klingenden

Anfang, weicher die Siimeswahrnehuiung, die Einbildungskraft und ilie

Meinung betrifft, folgt sofort der ciceronische Begriff der praktischen

Klugheit, worauf sich Plato's Auffassung der Vernunft (rah'o) anreiht,

um zuletzt zu der theologisch verstandenen Weisheit (saptenlia) als

endlichem Ziele zu führen"28).

Auch aus den Soph. Elenchi, welche Johannes an den Schluss des

aristotelischen Organous stellte, dürfte höchstens die Terminologie ,,nluclalorius

Syllogismus'1 erwähnenswerlh sein629), sowie aus dem Um

kreise der Schriften des Boelhius die Erwähnung der fünfzehn Arten

der Definition (s. Abschn. XII, Anm. 107), wobei die oberflächliche

Lectüre des boelhianischen Buches den Johannes auf die Meinung brachte,

auch Cicero habe eine Schrift De definitione verfasst Ü3°).

Einige Verwandtschaft mit Johannes von Salesbury zeigt bezüglich

der theologischen Onlologie der ebenso geschmacklose als affeclirte

Alanus von Lilie (gest. um 1200), insoferne Beiden die Auffassung

des Gilbert Porretanus in solchen Fragen als gemeinschaftlicher Aus

stone mi'ilii et extremorum (ebend. Anm. 636 f.), ruhis tarnen tola utilitas lange

commodius tradi polest.

627) Enlhet. v. 375 ff. : Quatuor isla solcnt laudem praeslare crealis, Subieclum,

species , arlißcisque manus , Finis item cunctis qui nomina rebus adaptal. Arist.

Anal. post. II, 11., s. Abscbn. IV, Anm. 696. Es war demnach völlig unoötbig,

wenn man die Vermutbung aufstellte, Johannes habe die Bücher der Metaphysik

gekannt.

628) Metal. IV, 9, p. 165.: Quum sensus secundum Arislotelem {Anal. poil. II,

19, Abschn. IV, Anm. 51.) sit natmalls potentia indicativa rerum, aut omnino non

est aul vix est cognitio deficiente sensu — p. 166.: Aristoteles autem sensum potius

vim animae asseril, quam corporis passionem, 10, p. 167.: Imaginatio itaque a

radice sensj»wm. per memoriae fomitem orilur. 11, p. 168.: Primum enim iudicium

viget in sensu, .... secundum vcro imaginalionis est, ul quum aliquid perceptorwn

retenta imagine täte vel tale asserit de futuro iudicans vel remolo ; hoc autem alterulrius

iudicium opinio appellatur (so ist äö^it bei Boethius übersetzt, s. oben Anm.

19.; hingegen existimatio s. Anm. 423.). 12, p. 169.: Prudeiitia autem est, ut

ail Cicero, virlus animae, quae in inquisitionc et perspicientia solerttaque veri versatur.

13, p. 169.: Inde est, quod maiores prudentiam vel scienliam ad lemporalium

et scnsibilium noliliam relulerint, ad spiritualium vero inlellectum et sapientiam,

nam de humanis scienlia, de divinis sapienlia dici solet. 16, p. 172.: Ergo et po

tentia et potentiae molus ralio appellatur; hunc autem motum asserit Plalo in Politia

vim esse deliberativam animae etc. 19, p. 175.: Sapientia vero sequilur intellectum,

eo quod divina de his rebus, quas ralio disculit, intellectus excerpsil,

suavem habent yuslum et in amorem suum animas intelligentes accendunt.

629) Ebend. IV, 23, p. 180.: Sicut cnim dialeclicus elencho, quem nos reluclatorium

dicimus syllogismum , eo quod contradiclionis esl, utilur etc. Vgl. Polycr.

II, 27, p. 145., woselbst unter dem Namen „cornutus" ein Dilemma angewen

det wird.

630) Melal. Hl, 8, p. 141.: Swnptenmt hinc (A. h. aus Arisl. Top. VI.) doctrinae

suae primordia Marius Victorinus el Boethius cum Cicerone, qui singuii libros

deßnitionum ediderunt ; illi quidem definiendi nomen usque ad quindecim species

dilataverunt , describendi modos definitionis vocabulo supponenles, huic vero de svbstanliali

praecipue cura esl (die Quelle dieses Irrthumes s. Abschn. XII, Anm. 103.

o. 106.).

XIV. Alanus v. Lilie. 259

gangspunkt dient. Jedoch hat Alanus den logischen Gehalt dieser Onlologie,

deren Beurtheilung oder Werthschätzung den Theologen überlassen

bleiben inuss, nicht einmal in jener Weise, welche bei Gilbert

oder etwa auch hei Johannes hervortritt, ins Auge zu fassen der Mühe

werth gefunden, sondern sich in seinem schwülstigen Gedichte „Anlidaudianus"

bezüglich der Logik auf den Standpunkt der allergewöholichsteu

Schuldoctrin gestellt, welche auch er nur als ein Mittel der

Argumentation behufs der Bekämpfung der Ketzer anerkennt 631). Indem

er die sieben Künste in ähnlicher Weise wie Marcianus Gapella als

symbolische Figuren auftreten lässi, schildert er, nachdem zuerst die

Grammatik vorgeführt war, an zweiter Stelle die Logik als eine äusserst

fleissige und strebsame Jungfrau, an deren gebleichtem Antlitze nur

Haut und Knochen zu bemerken seien, so dass man die Folgen der im

Studium durchwachten Nächte erkenne632); sodann zählt er ihre Gaben

auf, welche sie zum Kampfe für die Wahrheil mit sich bringe, und

zwar nennt er dabei vor Allem die Topik mit ihren maximae proposüiones,

in dieselbe die Syllogistik, sowie Induction und Exemplum ver

flechtend, dann folgt die Definition mit Einschluss der Beschreibung

(vgl. Abschn. XII, Anm. 9) und die Eintheilung der Gattung in die Arten

sowie des Ganzen in die Theile, und ausserdem die Wiederverbindung

des so Unterschiedenen, durch welch sämmtliche Functionen die Logik

als Werkzeug oder Schlüssel der Weisheit, sowie als Waffe für alle

übrigen Künste wirke 633). Endlich die Aufzählung der Autoren der

Logik preist den Porphyrius als einen zweiten Oedipus, tadelt die Worlverwirrung

des Aristoteles, durch welche die LogiR wieder verdunkelt

631) Anticlaud. VII, 6 (A/am Opp. ed. C. de Visch, Antw. 1654, fol. p. 394.):

Sttccedit logicae virtus arguta, tta.ec, docet argutum Hartem rationis inire , Adversae

parti concludere, frangere vires Opposilas partemque säum ratione tuen, Vestigare

fuyam veri falsumquc fugare , Schismaticos logice falsosque retundere fratres,

Et pseudologicos et denudare sophistas.

632) Ebend. III, l, p. 345.: Latius intendens sollers studiosa laborans Virgo

-secunda sludet, inirat penetralia mentis, Sollicitatque manum, menlem manus excilat,

•»ftjei Ingenium Et decor et species afflasset mrginis arlus , Sicul praesignis

membrorum disserit ordo, Ni fades quadam macie respersa iaceret; Vallal eam macies,

macie vallala profunde Subsidet, et nudis cutis ossibus arida nubit; Haec habitu

gestu macie pallore figural Insomnes animi motus vigilemque Minervam Praedical, et

secum vigiles vigilasse lucernas.

633) Ebend. p. 345 f.: Monstrat elcnchorum pugnas logicaeque duellum , Qu/tliter

ancipiti gladii mucrone coruscans Vis logicae veri fade tunicata recidit Falsa,

negans falsum veri latitare sub umbra Quid locus in logica dicatur quidve localis

Congruilas , quid causa loci, quid maxima, Quid sit vis argumenti manans a

fönte locali, Cur argumentum ßrmet locus, armel elenchum Maxima, qnae vires

proprias largilur eleneho , C«r ligel exlremos medius mediator eorum Terminus

et firmo conftbulel omnia nexu...., Qualiter usurpans vires et robur elenchi Singula

percurrit inductio, colligit omne ...., Qualiter exemplum de se paril Quomodo

deßnil, partitur, colligit, unit Singula, quae gremio cumplectitur illa capaci, Quo

modo res pingens descriptio claudü easdem Nee sinit in varios descriptum currere

i'ul/ns, Quid genus in species divisum separat, aut quid Dividit in partes totum

rursumque renodat, Quae sunt sparsa prius , divisaque cogit in unum, Qualiler ars

logicae lanquam via, ianua, clavis, Ostendil reserat aperit secrela sophiae, Qualiter

arma gerü et in omni militat arte.

17*

260 XIV. Rückblick.

und verhüllt worden sei, worauf Boethius wieder Lichl und Ordnung

in das Ganze gebracht habe 634).

Hiemit sind wir an der Gränzscheide des zwölften und des drei

zehnten Jahrhundertes angekommen, welche auch dadurch sich kenn

zeichnet , dass gerade zu jener Zeit von verschiedener Seite her dem

lateinischen Abendlande neuer Stoff zugeführt wurde, dessen Betrachtung

der Gegenstand der zwei folgenden Abschnitte sein soll, um hernach die

ausgedehnten Wirkungen des neu hinzukommenden Materiales entwickeln

zu können. Erfreuliche Gesichtspunkte bezüglich des cullurgeschichtlichen

Fortschrittes hat uns die bisher geführte Untersuchung allerdings

wahrlich nicht dargeboten. Wir haben wohl multa, aber sicher nicht

mullum an uns vorübergehen lassen. Hat ja sogar die allmälig er

wachende Kenntnis« der aristotelischen Hauptwerke kaum nennenswerthe

Früchte getragen, und an Stelle einer wahrhaft philosophischen Auf

fassung der Logik, zu welcher das Studium des Aristoteles hätte ver

anlassen können, schien zuletzt selbst lieber noch der Drang nach

praktischer Rhetorik sich geltend machen zu wollen. Und selbst die

folgenden späteren Abschnitte werden uns auch zu jener Zeit, in welcher

ein neuer Geist die Fesseln der Tradition und der äusserlichen Auclorität

durchbricht, auf dem Gebiete der Logik nur eine gesteigerte Wie

derholung dieses Spieles der Geschichte zeigen, wornach die Logik

unter sehr verschiedenen Auffassungen stets wieder aus einer innerlich

philosophischen Basis hinausgedrängt wird.

634) Ebend. p. 347.: Auctores logicae, quos dünnt fama perenni Vita, ....

recolens defunctos suscitat orbi. Illic Porphyrius arcana resohit, ut alter Oedipodes

noslri solvent aenigmala sphingos; Verborum turbator adest et tmbine mullos Turbat

Aristoteles nosler gaudetque latere. Sie logica tractat, quod non tractasse videtur,

Non quod aberrel in hoc, sed quod velamine verbi Omnia sie velat, quod vix labor

isla remlet In lucem tenebrosa refert, nova ducit in usum Excusatque tropos,

in normam Schema reducit , Exserit ambiguum Severinus, quo duce linquens Natalem

linguam noslri peregrinat in usum Sermonis logicae virtus dicatque iatinum.

XV. ABSCHNITT.

EINFL;USS DER BYZANTINER.

Hatte der Betrieb der Logik schon in der zweiten Hälfte des 12.

Jahrhundertes einen höchst ansehnlichen Zuwachs des Materiales da

durch gefunden, dass man die früher unhekannten hauptsächlichsten

Bestandteile des aristotelischen Organons kennen lernte, — wenn auch,

wie wir sahen, die Wirkung hievon zunächst nicht so bedeutend war,

als man hätte erwarten können — , so trat nun mit dem Beginne des

13. Jahrhunderies gleichzeitig von drei Seiten her eine neue Vermehrung

des Stoffes ein, nemlich durch Benützung byzantinischer Litteralur-Erzeugnisse,

durch Beiziehung der Leistungen der Araber, und durch das

Bekanntwerden der übrigen Werke des Aristoteles, unter welchen selbst

verständlicher Weise vor Allem die Bücher der Metaphysik, sodann

aber auch die Schrift de anima auf die Logik einen Einfluss ausüben

mussten. Und so wird uns denn auch neuerdings unsere schon wie

derholt ausgesprochene Ansicht, dass das ganze Mitlelalter lediglich von

der äusseren Zufuhr des Materiales abhängig war, durch den geschicht

lichen Verlauf ihre ihatsächliche Bestätigung erhalten.

Dass durch die dritte der genannten Erweiterungen des Stoffes

ein Umschwung in der Stellung der Logik eintreten jnusste, ist klar;

denn nachdem bis dahin, abgesehen von platonischer Physik, die Logik

allein den Umkreis der eigentlichen Philosophie rcpräsentirt hatte, kam

dieselbe nun seit dem Betriebe aristotelischer Metaphysik und aristoteli

scher Psychologie in das Verhältniss einer Coordination oder auch einer

Subordination zu anderen Zweigen der Philosophie. Doch wie sich

diess gestaltet habe, wird erst unten im XVII. Abschnitte dargestellt

werden können, wo der chronologische Faden an dem Punkte, an wel

chem wir ihn so eben verliessen , wieder aufzunehmen sein wird. In

gleicher Weise muss es jenem nemlichen späteren Abschnitte vorbe

halten bleiben, die Wirkungen selbst vor Augen zu fähren, welche aus

den beiden anderen neuen Ingredienzien, nemlich aus der byzantinischen

und aus der arabischen Litteratur, sich ergaben.

Hingegen ist es nun unsere nächste Aufgabe (— denn die Dar

stellung der ächten und vollständigen Lehre des Aristoteles liegt längst

hinter uns —), eben jenes doppelte fremdländische Material, welches

in die Sprache des lateinischen Abendlandes übertragen wurde, vorerst

für sich allein kennen zu lernen. Sowie aber dort der byzantinische

262 XV. Berührung mit den Byzantinern.

und der arabische Einfluss im 13. Jahrhunderte zur nemlichen Zeit zu

Tag treten, so ist es für die Geschichte der abendländischen Logik an

sich völlig gleichgültig, welchen von beiden wir zuerst betrachten, und

es mag etwa der erstere nur darum vorangestellt werden, weil er mehr

eine unmittelbare Anknüpfung an Erscheinungen darbietet, welche bereits

früher Gegenstand unserer Erörterungen gewesen waren.

Wohl aber dürfen wir schon hier zur Orientirung die weitgreifende

Bemerkung vorausschicken, dass die Logik, soweit sie im 13. Jahr

hunderte neben der äusserlich eingelernten aristotelischen Philosophie

eine selbstständige Stellung erhielt, nun durch Uebertragung eines by

zantinischen Compendiums und byzantinischer Technik eine veränderte

Gestalt annahm und einen folgenreichen Zuwachs an Inhalt erfuhr, so

dass nicht ohne Berechtigung in den Schulen für diese „neue Logik"

die Bezeichnung „via moderna" üblich wurde. Sowie man den gesammten

Zeitabschnitt von Isidorus an bis zum Beginne des 13. Jahrhundertes

füglich die Periode des Boethius nennen kann, wenn auch in

den letzleren Jahrzehenten derselben einige Kennlniss des Aristoteles

mitspielte, ebenso darf man bezüglich der eigentlichen Schul-Logik fast

die ganzen nächstfolgenden drei Jahrhunderte als die Periode des l'scllus

bezeichnen, wenn auch die ältere boethianische Tradition als „via

anliqua" nebenherlief, oder Erneuerungen früherer Partei-Controversen

sich einstellten.

Im XI. Abschnitte wurde die vielfach unbedeutende und sterile

Reihe der griechischen Commentare zur aristotelischen Logik und der

griechischen Schulcompendien bis in das 14. Jahrhundert hinabgeführt;

und indem schon dort (zw. Anm. 82 u. 83) bemerkt wurde, dass vom

5. Jahrhunderte an diese Lilteratur spurlos an dem lateinischen Abend

lande vorübergieng und gleichsam seitab lag, wohl aber (ebend. Anm.

176) bei Petrus Hispanus (13. Jahrh.) eine Einwirkung sich zeige, welche

mit Psellus begann, so müssen wir nun hier, nicht etwa zur Fort

setzung der dort schon angegebenen litterär-geschichtlichen Entwicklung,

sondern lediglich um jener lateinischen Schul-Logik willen, welche vom

13. Jahrhunderte an betrieben wurde, alles dasjenige vorführen, was

als neues Ingrediens wirkte. Denn Susserliches Aufraffen und äusserliches

Ueberlragen des sich darbietenden Stoffes war ja überhaupt die

methodische Thal des traditions-süchligen Mittelalters, und so kann auch

die Geschichte der Logik gleichsam nur registriren, welcherlei Bausteine

zugesrhleppt worden seien.

Itass nun ein thalsächlicher Einfluss byzantinischer Lilteratur auf die

lateinische Logik bestand, wird im Folgenden selbstredend dargestellt

werden. Die Frage aber, wie derselbe überhaupt ermöglicht wurde, gehört

theils der allgemeinen Kulturgeschichte an, theils liegt ihre Beantwortung

in so allbekannten Thatsachen und Verhältnissen, dass wir den Leser zu

beleidigen fürchten, wenn wir an die Kreuzzüge und die Entstehung des

lateinischen Kaisertumes (Einnahme Konstantinopel's durch die Kreuz

fahrer i. J. 1204), an das endlose Gezanke der Theologen beider zum

Schisma treibenden Kirchen, an die juristische Gelehrsamkeit, welche in

Erklärung der Basiliken niedergelegt wurde, erst noch ausdrücklich er

innern wollten. Einzelne Momente, welche unserem speciellen Gegen

XV. Berührung mit den Byzantinern. 263

stände näher liegen, trafen wir bereits im 12. Jahrh. (s. vor. Abschn.

Aiini. 25 u. 32 f.); eine völlig entscheidende Wirkung aber musste es

für die ersten Jahrzehente des 13. Jahrhundertes haben, riass der all

gewaltige Papst Innocenz III., welcher das durch seine Intrigue in die

Welt gesetzte lateinische Kaiserthum vortrefflich für seine Zwecke aus

zunützen wusste, im J. 1205 den Wunsch Balduins bei den französi

schen Prälaten befürwortete , dass „zur Ehre Gottes" Geistliche aus

Frankreich nach Konslanlinopel sich begeben und dort de« Samen

christlicher Bildung ausstreuen sollten '), — ein Wunsch, welchen der

Papst gleichzeitig auch an die Universität Paris richtete, dabei nicht

vergessend, die Bereitwilligkeit der Missionäre auch durch Hinweisung

auf irdische Schätze und Genüsse anzuspornen 2). Und wenn nun auch

hiebei Förderung der Wissenschaft wahrlich ebenso wenig der Zweck

war, als bei dem Collegium Conslantinopolüanwm, welches in der nemlichen

Zeit der winkelzi'rgige König Philipp August in politischer und

papst-freundlicher Tendenz zu Paris einrichtete 3), so war es Sache des

mittelbaren äusseren Erfolges, dass nun Vertreter oder Schüler der bis

dahin hauptsächlich in Frankreich blühenden Logik in Berührung mit

einer fremden (literarischen Entwicklungsstufe kommen konnten, welche

wohl in den Augen eines Papstes einer Maassreglung zu bedürfen

scheinen mochte, an sich aber in der glänzenden LiUeralur-Epoche der

Anna Comnena äusserst manigfallig und reichhaltig emporgeblüht war

und bezüglich der Logik wenigstens nicht in höherem Grude, als die

bisherige lateinische Litteratur, unphilosophisch und schulmässig auftrat,

1) Diplomata, Chartae , Epislolae elc. Receuil de Brequigny et La Porte du

Theil. Paris. 1791. II, p. 712.: Universitalem vestram rogamus atlente et horlamur

per aposlolica vobis scripta mandantes, qualenus pium eius (sc. Balduini) desiderium,

quantum in voliii fuerit, promoiientes de singulii ordinibus viros moribus et scientia

commendandos ac in religione ferventes ad parles illas de&tinare euretis, per quos

novella Hin planlatio in disciplina domini erudita fructum reddat suis temporibus

opportunum ad laudem et gloriam redemptoris .... et orientalis ecclesia in divinis

laudibus ab occidentali non ilissonet. <

2) Ebend. p. 713.: Marßstris et scliolaribus Parisiensibus — supplicavit (je.

Baldumus), ut vos inducere ac monere apostolicis lüteris dignaremur, quatenus in

Graeciam accedentes ibi studeretis litlerarum Studium reformare Universitäten

vestram rogamus, quatenus diligentius attendentes, quanto maiores vestri aiffimltates

et gravamina sunl perpessi, ut adolcscentiae suae primitias imbuerent litteralibus

disciplinis, non laedeal plerosque reslrum ad terram argenta et auro gemmisque

refertam , frumento , vino et oieo stabilitam et bonorum omnium copiis affluenlem

aceedere , vl ad illius honorem et gloriam, a quo eil omnis scientiac donum, sibi et

aliis ibidem proficiant, praeter temporales divitias et honores aeternae gloriae praemia

recepturi. S. lomdain, Recherche* crit. (2. Aufl. 18431, p. 47 f.

3) Bulaeus, Hisl. univ. Paris. III, p. 10. (aus Filesams , de statutis tkeol.):

Post expuijnalam Constantinopolim a Francis et Venetis saero foedere iunctis Phi

lippe Augusto rege Lutetiae condilum est collegium Constanlinopolilanum ad ripam

Sequanae prope forum Malberlinum, nescio in arcano imperii consilio , ut Graccorum

liberi Lutetium venientes una cum lingua latina pavllalim velus illud et patrium in

Latinoi odium deponerent eorumque humanitatem et benignitatem experli ad suos

reversi non sine magno' Latini nominis incremento virtutes illas passim praedicarent,

ac velut obsides habili, qui, si quid parentes et affines graeca levitale adversus

Lalinos molirentur , ipsi adolescenles Lutetia conclusi fuerint. S. lomdain a. a. 0.

p. 49 f.

264 XV. Berührung mit den Byzantinern. Psellus.

wohl jedoch vor derselben den Einen Vorzug hesass, dass in ununter

brochener Succession stets auch die Hauptschriften des aristotelischen

Organons erörtert und benutzt worden waren. Dass ausserdem in Un

teritalien die Kennlniss der griechischen Sprache (wenn auch nicht der

griechischen Litteratur) und der Verkehr mit Griechen nie völlig ausgestorben

waren, sowie dass Venedig in lebhafter Wechselbeziehung

mit dem griechischen Oriente war, ist hinreichend bekannt, und so

mochte neben denjenigen Erscheinungen, welche wir schon früher trafen

(vor. Abschn. AIIIII. 3, 25 u. 33), wohl im Laufe der Zeit noch in ge

steigerter Weise durch Ueberselzungen eine Vermittlung byzantinischer

Schriften bewerkstelligt worden sein, wenn wir auch nicht mehr im

Stande sind , einzelne Fäden einer solchen Thätigkeit auf dem Gebiete

der Logik nachzuweisen oder zu verfolgen 4).

Bei Weitem das einflussreichste Erzeugniss der byzantinischen Litleratur

war das Compendium des Psellus (s-, oben Abschn. XI, Aiiui.

173 ff.), welches unter dem Titel Svvotyig tl$ rr)v 'AQiawi&ovg Aoytm\

v «iHjTtjfMjv die gesanimte aristotelische Logik enthielt. Dasselbe

üble die weitgreifendste Wirkung auf das lateinische Abendland dadurch

aus, dass es sofort bei seinem dortigen Bekanntwerden zur Grundlage

der Compendien-Lilteratur gemacht wurde. Neinlich es lag in dieser

Beziehung allerdings wohl das entscheidendste Faclum darin, dass Petrus

Hispanus die Synopsis des Psellus wörtlich übersetzte , aber aus Hand

schriften der Pariser Bibliothek machte ich die überraschende Entdeckung,

dass Petrus Hispanus durchaus nicht der erste Ueberselzer des Psellus

war, sondern dass bereits einige Jahrzehnte vor demselben durch An

dere, wie namentlich durch Wilhelm Shyreswood, das Compendium

des Psellus in die lateinische Schul-Logik eingeführt und sogar mit

einer weil grösseren Selbstsländigkeil verarbeilel worden war. Und

nur durch die Aucloriläl , welche Pelrus Hispanus als Papst in dem

römisch-kalholischen Abendlande genoss, konnte es geschehen, dass jene

Bestrebungen anderer Schriftsteller des 13. Jahrhundertes, welche gleich

falls auf byzantinischer Litteratur fussten, allmälig bei Seile geschoben

wurden und mit einer gewissen Monolonie sich ausschliesslich das geist

losere Elaborat des Petrus Hispanus auf lange Zeit hin einbürgerte.

Während aber all diese Verhällnisse, wie sich von selbsl versieht,

ihre genügende Darlegung im XVII. Abschnitle finden werden, wenden

wir uns nun zu der Synopsis des Psellus seihst, um hiedurch die Ori

ginal-Quelle jener lateinischen Litleralur-l'rodukle kennen zu lernen 5).

4) Giangiml. Gradenigo, Kagionamento istorico-crilico inlorno alla lelteratwa

greco-italiana. Rrescia 1759. 8. enthält, ohne irgend neue Spuren der Forschung

zu eröffnen, ein ziemlich unkritisches Register von Italienern, welche des Griechi

schen kundig waren. Die Abhandlung von Friedr. Gramer (Dissertalio de graecis

medii aevi sludiis. Vars prior et allem. Sundiae 1849 u. 1853. 4.) bricht an eben

jenem Punkte ab, welcher uns hier zumeist interessirt, nemlich bei dem Eintritte

der Kreuzzüge.

5) Ich halte es für unerlässlich, mehrere einzelne Abschnitte des Psellus

gleichsam als Probe wörtlich im Originaltexte mitzutheilen, um sodann entsprechend

im XVII. Abschnitte das Gleiche zu thun; denn nur hiedurch kann der Leser die

eigene Ueberzeugung schöpfen, in wieweit z. B. Wilhelm Shyreswood selbststäaXV.

Psellus. 265

I'sellus beginnt mit der Notiz, dass die Dialektik die Kunst der

Künste (ar.v arlium) sei , um dann sogleich von der Etymologie ihres

Namens aus auf den Begriff der Sprache und hiemit auf jenen des

Wortes (rpuvrj) und des Schalles (t^oqpog) zu gelangen 6), wodurch sich

sofort als erster Hauptlheil des Compendiums der Inhalt des Buches

De inlerpr. einstellt und sonach die Lehre vom Urtlieile voraustritt.

Es wird nemlich zunächst in der üblichen Schulmanier ausführlicher

über den Schall und über die menschliche Ausdrucksweise gehandelt,

welch letztere entweder nicht bezeichnend oder bezeichnend (qpwvjj

ffjjftai/rijM;) sein könne; der bezeichnende Ausdruck wird in den ver

bundenen (avfunsiticy^vrj) , d. h. den Satz, und in den unverbundenen

) , d. h. die einzelnen Worte, eingetheilt 7), worauf in der

diger den neuen Stoti" benützt, hingegen Petrus Hispanus nur wörtlich übersetzt

habe; und ich hege das Vertrauen, dass dann der Leser meine Angaben über die

übrigen, nicht ausführlich abgedruckten, Theile der sich entsprechenden Compendien

mir auf mein Wort glauben werde. Uebrigens ist auch zu bemerken , dass

die Suiiimuta des Petrus Hispanus gleichsam als eine zweite Handschrift, und zwar

häufig in der Thal als eine bessere Recension, zur Textes-Kritik des Psellus be

nützt werden muss: jene Augsburger Handschrift, aus welcher Ehinger die Synopsis

herausgab (Augsb. 1597. 8.), — jetzt in der Münchner Staatsbibliothek befindlich

(Cod. graec. Hon. 548.) —, enthält auch noch (fol. 33 IT.) ein Excerpt der Synopsis

TOD sehr später Hand.

6) Hielt. Pselli Synopsis Org. Arist. I, l, p. 1. (ed. Ehinger): dialixTixy lati

ityvrj Ttyviöv xal f^iiar^firi iTuairj/täv nybg ras änaaiöv Tiav fj.i&ö<fiov

og^ä? bobv e%ovaa, xal cfiä TOVTO iv rfj XTr\ati TIÖV tni<SiTi\fiäv ngiÖTijV

elvai TTJV <SialiXTixi]v XQ"n- ~4£ytTcti dt r) äiuiexiixrj anb rijs äicilffztog,

rj Ji ATIO Tijg „Siä" TTJS arj/j.ciivovo'ris TÖ „[teral-v" xnl TOV „A^j/co", iv' y

o Svolv /^era^v Tovldxio'Tov iöyos , roß- nQoßüiioviog ä^ovöri xctl TOV

aTioxoivofifvov' r\ anb TOV Siait^/^ai xul äittxiXQia&tu, xa&' rjv ärjlovoti

öfytt ritig yviüfiKig SIIUQUVVTKI öl äiaifyöftfvoi. MV Infl ij rftct/lflts

oü dvvttTai ytvfa&ai tl /j,ij uearjTevovros iöyov, oiid' av 6 loyo; et firj

fitariituovarjs tfiovi}; , n&aa oi (fiovrj ipoy-os rig ton, Jia TOVTO tog &nb

TiQoifQov TOV ipöqou ttQxifov. Es ist wahrlich nicht nöthig, bei jedem einzel

nen Paragraphen des Psellus auf die Quellen, aus denen sie geschöpft sind, zu

rückzuweisen, soweit das Ganze uns nur den Inhalt der am Schlüsse des Alterthumes

recipirten Schul-Logik zeigt, welcher aus dem im XI. Abschnitte Erörterteu

hinreichend ersichtlich sein dürfte. Wohl hingegen werde ich sorgfältig alle die

jenigen Punkte hervorheben ,. für welche jene Schultradition nicht zureichend ist,

und namentlich macht in dieser Beziehung der Schluss des Compendiums eine

bedeutsame Ausnahme, woselbst uns die Frage über die Quellen des Psellus sehr

fühlbar werden wird.

7) Ebend. p. 3.; l'ötfog TOIVVV tarlv, ov av xvQltag )j ctxot) avnlaftßiivrjTcti,

ifyto dl TÖ xvQltag, äiön tl xn.1 6 &v&Q<anog xctl 6 xiödiov äxove-

Tai, TOVTO ovx i-GTiv fl fj.fj äici ipö(fov. Tiov ifiö(ficav 6 (j,£v IOTI ifxavrj 6

o*i oii ifiovr,; xul ipiavri (OTt ijtöipog toi aiö/tcriog TOV £ipov nQotvex&tlg Toig

(fvatxotg doydvoig fAefiOQip<o/,i{vos ' (fvaixa ä( oQyitvu, oig ij <f(ovr] ftoo^ov-

TCII, i.fyoVTKt xcä tlalyflli), oäovifg , yitSaacc, ovQttvCaxog, iägvyZ , xctl

&ioQa%- ipöif.of cf£ 6 ovx (uv (ftavri ianv 6 yiyvöfttvog fx rijs avyxQovaetug

TiSv aijjv)(tuv (HafAttTtov, log *l &(>ctv<iig TIOV dtvdQtov xctl ö TIOV noSiöv XTVnog

xitl TU Sftoia. TiSv if'iovßv at ptv etat arjfiavTixitl KI rf^ ov' otipav-

Tixff yiavri lanv fj jtKijiiiritxiü TI xal Sriionoiovda Tg äxoij, oiov av&oioTios'

ov arjf^KVTixri iaTiv ff (iriötv Trj «xoj naQi,dT(Saa, oiov ßä , ßov. TtSv dt)-

HttVTixoöv ^ipwvüiv at /j,£v tidi ayfiavTixal (pvoei, at de &£oti' tfiovi) tpvaei

arj/*avTixri lanv r\ naqa, näai TÖ ctvTÖ TittQiOTiöaa, (Ss^-SQ ö aievieyfiös

räv Aö&tvovVTiDV ödvvrjV (SrjläJv scheint ausgefallen zu sein) xctl % Ttöv xv

266 XV. Psellus.

üblichen Weise die Angaben über das Substanlivum 8) und über das

Verbum folgen, woran sich die Bemerkung knüpft, dass nur diese bei

den für die Dialektik wirklich als Redetheile gellen können , hingegen

die übrigen Arten der Worte blosse syncategoremala (s. vor. Abschn.

Amn. 174, 206, 348) seien9). Die übliche Aufzählung der Arten des

Salzes (Xo'yog) erscheint hier in der Terminologie der Grammatik (Indicaliv-,

Imperativ-, Optativ-, Conjunctiv-Salz), daher auch der Indicativ-

Satz als das eigentlich logische Urtheil bezeichnet wird 10).

Das letztere (ngöraaig) wird nun vorläufig in das kategorische und

das hypothetische eingelheilt, hierauf aber sogleich bezüglich des kate

gorischen die Angabe der wesenllichen Beslandlheile angereiht, wobei

mit völliger Entschiedenheit die Dreizahl derselben, nemlich Subject,

Prädicat und „Copula" '(vg'- vor- Abschn. Anm. 370) ausgesprochen

wird n). Indem sodann die Erörterung der Verhältnisse der Quantität

(allgemein, particular, singulär, unbestimmt) und der Qualität folgt, ist

zu beachten, dass nicht bloss neben speciellen Definitionen des allge

meinen und des individuellen Subjects-Begrifles (OQOS KOLVÖS und b'pog

cvixög) ein besonderes Gewicht auf die grammalischen Zeichen (öJjft£ta)

der Quantität gelegt wird , sondern auch acht schulmässig drei Fragen

V(Sv ilaxr) OQyrjV ij %"(><*?' ({.lavy 9-tati Oijftovrixri tanv 7; xa-rn TTJV TOU

S-e/teMov ^irjOiv OTIOVV TiaQtariäaa, oiov av&(>tü7iog. T(äv atj/uavTixäv

tftoviäv f) p.tv lariv anlrj xal acfv/ATiiexTos, oiov TÖ ovofia x«! TÖ (>>j|"«j n

oi aüv&tTog xal avftneTiieyfttvri , oiov ö i.6yo(.

8) I, 2.

9) I, 3. Der Schluss des Capitels lautet (p. 9.) : 'larfov de 011 % ätttlexitxr)

fivü fiova ilSr\Gi pifyij TOV Aöyov, 10 ovofitt ärjiaSri xcu TÖ ^>j/^cc' rä

ät ii.U.K jU^p») xaiei TiQosxaTrjyoQij/tttTtt (aus Petrus Hispanus sowie aus Wil

helm Shyreswood, verglichen mit der oben, vor. Abschn. Anm. 174. angeführten

Stelle Priscian's, ist auch hier sicher ovyxai'ri'yoQrjftnta zu schreiben) rffow

10) I, 4, p. 9.: jtöyog fort ifiavr] ai)fiavrixri xaict aw&rixi)V ,

ri Xttfr' aiiTK Ori^trtivti xtxtoQiafttva ..... Tüv löyiov öl pfv elat

öl rf' äieicie ..... Tüv <$l TtkiCiav ).6yoiv öl [i£v fiaiv ogianxol, oiov av~

•S-Q(Ü710S Tflfyll , Ol (ft 7t()00"T<tXTtXol, OlOV ttTlTl 71VQ , Öl (Tf CVXTlXol, QJf TÖ

ytvoiro xctiös xlrjQtxös, 01 tf^ vnoTaXTixoi, oiov «v W>*j)s TiQog ftt , ätöaia

aot Innov. TovTtov o*£ TIVLVIIOV o OQiarixog ftövos ioyos tail rtQÖiaat;,

fnti ftövo; aitf&eiav >j ipevöos ai]f:ict(vei..

11) I, 5, p. 13.: riyöraale taii ioyog ai^tiuv r} i^eHäo; or\(ntttv<ov . . . .

Ttäv ngoräatiav f\ piv xaiijyo(>ixfi i] fit iino&iTixy. KarriyoQixi) nfiörrtafs

laii iöyog xaTCHfctTixös fj nnoffctrixös nvos xara nvos T\ iivbg ano itvoe.

Karr)yoQixr/ nqinttaCg fariv ff fyovau vTioxeC/aevov xai xarr,yo(>ovf4evov xcu

avvfitv (dass diese zwei Worte im Texte ausgefallen waren, zeigt sowohl Petrus

Hispanus als auch das sogleich Folgende) $v , oiov „ar&Q(onos TQfyet"' tv

ry ngoTÜaii ro „av&Qianog" failv V7ioxel/j,tvov xal rö

avfrvyvvai xa&änep iig avvdfapog ro ¥v /j.ticc TOV ST£QOV. Sowie ans

dieser Stelle mittelst der lateinischen Logik des 13. Jahrh. der noch heutzutage

recipirle Sprachgebrauch floss, so möchte ich auch die Möglichkeit nicht geradezu

verneinen, dass jene obige Stelle Abälard's (vor. Abschn. Anm. 370.) gleichfalls

auf einer versprengten Notiz byzantinischer Schuldoclrin (s. ebend. Anm. 33 f.)

beruht haben könne.

XV. Psellus. 267

lümmln i werden, welche sich anf die Substanz des Urtheiles (ovala,

A. h. ob kategorisch oder hypothetisch) sowie auf die Qualität und die

Quantität desselben beziehen ").

In gleicher Weise wie bei Boethius (Abschn. XII, Anm. 125) knüpft

sich dann an die Bemerkung, dass zwei Urtheile entweder ihre beiden

Begriffe oder Einen der beiden oder keinen gemeinschaftlich haben

können , sogleich die gewöhnliche Angabe bezüglich der vier Urlheils

formen (allg. bej., allg. vern., pari, bej., pari, vern.), wann dieselben

conträr oder conlradictorisch oder subaltern oder subconlrär seien 13),

und die hierauf bezüglichen Regeln werden durch die Einlheilung ein

geleitet, dass der Stoff (v).rj) der Urtheile entweder eine Notliwendigkeit

oder eine Möglichkeit oder eine Unmöglichkeil (avctyxctict , £vde%o-

(nfvrj , aSwctrog) enlhalle 14).

Sodann wird gleichfalls an die Gemeinschalilichkeil der beiden

Termini die Lehre von der Umkehrung (avtiGrp.o<pr\) geknüpft, und zwar

zeigt uns auch diese hier die nemliche Dreitlieilung (uTtiij, xctTa ut-u-

12) Ebend. p. 15.: Tiäv xarqyoQixtov HQoraaitav »; (*iv xattoiov rj rf£

fteQixfj rj dt «TrpofcTidpiffrof fj ef£ ivixrj. Kai xa&öliov fifv fanv, (v % 6

xoivbg öpo? VTioxiirai arjfisty xa&öiov Jiuogäifuaia/*{vof ____ xoivog öl 6'po?

iarlv ö xarä nltiöviav Myia#ai nfyvxüs (eine weitere Verwendung des opo?

xoivös s. unten Anm. 69.) ... ari/teta <f£ xa#<Uou eial ravra' nas, oväe(sf

ixaaros, fxccreoog xal rä '6/j.oia. (p. 17.) Ilijöiadie ficQixri fariv, (v % o

xoivbg SQOS vnoxfirui aijfASltp (J.t(>ix<p •nijogäitoQiaf4fvog' OrjutJa ät nnjixü

eiai- Ttivra' ilg, ereftog, «üoj, ioinog xal TU oftoict. ^noosaioQiarö; lariv,

iv y vnöxeiTat ö xotvög OQUS «ftu ar\[*iCov . . . 'Evixrj <!' fariv, (v f/ vnöxnrai

ÖQOS SuoQiafitvog rjyovv tvixbg fj xoivö? /terä äetxitxij; nvTta'vvfila;.

.... "Opof fvixos (anv ö x«#' ivos p.6vov ).fyea&cii neifvxoi;.... "Kn rtav

XKTtjyooixiäv nyoiaaeiav rl fitv fan xctTaffctnxfi ij rf{ cmoifctuxri ...... Tijs

TipoTäaetos rpi^eä? dtaiQovfjifviig latfov (OT(V , Sri xal TÖ Tregl TUVT^S &-

Tov/*tvov TQmloiiv 'tanv , oiov' T($; noCa; nöarj ; To ftiv ovv ,,T(S" ZyTti

ntgl /j.övrjf irj; ova(«s, *i> „wo/a" negi irjs Troiörijroy, TÖ „noai)" ritql

rfis TioaÖTrjros' o&ev xal ngbg rrfv f^tärrjaiv ti\v fitv Siit rov ,,T(S" yevo-

(tfvrjv &noxqi.T(ov , ort xctTTjyoQixi] f) vno&tTixrf ngbg dl rrjv äia TOV

„7io(a", 011 xaiaifanxr] fj anoifatixri' ngog äl rijv rf/ä rov „Ttöarj", ort

xa&olov fj ittnixt] (ausgefallen ist fj evixf) r\ «Tipojrftoyiffrof).

13) l, 6, p. 19.: "En riäv xarriyoQixäv ngorädttov al /ulv xoiviavovatv

tt^aforfgiav räv OQIOV , jovrtati rov vnoxti^vov xal rov xarriyoo

oiov ö iiy&Qtonög tan fyov, 6 iiv&Qconog oiix farl £$ov eil äf

oiov iivS--goinog TQfyti, Kv&Qtono; fteiifytttu, ij civ&oionog

tivS-Qionog xivtTTrrccttii'' aiiai dt ovdevof, oiov 6 nn^^ääriav äinxal

iTT-rcog xivefrai ..... (p. 2l.) "Ert rtav nQoruauav riäv xoivtovovaiüv

itft<fO\fyuv riäv S(>tav xnl rfj aiirfj rägei nl pfv etaiv Ivavrlai «l ök

vnivavrlai, al fj.iv avriifarixai cd Sf {inäi^ioi u. s. w. ; auch die übliche

Figur (s. z. B. Abschn. XI, Anm. 157.) fehlt nicht.

14) Ebend. p. 25.: Täv ngoräaeoiv rQiirlrj Ittriv 17 Sir], $i]).ovöri &vctyxttla,

lvde%ofitvri xal aivvctrog. jlvayxula vit] larlv, iv g rö xarriyo-

Qoiipfvöv lariv (x^ rf^g ovaCag rov ii7ioxtifj.(vov fj idiov avrov' oiov äv9-(>tanog

(an f«j(3ov, äv&Qtonog tan ytiaanxös. 'Eva ejfofitvri vir) lariv, fv y

TO xariiyoQov/uevov dvvarui Ivefvat xal untivttt, rov vnoxHufvov aviv rfj;

TOV vnoxsipi-vov q&oQae, oiov 6 avS-goinög lan Itvxog, rj 6 xöp«f tarl

ftfias. Mvvarog vir; larlv, Iv | TÖ xarijyo(>ovfj.evov ov Svvarui awtlSelv

r^» ünuxuutvM, oiov av&Qionös lartv ovog. Nö/to; r<3v fvavrttav tariv

n. s. w. Die Quelle der Itreitheilung s. Abschn. XI, Anm. 157.

268 XV. Psellus.

/?£/}»jJto'ff , Km ctVTidiGiv). welche wir bei Boelhius (Ahschn. XII, Anm.

129 f.) trafen 15).

Hierauf folgt in einer völlig verrückten Anordnung, deren Unrich

tigkeit die lateinischen Bearbeiter gar nicht bemerkten "'), zunächst das

hypothetische Unheil, hierauf wieder die Aecfuipollenz der kategorischen

Urlheile, und dann die Lehre von den modalen Urtheilen (während,

wie man auf den ersten Blick sieht, nach der Conversion die Aequipollenz

folgen musste, und hierauf die Lehre vom hypothetischen ("rtheile

und dann jene über die Modalität sich anschloss). Was hiernach

vorerst das hypothetische Urtheil betrifl't, so wird dasselbe nach stoi

scher Weise in das conditionale (£| ctxoi.ov&la$) , das copulative (ev(t.-

jiAttmxT)), und das disjunctive (dicffwmxi;) eingelheill (— bei Boethius

war von dem „copulaliven" Urtheile keine Rede, s. Abschn. XII,

Anm. 141 —), und jede dieser drei Arten nach formalen Regeln be

züglich ihrer Wahrheit oder Falschheit näher untersucht11).

Ueber die Aequipolleuz kategorischer Urtheile (leoSwu^ovoai ngoraGEig)

gibt Psellus sofort ohne alle weitere Begründung in lediglich

schulmässiger Weise vier Regeln (xavoveg) y deren jede er mit einem

Beispiele belegt 1S).

15) l, 7, p. 29.: "Eri Ttäv nQoiKOtwv , ai ftftfyovaiv äfKfioj ty<ov ttäv

ooaiv , «t>Ttai(>a[j.fi,{vri Ty T «ff/ TOi/ä; lanv rj avnaTQoqy • äniäf, xarä

avftßtßrixös , xai XUT' aVTi&taiv. Auch die Regeln entsprechen genau den bei

Boetbius angegebenen, so dass, indem die Lehre von der Umkehrung sich in dieser

Form bei den Commentatoren nicht findet, bei den Byzantinern jener Zeit eine

Kenntniss der Schriften des Boethius vorausgesetzt werden muss; dass Psellus

selbst denselben cilirt, s. Anm. 28.

16) Sowohl Wilhelm Shyreswood als auch Petrus Hispanus folgen dieser

verkehrten Reihenfolge; nur Lambert von Auxerre lassl das an eine falsche Stelle

gekommene Capilel über das hypothetische Unheil hinweg.

17) I, 8, p. 33.: rfQÖraaif vno#trtxri ttjTiv, f/s äjj^oftrfjj [I£QJI fial ävo

xairjyofiixat "Ett TIOV vno&tnxtov nQuiäaitov ij fifv tanv It; axoiov-

&(ct$ T] äe avfj,niixTixri rj äl diafcvxnxq. 'E| «xoÄou?i'«ff (tlv ovv tauv,

tv $ avvÜTTTOVTtu at diio xarrjyoQixitl cf'iä TOV auvdtauov TOÜ ,,tl1'

(p. 35.) avfj.7iltXTiXT) ä£ faiiv (f y awctniovrui at ovo xctTrjyoQixai ziji

„xu(" awdtafjy öiafevxrixri ä' lativ, (v 5 awaniovrac al ävo xait]-

yoQtxKi äia TOV „?)'" avvd{a/Aov (die stoische Quelle dieser Dreitheilung s.

Abschn. VI, Anm. 125 ff.) .... ÜQÖS tijv aiq&etctv TTJ$ ^| äxnioviHas £i]Tfiicti

ro Trjv 7i^oriyovfj:^rrjV /J.TI dvvaa&ai ali)&ij civev rrjg f7iofj,£vr)s ngog dt

TO ifjfüdot; ctvfrj-,' «7ro££>7/ TÖ TrjV TiQorjyovfAfrrjv dvVttG&tti dirj&ri xai cci'tv

rijs «TTOjU^j'jjs (s. ebend. Anm. 146.) Ifgos rijv rijs avfj.nli.exTixijs «A>j-

&eiav fjjr£ir«( TÖ txäieQov cwrrjg iiav [ttQÜiv älri&es flvai .... HQOS rft TO

ipeväos ainfis äpxet TÖ üäreQov iiav /j.f(><iiv avrrjs tlvm i//futf/s (s. ebeod.

Anm. 155.) UQOS dt rr^v akrjä-eictv rijs fltttfcvxTixrjs anö^Q'H ib dÜTtgov

avTrjt fi^Qog elvai äir)S-fs TIQOS ät TÖ tytvdos ctvrijs frjTtiTai uti</ v> T«

ptyri aiirfis tlvcu vpeväij (ebend. Anm. 156.). So bezeugt uns Psellus, dass

stoische Schul-Logik in der Tradition bei den Byzantinern fortgelebt haben muss,

wenn auch die uns erhaltene Litteratur der Commentaloreu uns hierüber keine

nähereu Aufschlüsse gibt.

18) I, 9, p. 39.: 'ETTO/J.IVOV mgi r<Sv laoövva/Aovaöiv n^oräattai' ätt

öetogriaai , ne(il <uv TOIOVTO( TIVSS äCSoviai xavovtf. 'Eäv TLVOS atj/j.e(ov

^ xu&6i.ov OVTOS rj ij.toizvi/ TipoTf-'/g TÖ aQvrjTixov jj.o(>(ov, laoovvcifj.tr ry

oixe(y aVTKfajixy .... Ztrürtqos xav<i>v tanv OVTOS' luv nvos Ot]/j.tfuv xa-

&oiov varfgov Tt&rj TO ccovrjjixov fj.oglov , laodvvafttl T(!> fvaVTfy eaoTov.

— TQ(TOS XttViäv'fan roioüro;- l«v nvog xaS-olov y [jLegixov

XV. Psellus. 269

Hierauf wird die Modalität der Urlheile (T^O'JIO?, s. Abschn. XI,

Anm. 159) definirl und unter den adjeclivischen Redelheilen, welche

als Ausdruck des Modus dienen sollen, insbesondere (mit Verweisung

auf Priscianus) das Adverbiuni gleichsam als Adjectivum des Verbums

hervorgehoben ; unier den Adverbien selbst aber erhalten diejenigen eine

speciellere logische Bedeutung, welche das Verbum bezüglich der Urtheils-

Bildung (ßw<&eai$) näher bestimmen, und es werden als solche

die sechs Adverbien «vayxaiwg, Ivfojjoft^ixaff, övvaTiog, äSwuTtog, äi?;-

i>«£, tytv&ms aufgezählt, durch welche allein die Entstehung modaler

Urlheile (i^omnal ngorüßsis) möglich sei 19). Nach der Bemerkung,

ilass es für jene sechs Bestimmungen auch substantivische Ausdrücke

gebe, wird nun das Charakteristische der modalen Urlheile in den Um

stand gelegt, dass in denselben eigentlich das Verbuui das Subject und

der Modus das Prädicat sei, was bei allen übrigen Urtheilen der blossen

Inhärenz nie stattfinde; sodann aber wird die Besprechung der beiden

Adverbien ttir)&(5s und tysvdäs als überflüssig erklärt , weil bei diesen

beiden Modalitäten die Verhältnisse des Gegensalzes und der Aequipollcnz

u. dgl. völlig die nemlichen seien wie bei dem einfachen lnliiirenz-

Urlheile 20). Nachdem hiemit nur die vier Modi der Notwendigkeit,

TiQoie&rj x«l vaTeQOTe&fj r 6 äyvriTixöv fioqlov , laodvvaftiZ Tip Idtip vnu).-

Itjito.... 'Ex TovTtav itöv xavoviav lis TOIOVTOS äxolov&et xaviav fav ävo

nrjfjtiu xaS-öiov anoifttTixa Tt&äaiv (v Tip icinia ioyif ovTiag tugre TO tv

Iv Tip vnoxttfj.(v(f td ät loinöv fv T «p xaTTiyoQovutvy tlvat, <f/ä TOV TIQIÖ-

TOV laoävvajttl T$ IvttVTlip eavrov, oicc rf£ TOV otvrfyov ty iäfy änotfaiixip.

Es entsprechen diese* vier Regeln den Angaben des Boethius , s. Abschn.

XII, Anm. 117.

19) Ebend. p. 41.: Toonos lorl Tuwrexeiftevtis ly ngäy/Aait nftogSioijififjiis

äi' tTii&trov ywofttvos' ccii.' lud ro fnl&tTov tan &m).ovv, l-ari

yttQ Inlü-fiov öröftaroe , olov iivxös uihtty xal ouoia, xai tativ tnl&eiov

p^,u«TOff, olov TÖ tn(QQtifi.a, xctia yao TOV üfiiaxiavdv (Prise. Inst. gr. XV,

], 1; übrigens hat diese Citirung Priscians durchaus Nichts auffallendes, da der

selbe bekanntlich in Konstantinopel lehrte und wirkte) IntQQrmä £OTIV Int&eTov

p^jU«roj, fiä TOVTO xai ö TQÖTIOS äinlovg iOTi (p. 43.) "Eti TIUV tmy-

QtlfiÜKüV r« ulv «(poot&vai TO $rjfia iöyif avvdtatto;, oiov Tavta i« tS '

.ctvayxattoi , (väij(Ofifv<a; , ävvartSs, txdvvÜTtos , äA»;#ft)£ xai ifisvöäs' fä

<fi a<fO(>C£ov(5i, TÖ (>fi[ict %ü(>iv TOV 7if>üy/4aros Ta rfi aifOQi^ovai TO

$rjun iöytfi XQÖVOV Ji/Jl« rove all.ov; euffvTts TIÜVTU; neqi TiSv TYJV

aiiv&totv atpoQi&Viiav tgouf^iv , oiöv elaiv OVTOI- ävayxaftos, tväexoptvus

xai TU iomü (p. 45.) fjtovos Ixelvo; ö Tr)V avv&ioiv ayogl^iov Toönos

Tioiti TftomxTjV nQÖTtxatv, xai Jieol Ttäv TOIOVTOIV fiövov tvTav&ot Oxonov/

a €f.

20) I, 10, p. 45.: 'IOT^OV ät, OTI OVTOI öl ?f TQÖnoi TIOT^ f*.lv la/ußävoVTCtt

tntQojinaTixia;, oiov avayxnCtag, tväi%o[t£v<as, noTk St övofictTixtäs,

oiov ovvaiöv , aifvvctTov , avayxawv, ivSfjföfitvov , cd.ri&(s, ipfvätS'

(p. 47.) "ETI larfov, OTI fv Talg ftera Toönov ngoTÜaeai TO [tcv (tripa

ätl vrtoxtia&ai , TOV <f£ TQÖTIOV xctTr)yo(>tia&ai • -nftani dt al «Hai ngoriioetg

MyoVTtti ntol TOV noogflvai, äia TO Tiav fitTa TQÖnov ngoTÜaeiav xctl

TÖ nag tlvui ärj).ova(äv avTas ät fiövov neo\ TOV ngogeTvftt T(p vnoxeiftfviji

TO xctTriyoQovfiiVov ärjlovactg' u&ev xai r] Tr^s ngoTÜaeios 6<ptikofi£vri äiattf^

A»), OTI SrjlovoTi TIÖV ngotaaiiov fj fA.lv TQonixr) T\ Sk neol TOV

ai. 'AIX (xelvai [itv at nQOTaaeig, alg TO ülyd-ts xai TO Tpeväos

Tai, las TQÖnog nuQtla&iaaav äiit TO TOV KVTOV TQÖTTOV iv aiiTais

ytvta&ai Trjv HVTC&taiv xai r« MI n a, ov Si] xav Talg äHais TitTg mal

TOV

270 XV. Psellus.

Slallhafligkeit, Möglichkeit und Unmöglichkeit übrig bleiben, folgt die

Angabe, dass für ein Urtbeil sich hiedurch sechzehn Formen ergeben,

denn hei jedem Modus sind vier Formen möglich, da derselbe entweder

ohne alle Negation ausgesprochen sein kann, oder die Negation ent

weder beim Verbuin oder beim Modus oder bei beiden stehen kann21).

Und somit werden nun bezüglich dieser möglichen Formen weit aus

führlicher als bei Boethius (Abschn. XII, Anm. 122) die Verhältnisse

des Contradiclorischen, Conlrären, Subconlrären und Subalternen unter

sucht22), und das Ganze nach üblicher Schulmanier in eine Figur ge

bracht23), worauf noch speciell die Regeln der Aequipollenz dieser

21) Ebend. p. 49.: 'lartov äe Sri fxaaros luv TOVTIOV TQÖntov noiti

TiQOTiiaetg ryonixctg rfaaufifts, xcti ovTia TÖ>V TQOHIOV OVT<OV Ttaaaqiuv at

UQOTttaeig elol reTQaxts rfaaaQtg riyovv 8exct£%' il yan Iriif&flij o nodÜTo;

Xtoplg af>vyae<os, noiei filav nf/ÖTaaiv rgonix^v ei t-rnfS-tlt) fj.fi* äpvrjatiag

nQogxtip.t'vrig ry ffi/uaTi (die letztern drei Worte sind im Texte ausge

fallen), noiei iTfQttv rrjv TolTijv noiti ngöiaaiv, et lii]((9-e(i) .fttr' «gvrjOttog

nQugxti^vrjs Tip TQÖTiy *i\v TtTayrriv noief, et ir^S-tCrj ui-ia

ävoTv «Qvriaefav, rfjs /"'«f /*tv nQosxnfifvrjs ry §r)[*crft rijs rfi erfgas noogxeiptviis

Tip TQÖn<p — Kai TOVTOV TOV rgönov tifi' txdaiov rtäv reaaaQtav

TQOTHUV «t rporBfffif, la/tßävoVTat. Wahrscheinlich konnte dieser Abschnitt

der Schul-Doctrin aus Syrianus entnommen werden; wenigstens scheinl derselbe,

soweit wir ihn früher (Abschn. XI, Anm. 98. u. Abschn. XII, Anm. 118.) kennen

lernten , völlig der Mann zu solchen Combinaüons-Spielereien gewesen zu sein.

22) Ebend. p. 51 : lloiaiog xccvtöv, i'm m av xari«/ IITIXH'X; eli>iifitt'«>

TO dvvmbv, TOVIKI anoSläorai xai id fvoejfö/^tvov öfioltag,

i rff aiiTov TO ääüvarov, xai ttVTKfanxtäs TiQoeVTjvey/Ae'vov ärro-

(fäaxeiai xai 16 ävayxKiav.^

zfevrfQOs xavtov , Sri <t> av uno<f>aTtxi3g tlQi\f*t'v<t> anoSiSäitti TÖ Svvarov,

TcivTip ctvrä anooföoTcti, TO h'ä exoftevov , omotfäaxtTKi, äl cevrov

TÖ äävvaTov, xai ävTKfarixdif n^oevrjvey/ue'vov äTtoffädxtTai, TÖ avttyxaTov.

Tglrog xuvtüv, Sri. ov av xarayaTixiüg ei^rj^vov antxfäaxriTai tö

ävvaTÖv , anb rov aiirov änoif,äaxerai tö i"vöe%6f4evov, anoätdoTcu (fi

«ür$ TO uävvuTov , xai Ty TOVTOV uVTiymixiäg £vaVTCif> anoSlSorcti TO

ävayxawv.

TfrctQTog xaviov , OTI ov av anoffUTixtüg elQrjf*.{vov äno<paaxr)Tat 10

dvvuTov, TOVTOV &no(fiäaxtrai rö tvöfxöfj.i vov , KnodläoTai Sk avry TO

aävvctTov, xai TOV «VTiifaTixiäg TOVTW ävTtxeifie'vov xaTaffaßXfTKi TO ävay-

V.KIOV.

23) Ebeod. p. 53.: "O rfijAov Tavry Ty tx»taer

XV. Psellus. 271

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IlaQ-va-at-ov

272 XV. Psellus.

modalen Urlheile, jedoch mit Hinweglassung des IvösjjdfiEvov , hervor

gehoben werden - '). Dabei aber ist uns im Hinblicke auf die latei

nische SchuI-Logik von grösstem Interesse, dass hier bei Psellus zum

ersten Male technische Memorial-Worte erscheinen (ähnlich den in der

Syllogistik angewendeten, s. sogleich unten Anni. 45 ff.); es erhalten

nemlich die vier Vokale A, E, I, OT eine symbolische Bedeutung

für die viel1 Formen, welche bei jedwedem Modus möglich sind, indem

A das modale Urtheil bezeichnet, in welchem keine Negation ist,

E jenes, in welchem die Negation beim Verbuni steht,

I jenes, in welchem die Negation beim Modus steht, und

OT jenes, in welchem die Negation beim Verbum und beim

Modus steht25);

und aus diesen Vocalen sind nun für die übliche Figur Worte gebildet,

welche nicht bloss für sich 'wenigstens wirkliche Worte sind , sondern

auch bei ihrer Zusammenstellung in Einen Satz einen verständlichen

Sinn geben, nemlich : „Jovkovntvcu 'Ihäötg IlaQvaaiov lxr(>e%ov<iiv".

Nachdem auf diese Weise die Lehre vom Urtheile erledigt ist, folgt

der Inhalt der Isagoge, wobei die quinquc voces als "

(— praedicabilia —) bezeichnet werden, und bezüglich ihrer Gellung

die Auffassung sich zeigt, dass das eigentliche Prädicabile und das Uni

versale an sich das Nemliche seien (vgl. Abschn. XI, Anm. 130 ff.) und

nur dadurch sich unterscheiden, dass ersteres durch den Sprachaus

druck und letzteres durch das objeclive Sein bestimmt sei -(i). Die

24) I, 11, p. 57.: 'Imfov, STI näaai cd nyoTÜaiis al iv Ttj>

xe(ftfvai atiiälai laodwctfAoiiai rf«ä TOV ngiöiov xctvovos xal uVTiaTg

(v eavTcifs, KI <f£ £v ry devT^py äia TOV äsvifpov, xal OVTIO xant iwv

äiitov u. s. w (p. 59.) Tarfov <f£, Sri fv ry nQoeiprj/ufry oii yfyovs

ttvrjftri nf(il TOV tväexoufvov äia TÖ avTiOTQ^nv avTÖ Ty ävvary (über

diese Gleichsiellung des ivöt%6ufvov und des ävvaiöv vgl. Abschn. XII, Anm.

119. u. Abschn. XIV, Anm. 216.).

25) Ebend. p. 59., woselbst Psellus die Erklärung der Vocale obiger Memo

rial-Worte (4ovlovfj.evai, 'Iliääes u. s. f.) gibt; allerdings aber zeigt uns der

gedruckte Text in sinnloser Weise die vier Buchstaben A., B, F, A; hingegen

enthielt die oben (Anm. 5.) erwähnte Handschrift (fol. 7 a) ursprünglich das völlig

Richtige, wofür eine spätere Hand mit schwärzerer Tinte das Falsche hioeincorrigirte.

Es lautete nemlich die Stelle in der früheren, noch deutlich erkennbaren

Lesart folgendermaassen : 'lartov rfi, ÖT< äia r oii „A" voclrui ij XK&Ö/.OU

(x TOV fi^Qove TOV pij^unro? tiftutiac, xal TOV TOÖTIOV, öiä TOV

l><o&tv aTioif'KTixrj 'ix TI TOV Qy/uttToe xal TOV TQÖTIOV.

26) II, Prooem. p. 61.: Tö xctTrjyoyixöv nort fifv iaußävtTai xvolats

xal ovTia fiovov xttTrjyoQixov ItytTtti , 5 Inl nlewvtov MyfTou-, TIOTS <Se

ia/^ßävctni xoiväs, xal ovTia leytTai, xaTijyoQixov, oiifQ fj xa&' tvo; fj.ovov

rj xaTa -nitiüviav xaTTjyooeTTCti. 'O\>ev TÖ XVQ(IOS iaußavö/uivov xaTi)yo(>ixöv

TavTÖv IOTI tfti xci&ölov' ätcuffyei rfi «VTOV öutas T<j> TÖ u.fv XUTTJyoqixbv

6()C£ea&ai Ty ifyeaS-ai, TÖ ffi xaüölov Ttp etvcci' Ion <fi TÖ xairfyoQixdv

TÖ nfifvxöf XUTU 7iieiöv<ov xaTijyoqfTa&ai, xa&ölov tff TÖ neyvxds

fv niiloaiv elviu (wahrlich eine bequeme Verbindung des Platonismus und des

Aristotelismus). Tb Sk xaTrfyoqixbv fjyovv xa&öi.ov d'iatottiui yfvti ,

xtil ßvfißtßyxÖTi' o&fv Tifgl TQVTIOV IVTUV&OI

XV. Psellus. 273

Besprechung der einzelnen i'ünf Worle und ihrer gegenseitigen Verhält

nisse 2") enthält durchaus Nichts bemerkenswerthes, weder an sich noch

bezüglich der Schul-Logik der Lateiner. Höchstens das Eine mag er

wähnt werden, dass Psellus einmal ausdrücklich den Boelhius citirt28).

Die hierauf folgende Lehre von den Kategorien wird durch

mehrere Erörterungen, welche in einem äusserst losen Zusammenhange

stehen , eingeleitet (die lateinische Schul-Logik nennt diesen Complex

An/F.praeilicamt'nla} ; neinlich zunächst werden die Verhältnisse des Ho

monymen , Synonymen und Paronymen als Arten der Aussage (TQOJIOI

TOV xarriyoQtiv) vorgeführt 29) , sodann als ein höchst notwendiger

Gegenstand die neun Arten des Iv iivi elvai (s. dieselben bei Porphyrius

, Abschn. XI, Anm. 66, und bei Boethius, Abschn. XII, Anm. 92)

aufgezählt 30), worauf die Erklärung des na&' vnox£ifi,£vov und des Iv

vnoxf.if.iivm sich anreiht31), und zuletzt noch drei Regeln gegeben

werden, deren erste namentlich den Grundsatz (die sog. regwla de quocunque)

einprägt, dass alle Prädicate eines Prädicales auch vom Subjeele

gellen"). Die Kategorien selbst werden, wie wir diess schon früher

sahen (Abschn. XI, Anm. 68. und Abschn. XII, Anm. 90), auf das Schrofl'ste

in Substanz und Accidens getheilt33), von den einzelnen Kategorien aber

, 27) II, 1—7, p. 63—95.

28) II, 4, p. 79.: 'latfov il, OTI ifrjdlv 6 Bor/Tiog (Boeth. de Üivis. p.

644., s. Abschn. XII, Anm. 99.) [tövov TO fläog ögC&a&ai- 6 fifv yag öfiiauog

fx ytvovg xai ßvararixäv flvat öytttti dictifogtöv, [iovov dt TO eldog t%et

•yfvog xai fiaifOQÜ;.

29) III, l , p. 95.: JlQog TIJV tnCyviaOtv TIOV xarriyo^itäv ävayxaiä

Tiva noovnoTifKj^evoi TIQIÖTOV elra In' avTag ßafliovfie&a' xttl Srj ngärov

lorfov, OTI 6 TOV xatfiyoQtlv TOÖTIOS rgtniovs iaTi' Tiav yäo xuTrfyoftovfitvtav

TO p£v ttdiv 6fA.tavvfj.ct TU äe avvtövvfiK TU äf n«(>(övvfj.tt. 'O/ua>-

vvfia eiaiv n. s. w.

30) III, 2, p. 99.: T<Sv liyopfviav T« fj.fv elai avjj.nen).ty[j.fvtt, oiov

„KV&Qionos T^^ffi", rä dt avtv avfinioxij;, oior „avftQwnog" ft „Tofyei".

Mia naiv rj TO eTtgov jU^()o? Trj; SittiQ^atiag vnoäiaiQifUjvai <?ef äiaartilaa&

tti Toits £wta TQÖnovg TOV %v TIVI flvai , itvctyxaCovg oVTttg TTQÖS TTJV

f.noufvrjv diatgtaiv xai n<)6g aiia nävTtt T« fj.tTa TBÜTK ätoQta&ijaö/^evct.

Im Folgenden jedoch werden nur sieben Arten aufgeführt, indem das tag eldos

fv ly yfvti und das (og ytvog tv Ty tlSti fehlen; die Reihenfolge der übrigen

ist: log fifQog iv Ty oi(a — , tag oiov fv ToTg {ut(>eat - , tag däog (v viy

—, tag avftßfßrixÖTtt Iv vnoxeifJLevip —, «5? ff noiijTixy — , tag (v rAUt — ,

las tv ayyeCtp.

31) Ebend. p. 103.: Ttäv OVTIOV T« fitv eiat xa&' vJioxetftfvov, fv VTIÜxei/

Atvip St oiiSfvC tiat TO ģyea&ai xtt&' vnoxeiufvov, mg IvTcev&ct

iafjtßavetai, lUTl TÖ TOV iinoxätia XKTtiyoQtitt&ai TO <f' elvm iv vnnxtifAtvii},

(Ag li/Tav&a ).afißäveTai, XKTÖ TO avfi߀ßrjxög ZuTiv $v vnoxttfitry

T« <Te ifyfTcti xn&' vxoxfiutvov xai eiolv (v v7iox£t[j.(v<p Ta

<f^ tialv Iv vnoxtiftfvta xcti xaS- vnoxtijjifrov oiiSivog ifyovTtti Eine

versinnlichende Figur hierüber, wie sie Boethins gah (Abschn. XII, Anm. 92.),

findet sich hier nicht.

32) III, 3, p. 105.: "OTKV tTfoov ertgov xctTijyoQiJTai, Sau xaia TOÜ

XKTriyoQovfj.(vov ifyovTai, xttl xtiTu TOV V7ioxfift(vov Taina nävTa ifytTai.

Tiäv äiutfogiov ytviSv xcil ftr) vn^ nii-rjia TtTayfifviav 3iä(toQ« flai

TU tWi) xal al äicuf.oQal Tiüv ff£ ye vTräil'qJt.a yevtov ovdtv xtoivfi

rag avTag <Fi«<fopnf etvai ....

33) III, 4, p. 109.: Ttäv St XKT« urjöefifav av/j.n)(.oxi)V lfyo/j.tv<ov sxafj

ovolav arifiatvti fj avf*ßeßr)xog- xni el Ovfißtßrjxög, fj TTOOOTJ;?« rj

PRANTL, Gesch. II. 18

274 XV. Psellus.

nur Substanz, Quantität, Relation und Qualität in ausführlicher Erör

terung34) und ganz kurz noch Thun und Leiden35) besprochen; die

übrigen fehlen. Bemerkenswerthes bietet auch dieser Theil des (Jörnpendiums

nicht dar. Der Anhang zu den Kategorien , welcher bei den

Lateinern Poslpraedicamenla heisst, enthält hier zunächst die übliche

Lehre von den vier Arten der Gegensätze '"'), hierauf Angaben über die

verschiedenen Bedeutungen des ngöfegov 37), sowie des afta 38), ferner

über die sechs Arien der xivijöig3'-'), und endlich hinkt hier Doch die

Besprechung der Kategorie des Ijjsiv in einer Aufzählung der mehrfachen

Wortbedeutungen nach40).- Die Quelle aber all dieser letzteren Capitel

scheint Themistius zu sein41).

Indem nun unmittelbar hierauf die Lehre vom Syllogismus folgt,

wird ohne alle weitere Anknüpfung an Früheres sofort mit der Definition

des Urtheiles (jrjjöißöig) und jener des Begriffes (0905) begonnen, woran

sich die Erklärung des wnot nonnös und . xarct nrjSevöf (diclum de

omni und d'u-lum de nullo, vgl. Abschn. XII, Anm. L32) anknüpft42),

worauf die aristotelische Definition des Syllogismus angegeben wird und

die Dreizahl der Termini die nölhige nähere Erörterung findet43). An

jioiörrjTct fj TIQÖS TI ijyovv uVKifoqttv fj nov rj nork rj xeia&at fj

noielv T/ 7iäa%tiv.

34) 111, 5-9, p. 111—143.

35) III, 9, p. 143.

36) III, 10, p. 145.: Atynai dt hf(>öv TI ävnxeia&ai, tTtg

TÜV y«Q üvTixeijj.tv<av T« pfv etaiv avaifoQixäs aVTixtCfjitva — T«

are^rfiixa . ... ict oV elaiv (vavrCa ..... i« o t eiaiv ävii-tfuTixäg ävnxe(~

ptva ____ Näher erörtert aber werden nur die letzteren drei, denn bezüglich des

Gegensalzes der relativen Begriffe wird auf die Kategorie der Relation verwiesen

(p. 147. : TieQt /J.iv ovv T<ÖV ävcHfiopixäv etpTjrcu TTQOTIQOV).

37) III, 11, p. 151.: Tb rfi TiQortQov MytTat Ttigaj(<og ..... Tipoiepov

xmä Xßövov ..... TiQÖTeyov TÖ /J.TJ AvitOTj/fipov xara ir)V TOV elvat äxoiov-

&rjaiv, iSg7ii(i TÖ ¥v iiyfitti nQÖitQov räv ävo ..... ngÖTegov rfj n't^n

.... TiQQTSyov lö ßfinov ..... IJatia St IOVTOVS roits slQrjfifvovi TfaaciQas

roönovs lariv alias rgönog TOV jiQorfyov rtäv yüt> uvTiarQKfovtiav xara

TIJV TOV tlvai äxolov&riaiv TÖ niTiov oirwfovv &ctT((i(p TOV fh'cet Tiporf^ov

etxÖT(U( (fvaii ItyoiT* uv.

38) III, 12, p. 155.: 'Äfjia. ät Uyejcti XKTK TQCIS TQOTIOVS' .... üv i]

is $v ry cti>Ty %;>6vq) .... TK ävTtaigttfovia, uv fiffTM ovätTegöv fat>

ov KITIOV, ägntQ TU avfupoyixü ...... TB Ix TOV ctvTov ytvovg

39) III, 13, p. 157.: Kivyaew; <?£ fiärj etaiv ?f, öyiovöu yfriais, <p&o(>ü,

av'friais, [tttiaaig, atäoltoaig XKI rj XUTH lönov /tfictßolq u. s. w.

40) III, 14, p. 159.: Tb äe I/ftf noiioig TQOHOIS ifyeTai — fyftv Tl*'«

noioTr/Ta .... fjfetv /tfyeO-os .... 'tytiv TU 7ie$i TÖ ata/j.a .... las fv utgti.

..... (üf £v ayyiiot .... %%iiv XT^ctTa .... <-%eiv yvvalxa ..... ' Ia<as ovv xai

a).).oi TOV tyeiv TOÖTIOI (fiaveffv KV öl öt elat&ÖTe? Ifyea&cti a/tSov nävie;

41) Wenigstens wenn wir diese Postprädicamente mit dem Schlüsse des pseudo-

augustinischen Compendiums (s. Abschn. XII, Antn. 50.) vergleichen und den

Charakter des letzteren (s. ebend. Anm. 42.) erwägen, wird es uns höchst wahr

scheinlich, ibss Psellus hierin ebenso wie in der Topik (s. unten Anm. 64.) die

Schriften des Themistins zu Grund gelegt habe.

42) IV, l, p. 163.

43) IV, 2, p. 165.

XV. Psellus. 275

die Definition der Figur (a^rj^ci , — wobei, wie sich von selbst ver

sieht, nur von drei Figuren die Rede ist —), sowie des Modus (TJ>O'-

nog) schliessen sich dann fünf allgemeine Regeln an, welche auf süinmiliche

kategorischen Syllogismen sich beziehen44). Bei Angabe der

siimnitlichen Schlussmodi der drei Figuren finden wip auch hier in der

ersten Figur ebenso wie bei Porphyrius und Boethius (Abschn. XI,

Anm. 82. u. Abschn. XII, Anm. 136) die Beifügung jener fünf theophrastischen

Schlussmodi, welche auf einer bloss mechanischen Ausbeulung

der vier aristotelischen Modi beruhen (s. Abschn. V, Anm. 46); hin

gegen in der dritten Figur bleibt der von Porphyrius und Boelhius

hinzugefügt siebenle Modus hier hinweg. Die schulmässige Erörterung

sämmtlicher Modi riebst den üblichen Beispielen45) bietel an sich weder

Neues noch überhaupt Bemerkenswerthes dar. Wohl hingegen Irefl'en

wir hier bezüglich eines rein formellen Momentes der Schuldoctrin die

Quelle einer bekanntlich weilverbreilelen technischen Manipulation ; Psel

lus ist nemlich der erste Aulor, bei welchem sich Memorial-Worle

(vgl. Anm. 25) für die einzelnen Schlussmodi finden46). Die vier ersten

aristotelischen Modi der ersten Figur erhallen die Bezeichnung

* '

) ;

44) Ebend. p. 167. u. 3, p. 169., woselbst jene Regeln (xavovts

f exaarov räv ax^ftäcaiv xcd i&v TQoniav) lauten : HQäjog xctviäv (anv,

Sri Ix xa&ct(itöv ftepixiöv f] cmoogSioQlarwv rj ivtxäv ov ävvarai

-

ös, Sf>-tv Sti TTJV (rtyctv ftvai xct&ölov. ^tevTCQÖs (0Tiv, Sri tx

x«9ctQiö( anotfKTixäv ov ävrarai yfvtallai av\\oyiGfi.bg , fi&ev (feT rrjV

eTfyai' TOVTWV flvcti xarttcf ttiixrjv. TQ(TOS löriv, Sri Trjs fTfytis Tföv nQi>~

laattuv ovarjg /LteQixrjs aväyxrj ro 0v/j.7i£o{ta/Aa /ttQtxov flvcfl , ttii' ov TÖ

avÜTictiiv, TtragTos IOTIV, OTI rfjs frto«; TOVTWV ovar/s anoqajixijs

avayxrj TÖ ovun^QaOfta ctTioffterixäv flycti. TK^inrog larlv, OTI TÖ ftfa«v

nvSiiiOTf nnög TO avun^Qctautt ?p/fT«(.

45) IV, 3, p. 169 — IV, 5, p. 193.

46) Allerdings bietet die gedruckte Ausgabe diese Memorial-Worte nicht dar,

sie linden sich jedoch vollständig in der oben erwähnten Aiigsburger Handschrift

(fol. 17 ff.) am Rande eingetragen, und zwar von der nemliclien Hand, welche

den Test geschrieben hat, so dass nicht abzusehen ist, warum Ehinger dieselben

nicht abdruckte. Wollte man aber das Alter der Handschrift (14. bis 15. Jahrb.)

zu dem Einwände benützen, dass der Abschreiber diese Dinge aus dem Compendium

des Nicephorus Blemmides (s. unten Anm. 113.) habe eintragen können, so

fällt dieses Bedenken sofort wieder dadurch hinweg, dass Blemmides bei der

ersten Figur überhaupt nur vier Schlussweisen aufzählt, hier aber sämmtliche neun

ihre technischen Worte bekommen ; ausserdem auch waren die oben Anm. 25.

angeführten Memorial-Worte durch ihre ausdrückliche Motivirung in den Text selbst

verflochten, und wir müssten schon darum den schwer zu bestreitenden Schluss

ziehen, dass wenn Psellus einmal bei irgend einem anderen Punkte eine derartige

Technik anwendete , er gewiss bei dem formalsten Capilel der Schuldoctrin das

Gleiche gelhan bähe; ja zuverlässig waren die Memorial- Worte der Syllogislik die

früheren, und jene obigen wurden denselben erst nachgebildet.

47) Auch hier demnach wie oben (Anm. 24.) sind die technischen Worte so

gewählt, dass der aus ihnen gebildete Satz als solcher einen Sinn gibt, nemlich

„Buchstaben schrieb mit dem Griffel der Gelehrte". (Bei den Lateinern Wilhelm

18*

276 XV. Psellus.

die fünf theophrastischen Modi der ersten Figur heissen :

jtta&f

fäfjldl

die vier Modi der zweiten Figur:

(ÜCTQIOV

49);

die sechs Modi der dritten Figur:

n *

Anadi

lamug

50).

Der Schlüssel dieser Memorial- Worte liegt, wie man auf den ersten

Blick sieht, darin, dass auch hier wie oben die Vokale als Symbole

gelten, nemlich

A bedeutet ein allgemein bejahendes Urlheil,

E ein allgemein verneinendes,

l ein particular bejahendes, und

0 ein particular verneinendes.

Es lässt sich aber auch der Ursprung dieser abkürzenden Symbolik

mit ziemlicher Gewissheit nachweisen; denn für die so eben angegebene

Viertheilung der Urtheile war längst bei den Commentatoren die kurze

Bezeichnung „nag, ovScig (wofür aber sehr häufig ovätv steht), tlg,

ov nag" recipirt51), und man bediente sich derselben bei bestimmten

Shyreswood, Lamberl v. Auxerre und Pelnis Hispanus holen die Worte Barbara,

Celarenl, Darii, Ferio).

48) Diese fünf Worte, welchen den Sinn geben „Durch Buchstaben errichtele

den Grazien eine Jungfrau ein Weibgeschenk", waren bisher gänzlich unbekannt,

da sie bei Blemmides fehlen und nur in jener Handschrift des Psellus sich finden.

(Bei den genannten Lateinern, welche diese Schlussweisen gleichfalls zur erslen

Figur zählen, sind die recipirten Worte Baralipton , Celantes, Dabitis, Fapesmo,

Frisesmorum oder Friseiomorum.) Dass aber diese fünf Modi durch Galenus zu

einer eigenen vierten Schlussflgur umgeslallet wurden, s. oben Abschn. IX, Aum.

98 ff.

49) D. h. „Er schrieb (oder sie schrieb, nemlich die Jungfrau): Erlrage

einen gemässigten Mann, welcher ohne Zorn isl". (Cesare, Campestres , Feslino,

Baroco.)

50) D. h. „In Allem isl der Starke, welcher in gleichem Maasse einem Schilde

vergleichbar ist, der Tüchtigsie". (Darapli, Felaplon, Disamis, Oolisi , Bocardo,

Ferison.)

51) S. dieselbe z. B. Abschn. XI, Anm. 156., in einer Stelle, welche bereite

dem Amnnmiiis (Ende des 5. Jahrh.) angehört. Es mag hervorgehoben werden,

dass bei allen Commentaloren das particular verneinende Urlheil nichl elwa durch

„iivis oii", sondern stets durch ,,ov nag" abgekürzt bezeichnel wird.

XV. Psellus. 277

traditionellen Figuren zur Versinnlicliung der einzelnen Schlussweisen 52).

Und nun mochte sehr leicht es sich als abermalige Vereinfachung dieser

Abkürzung einstellen , dass man nur die prägnanten Hauptvokale jener

vier Worte heraushob, wobei „Trag" und ,,rl$" sofort von selbst auf

A und I führten, bei „ovdelg" oder noch mehr bei „ovSev" das accentuirte

E hervortreten konnte, und dann bei „ov TCCÜJ" das O entweder

wegen des „ov" 'oder etwa auch darum gewählt wurde, weil es der

übrigbleibende vierte Hauptvocal ist.

Nach der Angabe der neunzehn Schlussmodi folgt bei Psellus ein

Corollarium über die syllogistische Tragweile der drei Figuren, sowie

eine Erörterung über die zum Schliessen untauglichen Combinationen

(efyjMjffroi avgvylai) der Urlheile 53). Hierauf wird in aller Kürze über

jene Syllogismen gehandelt, welche aus Verbindungen von Urtheilen des

Statlfindens, Möglichkeits-Urlheilen und Nothwendigkeits-Urlheilen be-

52) Neinlich z. B. bei Pbiloponus (Comment. in Priora Analyl. Venet. 1536,

fol. XX ff.) wird in der ersten Figur der erste Modus dargestellt:

na; na;

nag

oder z. B. der vierte Modus:

ov nag

Für die zweite Figur sind aufwärts stehende Dreiecke gewählt, und z. B. der

dritte Modus ist:

Tij

Für die dritte Figur aber aßwärtsstehende Dreiecke, und dort ist z. B. der

zweite Modus:

• ov n«s

oväfv

53) IV, 5, p. 193. u. IV, 6, p. 195.

na i

278 XV. Psellus.

stehen '' '), sodann aber ausführlicher über die hypothetischen Schlüsse 55).

Die Lateiner fanden für gut, diese beiden letzteren Capilel sofort weg

zulassen. Hingegen fehlt bei Psellus .ein die Syllogistik abschliessendes

Capitel, welches bei Petrus Hispanus sich findet und unter der Ueberschrifl

De potestatiuus syüogismorwm noch einige Punkte enthält, welche

bei Aristoteles im zweiten Buche der ersten Analytik besprochen sind 56).

Auf die Lehre vom Schlüsse folgt nun unmittelbar die Topik,

und es ist zu beachten, dass dem lateinischen Schul-Betriebe der Logik

durch Psellus das .eigentlich logisch-philosophische Werk des Aristoteles,

nemlich die zweite Analytik, nicht zugänglich gemacht wurde.

Die Topik beginnt mit einer ziemlich ausführlichen Erörterung

über TtojHöfiog TOJV JtpotaOfwv (inventio proposüionum) , d. h. über die

Frage, wie der Dialektiker den nölhigen Mittelbegriff einer Beweisführung

finden könne97), ein Capitel, welches die Lateiner übergiengeu. Hier

auf wird Ao'yog nach seinen verschiedenen Wortbedeutungen erklärt,

und unter denselben für die Topik jene als die entscheidende hervor

gehoben, wornach Ä.6yog den MiUelbegrill1 eines Schlusses bezeichnet58);

diess bildet den Uebergang zur Definition des im%tiQriiJUt (argumentum)

und der rtnööeikis (argumenlalio) , woran sich die gewöhnlichen An

gaben über IjMfyojy»? , Iv'JHfftj/fia und nK^äStiy(ia anschliessen , um so

dann zur Definition und Einlheilung des rönog öictfaxTixus zu führen •"''•'>.

Die Anordnung der einzelnen Topen ist folgende: Vorerst die rönoi

loomjMHOi , und zwar zunächst jene Ix rfjs ovßiag, nemlich Ix TOV

oQiGfiov , Ix TJJJ vnoyQaqrijg , Ix Tfjs fQ^vcictg TOV ovofiorog00); so

dann jene Ix TÖV xotvfovovvrfov rrj ovaia, nemlicli ano TOV öKov xul

roii filooug, ano rjjg akiag xal TOV änoTdfGfjittTos , ano ysveaicag, Ix

54) IV, 7, p. 197.

55) IV, 8, p. 201 IT. Die Lehre von den hypothetischen Schlüssen ist hier

jene nemliche, welche wir Abschn. XI, Anm. 166. trafen.

56) Nemlich das nitlia avlioyC&aSui (s. Abschn. IV, Anm. 608.), fx ipeväiäv

alr]9ij avlioy(£ta&ai (ebend. Anm. 610.), xvxlqt ätCxwaS-ai (eb. Anm.

615.), aviiaifftyiiv av).ioyia/*öv (eb. Anm. 619.), und 6 äiä TOV ütfuväTov

aviioyia/^ös (eb. Anm. 623.). Es bleibt hiebei immerhin die Frage, ob nicht

die Hinweglassung dieses Capitels bei Psellus lediglich auf Rechnung der hand

schriftlichen Ueberliefernng zu setzen sei, und ich möchte diess sogar für das

Wahrscheinlichste hallen.

57) V, l, p. 206 ff. _

58) V, 2, p. 218.: 'O loyog TioiUa^ßif IfyeTai. /ZpaJrov [ttv yäg TQÖnov

b /.o-yoe 6 avrös (an ry ÖQiajAy fj rjj vnoygcKpfj äs fv ry ,,0vviö-

Wfiä eiaiv tav rovvofia xoivöv xal 6 xtira rovvofiä ioyog i^f ovatas o

avTOs". divjeyov ä$ TQÖTIOV ioyo; tt> aiiro tanv oneQ ioyoe ättxvvs fi,

{!>snt(> ot ).öyoi ijyovv ul avili.oyiai.ioi räv äialtyo/ttvtov. "ÄMov rf£ rpÖTiov

ö ioyof fariv ontQ 10 fiifo; rije V^g , tagneQ iv ry fia^aiQ((fi 6 ftlv altanv

virj, TJ öl nposSTiayd-eiaa r<i> aiä^Qy äiä&tals iffnv eläos.

V $1 TQÖTIOV iöyo; iaTiv dney fj ovatct TOV xoivöv TOV xaTtjyogovxttTtt

irlfiöviov, ägneti jj ovata TOV ytvovg rj TOV eliovg. Haoa

ToiiTovg <St Toii; TQÖnovg köyog iailv onig TO p.(aov , oV ov tnäytTai TO

aCfpa , xal XCITK TOVTOV TOV TQÖTIOV IttfißüvCTai ö iöyoe (v Ttji

TOV fni)[tiQrifiaTog.

59) V, 3, p. 220 — 4, p. 234.

60) V, 5, p. 234 — 7, p. 246. (Loci intrinseci a substantia, und zwar a definilione

a descriptione , ab interprelatione).

XV. Psellus.

Üs, i» T&V %(tr'iGtm', Ix TÜV noivy av^ßißjjxönov 6 ') ; hierauf die

t l^mTf.(fixoi , nemlich i'£ ävTtxtifafviov , wobei die «j'ttöii/yjjftf'vn:

einzureihen waren, ano fici^ovog KOI ilatrovos, ttcp' dfiot'ov, i't, avaivyictg,

ano ^mvA»ji/>£o>£. 1 1 «gno.ttcvroff "-); zuletzt die, TOTIOI fw'öoi,

nemlich Ix TCÖV (nxrToijraw, ämo jrrtoötwi', &j»6 dta^ÄKwg03). Die

hauptsächliche Quelle des Ganzen dürfte hei Themistius zu suchen

sein 64).

Die Sophislici Elenchi fehlen bei Psetlus, jedoch, wie es scheint,

sieher nur durch Schuld der handschriftlichen Tradition °5).

Hingegen schliesst sich unmittelbar an das letzte Capitel der Topik

ein Bruchstück einer ebenso eigentümlichen als ausgedehnten Erör

terung an , welche bei den Lateinern unter der Bezeichnung „De terminorum

proprielalibus" und theilweise unter dem Titel „Syncategoreumrtla"

(s. unten Anm. 92) ihre höchst einflussreiche Aufnahme fand.

Es wird nemlich zunächst mit einer Bemerkung, welche aus dem Ab

schnitte über die Kategorien wiederholt ist (s. Anm. 30), sogleich auf

ilie Definition der „Bedeutung" (ör^tKöüv, — significalio) übergegangen,

und letztere wegen ihres dinglichen Gehaltes auf jene Worte beschränkt,

welche in sich einen allgemeinen oder particularen Inhalt darstellen,

so dass die blossen Zeichen der Quantität nicht zu den eine Bedeutung

darbietenden Begriffen (o'^o«) gehören sollen06). Die Bedeutungen wer

den sodann in substantielle (ovauadeig) und attributive (tntisaxToi) der

artig gelheilt, dass den ersteren die Substantiva und den letzleren so-

61) V, 8, p. 246 — 13, p. 280. (Loci intrinseci a concomitantibus subslantiam,

und zwar a loto et parle, a causa et e/fectu, a generatione , a corruplione, ab ttsibns

, a communiter accidentibus).

62) V, 14, p. 282 — 20, p. 302. (Loci extrinseci, und zwar ab oppositis,

disparata, a maiori et minori, a simili, u proportione, a transsumptione, ab auetoritate).

Im Texte des Psellus jedoch besteht eine Verwirrung, iusoferne das Capitel

über die avti3iyQrm(vn (disparata) von den avTixetftivct (npposila) losgerissen

und an das Ende (c. 20 ) gestellt worden war.

63) V, 21, p. 302 — 24, p. 308. (Loci medii, und zwar a coniutjalis, a casibus

. a divifione).

64) Es stimmt nemlich die Reihenfolge der Topen im Allgemeinen mit dem

jenigen überein , was wir von der Topik des Themistius wissen (Abschn. XI, Anm.

96.); einzelne Abweichungen können immerhin von dem allmäligen Verlaufe der

Schultradition herrühren.

65) Denn es wäre schwer einzusehen, wie ausserdem Wilhelm Shyreswood

und Lambert von Auxerre und Petrus Hispanus gleichmässig auf den nemlichcn

Gedanken verfallen wären, diesen Abschnitt aus Aristoteles oder aus der Uebersetzung

des Boethius zu erganzen. Wohl hingegen kann noch die Frage offen

bleiben, an welcher Stelle die Sophislici Elenchi ursprünglich bei Psellus gestanden

sein mögen, s. unten Anm. 91.

66) V, 25, p. 310.: Täv ityofitviov TU /tiv lutTÜ av^Trioxfig ityirai,

oiav „ZiaXQUTrig rp^fet" r; „av&Qianos itvxös", TU rf^ avtv avfjnioxijs,

oiav „K^ö-pouiof" ' txadrog ät riäv aOvfA.ni.fxriav ogtav fi oiialav ar\fialvti

rj nowirjTa (diese beiden Worte sind im Texte ausgefallen) tj noaÖTrjia TI avcirj

noitfv »; naa%fiv, oviia <f£ xitiu täv tttätav. 2rjfA.aoCa öi, lös

i i.(i/ußdvficit, iarl ngäyfjiftiog äict <f(avrjs xctta avv&yxrjV naQu-

S 1611, tnsiSrj näv TTpay^u« ^ xudulov larlv % ficgixöv, ä(l ras

(ftovfte TKS fifi (fehlt im Texte) arjfian'ovaae x«#oAot> ^ ftepixöy py ar)[*a(vetv

Tt, xul uviios ovx üaovtKi ö'yoi , (os ivTav&n i.itfiß('.vmn 6 OQOS' 8&IV TB

' rj tu (ttgtxa ay/titu ov Myopev

280 XV. Psellus.

wohl die Adjecüva als auch die Verba angehören sollen, woran sich

die Bemerkung knüpft, dass die Substantivität (oveimSorrfs •, — „subslanlivatio")

und Adjectivität (&it#mxoTi)g, -- „adiectivatio") weder

Dinge, noch auch Modificalionen der Bedeutung, sondern Modificationen

der Dinge seien, indem die Substantive eine „Unterstellung" (vnon&evai)

und die Attribute eine Verknüpfung (avfiMlfmiv) hervorrufen67).

Es sei nemlich die Unterstellung (vnö&taig, — „suppositio") die An

nahme eines substantivischen Begriffes anstatt eines anderen, namentlich

eines particulareren , und sie fliesse erst als eine abgeleitete aus der

„Bedeutung", insoferne letztere bloss Sache der Sprache sei, die Unter

stellung aber auf der bereits bestehenden Verbindung der Sprache mit

der Bedeutung beruhe; das Nemliche aber, was die Unterstellung bei

Substantiven , sei die Verknüpfung (ßvpnKomi) bei attributiven Wor

ten 68).

Und nun wird die „Supposition" (— ich will mich fortan dieses

bei den Lateinern recipirten Wortes bedienen —) auf das Ausführ

lichste erörtert. Zunächst nemlich folgt die Eintheilung derselben, in

soferne sie entweder allgemein (J«HV»J, — „communü") oder bestimmt

(SiwQianEvri, — „diticrela" ) sein kann, je nachdem ein allgemeiner Be

griff (oqog xoivo'g, vgl. oben Anm. 12) oder ein individueller Begriff,

welcher auch durch Demonstrativ-Pronomina ausgedrückt werden kann,

angewendet wird; die allgemeine Supposition wird dann wieder eingetlieilt

in eine natürliche (qpuaixt?, — „naturaHs") und eine aecidentelle

(jcara öiiftjSeßijjcog, — „oceidenlafo"), indem erstere auf den gesammten

Umfang eines sog. Allgemein-Begrifl'es sich beziehe, letztere aber eine

Beschränkung auf specielle Determinationen, welche an dem Allgemein-

Begriffe sich finden können, enthalte fi9). Ferner aber zerfällt die acci-

67) Ebend. p. 312.: Tüv ayfiaaiiav rj ptv lauv ovaiääovs 3ipäy/j.ctTo>

xctl tyti 16 ylvia&m dV ov6[4aiof ovaiaidavi, oiov „avO-puinos", t\ d£ iüTtv

IntifäxTov xal i-%ei, TO ylvta&ai fj dV ovöfictTog fai&frov fj rft« py/j.«Tog,

oiov ,,/tuxds" »/ „Tp^ft"' äioii xvQCiat oiix tarl ariftctafa (nt&ttoe xal

ailä XL atjfiaivSTai ovOiiodäs xa( n OrjfiaiveTßi '

'

fj iTii&tTixö-iris xccl oiiaioidoTi)! ovx ftal npäyfiaTa, «ü' dal

Qayuäiüiv, a arjtaivovrui , Ttav nQayuäiüiv, arjftaivovrui xal ov rrje ddrru^^aaaalluuss'' öö&&€v id

ovö/j.ara ifyovrcti vnoTiS-fyai, T« de fnt&tTa avfinKxnv.

68) Ebend. : 'YnöS-eais yaQ loTi noös^^fiis ögov ovduuöovs KVTI rtvog •

äiaytoei rf£ vno&taig xal arj/taaCct, 011 r\ /j,£v ari/j.ctn(a lail <ft' fmd-taetos

ifiavijs TIQOS TO ar][A.cuvä[ievov nQÜey/jia, imo&iaig ö£ lari nQosirjipis öpov

ijdr) arj/talvovTos TÖ ngäyfj.u avil {legixov iivos, lös orav MyijTai ,,av-

&t>tanog jiqtyti", ovro; 6 OQOS 6 „av&Qionos" iinojC&fTai «fii 2a>XQ«iovg

xal märcavoi xal TÜJV a).t.(av. Kitl äiä i( f] ar][*aa(a nyoifga lajl ri)S

vito&^aeios xal ov ar)/4atvovai TO ai/TÖ; äiÖTi TÖ ar)/j.aCvtiv tarl TJJJ <ftavfts,

TO (ft vHOTl#ta&ai opov riäy a^fiafvoVTOS, TovTttfTi avv&frov Ix (ffovfis

xal Oriuaatag- tj imö&eaig itoa ovx laTl ai)[taata. 2vfj

7rpdsA7)i/«ff opov Im&tTov ijyovv inovaiiöSovg ävTl Tivog.

69) V, 26, p. 314.: Täv iino&tatiov q fj,£v ZOTI xoivrj fj ät

'Yjiö&eaig xoivq IOTIV i\ Si SQOV yivo/j,£vr) xotvov, oiov „av&paiJios" ' vnö-

&taig SiaiQiaftl-vri lo"Tlv 17 äi' SQOV ytvou.tvi\ äuopia/Afrov, oiov ,,2.(oxQÜ-

(aus Petrus Hispanus geht hervor, dass hier folgende Worte ausgefallen

sind: yivoufvrf t)V opov xoivov ueT« aVT<avvfi(as ZnidtixTixrjg TOV TIQIOTOTUTTOV

etoovg, oiov) „OVTOS 6 uv&qtonog". "ETI Täv xoiväv vnofKaeaiv ij

XV. Psellus. 281

dentelle Supposilion abermals in eine einfache (ankij , — „simplex")

und eine persönliche (W^OSOMTWM/ , — „personalis") ; die erslere der

selben bestehe in der Annahme eines Allgemein-Begriffes an Stelle des

von ihm allgemein bezeichneten Dinges, d. h. ohne specielle Beiziehung

jener Dinge, welche als zu seinem Umfange gehörig unter ihn fallen

( TK KcrccÖTtQu, T.K TcmswäTf.yct) ; und zwar bestehe bei dieser „einfachen

Supposition" wieder ein Unterschied, je nachdem der Allgemein-Begriff

im Subjecte oder im Prädikate stehe, und man müsse hievon jene Fälle

streng ausscheiden , in welchen der Allgemein-Begriff durch einen Zu

satz (A«|iff jwvyaö^ftaojrm/) eine nähere Bestimmung, z. B. namentlich

durch restriclive Ausdrücke eine Beschränkung erfährt, denn alle der

gleichen Supposition gehe bereits in die „persönliche" über; dass aber

auch dann, wenn der Allgemein-Begriff im Prädicate steht, es eben

eine einfache Supposilion sei, wird ausdrücklich an einem traditionellen

Beispiele gezeigt l0).

fttv. (fvaixr) ij rfi xarcc avußtßnxög. 'Yfiö&eatg <fvaixr\ IOTI

opou xoivov ävTi nävrtav , vtf>' tav fttTfyia&ai nfyvxev, oiov o

xaS-' ttiiTov £tit}[*.[j.£vog (in den Worten xa&' avröv liegt ein Gegensatz im

Vergleiche mit HQÖS 11, s. unten Anm. 82.) Ix Trjg Iotas tfüaitog vnoi C^aiv

ävTl naVTiov av^üiäniav Tav ytvo/ntviav xal ovTiav xal lao/te'vtuv' xata

avfißtßrjxog <Ji vTioS-iafg fdri nftoglijipig ÜQÜV xoivov CCVT* Ixttviav , a ro

awn\(tfafvav airairei, oiov „KV^QUITIOS fariv" ovros 6 OQOS ö „av&(>canos"

vnoil&i)ai (vTctv&a avrl TIÖV (vearioKov, Srnv d£ teyrjicii „nj/*pw7rof ij»»",

vnoiC&ijai ntgl läv naQsl&övruv, xal oiav „av&(><anüg fCTT«i", iiTioTCS-rjai

neiii TIÖV ftei.it.6vi tav' xal ouiia äiatfOQOvs vno&eaeis $Xli xaTu T"S äiu-

</ tiiiets i(äv avrov OrifiaivoVTfav.

70) Ebend. p. 316.: Tiäv (fi xara av^ißißrixo; vnofKatuv q fttv fanv

ani.fi ij äi it(>o$<oiiixri' ÜTilij vizöfrfalg tan npäflippts ogov xoivov avil

ngäyfiaTog xa&öiov armai.vofj.fvov äi' «vrov, (äs orav IfynTcti „o iiv&Qtonde

toitv £»doff" rj „ro £yöv (OTI ytvo;", ovro; ö opof 6 „av&Qionog" iino-

Ttörjaiv ctvil iov av&Qtönov £v T(I> XMVÜ , a/U' oiix BVT' äiiov iivos läv

xar toi tqtav, ö[to(<os xal oi<Tog 6 öoof „TÖ ftjioj'" vftorühjatv avrl TOV £(pov

(v TOÜ xoivy xal oiix ÜVT' akkov iivog TIÖV raTiiivoTfyfov' tag d" avriag

xal tv ixaT(Qip (zu lesen fxätJTtp) opcu xoivy , tag „TÖ yiiadTixöv (OTIV

läiov" r) „TÖ ioyixov taii öt.ayo(>ä" rj „TÖ kfvxöv f(STi avfj.ßißrjxös". "Eli

T(Sv änitov vno9-(at(ov f) u£v tariv SQOV xoivov Iv vnoxsiptvtp

oiov „6 av&Qtonög tonv fW'off". r} d£ itSTiv OQOV xoivov Tt&Jvrog iv

yo(tovfj.£vip xaTa<f.aTixip, oiov „nag av&otanög tOTi, £yov", oviog o opoj „lö

föior" £v TI!> xaTi}yo(>ov/4,£v(i> Tt&clg anirjv Z/ei vTiö&eaiv, SIOTI fiövov iinoavTl

Trjs ifvaitog TOV yfvovg' ällr) <f^ IGTI.V opou xoivov

£tjiov naga TOVTOV TOV uv&Qtonöv faTiv cikoyov", äii' lortv txet

Tr)g Mt-fiog Ttfi nqotfvai (!; änirjs vnofrtaitag ei; ngogianixr]V fs

ov' ofj.oliog xavtav&tt „ö av&Qtonög (OTIV eläos" (ausgefallen: Tig

«p« civ&ownög (ÜTI.V efrfos) xal näiiv „n&g Kv&QtoTiög (OTI £<jiov, n&g

«p« civ&Qionög laiiv (ausgefallen TOÜTO TÖ f^Jov)"' tv näai ycig ylvaui

-ngöoäog ti; &nlr]g -ijno&fattog tlg nQogtamxrjV. 'ÖTI dk ö xoivog^oQog tv

T<p xaTijyo(jov[j.£vt!> Tt-frelg äniäg ^etogtiTai, örjlov. Ix TOV i£yeiv,^ OTI nav-

TIOV Tiav avTixfi[j.tviov r\ avTr] iaTiv tniOT-l\fiiT\' et fj.r> yug OVTOS 6 6'pof „i;

lniGT-i\pr)" änirjv f?/ev vnoft-taiv, ijjevSkg äv r\v' oiioepla y«p ptQixrj fni-

(tT-qftr] änaVTtav TIÜV IvuvrCfav tßTlv ' r] ycty taTQixr] ovx iml^ ncivTcav

fvaviCiav, tti.lit. fiövov TOV vyiaCvovros xal voaovvTog, xal r

TOV TiQpioa/ttvov x«l ttvagnotSTov, xul (nl Twv ailfov 6f*oC<og.

282 XV. Psellus.

Und es folgt nun die zweite Species der accidentellen Supposition,

neinlich die „persönliche"; das Wesen derselben liege im Gegensatze

gegen die einfache gerade darin, dass ein Allgemeinbegrifl' an Stelle

der unter ihn fallenden Dinge, welche seinen Umfang ausmachen, ange

nommen werde; durch eine abermalige Eintheilung aber wird sodann

innerhalb dieser persönlichen Substitution wieder unterschieden eine

feststehende (ditoQiO^ev^, — „delerminata") und eine verworrene (evy-

»tyvpiwi, — „confusa") ; die. erstere finde Statt, wenn die .Quantität

des Allgemein-Begriffes entweder gar nicht oder particular ausgedrückt

sei, und eine feststehende werde diese Supposition darum genannt, weil

ein auf derselben beruhendes Urlheil, wenn auch zu allgemein ausge

sprochen , dennoch jedenfalls von Einem unter den Allgemein-Begriff

fallenden Individuum wahr sei; zur Erläuterung aber wird hier zum

ersten Male (wir werden sehen, dass im weiteren Verlaufe diess zum

wesentlichen Bestandlheile dieser Erörterungen sich umgestaltet) ein

Sophisma beigezogen , welches zu den SK TOV GyrjficiTOS «Jg ke&tag

genannten gehört71).

Die Besprechung aber der zweiten Unterart, nemlich der „ver

worrenen" Supposition führt zu noch ausführlicheren Untersuchungen

und zur Schlichtung einer Conlroverse. Eine verworrene Supposition

liege dann vor, wenn ein Allgemein-Begriff durch Vermittlung des Zei

chens der Allgemeinheit (d. h. des Wortes „Alle") an Stelle mehrerer

unter ihn fallenden Dinge angenommen werde; dabei aber sei wieder

ein Unterschied, je nachdem diese Unterstellung aus der zwingenden

Notwendigkeit jenes Quantitäts-Zeichens oder aus der zwingenden Not

wendigkeit des Sachverhaltes selbst hervorgehe, und zwar betreffe der

erstere Fall das Subject, der letztere aber sowohl die Copula als auch

das Prädicat r'~). Aus Letzterem aber folgt nun die abermalige Unter-

71) Ebend. p. 322.: IlQogainix^ tanv vjiö&catg lijipis xoivov SQOV avrl

itäv lähov XttTWTfyatv , oiov „avU-Qionog Tp^f«"' ovrog yao ö opo? 6 „av-

&Q(o7iog" xtiTtti aVTi TIÜV iäliav xaTiorfQiav. "£TI T(ov TiQogtonixäjv iinaftl-

oetov i\ fjtfv tan- SiioQiantvri ij äe avyxe%v[t(vri. dtiotjta/jtvi) ptv ifytr

«t rv %£t OQOS xoivös aSioglatias tlir)fj,f^(vo{ 1j ftera nf)ogöioQi(S[t.oii TJIOI

[iiQtxov, oiov „UV&QÜITIOS rp^ffi" ^ „äv&()(a7ioe xivetrcti" ij „TIS

jj^et"' x«i IfytTKi. exaifga lovitav Siotfiiafifvi) , äion, ei *«i

TOVTOIV ovTog 6 opof 6 „&v#()(onos" vTioift^rjaiv avti ncnros

av&Q(onov TQ^/OVTÖS rs ofiotiag xul /urj, oftiag evös rp^oviof «i>;öij? ianv'

yÜQ lari ro vnoji&tvai xal aiio TOV iöyov ttÄrj&fj KTiodiäovesi avil

g' £v yct(> tois nQotigru^fvoig , tag eiQi]TKi , oitirog 6 ogo; 6 „av&gtoTios"

tjaiv ävrl nctvrög avS-(t<onov, togneg TOV r^fjfoviog ovria xal roij

^ovrof, a).).' «TioSCäiaai röv äiijS-fj iöyov ftövov avrl TOV Tp^oviof.

dt Exurtga TOVTIOV iaii äiai(>ia^vi] , örjlov tvrcvdev o-iav yag XiyrjTtti

„£({>6v (an JStaxyriTtjs. £tj>6v tan KixtQtav, xal tnl icüv aiitov lagavtiag,

aga £tf>6v lari nag äv&QioTiog", IvTuv&a TO o%jj/*a i^e Mfetos lanv

ano Ttieiöviov änoQiafifviov £nl fj.Cav äiiaQiO/u^vrjV , xal ovrwg 6 xotvog

opof uäioQ(aT(ag iyy&flg fy*' vito&eoiv öifoi>ia/u.fvi)V' <ägavi<ag xttl fit r et

TOV fttQixov n(fog3ioQiafj:Ov.

72) Ebend. p. 324.: Svyxtxvufvri vnö&eaCs IOTI lytyts ogov xoivoü

&VTI ninoviov [teaiTEvovTos xa&ölov noogdioota/uov, nag STUV ifytjTat „nag

av&gianog taTi fftjov", ovTog ö 8(>og 6 „av&(?<anog" fifOtTevoVTog TOV x«-

arjfielov xQuinTiat ävil nitiöviav tag txäaruv TQVTiav OVTOS lä(ov

XV. Psellus. 283

scheidung, dass bei dieser Slipposition der Subjectsbegrilf in beweg

licher Weise (xivijrwg, — „mobililer") und in verteilender Weise

(diavs^rfCMäs , — „distributive") verworren supponirl werde, ncmlicli

ersteres darum, weil durch alle UnterbegrifTe herabgestiegen werden

kann, und letzteres darum, weil er von jedem Einzel-Individuum gilt,

hingegen dass der Prädicatsbegriff nur auf unbewegliche Weise (axivertag

, — „immoMlüer") supponirt werden könne, weil hier ein Herab

steigen auf die niedreren Theile des Umfanges unstatthaft ist, wenn

man nicht in Sophismen verfallen soll; eben hieran aber knüpft sich

das Bedenken, ob diese Behauptung einer verworrenen Supposition des

Prädicatsbegriffes nicht im Widerspruche stehe mit obiger Angabe (Anm.

70), woselbst die Supposition des Allgemein-Begriffes, auch wenn der

selbe im Prädicate stehe, zur einfachen (ardij) Supposition gerechnet

worden war 73>. Und indem nun Psellus die Lösung dieses Wider

spruches vorerst nach der Ansicht Anderer angibt, welche darauf hinaus

lief, dass einerseits die Gattung als solche durch eine einfache Suppo

sition substituirt werde und andrerseits zugleich die in den Individuen

vervielfältigte Galtung zu einer unbeweglichen verworrenen Supposition

verwendet werden könne , und hiernach kein Widerspruch zwischen

jenen beiden Angaben bestehe, spricht er nun seine eigene Meinung

aus, welche dahin lautet, dass der allgemeine Prädicatsbegriff überhaupt

zu keiner verworrenen Supposition, weder in beweglicher noch in un

beweglicher Weise, tauglich sei, sobald beim Subjecte das allgemeine

"ETI Ttov avyxe/v/ttviav vno&fattov rj fj.tv IOTI au)

T!J avayxrj TOV nQogSioQiOf^ov % TOV TQonov, r] ä( IOTI. avyxf%v//{vri ijj

aväyxy TOV ngäyfiatos' tag OTUV ifytjTai „nas äv&gtanos fij}dj' £<m", oviög

ö ooog ö „äv&p<u7ios" Trj aväyxy TOV xa&oiov ai)[ie(ov avy%efTai rj dtctvtitfuti

vneQ fxäaTov tStov iinoxti [*(vov , xal tnfl sxaOTog av&Qianog tyei

TTJV täiuv vnaofiv, äia TOVTO TO (typta TOVTO TO „fo"T(" XQaTtiTai ig

aväyxij rov nyayuaTog avrl ToaoiiTiav i/Trafigeiav, av&' oatav av&Qianwi',

xal (nel txcinroj av&Q(onü>v ivtGTiv rj iäla ^ifiÖTrjg, äia TOVTO xoaTeiTiti

TTJ äväyxij TOV ngäy/AUTog ävTl TOOOVTIOV £<p<ov TO £<pov , av&y Sotov

avStgianiov 6 av&Q(onog xal «v.9-* oaotv vna(>£ttav xal TOVTO TO „laTl"

TO {lijUif..

73) Ebend. p. 326.: "OS-iV OVTOS ö oQog o „«j^pcuTios" ifynai iinoti-

&£vai auyxexvfifrug xivr\Täg (dass dieses Wort ausgefallen sei, zeigt sowohl

das Folgende als auch Petrus Hispanns) xal $iavtfj.rjTixtäg' ät.).u avyxe%vfj.£v<og

ulv xal äiave,u.riTixäg iinoTlüriai , rftön xQUTtiTai avtl nuvTÖs äv&qtanov,

xivrjTtas öe , äiÖTi eSco~Ti yCvta&ai xaTaifaaiv (zu lesen xaiaßuoiv) vneo

IXUOTOV iilov vTioxe ifitvov , oiov „nag Jtv&y<onos £tj>oi', £toXQairjs «p«'

nag av&gwnog fijJoj', IliuTtav np«" ' OVTOS <ft ö ofios „TO fijiov" MyeTat

avyxsxva&at axiv^Tiag, SIÖTI oiix SftdTi y(vta&ai xaTiißaaiv vn' avTÖ,

oiov „nag av&Qionos I<ITI (ausgefallen £ßov, nag äpa rivdyianög IOTI) TOVTO

TO (ifiov", aiV iariv Ixti fj n^öoSog anb Tijg an't,fig eis TIJV ngogtomxnv

, tag ivTav&a „6 av&Qtonög IOTI. Ti(j.iiÜTaToy TtSv xTiaptÜTOiV , «p«

OVTOS ö av&gfanög (OTI TifiioiTaTov Tiäv XTiOftaTcav" xal „TO qoäov TÜV

av&fiav Tifi.iiaia.TOv IOTI, xal TI «p« qööov"' aiia xal TOVTO äiatffyti,

xa&ö iv TovToig iüTiv q iinoS-tOig anb TOV fi^Qovg TOV vnoxtifitvüv , txii

<f« and TOV [tfyovs TOV xaTtiyoQovptt'vov , st xal ToiivavTtov ooxil OVTICQ

\TCU nQÖTtqov, OTI iv TavTrj ry „nag av&Qainög lau £iöov" ot/Tog ö

; „TO fyov" iv r<p xaTTiyoQOV/Afry Tf&tlg aniriv £%£i vnö&taiv , xal

...-.«>-. 1^ tytiv avyxej(v/j,e'vriv (die letzten fünf Worte fehlen im Texte).

284 XV. Psellus.

Quantitätszeichen bejahend stehe, denn der Prädicatsbegriff repräsentire

(im Hinblicke auf eine Stelle des Porphyrius) dann stets einen Gattungs

begriff, die Gattung aber höre durch jene Vervielfältigung, sei es durch

bewegliche oder durch unbewegliche, jedenfalls auf, Gattung zu sein 74),

was auch seine Bestätigung durch eine aristotelische Stelle finde "'•'}.

Nun aber wird diese Erörterung noch in weiteren Unterscheidungen

fortgesponnen; zunächst nemlich sei zu erwägen, dass der Begriff des

Ganzen (i'tlov) ein anderer sei, insoferne er den Gattungsbegriff betreffe,

und ein anderer, wenn er quantitativ verstanden werde; eben letzterer

aber komme bei der verworrenen Supposition in Betracht, und zwar

als der des vollständigen Ganzen bei der beweglichen, und als der des

74) Ebend. p. 328.: ÜQog TOVTO iexrfov xttTci Tivag (diese Worte fehlen

im Texte), <f«m, xa&6 yfvog xaiifi'OQeiiai ixet XKTU TOV ttSovg , OVTIO xctl

oviog ö oyug ,,TO £<pov" ctVTl xoivoii ctvTfjg XQctTMcti, onect lart TÖ ye"vo(,

xctl oiJTtog 6 ociog ankriv i/ei vnoS-eOiv' xa&b St TJ xoivrj ctvTri cfvaig (der

Text gibt xnS-6 txtCvr) r) ülrj&rjg) ixelvov TOV yfvovg nollKnlaaiü&Tcti cttä

Tf]i vnofKaeuig TOV ttV&Qianov, oviia Äe'yeTctt tyeiv avyxe/v/nfvrjV, oii xivrjiclts

ctili' axiVTJTtos' rj ycty avyxi%uft£vr) xtvrjTiäg iinoO-tOis ov ävvarcti afta

th'iti pierä tfjs üniijs ovre xara 10 HVTO ovie xartt dtä(fO(>a, «ü* ij axtvrjTiut;

csvyxtxvutvri vjiö&iais ävvarKi ci/ta ilvai fifia rrjs aniffg ov xarä

10 itim'i, it/.iit xaitt fittttfoyu, <ä; tiQrjTai (letzteren Satz gibt Petrus Hispanus

bei gleichem Sinne in abweichender Form) • xat OVTID äff Iveir TTJV Ivttvitöitira,

ttfttlveto TOIS Tipofipijjit^voif, Sri 6 xoivos OQog Iv Tip xatr]yo(>ovpi£v<i>

is ett «?r>l^v vnöD-taiv xctl avy%tiiai axivrjitos xa&6).ov xctrttqaTixoi

övros (v ry vTioxet/j.i'Vy , oiov ,,nS; av&qtanös (an (ijiov"

(dieser Satz fehlt bei P. Hispanus)- niuui äi iyo> (diese Worte übersetzt P. Hispa

nus ganz gemüthlich mit „serf ego crerfo") aSvvatov ilvcti, xoivöv OQOV Tt&tvra

tv T<j> xKTrjyoQovufvia awyxfia&al xivt\i<äq % (die beiden letzteren Worte fehlen

im Texte) axivr^ioti x«&6ii.ov arj/^tfuv Iv vrroxei/utvy xaTcti^arixäg (fehlt im

Texte) it&fvros, oinv „näf av&Qtanög tau fqiot> , i'juoCiag äk xaTil Tiäv

(c. 27, p. 332.; Ehinger nemlich beginnt sinnlos hier ein neues Capitel),

ägnfQ xai o IIoQy.vQiog ßovie rat., n&v xctrr]yoQüvfj.evov ij ftttfov ij

V r\ avreaTHct/Afitvia; ifyerai xai TifQl xctTrjyoyCas TÖ xafr' avrd

axonft (s. Abschn. XII, Anm. 124.)' Ivittv&ct « ,,i«? avS-Qtonös lau frjjov''

xanjyoQta xa&' avTÖ (OTI xcil ,ur/ ävTtaTQce/uf^fv(as xairiyoQfiTKi, fielfov

«p« (letztere zwei Worte fehlen), xctl ftii <og avftßeßqxö; , aga tos ovauäfes'

itQci fj yfvog fj äiaqoQa' (diese fünf Worte fehlen hinwiederum bei P. Hispanus).

«JUa (A.ri iimfogä' ctQa yfvof Sfteai fttvrot ij tpvaig TOV ytvovs Tioiilct

ataif&elaa xtvr]T<ä( fj axivrjTiog ovx lOTl yfvog' ovxovv oictv ifyrjTni

ävfr(xaii6( (an f^iov", Ti&tfttvov £vTetv&a yfvovg ovx IOTI äwctTov ,

TOV xotvbv noiianittdia&aftai xivr\T<äg rj axivrinog, ogTig arjftttivci TTJY

ifvoiv TOV ytvovg, öiüii rjdrj ovx äv f\v yivog , ügntQ fl ö „av^toTTos"

avyxtoiio xivrjTäs ^ axivrfitos, oiix tarlv rjär\ itdog. •

75) Ebend. c. 27, p. 334.: "ETI tö ctiiTÖ äoxft (x TOV 'AQiaroT^iovg iv

icji TrpaiTfti T<3v ToTTtxwv (Top. l, 8, 103 b. 8.)' ifytTai yÜQ' „äväyxi\ näv

TO xarrjyoQovftevov xetTa Ttvog fj «VTfaT(>af4fi(v<ag Ixiivov xaTt]yopfia9-ai

y JATI' ei ttev aVTt aTQu/A/j.£vtog , ogta/iös fanv rj iStov, fl äi [ty cmt-

OT(>aftfj.{vto$ , rj nCniti ilg TOV oQiOfiov rj ovSufj.<äg' ei (jtr\ ntniet, teil

av/Aßeßrjxög' ei nliiTet, rj yCvo; taTlv fj Sitttponä." ' xai axontl o ^atarorfijj

», Sniag av eTrj rj xctTriyoQ(a op^i}, xctl vnöxeiTcti 16 tläog xa&' avTÖ

nol.iK7i}t.aaitta&£v. '411' (v TavTrj rjj „nag «vd-iiiortog" ?Oit xariiyogi« xai

„BVtfpcuTToj" vTioxMcti xctl firj aVTt cjTQUfifjLfvtog xctl riyoQMtti fj av/ußeßitxös '

«p« yfvog rj dictifood' otiia [*r) iitofQfjä' OCQCC yfvog' xctl ovTtog nrpo? «ÜTO

ägneg xctl nQÜTov. lAdvvatov ovv , TOV xotvbv OQOV fv Ttf

' TtS-fvra xivrjTcSg rj uxivrlrcag avyxeta&ai.

XV. Psellus.

unvollständigen bei der unbeweglichen Supposilion, und aus eben diesem

Grunde könne bei dem Prädicatsbegrifle, welcher slets Gattung sei, von

einer verworrenen Supposition keine Rede sein "6). Ferner sei die

aufsteigende Beziehung des dem Umfange nach Niedrigeren (TK HUTIÖ-

TfQct) auf das Höhere (TÖ avonegu) gerade entgegengesetzt dem Herab

steigen, nur die erstere aber finde bei dem Allgemein-BegrifTe als einem

wirklichen umfassenden Gattungsbegriffe statt, letzteres hingegen enthalte

allerdings jenen Process der Vervielfältigung, habe aber eben darum

mit der Gattung als solcher Nichts zu schaden 7"). Der Grund des

Zweifels aber, zu dessen Lösung diese Bemerkungen dienen sollen, sei

darin gelegen, dass man eben bei Urlheilen , deren Prädicat ein Gat

tungsbegriff ist, die Supposition völlig in gleichem Maasse für den Subjects-

wie für den Prädirats-Begrilf annahm, weil da letzterer in jedem

unter den Subjects-Begriff fallenden Individuum sein individuelles Dasein

habe; hingegen bei Ürtheilen, deren Prädicat nur eine accidentelle

Eigenschaft ausspreche, habe man sofort bemerken müssen, dass jene

Eigenschaft je nach ihrem Vorkommen an ihren Trägern eine Verviel

fältigung erfahre, und dass dabei im Subjects-ßegriffe nicht eine Individualisirung

einer im Prädicate liegenden Gattung bestehe78); daher

76) Ebend. p. 336.: "Eit O)LOV xu#ölov, onty ytvtis, xal öiov iv noaoTtjji

avit&eatv tyovaiv. ^Aüit fit)V 10 oiov (v noaoTrjTi äij(iSs ifyfrai '

ian tutv yttQ oi,ov TI £v no<sÖTi\Ti avftnenir]oiafifvov , orav 6 xotvös OQOS

xivrjTios avy/fiTtti, xal i-ari TI oiov fv noaöiijTi äavfj.ni^()ioTOV, orav äxivr\

To>s ö xotvös fiäiiov avy^eiTai. Ei «p« ö xotvos 8(tog äitidis xai nfj

auy%tiT«i, OVTM xai TÖ iv nooÖTr/u biov iQonov nva xnl ctniiäg xal JTJ/

yfvtrai (dieser Salz fehlt bei Petrus Hispanus). Ovxovv üävvaröv fort TÖ f'v

noaörijTi olov ilvai yfvog, o#iv aävvcnov tan TÖV xoivöv OQOV fv -lüi

x(tTr/yo(>oufA£v<{> Tf&fVTct avy%fiatitii , tag HJuyov.

77) Ebend. p. 338.: 'Eri rj nagtt&tais Ixdvr], xaft-' ijv avfyfyov TÖ xct-

T<oTet>ov tis TÖ avtoieqov «incOi', avnxeififvri (aiiv £xe(vy rj nuqa&tati,

XC<&' TjV ttVfKfifytTttl TÖ «VIOTfQOV fl$ T(> XttTlÜTtQOV dÜK XKTa TTJV 71(10)-

rrjv iit/^ßccvtrat TÖ xoivöv (v ry /öyti) TOV xotvov' ovria yitQ ttvrö TÖ xoi

vöv lv £ttvT(ji TitQifyti TiävTtt TCC im' avrö övia" ali.it xaTa trjv ir^Qav

ittftßavtTcu TÖ xoivöv^ noit-Knlctaiaa^tv rj (die letzleren drei Worte fehlen im

Texte) avyxexvftfvov yyovv TÖ xivriTäs xoivöv «VTI iravTiov r/yovv (offenbar

fehlt SifiVf/^riTixtög, s. Anm. 73.) av-ft' SXUOTIOV. Üp« (zu lesen 2fp' ei) TÖ

y£vo$ !'(TTßT«i xa&' KVTÖ (v TtS TOÜ xoivöv ioyy, oiix IOTI ävvtnöv itvTÖ

78) Ebend.: Xui TKVTCC [tiv auyxuyiS (bei P. Hispanus: Et tinee quatuor

argumenla sunt conceilenda) ' r) öt TOV xiveia&cti nlT(ov (zu lesen KVTOVS ctiTta,

P. Hispanus: Causa autem, proptcr quam movebanlur isli qui fuerunt huiusmodi

opinionis) yuältog Iv&rjrtfTai. ^Kyovai y«p, (äs, OTKV ifyrjTai „n&s av9-Q<a-

TIÖS fOTi £ijiov", exaaTov av&Qwnov tyfiv TT\V ISluv vnctggiv xal fffiörj/i«,

xct&ö aävvuTov äv&Qtanov ilvcti xal firj tlvoci £(jiov , ovitog 6 OQO; ,,£yov"

aVTl ToaovTiav £<f>iov xoaTfiTai av&' Saiav av&otÖ7i(ov civ&oianos (letzteres

Wort fehlt im Texte)' Ifyofiev yao (v Tavry TTJ nooTadti /j.r]ölv elvai Mag

(dieser Satz fehlt bei P. Hispanus, sowie überhaupt auch im Folgenden manche

Abweichungen sich zeigen, und jedenfalls beide Texte, sowohl der uns erhaltene

voi ia&ai , oooi av&(>io7iol elo'iv , «v*' oatav

x(j«i£jT«(. sttiiltt (.trjv uTo-nov Myeiv, TÖ nltj&os fxelvo TIOV

286 XV. Psellus.

zeige sich bei richtiger Erwägung dieser Verhältnisse, dass der Gattungs

begriff eines allgemeinen Prädicates zu keiner verworrenen Supposition,

weder in beweglicher noch in unbeweglicher Weise verwendet werden

könne 7<J). Hierauf aber wird in ähnlicher Weise gezeigt, dass auch

die Copula keiner verworrenen Supposition fähig sei, indem der Gattungs

begriff, welcher im Prädicate liegt, von Anbeginn an im Subjectsbegriffe

vorhanden sei; und hiemit wird obige Angabe (Anm. 72), dass

die eine Species der verworrenen Supposition auf zwingender Nothwendigkeit

des dinglichen Bestandes beruhe und sowohl im Prädicate

als auch in der Copula auftreten könne , jetzt direct dahin berichtigt,

dass eine verworrene Supposition überhaupt nur durch die Nothwendigkeit

des Quantitätszeichens erfolge , da jene in der Individualisirung

liegende Vervielfältigung des Gattungsbegriffes nur dem natürlichen Ge

biete anheimfalle, hingegen für das logische Verfahren der Gattungs

begriff als solcher von der verwirrenden Vervielfältigung unberührt

bleibe, wornach die einzige Veranlassung der verworrenen Supposition

nur in der Allgemeinheit des Quantitätszeichens liegen könne so).

TrJTiuv Sia TO Tiif^ug Trjg xtcTrjyooCKg £V elvai , ort fxeT ifvxov xai fit'iav

TioiiaTiiaaiK^erai. "Orctv ityta, röv av'hQianuv avyxtloO-ai xitTa rrjr rtov

ipvaixäiv ödöv (richtiger P. Hispanus : logice loguendo, non naturaliter) Ix TOV

fiäov xai ioyixov, Sia TOVTO Iv ictvTy £yov f/ei, o#ev av&otaTiog nollu-

79) Ebend. p. 342.: 'Oftoiia; tarl xav TO) ngoe it>rj/u.tvo> , ÖTav XKTr\yo

oiiTui TÖ yfvog, oiov ,,nag civ&giorrög IOTI (wov"' Iv TKVT/J yäo TJJ noo

TaOti iijiöxfiTtti o avfrgionog, tv <p voeiTai rö nlrj&os txetvo TIOV " '

riov, lag £?pj)T«i , xai xaTyyogiiTat TOVTO TO yfvos TÖ föjov' dioTi

igonov avy%eiTai xivyTiug fj äxivriTios, «>Uä xiviirai (zn lesen xgi

lxsf> ÄVTI Tf]g ffvaeiog avTrjs TOV yiivovg TOV xoivy xuTityo^ixov XUTÜ 7il.novarv

o&ev xai £<fiov xaTtjyogetTKi xai fyoi' votiTai £v Tip vnoxeiutvoi,

disnfQ h'rav&a „nav (yov ioyixov &vr\iöv lan £yov".

80) Ebend. : 'O/uo((us äf ifyoftsv, OTI TOVTO TÖ Qrj/<ia TÖ „laTtv" ov avy-

%IITKI xivrifwg ij uxivrjTtag, £nfl TÖ £yov tv Tip uv&Qiöntp tl%fv CCVTÖ vnuxe(

uevov nolv vnoxtTa&ai tv rji TtQOTÜaei xaiijyooovfi£vii> XCIT' oiiatav rj

AKT« aufißsßtixog (Petrus Hispanus hatte einen etwas atiweichenden Text vor sich).

Kai äiä TOVTO Tyv JiQoäyovactv äö^av (d. h. das oben Anm. 72. Gesagte;

schlechter ist die Lesart, welche P Hispanus übersetzt: quandam divisionem fatltn)

avaaxfvä£oftfv, ärjiovÖTi OTI T<ÖV avyxe^v/^fvtuv vnoS-fafiav fj [*£v avy%iTTai

Tjj KVayxrf TOV nQogöiogia/j.ov ij dt TTJ aväyxrj TOV TioäyftiiTos. jt£-

yofiev yao , TI\V ovy/vaiv elvai Tfj aväyxy TOV Troogäiooia/^ov , togntg xai

fvTavS-ä taiiv „nnv f«5oi> ioyixov fh>i]TÖv (OTI £<jiov"' ovTog o ogog ö

„f^ov" aVTi naVTog £(pov xgaTeiTai o fo"Tiv civffjjwno;, (ogntQ xai tv

Tavry Ty TiyoTttafi „nag avS-gtonö; taTi Zyov" ovTog ö opo? ö „civ&gfonos"

uVTl nttvTÖg &v&Qianov xgaTeTTai xai otvil navTÖs fojof oTTfp civ&ga>-

nog' xttl IÜT^OV, Toaaviag fxel elvai av&nomÖTrjTus, öaaiJTai £a>ÖTriTtg,

xai ävccTiniiv XKTK Ti]v Trjg (fvaetog öSöv , xaTa 3l tr\v T<äv ioyixäv oSöv

(auch hier gibt P. Hispanus einen anderen Text, wie oben Anm. 78.) (v {xiumaiöfta)

loü avS-Qi<>nov, iSgnfg ö civ&Qionog (v T(j5 xoiv<j> (OTI TÖ aiiTÖ, o*t»

TÖ TavTrjt' ityia&cu irjv ttv&gainÖTrjTK ff txe(vt]V nana TOV ioyov t<ST\ rijs

"" £1' ^ r5 °^y T^s foOeus y nv&giüTioTri; r] tfirj äiiri taTl naget T^v

orfv , digniQ xai ij i/'i'/)), tft' fjg IOTIV rj av&gionÖTiig ij tfti) fv £/*ot. Kai

äiu TOVIO TÖ arjjtiiov avy%£ov TOV «vO-gionov ov avyyti xai TO (tjiov (ausXV.

Psellus.

Ilieiml aber bricht unser griechischer Text des Psellus ab81)> und

wenn auch der Leser vielleicht den Eindruck empfand, dass hier' die*

Logik wirklich toll geworden sei, so wollen wir einerseits diesem rich

tigen Gefühle durchaus nicht widersprechen , müssen aber bemerken,

dass es sich hiebei erstens uru eine Logik handelt, welche ein paar

Jahrhunderte das lateinische Abendland beherrschte , und zweitens dass

wir eigentlich mit diesen Erörterungen noch lange nicht zu Ende sind.

Nemlich nur ein Fragment ist es , — wie wir schon oben sagten —,

von welchem uns die einzige bisher benutzbare Handschrift des Psellus

eine Kunde gibt. Schon bei aufmerksamer Betrachtung des Bisherigen

konnte man nicht bloss aus einer obigen Stelle schliessen, dass nach

der Supposilion xa^' amo gewiss noch die Supposition xctra TO HQÖS

n oder, wie die Bezeichnung bei den Grammatikern lautete, TWV avatpoQixwv

folgen müsse "-), sondern noch deutlicher springt in die Augen,

dass die oben bereits erwähnte avfimKoxri S3) eine der vnö&eatg parallel

gehende specielle Erörterung gefunden haben muss. Und in der That

linden wir auch diese beiden Capitel bei den auf Psellus beruhenden

Lateinern, indem dort sowohl die supposilio relalivorum. ausführlich (in

einer Zweitheilung nach relaliva subslanliae und relaliva accidentis)

besprochen wird 84j , als auch die copulatio (d. h. aufutAowj) ihre

nähere Darlegung findet So).

Aber auch hiemit war die Theorie betreffs derjenigen Gesichts

punkte, welche sich an ati^ueici (nigni/imtio, s. oben Anin. 66 f.)

knüpfen, noch nicht abgeschlossen, sondern so gewiss die Lateiner

(nicht bloss Petrus Hispanus, sondern auch Wilhelm Shyreswood und

Lambert von Auxerre) für die Srhul-Logik in allem Uebrigen, was wir

bisher vorführen musslen, vollständig und fast ausschliesslich das Compendium

des Psellus zu Grunde legten, ebenso gewiss ist es, dass sie

auch bezüglich jenes ziemlich umfangreichen Restes, welchen uns .die

fragmentarische Handschrift des Psellus leider vorenthält, nur das Nemliche

thaten, d. li. dass die Synopsis des Psellus auch noch Alles Fol

gende, welches ich hier nur kurz berühren werde S(i), ursprünglich

gefallen ist Iv xoiv<i>), ä/Ua TO £<j>ov TU avvelxve&iv ets TOV av&Qionov äict

itäv ISCiav ätat/oiJtav, oftiv näan avy/va(s ißii ry äväyxrj TOV Or)jj.£iov

ff TOV TQÖnov.

81) Anstatt einer weiteren Fortsetzung folgt nur noch (p. 348.) eine an diesem

Orte völlig unpassende Tabelle der einzelnen Topen.

82) S. in Anm. 69. die von mir dort besonders betonten Worte xaft' uviov

83) S. Aura. 68., hauptsächlich den Schluss derselben, sowie den Schluss der

Anm. 67.

84) Bei Petrus Hispanus unmittelbar nach dem Obigen (Anm. 80.) folgend.

85) Allerdings fehlt dieses Capitel bei Petrus Hispauus , hingegen fand ich es

in jeoer Pariser Handschrift, welche die Dialektik des Wilhelm Shyreswood ent

hält , unmittelbar nach der Lehre von der Supposition eingereiht.

86) Es versteht sich von selbst, dass das Nähere im XVII. Abschnitte ent

wickelt werden wird, woselbst ich bei jenen Partien der lateinischen Schul-Logik,

welche bereits hier aus Psellus vorgeführt sind, mich kürzer fassen und Manches

durch blosse Verweisung auf das hier Gesagte erledigen kann, hingegen jenen

Rest, dessen griechisches Original wir nicht mehr besitzen, ausführlicher dar

stellen muss.

288 XV. Psellus.

gleichfalls enthalten haben inuss 8"). Ja ich habe allerdings auch an

'die Tast abstruse Möglichkeit gedacht, dass der uns erhaltene Text der

Synopsis nur talschlich den Namen des Psellus trage und zuletzt nichts

Anderes sei, als eine von einem Griechen (ungefähr um d. J. 1400)

angefertigte Uebersetzung der Stimmula des Petrus Hispanus ; und wer

dieses Hirngespinnst weiter zu verfolgen Lust hätte, könnte allenfalls

darauf hinweisen, dass in der Synopsis Priscianus erwähnt wird (Anm.

19) und an zwei Stellen in Beispiel-Sätzen der Name Cicero's vor

kömmt S8). Während jedoch Letzteres wahrlich nichts Auffallendes hat,

sobald wir uns erinnern, dass die griechische Schul-Logik den Boethius

gekannt haben muss (Anm. 15 u. 28), und auch ausserdem bezüglich

des Uebersetzens gerade aus Petrus Hispanus der directe Gegenbeweis

geliefert werden kann vl , so liegt sicher das Hauptgewicht darauf, dass

es ein unerklärbares Wunder wäre, wie denn mehrere Pariser Logiker

in gleicher Behandlungsweise auf einen so ausgedehnten und -vordem

unbekannten Zweig der Dialektik hätten verfallen können, wenn sie

nicht gleichmässig durch ein neu aufkommendes Material hiezu veranlasst

worden wären; ja eine schon oben (Anm. 16) erwähnte Einzel

heit wäre noch wunderbarer, dass nemlich zwei Autoren unabhängig

von einander bei den nemlichen Capiteln die nemliche verkehrte Reihen

folge eingeschlagen hätten. Doch wir wollen eine blosse Halluzination

nicht weiter erörtern, sondern in der unverrückbaren wissenschaftlichen

lieberzeugung, dass jene mehreren Lateiner nur aus Psellus schöpften,

behaupten wir , dass in der Synopsis auch noch Folgendes enthalten

gewesen sein muss.

Zunächst nemlich mussle sich an Obiges dasjenige anreihen , was

bei den Lateinern bezüglich der amplialio (wohl „at!|j;«tff" oder „Inav-

£»;o"ig") und der appellalio (doch wohl „irpogr/yopta") und restrictio

(wahrscheinlich „pdaßig", schwerlich „CvöToAij") besprochen wird 90).

87) Freuen würde es mich, wenn ich biednrcb die gelehrte Mitwelt oder

allenfalls auch Nachwelt auffordern könnte, in den Bihliotheken Nachforschungen

über Handschriften der Synopsis anzustellen; meine Ansicht könnte durch neue

Entdeckungen ja nur bestätig! werden, indem eine Widerlegung derselben auch

dann nicht einträte, wenn die Verstümmlung des Textes noch an mehreren anderen

fragmentarischen Handschriften sich zeigte.

88) S. Anm. 71. und ausserdem V, 8, p. 256.: Tönoe anö fityovs fv noaö-

Trfn ..... oiov „2ioz(iäTr)s rofyu xctl ilkartav iQ^X11 Xttl Kixtytov "

xal nfgl T<Sv ai.itnv tösaiiTiag.

89)(Bei Psellus nemlich lautet eine Stelle CV, 3, p. 226.): ffceQaättyfia ät

faitv, orav IV ftCQtxov nTroätixvvrjTcu 3i' aiiov /ufQixov, Iv ols Sfiotöv

•ti ivQCaxtiKi, tos .,TÖ TOVS €>Tißa(ovg Mtyctgevat noif/jeJv xctxöv (an, xnl

TÖ TOVS KoyivfHovf «p« ^iQytloig TioAtitTv TioAtfitTv xaxov tan". Und wenn hiefür

bei Petrus Hispanus (Summul. V, 2, fol. 36 a.) steht: Exempliim es«, quando unvm

particulare protiatur per aliud propler aliquod similc reperlum in ipsis, ut „Leodienses

pugnan contra Ton/jerenses malum est, ergo Mechelinienses pugnare contra Lotanienses

malum est", so ist klar, dass derjenige der Uebersetzer ist, welcher ein

traditionelles Sehn l-Beispiel dnrch Anspielungen auf Zeitereignisse (Kämpfe zwischen

den Städten l.ullicli. Tondern, Mecheln und Löwen l umschreibt.

90; Die vernünftigere Anordnung dieses Stoffes im Vergleiche mit jener des

Petrus Hispanus erscheint allerdings bei Wilhelm Shyreswood und Lambert von

Anxerre, insoferne diese Beiden in der appellatio die Hauptsache erblicken und

erst mittelbar mit derselben die nmplialio und rcstriclio verbinden.

XV. Psellus. . 289

Und nachdem auch schon hier sowie im Obigen (Anm. 71) zur Erläulening

Sophismen beigezogen waren, erscheint es immerhin als möglich,

dass Alles bis hieher von der signißcalio (ffr/fiaöia) Gesagte nur als

Einleitung zu den Sophistici Elenchi betrachtet wurde, und demnach

dieser letztere Abschnitt aus Aristoteles hei Psellus nicht schon weiter

oben (s. Anm. 65), sondern ersl hier eingereiht war91). Mochte je

doch dem sein, wie es wolle, so musste jedenfalls in der Synopsis

noch eine ausgedehnle Gruppe anderweitiger Erörterungen gefolgl sein.

Während neinlich das Bisherige überwiegend nur die Suhjecls- und

Prädicats-Begrilfe der Urlheile betroffea halte, war noch übrig, nun

auch die logischen Functionen jener übrigen Redelheile zu betrachten,

welche wir schon oben (Anm. 9) unier dem Namen avyxccvtfyoQtviutTa

vorläufig erwähnt fanden 92). Und die Compendien der Lateiner zeigen

uns, dass in diesem Theile der Dialektik zuerst von der dislribulio

(wahrscheinlich wohl „dtovofiij" oder etwa „rar (JiavEjMjTijta") die Rede

war, woselbst es sich um die Worte omnis, nullus, nihü , ulerque,

neuler, non, Mus, qualislibel, quantuscunque, inßnüus (also um «Trag,

OvSsls , OvSeV , £XKT£()Og , OvStTCQOg , 0V , diog , OnOlOGOVV , OnOGOGOVV

SatsiQog') handelte und Sophismen, welche durch dieselben entstehen,

zu lösen waren 93). Hierauf mussten jene Redelheile gefolgl sein,

welche zur völligen Verdeutlichung des Sinnes eine nähere Auseinander

setzung bedürfen, d. h. die exponibilia (wohl offenbar „Ijc^ETticä"),

wozu die exdusiva (etwa „äjtoxAEiötHta"?), die excepliva (wohl „liai-

(imjta") , die reduplicaliva (sicher „avadtTtAamxa") , sowie die Worte

incipü et desinü („ctQ%frai xal \r\yti" ?) , abermals infinilus, sodann die

uomparativa et superlaliva (sicher „ovyKQirixa xal vneQ&eTixä"), sowie

differenlia (etwa „diaqooyiJtK") und noch einmal lolus (oAoj) gehörten 94).

Endlich aber scheinen auch noch die übrigen Conjuncliönen (ßvvSsG(noi),

soweit sie nichl schon in dem Vorigen _erörtert worden, noch speciell

in die Dialektik beigezogeu worden zu sein 95). Auch mag bemerkt

91) Wenigstens ist zu beachten, dass Wilhelm Shyreswood in der Thal erst,

von der appellatio aus auf die Soph. Elenchi übergebt. Auch wäre das Hinweg

fallen dieses Abschnilles bei Psellus dann leichter erklärlich, wenn die Sophistik

erst in jenem Theile besprochen gewesen wäre, welcher für uns überhaupt verloren

ist. Petrus Hispanns aber und Lamberl v. Auxerre hätten eben dann aus eignem

Gutdünken in diesem Punkte die aristotelische Reihenfolge hergestellt, indem sie

die Soph. Elenchi aus jenem Verbände mit der Oi^iaata herausnahmen und un

mittelbar nach der Topik folgen Hessen.

92) Wahrscheinlich bietet Wilhelm Shyreswood das Richtige dar, indem in

der Handschrift der Dialektik desselben der ganze das Folgende umfassende Ab

schnitt unter dem Titel Syncalegoreumata eingeführt ist.

93) Die Reibenfolge in der Besprechung dieser Worte ist bei Wilhelm Shyres

wood und Petrus Hispanus allerdings nicht die gleiche, jedoch Ersterer bat über

haupt das ganze Material weit selbstständiger verarbeitet, und wir dürfen mit Sicher

heit schliessen, dass der Letztere als getreuer Uebersetzer uns die Anordnung

überlieferte, welche bei Psellus selbst sich fand.

94) Auch hier arrangirt Wilhelm Shyreswood mit Uebergehung einiger der

genannten Worte die übrigen nach eigentümlichen Gesichtspunkten.

95) Bei Petrus Hispanus findet sich allerdings kein eigenes den Conjunctionen

bestimmtes Capitel, hingegen Wilhelm Shyreswood bespricht die Worte st, nisi,

guin , vel, an, sive.

PRANTL, Gesch. II. 19

290 • XV. Psellus.

werden, dass in diesen Erörterungen theilweise die Lösung von So

phismen versucht wurde, bei fast sflmmtlichen aher für die logische

Praxis mehrere sehulmässig formulirte regulae („Kavövtg" , wie wir

solche schon oben, z. B. Anm. 18, 22, 44, trafen) aufgestellt waren,

so dass die Synopsis jedenfalls von Anfang bis zu Ende in diesem

äusserlich formellen Punkte sich getreu blieb 96).

Billiger Weise aher drängt sich uns die Frage auf, wie denn wohl

alle diese Dinge , welche wir von Anm. 66 an erwähnen mussten , in

das Compendium des Psellus gekommen seien, und es wird sich dieser

Frage auch Derjenige nicht entziehen können, welcher etwa die Unter

suchung bloss auf den uns* überlieferten griechischen Text beschränken

wollte und es in Zweifel zöge, dass auch all jenes Uebrige ursprünglich

gleichfalls in der Synopsis enthalten gewesen sein müsse. Was aber

die Beantwortung betrifft, so sind wir in Folge des Materiales, welches

bis zum heutigen Tage der geschichtlichen Forschung zu Gebole steht,

leider nicht in der Lage, jenes „Woher '$", dessen Ergründung wir uns

wahrlich stets bisher zur Aufgabe gemacht haben, hier mit Bestimmtheit

angeben zu können.

Im Allgemeinen wohl steht fest, ilass stoische Schuldoctrin, d. h.

Grammatik und Rhetorik, in den Betrieb der Dialektik sich reichlich

verflochten haben müssen (vgl. oben Anm. 17), um zu solch einer

Theorie der öijfiaöta und der logischen Function derselben zu führen;

aber die einzelnen Fäden der Entwicklung oder etwa gar die einzelnen

Autoren, durch welche diess geschah, nachzuweisen, ist uns nicht mehr

möglich. Ja wir sehen uns bei den bisher zugänglichen griechischen

Grammalikern und Rhetoren vergeblich selbst um mehrere der oben

erwähnten Worle oder Begriffe um, und auch die uns erhaltene Gram

matik des Psellus selbst 97), — allerdings ein äusserst kurzer und arm

seliger Abriss — , enthält bezüglich der uns interessirenden Frage

schlechlhin Nichts. Höchstens einzelne Bausteine, welche dann später

allmälig mit anderen zu einem Ganzen verbunden worden sein müssen,

können wir sowohl bei Grammatikern als auch bei Rheloren wiederer

kennen. So ist z. B. nicht hloss der Begriff der u>^i,aain selbst ein

bei vielen Grammatikern vorkommender98), sondern wir finden auch

bei Dionysius Thrax eine Aufzählung der Unterarten des Suhslanlivums

(ovofic) , welche mit einzelnen der oben erwJHmten Punkte sich be

rührt, insoferne die Begriffe des n^ogniyoQiKÖv , des Igonjpcmxov (rtg,

96) Eben dieser gleichbleibende Charakter des Ganzen, wornach die zum

Auswendiglernen bestimmten xavövss überall ein Uebergewicht behaupten, würde,

wenn es noch nöthig wäre, einen wesentlichen Beweis darbieten, dass auch jener

Rest, welchen wir ausschliesslich nur aus den Lateinern kennen, ursprünglich

ebenfalls bei Psellus sich gefunden haben muss.

97) Tüii fj.axtt(tiiaTÜiov vneQjfftov TiQu^äguv TIOV <piloaö(f.<ov XVQOV

Mi/ari'i. TOV l'eliov ar(}(oi. noiiTixoi nyos TOV ßaOiMa xiiqov Xtävaiav-

TIVOV TOV fj.ovofj.axm> 7it(il i% yoctfi/^aTixije. Gedruckt bei Boissonade, Anecd.

graeca HI, p. 200 ff.

, 98) Es scheint unuötliig, für diesen allgemein rccipirten Begriff die einzelnen

Belegstellen aufzuhäufen.

XV. Psellus. 291

jtoiog, jio'ffog), des avcapoQixöv (roßowos , roiovroe) , des imfisQi^ofisvov

(STIQOS, IxuTtQOs, HxttßTOs), des äoaißrov (ößng, onolog, onößog)

erscheinen99); ebendaselbst treffen wir auch eine Einteilung der Conjunctionen

, welche zu dem traditionellen Umkreise der Schulgrammatik

gehört und offenbar in späterer Zeit noch entschiedener als schon früher

bei den Stoikern (s. Abschn. VI, Aura. 122 ff.) eine Aufnahme in die

Logik fand 10°). Während aber unseres Erachten« allerdings es haupt

sächlich die grammatischen Anschauungen waren, welche einen Einfluss

auf diesen Zweig der Dialektik ausübten, finden wir doch hinwiederum

auch in der Rhetorik manche Einzelheilen, welche um so eher in die

Dialektik hinübergenommen werden konnten , je mehr von Anbeginn an

die Topik (mit Einschluss der Sophislik) ohnediess dem rhetorischen

Gebiete näher gelegen war, und wenn wir bedenken, dass die-Erörle-

99) Bekker Anecd. II, p. 636 f.: 'Ynojitmtaxe dt iy ovöftan lavra, a

xai avTa eldi) nQogayoQtveicti' XVQIOV, npogtjyoQixov , Intöttov , TIQÖS n

tyov, täs iiQÖg TI i/ov, 6fA.iovv[iov , avv(ovvfj.ov, (ftotärvftov , dtiüvvftov,

tnaivvfiov, f&vixöv, fytairj/jctTixöv, aöoiarov, in'cufoqtxcv , ... ntQilr\nrixöv,

inijj.tftii^ö^tvüv , TztQtexnxöv , ntnoirf^vov , yevixöv, eldixöv, raxnxöv,

aQiS-fjirftixöv , pitTovaiaaiixöv, a7io\siv/^fvov IlQosrjyoQixov ö£

tan TO xoivriv ovalav arjfiaivov ^EgiaTijfiaiixbv ä£ lanv, o xai nivotixov

xaleiTai , TO xar' tgtaT^aiv iiyojj.evov, olov r(s, noiog, noagg,

7irj).lxog. 'AÖQiGtov Si IGTIV TÖ ro; fyoiTrj/jciTixy Ivctvrfios Tt&fptvov, otov

ooiig, onolos, öijoaos, onrjitxog. ^4vci(fO(>ixöv ö£ taiiv, S xnl öfioiioftartxbv

xai ätixrixov xctl avtanoSoiixbv xtttettai , tö ofjioi(aaiv atj/^atvov,

oior Toaovros, irjlixovrog, TOIOVTOS. Hiezu mag z. B. auch beigezogen werden,

was sich bei Planudes negl awrakeiag (Bac.limann, Anecd. graeca U, p. 137.)

atfO()i.

rov „drjnori" awTl&tTcti, oluv jig, oarigoSv, .... önoiogovv

100) Ebend. p. 642 f.: 2vvfi<Jfi6s fan Mgig awäfovaa Siävoiav

r a^ftag xai TO rfjg ei>/*r]Vtias xe%rjviis nirjQovßa. Ttäv dl avviJ£a/j.iov

avfAnkexTixol f*(v etoiv, oaoi ifjv eg/Aijrtlar £71' antiftuv txiftQopfvrp avvötovatv,

tial öt oWe' fttv , <F^, T(, xa(, äiiä ..... äitt&vxTixtii dV elaiv,

oGui IT]V ftlv iffiiiair avväfovaiv, anb 3l nfiäy/uaTog fie TTQ&y/Aa äiiatöiaiv,

tlai dt ol'rf«' tf, »JTOI — avvanTixul äii ftoir, otiot vna^iv /uiv ov

ärjA.ovat, ari/iiaivovai, dl äxoiovfKav, fiol dl ol'de' cl , eiir((> .... naitaauvamixol

ö£ elaiv, oaoi jUf^' v7idc>!;f<og xai ia£iv drjiovßiv , flal dt o'jde'

Inet, (nttneg ..... alTioioyixol dl! etaiv, Saoi ITT" anoäöafi alrlag Tiayte-

Haftßävovrai , elal dt ol'dt' l'va, otfQa, ontog , tvtxct, ovvexcc , Sri, diört

.... äiro(tr)ftaTi)tol dt ftatv, oaois tnaTioQovvTtg elaiftaftev %(>ria9ai, tial de

o'ide' a(3a, xurtt — avh).oyiarixol d( elaiv, oaoi TiQog rag iTinfOQag TF xai

(Ti'/^jji//«? TIÖV euiodtfi-ttav ev diaxeivrai, flal dt o'ide' Sott, itih'i, aMa

[irfV ...... nanunkriQionKiixoi St elotv, oaoi /J.I'TQOV fj xöa/tov 'ivexev naoa-

Infißavoviat , elal dl oide' Sri, (>ä, rij, nov, lol ..... rivee dl ngosuftfctai

xai £vctVTna/J.aTixovg , oiov lf^nr\g , ouiag. Eine Vervollständigung oder weitere

Ausführung dieser Lehre von den Conjnnctionen , welche für die byzantinische

Schnl-Logik bezüglich der avyxarriyoQevfj.aTa sicher von grosser Wichtigkeit war,

suchen wir vergebens bei den übrigen späteren Grammatikern; auch die armenische

Uebersetzung des üionysius Thrax selbst (s. Memoires et dissertations sur les antiquilds

nationales el etrangeres, pulllies par la societe royale des antiquaires de France,

Vol. VI, p. l ff.), welche übrigens manche Zusätze enthalt, bietet hier Nichts dar.

19*

292 XV. Psellus.

rung und Lösung einzelner Sophismen mit mehreren Capiteln der Lehre

von den proprietates terminorum verbunden wurde (— ganz abzusehen

davon , ob unsere Vermuthung über die den Soptel««' Elenchi ange

wiesene Stelle , Anm. 91, wirklich berechtigt sei —), so muss es uns

immerhin sehr wahrscheinlich dünken, dass auch die Rhetorik ihrer

seits ihren Beitrag zu jenem neuen Bestandteile der Schul- Logik ge

liefert habe. Vor Allem ist es die reiche Saat der TQÖTCOI, welchen

zuweilen eine logische Seite abgewonnen werden konnte, und unter

diesen dürfen wir wenigstens die cn5£jjöt£ 101) um der amplialio willen

nicht unerwähnt lassen. Es mag aber auch beachtet werden, dass

Hermogenes, an dessen Technik sich bekanntlich eine Menge von Commentatoren

anschloss, bei der rhetorischen Theorie bezüglich der UQÖGwna

(worin eine Brücke zur supposüio personalis liegen könnte) neben

anderen Momenten namentlich auch ia «{Höftlwx , TU ngos n, ra xara

Gv[i7t\oxriv und t« 7iQogr)yo(>mä erwähnt 102), sowie dass derselbe ge

legentlich der ntQißokrj, welche das Gegentheil der Ka&aQÖrrjs ist,

gleichfalls in dem Begriffe des jrpogÄafijSm/at' einen Gegenstand berührt,

welcher mit der Lehre von der Supposition verwandt ist103). Endlich

noch scheint der Begriff der tx&eTiKa (exponibüia) auf einem Momente

zu beruhen, welches zwischen Grammatik und Rhetorik schwankt oder

vielmehr jener stoischen Verquickung der Dialektik mit jenen beiden

anderen Disciplinen angehört; denn in solchem Sinne trafen wir schon

früher die (nßtrixit ä£jro(itm>! als eine eigene Species des Urlhei

les 104).

All das eben Erwähnte jedoch besieht nur in Einzelheiten, and

101) Longin, de subl. 12. (Rhetores graeci, ed. Spengel, I, p. 260.), Longin,

rhetor. (ebend. p. 301. u. 326.), Anon. rhet. (ebend. p. 440. u. 457.) und sonst

noch häutig.

102) Hermog. de orie rhet. \. (bei Spengel II, p. 133 f.): Täv ovv TIQOOiö

ii 10 f TU ftfv fanv oiu xal dvvaad-m £££i«fe<r#at, TU (fi ov , TÖTIOV <fl

üllias tnfy*' itQoatö-nov TIÜV ä' KV

oiov yeaiQyol, Ifyvoi xal ia o/4otct' nf/j.nrrjV ra xctTa avf*7i).oxi]V

ovo 7iQo;riyo(>ii3v, oiov vfog nlovaiog 'ixTi\v ra XKTU avftTcloxfjv ngoaiä-

TIOV xal noäy/AaTos , oiov fiiiQÖxiov xali.li(o7ii£ö/Aevov <pevyti nogvefaf eß-

3opov T« tt7ii.S nQogriyoQixa , oiov argaTriyös, pj/Ttup.

^103) Hermog. n. lätüv I, 11. (p. 316. Speng.): rtveiai loCvvv ntQißoirj

xar' tvvoiav ptv, oictv r/'roj tgtoötv n nQogiafißdvy? rmirip , nsQt ov 6

löyo; , oiov yfvoq eMei — rj aöoiarov tofitapfrq 'rj oiov ftfyei

(p. 318.) rj orav fty \piiu ifyy r« Tigäy/uara firiöt xa&' tuvta, äliä (jLtra

T<Sv naoaxolov&ovyTiov, oiov' TÖTIOV, /oövov , airCas, ngoaiönov, xcd tii

yvüfMjs joij TiQoatonov, uniios is nttviiav ttöv toiovrtav. Aehnlich Aristitlex

de arte rhet. h. Spengel II, p. 472.

104) S. Abschn. VI, Anm. 115. Mil dem aristotelischen oder theophrastischen

Begriffe der ixöiats im kategorischen Syllogismus (Abschn. IV, Anm. 554. und

Abschn. V, Anm. 50.) haben die ixd-frixu dieser späteren Logik keinenfalls etwas

zu schaffen. Hingegen bildet die $x»eats als eine „Verdeutlichung" wieder ein

stehendes Capitel in der Rhetorik, z. B. Aphthon. Progymn. 5 f. b. Spengel II,

p. 28 ff.

XV. Johannes Italus. 293

es wäre thöricht, zu glauben, dass hiemit die Entstellung jener ausge

dehnten und völlig schulmässig fonmilirten Lehre bezüglich der Grj(iaeia

etwa nachgewiesen sei. Zwischen der grammatischen und rhetorischen

Litleralur, welche uns noch zugänglich ist, und dem Compendium des

Psellus inuss eine reiche Entfaltung der Schul-Logik stattgefunden haben,

deren geschichtlicher Verlauf uns bis jetzt — vielleicht auch für immer

— verschlossen ist 105). Indem es jedoch wahrscheinlich ist, dass

die schulmässige Gonsolidirung dieses neuen Zweiges der Dialektik auf

Einen relativ älteren Kern zurückweise, an welchen als an die ursprüng

liche Grundlage das Spätere anschoss, so darf ich vielleicht die Vermulhung

aussprechen, dass wir möglicher Weise den Themistius (s.

Abschn. XI, Anm. 92 (l1.) für diese logische Behandlungsweise gramma

tisch-rhetorischer Momente verantwortlich machen miissten; denn der

selbe ist unter den älteren Commenlaloren wohl derjenige, welcher am

meisten das Studium und die Praxis der Rhetorik mit der Thätigkeit

eines sogenannten Philosophen verband, und falls unsere obige Annahme

(Anm. 41 u. 64) richtig ist, dass in der Synopsis des Psellus für di«

Kategorien ebensosehr wie für die Topik Themislius der ursprüngliche

Führer war, so scheint derselbe für die Schul-Logik überhaupt ein

gewisses Ansehen genossen zu haben, wornach es jedenfalls sehr er

klärlich wäre , wenn man die Lehre von der Gr^iaGia und von den

Gvyxarr)yoQ£Vfii:ceTa gleichfalls aus ihm entnommen hätte; ja wenn das

letztere dieser beiden Worte sich auch bei Averroßs findet106), so

könnten wir auch diess zu Gunsten unserer Vermuthung benützen, indem

eb«n Themistius es ist, welchen gerade für die Topik Averroes einlässlidi

benützte. Doch bei dem gänzlichen Mangel aller präciseren

Anknüpfungspunkte ist jede derartige Vermuthung von geringer Bedeu

tung 107).

Neben Psellus aber kann auch noch sein jüngerer Zeitgenosse und

Nebenbuhler Johannes Italus (s. Abschn. XI, Anm. 111) erwähnt

werden, dessen Schriften möglicher Weise einen Einfluss auf das latei

nische Abendland ausgeübt haben können. Anna Comnena spricht aus

führlich über ihn, deutet aber dabei — was für uns beachtenswert!]

105) Durch allmälige Benützung und Veröffentlichung alles desjenigen, was

in dieser Beziehung noch handschriftlich in den Bibliotheken vorliegt, könnte viel

leicht einiges Licht in die Sache gebracht werden; denn wenn auch die griechi

schen Litteratur-Erzeugnisse der späteren Jahrhunderte meistens in der That noch

so unbedeutend und jämmerlich sind, so bleibt ja immer noch die Möglichkeit

offen, dass aus der Masse dieses Schundes irgend ein Compendium der Grammatik

oder der Rhetorik sich erhalten hätte und irgendwo versteckt wäre, aus welchem

mit grösserer Deutlichkeit die zur Beantwortung unserer Frage dienenden geschicht

lichen Fäden erkannt werden könnten.

106) Averroes ad Arist. Top. l, 2. (b. Arislot. Opp. laline, Vcnet. 1552, fol.

Vol. I, f. 256 a.): Front facil Aristoteles in libro Perihermenias distingucndo ras

ratione dictionwn , quando illas distinguit in nomen, verbum et dictionem synealegorenaticam

etc. Vgl. folg. Abschn. , Anm. 309.

107) Fände sich in einer Bibliothek eine Handschrift jenes Commentares, wel

chen Themistius zur aristotelischen Topik verfasste, so müsste meine Vermuthung

sofort sich entweder bestätigen oder sich widerlegen.

294 XV. Johannes Italus.

ist — zugleich an, dass Grammatik und Rhetorik nicht die starke Seile

desselben gewesen seien, sondern er sich mehr auf die reine peripatelische

Dialektik beschränkte 108), woraus wir jedenfalls schliessen

müssen, dass, wenn seine litterarischen Erzeugnisse von den Lateinern

benutzt wurden , sicher nicht eine Wirkung derselben anzunehmen ist,

welche jener des Psellus gleichkäme. Indem von der ausgedehnten

schriftstellerischen Thätigkeit des llalus durchaus noch Nichts durch den

Druck veröffentlicht ist, darf ich wohl erwähnen, dass eine in der

Münchner Staatsbibliothek befindliche Handschrift mehrere logische Schrif

ten desselben enthält 109). Es zeigen uns dieselben in schlichter an

spruchloser Form den ganz gewöhnlichen Inhalt der Schul-Logik oder

108) Anna Comnena, Alexias V, 8, p. 257. (ed. Schopen): OvTog dl 6 'I

16s .... UQfjirjTO plv (S 'fTaltag xal (v ijj £ixtt.Cu tip* Ixavbv

..... *Extlthtv ik OVTOS 6 '[ralös, oiix ol6" 'on<og , TTJV KovaTavTivovnoliv

änaarjg natdiCag Xal Tf/vr/g loyixfjg oiix h'ättäg tyovdav

(p. 258.) OvTiag ovv Tovg tvrav&a H%ovTag 6 'fralöf iv(>r)X(ug xal avÖQä-

Oiv öfiilijaas a^oladTixotg .... natättag -lotvw, loyixfjs £| ixeCviav fifraaxuv

xal Mirarjl Ixtlvip ry 1'elly Iv var^gy irooga>fi(li]aev ..... Tovry

yovv ö 'iTaldg 7rpo?OjUtA)i<r«ff tv anttiätvrto 7J9fi xal ßaQßagixtß ovx rfdvvaio

ifi).oaoyCas ilg ßados fi&ltv, äiöaa'xäliov oitos firi<5' tv ifji fiav-

&aveir avtxopi vos , ^pnffouf tav fitatds xal anovotas ßaQßaQixij; näviiav

ie xu&vniQiiQtiv xal TTQÖ tov fAa&slv olöfievos, xal ngds aiirov rbv Vti-

).bv (x nQiörrjs cKpiirjQtas aVitraZuTO , t/jßa&vvas rf^ rj} diuiexTixfj ^ut^ijfifQivoits

9-o(>vßovs £v navärjfioig avvektvaißiv fnoifiio aoffiarixae Ovvtlfttav

iQtoxiUas , xal n&v el n IOIOVTOV TIQOTI&II; xal av&ig vnfyiov ioyov

loioviöigonov ..... (p. 260.) "Ev&tt xal TOV 1'eiiov uiia}(tüi>riaavros Bvfaviö&

tv .... aiiros (piloao<f(as anaarjs n^ofair) diSaaxaiog , VTIUTOS räv

(f'ti.oaö<f tav ^pjj^KfjOKf , xal r«f rt jtoiaroTt).ixag ßCßlovg xal r«» tliaitavixäg

fanoväafcv' xal TJV [*lv Tip oö^cti nolvfia&taraios , äftvos <f£

jU«/Aov tf/ifp rif äiios cf/*()£i;V(j<T«a#«i Ttäv aii(av T-ijV äfivoTaTtjv TIIQInarrjTixrjr

xal ravTtis nMov ir\v äiaitxrixrjV TTQÖS rfi r«f alias i^fVßf

Twi' löytov ov ndvv 11 ev<fv<5s tfyev, ällä nfQl te jr\v ygafiuai txr\v tx<ölivt

ifyvrjv xal TOV QrjToQixov vtxTaqog ovx iytvaaro, oiifä (xet&iv 6 16-

yos IOVTM ?(fi]f>/uocno xal eis xallog airdittfio. Hiezu Annae Comn. Supplementa

ed. Th. Fr. Tafel (Tübing. 1832. 4.) p. 1.: Meiä y«Q TOV navv Wellov

TOV us tiTTy TIS änäarjs aoq.lag xaftrjyeftovu xal -navToCag IÖQIV loyixijs

Tiaiäfvaeus oviog (sc. o 'lialös) tnl Tafs ^iQidTOTeiixaTs Tf%t'oloytais

fifyag tSo'frv tlvai, o&tv xal näaav qilopa&ij vfolafav lii frtvi&v fnfanäaaTo.

109) Nemlich Codex graecus Monacensis 99. fol. enthält zunächst (fol. 279—

386.) 'laiävvuv aoifiuTärov iinaTov xal Siäaaxa).ov iiov <fiioaö<f(ov, TOV

VrnioC, l-xdoaig tlg äiätfOQ« fyTrj/jaia cTi« TÖ xal äicufOQuvg Toiig turn:

HQoßallofitvovg (ein ähnliches Werk wie die navioäanri äiSuaxalla des

Psellus), woselbst auch eine grosse Menge logischer Fragen sich erörtert Qndel;

jedoch muss bemerkt werden, dass dieses Werk wenigstens nicht aus erster Hand

von Johannes Italus herstammen kann, denn fol. 314. v. lesen wir: ,.'/«,•; r r >.. ö

(filöaoifog ö 'tralbs, 6 qfifreijos äidaaxalos , OVTUS' ahCav, tfqalv , ö

JipiffTor/Ajjf tnäyit, u. s. f." Sodann folgt in der Handschrift (fol. 386—423.)

Tov aiiTov txäoaig ei; TO B, T, d TÜV Tonixüv, hierauf (fol. 423—431.)

ToC avTOV n(tö( TUV ßaaiMa xvy. XVO'QÖVIXUV ly(uT>ja«VT« Tiffil dialfxuxtjs

(ein kurzer Abriss der gesammteu Logik), hernach (fol. 431 — 440.) Tov

ttvrov ixdonig TKQI rijtf Ttav avlloyiflftiäv vlrjs xul Trjs avOTaaitog avTiav,

und endlich noch (fol. 440—447.) Tov UVTOV fit&oäos (>i]To(>ix>js fx<fo»ciaa

XV. Nicephorus Blemmides. 295

die «blichen Controvcrsen der Coinmentatoren. Bemerkenswcrlh ist,

dass Ita(us hei Besprechung der Syllogistik die oben angerührten Me

morial-Worte des Psellus anzuführen verschmäht110); hingegen hätte

nicht bloss allenfalls eine Lücke, welche wir bei Psellus trafen (Anm.

56), aus llalus ergänzt werden können111), sondern es wäre auch

wenigstens möglich gewesen, aus Letzterem die Kunde davon zu schöpfen,

das Galenus nicht drei, sondern vier Schlussfiguren annahm112).

Endlich haben wir noch anzuführen, dass in dem Compemlium

des Nicephorus ßlemmides (s. Abschn. XI, Anm. 177 ff.), wo

derselbe von den Syllogismen handelt, sich jene nemlichen Memorial-

Worte finden, welche wir oben (Anm. 47 ff.) in der Synopsis des

Psellus trafen , jedoch mit Ausnahme der letzten fünf Schlussweisen

der ersten Figur, indem bei dieser sich Blemmides auf die Aufzählung

der vier aristotelischen Modi beschränkt 113). Uebrigens ist es selbst

chronologisch nicht wahrscheinlich, dass die Lateiner die Memorial-

Worte aus ßlemmides geschöpft hätten (denn die literarische Thätigkeit

desselben dürfte fast in eine etwas spätere Zeit fallen, als jene des

Wilhelm Shyreswood), abgesehen davon, dass bei Psellus- diese Dinge,

auf welche von den Lateinern ein übergrosses Gewicht gelegt wurde,

in erwünschter Vollständigkeit vorlagen.

Ueberhuupt concentrirt sich, wie es scheint, der byzantinische Einfluss

ziemlich ausschließlich auf Psellus, in dessen Synopsis das latei

nische Abendland wie durch Zufall ein ihm vortrefflich dankendes Compendium

erhielt. Und wir können diesen Abschnitt nur mit dem Wunsche

schliessen, dass der gelehrten Forschung dereinst gelingen möge, worauf

wir verzichten musslen , nemlich auch noch jene Fäden nachzuweisen,

avvotyiv. Einen Nachweis anderweitiger Handschriften, in welchen Werke

des Italus enthalten sind, gibt M. Hase in Nolices el Extraiis des manuscrits de la

bM. imperiale, Vol. IX, Abthlg. 2, p. 149 ff.

110) Italus hätte wenigstens häufig genug (in den /ItüifOQa u, /»,'/"<'" fol.

318 f. und fol. 329 ff., woselbst von den Sjllogismen die Rede ist, sodann wieder

in dem an Andronikus gerichteten Buche fol. 428., und ebenso in der ganzen

Monographie aber, die Syllogismen) Gelegenheit gehabt, seine kürzeren oder längeren

Erörterungen aber die Schlussweisen mit jenem mnemotechnischen Schmucke aus

zustatten, wenn er hiezu geneigt gewesen wäre.

111) Nemlich in jenem an Andronikus gerichteten Compendium bespricht lla

lus (fol. 429 f.) jene aus der Analytik entnommenen Momente, welche bei den La

teinern unter der Bezeichnung de polestalibus syllogismorum vorkommen, jedoch

allerdings in einer Weise, dass nicht angenommen werden kann, die Lateiner hätten

hier ebenso lediglich nur übersetzt, wie sie mit Psellus verfuhren.

112) In den diaqtoQ« fTjriJjUßT« fol. 330. v. steht folgende Stelle: Tu 6*i

OxrjfiaTa räv aviloyiafjiijv rat/T«' 6 Fnkrivos rf£ xai r^rcefirov £711 roi/roij

eifaaxev tlvai, tvavittog ngös TÖV 2iaytiQltiiv <fi(>öfitvo(, oe ia^jigö-

TtQov ävaqiavijvai oiö/ttvos Ttäv iriv loyixijv -n^ayfiontCav ffrf^ov^fvmv

nakttitäv ta; noggtararov tvdtios txntmiaxe. Es kömmt demnach diese Stelle,

welche ich im Jahre 1855 noch nicht kannte, aus der griechischen Litteratur als

zweite zu derjenigen hinzu, welche ich Abschn. IX, Anm. 100. bezüglich der soge

nannten Galenischen Schlnssflgur anführen konnte.

113) Nicephori Blemmidae Epilome loyica ed. Wegelin (Augsburg 1605, 8.),

p. 229 ff.

296 XV. Nicephorus Blemraides.

welche in den letzten Hauptabschnitt der Synopsis zusammenliefen;

denn vorläufig bleibt uns (abgesehen von Psellus selbst) die wahrhaft

ursprüngliche Herkunft jenes einen Theiles der lateinischen Logik noch

dunkel, welcher bis zum Sturze des Mittelalters den Unterschied zwi

schen „neuer" und „alter" Logik begründete und , nachdem er eine

lange und wichtige Rolle gespielt hatte, noch weit hinab seinen Einfluss

erstreckt.

XVI. ABSCHNITT.

EINFLUSS DER ARABER.

Sowohl über die geschichtliche Thatsache selbst, dass die Lilteratur

der Araber auf das Abendland eine ausgedehnte Einwirkung ausübte,

als auch über die Ereignisse und Zustände, durch welche jene Be

rührung zwischen Orient und Occidenl bedingt war, können wir jede

weitere Erörterung hier füglich bei Seite lassen, da all Solches Iheils

allgemein bekannt ist, Iheils ausserhalh unserer hiesigen Aufgabe liegt.

Hingegen darf wohl schon hier — mit dem Vorbehalte der näheren

Erörterung im folgenden Abschnitte — die allgemeine Bemerkung

vorausgeschickt werden , dass der Einfluss , welchen die logischen Lei

stungen der Araber auf das lateinische Abendland seit dem Beginne des

13. Jahrhundertes äusserten, völlig verschieden war von der Wirkung

der byzantinischen Lilteratur; denn während die letzlere für die latei

nische Schul-Logik und die Gestaltung der Compendien maassgebend

wurde, brachten die ersteren mehr einen gelehrten Betrieb der Exegese

des aristotelischen Organons in Aufschwung, und mit der hieraus er

wachsenden Litleratur der Controversen slelllcn sich nun erklärlicher

Weise wieder die Streitigkeiten über die Geltung der Universalien ein,

jedoch mit dem wesentlichen Unterschiede, dass für diese Erörterungen

jetzt durch die Benützung arabischer Schriften eine weil umfassendere

und tiefer einschneidende Basis dargeboten war.

Während aber die arabische Litteratur in Erklärung des Aristoteles

ebensosehr wie auf anderen Gebieten sich unendlich reichhaltig und

manigfaltig entwickelte, so dass sie nach dein Stadium einer hohen

Blüthe wahrlich gleichsam in ihrem eigenen Felle erslickle, war es nur

ein Bruchlheil derselben, welcher dem lateinischen Abendlande durch

Ueberselzung zugänglich wurde und in solcher Form den genannten

Einfluss ausübte. Und hiedurch sind wir hier an dem Punkte ange

kommen, wo sich der Titel, welchen ich von vorneherein meiner Arbeit

gab, rechtfertigen muss. Denn indem ich eine „Geschichte der Logik

im Abendlande" schreiben wollte und will, habe ich aus dem weiten

Umkreise arabischer oder arabisch-jüdischer Logik nur dasjenige beizuziehen,

was in die damalige Sprache des Abendlandes übertragen wurde.

Alles Uebrige sowie zulelzt auch die richtige historische Würdigung

der in das Lateinische übersetzten arabischen Erzeugnisse muss ich

jenen Gelehrten überlassen, welche diesen Zweig der Kunde des Orientes

298 XVI. Die lateinisch-arabische Logik.

zu ihrer speciellen und dankenswerten Lebensaufgabe gemacht haben.

Ja selbst die blosse Kenntniss der arabischen Sprache — wenn ich

sie besässe — würde weder ausreichen noch mich dazu berechtigen,

in fremde Wissensgebiete überzugreifen; denn wenn ein hervorragender

Kenner jener Litteralur sagt, eine wahrhaft genügende Geschichte der

arabischen Philosophie müsse erst noch in Zukunft einmal geschrieben

werden1), so leuchtet dieser Ausspruch darum sofort' ein, weil Alles

erst noch von der Ausbeutung handschriftlicher, bisher unvollständig

oder gar nicht benutzter, Quellen abhängt; eine derartige Aufgabe aber,

welche wohl mehr als Ein gelehrtes Menschenleben in Anspruch nimmt,

kann Niemand nebenbei neben einem anderweitigen Werke erledigen.

Somit also verzichte ich, ohne darum die einschlägigen Leistungen der

Fachmänner2) ignorirt zu haben, vollständig darauf, die arabische Logik

als arabische besprechen oder darstellen zu wollen, und indem ich mir

nur die arabisch-lateinische Logik zum Gegenstände mache, verfahre

ich eigentlich nach dem „Relata refero", d. h. während ich wohl ge

ahnt zu haben glaube, dass die Berichte und die Auffassungen der La

teiner häufig auf unkritischem Boden beruhen, habe ich nur zu be

richten, welcherlei Doctrin als arabische aufgegriffen und entweder

beifällig aufgenommen oder aber auch bekämpft worden sei. Ja auch

jene Ueberselzungen arabischer Werke, welche im 13. Jahrhunderte

angefertigt wurden , zeigen , soweit sie in vollständigen Drucken oder

vereinzelten Anführungen vorliegen, einen Text, vor welchem wir häufig

schlechthin rathlos dastehen und auf Erreichung eines Verständnisses

verzichten müssen ; aber auch in dieser Beziehung müssen wir be

denken, dass( die Lateiner jener Zeit eben auf jenen nemlicben Ueber

selzungen fussten, und wir kommen biemit auch hierin auf den Stand

punkt zurück, dass wir das Arabische nur in jener Form und jener

Beleuchtung darstellen, in welcher die Lateiner es besassen.

Dürfte nun diese Beschränkung auf die secundäre lateinische Lilteratur

wohl von dem Leser gebilligt werden, so weiss ich hingegen

nicht, ob das Gleiche auch bezüglich einer abermaligen Abgränzung

des hier zu behandelnden Stoffes der Fall sein werde. Nemlich es

wird allerdings unbestritten zugegeben werden müssen, dass all jene

Einflüsse der arabischen Denkweise, welche einer Emanationslchre oder

einem panlheislischen Grutidzuge näher liegen und durch jüdische Lilleratur

sich theilweise bis zu Spinoza hinab erstrecken , ausserhalb der

Aufgabe einer Geschichte der Logik stehen. Hingegen mag als zweifel-

1) Munck, Dictionnairc des sciences philos. l, p. 180.

2) S. in dem so eben genannten Didionnaire (Paris. 1844— 1852, 6 Bände)

die von Munck verfassten Artikel: Arabes , Kendi, Farabi , Gazali, Ibn-Badja, Ibn-

Rosclid, Ibn-Sina, Juifs, Maimonide. Ferner: Flügel, Üisscrt. de arabicis scriptorum

graecorum interprelibus. Meinen 1841. 4. Wenrich, De awtorum graecorum versionibus

sy riaeis , arabicis, armeniacis persicisqtte. Lips. 1842. 8. Schmölders, Documenta

pltilosophiae Arabum. Bonn. 1836. 8. und desselben Essai sur /es ecoles

philosophiques chez les Arabes. Paris 1842. 8. (Uebrigens scheint das Ansehen,

welches Schmölders theilweise genoss, durch Munck a. a. 0. I, p. 179 f. u. u,

p. 506 S. mit guten Gründen wankend gemacht worden zu sein; vgl. auch unten

Anm. 68.) Anderes wird am geeigneten Orte noch besonders anzuführen sein.

XVI. Die lateinisch-arabische Logik. 299

haft erscheinen , wie es hier mit der Erkenntnisslehre zu halten sei.

Und in dieser Beziehung muss ich selbst auf die Gefahr hin, hierüber

Tadel zu erfahren, meinen Standpunkt dahin aussprechen, dass ich nach

reiflichster Erwägung aller Gründe und Gegengründe zur Ueberzeugung

gelangle, die Erkenntnisstheorie hier ausschliessen zu müssen. Die

Araber hatten durch Porphyrius sämmtlich einen neuplatonischen Kern

eingesaugt, zugleich aber waren sie durch Alexander Aphrodisiensis 3)

veranlasst , sich mit den Schwierigkeiten zu beschäftigen, welche die

Psychologie des Aristoteles darbot. Und so enlstanden jene zahlreichen

Erörterungen der Araber über den intellecius (voü?), an welchen wir

durchaus nicht rühmen können , dass sie eine glückliche Versöhnung

des Platonismus und Aristolelismus beigcbracht hätten; denn der pla

tonisch ontologische Objeclivismus wird mit dem aristotelischen subjecliven

Verwirklichungs-Processe des Denkens nur äusserlich amalgamirt.

Das Ganze läuft auf eine Stufenfolge hinaus , in welcher die aristoteli

sche Unterscheidung des vovg «oribjTweo'g und vovg noirjrixög mit pla

tonischer Ideenlehre verquickt wird, und innerhalb der mancherlei

Wandlungen, welche diese Lehre besonders bei Alfarabi, Avempace und

Averroes 4) erfuhr, liegt der Grundion der Erkenntnisslehre im Folgen-,

den : Während im Gebiete des Ohjecliven die ewigen Wesenheilen der

Himmelskörper das Princip der Formen des Seienden enthalten , wirkt

im Menschen der inlelleclus aclivus auf den inlelleclus passivus oder

intellectus materialis, und im letzteren liegen als ein Potenzielles die

intelligibüia materialia (auch formae intelligibües genannt), welche eben

durch den inlelleclus aclivus zur Entelechie geführt werden; hiezu aber

wirken als Mittelglied die Einbildungskraft und das Gedächlniss , d. h.

die sogenannten formae spiriluales individuales , um in höchster und

letzter Stufe zu den inlelligibUia speculaliva zu führen , in welchen

der intelleclus acquisüus jene res ipsissima besitzt, welche ihre reine

Entelechie in sich selbst hat. Und nun versteht es sich von selbst,

dass nicht etwa der Werlh oder Unwerth solcher Erörterungen für uns

der Bestimmungsgrund sei, dieselben hier aufzunehmen oder nicht auf

zunehmen; sondern das Entscheidende liegt darin, dass all diese Dinge

hei den Arabern in der Thal neben der eigentlichen Logik nebenherlaufen

und auch bezüglich der Frage über die Universalien, welche wir

hier zugleich als anle rem und in re und posl rem treffen werden,

sich recht gul mit einem gewissen aristotelische?) Inlellectnalisnius ver

tragen , mochte jene Stufenfolge von den Einen so oder von Anderen

anders modificirl werden. Hiezu aber kömml auch noch, dass, wenn

ich überhaupt jene erkennlniss-lhcorelischen Fragen hier beiziehen würde,

ich nothwendiger Weise die gesammte folgerichtige Entwicklung der-

3) S. Abschn. XI, Anm. 21 , woselbst ich gleichfalls nicht die Aufgabe hatte,

die gesammte Psychologie Alexanders zu entwickeln.

4) Der Leser selbst wird es für irrelevant halten, welche Schreibweise der

arabischen Namen hier und im Folgenden gewählt sei; die Geschichte der mittel

alterlichen Logik darf sich vielleicht der im Miltelalter recipirten barbarisch-latei

nischen Wortformen bedienen , ohne hierdurch das bessere Wissen nber die rich

tige Schreibung verleugnen zu wollen.

300 XVI. Die lateinisch-arabische Logik.

selben darstellen müssle; die liefsic und richtigste Consequenz aber

liegt in dem aus der Schule des Averroes hervorgehenden Monopsychisnius,

welcher, wie jeder Kenner zugeben wird, sowohl an sich

als auch in seiner manigfalligen Bekämpfung wahrlich mit der Ge

schichte der Logik Nichts mehr zu schaffen hat. Somit lasse ich hier

diesen ganzen Zweig arabischer Speculation bei Seite und werde in

gleicher Weise auch bei den Lateinern verfahren, d. h. auch dorl den

Inhalt der zahlreichen Schriften De inlelleclu oder De inlelleclu el inlelligibili

(welche grösstentheils der Polemik gegen Averroes gewidmet

sind) nicht erörtern. An der Beschränkung auf meine specielle Aufgabe,

d. h. auf die eigentliche Logik, welche ja ohnediess bei den Lateinern

parallel neben andere Zweige der Philosophie tritt, gedenke ich fest

zuhalten. Wenn ich in dieser meiner Resignation nach dem Urtheile

des Lesers einen Irrlhum begehe, so habe ich wenigstens nicht unab

sichtlich gefehlt.

Die Araber, welche nur durch die Vermittlung der Syrer dazu

gelangt waren, sich mit den Erzeugnissen der griechischen Litteratur zu

beschäftigen 5), zeigen an innerer Unselbstsländigkeil des philosophischen

Impulses eine grosse Aehnlichkeit mit dem abendländischen Mittelaller;

auch sie verhielten sich weil mehr receptiv , als productiv, und im

Ganzen kann bei ihnen weniger von einer Weilerführung oder Fort

bildung der antiken Philosophie, als von einer commentirenden Thätigkeil

die Rede sein. Aber sie unterschieden sich von der analogen

Richlung des früheren lateinischen Millelalters nicht bloss durch eine

grössere Raschheil der Assimilalion, sondern vor Allem durch den Um

fang des von ihnen beni'Uzlen Maleriales. Nachdem nemlich bei den

Syrern in frappanlesler Aehnlichkeil mit der Dlteren Epoche des christ

lichen Abendlandes gleichfalls der Umkreis der Logik sich auf die Isagoge

des Porphyrius, die Kalegorien und das Buch De inlerprelalione

beschränkt halle, und unier den weniger beachlelen übrigen Theilen

des Organoris besonders die zweile Analytik fast gänzlich unbekannt

geblieben war6), überflügelten die Araber in Folge der einmal em

pfangenen Anregung alsbald die syrische Lilteralur und übersetzten nicht

bloss die sämmtlichen Schriften des Aristoteles, sondern auch die Commentare

des Porphyrius, des Alexander Aphrodisiensis, des Themistius,

und des Philoponus. Und während nun die Araber erklärlicher Weise

auf die nemliehen Controversen hingeführt waren, welche sich vom

Anfange an den Lateinern aus dem Porphyrius aufgedrängt hatten 7),

fanden hier die aufgeworfenen Fragen und Bedenken auf Grund einer

reicheren Lilleralur-Kennlniss eine Erörterung, welche an Inlension und

Extension die Leistungen des Abendlandes weit überlraf. Eben hierin

5) lieber diesen für die allgemeine Geschichte der geistigen Kultur höchst

wichtigen Punkt, dessen nähere Erörterung jedoch uns hier nicht berührt, s. E.

Renan, De philosophia peripaletica apud Syros. Paris. 1852. 8.

6) S. Renan, ebend p. 40 f.

7) Aussei' demjenigen, was aus dem Umkreise der lateinisch-arabischen Logik

im Folgenden anzuführen ist, s. hierüber auch Schmülders , Essai s. l. tfcolts

philos. p. 146 ff.

XVI. Alkencli. Alfarabi. 301

alier liegt der Grund davon, dass das Bekanntwerden arabischer Schriften

im Occidente für die Exegese des Organons epochemachend wirkte.

Versuchen wir nun, die Thätigkeil der Araber, soweit dieselbe

für die Logik einen Einfluss auf die lateinische Litteratur ausüble, näher

darzustellen, so zeigt sich nach wiederholter Erwägung doch noch jenes

Verfahren als das bessere, dass wir für die Einteilung dieses Stoffes

nicht die inhaltlichen Hauptgruppcn der Logik zu Grunde legen, sondern

lieber dem chronologischen Faden der einzelnen Autoren folgen (denn

die jedenfalls unvermeidlichen Ruckweise und Wiederholungen beschrän

ken sich hierdurch immerhin auf eine kleinere Zahl).

Der älteste unter deii arabischen Philosophen, nemlich Alkendi

(Abu-Jussuf-Jacub-Bcn-lsaac-al-Kendi, in der Mitte des 9. Jahrh. blühend),

berührt uns hier am wenigsten; denn die Nachwirkung, welche seine

Ansichten in den Schriften des Alexander Alesius, des Heinrich von

Gent und des Johann Fidanza (d. h. Bonaventuru) zeigen, liegt auf

dem Gebiete der speculaliven Theologie8), und sowie schon bei den

Arabern Alkendi's Commenlare zum Organen durch die umfassenderen

Leistungen Alfarabi's in Vergessenheit geralhcn zu sein scheinen9), so

finden wir auch nur ein einziges Mal bei Albertus Magnus bezüglich

eines logischen Punkte« eine Erwähnung Alkendi's 10).

Hingegen Alfaralhi (Abu-Nazar-Mohammed-Ben-Mohammed-Ben-

Tarkhan-al-Farabi, gest. i. J. 950) war im Allgemeinen der Begründer

jener Auffassungsweise und jener Conlroversen , welche hezüglich der

aristotelischen Logik durch Aviceuna, Algazeli und Averroes weitere

Erörterungen oder Modificationen fanden. Er bleibt, wie sich von

selbst versteht, im Ganzen dem aristotelischen Standpunkte getreu, wenn

er auch in manchen Einzelheiten auf Grundlage der griechischen Commentatoren

zuweilen Bedenken oder seihst abweichende Meinungen

äusserl, welch letzteres ihm hinwiederum von späteren Arahern sehr

verübelt wurde11)- Unter seinen Commentaren zum Organon (— denn

vom Inhalte der Schrift De intellectu sehe ich, wie gesagt, hier völlig

ab — ) hat entschieden jener zur zweiten Analytik (s. unten Anm. 50)

die ausgedehnteste Wirkung auf die Lateiner des 13. Jahrhundert»*

ausgeübt; doch sind wir auch üher seine Gesammtaul'fassung der Logik

sowie über seine Ansicht betreffs der hauptsächlichsten Controversen

8) Auch was Hawdau, fhü. scolast. l, p. 363 ff. aus dem handschriftlich vor

handenen Tractalus de errortbus philosophorum (13. Jahrb.) uiittheill, liegt ausserhalb

unserer hiesigen Aufgabe.

9) S. Mtmck, Dictionn. III, p. 443.

10) S. unten Anna. 30.

11) Ps.-Averr. (warum ich diesen Autor als Pscudo-Averroes bezeichne, s.

unten Anm. 289.) ßuaes. in Prior. Resolut., f. 366. r. A. (ich citire AU dieses

nach Arisl. Opp. Mine, Venel. J552): Non est (sc. Aristoteles) debilioris consideialiunis

inier liomines vel minoris scientiae , quam ille , qui dubitat contra ipstim et

in suo Iractatu respondet per id, qnod ei mdetur, et praecipue quando non est visum

illi, qui eum praecesseril, prout invenimus fecisse Avicentiam in omnibus suis librii.

et deterius, quod hie novus fccisset, est deviare a sua discipltna et progredi alio

itinere praeter suam vican, ut conlingit Alpharabio in SHU libro Loyicae et Avicennae

in scientiis naturalibus et divinis. Vgl. Anm. 49.

302 XVI. Alfarabi.

ziemlich hinreichend durch die häutigen Anführungen hei anderen Autoren

unterrichtet 12).

Alfarahi gibt der Logik eine Beziehung zur Ethik (vgl. Abschn. XI,

Anm. 121), indem die menschliche Vernunft, mag sie entweder bloss

innerlich in der Seele haften oder auch äusserlich im Wertausdrücke

zu Tag treten, jedenfalls ihre höhere und umfassende Funclion in der

Unterscheidung des Guten und Bösen habe , und hiemit die Wahrheit,

welche entweder in letzten unbeweisbaren Grundsätzen vorliegt oder

durch logische Erforschung erreicht wird, diesem Ziele dienstbar sei;

hierin auch erblickt er, insoweit die Logik auf den äusseren sprach

lichen Ausdruck eingehen müsse, einen Unterschied derselben von der

Grammatik, welch letztere ührigens ausserdem auch nur auf die Sprache

Eines Volkes sich erstrecken könne, während die Logik den Sprach

ausdruck der Vernunft aller Völker betreffe 13). Und während so Alfa

rahi den Streit, oh die Logik ein Theil oder ein Werkzeug der Philo

sophie sei (s. Abschn. IX, Anm. 5 ff.), als unnütz bezeichnet14), er-

12) Ich muss es allerdings sehr bedauern, dass ich des äusserst seltenen

Buches ,,Alpharabii, velustissimi Aristolelis interprelis, opera omnia, quae latina

lingua conscripta reperiri .potuerunt. Paris. 1638. 8." (dasselbe befand sich nicht

einmal in Quatremere's Bibliothek) trotz mancher Bemühungen nicht habhaft werden

konnte.

13) Vincent. Bellov. Spec. doclr. III, 2, f. 39. r. B. (ed. Venel. 1591. f. Vol.

I): Alpharabius in libro de divisione scientiarum: Logica intendit dare regulas, qtabus

orationis veril/Uem deprehendimus vel inlus vel apud alias vel alii apud nos:

non tarnen ad verificandum omncm orationem logicae regulis indigemus; eorum enim,

quibus ratiocinando utimur, quacdam sunt , quae probatione non egenl, in quibus

scilicel nullus error esse polest , ut „onrne lolum esl maius sua parte" (vgl. unten

Anm. 60.); nliu vero, quae probationc indigent, quia polest in eis homo decipi.

El ea quidem, de quibus fil probalio , duo sunl , scilicel sermo in voce, ratio in

menle; interprelatio vero fit utraque. Unde id, quod verificat sententiam apud se,

est logos fixa in menle, id autem, quod verifical eam apud alium, esl logos exterior

mm voce; logos autem, qua verificatur sentenlia, vocabanl anliqui syllogismum,

sive fixa sit in anima sive exterior cum voce. Interprelalio itaque logicae ,\umptt

esl a summa intentionis nominis , quae triplex esl; logos enim, i. e. ratio, alia est

exterior cum voce, alia fixa in animis , lertia vero est virtus creala i*

homine, quae discernit inter bonum et malum et scientias ac partes earum apprehendil

Quoniam igilur haec scientia dal regulas de logo exleriore et interiore,

quibus certificalur, utramque vero tertia logos regit et comprehendil id quod rectius

est, idcirco logica a logos secundum tres huius nominis inlenliones derivatur. Quamvii

autem plures scientiae denl regulas de logo exteriore, sicut grammalica, haec tarne«,

quae dirigit ad illud, quod omnino necessarium est, dignior est hoc nomine. Praelerea

grammatica non dal regulas nisi de diclionibus unius gentis tantum,

logica vero non dal regulas nisi secundum quod convcnerint in aictiones omnium genliinii.

üebrigens ist dieses die einzige Stelle, in welcher Vincenlius v. Beauvais

auf dem Gebiete der Logik ein Exccrpt aus Alfarabi mittheilt, während er in an

deren Theilen seiner Encyolopädie jenen Autor vielfältig benützt.

14) Albertus Magnus, De praedicab. I, 2, p. 3 A. (Opp. ed. Lugdun. 1651,

fol. Vol. I.) : Hanc autem contenlionem (d. h., ob die Logik Theil der Philosophie

sei oder nicht) Avicenna et Alfarabius dicunl esse frivolam et infrucluosam. Fritolum

quidem, quia in conlradicendo sibi inlenlionem ad idem eodem modo dictum no»

referunl; dicenles enim, logicam plülosopliiae partem non esse, realem et conlemplalivam

philosophiam vocanl; conlradiccnles autem his et dicentes, logicam partem

philosophiae esse, omnetn comprehensionem verilatis qualilercunque exislenlis, sive i*

se sive in nobis cognoscenlibus vel operanlibus, vocant philosophiam. Et sie frixolt

XVI. Alfarabi. 303

blickt er — und hierin folgen ihm alle Araher — die wesentliche

Aufgabe der Logik darin, dass man durch Anwendung derselben „von

Bekanntem aus zur Erkenntniss des Unbekannten" gelange, und dass

eben hiezu die Beweisführung (argumenlalio) das Werkzeug sei 15).

Indem aber das gesuchte Unbekannte entweder ein Einfaches (incomplexum,

d. h. ein Begrill') oder ein Zusammengesetztes (complexum,

A. h. ein Urlheil) sein könne, zerfalle die Logik eigentlich in zwei

Theile , nemlich in die Lehre der Begriffsbestimmung und die Lehre

der Bewahrheitung, wovon jedoch der erstere Tbeil bei den Griechen

fehle 10). D. h. Alfarabi nahm in Folge jenes bei den Commentatoren

ningeljürgerlen Molives, dass vom Einfachen zum Zusammengesetzten

aufzusteigen sei (Ahscliu. XI, Anm. 122), Alles dasjenige, was im Organon

betreffs der incomplexa enthalten ist, nur als unerlässliche Vor

bereitung zur Lehre von der Argumentation, welche sieb auf die complexa

bezieht, und innerhalb der traditionellen antiken Logik hat ihm

das Urtheil nur als Bestandteil des Syllogismus und der Begriff nur

als Bestandtheil des Urtheiles eine Bedeutung; nemlicb die Erwägung,

dass die Begriffe in dem Verhältnisse einer Unterordnung zum Urlbeile

zusammengefügt werden, führt ihn zunächst zu den Universalien (d. h.

zur Isagoge) und zu den Kategorien und zur Lehre von der Eintheilung,

um hierauf die Modalitäten der bejahenden und der verneinenden

Aussage zu untersuchen; und da nur in solcher Form (d. h. im imlicaliv)

der Salz die Möglichkeil des Wahrseins oder Falschseins enthält,

so wird er nun Gegenstand der Syllogistik, welche eben darum auf

die zweifache Urtheilsform, nemlich auf die kategorische und die hypo

thetische, hingewiesen ist und in entsprechender Weise auch zweierlei

Syllogismen zu entwickeln hat; indem aber zur Beweisführung zunächst

die Auffindung der erforderlichen Gesichtspunkte gehöre, ergebe sich

die Notwendigkeit der Topik (vgl. Abschn. XI, Anm. 128), und insoferne

hierauf zur Beurlhcilung das Gefundene nach Form und Inhalt in

seine feste Grundlage aufgelöst werden müsse, reibe sich die erste

Analytik und sodann die zweite Analylik an; endlich aber, um bei All

diesem vor Täuschung gesichert zu sein, folge die Kennlniss der Sophicontendunt

non ad idem suam referentes intentionem. Infrucluosa etiam huius conlentio,

quia de proposila nihil declarat inlenlione.

15) Albert. M. ebend. I, 4, p. 5 6.: Argumentatio igilur logici instrumentum

est , logica autem generalis et docens de hoc est ut de subiecto , per quod utens logicus

in scientiam venit ignoti per nolum; argumqntatio igilur logicae docentis proprium

subiectum est. El haec est trium philosophorum senlentia, Avicennae scilicel,

Alfarabii et Algazelis.

16) Albert. M. ebend. I, 5, p. 6 A.: Divisio autem logicae et quae sunt parles

ipsius, ut dicunt Avicenna et Alfarabius, accipienda sunt ex intenlione ipsius

Logica inlendit docere principia, per quae per id, quod nolum esl, deveniri potesl

in cognitioncm ignoti ; est autem aul incomplerum , de quo quaerilur , quid sit , aul

complexnm, de quo quaerilur, an verum vel falsum sit Istae ergo sunt duae

partes logicae; una quidem , ut doceanlur principia, per quae scialur diffinilio rei

et quidditas; altera vero, ut doceantur principia, qualiler per argumentationem

probetur orationis tieritas vel falsitas (vgl. Anm. 60.) Sed prima harum partium

vel ab antiquis non tradita est, vel ad nos non pervenit; hanc etiam parlem

dicunt Avicenna et Alfarabius ad Arabes non pervenisse.

304 XVI. Alfarabi.

stik 17). Doch knüpft sicli hieran auch noch die Berücksichtigung eines

cli-ni Beweisverfahren nachfolgenden Momentes; nemlich in ähnlicher

Weise, wie wir solches bei den griechischen Commentatoren trafen

(Abschn. XI, Anm. 122 f.), wird auch hier darauf hingewiesen, dass

die ganze Theorie der Argumentation sieb je nach dem Stoffe inoilificire,

indem sie in anderer Weise bei den erdichteten Begriffen der

Poesie und wieder in anderer Weise in der Rhetorik auftrete, was

seinerseits mit dem Gegensatze zwischen Wahrscheinlichkeit und Nothwendigkeit

zusammenhänge18). Ja, was diese Bezugnahme auf Rhetorik

und Poetik betrifft, so müssen wir bedenken, dass nur aus eben jenen

Auffassungen der Comraenlaloren der Umstand sich ergab, dass die

Araber (besonders Averroes) ihre Erklärung der aristotelischen Rhetorik

und Poetik enge an das Organon anknüpften (vgl. Anin. 51). Eine uns

17) Ebend. c. 7, p. 9. B ff. : Siml autem logicus docens quaerere scientiam

incomplexi docet instrumentum, quo accipiatur notitia illius secundum diffinitionem

et ea, quae ad difßnilionem faciunl, et quae diffinitionem circumslant, et quae diffinilionem

perftciunt, et quae difßnilionem mutanl , — sie docens accipere scienliam

complexi docel syllogismum, qui est illius proprimn instrumenlum, et docet alias

species argumenlationum et principia, syllogismi et ea, quae circumstant ipsvm, et

parles et materiam, in qua poni polest forma syllogismi, et aliarum argumenlationum

formas, et quae syllogismum immutant. Et ideo ea, de quibus habet tractare logicus,

secundum ista dividuntur et multiplicanlur. Eins complexi, cuius polest accipi scientia,

nun est di/ferentia , quia so/a indicativa oratio esl, cuius est esse verum t-el

falsum; et ideo tantum illius scienlia polest accipi Sed haec esl duplex, calegorica

scilicet et liypolhetica, sive, ut Arabes dicunl, enunlialio et coniunclio, propter

quod duas species docel constituere syllogismorum, quamvis hypothelicus ad

categoricum habeat reduci. Constmctio aulem syllogismi duplicüer fit, .... ad inveniendum

scilicet et iudicandum. Invcnlio aulem esse non polest nisi per habiludinem

noli ad ignolum, quae habiludo lopica est et in Topicorum scientia docelur.

Judicandi autem scientia per resolutionem invcnti est, quod resolritur aul in formalia

syllogismi principia aut malerialia , quae sunt principia cerlificantia rem per hoc,

quod sunt causae eins, quod sequitur .... Et duae sunt partes , Priorum scilicel

Analylicorum et Posterionim Analyticorum Ne autem fiat deceptio circa ea, quae

dicla sunt, invcnla esl scicnlia de sophislicis elenchis ; adhuc aulem ne fiat impedimenlum

ex parte eius, qui quaeril accipere, inventae sunt cautelae tentatoris

Quia vero Syllogismus non scitur , nisi sciatur, ex quibus et quol et qualibus est et

qualiter coniunctus, ideo habet agere logicus de enuntiatione et partibus et qualitatibus

et compositione enuntiationis ; non autem polest sie ex uno in aliud discurrere

ratio, nisi accipialur, unitm esse ordinatum ad aliud per se vel per accidens ;

ordo autem est prioris et posterioris secundum naluram vel esse, et sie arcipitur

universale el parliculare per se vel per accidens , et sie innenit modum praedicandi

unum de altem vel negandi. El quoad ordinem imienla est scientia unieersalium

et scienlia praedicamentorum , et quoad modum edicendi unum de alio imenta esl

scientia divisionum ; ralionis cnim opus est ordinäre, componere, colligere et retolvere

ea, quae collecta sunl, quo opere ulilur quasi instrumento in accipiendo scien

tiam , quando procedil a nolo ad ignolum Hae igilur sunt partes logicae , quae

generaliter habent docere modum accipiendi scientiam de quolibel scibili incomplexo

vel complexo ; el hoc iam ante nos determinavil Alfarabius.

IS) Ebend. p. 10 B. (fortgefahren) : Hie tarnen modus secundum materiam, in

qua ponilur , varialur secundum diversilatem maleriae, in qua quaeritur scienlia:

nam in sermocinalibus aliter est in grammatica ; aliter eliam est in poetica,

quae ex ßclis et imaginationibus movere intendit et aliler est in rlietoricis.

quae dicendi docent copiam ad persuadendum iudicem Etenim in realibus ideittiis

aliter est in probabilibus et aliter in necessariis et demonstrativis et aliter in

coniectanlibus.

XVI. Alfarabi. 305

anderweitig aus arabischer Quelle mitgetheilte kärgliche Inhalls-Uebersichl

der Logik nach der Auffassung des Alfarabi sieht von den auf

das Wahrscheinliche bezüglichen Theilen (Topik, Sophistik, Rhetorik),

sowie auch von der Isagoge völlig ab, stimmt hingegen im Uehrigen

mit dem so eben Angefiilirlen überein 19).

Folgen wir nun dieser Gliederung des Organons, so müssen wir

zunächst es als unzweifelhaft bezeichnen, dass Alfarabi sich auch mit

dem Inhalte der Isagoge beschäftigte, denn bei der bestehenden Mei

nungsverschiedenheit, ob dieselbe ein „Theil" der Logik sei, entschied

er sich für Bejahung dieser Frage 20). Insoferne mit den quinque vocrs

der Begriff der von significaliva (^(ptovfj ffijftavwxfj , s. Ahschn. XI,

Anm. 64) in Frage kam, unterschied Alfarabi auf Grundlage der grie

chischen Commentatoren eine fünffache Functiou der Bezeichnung der

Worte21). Was aber die bekannte Kernfrage über die Universalien

betrifft, so finden wir bereits hier jene Verbindung des Platonismus

mit dem Aristotelismus, welche bei den Lateinern durch arabischen

Einfluss eine bedeutsame Quelle neuef Conlroversen wurde; nemlich

schon Alfarabi erkennt an, dass das Singuläre nicht bloss in der sinn

lichen Wahrnehmung sich finde , sondern auch im Denken (intelleclus)

erfassl werde, und ebenso ist ihm das Universelle einerseits für die

sinnliche Sphäre ein den Einzeldiiigen Beigemischtes und andrerseits

ein Erzeugnis« der Denkkraft, welche es aus der Erfassung des gleich

artigen Vielen als den einheitlichen Grund heraushebt 22), Und wenn

19; Bei Schmülders, Docum. phü. arab. p. 24 f.: Ratiocinalio ex duabus relius

conslal, quarum ullera esl de praemiitis, quibus raliocinalio ef/icilur, attera vero de

figura, ad quam ratiocinulio componilur ; harum rerum doctrinam praecipil liber

^IvotlLvrixtüv. Praemissue conslant ex terminis et figuris (das Wort ßguris schein!

Schmölders in ungenauer Weise zur Uehersetzung gewählt zu haben , denn wir

erwarten eher formis) , quae ullimae sunl orationis partes. Rerum, quas nratio exponit

, simplicium decem sunl genera, .... quae ex Aristotelis libro De praedicamenlis

petenda sunl; praemissarum figurac exponunlur in libro Ut(>l e (ipr/vitaf ; praemissae

discendae sunl ex eius libro De demonslratione (d. h. aus der zweiten Ana

lytik). Hi libri, priusquam logicae opera navalur, legantur oporlel.

20) Aven: ad Porph. f. 10. v. A: Non video, hoc inlroductorium esse necessarium

pro inilio sumendo in hac arle ; nani non cst pars huius arlis ; Abunazar

vero videlur vclle, quud sil pars eius.

21) Albcrl. !H. De praedicab. l, 5, p. 6 B: Lvgica .... consideral de voce

signißcanle ad placilum, et quid et qualiter significel , quod anliquiores Peripaletici,

ul dicunl Alfarabius el Algazel in quinque modis distinxerunl. Primo qtiidem et

principaliler diclio significat id, ad quod prima inslilulione signiftcare est insliluta,

ul homo hominem Secundo modo...., quod ex cunseguenli supponilur in ipsa,

sicut domus siynißcul fundammtum et parietem Tertio modo, quando res comttatvr

significationem ip.mis , sicul si paries est , fundamcntum esse signißcal

Ouarto modo unum esl in intellectu allerius , sicul homo signiftcat animal

Ouiittu sicut opposilio significal opposilionem , sicul disgregatio albi signißcal

aggregationem nigri.

22) Ebend. Anal. post. I, l, 3, p. 518 B: Dicil enim Alfarabius: singvture

quoddam in sensu esl, quoddum in inlelleclu; singulare quidem in sensu est maleriale

accidenle propriu et incommutabili delemnnatum ; singulare aulem in intellecl-u

aicil lianc formam ab hoc singulari abstractam , quae esl in aninia accidens, quod

•i uiMlur Habitus vel dispositio Universale aulem in sensu dicit Alfarabius eo,

quod tn singulari est inixlum el con/usum, quo hie homu esl homo, universale

PBANTL, Gesch. H. 20

306 XVI. Alfarabi.

die Frage, ob das Universale in seinem Ansichsein das nemliche sei,

wie in seiner Vervielfältigung in der Erscheinung, dahin beanlworlel

wurde, dass es weder völlig das neinliche noch auch völlig verschieden

sei, sondern der Unterschied nur in der Form der Bestimmtheit (delerminalio)

liege23), so konnte nun ebenso im Sinne eines aristotelischen

Inlellectualismus gesagt werden, dass das Universale zugleich in mullis

und de mutlis sei24); und hiernach ist es nicht auffallend, wenn uns

berichtet wird, 'dass bereits Alfarabi jene dreifache Unterscheidung in

„anle rew", „in re", „posl rem" ausgesprochen habe, welche wir unten

(Anm. 177 fl'.) aus Avicenna anführen werden25). In der Erörterung

über die einzelnen fünf Worte hat Alfarabi offenbar den Grund zu jenen

zahlreichen Zweifeln und Conlroversen gelegt, welche wir bei anderen

Arabern (besonders bei Avicenna) anlrefleN, so z. B. was die Defi

nition der Gattung26), oder was einen Verwaudlschaflspunkt der

Gattung und des Unterschiedes betrifft27), oder in der Frage über

eine doppelte Bedeutung der Species, je nachdem man in derselben

die Unterordnung unter die Gattung oder das Moment der Sperialisirung

hervorhebe2*), oder insbesondere in den Untersuchungen über das

Aw.idens nicht bloss bezüglich der Feststellung der Wortbedeutung 2H),

autem in intellcclu dicit id, quod in universalitale ex singulis apprehensis agil

intelleclus ex hoc, quod unam rationem videt in omnibus singulariter apprehensis,

quae sunl unius generis et speciei. El hanc opinionem videnlur approbare Avicenna

et Alqazel et quidam alii.

23) Ebend. De praedicab. fl, 5, p. 20 B: Si autem quaeralur , ulntm ideni

esse sit, quod universale habet per se acceptum et quod habet determinatum el parliculuium

, dicendum, quod nee idem omnino nee diversum omnino; sed idem vel

unum dupliciler; in subslanlia enim idem est , duplex autem ut idem et unum mdeterminalum

et determinatum. El haec est solulio trium philosophorum , Avicennae

el Alfarabn el eiuidem Joannis Grammatici ajiud Arabes nominali.

24) Ebend. II, 5, p. 19 B: Idem probatur per difßnilionem universales tarn ex

Arislotelis verbis quam ex verbis Avicennae et Al/'arabii. Est enim universale unum

de mullis et in mullis; si aulem est in mullis, non habet esse separalum ab illis;

el ideo dicunl, quod universale est, quod est aptum esse in nmltis el in hoc differl

a singuluri.

25) Eliend. IX, 3, p. 93 A: Altendendum autem esl, quod omnia quinque Irifiliciler

cunsiderari possunt (p. 93 B) ut dicunl Avicenna el Alfarabius.

26) Averr. ad Porph. f. 2. r. B: Vera diffinilio yeneris est, quod ex duobus

universalibus ipstim sil illud, quod unirersalius est, per quod debel fieri responsio

ad intcrroijalionem factam de aliqua re, quid sit, ut diffinivil ipsum Alfarabius,

vel quod sit id, sub qua ordinata est species, ut difßnivil ipsemel paulo anle.

27) Divers. Arabum Quaesila, f. 380. r. B: Speculemur sermonem Al/'arabii

dicenlis, quod genus el differentia conveniant in eo, quod ulrumque eorum iiuti/icui

essenlium el substanliam speciei, nisi quod genus notificel substanliam speciei, t»

qua conveniunl alia , differenlia vero nolificat substanliam speciei, qua delcrminatur

ab aliis.

28) Albert. M. De praetlicab. IV, 2, p. 37 A: Alfarabius et Avicenna duas

liic inducunl quuestiones. Una quidem, quia nun duae sinl assignationes , una spe

ciei suballernae, allera speciei specialissimae, ad quam illarum nomen speciei prius

translalum sil ; allera aulem quaeslio esl , cum duae sinl speciei difftniliones,

secundum quam illarum specifs est universale unum de quinque universalibus.

29) Ebend. VII, l, p. 74 A: Avicenna dicit, anliquos, qui de quinque traclarerunl

universalibus, esse diminutos , qui descriptiones accidenlis posuerunt, onlequam

dislinyuci'cnt , in qua significalionc uccidens uccipitur, secundum quod esl

XVI. Alfarabi. 307

sondern auch in kritischen Zweifeln über die Angaben des Porpliyrius

30).

Was sodann die Kategorien betrifft, so scheinen hei Bespre

chung der Einleitungsworte über die Verhältnisse des Homonymen,

Synonymen u. dgl. die Araber überhaupt sich »n Porphyritis (s. Absrlin.

XI, Anni. 65) angeschlossen zu haben und hiedurcli dazu gelangt zu

sein, die „analogen" Begriffe als eigene Species zu zählen31). In dem

wichtigsten Theile aber, neinlich in der Erörterung der Kategorie der

Substanz und ihres Verhältnisses zu den übrigen Kategorien, waren ja

die Araber durch ihre Kennlniss der gesamtsten Schriften des Aristoteles

und insbesondere der Metaphysik wesentlich unterstützt und konnten

daher Erklärungen beibringen, welche dem tieferen Sinne des Aristotelisnins

treu blieben. So hat schon Alfarahi völlig richtig gegen die

Auffassung polemisirl, dass das „ens" über die Substanz hinaus als der

oberste Gattungsbegriff zu betrachten sei (Ahschn. VI, Anm. 76 ff. u.

Abschn. XII, Anm. 89), weil bei „ens" nicht von einer Auffassung einer

Galtung innerhalb einer Species, sondern von dem actuellen Dasein

überhaupt die^lede sei 32), und ebenso konnte in aristotelischer Weise

(s. Abschn. IV, Anm. 473 ff.) das eigentliche Wesen der Substanz in

jenes begriffliche Was (quid) verlegt werden, welches darin eine ge

wisse Aehnlichkeit mit dem Stolle besitzt, dass es in individueller Deter

mination erst das Ziel und die Verwirklichung seiner Bildsamkeit er

reicht33), womit sich dann desgleichen eine richtige Auffassung des

HIHIHI quinque uninersalium (p. 74 B.) Kestat ergo quaestio, quid sit accidens,

secundum quod est unum quinque universalium , semndum Avicennam et Alfarabium.

(p. 75 A.) Tale ergo universale praedicabile de multis per hoc, quod nnlio

luliitt. est sub esse accidcnltili liuius accidenlis, ut dicil Al/arabius, est universale

quinlum , quod vocalur uccidens Dicil Avicenna, quod uccittentale Ins accidens

vocalur, quando uccidens quinlum universale dicitur esse.

30) Ebend. VII, 2, p. 76 B: Assignationes accidenlis dalae a Porphyrio el ab

aliis Peripatcticis mullipliciter dicunlur esse viliosae el repreliensibiles et dicta de

accidenle, proul universale esl, ab Aviccnna et Algazele el Alfarabio el Jacob filio

Alchindi, minus veritatis habere et esse mulliplicilcr imperfeeta, in quibusdam non

vera el in quibusdam imperfecla el in quiliusdam ad rem non perlinenlia.

31) Ebend. l, 5, p. 7 B : Voci significalivae accidunl quinque, scilicel

quod sil univoca el quaedam diversivoca, quaedam aulem mullivoca, eliam quaedam

aequivota, quaedam vero analoga sive proporliona, quae apud Arabes vocalur convenientia.

32) Ebend. IV, 3, p. 41 A : St quis aulem instel et dicat , quod substantia

habet superius ; ens eiiim est anle subslantiam per inlelleclum, quia omnis substanlia

est ens, sed non omne ens est substanlia, ad praesens sufficiat, quod cum ens

praedicatur de substantia vel res vel unum vel aliquid) non praedicalur praedicalione

generis, cum non sil una ratione praedicalum de his, de quibus praedicatur, sed

per prius el poslerius; sed talia praedicanlur praedicatione principii, non generis.

El hoc probat Avicenna el Alfarabius el Algazel el omnes Arabes sie: Sequilur enim,

si homo est, um mal esl, el si animal est, Corpus vivum esl, et si vivum esl , corpus

esl, el si corpus esl , subslantia esl, propler inlelleclum gentns in specie. Sed

non sequilur , si subslantia esl, ens est, quia, sive sil aliquod sive non, semper

genus sequilur ad speciei positionem ; cum aulem dicilur ens absolute , non inlelligilur

nisi ens aclu existens, et ideo non sequilur, si subslanlia est, ens esl,

quia esse ens accidü omni ei, quod est.

33) Ebend. De praedicam. II, ], p. lüü A: l'rincipia aulem subslmliae pro

20*

308 XVI. Alfarabi.

Entblösstseins (privatio, s. Abschn. IV, Anm. 401 ff.) verbinden konnte,

insoferne dasselbe zwar nicht an sich schon als artmachender Unter

schied bezeichnet werden kann, wohl aber in Folge des sprachlichen

negativen Ausdruckes diese Funclion erbDlt 34). Folgerichtig ist es auch,

wenn bezüglich der Kategorie der Relation , welche am weitesten von

der Nalurbestimmlheit entfernt liegt (Abschn. IV, Anm. 313 u. 533),

der bloss subjective Standpunkt des vergleichenden Denkens hervorge

hoben wird 3ä). Hingegen entschied Alfarabi die bei den Commenlatoren

vielbesprochene Frage, unter welche Kategorie die Bewegung

falle (Abschn. XI, Anm. 150), auf Grundlage jener dortigen Controversen

dahin, dass sie zu den Kategorien der Substanz, des Wo, der

Qualität und der Quantität gehöre 36).

Auch in der Lehre vom Urlheile, d. h. dem Buche De inlerpr.,

werden wir den Alfarabi wohl nur als einen Commerilalor betrachten

dürfen. So unterwarf er z. B. die Definitionen des Nouien 37) und

des Verbum38) einer kritischen Exegese, oder besprach die Bedeutung

des I'rädicates als das Verhältniss einer begrifflichen Iiihäreuz im Subpria

sunt id , quod esl quid et formabile, quod eil non materia quidem, sed materiae

proportionem habens in eo , quod suslinel se formans, el in eo, quod formabile

est; ft secuhdum principium, quod esl dans esse Italiens proportionem ad actum formae

, qui est delerminare ad esse et ßnire et dislinguere, sicut dicunt Aricenna el

Alfarabius. Haec autem , quae dicla sunt, valde nolanda sunt, quia solvuntur per

ea multae quaestiones.

34) Ebend. De praedicab. V, 7, p. 66 A : Quamvis enim, sicut dicil Avicenna

et Alfarabius, irrationale et alia similia privative vel negative acceptu non dicanl

vero «offline differentias, co quod differentiu nonnisi positive polest signißcari, tarnen,

quia propria nomina differentiarum non habcmus , unam uotam differenliam ponimus,

el aliam per privalionem eiusdem significamus , quae est speciei suballernae , quuf

ponitur sub genere.

35) Ebend. De praedicam. IV, l, p. 141 A: Avicenna et Alfarabius dicunt,

quod nulla forma, quae sit ens , est fn re , quae non sit absoluta secundum esse,

quod habet in ipso; sed comparatio , quae ß rerum ad invicem secundum

formas quae sunl in relius , fit actu rationis; comparationis . ergo forma, quae

est in his , quae sunl ad aliquid, non est res , sed ratio, ut videtur.

36) Levi Gerson , Praedicam. (. 24. v. A: Sunl quoque aliqui, qui putant.

quod agere et pali dicantur de generibus motus tanhtm , videlicet de motu , qui esl

in stibstanliit et in ubi et qualitate et quantitate , el videtur esse sententiu Alfarabii

iudicio meo.

37) Divers. Arab. Quaes. f. 381. r. B: Difßnivil Aristoteles nomen in libro

l'erihermenias , quod sit diclio signißfans impositione abstracta a tcmpore , et

dixil Abunazar Alfarabius: omnes expositores convenerunl, quod adiectio dicti ,,imposilione"

sit superflua , ex quo dictio non signißcal nisi impositione, et iden dixerunl,

quod per dictionem hie ille inlellexerit vocem Almnasar vero dixil, quod

detuleril Hin HI, quia aliquando tiocanlur etiam multa, quae canit animal , dictiones

ob esse illorum expressionem proximam expressioni dictionum hominis.

38) Albert. M., Periherm. I, 3, 2, p. 255 A: Haec aulem dißnitio verbi ab

Alfarabio sie exponilur, quod consignißcare tempus dicit duo; unum ex intentiuni'

prineipali et alterum ex consequenti; ex principali intentione consignificare tempus

dicit , quod non est significare tempus vel significare rem, quae necessario ent in

tempore, sed per modum, quo cum tetnpore, li. e. per modum agere vel moteri

Ex conseqnenti dicitnr hoc , quod praesupponil , scilicel quoll verbum esl vox signißcaliva

ad placitum , quia, ut dicit Avicenna, verbum, quod hoc modo consignificat

cum tempore, non habet ex se, sed a placito imponentis.

XVI. Alfarabi. 309

jede39), wobei er sowohl auf jene nemliche Schwierigkeit sliess, mit

welcher schon die älteren Lateiner (s. Ahschn. XIV, Anm. 211) sich

bezüglich eines aristotelischen Beispieles beschäftigt hallen "'), als auch

auf jenen Abweg hinwies, welcher »ich öffnet, sobald das im Urtbeile

versteck! Enthaltene sSnimtlich ausgesprochen werden wolle 4 ')• An

dere Controverspunkte scheint er hauptsächlich hei Gelegenheil der Syllogislik

erörtert zu haben.

Insoferne er aber sudann die Top i k als die Lehre von der invenlio

noch vor den beiden Analytiken behandelte (s. Anin. 17), so mag

es genügen, zu bemerken, dass wir auch bezüglich dieses Zweiges der

Logik durch Gilate Anderer Notizen über eine cominenlirende Thätigkeit

Alfarabi's besitzen 42).

Was sodann die erste Analytik betrifft, so müssen wir zu

nächst ein äusseriiehes Moment erwähnen, welches zwar allerdings den

Alfarabi weder allein noch auch als Araber berührt, sondern in der

lateinischen Uebertragung arabischer Lilteralur überhaupt liegt; wir

linden nemliclf- in jenen Ueberselzungen bei Erörterung der Syllogismen

neben der üblichen Terminologie „proposilio" häufig auch das Wort

„praemissa" angewendet, welches sich in der ganzen vor-arabischen

Lilleratur der lateinischen Logik nicht findet*8). Der Inhalt hingegen

der ersten Analytik bot, sowie .bei den griechischen Cominenlatoreii,

so auch hier nur in wenigeren Punkten eine Gelegenheil zu Meinungs

verschiedenheiten dar. Solcher Art neinlich war zunächst die Frage

über das üiclum de omni und Diclum de nullo (Abschn. IV, Anin. 538),

welches Alfarabi in einheitlich gleichuiässiger Weise bei allen Urlheilst'ormen

, d. h. sowohl bei den Urlheilen des Stallfindens als auch bei

jenen der Möglichkeit und der Notwendigkeit, als den Kern der gesamuilen

Syllogistik betrachtet wissen wollte 44). Hieran aber schlössen

39) Ehend. De praedicab. VIII, 8, p. 86 B: Dicunt Avicenna et Alyasel, quod

haec semper vera est ,, Socrates est homo" et haec ,,homo est animal" .... et omnis

illa propositio, in qua praedicalum est de ralione subiecli et claudilur in intellectu

eins. Ebend. De praedicam. VII, 9, p. 184 A: El hoc manifetlum est per Avicennam

et Algazelem et Alfarabium dicenles, sicut vcrum est, quod quando praedicalum

condpitur in ratione subiecli, talis propositio vera est sive re existente sive non

existente.

40) Ps.-Averr. Quaes. in Periherm. f. 361. r. A: Exemplum illius , qnae neriftcalur

composüa et falsificalur dirisa, esl, proul dicimus „Moments esl poela",

quia res connexa non sü opposita rei , cui connectitur, nee in polcntia nee in

actu , sicut est opposilio nominis hominis ipsi morluo , et secundum hunc intelleclum

sermonis philosophi hoc loco convenerunt omnes exposilores , protit relulit Avicenna,

et haec ipsa est opinio Abunazar , sicut videlur de suo sermone in libro Elenchorum.

41) Albert. M., Periherm, II, l, 5, p. 276 A: Quodsi de composito componentia

dtvisim praediconlur , deducelur ad nugationem implicitam S« enim sie

liicalur ,,Socrales esl homo", per hoc quod dico ,,homo", ponilur et bipes, et bipes

elium addilur, ergo Socrates est homo bipes bipes; similiter .... Socrates est homo

homo, et sie in in/iniluin. El scias, quod hunc modum sie ponil Alfarabius.

42) Averr. Top. !. 266. r. A und f. 298. v. B, sowie fs.-Aterr. Epitomc f. 34S.

v. A u. f. 358. v. A (warum „Psendo-Averroes", s. unten Anm. 290).

43) Das Wort „prucmiaa" s. z. B. Anm. 48, 276, 365 u. s. f.

44) Ps.-Averr. , Quaes. in Prior. Resol. f. 367. v. A: Credidit Abunazar, prout

310 XVI. Alfarabi.

sich sodann auch Bedenken über das Verhältniss an, in welchem das

Urlheil des Stattfinden«, zu den beiden übrigen Arten siehe, ob die lelzleren

in erslerem bereiu versleckl enthalten seien u. dgl., wobei auch

die einschlägigen Stellen aus der Lehre vom Urlbeile (Ahschn. IV,

Anm. 278 f.) in Belrachl kamen 45). Ein fernerer Gegenstand der Coniroversen,

in welchen Alfarabi erwähnl wird, lag in der Umkehrung

der Möglichkeits-Urlheile und der Nolhweiidigkeits-Urlheile 4G), sowie

in der Enlwicklung jener Schlussformen, welche sich aus Comhinaliuneii

der drei Arien der Urllieile ergeben47). Wichtiger jedoch als diese

lelzteren bloss exegetischen Bedenken ist die Auffassung Alfarabi's be

züglich jener Stelle, in welcher Aristoteles von den Vorausselzungs-

Sciilüssen spricht (Ahschn. IV, Anm. 580 ff.), denn erklärlicher Weise

spielte hier die gesauimle Theorie des hypothetischen Syllogismus, wie

sich dieselbe seit Theophrastus und Eudemus entwickelt halte, mit

berein. Und so beansprucht denn auch Alfarabi eine gleichmässige

Gellung der arisloleliscben Definition des Syllogismus sowohl für die

kategorische als auch für die hypothetische Form desselben, indem in

beiden Formen die Stellung und Bedeutung des Untersatzes wechsel

seitig eine völlig proportionale sei; jedoch hält er dabei die Bestimmung

als wesentliche fest, dass die hypothetische Form nur dann wirklich

als Syllogismus zu bezeichnen sei, wenn der Untersalz (und biemil

auch die syllogislische Verknüpfung) nicht schon an sich selbsl bekannt

sei, sondern erst als neues Verbindungsglied hinzukomme48). Wenn

videtur ex eins sermone , guod conditio ipsius ,,dici de omni" communis huic libro

sil, quod A dicatur affirmative vel negative de inesse vel necessario out possibili de

omni eo, quod sil B in actu aut possibiliter aul necessario. Ebenü. f. 363. v. A.

Averr. Prior. Resolut. !. 65. v. B: El hoc est , in quo direxil Abunazar meutern

suam contra Aristolelem ; non esl conditio diel» de omni in omnibus tribus proposüionibus

, h. c. absolula el ncccssaria et possibili, una, veluli exislimavil Abunatar.

Gleichfalls über das dictum de omni ebend. f. 72. v. B. u. f. 106. r. A.

45) PS. Averr. a. a. 0. f. 364. r. A: Quae vero propositio sil proposilio de

inesse, exposilores quidem conlendunl in hoc. Quidam cnim ipsorum dicunt, quod

ille rnlurrit per „de inesse", quod pracdicalum insit nubiecto absolute, el quod liaec

contineat neccssarium et possibile el ens in actu, et hoc ftnxit Alfarabius, quod esset

opinio Themistii et Ammonii De Alexandra vero ßnxil Alfarabius, quod inlenderit

per enuntiationem de inesse itlum, quae inest in actu, quae est naturae <•<>»-

tingenlis, qua esl universales Icmpore sensalu, prout dicimus ,,omnis homo nunc esl

alttus", hoc enim non esl impossibile Alexander vero, prout concepit de eo

Alfarabius , dicit , quod inlcndat per absolutum ipsum (cl. h durch das Unheil , in

welchem. die Modalität nicht ausgedrückt ist) absolutum secundum diclionem et non

sccvntlum signum, sicul dicil ibi Alfarabius: absenlia modi esl indicium modi. Vgl.

ebend. f. 362. r. B u. f. 366. r. B. Was hierüber bei Averr. Prior. Resol. f. 68.

v. A u. f. 74. v. B sich findet, gehört zu jenen verzweifeilen Stellen, in wel

chen die Uebersotzung schlechthin sinnlos ist.

46) Ps.-Averr. Quaes. in Prior. Resol. f. 363. r. A (s. Abschn. IV, Aum

543 ff.).

47) Ebend. f. 365 r. B. u. f. 370. v. B.

48) Ps.-Averr. Quaes. in Prior. Resol., f. 368. r. A : Circa hoc aulem est

non parvum dubium, nam tarn putalur , quod difßnilio syllogismi simpliciler concludat

ambos syllogismos s'tnul , h. e. categoricum et condilionalem , quia sicut in

syllogismo categorico ponuntur duae praemissae el ex eis infertur alia res necessario,

tic etiam in syllogismo conditionali ponuntur duae praemissae, quarum una est con

XVI. Alfarabi. 311

aber sodann auch noch berichtet wird , dass Alfarahi manigfache Be

denken über die aristotelische Begründung der Indiiclion (Abschn. IV,

Anm. 642 IV.) geäussert habe4"), so dürfte auch hieraus hervorgehen,

dass derselbe in solch principiellen Fragen, zu welchen auch jene über

die Berechtigung der hypothetischen Syllogismen gehört, sich durch

den Standpunkt der Cnminentatoren (s. Abschn. XI, Anm. 166 und be

züglich der Induction ebend. Anm. 160) zuweilen zu unaristotelischen'

Annahmen verleiten liess (vgl. oben Anm. 11).

Seine cinflussreichsle Schrift aber war entschieden die Bearbeitung

der zweiten Analytik, auf welche unter dem Titel „De demonslralione"

häufig verwiesen wird, wenn auch Einige dieselbe für un

vollendet hielten 50). Den Anknüpfungspunkt der zweiten Analytik an

die erste fand Alfarabi darin, dass nach der Darlegung der Formen des

Scliliesseus nun auf den Stofl" übergegangen werden müsse; indem aber

dieser in den Urlheilen liege, sei zu erwägen, dass die Urlheile in

fünf Unterschieden — was in acht arabischer Weise durch Verglei

chung mit dem Golde klar gemacht wird — sich von dem schlechthin

Wahren zum schlechthin Falschen abstufen, und dass alle diejenigen

Urlheile, deren Wahrheit nicht bereits feststeht, sondern erst auf dem

Wege der Disputation gefunden werden soll, abermals eine Manigfalligkeil

von dreizehn Abstufungen zeigen, von welchen jedenfalls die fünf

höheren Grade in dem demonstrativen Wissen ihre Verwendung und

Formirung linden ; kurz die Wissenschaft der Beweisführung (s. oben

Anm. 15) müsse eben auf die verschiedenen Arten der Urlheile, welche

in den verschiedenen Zweigen des Wissens ausgesprochen werden , als

i/tlittiintis et repetita esl calegorica. Ac etiam in scientiis iam rcpcriunlur muH a

qunesita , quac ostendnnlur per syüoißsmum,ci>ndüionalem siinpliciter. El proinde

ail Abunazar, quod proporlio parlium illorum, qui contexunlur ex demonslrationibus

c ondilionalibus , sil proporlio partium illorum, ex quibus contexunlur categorici, el

dixit in libro Priorum Analyticorum , quod syllotjismi , qui componunlur per locum

iuferenliae connexionis , .... sinl conditionalcs , el oslendil, quod haec loca sint

dcmonslraliva, el sie de reliquis locis , ex quibus conlexuntur sylloijismi conditionales.

Totum ilaque hoc esl, quod dubilalur circa hunc scrmonem. Quod videlur

autem ex inlentione Abunazar 'et Avicennac, est, quod ipsi concedant, quod dif-

/initio syllogismi simpliciter conlineat ambos sylloyismos (f. 369. v. A)

Quidam sylloyismi sunt oraliones proccdentes processu cundilionis el illi sunl in rei

verilale syllogismi condilionules , quorum repelitum et coniunctio est ignota; sequitur

null' M Abunazar, quod non sil Syllogismus condilionalis ille , cuius repelitum

sil per ie nolum el coniunctio per syllogismum. Vgl. Averr. Prior. Resol. f. 83.

v. A.

49) Averr. Prior, Resol. !. 123. v. A: Semmdum hoc solvunlur omnes dubilationes

, quas esl asscculus Abunazar.

50) Averr. Posler. Resolul. f. 212 T. A: Quod aulem Abunazar non alligeril

locum islum (d. h. Arisl. Anal. posl. H, 8.), manifestum utique per verba sua in

libro ipsius De demonstrationibm et ex verbis suis in libro Elementorum. (Jedoch

slall Elemenlorum , welches allerdings in den hierauf folgenden Zeilen abermals

sich findet, scheint nach einem anderen Citate — s. dasselbe oben Anm. 40 —

wohl Elcnchorum gelesen werden z» müssen.) Ps.-At'err. Quaei. in Post. Resol. , (.

376 v. B: Totum aulem hoc significat, quod liber Abunazar De demonslratione nondum

fueril complelus, nain polius pulandum est hoc de Abunazar, quam quod sil

putandum, quod lalucrint eum hae res. Vgl. ebend. f. 374. v. B. Hiezu den

Schluss der Stelle ans Albertus Magnus in der folg. Anm.

312 . XVI. Alfarabi.

auf ihren Stoff eingehen, und darum folge auf die Syllogistik das demon

strative Verfahren51). Insoferne aber hiebei nicht bloss die Urtheile

als Stoff der Schlussform betrachtet werden, sondern aucli hinwiederum

der Inhalt der Urtheile selbst in Frage kömmt, scheint Alfarabi hier

über das eigentliche Wesen der aristotelischen Apodeiktik aus dem

Gesicht verloren zu haben ; denn er fasste die Urtheile nun nicht mehr

'bloss nach jener Seite auf, vermöge deren sie in ihren verschiedenen

Formen auf verschiedene Weise zur Ergrundung der Wahrheit benutzt

werden, sondern er zog auch den sachlichen Inhalt derselben bei, in

welchem sie zu den Einzel- Wissenschaften verarbeitet werden, so dass

Manche sogar glaubten, Aristoteles habe den Einen der beiden Gesichts

punkte übersehen; und insoferne die zweite Analytik nicht bloss das

Verfahren des wissenschaftlichen Beweises, sondern hauptsächlich auch

das Wesen der Definition bespricht, verfuhr Alfarabi allerdings folge

richtig in gleicher Weise auch bezüglich der Definition, indem er neben

einer allgemein formellen Seite derselben eine specielle und auf die ein

zelnen Zweige des Wissens abzielende Funclion des Definirens hervor

hob ; sonach also zerfiel ihm das bei Aristoteles zweigegliederte Ganze

in vier Gruppen 52). Sowie aber Alfarabi in solchem Sinne sogleich

51) Albert. H. Anal. fast. I, l, 2, p. 515 A: Quod autem iste Über immediate

sequatur librutn priorum secundum, sie probant Avicenna et Algazel et ante

kos Alfarabius. Scienlia enim syllogismorum formaliva in figura et ordine prima

est inier scientias, quae sunl de syllogismo. Propositiones enim, ex quibus fit Syllo

gismus, ut dicunt, ad syllogismum se habent in quinque ordinibits, ut quinque modis

se habet aurum ad artificiatum , quod fü ex auro; materia enim syllogismi propositiones

sunl Sunl quinque ordines in auro, quod quidem primo in ordine

obrizum examinalum et depuratum , u s. f. Simililer propositio habet quinque

ordines; in primo enim ordine est illat, quae est vere credibilis sine dubitatione et

deceplione ; in secundo ordine est propositio proxima veritati , Ha ut difficile

accidat fallacia opinionis . ; in lertio autem .... opinabilis opinione plurium non

sapientum ; in quarlo .... verisimilei , quae cum dolo et simulatione occulla

habent simililudinem verarum ; in quinto ordine esl proposilio quae scilur esse

falsa Dicamus igitur , quod omnis propositio, quae non esl veritatis Stabilität.

sed sumilur ab opponente, in quantum conceditur a respondenle, dividitur in tredecim

partes, seilicel primas , quae sunt insensibiles . ..." el in smsibiles et experimentales

....et in famosas quae conceduntur magis amore boni quam veri

el in propositiones mediatas et existimativas el maximas ab omnibus concessas

.... el syllogizatorias et receplibiles sua probabilitate et eas, quae

videntur esse maximae , non vero sunl et putabiles apud vulgus .... el imitatorias

verorum — et aperle falsas (p. 516 B.) £1 ex omnibus talium generum

propositionibus constituunlur argumentaliones diversarum facultatum, quae omnes

sunt sub logica in genere aecepta, propler quod etiam poclica secundum Aristotelem

sub logica generali conlinetur (s. oboa Anra. 18.); quinque aulem species hartem propositionum,

seilicel primae, sensibiles, experimentales , famosae el medialae , congruunl

demonstrationi in genere acceptae (p. 517 A.) Ex his omnibus pulet.

ad quid se exlendit logica in genere accepla, el quod immcdiate consequens scientia

ad scientiam de syllogismo simpliciler esl scienlia demonstrativa. Et haec, quae dicta

sunt, de scientüs Arabttm sunt excerpta. quorum commentum super hunc posterionm

librum ex sentenlia Alfarabi Arabis ad nos devenil. Näheres s. unten Anm. 276 ff.

52) Averr. , Poster. Resolut. (. 127. r. A: Intenlio libri est, speculari de demonslrationibus

alque de deftnitionibus Demonstraliones namque ex dtiobus consislunl,

quorum unum est proposiliones et hoc est, quod vicem obtinet maleriae,

alterum vero est ipsarum compositio et hoc est, quod vicem exhibel formae

XVI. Alfarabi. 313

die ersten Zeilen des aristotelischen Buches exegetisch erörterte53), so

bot sich ihm in jener Stelle, in welcher Aristoteles seihst zwischen

apodeiktischem Beweise und Syllogismus unterscheidet (Abschn. IV,

Anm. 651), die Gelegenheit dar, gleichsam eine Erweiterung und Er

gänzung der aristotelischen Lehre beizubriugen ; es seien nemlich jene

Erfordernisse, welche dort Aristoteles für das Zustandekommen des

apodeiktischen Wissens aufzählt, nur auf jener Betrachtungsweise be

gründet, nach welcher der Beweis bereits als die potenzielle Entwick

lungsstufe der Definition angesehen werden müsse und hierin allerdings

seine edelste Function besitze (demonstralio nobüitsima), denn nach

dieser Seite könne der wirklich apodeiktische Beweis an keine ander

weitigen Bedingungen ausser den von Aristoteles namhaft gemachten

geknüpft werden; hingegen aber enthalte ja der Beweis noch eine

zweite rein syllogistische Seite in sich, nach welcher er nicht Vor

stufe einer Definition sei, sondern lediglich die zwingende Nothwendigkeil

des Schliessens darbiete, und in dieser Beziehung nun sei zu er

wägen, wie der MiUelbegrifl", welr.her im Syllogismus die wahre Causalität

repräsentirt (Abschn. IV, Anin. 656— 665), in einer mehrfach

gegliederten formalen Stellung zum Oberbegriffe und Unterbegrill'e stehe,

indem hiebei in Anschlag kommen müsse, ob in den Prämissen die

Aussage das Verhällniss der Definition oder des Gattungsbegriffes oder

des artrnachenden Unterschiedes oder des eigenthümlichen Merkmales

oder des zufälligen Merkmales enthalte 54). Durch die nähere Aus-

Ideo incipil hoc in loco sermonem facere de materia Consideral autem in

istis propositionibus numerum ac dispositionem specierum ipsarum, ut eas assequanur,

quatenus possunt deducere hominem ad veritalem, non considerat aulem ipsas,

quatenus sunt una pars entium Differentiae rero ultimae, in qua$ dividuntur

species demonslrationum ex parle maleriae , sunl differe.ntiae , quae inveniuntur in

demonstralionibus , secundum quod sunt uliles ad acquirendam illorum verifcalionem,

non aulem differenliae , quae ipsis insunt, secundum quod sunl unum ex

mlibus , quemadmodum fecit Abunazar in libro suo. Et proplerea quaesiverunl homines

nostri lemporis circa speculationem de demonslrationibus et existimaverunt,

quod ülud, quod adduxit Abunazar hoc in loco, sit res, quam dimisil Aristoteles

hoc in loco In definilionibus non esl aliquid procedens modo formae , pula

ahquid commune, ncque aliquid procedens modo materiae, ita ut dividatur speculalio

ipsius duas in partes Qui ve.ro existimarit, quod in definitionibus invenitur

pars wtiversalis et communis, cuius specnlatio praecedal definitiones appropriatas

unicuique arti, is profccto erravil in hoc errore manifeste, quemadmodum existimatur

fecisse Abunazar JVow separaoit Aristoteles hoc in libro parlem appropriatam,

in qua compilelur qualitas faciendi arles , in demonstralione et de/inilione , quemad

modum fecit Abunazar El proplerea non 'dividilur speculalio in libro «<o qua-

Ivor in partes , quemadmodum fecit Abunazar.

53) Ebend. f. 128. r. B (s. Abschn. IV, Anm. 88).

54) Ps.-Averr. Epitomf, f 351. v. A If. : Sunt ergo conditiones huius speciet dcntmslralionis

absolute novem condiliones , quarum una cst , quod sit vera , secunda

et tcrtia, quod sit universalis et necessaria, quarta. quod pracdicatio sit per se,

gninta, quod eius praemissae sint causa ini'entionis concltisionis , .... sexta, quod

praedicatio in eis sil secundum cursum naluralem, septima, quod ctim hoc, quod

funt priores secundum esse ipsa conclusione, sinl etiam priores secundum cognitionem,

octava, quod praedicalum in eis sit pracdicatum prima praedicatione , nona

autem cst, quod sinl propriae Hae itaque sunl omnes conditiones, qaas Ari

stoteles apposuit, et adiecil Aas conditiones in eis, quia sunt definitiones pro

314 XVI. Alfarabi.

Führung al>er dieses Gesichtspunktes gelangte Alfarabi dazu, den demon

strativen Beweis nacli der syllogislisehen Seite desselben in acht Gat

tungen zu gliedern, vvelebc zusammen dreiunddreissig verscbiedcne For

men des Schliessens darbieten 55). Wenn aber sodann der aristotelische

priae in potenlia ei uniticrsaliler, ex quo sunl nobilissimae et perfeetissimae. Quando

vero capermlur acceplione , qua sunt demonstrationes tantum, nun apponeretur eis

conditio nisi quod sint res necessaria, qualenus sunt demonstrationes, non res, qua

sunt demonstrationes nobilissimae; et si intcnditur numerare tuas species, prout

fecil Abunazar Al/arabius, non adiicietur eis conditio praeter praemissas novem condiliones.

Re aulcm ita se habente et existente condilione necessaria , ex quo

sunl demonstraliones causarum et invenlionis simpliciter, non ex quo sunt deßnitiones

in potenlia, et termini medii in eis sunt causae, ßunl propria kämm specierum,

quod terminus medius in eis sit causa duantm exlremilatum simul .... aut uniut

ipsarum tantum Dum observavcris reliquas conditiones et praecipue conditionem,

qua est praedicalum secundum naturalem modum , sunl ergo termini medii deßniliu

ambarum exlremitalum aut allerius ipsarum, aul pars earum deßnitionis aut allerius

ipsarum. Quando autem inluebimur species combinalionum demonslralivarum, in quibus

est proportio mediorum terminorum duabus exlremitalibus , fiunt combinationes

demonslrativae simpliciler octo species relalae in libro Abunatar Nos autem

numerabimus ex islis combinationibus illas, quae possibilcs sunt combinari ex kis

quinque jiraedicatis , videliccl tx gcnerr et diffcrcnlia et pruprio et accidenle et deß

nitione et ex suis convertenlibus , in quibus eil proporlio medii lermini ad duas extremilales

Et ordinabimus eas secundum ordincm Abunazar Alfarabii

(nun folgen ausführlichst jene achl Arien in ihren möglichen Combinationsweisen,

s. dieselben in der folg. Anm.) f. 352. v. B: Hae ilaque sunl proporliones

demonslralionum simpliciter ad se invicem , et hae. sunt suae parles, sicul palet ex

sermone Abunazar. Vgl. Averr. Poster. Resolut, f. 13l. v. A.

55) Es mag genügen, dieselben aus dem Berichte eines Gegners Alfarabi's in

aller Kürze vorzuführen, nemlich : Ps.-Averr., Quaes. in Post. Resol., f. 372. v.

A ff. : Oportet , quod numcrentur (sc, species demonslratiomwi) non ex ea pari«,

unde /inxit eas numerare ipse Abunazar et deduxil posl se lioinincs in confusiones

el labores inuliles et ambiguitates infinilas ; totiits aulem huius causa fuil remolio

Imius viri a spcculatione Aristotelis circa Aas rcs et deviatio eius ab itinere

ipsins: et idtirco risiim est nobis expediens perscrulari de illis speciebus demonstrationum,

quarum meminerat Abunazar in suo libro, quae sinl demonslraliones sim

pliciler serundum opinionem Aristolelis et quae illarum non sil demonslratio. Dicimus

ilaque, quud prima species primi ycneris est, quod A sit definilio ipsius

B, el B sit deftniHo ipsius C; secunda i-ero species, quod A sil gtnus

ipsius ß, el B sil gcnus ipsius C; ..... lerlia est, A est differenlia ipsius B, et B

differcntia ipstus C; quarta vero species conlraria est primae el esl, quod iptius

A ipsum R sit dcftnilio, et ipsius R sil C deftnilio; quinta, quod in definitione

ipsius A sit genus ipsum B , el in deßnitione ipsius B sil genus ipsuni C i

sexla , quod A sit in deßnitione B, el B in deßnitione C Secundum vero ge

nus, quod comperimus in suis libris , procedil processu prologi seu petilionis pri»-

cipii, nam suppnnit ipsammel conclusionem, proul dicilur, A el B sunl duae deßnilioncs

ipsius C 7'er(ii vero gemris prima species esl: A esl definilio ipsius,

K, el B genus ipsius C; secunda, A esl definilio ipsius B, el B est differenlia

ipsius C; terlia, A est definitio ipsius B, el ipsius B deßnitio esl ipsum C;

quarta, A esl deßnitio ipsius B, el pars cius de/inilionis esl gcnus ipsius

C Quarlum aulem gcnus esl, cuius prima species esl, quando A esl genus

ipsius B, et B est defitiitio ipsius C; secunda, A est genus ipsius B, el B esl

differentia ipsius C; lerlia, A esl genus ipsius B, et B esl deßnitio ipsius

C; quarla, A esl genus ipsius B, el pars deßnilionis ipsius B esl C;

quinta, A esl genus ipsius B, el pars deftnilionis ipsius B esl genus ipsiui C

Quinfi aulem generis prima species esl, A esl differenlia ipsius B, et B est genus

ipsius C; secunda, A esl differenlia ipsius B, el definilio ipsius B esl ipsum

C; (erlia, A est differenlia ipsius B , el pars deßnilionis ipsius B esl ipsum

.

XVI. Alfarabi. 315

Begriff des wt9' am 6 nach einer dreifachen Abstufung des inneren

Nexus zwischen Suhjecl und Prädiral betrachlel wird56), und im An

schlüsse hieran bezüglich des xadd/Lov der Begriff des „primum praedieatum"

dahin festgestellt wird, dass es die wesentliche Gallungs-

Beslimmlheil ausspreche 57) , so hat dieses die gleiche Tendenz wie

Obiges ; denn Alfaruhi will auch hier die Angaben des Aristoteles nur

auf jene Betrachtungsweise beziehen, wornacli die Demonstration in

ihrer höheren und vollkuinmneren Funclion sich zur Definition gestaltet,

während daneben noch die Seite der syllogislischen Notwendigkeit im

praedicalum primum zur Berücksichtigung kommen müsse 58). Auf dem

C; et quarla species esl huic consimilis Sexli autem generis prima spceies

esl, ipsius A deßnilio est ipsum K, et K cst genas ipsius C; secunda,

deßnilio ipsius A esl K, et R esl differentia ipsius C; tertia , deßnitio

ipsius A est B, et in deßnitione ipsius B est C ; et similiter esl quarla species

Septimi aulem generis prima species esl, in ipsius A deßnitionc cst B, et K

est genus ipsiits C; secunda, in ipsius A dcfinilione est B, et B esl differentia

ipsius C; lertia , in dcfnitione A esl B, et definilio ipsius B esl C;

quarla, in definilione A esl B, et B esl in deßnitiont ipsius C; quinla esl,

ul in definitione B esl genus ipsius C Oclavi generis prima species esl, A

est pars definilionis generis ipsius ft, et B esl deßnilio ipsius C; secunda,

pars deßnitionis ipsius A est genus ipsius B, et K esl genus ipsius C; lertia,

pars deßnitionis ipsius A esl genus ipsius K, et K est di/ferentia ipsius C;

quarta, in deßnitione ipsius A esl genus ipsius Bt el deßnitio ipsius B est C

Reliquae vero species, quae pulanlur, quae ceciderinl ex ipsis gencrilius , quae numeravil

Abunazar, comprehendunlur ipsis generibus, et non est visum protrahere longius

sermonem circa ea, qvorum meminit hie.

56) Albert. M., Anal. posl. I, 2, 6, p. 541 A: Scias autem, quod Alfarabius

super to<; um istum (s. Abschn. IV, Anm. 132) in commenlo aliquanlulum sequens

forphyriurn et Alexandrum alitvr dicit ; dicil cnim quod Ires sunl modi dicendi per

se subieclmn de praedicalo el praedicalum de subicclo. El ponil primum modum,

qui potissimus esl, quando in nalura principii et principiantis esl, ul sit in natura

principiati, et Herum cum hoc. in natura subiecli esl, ul pracdicatum sil in eo, sicul

est in nalura principiati per essenliam , ul principians ipsum sit in ipso, sicut in

natura animalis est, quod sil in homine, el in natura hominis est, ul animal sil

in ipso Secundus aulcm modus esl, quando in nalura et diffinilione praedicati

quidem est, ul dicalur de subieclo, el non esl in nalura subiecli, ul pracdicatum

dicatur de eo , sicut se habenl ad invicem corpus et coloralum Tertius aulem

modus esl, ul sil quidem in nalura subiecli, ul praedicalum de co dicatur, et non

in natura praedicati, el ratione, ut ipsa sit in tali subieclo, sicul mors el decollatio

se habenl ad invicem Et haec sunl verba Alfarabii sine addilione el diminutione

el sine exposilione. Vgl. Averr. Posler. Kesol. t. 137. r. B. n. f. 138. r. B.

57) Ai'err. , Posler. Resolut, f. 138. v. B: Dir.ilur aulem universale (xaS-öiov,

s. Abscbn. IV, Anm. 132.), cum praedicalum inest omni subieclo el per se

Jam vero contenderunl de praedicalo primo in demonstralione, quid ipsum sil. Quod

aitlem invenilur in libro Abunazaris, est, quod praedicalum primo existens in demonslratione

esl, quod non praedicatur de f/enere subiecli. Et sunl qui dicunl , quod

praedicalum primo esl, quod non praedicatur de subieclo ex parte, qua inest rei.

Vgl. ebend. f. 141. v. B. Ps.-Averr. Quaes. in Post. Re.sol. f. 371. v. A: Dicimus

ilaque, quod id, quod reperiinus circa hacc apud Abunazar Alfarabium in libris De

demonslralione , sit, quod iam exposueril praedicatum primum, quod sit illud, quod

non praedicatur de generc sui subiecli, el secundum hoc genus eins cst praedicatum

primum, et similiter accidenlia , in quorum deßnitionibus est genus ipsius snliiecli.

Vgl. ebend. f. 375. r. A.

58) Averr., Posl. Resolut, f. 141. v. A: Erravit Abunazar, cum declaravil,

quod praedicalorum demonslrativorum alia sunt appropriala el alia sunl non appro

316 XVI. Alfarabi.

gleichen Standpunkte beruht auch, was über die Uebertragung der

demonstrativen Principien in andere Wissenschaften (Abschn. IV, Anm.

661) gesagt wird, indem Alfarabi auch hier dem sachlichen Stoffe der

einzelnen Wissenschaften eine neben der Beweisform herlaufende Be

rechtigung zuerkannte59); und es stimmt hiemit überein, dass er be

züglich der gemeinsamen Axiome (Abschn. IV, Anm. 162), welche hier

in der lateinischen Uebersetzung unter dem eigentümlichen Namen

„dignitales" auftreten, die Auffassung der Commentatoren (Abschn. XI,

Anm. 22 u. 161) Iheilt und in formaler Lostrennung gewisse unbe

streitbare Salze, wie z. B. namentlich das principium conlradictionis,

als oberste Principien der Demonstration betrachtet B0). Vieles Andere

hinwiederum kann nur als ein Erzeugniss comuientircnder Thäligkeit

priata et aliqtta ex ipsis sunt prima el aliqua. non prima; quodsi haec eondilio,

quam tradidit Aristoteles, sit propter melius el non eondilio necessaria , oportuisset

Abunazarem addere hanc dispositionem , h. e. quod condilionum aliquae sunl

conditiones necessariae , a quibus non effugit demonslratio omnino, et aliquae sunt

conditiones, per quas est demonslratio melior Quodsi esl rcs ilu , igitur perfeclio

sermonis de conditionibus demonslrativis erit per aggregalionem duarum viarwn,

h. e. viae Aristotelis ul viae Abunazaris , et scietttr haec via ex parte, quae est

Imnii , et ex parte, quae est neccssaria. Sed Abubecher Eliaigi (d h. Avempace)

in responsione ad hoc dixil, quod inlentio Aristolelis esl alia ab intentione Abuna

zaris, quoniam Aristoteles, cum intentio ipsius sit, quod demonslraliones sunl defnitiones

in polentia, ideo posuit in ipsis hanc conditionem; Abunazar vero, quonian

speculatus est de demonstratione ex parle , quae est demonstratio simpliciter, idto

divisus est ab Aristotele, et Aristoteles secundum opinionem Abubecheris Elzaigi

adduxil cundiliones , per quas fit demonstratio melior et perfectior, et tacuil de necessariis

, Abunazar vero e contrario docuit conditiones necessarias el tacuil eas,

per quas efficiunlur demonstrationes meliores. Propier hoc igitur oportet , ul sint

ambae, doetrinae deßcientes. Haec igitur res Intuil mutlos expositores et magnos.

Ebenso ebend. f. 212. v. B.

59) Ebend. f. 150. v. A: Sermo igitur Abunazaris in libro suo De demon

stratione ad finem, cum dixit de artibus el declaravit-, quomodo communicant scientiae

et in quo communicanl, et ex hoc declaravit, quomodo el quando Irans fern

possunt demonstrationes de arte in arlem et quomodo non possunt , serwo, inquan,

iste non esl verus, quoniam intellexit per translalionem ilhid , de quo dicitur nomtt

translationis , scilicel quod transferatur proposilio maior , et hoc, quoniam appartt

ex sermone Abunazaris, quod faleatur, esse quaesitum unum in duabus arlilHis, tt

tarnen non fateatur , quod lerminus medius est unus ; et hoc mirandum est de ser

mone illius.

60) Albert. M. Anal. posl. I, 3, 4, p. 559 A : Omnes scientiae demonstralmae

communieantes sunt sectindum commnnia principia, h. c. in hoc, quod principü\

communibus uluntur maximc in usu principiorum communium , quae dicunlur dignitales,

quae, sicut dicit Alfarabius , demonstrationes specialium scientiarum tubitaiitialiter

non ingredimitur, sed tantum per illa principia conjirrnanlur. Hiemit stimm!

auch üherein, was Alfarabi in seinen „ Fontes quaeslionum" (c. 2, bei SchmSlderf,

Docum. phil. ar. p. 44.) ansspricht: Ad noliones probandas omnia illa perlmtnl.

quae sine rebus aliis antea animo conceplis concipi nequeunt; quando e. g. intelligtrt

volumus , mundum esse factum , nobis primum probetur oportcl, mutidum esse co<*-

posilum Hoc iudicium denique ad ultimum iudicium progredialur oporlet, qvoA

nullum, sub quod ipsum Herum cadat, iudicium antecedit; haec sunt iudieia primana

inlellectui manifesla , v. g. ,,duarum enuntiationum conlradictorie sibi oppontanmi

semper allera est »era, aller«, falsa" et ,,totum maius est eins parte" (vgl. oben

Anm. 13). Doclrina has cogitandi vias nos edocens atque hat via el rerum noliones

et probaltones (die gleiche Zweilheilung s. oben Anm. 16.) nobis parans togict

nuncupalur.

XVI. Älfarabi. 317

Alfarabi's bezeichnet werden 61). Hingegen müssen wir noch um der

Lateiner willen besonders hervorheben, dass bei jener Stelle, in welcher

Aristoteles bezüglich des definitorischen Wissens das „Dass" und das

„Warum" bespricht (Abschn. IV, Anm. 688 f.), Alfarahi gleichfalls das

jenige distinguirend trennt, was bei Aristoteles innerlich tiefer verhunilen

gewesen war; er stellt neulich auf die Eine Seite die „demonslratio

quia", in welcher der Miltelbegriff in keinerlei Weise Causalitäl

sei, während andrerseits die „demonslralio propler quill" lediglich den

Causalnexus entwickle und hiehei sowohl die Ursache des Wesens des

Subjecles als auch die Ursache der Inhärenz des Prädicates im Subjecle

darlege , so dass in dieser Beziehung wieder wie oben (Anm. 54) die

verschiedene formale Stellung des MittelbegrilTes zu den beiden anderen

Regriffen in Betracht kommen müsse; eine dritte Art, in welcher die

beiden Seilen sich vereinigen , neinlich eine „demonslralio propler quid

el quia simul", welche bei späteren Arabern noch hinzugefügt wird,

scheint Alfarabi nicht anerkannt zu haben li2). Dass übrigens die Araber

zu dieser ganzen Dislinction möglicher Weise durch (ialenus veranlassl

worden waren, s. oben Abschn. IX, Anm. 101.

Was endlich die Sophist i k betrifft, welche Alfarabi in einem

61) Dahin gehört z. B. was die unmittelbaren Obersätze (Abschn. IV, Anm.

668.) betrifft, s. Averr. Post. Resol. l. 164. v. A, oder die Angaben über das

fjil 16 nolii (ebend. Anm. 131, 276, 660.), s. Albert. M. Anal. posl. I, 2, 17,

p. 551. A; über die im Mittelbegriffe liegende Causalitäl (eb. Anm. 676.), s.

Albert. M. a. a. 0. II, l, l, p. 610. A. n. Ps.-Averr. Quacs. in Post. Resol. f. 375.

v. A; über das Verhältniss zwischen Demonstration und Definition (eb. Anm. 683 ff.),

s. Averr. Post. Resol. f. 204. r. A, 206. v. A, Ps.-Averr. a. a. 0. f. 377. r. A,

380. y. B, Albert. H. a. a. 0. II, 2, 5, p. 624. A; über den l.oyixus avilo-

•yiafiög (eb. Anm. 688.), s. Averr. a. a. 0. I. 212. v. A; über die Praxis des

Definirens (eb. Anm. 697.), s. Averr. (. 223. v. B u. Ps.-Averr. f. 379. v. A.

62) Divers. Arabum Quacsita, f. 381. v. B ff. : Quia Beritt speculalores scienliae

logicae iam perplexi sunt circa cognitionem demonslrationum „propler quid" el

demunstralionum „quia", el non füll eis manifestalus ordo, quo discernuntur demouslraliones

„propler quid" el „quia" cum eo, quod tulit Abunazar circa hoc, pro

quo commendandus est. Causa aulem suae perplexionis circa id fuit id, quod accidit

in editione Demonstration»!» ex sermonibus [allenlibus corruptis , qui non sunt

de litlera Abunazar Et speculabimur id, quod ille retuleral in eius editione.

Sicque nunc reassumemus pro conformilale sermonis ipsius Abunazar el

dicamus, quod notitia inessendi praedicalum ipsi subieclo , i. e. „quia", sil una

indivisa: scifntia vero causae, i. e. „propter ..quid", dividitur in scientiam causae

essendi ipsum subiectum el in scientiam causae inessendi praedicalum ipsi subieclo

et in scientiam essendi praedicalum et subiectum simul, proul retulit Abunazar in

lil/ro Elemenlorum (Elenchorum? s. Anm. 40. u. 50.); sed ipse non iiicminil de

scientia causae essendi praedicalum el subiectum simul , el non est aliquis arguens

hoc Medii lermini demonslrationum causarum, i. e. „propler quid", aul sunt

Jefniliones vel parles definitionum duorum exlremorum ipsius syllogismi aut alterius

tpsorum, aul habenl communilalem cum ileßnilionibus amborum aliquo modo

El lotum hoc , quod videlur ex hoc , est sermo Abunazar ad litteram Demon

slralio ergo „quia" est, cuius medius terminas penilus non est causa Demonstralio

vero essendi el causae, i. e. „quia" et „propter quid" simul, est ipsamel

demonslralio „propler quid", sed dicitur demonslralio „propter quid" tantum una

comparalione El salis fuit ipsi Abunazar commemoratio demonslrationum „propter

quid" et demonslrationum „quia", el reliquil commemoralionem demonslrationum

,, propter quid" el „quia" simul. Vgl. Averr. Post. Resol. (. 161. l. B.

318 XVI. Avicenna.

besonderen Couirnentare erörtert zu haben scheint63), so finden wir!

hier die älteste Quelle jener Zweilheilung des aristotelischen Buches,'

welche von den Lateinern recipirl wurde und nachmals aucli in allen

älteren Druck-Ausgaben des Organons zur Anwendung kam. Man liess

ncinlich beim 16. Capilel (unserer jetzigen Numerirung) ein zweites

Buch der Sophislici Elenchi beginnen, und insofern« dorlselbsl aller

dings Aristoteles von den theoretischen Angaben auf praktische Maass

regeln bezüglich sophistischer Argumentationen übergeht, so hat Alfarahi

hieraus nicht bloss jene Zweitheilung motivirt, sondern auch die An

sicht ausgesprochen, dass das zweite Buch eigentlich als ein Mittelding

zwischen Topik und Sophislik zu betrachten sei '"''). Bei einigen Ein

zelheiten begegnen uns auch hier wieder Hinweisungen auf Alfarabt's

coimnentirende oder seihst ergänzende Thäligkeit 65).

Bei Weitem am ausführlichsten wären wir über die Leistungen des

Avicenna (Abu-Ali-al-Hosein-lbn-Abdallah-lhn-Sina, geb. 980, gest.

1037) unterrichtet, wenn nicht dasjenige, was unter dem Titel „Logica"

nach älterer lateinischer Uebersetzung (wohl hauptsächlich nach jener

des Juden Johannes Avemleath, s. Arnn. 163) gedruckt vorliegt cc),

schon sogleich mit dem Schlüsse der Isagoge abbräche. Jedenfalls isl

diese Schrift ein Bruchstück jener allumfassenden und breit angelegten

Encyclopädie Avicenna's °7), und während wir uns aus der Ausführlich

keit dieses ersten Theiles eine Vorstellung von der einlässlichen Be

handlung des L'ehrigcn machen können, besitzen wir in demselben

wenigstens jenen Complex von Controversen, welcher, insoferne er die

Isagoge betraf, slets für die Lateiner der einflussreichste war. Für die

übrigen Bestandteile der Logik sind wir theils auf die Melaphysica

und die sog. Suffieientia Avicenna's oder auf die Berichte Anderer ver

wiesen, iheils aber können wir auch den (Man des Ganzen aus zwei

anderweitigen kürzeren Bearbeitungen der Logik entnehmen, deren eine

von Vallier im 17. Jahrb. in das Französische übersetzt wurde68), und

63) S. AHOI. 40, 50. u. 62.

64) Aren. Elencli. f. 332. r. A: Quae autem relinquuntur (d. h. nach dem

15. Cap. d. Soph. El.), sunt duue res , quarutii una esl , quomudo respoHdeat respunilens

, secunda autem est, quomodo contradicalut , et utraque islantm rerum

iuvat sapienles per se , el ideo sermo de islis duabus rebus csl , ac si esset

pracler islam arlem , sed arlis Topicae , aut , statt dixil Ahunazar Al/arabivs, eil

artis mcdiae inter Topicam et Sophislicam.

65) So z. B. Ps.-Avcrr. Epilome, I. 357. r. A (betreffs der petitio principii) oder

Averr. Elencli. f. 326. v. A: Wo« aulem invenimus Abunazar Alfarabium in suo

ttbro, quvd iam addident istis lucis octuvum locum, qui est locus permutalionis et

trunslatiunis , h. e. quod loco rei accipialur eins simile, aul consequens ipsttm avl ei

annexum.

66) Auf dem Tilelblatle der in Venedig 1508 fol. gedruckten Ausgabe steht:

Avicennae perhypaletici philosophi ac medicerum fädle primi opera in lucein redacla,

ac nuper quanlum ars mit poluit per canonicos emendata. hogyca. Su/ftcienlia. De

coelo el mundo. De anima. De ummalibus. De inlelligentüs. AlpharaUns dt ntelliyenlüs.

Pliilnsophia prima.

' 67) S. Munck, Dictionn. phil. III, p. 174.

68) La Logique du lils de Sina, cornrnnmlment appelli! Avicennf, prince des pülosophes

et medecins Arabes, nouvellemcnt traduile d'Arabe en Francais par P.

Vallier. Paris 1658. 8. Wenn übrigens Sclimilders, Essai s. l. e'coles phil. p. 103.

XVI. Avicenna. 319

die andere metrisch abgefassle, welche sich als ein äusserst kurzes

Excerpt erweist, von Schmölders mit lateinischer Ueberselzung und

Commentar veröffentlicht wurde 0!')-

Wenn auch Avicenna's Thäligkeil bei einzelnen späteren Arabern

eine scharfe und selbst verwerfende Beurtbeilung fand7"), so müssen

wir demselben doch zugestehen, dass er mit seiner Ausführlichkeit ein

gewissenhaftes und fast ängstliches Bestrehen verbindet, durch lücken

lose und allseilige Entwicklung das Ganze, für welches ilim hauptsäch

lich Alfarahi der Leitstern ist, in sämmüichen Einzclpunkten so klar

als möglich darzulegen.

An die Spitze tritt, wie es bei den griechischen Comnientaloren

üblich gewesen war, die Frage über die Einlheilung der Philosopbie,

wobei er den Aristotelismus in dem Sinne versieht, dass einerseits die

theoretische Philosophie die nicht aus menschlichem Willen hervor

gehenden Dinge lediglich um des Wissens willen erörtert, und andrer

seits die praktische Philosophie das durch menschlichen Willen hervor

gerufene um des richtigen Handelns willen betrachtet, so dass die erslere

(—• und hierin liegt ein Gegensatz gegen Alfarahi's Auffassung, s. Anm.

13 —) in Folge ihrer Unabhängigkeit von praktischen Zwecken eine

höhere Stellung einnimmt71). Jene „Dinge" aber („m", worin für die

Logik der antike Objectivismus überhaupt hervortritt), welche den Gegen

stand der theoretischen Belrachtung ausmachen , sind entweder unbe

rührt von Veränderung und Bewegung, oder sie verfallen einer Ver

mischung mit der Bewegung; und Letzleres kann entweder darin liegen,

dass die Dinge ausserhalh dieser Vermischbarkeit auch keinerlei Sein

haben, mögen sie ohne diesen Beisatz zugleich auch undenkbar (die

Naturdinge) oder wenigstens ohne denselben denkbar sein (das Mathe

sagt „Les simplificalions et les perfectionncments qu'ils (A. h. die arabischen Arisloleliker)

ont appurtei, dans les diffiirentes parlies de la lugique, ont eli de'ja soigneus,

emenl mumdres pur Vallier, traducteur de la loyique d'Ibn-Sinu", so muss der

selbe diese Bemerkung niedergeschrieben haben, ohne Vatlier's Buch auch nur zu

kennen, denn dasselbe enthält ausser der Uebersetzung Nichts weiteres als etliche

Worterklärungen, geschweige denn eine sorgfältige Aufzählung der Leistungen der

Araber.

69) Schmülders, Documenta pli'd. arab. p. 26 ff.

70) Ps.-Averr., Quacs. in Prior. Resol., f. 3(59. v. B: Maior pars libri Suf/icienliae

Philosophiae Ituius viri est contexla ex talibits sermonibus perversis tarn i»

luyicis qtiam in aliis , et qui vult iniliari in liis artibus, expediet ei, quod /iti/iul

eius libros, nam Mi faciunl errare- liominem et exlrahunt ipsum a reclo polius, quam

ipsum dirigant et ordinent ad vcrilatem. Hiezu ob. Anm. 11.

71) Loyica (in obiger Veneüaner Ausgabe) f. 2. r. A: Prima pars Loijycae.

Incipit Lngyca Avicennae.. Capitulum de intrando aptid seienlias. Dicitmts, quod intrnlio

philosop/uae est fomprehcndere verilatem omnium rerum, quanlum possibile est

liomini comprehendere. Kcs autem quae sunt, aut habent esse non ex noslro arki-

Irio vel opere , aut habent esse c;r noslro arbilrio et opere. Cognitio autem remm

primi membri vocatur philosophia speculativa, sed cognitio rerum secundi membri

vocatur philosophia activa. finis vero philosophiae specutativae non est nisi perfeetio

atrimae , ut scial tantum , finis rero praclicae non esl, ul sriat tanlum, sed

ut scial, quid debeat ayere et ai/at. Finis ergo speculativae est apprehensio senlentiae

, quae non esl opus , practicae vero ßnis esl cognitio sentenliae, quae est in

upere ; unde speculativa dignior esl comparari scientiae.

320 XVI. Avicenna.

malische), oder darin, dass die Dinge, während sie jene Vermischung

erleiden, danehen ein hievon unahhängiges Sein besitzen72). D. h.

während hiernit sich die Dreitheilung in Theologie, Naturwissenschaft

und Mathematik von seihst ergiebt 13), ist es die zuletzt erwähnte Seile,

welche auf die Logik führt; nemlich diejenigen Dinge, welche wohl

in die Bewegung verwickelt werden, aber ihr Sein ohne dieselbe haben,

sind eben die intelligiblen Dinge, und so sagt Avicenna ausdrücklich,

dass die Wesenheiten (rssenliae), insoferne sie entweder in den Dingen

oder im Denken (inlelleclus) sind, in dreifacher Weise betrachtet werden

können, da man nach Einer Seite das Wesen in seinem Selbst-Sein

unabhängig von jeglicher Beziehung erfassen und nach einer zweiten

Seite dasselbe in der vielheitlichen Einzel-Erscheinung verfolgen und

endlich nach einer dritten Seile es im Denken selbst erörtern könne;

dann aber in diesem dritten Falle seien all jene Bestimmungen (dispo

siliones) in Betracht fa ziehen , welche dem Denken als solchem eigenthümtich

zukommen, und während ausserhalb des Denkens es keine

Allgemeinheit oder Particularität, keine Wesentlichkeil oder Zufällig

keit, kein Einfaches oder Zusammengesetztes u. s. f. gebe, verbinde

sich das Wesen im Denken mit diesen und allen derartigen Merkmalen,

deren Betrachtung zum Zustandekommen des Wissens unerlässlich iioiliwendig

sei 74). So erhält bei Avicenna der antike Objectivismus die

72) Ebend.: Res autem guae sunl, quarum esse non esl ex voluntale nostra

vel öftere secundum primum membrum , dividuntur in duo , in res guae commiscentvr

motui , et res guae non commiscentur motui. Res aulem , guae commiscenlur motui,

dividuntur in duo, aul in res, guae non habenl esse nisi guia possibile esl, eas

admisceri motui, .... aul in res, guae habent esse absque hoc. lila autem, guae

non habent esse, nisi guia possibile esl, eas admisceri motui, Herum dividuntur in

duo , quia nut sie sunt, guod nee esse nee inlelligi possunt absque materia propria,

sicut forma humana aul asinina, aul sie, quod possunl intelligi absque mulcria, sed

non esse, sicut guadratura Res aulem, quae commiscentur motui et habent esse

sine Mo , sunt sicut idenlilas et unitas et mullitudo et causalitas.

73) f. 2. r. B: Portes ergo scientiae sunl: aut speculatio de concipiendo ea,

guae sunl cum hoc, quod habenl in molu esse et exislenliam et pendenl ex maleriis

propriarum specicrum, aut speculatio, secundum quod sunt separata ab hii in intellectu

lunlum, aul secundum quod sunt separala ab his in esse et inlellectu. Prima

autem pars divisionis esl scienlia naturalis ; secunda esl disciplinaiis pura et scientia

de numero ; pars vero lertia est scientia divina.

74) Ebend.: Essentiae .vero rcrum aul sunl in ipsis rebus aul sunt in inletleclu,

unde habent tres respectus. Vnus respectus esscnliae est, secundum quod ipsa esl

non relata ad aliquod terlium esse nee ad id, quod sequitur etim secundum quod

ipsa est sie; alius respectus est, secundum guod est in his singularibus ; et alias,

sectmdum quod est in intelleclu, et tunc seguuntur eam accidenlia, quae sunt propria

islius sui esse , sicut esl supposilio et praeriicalio et universalitas et particularitas

in praedicando et essenlialitas et accidentalitas in praedicando et cetera eorum, quat

poslea scies. In eis autem, guae sunt extra, non est essenlialitas nee accidentalitas

umnino, nee est aliquod cotnplexum nee iticamplexum nee propositio nee argumentalio

....; cum auti'm volumus considerare ad hoc ut sciamus eas, necesse esl eas

colligere in intelleclu, et tunc necessario accident illis disposiliones , guae sunl propriae

titnlmn inleltecti/i. Hiemil stiniiiil überein Metapli. III, 10, f. 83. v. A:

Mullue disposiliones, guae comitanlur res, cum intelligunlur , non habenl esse nisi

postguam habentur in inlellectu; cum eniiu res intelligunlur, advenil eis in inlellectilius

aliguid, guod non eral eis extra; fiunt enim universale et essentiale et accidentale

et ftunt genus et di/ferenlia et fiunt praedicatum et subiectum el alia huiusmodi.

XVI. Avicenna. 321

specielle Färbung des aristotelischen Intelleclualismus. Indem nenilioh

das Nichtwissen oder beziehungsweise das Unbekannlsein der Dinge nur

suljjectiv im menschlichen Denken liege, so gehe jede jener Bestimmungen,

durch welche wir von Bekanntem auf unbekanntes geführt werden (ob.

Anm. 15), nur vom Denken aus auf die Dinge über, und eben hieraus

ergebe sich die Noth wendigkeit einer eigenen Wissenschaft, welche

diese Denkbestimmungen zum Gegenstände habe 75). Die ganze Frage

aber, ob dann diese Wissenschaft der Logik Tbeil oder Werkzeug der

Philosophie sei, bezeichnet Avicenna ebenso wie Alfarabi als unnütz,

da die Beantwortung derselben nur von der Enge 'oder Weile der Defi

nition der Philosophie abhänge 76).

Auch in der grundsätzlichen Haupteinlheilung der Logik stimmt er

mit Alfarabi (Anm. 16) übeiein, indem er auf den Unterschied zwischen

blossem Verslehen eines Wortes und beifälligem Ueberzetiglsein von der

Wahrheit eines Salzes hinweist "7) und an ersteres die Definition und

deren Nebenarien , sowie an letzleres di« Argumentation in ihren ver

schiedenen Formen anknüpft78), so dass hiemil der Zweck der Logik

Noch deutlicher aber spricht er das Verhältniss der Logik zu den übrigen Zweigen

der Philosophie aus Metaph. l, 2, f. 70. v. A: Subiectum scientiae naturalis est

corpus, non in quantvm est ens ncc in quanlum est subslantia, sed in ijuanlum

esl stibiectum motui et quieti Subieclum vero scientiae doctrinalis esl mensttra

sive intellecta absque maleria sh'e inlellecta in malen« Subiectum vero logicae,

sicut scisti, sunt intentiones inlellectae secundo , quae apponuntur intentionilms primo

inlellcclis , secundum quod per eas pervenilur de coijnilo ad incognilum, in quanlum

ipsae sunt inlellectae et habent esse inlelligibile , quod esse nullo modo p endet ex

materia, vel pendel ex maleria, sed non corporea.

75) Logica, (. 2. r. B: fies aulem non sunt incognitae nisi quanlum ad nos ;

dispositio vero et id, quod accidil rebus ex eo, quod invitumur per eas de cognitis

ad incognita, est disposilio et accidens, quod accidit eis in inlelleclu, quamvis ipsae

habeant esse praeter hoc. Ergo de nccessitate opus est scientia ad cognoscendum

illas disposiliones , quol sunt et quälen sunt et quomodo consequatur hoc accidens.

76) Ebend. : Sed tunc secundum quem fuerit pliilosophia tractans et dividens

et inquirens res , secundum quod habent esse et dividuntur in duo praedicla

esse, scienlia haec secundum eum non erit pars philosophiae , sed secundum quod

prodesl ad hoc, erit secundum eum instrumenlum in pliilosophia; secundum quem

vero philosophia fuerit tractans de omni inquisitione speculaliva et de omni modo,

haec scientia secundum eum est pars philosophiae et instrumenlum celerarum partium

philosophiae (f. 2. v. A.) El inde decepliones, quae sunt de huiusmodi quaestione,

frustra et sitperfluae sunl; frustra, quia non est opposilio in las diclionibus,

unusqitisque enim eorum intelligit de pliilosophia aliud, quam alius; super fluae vero,

quia solticiludo de huiusmodi non prodest. Hiezu ob. Anm. 14.

77) f. 2. v. A: fies scilur duobus modis: uno, ul intelligalur lanlum Ha,

ul , eum nomen habeal, quo appellelur, repraesenletur animo eius inlenlio, quamvis

non sit ibi verilas nee falsitas, sicul eum dicilur ,,homo" aul eum dicitur ,,fac

hoc" ......; altero, ut in inlellectu sit credulitas , sicut eum dicilur tibi , quod

omnis albedo sil accidens, ex quo non habebis intelligere huius diclionis intentionem

lanlum, sed etiam credere ila esse; eum vero dubilaveris ila esse vel non esse,

iam intellexisti quod tibi dictum est; non enim dubilas de hoc, quod non inlelligis,

nee de eo , quod ignoras ; nondum tarnen credidisti.

78) Ebend. : Esl ergo hie quoddam, quod solel prodesse ad sciendum id, cuius

intelleclus nescilur Unum enim eorum esl di/'finitio el aliud descriplio et aliud *

exemplum et aliud quod esl signum et aliud est nomen, sicul postea declarabilur,

sed illud in quo conveniunt, non habet nomen commune .... Deinde per illud cognoscilur

aliud ad modum credendi illud; qualecunque fueril, vocatur ralio ; ralio (das

PRANTL, Gesch. U. 21

322 XVI. Avicenna.

darin lioge, nach diesen beiden Seilen ein festes Wissen über die

grössere oder geringere Vorlrefl'lichkeil der menschlichen Rede beziiglich

der Auffindung der Wahrheit zu erwecken, da üherall der Ahweg zur

schwankenden blossen Wahrscheinlichkeit oder zum directen Irrlhume

möglich sei 79). Und indem Avicenna wohl daran denkt, dass bisweilen

auf bloss natürlichem Wege ohne weitere Technik eine richtige Defini

tion oder eine glaubhafte Argumentation gefunden werde, zugleich aber

Solches als lediglichen Zufall bezeichnet, wohingegen bei der Schwäche

der menschlichen Natur eine Garantie nur in längerer Uebung gefunden

werden könne , und sonach eine förmliche Technik erforderlich sei 80),

so sagt er, die Logik verhalte sich zum inneren Denken ebenso wie

die Grammatik zur Sprache oder wie Harmonie zum Metrum81)- Ehen

hieran aber knüpft sich die Bemerkung, dass jene heifällige Ueberzeugung

nicht durch Einen Gedanken allein, welcher aus Einem Worte

gefasst werden kann, sich erwecken lasse, sondern in den allermeisten

Fällen nur aus den zusammengesetzten Gedanken eines Urlheiles her

vorgehe, daher wie bei allem Zusammengesetzten es sich vorerst um

die Kenntniss der einfachen Bestandteile handle v-). Wenn aber hiemit

Eine Mal fehlt ralio im Texte) alia est Syllogismus et alia induclio et alia similitudo

et alia aliud.

79) f. 2. v. B: Finis autem scientiac logicae est prodesse omnino ad sciendum

haec duo tanlum, hoc est, ul homo sciat, qualiter dcbeal esse diclio dans intelleclum,

qui afferal scienlium i'eritalis essentiae rei, et qualis sit, qui etiam ostendit illam,

quamvis per eam non pervenialur ad veritatem essenliae ipsius, et qualis sit vitiosa,

quae videlur hoc facere et non facit; et etiam ul homo sciat, qualis sil dictio,

quae facit ßdem nccessariac veritalis ita , quod non fossil inßrmari, et qualis sil

fuciens fidem verisimilitudinis , et qualiler sit eiusmodi, ul pulelur esse aliqua duorum

modorum , cum ipsa non sil ila, sed sil falsa, el qualis sil ita, quod opinari

tl flectal animum el sufßciat absque ftde cerlissima, el qualis diclio opcrans in

anima, ad quod opcralur fides, scilicel negationcm el afftrmalionem et prohibilionem

el dilalationem el conslriclionem , non ex hoc, quod facit fidem, sed ex hoc, quod

facit rerisimililudincm. (Den gleichen Inhalt s. auch b. Valtier, p. 2 ff.)

80) Ebend.: Conlingil aulem homini, ut aliquando ' manifeslelur ei diffinilio

naturaliler dans ei inlelleclum et ralio faeiens fidem, el ex hoc esl res non doclrinalis

nee sie vera , quin aliquando fallal ; si aulem nalura cl inlelleclus sufficiunl

ad hoc sine doclrina, sicul fit in mullis, non conlingerel in senlenliis tanla diversilas

el conlradictio , ne.c unus homo contradiceret sibi ipsi aliquando el aliquando HÖH,

cum procederel secundum inlelleclum suum ; nalura autem Immana est insufftciens ad

hoc, quamdiu non acquiril doctrinam, sicut non est sufficiens in mullis aliis ratiombus

, quamvis saepe contingerel, ut faciat reclum, sicut recla iaculatio caeci

Sed quamvis ita sil inquirens scienliam, cum habueril eam el exercueril eam, Hon

lantum erroris accidet illi, quantum illis qui non habenl eam Per exercitia

enim doclrinalia pervenitur ad securilattm errorum. Albert. M., De praedicab. I, l,

p. 2. A: Ut enim dicit Avicenna, modus hie (sc. scientiae) omnibus hominibus per

hoc, quod intellecluales sunt quodammodo, per naluram inditus est; sed imperfectut

est, qui in nalura esl, pcrftcilur aulem per arlem adhibilum.

81) f. 3. r. A : Comparalio autem huius doclrinae ad inlelleclum interiorem,

qui vocalur locutio interior, est sicul comparatio urammalici ad manifestam significalionem,

quae vocalur loculio, el sicul comparatio melodiae ad melrum //...

aulem doclrina egel homo, qui acquiril scienliam considerando et cogilando, niii

'fue.nl homo divinitus inspiratus, cuius comparalio ad consideranles est sicul comparalio

ruslici arabici ad discenles arabicam.

82) Ebend.: Impossibile esl, animum moveri ab uno solo inlellectu ad credeudum

aliquid; hie enim inlelleclus non est iudicium faciendi fidem essendi rem tel

XVf. Avicenna. 323

auch zugestanden sei, dass die Logik durch den Zwang einer Nothwendigkeit

auf die Berücksichtigung des Worlausdruckes hingeführt

werde83), so dürfe dennoch weder, wie von Einigen geschehen sei

(— hieraus sehen wir, dass die Araber zu analogen Conlroverseii wie

die Lateiner durch Ahälard veranlassl wurden —), die Logik sofort als

Sache des hlossen Sprachausdruckes (sermocinalis) angesehen werden,

da ja der Denkact das Entscheidende sei M ), noch aber auch solle man

hinwieder darum, wie Andere lliaten, behaupten, dass die Logik die

Sprachausdrücke insoferne betrachte, afc> durch dieselben Gedanken be

zeichnet werden (inleUecta significunlur) ; denn jenes Sein, welches

die Dinge allerdings im Denken haben, sei noch als ein doppeltes zu

unterscheiden, indem einerseits eben Woss die aus der Aussenwelt

aul'gefassten Dinge im Denken gestallet werden, andrerseits aber Be

stimmtheiten, welche in der Aussenwell nicht vorliegen, den gedachten

Dingen durch das Denken selbst zukommen (Anm. 74), und sowie nicht

diess Beides Sache Einer Wissenschaft sein könne, so falle der Logik

nur die letztere dieser beiden Seiten anheim Vl).

Nachdem nun Avicenna durch solche Betrachtungen hei der Isanon

essendi .... Intelleclus autcm saepe habetur ex nun solo verbo; si autem unum

non sii//icii ad intelligendum illud esse vel non esse in essentia sua aut disposüione,

nee faciet fidem de alio Hoc autem, seilicet ex uno verbo inlelligere, in paucis

contingit, et propler hoc in plerisque est diminulio el malum. Quod autem in ple

risque dal inlelligere, sunt inlellecius composili senlenliae ; compositum auleni componitur

ex mullis et inier muH a sunt ima; ergo in omni cotnposito sunl aliquauna;

unum autem in omni composilo vocatur Simplex, et quia eius , quod componitur ex

mullis, impossibile est sciri naturam ignoratis eius simplicibus , ideo convenientius

eil, prius cognoscere simplices quam compositas.

83) f. 3. r. B: Ad consideralionem autem diclionum ducil nos necessitas; logicvs

enim ex hoc, quod est loijicus , non habet ex hoc primo occupari circa verba

prima nisi quantum ad loqvendum el ugendum ; non enim possibile esset, loyicum

dieere solo intellectu Sed quia necessilas ducit nos ad agendum cum verbis

praecipue , sequilur, ul verba liabeanl dicersas disposiliones , per quas di/ferant

disposiliones intenlionum , quae comilanlur esse in anima ita, quod fiant eius

indicia, quae non haberentur nisi per verba, et ideo necessarium esl in doclrina

logica, ut una pars eius esset consideratio de dispositionibus verborum.

84) Albert. M. , De praedicab. l, 4, p. 5. A : Sunt eliam , qui logicam interpretanlur

idem quod sermocinalcm scientiam Quam opinionem impugnat Avicenna

in primo logicue suae diccns , quod sermo de se nihil siynificat; si enim aliquid de

se significaret, semper el apud omnes illud signiftcarel , quod falsum esl; .... non

ergo significal nisi secundum quod conceptus est in intelleclu inslituenlis.

85) Log. t. 3. r. B: /•,'/ propler hoc non valel, quod ille dixit, seilicet quod

logica instilula est ad considerandum dictionem secundum hoc, quod sirjnificat intellecta,

el quod doclrina logicac esl loqui de verbis, secundum quod significant intellecla

Ille aulem non deliravit sie, nisi quia non apprehendit certissime

subiectum loyicae et modum essendi eius proprium; invenit enim esse, quod habenl

res in intelleclu, et ideo posuit , quod considerare esse, qund est extra, spectal ad

doctrinas physicas, considerai'e vero esse, quod est in intelleclu et quomodo intelligilur

in eo, speclut ad doclrinam aliam vel partem doclrinae , non distingitens et

nesciens , quod ea , quae sunt in intelleclu, aul sunt res formalae in intellectu apprehensae

exlrinsecus, aul sunt res accidentes eis, secundum quod sunt in intelleclu,

quae non fuerunt repraesentalae in aliquo extrinseco; cognitio aulem horum duornm

speclat (wie Jedermann sieht, ist zu lesen non spectat) ad doclrinam unam, quorum

unum est subiectum doctrinae logicae secundum accidens. quod accidit ei.

21*

324 XVI. Avicenna.

goge angekommen ist, erörtert er zunächst den Unterschied zwischen

verbundenen (complexa) und unverbundenen (incomplexa) Sprachausdrücken,

indem bei ersteren, d. h. den Urtheilen, der bezeichnende

Gedanke der Bestandteile selbst ein Theil des Total-Gedankens des

Ganzen sein müsse sfi), bei letzleren aber lediglich das Gegentheil hievon

stattfinde, und sonach ergänzende Bestimmungen, welche von An

deren zur Definition des incomplexum beigebracht wurden, sich als

überflüssig erweisen 81). Die innere Bedeutsamkeit (inlentio) der un

verbundenen einfachen Worte unterscheidet er nun sofort als eine zwei

fache, je nachdem in derselben entweder kein Hinderniss liege, den

Gedanken auf eine Vielheit von Dingen, welche in ihm zusammentreffen,

zu beziehen , oder je nachdem durch die Bedeutung des Wortes eine

solche vielheitliche Beziehung ausgeschlossen sei, und in erslerem Falle,

welcher der häufigere sei, müsse man das Wort als universale, im

letzteren hingegen als parliculare bezeichnen ss), und zwar komme es

hei dieser Definition des Universale nicht darauf an, oh es wirklich

von thatsächlich vorkommenden Dingen oder von bloss denkbaren aus

gesagt werde, oder auch ob die Mehrheit selbst nur Sache der Denk

barkeit sei (wie z. B. dass es mehrere Sonnen gebe), sondern das Ent

scheidende sei nur, dass die universelle Aussage keine Unmöglichkeit

sei 89). Nach der aus Porphyrius (Abschn. XI, Anm. 39) wiederholten

86) Ebend.: Capilulum dicendi verbum comfdexum et incomplexum et dieendi

universale et particulare et dicendi esscntiale et accidentale et id quod respondelttr

ad quid et quod non respondehtr. Poslquam in docendo et discendo necessario indigemus

verbis, dicemus, quod verbum aul est incomplexum aut complexum. Com

plexum aulem cst, in quo invenilur pars significativa intellectus , quae esl pars intelleetus

signißcati a tola significatione essenlialt, sicut esl hoc quod dicimus „homo

est scriptor" ; hoc enim verbum „homo" signiftcal unum inlelleclum, et hoc verbum

„scriplor" signiftcat alium, quorum unumquodque est pars huivs , quod dicimus

.,,homo est scriptor" signißcalione requisila ex verbo. Incomplexum autem est,

cuius pars non signiftcat partem inlclleclus totius significatione essentiali, sicut hoc

quod dicimus ,,homo", quia „ho" et ,,mo" non significant parles inlentionis, quam

signiftcat ,,homo".

87) f. 3. v. A: Quod aulem invenitur in doclrina anliquorum de descripliune

verborum incomplexorum , hoc est: scilicel quod incomplexa sunt , quorum parles

non significant aliquid; quam descriplionem multi reprehendunt dicentes, debere addi

ei, scüicet incomplexa esse, quorum parles non signißcanl aliquid de inlelleclu totius,

quia contingit aliquando, partes incomplexorum significare uliquos inlellectus, sed non

sunt parles intellectus totius. Ego aulem teneo, quod haec reprehensio error fuil,

et quod haec additio non fuil necessaria ad supplendum, sed ad exponendum.

88) Ebend.: Deinde inlcnlio incomplexi aul talis erit, quod non prohibelur, in

inlellectu ex hoc, quod intelligitur , mulla cunvenire in ea aequaliler , ut unumquod

que eorum dicatur ipsum esse aequaliter , sicut hoc quod dicimus ,,homo" habet intenlionem

in anima , quae comitatur Socratem et flatonem et reliquos uno modo

; aul eius inlentio est una sie, quod prohibelur, in inlellectu mulla convenire

in ea, scilicel in eo uno, quod intelligitur de ea, sicut in hoc quod dicimus „Socrates"

Prima autem pars divisionis vocatur universalis, secunda vero particularis.

Tu scis autem, mulla esse in verbis ad modum parlis primae et haec

est inlentio, de qua id, quod intelligitur in anima, non prohibetur habere comparationem

simililudinis ad mulla.

89) Metaph. V, l, f. 86. v. A: Universale dicilur tribus modis; dicitur enim

universale sccundum hoc, quod praedicatur in aclu de mullis, sicut homo; et diciliar

universale inlentio, quam possibile est praedicari de multis, etsi nullum eorum habeat

XVI. Avicenna. 325

Bemerkung, dass der Logiker auf die tieferen Fragen über das Univer

sale nicht einzugehen brauche90), folgt nun eine ebenso ausgedehnte

uls spily-lindige Erörterung, durch welche die Angaben über die ein

zelnen fünf Universalien vorbereitet werden sollen. Zunächst wird die

Abgränzung vorausgeschickt, dass es sich hier nicht um die denominative

Aussage (welche bei Adjectiven stattfindet), sondern um dasjenige

handle, was univoce, d. h. nach innerer Wesensbestimmtbeit, ausgesagt

werde91). Die Wesenheit sonach (essentia) eines jeden Seienden sei

dasjenige, wodurch dasselbe mit Notwendigkeit ist, was es ist; die

Einheit aber der Wesenheil sei nur bei Uebersinnlichem eine absolute,'

d. h. unzusammengesetzte, hingegen bei den sinnfälligen Dingen beruhe

sie auf einer Einigung mehrerer VVesensbestimmungen 92); während

nemlicb in jener VVesens-Einheit die Wahrheil der Einzeldinge beruhe,

seien auch die mehreren Eigenthünilichkeiten zu erwägen, in welchen

die gleicharligen Dinge ebensosehr wie in der Wesenheil selbst zu

sammentreffen, und zwar können diese mehreren Bestimmtheiten ent

weder derartig sein, dass eben aus ihrer Verbindung die Wesenheit

selbst besteht, oder derartig, dass sie nolhwendige Merkmale der be

reits verbundenen Wesenheil sind, kurz die Universalien sagen entweder

die Quiddilät („quiddilas", ein Worl , von welchem allgemein bekannl

ist, dass es erst durch die Uebcrsetzung arabischer Litleratur in die

mittelalterliche Latiniläl eingeführt wurde) oder ein dieselbe Begleiten

des (comilans) aus 93). Nemlich die universellen WorUe seien enlweder

esse in e/fectu, sicut intentio domus septangulae; dicitur etiam universale inlenlio

, quam nihil prohibet opinari, quin praedicetur de multis, sicul sol et

lerra ; hacc enim ex hoc , quod intelliguntur sol et lerra , non est prohibitum quanttim

ad ititellcctiim, passe intenlionem corum inreniri in multis Possuni autem

haec omnia convenire in hoc, quod universale est id, quod in intellectu non est impossibile

praedicari de mullis, et oportet, ut universale logicum et quidquid est simile

ei sit hoc. Vgl. Anm. 150.

90) Log. f. 3. v. B: Non cures autem secundum hoc, quod es logicus, qualiler

sit haec comparatio , et an intelleclus ex hoc, quod est unus in quo mulla

conveniunt, habeat esse in ipsis rebus, quae in ipso conveniunt, vel esse separatum

extra per se praeler esse, quod habet in uno intellectu; consideratio autem liorum

alterius (wohl zu lesen altioris) doctrinae est aut doctrinarum duarum. S. jedoch

unten Anm. 176 ff.

91) Ehend.: Praedicatio autem fit duobus modis, quia aut univoce, sicut hoc

quod dicimus, quod Socrales est homo , „homo" enim praedicatur de Socrale vere et

univoce ; aut denominative , ul alhedo de homine, dicitur enim homo albus et habens

albedinem , ncc dicitur esse albedo Nostra antem intentio non est hie nisi de

eo, quod praedicalur univoce. Diess ist principiell benützt bei Albert. M., De pracdicam.

I, 3, p. 99. A: Vt dicunt Avicenna et Algasel , omne , quod ut univer

sale de multis et de sibi subiectis praedicatur, univoce dicilur

92) Log. f. 3. v. B: Enumerabimus ergo partes universalis , secundum quod

comparatur ad parlicularia univoce et dal eis nomen et diffinitionem Dicemus,

quod omne quod esl essenliam habet, qua est id quod est et qua est eius necessilas

et qua esl eius esse. Essentia autem uniuscuiusque rei una est; sed quod esl unum

absolutum , non est id quod esl ex multis intellectibus , ex quibus coniunctis proveniat

una essentia (exemptum aulcm huius non invenitnr in rebus sensibilibus, debes

ergo nunc crcdere eius esse); aliquando aulem eril unum aliquid non absolutum,

cuius esse et vcritas • composita est ex rebus et intenlionibus , ex quibus coniunctis

prorenit essentia rei, cuius exemplum est homo.

93) f. 4. r. A : Veritas autem sui esse non est nisi humanitas ; ergo id quod

326 XVI. Avicenna.

die einfache Antwort auf die Frage „was?", oder sie geben diese Ant

wort mittelst der Bestimmungen, welche dein einheitlichen Verbände

der Wesenheit nnerlässlich vorausgehen müssen, oder endlich sie ent

halten jene Eigenthiimlichkeiten, welche ausserhalh dieser beiden Mo

mente liegen, und sowie sie im letzten Falle accidentalia heissen, so

werden sie im ersten significanlia esse und im zweiten essenlialia oder

noch hesser nulmltuttiatiti genannt '"). Die vergleichende Beziehung

aber, welche das subslanliale auf die betreifenden Einzeldinye habe,

liege für die Logik darin, dass es eben nur als der Wesensgrund des

'Particularen betrachtet werden kann, da durch dessen Aufhebung auch

das Parliculare aufgehoben wird 95). Indem aber Letzteres auch von

Einigen so aufgefassl wurde, dass man das Substantiale kurzweg als

constituens bezeichnete und in die Unaufhebbarkeit desselben den Unter

schied gegenüber dem acridenlale verlegte96), so erhebt Avicenna hiegegen

Bedenken, da der Begriff des consliluens, welcher stets den

eines Anderweitigen in sich involvire, nicht vom eigentlichen Substan

tiale, sondern nur von dem das esse Bezeichnenden gelten könne und

ausserdem bei willkürlicher Identificirung mit dem eigentlichen Substanest

unumquodque singulare, est ex eius humanilate, sed speciale acquiritur ex quanlüate

et qualitate et celeris. El habet etiam alias proprielales praeter humanilatem,

in quibus conveniunl hominei Sunt verae proprielales hominis communis , sicut

hoc, quod eU rationalis seu Itabens animam rationalem, et sicul hoc, quod esl risibilis

naturaliler. Sed hoc, quod esl rationalis, est nimm eorum, ex quibus coniunctis

conflatus eit homo ; quod untern risibilis esl naturaliter , est quoddam quod , cum

humanitas conflata est ex his ex quibus conslal , fuit necesse accidere et comilari.

Melaph. V, 6, f. 90. r. B: Praedicabile aliud est praedicabile conslituens quidditalem

subiecli et aliud est praedicabile comitans quiddilalem eius , non consli

luens illiul.

94) Log. f. 4. r. A : Jam ergo palet ex hoc, quod haec est vera, essentia rei

et sunl hie proprielates, ex quibusdam quaruin et ex aliis constat verilas rei, quaedam

vero (der Text gibt ergo) ex his sunl accidentia, quae nun comilantur in esse

eius. Et verba universalia, quae signißcant esse unius rei aut multorum, illa signiftcanl

ea, qune respondenlur ad quid, non alio modo; si aulem significant ea, quae

necesse esl praecedere in esse ad essentiam rei ita, quod ex coniunctione eorum

proveniat esse rei , debent vocari verbum cssenliale, quia respondentur ad quid;

quod aulem significal proprietalem , quae esl praeler illa duo, sive sit communitas

sive non, ipsum voces accidcntale, et eius intenlio vocatur inlt'nlio accidentalit

Quod pulalur verbum subslanliale, convenientius est ul conlineat intenliones constiluentes

esse rei, et ut verbum significans esse rei non sil Substantiale, ul ,,homo"

non est subslantiale homini, sed „animal" et „rationale" sunl substantialia homini.

95) f. 4. r. B: Hoc autem quod dicimus substanliale , quamvis secundum naluram

locutionis singularis habeat inlentionem comparabilcm, tarnen serundum placitum

logicorum signißcat aliam inlenlionem; et hoc esl, quod verbum universale

esl, quod signißcat inlentionem, cuius comparalio ad singularia lalis est, quod cum

putabilur non esse subslanlia illorum parlicularium , non habebit esse, non quia

horum subslanlia particularium debebat primum destrui, ul sie possit pulari illa

destrui, sed quia ex Mius dcstruclione sequitur deslruclio illorum.

96) Ebend. : De disciiliendo quod diclum est de subslanliali et accidentali. Jam

dixerunt in distinguendo subslanliale ab accidentali, quod sul>stantiale est constilueiu,

ticcidenlale vero non est constituens. Sed non discernunt, qualiler est constituens el

qualiter non constituens. Dixerunt etiam, quod Substantiale impossibile est putari

deslruclum, ul remaneat subiectum, accidenlale vero possibile es( pulari deslructun,

ul remaneat subieclum.

XVI. Ävicenna. 327

liale uns in den über Letzteres entstehenden Schwierigkeiten um keinen

Schritt weiter bringe ; und in ähnlicher Weise sei , was die Unaufliehbarkeit

des Substanliale betreffe, doch noch erst der Unterschied zwi

schen den wesentlichen Eigentümlichkeiten (d. h. proprium, z. B. risibile

bei homo) und den zufälligen Merkmalen zu erwägen, denn erslere

seien in gleicher Weise wie die Suhstantialia unaufhebbar, woferne nicht

ihr Träger zugleich mitaufgehoben werden soll, und der wesentliche

Unterschied des Substantiale könne dalier nicht in jener Unaufliebbarkeit

liegen 97); auch sei es allerdings richtig, dass bei denkender Betrachtung

der Substantialien das conslituens vom c.onslüutum nicht losgetrennt

werden könne, aber bei den Accidenzen könne eine Lostrennung von

ihrem Träger gleichfalls eine fälschliche sein, sobald neinlich ein Accidens

unmittelbar ohne Mitwirkung eines anderen Accidens den Träger

ursprünglich begleite, und gerechtfertigt sei es nur dann, ein Accidens

ohne seinen Träger zu denken, wenn dasselbe erst mittelbar durch ein

Anderes mit ihm verbunden ist98); ja Ävicenna dehnt die Dislinction

noch weiter aus, indem er von der nothwendig zu denkenden Eigen-

97) f. 4. v. A : Polest autcm aliquis discutere verilalem et falsitatem in his.

Dicemus ergo, quia hoc quod dixerunt, quod substantiale esl constituens , non continet

de subslantialis natura , quod esl non significans esse; constituens enim est

continens aliud a se Si attlem vohint conslituens intelligere, quod non intelligilur

ex signißcatione sui nominis , sed volunt intelligere idem quod de substantiali,

contingit eos inducere nomen multivocum, quod alistiilenmt ab eo, cui primum imposuerunt

, nee siynant inlcnlioncm eins, ad quod Iranslulerunl , el erit labor idem

de conslituente et de substanti&H, quorum untimquodque tanla egebil expvsitione

quanta et alterum. Contra hoc aulem, quod niluntur de deslructione , in opinione

liebes meminissc, quod praediclum est, scilicet quod inlentio universales habet proprielales

, quae sunt primo necessariac, quilius postea efßcitur , et habet alias proprielates,

quae concomitanlur et sequunlur eam, cum ipsa inlentio fueril habila,

uihil aulem polest intelligi esse remotis illis proprietatibtis ab eo , quae necessariae

sunt ei ad hoc, ul habeat esse El quandoquidcm sie esl, tunc proprietates,

quae dicuntur subslanliales , ex inlenlionibus intclligibilibus debenl necessariae in

telligi ad subieclum hoc modo; esse enim non inlelligilur in inlellectu nisi praecedal

prius eorum intellectus. Accidentia vero alia intelligere non est prius quam inlelligere

ipsum esse, sed sunt concomitanlia el consequenlia, quae non sunl constiluentia

esse ergo esse slatuitur sine illis; poslquam aulem staluihtr sine illis, tunc

non est lange, qttin intelligatur ipsum esse, quamvis non praecesserint ipsa vel non

acciderint inlelligi.

98) Ebend.: Jam aulem scis, quod hoc inlelligere non volo dicere hoc, scüicel

ut cum inlellexeris aliquid el consideraveris in e/feclu, quod intelligas cliam partes

suorum conslituentium in e/feclu, forlassis enim non considerabis partes in luo inteUectu;

sed dico, quod si consideraveris conslituens el constilulum , non eril Mi

possibile removere constitutum a consliluente se taliter , ut verum sit constitutum

habere esse in intelleclu non habenle esse constituens se; et quando quidem ita est,

esse debel impossibile ea removeri ab eo , imo debel habere ista sine dubio. Acci

dentia autem non nego , quin vere slatuanlur esse in intelleclu, cum non intclligalur

habens t/Ja, sed intellectus removet ista ab eo falso; lioc aulem non a/'ßrmo de Omni

bus accidentibus ; accidentium enim quaedam concomilantur esse principaliter el

manifeste non mediante alio accidcnte, el lunc impossibile esl ea removeri ab esse

rcmanenle esse, sicul hoc, quod triangulus est huiusmodi, quod aliquod lalerum

eius potesl prolrahi in direclum in opinione ; poisibile esl autem, quod esse

accidenlis sit alio medianle, quod si non attendelur , polerit removeri a subieclo,

sicul hoc, quod omnes duo anguli Irianguli sunl minores duobus reclis.

328 XVI. Avicenna.

thümlichkeit die nicht-nolhwendige in vier Abstufungen unterscheidet").

Hieran alier reiht sich nun noch ein anderer Gegenstand der Discussion,

welcher für das Folgende grossen Nutzen hahe; nemlich es handelt

sich um die Frage, ob das Universale als significans esse (Anm. 94)

wirklich nach dem gewöhnlichen Sinne das neinliche sei wie dasjenige,

was im Subslanliale bezeichnet wird 10°). lliebei jedoch bleibe es un

erklärlich, warum man dann das Subslanliale dennoch nicht mit dem

artmachenden Unterschiede identificire ; denn das esse in jener secundären

Bedeutung, in welcher es das Substanliale ist, werde eben doch

in solchen Wesensbestimmtheiten ausgesprochen, welche von den Logi

kern stets als die in einer Gattung auftretenden Unterschiede bezeichnet

wurden ; nach jener Ansicht aber komme das Substantiale in keine Be

ziehung zur Galtung, welche man doch als ein eine Manigfaltigkeil Ent

haltendes bezeichne, sondern indem man das Substantiale auf das blosse

quid beschranke und von dem quäle quid lostrenne, wolle man gar

nicht zugeben, dass eine und die neinliche Bestimmtheit als esse auf

trete, insoferne Mehreres in ihr zusammentreffe, und zugleich auch als

quäle esse, insoferne jenes Mehrere sich von Anderem unterscheide;

hingegen klettere man unbekümmert um diese Fragen lediglich von der

Gattung abwärts zu den Arten und dann zu den Unterarien ""). Das

99) f. 4. v. B: Pate t ergo ex hoc, quod proprietalum quaedam est, quam

possibile est negari in actu , et quaedam est, quam possibile est in intellectu negari

habere esse, et quaedam, quam possibile est negari in intelleclu absolute, et quae

dam, quam impossibile (zu lesen possibile) est negari esse aliquo modo, cum sit

accidens , et quaedam, quam impossibile est negari, cum sil substantielle.

100) Ebcnd.: Id quod sianiftcat esse, dixerunt esse significalivum substantiell

communis quanlumcunque fuerit; et non pervenit ad nos de hoc plus discussionis.

jVos ergo perquiramus, an id, quod intelligitur de hoc verbo, secundum sensum rulgarem

sit haec intentio annon, et an, quod sciunl minores et consentiunt in eo

tanquam in authenlico, signißcet illttd. Cum enim feccrimus hoc, ostendetur nobis

magna utililas. Idem autcm intelligitur secundum sensum vulgärem nunc significandum.

SigniKcalivum enim esse rei est id, quod signiftcat inlenlinnem , qua res est

id quod est ; res aulem non fit id quod est, nisi cum omnes suas habet proprietatet

substantialiter tarn communes quam proprias.

101) l. 5. r. A: Hinan aulem est de multis , qui tenent, quod subslantiale

et quod signiftcat esse sunt unum, et non ponunl, quod Subslanliale sit proprium

signißcativum esse eius, cui est subslantiale, scilicct id quod vocabimus postea di/ferentiam.

Hoc aulem stultum est. Cognitio autem dispositionis eius. quod signißcat

esse secundum positionem sccundam et sensus maiorum hoc est, scilicel quod invenimus

animal et sensibile praedicari de homine et equo et bove; deinde invenimus

auclores arlix dicentes, quod sensibile et omnino quidquid est huiusmodi ex his,

vocantur di/ferentiae eorum, quae dicunlur genera, et ponuntur substantialia. Et

non ponunl ea esse aliquid illius totius, quod vocatur genus, et mime, quod esl

significatmum esse et conlinet multa divcrsa, ponunt genus Quod enim dicitur

signißcare quäle quid subslantiale commune, ponunl ditiersum ab eo, quod significat

esse substanliale commune. Ergo non tenent congruum esse, ut unum aliquid comparationc

multorum sil esse el quäle esse, ita ut ex eo , quod conveniunt in eo itla

multa, sit eorum esse, et in hoc, quod per illud di/ferunl ab aliis multis, sit eorum

quäle esse Sed cum inveniunt genus, quaerunt aliud, quod sil di/ferentia, quae

constiluat genus, si est quod habet differentiam constitulivam ; similiter cum inveniunt

species, quaerunl alia extra carum essentiam, quae sunt earum di/ferentiae. Si

autem id nun esset significativurn esse, nisi cum esset genus aul species, lunc, cum

XVI. Avicenna. 329

Richtige hingegen liege in jener obigen Unterscheidung (Anm. 94-), und

es sei nur zu bedenken, dass das significans esse entweder auf eine

Mehrheit von Dingen sich beziehe, welche in ihrem Substantiellen sich

nicht unterscheiden, wie man z. B. von Sokrates und von Hippokrates

„Mensch" aussagt, oder auf eine Mehrheit, welche innerhalb ihrer noch

substantielle Unterschiede enthalte, wie z. B. „Thier" vom Pferde und

vom Esel gilt102); neinlich im ersleren Falle enthalte das significans

esse das substantielle Wesen des Einzelnen und lasse nur noch accidenteile

Eigentümlichkeiten offen, im letzleren hingegen sei mit jenem

esse das substantielle Wesen noch lange nicht erschöpft, sondern gerade

die Substantialien , welche in den artmachemlen Unterschieden liegen,

seien noch im Resle 103). Bei der Bezeichnung aber (significatio} sei

nicht zu vergessen, dass die primäre immer die wesentliche bleibe 104),

und so stehe die Bezeichnung der parililas, d. h. der Wesensgleichheit,

an der Spitze, und andere, wie jene der conlinenlia und der comilantia,

seien erst abgeleitete 105). Und was nun die Frage betreffe,

ob nicht das Substanliale zugleich auf das quid und auf das quäle qnid

gehen könne, und sonach eine Zweilheilung unhaltbar sei, so löse sich

dieses Bedenken dadurch, dass das quid Eines Dinges zugleich das

quäle anderer Dinge involvire, jedoch nie das Suhstantiale eine accidenlelle

Qualität desjenigen sein könne, dessen Substantiale es eben ist,

est significativum subslantialis in quo convenitmt , iudicium eius esset diversum ab

hoc. Stint autem haec quaedam prohibentia verum esse quod dixerunt a. s. (.

102) f. 5. r. B: Dicemus, nunc iatn ostensutn esse, quod vcrbwn incomplexum

universale aut est substanliale aut accidentale , et quod est substantiale alictii , aut

est aptum signiftcare esse aliquo modo aut non est aptum. Significans autem esse

est aut quod significat esse multorum, quae non differunt subsltmtialiler , aut significat

esse multorum, quorum essenliae differunl subslantialiler. Exemplum autem

primi est nomen solis — aut nomen hominis, quando vocalur homo Socralcs et

Hypocras; exemplum aulem secundi est significalio huius nominis ,,animal", quum

de equo et asino simul alicui inlerroganli, quid sunt, respondebitur, quod sunl animalia.

103) f. 5. v. A: Differentia aulem duorum modorum haec est, quia primus

modus eil significans esse collectionis, et lunc uniuscuiusque nomen eum nominis

significat et integre veritalem substantialem , quam habcnt Socrates et Hypocras, nee

excedit eam nee relinquilur ab ea, nisi quod proprium est uniuscuiusque de proprietalibus

accidenlalibus, sicul iam nosti ex praediclis. De modo vero secundo tu scis,

quod animalitas sola est (zu lesen non cs<) significativa esse hominis et equi unius

cuiusque per se, ex ea enim sola non est unumquodque eorum id quod est; nee

excedunt istam accidentalibus differentiis , sed substantialibus ; quidquid aulem liabent

commune de esse, nomen animalis significat; scnsibile vero significat parlcm totius,

quod complectilur significalio huius nominis ,,animal"; est igilur pars perfectionis

verüatis eorum, in qua eonvcniunl non integre; similis est disposilio ralionalis comparationc

hominis.

104) Ebend.: Sensus enim de significatione nominis esl, ul nomen sit illius

intcntionis, quae est ex prima impositione, undc etiamsi fuerit alia inlentio adiuncta

primae extrinsecus, quam percipit intellectus, quando percipit jirimam, non ideo nomen

eril significalivum eius secundum imposilionem primam.

105) f. 5. v. B: Si autem volumus hoc lotum complecti et acquirere, diccmus,

quod significalio diclionum est tribus modis, quia est siynificalio parilitatis , ut hoc

quod est animal, significat corpus habens animam sensibilem; et significatio continentiae,

ul significatio corporis ab animali ; et significalio comilanliae, ul ex tccti

significatione fundamentum. Alfarabi hatte noch ausführlicher distinguirt, s. Anm. 21.

XVI. Avicenna. ,

und ebenso sei auch hinwiederum das quäle quid befähigt, nach einer

anderen Seite zugleich ein quid in sich zu schliessen 106). Kurz das

jenige Universale, welches Suhstantiale ist, kann nach Seite des quid

je nach der Grosse des Uiufanges als Gattung oder als Art auftreten,

aber nach Seite des quäle ist es die Differenz, und jenes Universale,

welches Accidenlale ist, zerfällt in die eigentümlichen und in die ge

meinsamen Merkmale; sämmlliche fünf aber sind nicht in absolutem

unabhängigen Sinne zu verstehen, sondern beziehen sich stets auf einen

bestimmten ihnen angehörigen Umkreis 107).

Indem nun Avicenna nach solch ausgedehnten Erörterungen, aus

welchen ich nur das Hauptsächlichste und für die Lateiner Einflussreiche

hervorgehoben habe, endlich sich an die Besprechung der einzelnen

fünf Universalien macht108), hebt er zunächst, was genus belrifl't, die

Seile der Wortbedeutung hervor, indem die Auffassung des Gattungs

begriffes ursprünglich von dem Begriffe eines Geschlechtes und auch

von genealogischen Traditionen in den menschlichen Künsten und Be

schäftigungen ausgegangen und erst hernach auf die logische Bedeutung

im Sinne der Definition des Porphyrius übertragen worden sei 109).

106) Ebend.: 5t quis autem dtxerit, quod apttim est ad quäle quid, ipsum

etiam aplum esl ad quid; sensibile enim, quamvis negatur signi/icare esse hominis

et equi et bovis ad moduin generis vel speciei, non tarnen negatur signiftcare esse

commune audienti et videnti et tangenli; unde non oporlel substanliale dividi in id

quod responietur ad quid et in id quod respondctur ad quäle quid, ita ut altenan

non continfalur in altero ; non enim conslal, ut quidquid significaverit quid est, non

significel quäle quid; unde compellunl concedere , quod dixistis, debere alias dicere.

Respondemus ad illud , quod prima quaestio solvelur , cum sdelur, nos non negare,

quod illud, quod signißcal quid sunt aliqua, significel quäle quid sunt alia, quia

concedimus hoc ; non enim negamus , nisi quia verbi gralia sensibile est signifcans

esse speciale et per hoc non debet esse contcntio in hoc quod dicimus , qw>A

substanliale non est accidens; nostra enim inlentio esl, quod non est accidentale ei,

cui esl substanliale. Quaeslio autem seeunda solvilur per hoc, quod non intelligimvs

signißcans quäle quid aplum tantum ad quäle quid absque quid, ita ut eius signi/icatio

non sil nisi intentio intrinseca ei in nonrine significanle esse generale aul spe

ciale, sed intentio constitutiva qua differunt ; cum aulem dicimus significans quäle

quid, inlelligimus hanc intenlionem.

107) f. 6. r. A: Unde esse substanliale universale aut signifcul (offenbar ausgefalllen

im Texte ist esse magis commune et vocatur genus, aul significat) esse

minus commune et vocatur species , aul notat quäle esse et vocalur differenlia ; sie

universale accidenlale aut est proprium it vocatur proprietas , aul conveniunt in ipso

multa et vocatur accidens commune; hoc autem quod est genus, non est genus in se

nee in comparalione omnium, sed est genus corum, quae conveniunl in eo; simulier

species non est species in se ipsa nee in comparalione omnium rerum, sed in comparatione

eius, quod est aliquid in ipsa: praeter hoc etiam di/ferentia non est differentia

nisi comparatione eius , quod ditidilur in sua essenlia per illam ; similiter

etiam proprietas non est proprietas nisi comparalione eius, cuius naturae accidit

tanlum; similiter accidens commune non est accidens nisi comparatione eius, cui accidil,

et non aliter. (Aehnlich bei Schmölders , Doc. p. 29., u. vgl. unten Anm.

172.)

108) Ebend.: Nunc ergo lequamur de unoquoque eorum per se , et deinde loquemur

de eorum communilatibus et differentiis, sicut habet usus, incedentes seeundum

viam aliorum.

109) Ebeud.: Dicemus , quod vcrbum signiftcans intenlionem generis prius apud

eos secundum primam impositioHem significabal aliud et deinde per imposüionem se

XVI. Avicenna. 331

Indem er aber durchaus von dem Standpunkte der griechischen Commentaloren

(Abschn. XI, Aniu. 51 u. 133 II'.) inficirl ist, fühlt er sich ge

drungen, sofort vor der näheren Erörterung des Gattungsbegrill'es gleich

hier auf die Lehre von der Definition hinzuweisen (wenn auch mit dem

Vorbehalte einer späteren Auseinandersetzung), und er wiederholt die

schulmässige Notiz, dass hei schlechthin einfachen Wesen die blosse

Namensbezeichnung an Stelle der Definition treten müsse, bei jenen

Wesenheiten aber, welche aus einer Mehrheit von Suhslantialien ver

flochten sind, die Definition in Angabe des genus und der di/ferenlia

bestehe no), während die Beschreibung (Abschn. XI, Anm. 138) sich

nur in den äusserlichen Anzeichen des Gegenstandes bewege U1).

Hierauf nun folgen Controversen über den Gattungsbegriff, indem zuerst

das Bedenken, dass in dem Inhalte eines Gattungsbegrill'es wieder andere

Gattungen liegen können, und hiediirch möglicher Weise eine Gattung

von einer ober ihr selbst liegenden Gattung ausgesagt werde, dadurch

seine Erledigung findet, dass eine solche Aussage eine accidentelle sei,

indem der Gattungsbegriff seinem Wesen nach eben ein collecliver

cundam translatum est ad signiftcandum intentionem, quae apud logicos vocatur genut

(vgl. Abschn. XI, Anm. 40.). ///; aulem intenlionem, in qua multi conveniebant,

vocabant genus veluli genlem (der Text gibt genus) eorum, ul „Caesares", aut

palriam, ul ,,Aegyplii" Videlur eliam mihi , quod ofßcia et artes vocabanlur

genus. El quoniam haec inlentio , quae nunc vocatur apud logicos genus, fuit unum

in inlelleclu, quod habet comparationem ad multa , quae conveniunt in eo , quia in

lingua sua non erat ei nomen, quo appellarentur ea, quae sunl inier se similia,

transtulerunl ad hoc et rocaverunl genus hoc , sciliccl de quo loquuntur dialeclici et

describunt dicenles, quod est id, quod praedicatur de pluribus differenlibus specie in

eo quod quid est. Jener Beisatz betreffs der Künste, welcher bei Boothins sich

nicht findet, ist hervorgehoben bei Albert. M. De praedicab. HI, l, p. 27. B: Est

autem atlendendum, "quod Avicenna in primo libro logicae suae dicit, quod isli ambo

modi extenduntur eliam ad artißcialia; aliquando cnim fabri dicuntur Tubalcailae

a Tubalcaim, qui arlem fabrorum invenil.

HO) f. 6. r. B: Prius autem quam incipiamus exponere hanc descriptionem,

involvamus fädle sensum difßnitionis et descriptionis, sed differemus exposilionem

earum usque ad locum, quo ostendemus , quid sit Syllogismus demonstralivus (s.

unten Anm. 226 ff.). Dicamus ergo, quodprimum, quod praedicatur et quaeritur

in difpniendo hoc est, scilicel ul nomen signißcet esse rei. Si autem inlentio rei

fuerit inlentio incomplexa non composita ex multis intcnlionibus , tunc non debet

signißcari eius subslanlia nisi nomine , quod tantum significat ipsam substantiam , et

hoc erit nomen eius tantum nee erit aliquid, quo potius signißcelur esse rei, quam

proprium nomen eius; quod ergo est huiusmodi, non habet difßnilionem , sed

habet nomen, quo oslendentur ei extra et accidenlia et comilantia. Si aulem inlentio

substanliae fueril composita ex inlenlionibus , ex quibus esl eius esse ila , quod hae

denl ei esse, quia de subslantialibus magis propria sunl ei genus el differentia,

differentiam aulem differentiae et genus generis et quod componitur ex illis, habet

mediante alio , quae continenlur in genere vel differenlia, oporlet ideo, ut difßnitio

sit composita ex genere et di/ferentia; cum autem dederinl genus propinquum et diffe

rentiam, quae est post ipsum, conßcietur ex eis difßnitio, sicut hoc quod dicitur de

difßnitione hominis , quod est animal rationale.

111) Ebend. : In descriptione vero non quaeritur nisi ul componatur oralio ex

consequentibus rem, quae sunl ei paria, quae habebil quidquid continelur sub ea el

nihil aliud, ila ut significel eam signißcatione signi; cunvenientius est autem, ul

prius ordinetur in ea genus aut proximum aul longinquum, el deinde apponantur

accidenlia aut propriclates ; quod si ila non fuerit, erit tunc descriptio vitiosa.

332 XVI. Avicenna.

sei 112), d. h. das bezüglich des Inhaltes auftauchende Bedenken wird

sogleich durch jene bei den griechischen Cominciilaloren allein herr

schende Auffassung (Abselin. XI, Anm. 43) beschwichtigt , wornach die

ganze Lehre vom Begriffe um der Tabula logica willen ausschliesslich

den Umfang im Auge hatte, und so trafen für die Lateiner in dieser

Corruption der Logik die Araber nachbarlichst mit der Tradition des

Boethius zusammen. Noch einlässlicher alier beschäftigt sich Avicenna

mit der Frage, ob denn die Definition des genus und jene der species

sich nicht gegenseitig im Kreise drehen, da genus mittelbar durch species

und species mittelbar durch genus delinirt werde, was ein unwissen

schaftliches Verfahren sei; über die Lösung aber, welche von Anderen

auf Grund der Annahme beigebracht wurde, dass genus und species

relative Begriffe seien, welche eben darum wechselseitig durch sich

selbst erkannt werden müssen, gerät!) er völlig in Entrüstung, da ab

gesehen von der Verwirrung bezüglich des Begriffes der Relation der

Kernpunkt der Frage (ob nemlich 'wirklich in jenen beiden Definitionen

Unbekanntes durch Unbekanntes demonsirirt werde) übergangen sei lt3);

denn man müsse doch vor Allem unterscheiden zwischen jenem, ex

quo aliud scilur, und demjenigen, cum quo aliud scilur, indem nur

bei crslerein eine Priorität in der Demonstration bestehe114). Und so

ll 2) f. 6. v. A: Conlingunt autem circa hoc quacstioncs multae , quarum una

est, quod si genus habet aliquid, quod sil ei quasi genus et hoc est praedicalum

de in n U h, tunc genus praedicabitur de genere, quod est stipra se. Ad quod respondemus:

quod praedicalur de mullis , praedicatur de genere ut genus, sed genus de

eo non ut genus, sed ut accidens; non enim dicitur, quod omni praedicato de multis

accidit genus nisi aliquo respectu, sicut animali accidit generalilas aliquo respectu,

scilicet respeclu communilatis .

113) Ebend.: Jlem quaerilur äe hoc, quod accipimus nomen speciei in diffinitione

generis. Cum enim volueris diffinire speciem, videtur necessario apponendum

nomen generis, sicut poslea oslendetur, cum dicitur, quod species est id quod ponitur

sub genere. Sed inlerroganli videtur esse ignolum; ostendere enim ignotum per

ignotum non est oslendere nee declarare ; omnis autem dif/initio ni descriptio eil

declaratio. Ad hoc autem tarn responderunl quidam dicentes, quod quia duorum relativorum

unum non intelligitur esse nisi comparatione alterius, genus autem et species

relaliva sunt, idco debet unusquisque eorum accipi in descriptione alterius necessario;

unumquodque enim eorum non est id quod est nisi ex eomparatioiic alterius. Bote

aulem descriptio äuget dubitationem in aliis , quae sunt praeler genus et speciem, in

quibus est implicalum, quod in genere et specie; augmentum vero implicationis non

est explicatio. Indagator etiam dicet libi: adapta difßnilionem rclutivorum cum difftnitione

generis et speciei et fac scire, quomodo , cum sint simul incognita, scilur

alterum per allerum. Item in solulione solenl considerari propositiones quaeslionis

et destrui allera vel ulraquc ; in hac autem solutione , quam hie inducil , non consideravil

propositiones; non enim dixit , quod genus et species utraque non sunl

incognita apud introducendum , nee dixit, cum scialur alterum ex allero, quum ipsum

sil ignotum, „non est hoc dicere ignolum per ignotum"; hoc enim negare impossibile

erat eum, nee polerit etiam negare, quod docere ignolum per ignotum non esl decla

rare, nee dixit, quod ex ordine harum propositionum non provenit, quod quaeritur

ex eis; quare hie non consideravil proposiliones ijuae&tionts ncc suvm syllogismum

in hoc fecil. Et eliam accidit ei maximus error ex hoc, quod non poluit invcnire

di/fercnliam, quae est inter id quod scitur cum aliquo et id ex quo scitur aliud.

114) f. 6. v. B: Id enim ex quo aliud scilur esl id quod per se scitur et ßt

pari ostendendi aliud, cui quum adiuncla fueril alia pars, pervcnielur ad cognitionem

alterius , quod tarn cognilum fueral nunqtiam anlc illud. Quod aulem scitur cum

XVI. Avicenna.

nach löse sich dieses ganze Bedenken dadurch, dass die übliche Defi

nition des genus vollsiändlg richtig sich verhalle, wenn auch nicht die

species als solche ausdrücklich heigezogen werde, denn die Function

der Form und des artmachenden Unterschiedes, welche im Arlbegriffe

zur Erkenntniss komme, sei kein Correlalives für den Gattungsbegriff,

und die Definition des letzteren könne daher füglich dahin lauten, dass

derselbe von Mehreren), was unter sich substantielle Unterschiede ent

hält, ausgesagt wird, ohne dass hiemit die Erwähnung des Artbegrifl'es

nothwendig wäre115). Eben darum aber musste Avicenna in den Gat

tungsbegriff auch die Formfähigkeit und Bestimmbarkeil verlegen, welche

in ihrer Verwirklichung abwärts bis zu jenen Gestaltungen treibt, welche

nicht mehr Gattungen sein können, und so gilt ihm die Galtung als die

primitive Grundlage für Erfassung des Was oder der quiddilas, denn

der Gattungsbegriff kann nur dadurch „in eo, quod quid esl" ausgesagt

werden, dass das actuelle und inlellecluelle Sein der Gallung die Mög

lichkeil einer Formbildung durch substanlielle Unterschiede involvirt 11(i).

Wenn übrigens diese Auffassung durch das traditionelle Beispiel des

aliquo est id quod, mm perfecta fuerit cognitio rei ex convenlu oslendentium rcm,

simul sicut res etiam scietur Cum autem sciunlur alia ex aliis , sequüur , ul

cognitio unius sit prior cognitione allerius el non cum cogniliune alterius ; et ideo

id quod scitur cum aliquo aliud est ab eo ex quo scitur aliud .... Unde dicimus,

quod relativa non difßniuntur secundum Itanc imperitiam, quam inveneral ille, qui

pulat per eam solvere huiusmodi quaestionem; sed in difßnitione relalivorum est

quidam modus collationis, per quem removebilur haec perplexitas, cuius declarationis

atius est locus.

115) Ebend.: Po>tquam vero iam ostcndimus , illum nihil determinasie, redibimus

ad id, a quo digressi sumus, dicenles , quod difßnilio geiieris perfecta est,

licet non accipiatur in ea species secundum hoc quod species est et refertur ad ipsum,

sed secundum hoc quod est essentia. Cum enim inielligilur ex specie esse et veritas

rci el forma , non eril tunc species ad genus ; cum enim intelligitur .... differentia

inesse et forma, iam perfecta esl difftnitio yeneris. Cum enim dixeris, quod

yenus praedicatum de multis diversis in se ipsis esse et formis et substanlialibus

ad inlerrogationem per quid sunl, iam perfecta est difßnitio generis , et non est necesse,

speciem ex hoc, quod relala est, poni in eins diffinitione, quamvis relalio

aliquo modo haec inlelligalur. Sed non est sie, ut propler hoc sil diffinitio , quae

est eorum, quorum unum di/fmitur ex allero , sed relatio, quae est hie, inlelliyitur

esse haec, quod quum dixeris, quod est praedicutum de mullis diversis in esse, iam

posuisli diversa in esse praedicari de ipso, et hoc est, quod innuit de relalione,

quae libi accidil.

116) Albert. M. Top. l, 2, 4, p. 672. B: Genus enim eil pi-imum suliieclum in

quolibet, ut dicit Avicenna, formabile et determinabile di/fcrenliis , usque quo formetur

in specialissimas , quae differentiis non sunt formabiles , et ideo nullo modo

possunt esse yenus Quia vero genus est piimum subiectum eius} in quo cst,

ideo oporlel, quod in eo quod quid esl praedicetur. Ad hoc aulem, ut dicunt

Avicenna el Algazel, tria exiguntur. Unum quidem , quod genus aclu et inlelleclu

sit , ut quid eins de quo praedicelur ; secundum aulem , quod sie sit per ali

quant polenliam, sed non de necessilale nalurae et substanliae , ila quod sie insit

vel ponatur sie inesse, sive sil sie sive non ; lerlium esl, quod posito genere

stalim potentia formali induta ponilur inferius et in quod formabile esl genus.

Ebend. De praedicab. IV, l, p. 34. B: Aviccnna enim dicil, quod yenus uniuscuiusque

primum essentiale et informe subieclum e&l, quod primum dirilur, quia in eo

est prima polenlia el prima inchoatio ad esse rei secundum subslanliam et quiddilatem.

334 XVI. Avicenna.

Porphyrius klar gemacht wurde, so erholten sich hiegegen bei den

Lateinern theilweise theologische Bedenken117).

Mit den spitzfindigsten Distinctionen schlägt sich Avicenna bei Be

sprechung der spi'des herum, welche in der Reihenfolge der fünf Worte

darum den Vortritt vor dem artmachenden Unterschiede hekömmt, weil

in ihr die Wesenheit der Gattung die Grundlage hilde, auf welcher

erst die Thätigkeit der Form ihre Wirksamkeit beginnen könne 118).

Den hauptsächlichsten Gegenstand der controvertirenden Erklärung bietet

eine Unterscheidung dar, welche wir bereits bei Alfarahi (Anm. 28)

wenigstens in) Keime vorfanden. Neinlich das Wort „species", welches

ursprünglich in gewöhnlichem Sinne zunächst jede Form überhaupt

bezeichnete, sei dann darum, weil das unter eine Galtung Fallende ver

schiedene eigentümliche Wesensformen zeigt, in technisch logischem

Sinne angewendet worden ; hier aber seien sofort zwei Auffassungen

auseinandergetreten, indem man einerseits in allgemeinerem und weiterem

Sinne die Species in Beziehung zur Gattung hringe und sie als dasjenige

defmire, von welchem die Galtung ausgesagt wird, oder andrerseits im

eigentlicheren Sinne die species specialissima ins Auge fasse als das

jenige, was von mehreren nur numerär verschiedenen Dingen wesent

lich ausgesagt wird 119). Welche von beiden Auffassungen, deren keine

weitab hergeholl sei, da beiderseits der Begriff der specialilas sich

leicht einslellen konnte, eine geschichtliche Priorität in Anspruch nehmen

dürfe, lasse sich kaum entscheiden, doch spreche die Wahrscheinlich

keit für die zweite120). Soll aber nun erörtert werden, in welcher

117) Albert. M. De praetticab. IV, 4, p. 42. A: Avicenna el Arabes dicunt, quod

animal rationale est ut genus ad liomincm et ad angclos; quod falsum esl , quia

angelus nullo modo proprie csl animal, sed dicilur animal aliquando propler virerc

secundum intellectum. S. unten Anm. 134.

118) Ebend. IV, l, p. 34. A: Traclaluri de specie tanquam secundo universal)

cogimur di/ferre traclatum de di/ferenlia el terlio Inco tnter uninersalia ponere

Cuius tarnen aliam rationem dicil esse Avicenna hanc , quia di/ferenlia no» esl, m

qua est genus per essentiam, cum differenliu, sit aclus sive forma simplex, in specie

aulem per essentiam est genus.

119) Log. f. 7. r. A: Species aulem apud graecos diceliatur secundum aliam

intentionem praelcr speciem logicam; numen enim. quod transluleruft graeei philosophi

ad intenlionem speciei logicae, prius imposueranl secundum primam mstitutiontm

formae uniuscuiusuue , el quia postea invenerunt, quod ea quae sunt sub eodem

yenere liabenl formas et esse, quae sunt propria unicuique eorum, ideo vocaverunt

ea ex hoc quod sunt üa species , el sicul nomen generis conlinebat intentionem vul

gärem et logicam, ita nomen speciei absolute conlinet intentionem vulgärem et logi

cam. Et sie nomen speciei logicae conlinet secundum logicos duas inlenliones, quarum

una esl communior et alia magis propria. Communior aulem inlenlio haec esl,

quam dicunl re/'erri ad genus et di/'ßniunl dicenles, quod esl posila sub genere auf

de qua praedicatur genus subslanlialiter el alia liuiusmodi. Inlenlio vero magif

propria esl, quam aliquando describunt secundum aliquem respeclum dicentes, quod

est species specialissima el hacc est, quae signißcal esse, quod est commune pluribus

non differentilms substanlialiter Scd inter hos duos aclus esl di/ferentia,

quum tanlum secundum primam inlenlionem re/'eratur ad genus, sed secundum seeundam

inlenlionem non referalur ad ipsum; ad hoc enim, ul pracdicelur de pluribus

differenlibus numero in quid, non esl necesse, ut sil aliud quid communius quam

ipsa, quod praedicatur de ipsa.

120) Ebead.: Deinde cerlissime nescio, uter eorum modorum secundum logictt

XVI. Avicenna. 335

der beiden Bedeutungen species in der Lehre von den fünf Universalien

zu nehmen sei , so könne die Einlheilung der letzteren allerdings so

gestellt werden, d;iss nur die Eine Bedeutung der Species zulässig ist;

denn Iheile man die universelle Bezeichnung des esse nach dem tlcsidilspunkte,

dass das Einzelne entweder der Art nach oder der Zahl nach

verschieden ist, so sei die 'auf die Gattung bezogene Definition der

Species ohnediess ausgeschlossen, und theile man den ersleren Gesichts

punkt abermals nach der Möglichkeit einer Zulassung oder Nicht-zulassung

eines allgemeineren Gattungg-Prädicates, so liege darin die blosse

Potenz einer Beziehung der eigentlich stricteren Species auf die Gat

tung121); Iheile man hingegen die Universalien ohne Berücksichtigung

jener Verhältnisse , in welchen sie durch Vergleichung mit dem Ein

zelnen stehen, so gelange man ausschliesslich auf jene Definition der

Species, welche die relative Bezugnahme auf die Gattung enthält122).

Aber hinwiederum könne ja eine Eintheilung unmöglich alle fraglichen

Gesichtspunkte zugleich berücksichtigen , und so ergebe sich auch hier

erst als eine Folge der Eintheilung die Erwägung,- dass die Universalien

fuerit prior; nun est enim lange, quod id ad quod primum Iranslulrrunt nomen speciei,

sil id quod est supra singularia; et deinde projiter hoc, quod accidil ei habere

supra se aliam communiorem, vocaverunt , quod est sttb communi humsmodi, specialitalem;

nee- etiam esl lange, quod alia intenlio anliquorum sit , scilicet (der Text

gibt sed) quiü hanc intentionem eomitabalur , ut esset species specialissima, et propter

suum relalionem reslrinycnlem specialitaltm lanlum absquc generalitate posuerunt

digniorem tunc nomine specialilalis, et quia est staüm post singularia, vocala est

species. Hoc aulem esl quod eyo nequeo discirnere , quamvis magis foveam, quod

nomen non fuerit prius irnposilum speciei secundum respectum quo rcferlur ad genus.

121) f. 7. r. B: Debcmus aulem scire de specie, quae una esl de quinque in

divisione prima, secundum quem islorum modorum est species. Dicamus ergo passe

esse, ut haec quinquememtiris divisio fiat taliter , ut includal unum lanlum duorum

modorum et non alium. Cum enim dicitur, quod nomen commune subslanliale aut

dicitur significare esse aul non, si est significans esse, aut est signißcans esse com

mune differentibut (ausgefallen ist: specie, aut est signißcans esse commune differenlibus)

mimero non specie, lunc membrum significans esse conlinebal genus et

speciem, quae est statim pasl singularia, et excludil respeclum speciei secundum

inlenlionem , quae est in relatione generis secundum membrum primum. El poslea

praedicalum de multis differenlibus specie in quid dividilur in id, quod esl sie de

quo non praedicalur aliquid huiusmodi , et hoc erit quod vocalur genus lanlum, et

in id, quod praedicatur de mullis, de qua praedicatur aliquid huiusmodi, et secun

dum hunc respectum erit species. Sed haec divisio non allribuil numerum specialilalis

secundum intentionem relatam absolute, sed oslendil nobis poteslalem humsmodi specialitalis

secundum hunc respectum, scilicel quod esl genus et habet specialilulem,

et oslendil nobis naluram speciei secundum respeclum proprium salvam et inlegram.

122) Ebend.: Et possibüe esl aulem dividi lauter, ut del nobis speciem, quae

esl secundum inlenlionem communem, et species secundum inlenlionem propriam sil

in secundo membro Cum aulem diriditur universale secundum quod est univer

sale, communicatior consideralio de illo est, ut dividalur divisinne, quam habet

comparalione inferiorum suorum, quibus est universale, et lunc removebitur species

secundum intentionem communem et non habebilur poslea nisi ex alio respectu, et

tunc species , quae primo percipilur, erit species secundum intenlionem propriam. Si

i'uti'tii non curaverit de hoc nee de disposilionibus universalium et de accidenlibus

eorum, quae sunt inter illa ex hoc quod sunt unioersalia, sicut hoc, quod im UM est

communius vel magis propiium comparatione allerius et non compuratione singularium,

tunc proveniel libi species relativa.

336 XVI. Avicenna.

je nach ihrer relativen Allgemeinheit miteinander verglichen werden

können 123); wenn man daher sich auf diesen letzteren Standpunkt

stelle und sage, dass die quidditaliven Prädicate nach grösserer oder

geringerer Allgemeinheit sicli unterscheiden und hiernach entweder Gattung

oder Species sind, letzlere aber ihrerseits entweder abermals als

Galtung anderer Unterarten oder nicht mehr als Gattung auftreten kann,

so sei eine Einteilung gewonnen, in welcher die relative Definition

der Species enthalten und zugleich die strictere nicht ausgeschlossen

sei 124). Werfe man sich aber auf die gewöhnliche Eintheilung der

Universalien, wornach in dem von ihnen umfassten gleichartigen Vielen

entweder Art-Unterschiede oder nur numeräre Unterschiede bestehen,

und im ersteren Falle entweder das Substantiale sowohl nach Seite

des quid (genus) als auch nach Seite des quäle (differeniia), oder aber

das Accidentale (accidens) vertreten sein kann, und ebenso im letzteren

Falle entweder das quid (species) oder das quäle (proprium) bezeichnet

sein kann 125), so gewinne man allerdings die slrictere Definition der

Species im Sinne der species specialissima , gerathe aber in Schwierig

keiten betreffs der Differenz und der zu enge gefassten proprielas m).

123) Ebene!.: Non debet autem quis credere, ut haec quinquemembris divisio

sit includens mme id, in quo dividitm universale; aliquando enim aliquid dividitur

in aliqua, et exeluduntur ab eo alia, quac non includunlur nisi in alia divisione;

animal mim cum dividitur in loquens et in non loquens, excluditur volatile et

gressibile JVo» debes aulem persislere in dicendo, quod haec divisio quinquemem

bris debeat includere omnem inlentionem cuiuscunque universalis et respectum eins,

sed debes scire, quod nun ducil nos ad hoc implicilum nisi quia duo mcmbra discreta

conveniunl in uno nonrine , quod esl species. Convenicntius esl aulem dicere,

quod cum haec quinque habila fnerint, provenit ex comparatione, quae est inier illa,

aliquid aliud, sciiicet dispositio eiws, quod est magis propriufii inier ea, quae praedicantur

in quid comparatione magis cummunis, ila quod sil specialilas magis

propria.

124) Ebend.: Si autem voluerit facere divisionem, ex' qua detur nobis species

secundum inlenlionem relalam, quae est communior, lunc convenit dici, quod nomen

substantiale aut praedicalur in quid aut non; id aulem quod praedicalur in quid,

inlelligilur commune id, quod convenil responderi ad inlcrrogalionem faclam de mullis

, quid sinl. Deindc dicemus , quod ea quae praedicantur in quid differanl in

communitale et proprielatc; quaedam enim eorum sunl cornmunia et quaedam commoniora;

ex praedicabilibus aulem in quid id , quod esl communius, est gcnus minus

communis, et minus commune est species communioris. Inventa aulem ipecie dividemus

aliler dicenles necesse esse , ut aut species ftal genus alii speciei avl non.

Et haec divisio oslendil nobis quinque manifeste, et nalura speciei secundum inlenlionem

communem continelur in ea; species vero secundum inlenlionem secundam

includetur in ea aliquo modo; scd in divisione prima non fuil ila.

125) f. 7. v. A : Vulgata autem divisio horum quinque affinior est primae divisioni;

dividilur enim sie: omne nomen incomplexum aut significal unum aut mulla;

signißcans autem unum esl nomen singulare ; signiftcans aulem mulla aut significat

'mulla differenlia specie aut numero; signißcans vero mulla differenlin specit aut esl

subslanliale aul esl accidenlale; si aulem esl substanliale , aut praedicalur in quid

aut in quäle quid; siynificans aulem multa difjerentia specie in quid ponilur genus;

significans quäle quid esl diffenntia ; accidenlale vero esl accidens commune; deinde

dicitur , quod id , quod significal multa differenlia numero, aul praedicatttr in qttid

et est species, aut praedicalur in quäle quid el sie esl proprielas.

126) Ebend.: Haec aulem eorum divisio non includil speciem secundum inlen

tionem relativam nee differenliam secundum quod est differentia Si aulem consi

XVI. Avicenna. 337

Jedenfalls aber liege für die Species das Entscheidende darin, dass die

von ihr umfasste Vielheit nur numeräre Unterschiede innerhalb ihrer

selbst zulasse, denn hindurch unterscheide sich die Species von Galtung

und von Accidens , und man müsse darum die numerären Unterschiede

in strengem Sinne auch nur von dem Numerären verstehen 12"J; andrer

seits aber unterscheide sich die Species von der Differenz und von

dem eigentümlichen Merkmale durch den quidditaliven Charakter, und

somit besiehe die strictere Definition zu Recht 12S). Hingegen habe jene

andere weitere Definition ihre Bedenken, sowohl wenn das Verhällniss

der Subordination unier die Gallung zur Hauptsache gemacht wird, da

dann eine Vieldeutigkeit der Subordination möglich bleibt129), als auch

wenn man das Verhällniss der Aussage hervorhobt, da dann die übliche

derarent, quod tu postea scies, non possenl reprehendi; sed scies, eos nee considerasse

nee percepisse, et ideo non possumus eos excusare ; forlassis autem doclorum

primus (doch wohl Alfarabi ?) consideravit • el in hac divisione non distinxerunt

inier proprietatem el differenliam , quam nun habet nisi species, et cxcluserunl proprietatem

, quae es/ proprietas speciei mediae (s. unten Aum. 151.) el compar eius ;

non enim assignaverunt proprietatem secundum quod esl proprietas speciei, sed secundum

quod est proprielas ipeciei speciaiissimae, sicul non assignaverunt speciem nisi

specialissimam.

127) Ebend.: Certiftcemus nunc vulgatas descriptiones speciei dicentes , quod

speciei, secundum quod species non referlur ad genus, perspicilur dif/inilio lalis,

quod ipso, esl quae praedicaltir de pluribus numero differenlibus in quid; in qua

non convenit cum ea nee genus nee accidens commune ; nnumquodque enim eorum

praedicalur de mttltis differentibus specie, non aulem de multis differentibus numero.

Hoc aulem quod dicitur de multis differentibus numeto debel inleltigi de numero lanlum.

Nisi enim sie intelligatur , ex hoc, quod praedicatur de mullis differentibus

numero, non prohiberetur praedicari de multis differentibus specie; praedicatur enim

de mullis differentibus specie aliquando , quod pracdicalur de mullis di/fercnlibiis

numero; quare proprielas huius nominis non esl speciei, sed lantum eius quod prae

dicatur , nisi sie excludalur id , quod praedicalur de multis differentibus specie , ab

eo , quod inlelligitur de hoc. El hoc est, per quod differunl a specie genus el acci

dens, aul per quod discernilur, ab ea differre, quae praedicantur de mullis differen

tibus specie.

128) f. 7. v. B: Sed non discernitur per hoc species a differentia, quae est

propria speciei, sicut esl rationale Aliqui autem »erbost possunt excludere

ab hac diffinitione secundum hunc modum discernendi speciem a differenlia. Modus

vero hie esl, ut dicalur: ex nalura speciei secundum Itanc inlenlionem debel non

praedicari nisi de multis differentibus numero ; sed nalurae differenliac non debelur

koe. Et hie modus est exceptus. Sed per hoc, quod praedicalur in quid, species

a di/ferenlia absohilur et etiam differt a proprietale , proprielas enim non praedica

lur in quid. Ergo haec descriptio esl rede assignala, quae non comilalur nisi in

lenlionem, quae dicilur species specialissima.

129) Ebend. : 'Species vero, secundum quod refertur ad genus, habet duas de

scriptiones, quarum una esl haec, qua dicitur, quod est posila sub genere, altera

vero, quod est id de quo praedicalur yenus in quid. Debemus aulem hoc considerare

dicenles, quod si ,,posita sub genere" inlelligitur, quod sil magis propria quam

ipsum in praedicatione , st vero inlclligalur de eo, quod universale est tanlum

et non singvlare, si vero intelligalur , quod esl propinquius sibi coniunclum in

illo sine medio st vero intelligalur, quod est sibi coniunclum non in ordine

communitalis lantum, sed in ordine inlenlionis, .... si vero inlelligatur , quod esl in

ii'iii.s natura est commune Hoc autem nomen „posilum sub genere" non significat

hanc inlenlionem exposilam tot modis nee secundum impasitionem nee secundum

tisum ; non enim memini , me aliquo loco librorum auclorum huius arlis invenisse,

hoc nomen sie debere intcUigi.

PHANIL, Gesch. 11. 22

338 XVI. Avicenna.

Formulirung der Definition mangelhaft ist130), — einer drillen un

wissenschaftlichen Deiinilion der Speeies gar nicht 7.u gedenken131).

Auf solcher Grundlage nun lenkt Avicenna zur Tabula logica des Porphyrius

ein (s. Abschn. XI, Anm. 41), in welcher zwischen genus generalissimum

und species specialissima die Stufenfolge der Mittelglieder

sich bewegt 132), und er glaubl hicdurch die Verschiedenheit der Auf

fassungen des Arlhegriffes in das richtige Licht gestellt zu haben 133).

Die nähere Verdeutlichung der Tabelle des Porphynus führt ihn auch

hier wieder auf jenen obigen (Anm. 117) für die Lateiner bedenklichen

Punkt 134).

Indem sodann die Erörterung über differenlia folgen muss, eröffnel

Avicenna auch diese mit der Frage über den Surachgebrauch, welcher

nicht (wie bei </>-iini und species) ursprünglich populär entstanden,

sondern von vorneherein ein Erzeugniss der Logik sei, indem man zu

nächst jeden substantiellen Unterschied mit jenem Worte bezeichnete

130) Klirml.: Descriplio vero secunda, haec est, quod species est, de qua praedicatur

genus eius in quid, aul sie dicitur, quod est id, de quo praedicalur genus

eins in quid. Contra luu<- , si intelligitur praedicari in quid, quod iam ostendimvs,

oportet aliquid .addi, quod est, de quo et aliud praedicalur genus eius in quid, el

eril hoc proprium speciei Si aulem ex hoc, quod intelligitur, inier eam el differentiam

et proprielatem et accidens di/ferenlia inlelligilur, inter eam et singul&re

non esl di/ferenlia, nisi continealur in ea, quod sil universale huiusmodi.

131) f. 8. r. A: Qui aulem diffinil dicens, quod species est id, quod est mayis

proprium de duobus universalibus pracdicabilibus in quid, nescil diffinire speciem.

132) Ebend. : Dicemus autem nunc, quod genus aliud est genus, quod impossiliile

est ßeri speciem, quum supra illud non est aliud communius genus, et aliud

esl, quod secundum all um respectum polest fieri species, quia habet supra se genus

communius quam sit ipsum. Et similiter species , quia alia esl species , quam impossiliile

est fieri genus, nam non esl species minus communis quam ipsa, et alia

est, quae alio respeclu polest fieri genus, nam sub ipsa est alia species minus com

munis quam ipsa. Ordinabitur ergo genus multis modis, quia aliud esl supremum

genus, quod nun esl species ullo modo ; et genus medium, quod est species el genus.

sub quo est species el supra quod esl aliud genus; et genus infimum, quod esl

species et genus, sub quo non est genus. Similiter et species, quia alia est infima,

sub qua non esl species ullo modo, nee esl genus aliquo modo; et esl species suprema

sub gtneralissimo ycnere , el supra eam non est species aliquo modo; el esl

species media, quae esl species el yenus , sed non unius esl genus et species.

Vulgalum autem exemplum huius est categoria sulislantiae (d. h. die arbor Porphyriana).

133) Ebend.: Respeclu inferiorum esl duobus modis, scilicel in respeclu eorum,

quod sunt sub ipsa, secundum hoc quod non sunt species, el eliam secundum quod

de illis praedicalur. Kespectus vero, qucm habet ad id, quod est sub ipsa secvndu*

praedicationem , atlribuil ei inlentionem specialitalis non rclative,ad genus, et hatc

esl inlenlio secunda eius, quod diclum est. Alius vero respeclus atlribuil ei, quoi

est species el non genus el quod esl species specialissima, el esl species eo modo,

quo diximus. Intelleclus aulem eorum Irium , quamvis sinl comilunles se , su*l

tarnen diversi; si autem species dicitur unaquacque islarum inlenlionum , dicelur

de his Iribus sola participalione nominis, sed diffinilionis ipsarum inlelleclu eriml

dinersae.

134) T, 8. r. 6: ///'/ aulem di/ferenlia, quam allribuerunl substantiae, perreniens

usque ad hominem, non esl recla,' quamvis non impedial inlelligi id, quod

intendilur. Corpus enim habens animam, cum complectilur vegetabilia cum sensibi-

Hbus, non complectitur angelos nisi sola parlkipatione nominis; ergo corpus haben*

animam non erit conlinen.i angelos u. s. w.

XVI. Avicenna.

und hernach eine dreifache Abstufung bemerkte135), insoferne die

Differenz bald im weiteren Sinne136), bald in engerem137) und bald

in engstem Sinne, d. h. als artmachender Unterschied, betrachtet werden

könne, in welch letzterer Bedeutung die primäre wesentliche Function

der Differenz liege, da das Auftreten der (ihrigen Differenzen von dem

Dasein dieser ersten schlechthin bedingt sei 138). Hieraus fliesse die

Distinction in trennbare und untrennbare Differenzen , welch letztere

entweder die Substanz oder die Merkmale betreffen können, sowie die

Unterscheidung (s. Abschn. XI, Anm. 44) in die bloss alterirende und

in die artuiacbende essentielle Differenz 139). Insoferne aber die Diffe

renz als eines der fünf Universalien in Betracht komme, müsse daran

festgehalten werden , dass sie von der Species nach Seite einer quali

tativen Bestimmung (in quäle quid) der ihr entsprechenden Gattung

ausgesagt wird, wobei zwar jenes qualitative Moment verschiedentlich

gefasst werden könne 14Ü), aber nie die substantielle Function desselben

135) Ebend.: Differentiae nomcn secundum logicos intenlionem primam signiftcal

et secundam; hae aulem inlentiones nun sunt sicut inlentiones generis et speciei;

prima enim posilio generis non fuil nisi a vulyo, translalio vero fuü a maioribus;

sed di/ferenltae nomen primum logici imposuerunl et deinde Iranslulerunl.

Cuius prima positio esl haec, cum dicilur, quod differenlia csl, qua differl aliquid

ab aliquo subilantialiler • postquam iyüur sie fuclum esl , dabei differenlia praedicari

de tribus secundum prius ei posterius , ita scilicet ul differenlia alia esset communis

et alia propria et alia magis propria. Dieses wiederholt Albert. M. De praedicab.

V, l, p. 50. A.

136) Ebend.: Communis aulem differentia est id, per quod polest aliquid differre

ab aliquo , quod Herum polest differre per illud ab ipso , et per quam aliquid

polest differre a se ipso in duobus tcmporibus , cuius exemplum sunl accidenlia

separabilia.

137) Ebend.: Propria vero differentia esl id, quod accidenlibns est praedicabile

comilans ; cum enim dicüur aliquid differre accidenle inseparabili ab eo, quod per

ipsum differt, stmper erit differenlia propria, ul differenlia hominis ab equo hoc,

quod est camis nilidae.

138) f. 8. v. A: Differentia vero quae vocalur magis propria, est conslituliva

speciei, quae cum adiungitur nalurae generis, efficil illud speciem et deinde comilatur

et accidit, quidquid comilalur et accidil; et haec est subslanliulis nalurae

generis, quod constituüur in esse speciei, et haec dal esse et dislinguit et designal ;

sicut est rationulitas homini, quae differt a ceteiis, quae conveniunl cum ea; propria

enim primum concurril naturae generis el accurril et perßcil, celcrae vero non adveniunl

nalurae communi, nisi poslquam advenil haec el adaplal el praeparal ad

omnia, quae accidunl el comitanlur; haec enim non adveniunl nee accidunt nisi posl

hanc proprielalem , quae esl sicul ralionalilas homini Debes aulem scire cerlissime,

quia differentia inter differentiam magis propriam et illas differentias haec esl.

139) Ebend.: Unde polest die», quod differenliarum aliae sunl separabiles aliae

inseparabiles ; inseparalnlium vero alia esl subslanlialis et alia est accidentalis. Item

pulest dici, quod differentiarum alia facil aliud alia alleralum; aliud vero est id,

cuius natura esl alia, ullcralum vero communius esl quam illud Differentia

ergo, quae est magis propria, est causa esscnlialis differenliae facienlis aliud secun

dum placitum auctorum huius arlis imponentium hoc nomen.

140) Ebend.: fioslra aulem intentio hie esl, cvnsiderare hanc differentiam

lanlum, quae est una ex quinque, el non alias ; cuis certa descriplio esl haec, quod

csl universale simplex pracdicalum de specie in quäle quid el secundum essentiam

generis sui. El hoc eliam, quod praedicalur de specie. in quäle quid, habet eliam

mullas descriptiones divulyalas, sicul koc quod dicilur, quod differenlia est, qua

differt a genere species, et eliam, qua abundal species a yenere , et eliam, qua

22*

340 XVI. Avicenna.

zu vergessen sei141), sowie andrerseits die Species in ihrer Gellung

als Universale , d. h. in ihrer Anssagbarkeit von Mehreren) , bewahrt

werden müsse 142), wenn auch die nähere Bestimmung dieses Verhält

nisses Iheilweise über die Aufgabe der Isagoge hinausgehe 143). Hieran

knüpft sich dann an der Hand des Porphyrius (Abschn. XI. a. a. 0.) die

Unterscheidung einer die Gattung theilenden und einer die Arten constituirenden

Wirkung der Differenz 144), wobei sich die Erwägung ein

stellt, dass manchen Differenzen nur die erstere dieser beiden ohne die

zweite zugeschrieben werden müsse, da das Entblösstsein (s. oben Anm.

34) nicht als constituirende Differenz zu betrachten sei 145); irrig hindifferunt

quae convtniunt in genere, el, quae praedicalur de pluribus di/ferentibus

specie in quäle quid. Ebenso ans Avicenna Albert. M. De praedieab. V, l, p. 52. A.

141) Ebend. : liebemus autem diligcnler considerare käs descriptiones et certificare

eas. Dicemus ergo, quod cum addiderint unicuique harum descriptionum aliquid,

erit par; hoc aulem est , ul dicalur subslanlialis , et hoc subslanltale est id,

per quod differl substanlialiler species a genere; proprietas enim, quamvis per eam

species differat, non esl talium substantialium,

142) f. 8. v. B : Descriptiones vero tres priores , quamvis sint parcs cum differenlia,

non lamen includunt id quod est in differenlia ut genus eius, quo scilieet

completur difßnilio , quamvis sine eo fossil haberi significalio substanlialis aequalis,

sicut si aliquis diceret, quod homo est rationale mortale Quod autem est quasi

genus differenliae, hoc est universale ; debel ergo addi illi. In descriplione vero iam

nominatur universale, cum dicilur praedicari de mullis, praedicari enim de multis

est descnplio universalis , ergo iam atlribuitur ei descriplio aliqua, quae est quasi

yenus, quamvis non designctur ex nomine.

143) Ebend.: Hoc autem, quod dicilur de pluribus differenlibus specie, habet

tres intellectus: nimm, qaem non percipit, qui vult legere hunc librum , quem poslfa

ostendemus in suo loco (s. Anm. 228.); celeri vero duo prope manifesti sunl,

quorum unus est, ut natura differenliae conlineal praedicalionc plures species sine

dubio praeler illam unam speciem, a qua di/fertur; alius vero est, quod nalura

differenliae debel praedicari, quäle quid esl unumquodque mullorum differenliwn

specie inier se.

144) Ebend.: Deinde differenliae duas habenl comparationes , unam ad id.

quod dividtml, sc. genus, el aliam ad id, in quod dividunl; rationale etenim

est divisivum generis el constitulivum speciei; si autem genus fuerit gencralissimum,

non habebil di/ferentias nisi dirisivas, si vero fuerit sub generalissimo , habebit differenlias

divisivas et conslilutivas ; el differenliae divisivae constitutivae sunt, quae

dividunl genus eius el conslituunl speciem ex eo Divisivae vero sunt, quae

dividunt islud et consliluunt speciem sub eo ; conslilulivae vero generis non sant

minus communes quam ipsum, sed eius divisivae sunt minus communes quam ipsum

Nulla aulem conslituliva esl nisi divisiva; divisivarum autem, secundum quod

videtur, aliqua est non conslituliva ; hoc aulem non esl nisi in differentiis negalivis

sive privalorüs, quae vere non sunt differenliae. In einer etwas abweichenden Form

berichtet hierüber Albert. M. De praedieab. V, 6, p. 65 A: Dicendum cum Avicenna,

quod differenlia in se Iria habet, scilieet quod est simplex divisiva et per hoc est

di/ferenlia; et quod est simpliciler conslituliva el hoc habet eo quod esl divisma;

habet et lerlio , quod esl ad cerlam specitm determinaliva, el hoc non habet ex eo

quod est divisiva nee ex eo quod est constüutiva, sed hoc habet ex hoc, quod esl

certa rei specialis nalura et forma propria et essentialis.

145) f. 9. r. A: Privativae enim comilantes sunt rerum comparalione intenlionum

, quibus carenl; irrationale enim non intelligilur nisi respectu rationalit

Aliquando aulem cogimur, nomen priralorium ponere pro intentione, quam habet res

in sua essentia-, cum non fuerit eius nomen; propter hoc autem non oportet, quod

negatio haec sit proprium eius nomen, s»d est nomen coniilans illam, quod transfertur

ab eo, cui inditum est, ad hoc Privaliones vero, ex hoc quod sunt

XVI. Avicenna. 341

gegen sei es, zu glauben, dass, wenn zwei Differenzen nacheinander

zur Constituirung eines Wesens wirken müssen, die erstcre derselben

bloss eine theilende und hernach die zweite eine constituirende sei 14B),

sondern im Gegentheile besiehe überall eine Gleichzeitigkeit jener beiden

Functionen 147). Indem aber die Differenz in dieser ihrer artmachenden

Wirksamkeit Wesen erzeuge, welche als solche eine Gradabstufung nicht

zulassen 148), könne ein solches Mehr oder Minder allerdings bei allen

übrigen Differenzen staltfinden, denn sowie bei blossen Qualitäten sich

eine Gradabstufung durch Beimischung der Gegensätze ergebe, so sei

auch bei dem artmachenden Unterschiede die äussere Erscheinung in

hindernde Einflüsse verwickelt, wodurch sich eine Manigfaltigkeit der

Intension der wirkenden Formen ergehe, während die artmachende Form

an sich hievon unberührt und einheitlich bleibe 14U). Endlich was die

privationes, non sunt inlenliones constitutivae rerwn, sed sunt accidentes et comilantes

respective , postquam tat» sunt essentiae eorum; lunc irrationale non est vera

differentia, in qua comeniunt bruta, et quae sit constitutiva eorum, Si autem aliquis

voluerit iiiiiilinii , qui halietur verissime, non eranl islae differenliae; quomodo

enim essent differentiac , turn non consliluanl aliquant specierum? Vgl. Anm.1 198.

146) Ebend. : De hoc autem, quod quidam putant, quod differentiarum quaedam

sunt conferenles esse, quae dividunlur, et deinde exsptctanl, donec alia vcniat dif

ferentia et conslituat simul, sieut rationale, quod forlasse putatur animal dividere,

sed exspeclat ad constiluendam speciem, donec ei adiungatitr mortale, haec opinio

falsa est; differentia enim, quae non dividit et provenit ex ea constitutio speciei,

non est necesse omnino , ul sit eonstiluens speciem specialissimam; interesl enim,

an dicamus , quod speciem conslituttnl, aut dicamus , quod constituunt speciem spe

cialissimam. Hierauf bezieht sich Albert. M. De praedicab. VIII, 8, p. 87 B: Um!

Avicenna, quod differentiae non eiusdem ordinis conveniunt ad speciei constittitioncm,

quarum una esl prior et altera posterior, sicut rationale, quod est communius quam

homo, et mortale, quod posterius in eadem rationali natura acceplnm est delcrminans

ad speciem liominis.

147) Log. f. 9. r. A: Animal rationale esl, cuitts iunctura habet inlentionem intellectivam,

quae est minus quam animal; cl non est differentia, sed diffcrenlia est

pars eins, sc. rationale, nee est proprium ; ergo sine dubio est specics eins; simililer

oslenditur, quod sit genus hominis , sicul manifestavit auctor Isagogarum alias

(Porph Isag. 12, s. Abschn. XI, Anm. 54.); rationale igitur iam constituit speciem,

ad quam erat genus; turn ergo dividit, constituit sine dubio.

148) Ebend.: Dicemus autem nunc, quod essentia uniuscuiusque rei una esl;

oportet ergo, ul essenlia rei nee augeatur nee minuatur.

149) f. 9. r. B: Alias vero differenlias , quae advcniunl post essentiam, nihil

prohibel recipere magis et minus, sive sint separalnles .... sive sint inseparabales ....

Et quamvis hominum alius sit subtilior -alius vero Itebetior, non (amen mrtus rationalis

recipil magis et minus, licet etiam aliquis esset, qui omnino nihil intelligent

sicul infans; hoc enim accidens non esset eius differentia; eius enim differentia est,

quod in sua subslantia est virtus, quae, quum nihil prohibuerit, operabitur ratio

nales operaliones, et haec virtus est una. Hiezu Albert. M. De praedicab. V, 2, p.

54 A: Respondet Avicenna ad primum quidem dicens, quod duplex est inlensio et

duplex est intensionis causa. Una quidem per contrarii maiorem vel minorem admixtionem,

sicut est in qualitatibus quae dicuntur sctisibilcs, verum enim

album est, cuius albedo nihil contrarii habet admixlum Secundus modus- est in

his , quae permixtibilia non sunl, sed causantur a subiectis, in quibus sunt; haec

igitur, quia sunt esse subiecti consequenlia , necesse esl accidenlia esse, et

ideo illis habitudinibus magis et minus exislentibus necesse est etiam tales formas

inlendi vel remitti, propter quod habilior ad mirandum risibilior est .... Ad hoc

autem, quod de differenliii essentialibus et substantialibus obiicitur, sohit Avicenna

342 XVI. Avicenna.

Wortform beireffe, in welcher die Differenz ausgedrückt wird, müsse

der gleiche Standpunkt wie bei allen Universalien eingehalten werden,

d. h. die Differenz müsse von dem unier sie Fallenden als Prädicat,

welches Namen und Begriffsbestimmung enthält, ausgesagt werden können,

und so sei z. B. nicht „Vernünftigkeil", sondern „Vernünftig" als consliluirende

Differenz der Species „Mensch" zu bezeichnen 15°).

Das proprium oder die proprielas wird gleichfalls zunächst nach

seiner Wortbedeutung untersucht, wobei Avicenna sowohl den unbe

stimmt allgemeinen Sinn als auch eine allzu enge Abgränzung dieses

Worles abweist; nemlich für die Lehre von den fünf Universalien komme

nur jenes eigeutlnmiliche Merkmal in Betracht, welches von den Indi

viduen Einer Species nach Seite der Qualität ausgesagt werde, und

wolle man diess auf diejenigen eigentümlichen Merkmale beschränken,

welche allen Individuen slels gleichmässig zukommen, so müsste dieses

proprium im engsten Sinne als sechstes Universale betrachtet werden 151).

Tritt aber hiemil das eigentümliche Merkmal näher an die Differenz

heran162), so bleibt es auch in einer gewissen Verbindung mit den

übrigen Merkmalen, welche als begleitende Folgen durch die Substansie,

quod forma subslanlialis , a qua sumitur di/ferenlia, tripliciter consideralur,

scilicet ul forma esse conferens, et nt differentia, quia una species comparatur ad

aliud alterius speciei, et ul actionis naturalis sive subslanlialis^ principium, u. s. w.

..... (f. 55 A) Declaratum est igitur , quod dicendum est , difterentiarum alias

quidem esse separabiles , alias autem inseparabiles.

•150) Log. !. 9. r. B: Debes autem scire, quod differenlia, quae est una de

quinque, est sicut rationale, quod praedicatur de specie absolute; rationalttas aulem

praedicatur de specie denominalive. Haec quinque sunl unum quoddam, scilicet hoc

nomen ,, universale", cuius forma nominis in illis ornnibus est, ut praedicetur de

omnilius suis singularibus , quae conveniunl in eo , sie ut altribual ei nomen suvm

et diffiniHonem suam; rationalitas autem non dal alicui nomen suum vel difftnitiotiem

suam; hoc aulem si rocatur di/ferentia , sit differenlia, sed allerius inlentionis ab

ea intentionc , de qua loquimur. Simililer intellige proprielatem et accidens ; haet

enim quinque debenl pracdicari ad modum praedicalionis generis et speciei secundum

hoc quod est praedicatio. Polemisch erwähnt bei Albert. M. De praedicab. V, 6,

p. 64 B : Dicunt alii, quod cum dicitur, universale est, quod praedicalur de pluribus

sibi subiec.tis , hoc dictum est, non quod actu praedicetur de multis, sed quod aptiludinem

habet, quod sil in mullis Unde cum species subiectum sit , de quo

praedicari habet hoc universale differentia, dicunt, quod aplitudine praedicalur Ae

pluribus, quamvis aliqua differentia actu non sit nisi in una sola specie. Et hanc

opinionem recital Avicenna, et esl omnino falsa. Vgl. obige Anm. 89.

151) Log. f. 9. r. B: Proprietas autem dicitur secundum logicos duobus modis;

uno modo , quia dicitur de omni intentione , quae est propria alicui sive absolute

sive comparatione alicuius; alio modo, quia dicitur de aliquo, quod est proprium

alicuius speciei per se et non -allen; aliquando etiam proprium dicitur, quod est

speciei omnis et semper. Proprium aulem, quod est hie unum de quinque secundum

logicos , ut puta id quod est medium ipsorum , est quod praedicatur de individttis

unius speciei in quäle quid non substantialilcr, sive sit commitnc semper sive non;

quod enim est commune semper, sive sit species specialissima sive media, magis

proprium esl quam hoc; si autem hoc esset proprietas, quae esset una de quinque,

tunc maior esset divisio quam in quinque (s. Abschn. XI, Anm 134).

152) f. 9. v. A: Usus autem fuit, proprium accipi id, quod est proprium spe

ciei et dans differentiam. Albert. M. de praedicab. VI, l, p. 71 B: Cuius exemplum

dal Avicenna satis conveniens; ex hoc enim, quod homo esl animal rationale vel

intellecluale per principia homini essentialia, seqnitur, quod sit admiralivus,

est igitur aplus natus ad ridendum , etiamsi aclu non rideal.

XVI. Avicenna. 343

tialität bedingt sind (s. Anm. 97 f.), und es darf sonach in dieser Be

ziehung kein schroffer Gegensatz zwischen proprium und avcidens com

mune aul'gestelll werden153), sowie die bei Porphyrius (Abschn. XI,

Anm. 46) gegebene Vierlheilung des proprium, nicht mehr in Anschlag

kömmt 154). Bezüglich des Sprachausdruckes kehrt hier die neinliche

Bemerkung wie bei der Species (Anm. 150) wieder, dass nemlich z.

B. nicht „risibilüas", sondern „risibüe" das eigentliche Universale

sei 155).

In gleicher Weise beruht auf Obigem (Anm. 97 f.) auch dasjenige,

was über das acridens bemerkt wird t56), und sowie schon gelegentlich

des proprium die Auctoritäl des Porphyrius etwas zurückgetreten war,

so steigert sich diess hier zur directen Polemik. Nemlich wenn accidens

commune dasjenige ist, was von mehreren in ihfer Art verschie

denen Dingen qualitativ ausgesagt wird, so sei hiehei nicht sofort eine

Gegensätzlichkeit gegen die Substanz gedacht, denn wenn das accidens

commune zu den fünf Universalien gehören solle, so handle es sich

darum, dass es in gleicher Weise wie die übrigen Universalien aus

sagbar sei , d. h. z. B. in dein Urtheile „Sokrates ist weiss" werde

von Sokrates ausgesagt, dass er ein die Weisse an sich tragendes Ding

sei, eben diese Aussage aber enthalte nicht einen Gegensatz gegen die

Substanz 1B1). Denn „accidens''' sei hier gleichbedeutend mit „accidentale",

welch letzteres dem „subslanliale" gegenüberstehe , und sowie

1 53) Log. f. 9. v. A : Quidam aulem voluerunl omnia alia praeter proprium

ponere inier accidcntia comtnunia, ita ul non sit nisi vnius speeiei tantum, sed .non

omni auf alicui eins parti, et sit possibile illam parlem illud non habere Scd

haec diclio est viliosa non significans rcm vel communilatcm eins et proprietatem eins

et umtatem eins, sed secundum aliud; nomen enim accidentis communis ponunt opponi

proprio.

154) Ebend. : Accei>tio communior facit proprietales 'dividi in quatuor, seiltest

in proprietatem, quae convenit alicui speeiei, sed non soli, et in eam, quae

contingit omni speeiei, et in eam, quae convenil soli speeiei, sed vel cuique vel non

omni, .... et in eam, quae convenit omni et semper Proprietas aulem, quae

dignior esl esse una de quinque , esl illa quam diximus.

155) Ebend.: Debes aulem scire, quod proprietas quae esl una de quinquc,

est risibile, non risibilitas , et navigabile, non navigabililas, et alia huiusmodi, sicul

diximus in differentia; aliquando tarnen concedimus in verbis et accipimus risibilitatem

toco risibilis. Diess ist wiederholt bei Albert. M. De praedicab. VI, 2, p.

73 B.

156) Albert. M. De praedicam. IV, l, p. 141 B: Tarn Porphyrius quam etiam

Aristoteles et Avicenna dicunt, quod accidens duobus modis praedicatur; ....quoddam

enim est forma absoluta et non per aliquid est accidens , .... et sie quantitas est

accidens et qualüas et huiusmodi; quoddam autem est accidens, non quia sequatur

esse rei perfeclum , sed ex aliquo , quod est extrinsecus se habens ad rei substantialia.

157) log. f. 9. v. A: Accidens vero commune esl id , quod esl praedicabile

de pluribus differenlibus specie non stibslantialiter , ut aümm, non ut albedo. JVon

est aulem hoc accidens illud, quod est oppositum subslanliae, sicut mufft putant;

ipsum enim non praedicatur de suo subiecto sie, ut sit ipsum, sed denominalur ab

(o nomen; haec autem quinque praedicantur uno modo, sicul iam saepe diximus;

accidens autem commune, quod est hie, est sicut album et sicut unum et alia huius

modi; dicitur enim ,,Socrales esl albus", i e. Socrales eil aliquid et albedo; res

aulem habens albedinem esl id, quod praedicalur de Socrate praedicalione vera, sed

res habens albedinem non esl accidens eo modo, quo esl opposilum subslanliae.

344 XVI. Avicenna.

umgekehrt ein essenliale zuweilen Accidens sein könne (z. B. das essenliale

des Farbe-Seins überhaupt), ebenso könne «in accidenlale zuweilen

Substanz (d. h. allerdings nicht substantielle) sein ; bezüglich dieser

ganzen Unterscheidung aber habe Porphyrius unbedachtsam geredel158).

Und in der That müssen wir dem Avicenna zugestehen, dass er in

diesen Fragen die Hohlheit der Angaben des Porphyrius (Abschn. XI,

Anm. 44 ff.) sowohl betreffs der Trennung in accidens separabile und

accidens inseparatile 159), als auch in der ganzen Einzel-Entwicklung

durchschaute 16°).

Hiemit schliessl der erste Theil161). und es beginnt nun entspre

chend dem Porphyrius (a. a. 0. Anm. 49 ff.) die übliche Erörterung über

die Berührungspunkte und Unterschiede der fünf Universalien unter

sich162), wobei wir beachten müssen, dass die Lateiner ein beson

deres Gewicht auf Avicenna's Berichtigungen und Zusätze legten 163);

ja hierin allein liegt auch in der That für uns die Nöthigung, jene Controversen,

welche für das Abendland einflussreich waren, in möglichster

Kürze anzuführen. Avicenna tadelt zunächst bezüglich des zwischen

158) f. 9. v. B: Accidens autem intelligitur hie pro accidentali, quamvis non

tit accidens secundum veram inlentionem; accidenlale autem aliud est proprium dliud

commune; accidentale aulem est oppositum substantiali et essentiali, accidens vero

opposilum est substantiae. Essenliale vero aliquando est accidens, ut genus acci~

dentis, sicut color albedini, aliquando est substantia; accidentale similiter aliquando

est accidens, aliquando est substantia. Hie aulem accidens non intelligitur nisi acci

dentale , quamvis nondum oslendimus dispositionem accidentis , quod esl oppositum

substantiae. Et hoc est, quod primum non consideravit, qui proposuit assignationem

quinque horum ante logicam. Albert. M. De praedicab. VII, l, p. 76 B: Avicenna

Porphyrium redarguit, quod omissa determinatione accidenlis, cuius intentio nota non

erat, statim processit ad descriptiones ipsius.' Hiezu obige Anm. 29.

159) Albert. M. De praedicab. VII, 2, p. 76 B: Dicü etiam Avicenna, vitium

esse in hoc, quod .... ditidunt accidens in accidens separabile et inseparabile, dicenles,

quod dormire vel sedere est separabile accidens, nigrum vero esse conto et Aethiopi

inseparabiliter accidit.

160) Log, f. 9. v. B: Deinde accidens commune habet descriptiones divulgatas,

sicut haec, quae dicit , quod accidens est, quod adest et abest praeter subiecti corruptionem,

et quod polest idem habere et non habere, et, quod esl nee genus

nee species nee di/ferentia nee proprium, semper autem in subieclo subsistens. Consideremus

ergo has descriptiones divulgatas. Prima autem multis modis vitiosa eit

u. s. w. In descriplione autem per negalionem tertia — si addiderinl ei, quod est

universale, huiusmudi appropriabitur accidenti communi, ....hie autem non addidit,

nisi quia putavit -ex hoc, accidens, quod est hie unum de quinque, esse accidens,

quod est oppositum substanliae. Hiezu obige Anm. 30.

161) Ebend. : Expleta est pars prima libri colleclionis primae, et deo, cui nikil

est similii, sint gratiae inßnitae.

162) Ebend.: Cognitio eius, quod diel um est de divisione horum quinque, tuffu'il

ad agendum de communitatibus et differenlüs , quae sunl inier haec quinque.

Usus autem fuit in libris introductionum agere de his; faciemus ergo, sicut e(.tUi

considerantas dixerunt.

163) Albert. M. De praedicab. IX, l, p. 91. A: Quamvis in anlehabitis tarn

determinatum sit id, quod de quinque universalibus tradidit Porphyrius, tarnen adhuc

sunt quaedam , quae ulile est scire de his , quae ex logicis doctrinis Arabum in

lalinum translulit Avendat Israelila philosophus et maxime de logica Avicennae.

Primum eapitulum huius doclriaae est de comparalione islorum quinque inier se , et

haec ad perfectionem doctrinae ponimus.

XVI. Avicenna. 345

Gattung und Differenz bestehenden Berührungspunktes das von Porphyrius

gewählte Beispiel164), sodann findet er Gelegenheil, im Hinhlicke

auf die Differenz die qualitative Aussage derartig zu distinguiren, dass

es auch ein praedicari quasi in quid gehe, welches bei jedem inner

halb der essentiellen Quiddität Enthaltenen stattfinde und somit auch

von der Differenz gellen müsse 165) ; ferner verwahrt er sich einmal

ausdrücklich dagegen, dass die Gattung direct als Stoff und die Diffe

renz als Form bezeichnet werde, da eine solche Auffassung immerhin

nur gleichnissweise gemeint sein könne 16ß). Und sowie er hmwiederum

von einem Berührungspunkte zwischen Gattung und proprium bemerkt,

dass derselbe bei Porphyrius an unrechter Stelle besprochen sei 167),

so tadelt er auch, dass die Eine jener Verschiedenheiten, welche zwi

schen Differenz und Species bestehen, nur auf Species im engsten Sinne

sich beziehe, sowie dass bei einer anderen ein schiefes Beispiel ge

wählt sei168); ebenso muss er (vgl. Anm. 159) den Unterschied, wel

chen Porphyrius zwischen Differenz und untrennbarem Merkmale auf-

164) f. 10. r. A: Genus autem et differentia conveniunt in vulgato: natura

enim generis debel praedicari de speciebus Exemplum aulem huius posuerunt

rationale, quod contineat multäs species , et tu nosti, quid sit in hoc; quare, sicut

nosti, non bene fecerunt in ponendo hoc exemplum rationale; quamvis enim conti

neat plures species , non tarnen ülae species propinqttae sunt illius , sed sunt species

tinius speciei, quam constituit rationale, quum adümgitur animali.

165) f. 10. r. B: Modus autem, secundum qucm processimus in oslendendo

id, quod esl praedicabüe in quid et praedicabile in quäle quid, ostendet tibi, quod

praedicabile in quid non est praedicabile in quäle quid Polest autem aliquis

dicere nobis: vos iam saepe aperle dixislis , quod differentia aliquando praedicatur

in quid, et praecipue in libro demonstrationis . Contra quem dicemus , quoniam inlerest

inter hoc, quod dicimus aliquid praedicari in quid et aliquid praedicari quasi

in quid, sicul interest inier hoc, quod dicimus esse, el hoc, quod dicimus contineri

in esse; praedicabile enim quasi in quid est omne id, quod continetur in intentione

facta de esse, et illud solum non significat esse; praedicabile in quid est id solum,

quod respondetur ad quid; differentia vero continetur in esse et quasi in quid, quo

niam est pars cius , quod respondetur ad quid.

166) f. 10. v. A: Sunt autem hie aliae differenliac , quae nunc differuntur

alias dicendae; quandoquidem genus non est materia nee differentia esl forma, sed

est sicut maleria eo, quod natura eius in intellectu est recipiens di/ferentiam , cui

quum advenit differentia, fit ipsum aliquid existens in aclu, qualis est dispositio

maleriae et formae. Vgl. Anm. 193.

167) f. 10. v. B: Item alia communilas (d. h. generis et proprii) est, quod

natura generis praedicatur de speciebus sub se contentis aequaliter Haec aulem

communitas si designaretur in communilate , quae esl inier genus el speciem et dif

ferenliam , melius essel; sed ibi praetermissum ponil hie.

168) f. 11. r. A: Difjerentia secunda (d. h. differentiae el speciei) est, quod

species non praerticalur nisi de pluribus differenlibus numero tanlum, differentia vero

plurimum aul frequnnter praedicalur de pluribus differenlibus specie ; quae discrepantia

est inier differenliam el speciem specialissimam , non inter differenliam et

speciem absolute (dieses wiederholt Albert. M. De praedicab. VIII, 8, p. 87. A).

Tertia vero discrepantia est, quod differentia est prior specie, et posuit exemplum

huius secundum deslructionem dicens , quod rationale sublalum removet homincm ;

sed non removelur sublato homine , angclus enim rationale ; nee posuit differenliam

et speciem, quae sunt simul, sed accepit differenliam generis hominis et comparavil

homini ; sed si aliquis diceret, quod species est prior differentia, quae est rationale,

esset devius a verilate.

346 XVI. Avicenna.

stellt, nach Form und Inhalt bekämpfen 169) und bezüglich des Unter

schiedes zwischen Differenz und eigentümlichem Merkmale auf die

Nothwendigkeit hinweisen , dass der Begriff der Differenz genau und

gleichmässig eingehalten werde 17°). Sodann aber folgt die sehr rich

tige Bemerkung (vgl. Abschn. XI, Anm. 53), dass, wenn man überhaupt

die fünf Universalien in ihren wechselseitigen Verhältnissen betrachten

wolle, ein weit planmässigeres Verfahren, als jenes des Porphyrius ist,

eingeschlagen werden müsse 171), und nach wiederholter Hinweisung

(vgl. oben ' Anm. 107) darauf, dass die Universalien wechselseitig in

einem engeren substantiellen Nexus stehen 112) und gerade hierin sich

die richtige Auffassung des artmachenden Unterschiedes ergebe 173),

fügt Avicenna noch eine neue erläuternde Betrachtung hinzu, in welcher

an einzelnen Beispielen gezeigt wird, dass manche Begrill'e zwei Univer

salien zugleich (z. B. Gattung und Differenz oder Gattung und Accidens

169) f. 11. r. B: Differentia et accidcns inseparabile differunt in hoc,

quod differentia semper continet id , cuius esl differentia, sed non continetur ab eo.

Oblilus autem fuil huius quod dixerat , scilieet quod unum suhiectum aliquando

multas habet differentias , quae conreniunt in Mo. Nomen atttem continendi

esl nomcn ambiguum, non doctrinalc, nee oportet agere de illo; quo'd autem intelligitur

de modo conlinendi, qui attribuitur accidcnti et gencri, diversum est a.

modo, qui negatur ab eis. Eral autem alias modus , qucm dicere melius fueral,

scilieet quod accidens aliquando continelur et aliquando continel; subiectum enim setundum

aliquid est communius et secundum aliquid minus commune.

170) f. 11. v. A: Differunt autem (sc. species et proprium) in hoc, quod id,

quod est species alicüius. fit genus allerius, proprium vero non ßt proprium alteritis.

Haec aulem differentia r/imis dissoluta est. Primum quidem in praemis'sis non consideravil

di ffcrentiam , quae. esl inier speciem, quae esl sub gencre, et aliud, sed

semper intendil de specie specialissima , nunc autem praetermiltit illud et intendil de

specie , quae est sub genere .... Sed si diceret , quod species alicüius aliquando ßt

proprium alterius, proprium vero non fit species, conveniens esset differentia, sed

iudicium de specie esset falsum Alia differentia est, quod species est prior

in esse, proprielas vero posterior, et hoc esl intelligibile et concedendum; deinde

subiunxit aliam differentiam , scilieet quod species semper est in aclu, proprium ali

quando , sed hie est contrarielas.

171) f. 11. v. B: Si enim recte incessisset, debuerat assignare communitales,

quae sunl inter quinque, et deinde quae sunt inter quaterna et quuterna, et deinde

inier lerna et lerna, et deinde inter bina et bina; simililer debuernt prius assignare

differenlias uniuscuiusque ad reliqua qualuor, et deinde duorum ad tria , el deinde

uniuscuiusque ad aliud proprie; el si diligenter ivissel, ut debuit, non esset ibi

communitas vel differentia inier aliqua duo, quas praetermitlerel indifßnite el non

assignaret eas inter alia duo, quasi fonasse assignari , ubi prmtermisil , convenicnlius

esset.

172) Ebend.: Postquam iam ostendimus haec quinque universalia, debemus scire,

quoniam id, quod ex illis est genus, non est genus uniuscuiusque rei, sed solius

suae speciei; similiter et differentia non est differentia uniuscuiusque rei, sed secun

dum hoc, quod esl divisiva unius generis. Debes etiam scire, quod unumquodque

istorum polest esse genus vel quasi genus et differentia et species et proprium el

accidens.

173) Ebend.: Genus aulem non esl genus differentiae ullo modo, nee differentia

est species generis; si enim ita esset, lunc differentiae esset alia differentia; diffe

rentia enim est inlenlio extra naturam generis ; rationale etenim non est animal

habens ralionem, sed quandam habens ralionem, quamvis comiletur illud esse ani

mal, animal enim habens ralionem homo est.

XVI. Avicenna. 347

oder Gattung und eigenlhiimliclies Merkmal u. s. w.) in sich repräsentiren

können 174).

Hiemil schliesst der /weite Theil 175), und es folgt nun noch eine

Discussion , welche unter Allem die bedeutendste Wichtigkeit für das

lateinische Aliendland in sich trägt. Neinlicli obwohl Avicenna zu An

fang (Anm. 90) die lieferen Fragen über die Gellung der Universalien

abgelehnt halle, beruft er sich nun hier auf den allgemeinen Gehrauch,

wornach zumeist im Anschlüsse an die Besprechung des Gatlungs- und

Art-Begriffes die Frage erörterl wurde, inwieferne die Universalien inlellecluell

und inwieferne natürlich und inwieferne logisch seien "*).

Die Beantwortung nun, welche Avicenna gibt, zeigt uns die Durch

führung jenes Intelleclualisnius, welchen wir bereits bei Alfarabi (Anm.

23 IV.) trafen177), und welcher von Avicenna schon in den Angaben

über die Stellung der Logik (s. bes. Anm. 74) zu Grund gelegt war.

Er wählt hier zur näheren Darlegung seiner Ansicht den Gattungsbegriff

als Beispiel an Stelle aller einzelnen Universalien und beginnt mit der

Bemerkung, dass z. B. „Tbier an sich" unabhängig von sinnlicher Wahr

nehmung und von psychisch-inlellectueller Auffassung und ebenso unab

hängig von Universalität und Singularität zu verstehen sei, denn wäre

es an sich universell, so gäbe es kein einzelnes Thier, und wäre es

an sich singulär, so gäbe es nur Eines, und so werde auch im Denken

„Thier" eben nur kurzweg als Tliier gedacht, während dieser Begriff

durch Universalität oder Singularität im Denken neue Zusätze erhalle178),

174) f. 1 2.' r. A: Debet eliam sciri, quod haec quinque aliquando commiscenlur

inter se mullis modis. ßenus enim turn differenlia; ,,ni<prchendens" enim est quasi

genus differentiae hominis , qitae e 4f rationale Aliquando aulem commiscelur

genus cum accidenle, sicul ,,color", qui est genus accidentium hominis. Pcrmixtio

autem generis cum proprietale est, sicut ,,admirans in acht" quod est ut genus

ridentis in aclu Differentia etiam aliquando miscelur cum genere, sicut „sensibile",

quod esl differcntia et genus hominis Proprielas aliquando miscetur

cum genere, ,,gressibile" enim est proprielas communis hominis Aliquando

aulem miscelur cum accidentc communi , .,visibile" etrnim esl proprietas coloroti.

Accidens aulem aliquando miscelur cum genere.

175) Ebend.: Complela est secunda pars libri primi, et ei, qui dedit scire,

sint graliae inßnilae.

176) Ebend.: Usus fuil, ul , cum quinque haec distingucrenlnr, diceretur semndum

hoc, quod uno respectu sunl naluralia et alio respectu logicalia el alio intelleclnalia

, el forlassis etiam diceretur, quod uno respectu stml absque multiplicilale

et alio cum mulliplicitate ;• et fuil usus, ul Iractatus de Ais ponerelur continuus

cum tractalu generis el speciei , quamvis hoc communc sil quinque universalibus.

177) Die in Anm. 23, 24. u. 25. angefiihrlen Stellen aus Albertus Magnus

erhalten biemit hier, insoweit sie neben dem Alfarabi auch den Avicenna betreffen,

von selbst ihre Verwendung.

178) f. 12. r. A: Dicemus ergo imilanles priores, quod unumquodque eorum,

quae ponuntur exempla pro aliquo istortim quinque, esl in se aliquid aliud

Ponamus aulem in hoc exemplum generis diccntes, quod animal est in se quoddam

et idem est, utrum sil sensibilc aut sit inlellcctum in anima, in se autem huius nee

est universale nee esl singularc. Si enim esstt universale ila, quod animalitas ex

hoc, quod est animalitas, esl universales , operieret, nullum animal esse singulüre,

sed omne animal esscl universale; si aulem animal ex hoc, quod est animal, esset

singtilare, impossibile esset, esse plus quam untim singulare, scilicel ipsum singulare.

cui debelur animal ilas , el esset impossibile, aliud signiftcare esst animaj. Animai

348 XVI. Avicenria.

denn lediglich im Denken, nicht aber von Aussen her, werde die Ver

gleichung einer einheitlichen Form mit dem unter sich ähnlichen Vielen

vollzogen1"9). So sei „Tliier" ein intellecluelles Etwas, aber etwas

Anderes wieder sei seine Allgemeinheit, und abermals etwas Anderes

dasjenige, was das allgemeine Thier ist, neinlich die Allgemeinheit sei

der logische Gattungsbegriff, und andrerseits liege die natürliche Gattung

darin, dass „Thier" von Natur aus befähigt ist, dass mit ihm jenes

intellecluelle Etwas nach dem Gesichtspunkte der Allgemeinheit vergli

chen werde 18°), und somit sei bei dem logischen Gattungsbegriffe trotz

seiner inlcllectuollen Quelle das intellectuell Erfasste durchaus nicht

identisch mit dem an ihm logisch Erfasslen, denn das Denken bethälige

erst die Allgemeinheit in der Denkform — „inlelleclus agit universalitatem

in formis" — 181)i ebens° aber unterscheide sich die logische

Gattung von der natürlichen, denn während erslere dem unter sie Fal

lenden ihren Namen und ihre Definition aufpräge, verleihe letztere dem

selben nur die naturgemässe Fähigkeil Inr/u l82), und man könne somit

allerdings „Thierheil" (animalUas) einerseits als Gattungs-Form und

in se esl quoddam intellectum, quod sit animal, et secundum hoc, guod intelligitur

esse animal, non est nisi animal tantum; si autem praeter hoc intelligitur

esse universale aul singulare aut aliquid aliud, iam intelligilur praeter hoc quod

dam , scilicet id, quod esl animal, quod accidit animalilati.

179) f. 12. r. -B: Non fit singvlaris, nisi addiderit inlellectus aliquid, per

quod ßat singularit, Non accidit extrinsecus , ul sil universale ila, ut sit «na

essentia verissime, quae esl animal, cui accidil in universalibus exlrinsecus, ut ipsa

eadem habcat esse in multis, sed in mente accidil huic formae animalilati intellectae,

ul ponatur comparalio ad mulla, et ut ipsius unius formae sil comparatio certa ad

/n a 1 1 a 'quac similanlur in illa.

180) Ebend.: Animal in inlellectu quoddam est, et eius, universalUas sine generalitas

aliud quoddam, el hoc, quod est animal generate, aliud quoddam. Et generalitas

vocalur genus logicum, de qua inlelligitur , quod praedicetur de multis differentibus

specie ad interrogationem factam per quid Nalurale autem genus est

animal, secundum quod est aptum ad hoc, ut ei, quod inlelligitur, de illo ponatur

comparalio generalilatis.

18t) Ebend.: Cum autem generale est in intelleclu, hoc est, quod intelligitur

de genere nalurali, scilicet compositum • generalitas autem inlellecla per se secundum

hoc, quod est per se sola in inlellectu el esl genus inlelleclum, est genus lo

gicum ; hoc n n l r in genus logicum , quamvis non habeat esse nisi in intellectu , non

tarnen oportet, ut id, quod intelligitur ex hoc quod est intellectuale , sit id , quod

intelligitur ex hoc quod esl logicum; et non est idem , cum ostensa sit diversitas

utriusque respectus. Albert. M. De praedicab. H, 3, p. 15. B: lllud A'iicennae dicium,

quod intellectus in formis agil Universalitäten!. Ebend. c. 6, p. '21. B: Adhuc aulem

Averroes el Avicenna dicunl, quod intellectus in formis agit universalilateni (s. Aterr.

De anima I, 8).

Ib2) Ebend.: Item infra genus logicum duo sunl: unum species eins ex hoc

quod est genus , alterum subiecla sua , quibus accidit Ergo ipsum attribuit

unicuique eorum generum delerminalorum , quae sunt sub ipso, diffinilionem luam

et nomen, et' unumquodque eorum dicitur esse genus et diffinilur difßnitione generis.

speciebus vero subieclorum eins non atlribuil diffinitionem suam nee nomen ;

hämmern enim non oportet fieri genus nee nomine nee diffinitione secundum hoc, quod

praedicatur de eo animalitas Et omnino cum dicitur, quod genus naturale dal

ei, quod est sub se , nomen suum et diffinilionem, hoc non esl salis verum , nisi

accidentaliter ; non enim dal ex hoc, quod esl genus naturale, sicut ctiam non dedit

ei hoc, quod est genus logicum, quia non dedit nisi naturam, quae est apta este

genus naturale.

XVI. Avicenna. 349

andrerseits als Denk-Form bezeichnen, aber Gattungsbegriff selbst werde

sie erst durch einen vergleichenden Beisalz, sei es dass derselbe im

Natürlichen oder im Denken liege 183). Indem aber alles Seiende nach

Analogre des Kunstwerkes in eine Beziehung zu dem künstlerischen

Urheber gesetzt werde, habe das Seiende ein Sein vor aller Verviel

fältigung (anle multüudinem) in der Weisheit des Schöpfers, welches

Sein jedoch nicht mehr Gegenstand der Logik (sondern der Metaphysik)

»ei , und zweitens sodann werde das Sein des Seienden innerhalb der

Vielheit der Erscheinung (in mulliplirilale) erfasst, worauf drittens nach

dieser Particularilät (posl muUipiicilalcm) das Sein als ein im Denkacte

festgehaltenes folgt184), und in diesem Sinne müsse man nun nicht

bloss den bisher beispielsweise (Anm. 177) gebrauchten Gattungsbegriff,

sondern sämmlliche fünf Universalien verstehen 185). In dieser üreitheilung

aber, welche als solche auch von dem lateinischen Abendlande

aufgenommen wurde1*10), wirkt das Motiv des Intellectualismus auch

dahin, dass die ontologische Auffassung einer Subordination, in welcher

nach der Tabula logica Individuum und Art und Galtung stehen, in

den Hintergrund tritt, und der Unterschied dieser drei Stufen nicht in

183) f. 12. v. A: Convenienlius autem est, ut animalitas in se aliquando vocelur

formd generalis et aliquando forma intelligibilis ; sed ex hoc, quod est ani

malitas, non est yenus ullo modo nee in intelleclu nee extra inlelleclum, quia non

fit genus nisi cum adiungilur ei aliquis respectus aul in intelleclu aut extra.

184) Ebend. : Sed quia omnium quae sunt comparatio ad deum et ad angelos

est, sicul comparatio arlificialium, quae sunt »pud nos , ad animam arlificem, ideo

id quod est in sapientia crealoris et angelorum el de verilate cognili et comprehcnsi

ex rebus nuturalibus , habet esse anle multitudinem ; quidquid autem inlelligilur de

eis, e$t aliqua intentio, el deinde acquirilur esse eis, quod est in mulliplicilale, et

cum sunt in mulliplicitate, non .sunt unum ullo modo, in sensibilibus enim forinsecus

non est aliquid commune nisi tantum discretio et disposilio; deinde Herum habentur

inlelligentiae apud nos, postquam fucrinl in mulliplicitate. Hoc autem, quod sunt

anle mulliplicilatem , nosler Iraclalus non sufßcit ad hoc, quia ad alium Iractatum

sapientiae perlinet. Metaph. V, l, f. 87. r. B: Animal ergo acceplum cum accidenlibus

suis esl res naturalis , acceplum vero per se est natura , de qua dicitur,

quod esse eius prius est quam esse naturale, sicut Simplex prius esl composito, et

iiof est, cuius esse propiie • dicitur ditiinum esse, quum causa sui esse .... esl dei

intenlio. Ipsum vero esse cum maleria el accidenlibus el ipsum esse hoc Individuum,

quamvis sil divina intenlio, allribuilur tarnen naturae parliculari. Unde sicul animal

in esse habet plures modos, sie etiam in intellectu; in intelleclu etenim est forma

animalis abstrticla .... el dicilur ipsum hoc modo forma inlelligibilis ; in intellectu

autem forma animalis lauter esl, quod in intelleclu convenil ex una et eadem dif/inilione

mullis parlicularibus, quippe una forma apud intellectum erit retala ad mulliludinem

, et secundum hunc respectum est universale (c. 2, f. 87. v. A)

Manifestum esl, quid sil universale in eis, quae sunt, scilicet haec natura, cui accidit

unus de intelleclibufi , quem appellamits universale, qui inlellectus non habet esse

per se sohan in sensibilibus ullo modo.

185) Log. (. 12. v. A: Debes autem scire , quia hoc, quod dicimus de genere,

exemplum esl speeiei el differentiae el propriclatis el accidentis , quod deducet te ad

viam comprehendendi, qualiter haec sunt intellectualia el logica et naluralia, et quod

ex eis est in mulliplicitate et ante multiplicitatem et post multiplicitatem.

186) Albert. M. De praedicab. l, 2, p. 3. B: Horum autem, quae dicta sunt,

ralionem ponil Avicenna dicens , res omnes tripliciter esse accipicndas , scilicet quod

primo accipiantur in essentiae suae principiis , secundo in esse, quod habent in siriyularibus

propriis , lerlio aulem secundum quod acceplae sunt in inlelleclu.

350 XVI. Avicenna.

die objectiven Dinge, sondern in die subjeclive Denkauffassung (respectus)

verlegt wird 1S7); ja Avicenna scheint diesen seinen aristotelischen Stand

punkt, wornadi das Universale in muUis et de multis ist, auch seinen

platonischen Gegnern gegenüber durch specielle Beweise gerechtfertigt

zu haben 188).

Es bietet ein eigentümliches Interesse dar, wenn wir aus dieser

Auffassung der Universalien ersehen, dass die Araber hei ihrer voll

ständigen Kenntniss des Aristoteles auf Erwägungen und Ausdrucks

weisen geriethen, welche sich sehr nahe mit demjenigen berühren,

was das frühere lateinische Mitlelalter auf beschränkterer Grundlage in

einer bunt sich kreuzenden Parleispaltung ausgesprochen hatte ; denn

sowie uns der Ausdruck „quae similanlur" (Anm. 179) au die Indiffe

renz-Lehre (Absclm. XIV, Anm. 132) und das Wort „respeclus" (Anm.

181 u. 187) insbesondere an Adelard von Bath (ebend. Anm. 141)

erinnert, so dürfen wir hei jenem „aptum esse" (Anm. 182) an Abälard

(ebend. Anra. 286) und bei „nalura" (Anm. 184) an Gilberl (ebend.

Anm. 461) vergleichsweise denken. Aber dass die Araber über solchen

verschiedenen Wendungen nicht jene höhere Einheit aus dem Auge ver

loren , welche in dem aristotelischen Intelleciualismus liegt, und dass

sie trotz alledem den platonischen Realismus des Porphyrius hiemil

amalgamirten, d. h. dass sie den Universalien eine metaphysische Exi

stenz im Geiste Gottes (ante rem) und zugleich eine inlellectuelle Existenz

im menschlichen Denken zutlieillen, welch letztere aus der vielheitlicheo

Erscheinung (in re) zum Begriffe (posl rem) sich erhebt, darin liegt

der entscheidende Einlluss der Araber auf die Lateiner des 13. Jalirhunderles.

Denn diese dreifache Betrachtungsweise der Universalien,

187) Log. f. 12. v. B: Ergo Individualität est de dispositionibus , quae accidunt

naluris subieclis generalitati el speciulitali , sicut accidil ei generalilas el specialitas.

Differentia autem, quae est inter hominem, qui eil species, el individuum

hominis , quod est commune non lanlum nomine sed el pracdicalione de multis, haec

est: dicimus enim, quod inlellectus du komme, qui est species, esl, quod sil animal

rationale; quod aulem dicimus de homine individuo , est, quod haec nulura accepla

cum accidenle, quod accidit ei, coniuncla est alicui maleriae designatae Generaütas

ergo et speeialitas el individualilas non sunl subiectorum particularium , quorum

nimm sit sub aller o , sed sunl respectus , qui conlingunt ei.

188) Albert. M. a. a. 0. II, 3, p. 13. B: Hi qui dicunl, in solis nudis purisque

inlelleclibus posila esse (sc. universalia) seplem pro se fortiores inducunl raliones.

Dicunt enim, quod Boelhius et Aristoteles el Avicenna dicunl, quod omne, quod

separalum in natura est, ideo esl, quia unum numero esl; universale autem, quod

est genug et species, non unum numero est, eo quod universale esl unum in multis

el de m a l li s Secundam adducunl ralionem ; dicunl enim, quod omne, quod

separalum a nalura esl separatum Habens esse extra inlelligenliam, hoc aliquid esl.

Et hoc quidem diclum esl Aristolelis et Avicennae el probalur per inductionem

(p. 14. A) Quinlo opponunt dicenles , quae Avicenna dixil et Algazel, quod univer

sale, quod est genus vel species, si extra inlelleclum est, aut coepü esse aul non

coepil esse; si dicatur , quud non coepil esse, sequilur, quod aeternum sit, quod

esse non polest, cum causam habeal inlelligenliae lumen, quod facit el dal omnes

formas; si aulem coepit esse, aul coepil esse a se ipso aul ab alio; non autem

coepil esse a se ipso, quia nihil incipil a se ; si aulem ab alio coepit, per

aclum agentis coepil, nihil autem fit per aclum agenlis nisi parliculare el individuum,

quia omnis aclus circa parlimlaria est.

XVI. Avicenna. 35t

aus welcher erneuerte Streitigkeiten sich erheben, haben die Lateiner

aus keiner anderweitigen Quelle, sondern nur aus arabischer Litterulur

geschöpft, und, um von dem überhaupt bornirlen Albertus Magnus ab

zusehen, auch Thomas von Aquin hat in diesen Fragen keinen einzigen

Gedanken selbststfuulig aus sich erfassl.

lieber die Isagoge aber erstreckt sich der uns überlieferte latei

nische Text der Logik Avicenna's nicht hinaus, und während wir aus

dem Bisherigen wohl entnehmen können, mit welch ängstlicher Ausführ

lichkeit wahrscheinlich sämmlliche im ganzen Gebiete der Logik auf

tauchende Fragen behandeft gewesen seien, sind wir für alles Uebrige

entweder auf gelegentliche Angaben in Avicenna's Metaphysik oder auf

secundäre Berichte angewiesen.

Was hiemit zunächst die Kategorien betrifft, so 'könnte sieh

uns allerdings darüber ein Bedenken erheben, welche Stelle denselben

Avicenna innerhalb der Logik angewiesen habe, da er in Einer Bear

beitung erst gegen den Scbluss des Ganzen die Kategorien mit der

Lehre von der Definition verflicht 189). Doch spricht jenes zweite me

trische Compendium (Au m. 69) für die gewöhnlich übliche Ordnung 19°),

welche Avicenna auch jedenfalls in seiner commentirenden Thäligkeil

eingehallen haben ruuss. Die Begriffe des Synonymen u. dgl. scheint

er ziemlich als Beiwerk der Kategorienlehre betrachtet zu haben, indem

ihm wohl die hauptsächliche Bedeutung der prädicamenlalen Aussage in

einer näheren Beziehung auf den in der Isagoge besprochenen Verwirklichungs-

Process des Galtiingsbegrifl'es liegen mochte191), daher er auch

den Grundsalz, dass das Prädicat des PrSdicates vom Subjecte gelle

(die sog. regula de quocunque, vgl. vor. Abschn. Anm. 32) in umfassen

dem Sinne sowohl für bejahende als auch für verneinende Urtheile ver

standen wissen jvollle19'2). Dass er bezüglich der Kategorie der Sub

stanz die aristotelische Auffassung vertrat, erhellt schon theils aus

Obigem (Anm. 32 f.), wo ihn in dieser Beziehung der Bericht des

Albertus dem Alfarabi gleichstellt, theils besitzen wir hierüber auch

einzelne nähere Notizen. So hal er namentlich den Gallimgsbegriff als

ein potenzielles Sein gefassf, aus welchem der artmachende Unterschied

zur Aclualiläl heraustrete (vgl. Anm. 116 u. 166), bediente sich aber

dabei noch einer feineren Dislinclion, indem er hie'fiir lielier das Wort

„poteslas", als „polenlia", wählen wollte 193). Und indem ihm allerdings

189) Bei Vallier (s. oben Anm. 68.), p. 232 ff.

190) Bei Sehmülders. Datum, p. 30.

191) Albert. M.' De praedicam. l, 3, p. 99. B: Quamvis multivoca sine synunyma

et diversivoca non sunt de Ins, quibus praedicabile urdinalur in linea generit,

tarnen, quia Avicenna et Algazel et Joannes JJumascenus in suis praedicamenlis

ponunl islu, et nos ea hie ponemus.

192) Ebend. l, 6, p. 102. A: Quaecunque de eo , quod praedicatur , dicuntur

reclo ordine et substunliali, omnia etiam dici de subieclo necesse est (p. 102. B)

Et sicut Avicenna et Algazel dicunt, in negalione esl similiter, dummodo negentur ea

de praedicato, quaecunque sunl secundum fortnam speciei aut generis praedicato

opposita.

193) Euend. De praedicab. V, 4, p. 60. B: Et haec esl Avicennae delerminalio,

sicut colligi putest in prima philosophia ipstus, propter quod dicitw ymus potestate

XVI. Avicenna.

die Substanz als das Substrat aller übrigen Bestimmungen galt, welche

in dieser Beziehung dann Accidentien seien194), so konnte er doch

hierüber seinen obigen BegriÜ" des substanliale (Anm. 94 ff.) nicht ver

gessen, sondern er erblickt in dem bleibenden Einheitlichen z. B. der

Qualitäten ein Midieres zwischen Substanz und Nicht-Substanz 195), und

ebenso gründet er auf das Substanliale den Umstand, dass die Substanz

als solche keiner Gradabslufuug fähig ist 196). Ebenso mussle auch bei

Avicenna (vgl. Anm. 34) die aristotelische Auflassung des Enlblösslseins

zu Tage treten, und sowie er die verschiedenen Wortbedeutungen dieses

Begriffes aus Aristoteles (Abschn. IV, Anm. 404) erörtert 197), so suchte

er so sehr als möglich eine Idenlifidrung des Entblösstseins mit dem

artmacbenden Unterschiede zu vermeiden 198). Ganz besonders aber

beschäftigte ihn die durch Andere hervorgerufene Frage, ob die Quan

tität und die Qualität — denn bei den übrigen Kategorien sei diess

selbstverständlich •— zu den Accidentien gerechnet werden können 199),

habere di/ferentias potius, quam potenlia; quia potentia ad esse et non esse indifferens

esl, potestas aulem est polentia stans per actus inchoationem.

194) Ebend. V, 4, p. 58. A: Dicü Avicenna, quod subieclum est ens in se

complelum, quod est occasio alk'ri, h. e. accidenlt cxistenli in eo. Ebenso Anal,

post. I, 4, 11, p. 583. A.

195) Ebend. Top. l, 2, 5, p. 674. B : Cum dicilur „album est coloralum disgregalivum

visus", hoc est quidem subslantiale, non est substantia; dicit enim Avi

cenna, quod subslanlialc mcdium esl inter substantiam el non subslanliam , et neque

esl »ccidens neque subslantia pruprie.

196) Ebend. De praedicam. II, 10, p. 117. B: Subslantia non polest suscipere

magis et minus, quia, sicut probat Avicenna, si magis suseiperet, sequeretur

quod ipsum esse subslantiale plus /ormae subslanliali appropinquarel per ipsius formae

adeplionem; quod falsum esl, cum nihil mcdium habeal,* inter esse enim el

non esse niliil esl medium; et ideo secundum esse subslanliale non potest esse

intensio neque remissio in aliquo.

197) Melaph. VII, l, f. 95. v. A: Oporlet aulem, ul scias, quod privatio dici

lur mullis modis. Dicilur enim privatio id, quod debel esse in aliquo nee est in

eo, non quod non sil illius modi, ul sit in eo , quamvis sil illius nalurae , ut sil

in aliquo. El dicitur privatio id, cuius natura csi esse in genere alicuius rei nee

esl in ipsa re, quia non esl illius modi, ul sil in ea, sive illud sil genus proximum

sive lotiginquum. Kl dicitur privatio id. cuius natura est esse rei non absolute,

sed in sua hora, quae praeteriil, sicut senex edentulus. Prior vero modus nimium

convenil negulioni, alii modi di/ferunt ab ea. Et dicitur privatio amissio per violentiam.

El dicilur privatio id, per quod amisil res inlegritatem suam, monoculus

enim non dicilur caecus nee eliam videns absolute Deinde de privalione pratdicatur

negalio, sed non converlilur; privalio vero non praedicalur de contrario

Privalio enim aliquando est in maleria , aliquanüo esl comes esscnliae. Vgl. Suffic.

l, 2, f. 14. v. B.

198) Albert. M. J)e praedicab. V, 3, p. 56. B: Avicenna ' eliam hanc differentiam,

quam „mortale" diximus , impugnure videlur dicens , quod a privalione non

lanlum secundum nomen, sed eliam sucundum rem numen accipit; privatio autem

non est forma; cum igilur omnis differcnlia a /orma aliqua sumpta sit, videtur mor

tale differenlia non esse. Vgl. Anm. 145.

199) Melaptt. III, l, f. 78. r. A: Vico igilur, quod in principio logicae tarn

cognovisti, quiddilalcm decem praedicamentorum ; el ideo non dubilas, quia id, quod

ex eis esl ad aliquid , in quanlum esl ad aliquid , esl res accidens alicui ; simililer

comparaliones , quae sunt in ubi et quando el in situ el in agere et pati el in ha

bere; sunt enim dispositiones accidenles aliquibus , in quibus sunt, sicut id, quod

est in subiecto. Si quis aulem dixerit, quod agere non est sie, eo quod esse actionis

XVI. Avicenna. 353

und gegen jene pythagoreisch- platonischen Annahmen, wornach die

Quantität entweder als conlinuirliche (in letzter Instanz der Punkt) oder

als discrete (zuletzt die Eins) zu constiluiremlen Wesensheits-Principien

gemacht werden wollten 20°), setzt er in ausführlicher Begründung

auseinander, dass die Quantität Accidens sei, da die Einheit, welche

der Substanz sicher zukomme , von derselben weder als Galtung noch

als Differenz , sondern nur als ein sie Begleitendes ausgesagt werde,

bei Accidentien aber überhaupt nur die Namen-ljleichheit in ihr liege,

und dass sonach jedenfalls die Zahlen als von der Einheit abgeleitete

gleichfalls nur Accidentien seien201), sowie in gleicher Weise die

null esl in agente, sed in palienle, elsi hoc dixeril et concesserimus , Mi tarnen non

nocebit ad lim, quod modo inlendimus, icüicet quod actio habet esse in aliquo sicul

in subieclo , quamt'is non sit in agente. De praedicamentis igitur, de quibus est

quaeslio, an sint accidenlia- an non, duo remanent, scilicel praedicamenlum quanlilalis

et praedicamenlum qualitatis.

200) Ebeud.: Sed de praedicammto quanlitatis multis visum fuil, lineam superßciem

et mensuram corporalem ponere esse in praedicamenlo subslantiae, nee suffecit

eis hoc, sed etiam posuerunt haec esse principia substuntiae. Quibusdam vero ex

eis Visum est, hoc senlire de quantitalibus discrelis , scilicet numeris , et posuerunl

eas principia xubslantiarum Sed ex his , qui lenenl subslantialitatem quanlilatis

, itli qui dicunt, quod continuae quantilales sunl substantiae et principia substanliarum,

tarn dixerunl , quod hae sunt dimensiones conslituentes substantiam corpuream

el posuerunt punctum ex tribus dignius subslanlialilate. Qui vero tencnl

sentenliam de numero, posuerunl hunc- principium subslantiae, ipsum vero posuerunt

composilum ex unitatilius ita, quod, fecerunt unitales principia principiurum ; deinde

dixerunt, quod unitas est nalura non pcndens in sua essentia ex aliqua rerum,

scilicet quia unilas est in omni re, et quod unilas in ipsa re est ipsa quidditas

ipsius rei.

201) Ebend. c. 2, f. 78. r. B: Dicam^ igitur, quod unum dicilur ambigue (die

betreffenden Angaben des Aristoteles über das ev s. Abschn. IV, Anm. 451 ff.)

f. 78. v. B: nimm Herum, quod, postquam unitas dicilur de rebus, quae sunl

multae numero, el dicitur de re una numero, iam autem ostendimus divisiones eius,

quod est unum numero, procedemus nunc ad aliam parlem ; dicam iyilur, quod ea,

quae sunl mulla numero, non dicunlur una alio modo nisi propter contenienliam,

quam habtnt in inlenlione aliqua; convenienlia enim eorum vel est compuralionis tiel

esl praedicati praeter comparationem vel est in subiecto, praedicatum vero vel est

genus vel species vel di/ferenlia vel accidens c. 3, f. 79. r. A: Dico igilur,

quod unilas vel dicilur de accidentibus vel dicitur de substantia; cum autem dicitur

de accidentibus, non esl substanlia , el hoc non esl dubium; cum vero dicitur de

substantiis, non dicilur de eis sicut genus nee sicul di/ferenlia ullo modo ; non enim

recipilur in cerlificatione quidditulis alicuius substantiarum, sed est quoddam comilans

substantiam; ergo dicitur de eis .... sicul accidens. Unde unum est sub

stanlia, unilas vero esl inlenlio, quae esl accidens (f. 79. r. B) Sed unilas

substanlialiter est ipsum esse, quod non dividitur, eo quod illud esse constitttilur

esse non in subiecto St aulem accidentibus fueril unitas, profecto eorum unitas

erit praeler unitatem subslanliae, el illa unilas dicelnr de eis communione nominis.

Igilur contingil eliam, quod ex numeris alii ordinabunlur ex unilate accidentium et

"l i i ordinabunlur ex unüale subslanliarum Manifeslum esl, quod cerlitudo unilalis

esl Menlio accidenlis el esl de universilate eorum, quae comituntur res

(f. 79. v. A) iam enim ostendimus, quod unitas non est inIrans in diffinilione sub

slantiae nee accidentis, sed fortasse esl comilans eam Cum igitur cerlum

fueril, quod non esl sei>arala, cerlißcabilur, quia id. quod praedicalur de intenlione

comitanle communi nomine derivato a nornine simplicis inlenlioms, ipsum- esl inlenlio,

quae est unitalis ; ipsum vero simplex esl accidens. Postquam igitur unitas est acci

dens, tunc numerus , qui accidens esl, necessario provenil ex unilate.

P RAN T L, Gesch. U. 23

354 XVI. Avicenna.

Maassverhältnisse der conlinuirlichen Quantität an den Stoff der Sub

stanzen gebunden seien und nur durch subjective Schätzung, nicht aber

als objeclive Wesen von demselben getrennt werden können 202). Und

wenn hinwiederum bezüglich der Qualitäten von Einigen behauptet wurde,

dass sie selbständige Substanzen seien, welche nicht etwa an den

substantiellen Wesen entstehen und verschwinden, sondern nur mit

ihnen gemischt und wieder von ihnen getrennt werden (wie z. B. Wasser .

verdunste), und dass sie in solcher Weise die conslituirenden Substanzen

der sinnfälligen Dinge seien'203), so weist Avicenna die Unrichtigkeit

dieser Annahme durch ihre eigenen Consequcnzen nach204); und indem

ihm hiedurch feststeht, dass die Qualitäten nur Accidentien sein können,

hehl er noch besonders jene Qualitäten , welche im Gebiete des Quan-

202) Ebcnd. c. 4, f. 79. v. A: Qunnlilales conlinuae sunl mensurae continuonuit

Si'il lianc mensuram tarn mani/eslum est esse in materia, et quod ipta

augmentatur et minuilur substanlia permanente eadem, igilur est accidens sine duliio.

Sed esl de accidentibus , quae pendent ex maleria et ex re, quae est in maleria;

haec i'iiim mcnsura non separater a materia nisi aestimalione , nee separater a

forma, quae esl materiae, eo quod ipsa est mensura rei, quae reeipit dimensiones

huiusmodi.

203) Ebend. c. l, f. 78. r. A: De qualitate aulem quibusdam ex naturalibus

visum esl, quod non subsislunl in aliquo ullo modo, .icd quod color per se est sub

stantia et odor alia substantia, et quod lunc sunl coustiliientia substanlias sensibiles;

et ptures ex his, qui tenenl scnlenliam, de occullo inlendunt hoc. Ebend. c. 7, f.

81. v. A: Loquamur iyilur ntmc de qualilulibus ; sed qualilales sensibiles et corporales

esse, non est dubium fiunc autem non dubilatur de eis nisi an sint accidenles

an non. Quibusdam cnim tit'sum /'ml. quod ipsae sint sulistantiae, quae commiscenlur

corporibus cl diffundunlur per eas; color ilaque per se substantia est et

calor et similiter unumquodque aliorum. Igitur apud cos qualitalcs sunl huius diynilalis

, nee .su/'/icit ?is, quod hae habenl esse, ipsi enim dicunl, quod non annihilantur

islae res , sed paulutim separanlur, sicul aqua, qua kumecletur pannus el

paulo post non invenilur aqua in panno ijisu kubenle esse secundum modum suum,

tarnen ob hoc non fit aqua accidens , quia aqua subslantia esl , quae separalur ab

alia substantia, cui coniuncla fuit Dicunl aulem alii, quod occultantur.

204) Ebend. c. 7, f. 81. v. B: Dico igilur , quod si haec sunl subslantiae,

necessario vel sunt subslanliae , quae sunl corpora, vel sunl subslanliae, quae non

sunt corpora. Si autem sunt substanliae non corporeae , lunc vel sunt huiuimodi,

quod potent ex eis componi corpus , el hoc esl absurdum, quum ex eo, quod non

parlitur in spatia corporca, non polest corpus componi, vel non potesl ex eis corpus

componi, sed earum esse non est nisi propler coniunctionem sui cum corporibus et

propler infusionem sui in illa. l'rimum autem de hoc est, quod hac substanliae ha

bebunt situm, sed omnis substanlia habcns silum divi.iibilis esl. Secundum esl, quod

unaquaeque harum substantiarum necessario ex nalura sua vt'l polcsl separari a cor

pore, in quo est, vel non polest. Si aulem fuerit sie, ul non fossil separari,

nee habel ipsa de subslanlialitute nisi nomen tnntum. Si aulem possunl separari a

suis corporibus, lunc separalio vel lalis crit, quod per eam muvenlur de hoc corpore

üd aliud corpus, et sequelur ex hoc, quod, cum unum corpus calefacil aliud

corpus, Irans feral calorem a se in illud, unde infrigidabitur , quod calefaciebal

aliud; si autem — considcratur passe transferri ad aliud subicctum sie, ul

non exspolielur a.b illo, profeclo haec consideratio non esl nisi post rxistentiam in

subiecto (f. 82. r. A) Si quis autem posuerit, quod albedo esl vere at se

aliquid habens mensuram, tuitc habebit duo esse, scilicet quod est albedo et esse,

quod esl habens mensuram ; si aulem albedo cius fueril alia numero a mensura corporis

, in quo e.it , lunc spalium inlrabit in spalium; sed si ipsa fuerit ipsum

corpus per se, lunc ratio redibit ad id, quod albedo esl corpus el habet albedintm

el ita albedo esl in albo corpore inseparabiliter.

XVI. Avicenna. 355

titativen auftreten können , z. B. Gleichheit oder Ungleichheit u. dgl.,

hervor205). Die Kategorie der Relation, deren verschiedene Arten des

Auftretens er angilil, betrachtet er vorerst bezüglich der Frage, ob sie

innerhalb der beiden Relativa einheitlich sei oder jedes der beiden durch

sie seine eigene Bestimmtheit erhalle, wobei er sich für Letzleres ent

scheidet; sodann aber hebt er insbesondere an der Relation, wie wir

es schon bei Alfarabi sahen (Anm. 35) , die Subjectivität der Denkauf

fassung hervor, da in der Definition des Relativen selbst bereits die

Rücksichtnahme {respeclus) auf ein Anderes enthalten sei , und auch

dann, wenn noch ein anderweitiges wesentliches Sein des Relativen

angenommen werde, jedenfalls es sich doch um das Verständniss jener

Rücksichtnahme handle200); in der concrelen Erscheinung aber musste

er, wie sich von selbst versteht, das Relative als zeillich coexislirend

anerkennen207). Bezüglich der Frage, zu welcher Kategorie die Be-

205) Ebend. c. 9, f. 82. v. A: Remansit unum genus qualitatum, et oportel

stabilirc suum esse et assiynare, quod esl qualitas; et hae sunt qualilales, quae

sunt in quanlitatibus . scilicet quae sunt in numero, ul partlas et imparitas et cetera

huiusmodi; tarn autcm notum esl esse quorundam ex eis, et in arithmelica stabilitum

est esse remanenlium ; sunl enim accidentes ex eo, quod pendent ex numero, et sunt

proprielales eins; .... eorum autem quae accidunt mensuris, esse non est adeo notum;

circulus enim et linea curva et sfihaera et pyramis et colunma lalia sunt, quod nullius

eorum esse manifeslum est. et impossibile est geometrae, proltare esse eorum.

206) Ebend. c. 10', f. 83. r. B: Oportet loqui de ad aliquid et oslendere,

quomodo debeat certificari quiddilas relati el relationis et eorum diffinilio ; sed quod

praemisimus in logica, passet suffcere inlelligenti. Si autem posueris , relationem

esse, profecto erit accidens , et hoc non est dubium, quia est res , quae non inlelligilur

per se, sed intelligitur semper alicuius ad aliud Rcluln-a vero non possunt

comprehendi uno modo; alia enim sunl relativa, quae non eyenl aliquo ex his,

quae soltnl slabilire relationem, sicut dextrum et sinistrum , in dextro enim non est

qualitas nee aliquid aliud certum, per quod jial relalum comparalione , nisi ipsa

dextrarietas ; et alia sunt relaliva, quorum unumquodque opus habet aliquo, pei'

quod referalur ad aliud, sicut amator et amatum Quod aulem remansit de

relalione , hoc est, scilicet ul sciamus , an telatio una numero el subiecto sil inier

duo Habens duos respeclus, sicut quidam et plures ex Itominibus pulaverunl, quod

(zu lesfn auf) in relalione uminuiuodquc relalivorum liabeal proprictatem. Dicum

igilur, quod unumquodque relativorum in sc habet inlenlionem respeclu allerius, quae

non est Ma intenlio, quam habet in se aliud respectu illius ; el hoc est manifestum

in rebus diversis, secundum quod pulet per diversitatem nominum (f. 83. v. A)

Quod autem diliijenter considerandum est, hoc est, scilicel ul cognoscamus, si relatio

in se habet esse in singularibus rel est aliquid, quod non formatur nisi in intellectu.

Ex hominibus aulem quidam fuerunt, qui tenuemnt, quod certiludo relalivorum

non est nisi in anima , cum inlelliguntur res ; et alii dixerunt , non, imo relalio est

quoddam, quod est in singularibus Id autem, per quod solvuntur islae duae

viae , hoc est, ut redeamus ad difßniendum ad aliquid absolute. Dico igilur , quod

ad aliqnid esl, cuius quidditas dicilur respcclu allerius, et quidquid fueril in signatis

hoc modo , ut secundum quiddilatem suarn non dicatur nisi respectu allerius,

illud est ad aliquid. Si autem ad aliquid habuerit aliam quidditalem , luve reslat,

ul determmemus , quod habeat de inlenlione inlellecta respeclu altcriui ; illa enim

inlenlio cerlissime esl de inlenlione intellecla respectu altcrius, alterum enim non

inlel/igilur nisi respeclu allerius causa huius intenlionis.

207) Albert. M. De praedicam. IV, 7, p. 149 A: Simul sunl (sc. relativa) natura

in hoc, quod secundum quod rclala sunt, in esse el non esse sicut in ortu et

occasu , ut dicit Avicenna, simul sunl ita, quod posito uno in esse, secundum quod

relalivum est, et positum est aliud, secundum quod referlur ad illud.

23*

356 XVJ. Avicenna.

wegung gehöre, äussert sich Avjcenna al>weichend von Alfarabi (Anm.

36), indem er den Begrifl' des Ueberganges von Möglichkeit zu Wirk

lichkeil nicht mit jenem der Bewegung verwechselt wissen will und es

sonach verneint, dass die Bewegung in der Kategorie der Suhstaiiz auf

trete, wohingegen er zu den auch schon hei Alfarahi heigezogeueu

Kalegorien der Quantität und der Qualität und des Ortes auch noch die

Kategorie der Lage hinzufügt 20S), unter welch letztere (nicht unier die

des Ortes) er die Bewegung der Himmelskörper subsumirte 209).

In der Lehre vom U r t h eile begegnen wir auch bei Avicenna

den üblichen exegetischen Erörterungen über die Definitionen der vox 21U)

oder des nomen 2 ' l) , wobei bemerkt werden mag, dass er bezüglich

des nomen iii/iitiliiiii, die sog. Infinilalion (d. h. Hinzufügung des nort)

hei den allgemeinsten Worten nicht mehr für zulässig hielt, da ober

halb derselben es keine allgemeineren Begriffe gibt212). Die Inhärenz

des Prädicntes im Suhjecte scheint er wie Alfarabi (Anm. 39) gefassl

208) Sufßc. U, l, f. 23. r. A: Nulla enim caleuoria eil, quae non habeat exitt/

ut de polentia sua ad suum e/fcclum, aut in subslanlia , sicut exilus hominis ad

e/feclum, poslguam fueril in polenlia, aut in quulitute, aut in ad illiquid ,

auf in iilii , sicut elevatio sursum in e/feclu post potenliam , aut in quando , sicut

exilus antiqui ad e/fec.lum de potcntia, aul in situ, simulier in nähere, simililer

in agere et palt. Sed intelleclus, in quo cnnveneruttl antiqui in 10,11, uppellandi motum,

non est Me , in quo eonveniunl omnes isli modi exeundi de polenliu ad effectum,

sed Me , qui est molus exeundi non subito, sed gradatim, et hie non convenit

nisi certis categoriis et nos declarabimus poslea, quae sunt calegoriae, in

quibus possibile est cadcre hunc exitum (c. 2, f. 24. v. B) Jam dissenserunt

in collalione motus ad categorias.; quidam enim dixerunt, quod molus est praedicamenlum

patiendi ; alii vero dixerunt , quod hoc nomen molus cadit super mnneries

(über dieses Wort s. Abschn. XIV, Anm. 87.), quae sunl in illo sola casuali participatione

nominis; quidam elenim dixerunl, quod hoc nomen molus est nomen commune,

sicut verbum esse et accidenlis Maneriae vero, quae continentur sub

nomine molus , sunl . species aul maneriae praedicanientorum , quia de übt .... est

molus in loco , el de quält est motus alleralionis , et de quanlo .... est molus

augmenli et diminulionis ; et forlassc atiquis eorum perdurabil in senlentia sua ila,

ut dical, quod est molus in subslanlia , scilicet yeneratio et corruptio

(f. 25. r. A) l'ossumus autem declarare falsitalem utriusque senlenliae

(c. 3, f. 27. r. A) Jam enim ex praemissis patuil, quod motus non cadil nisi in

quatuor praedicamenlis , quac sunl quantilas et qualitas el übt et situs. Jam aulem

cognovislis collationem molus ad praedicamenla.

209) Levi Gvrson , l'racdicam. !. 30. v. A : II 1.1:1.1 Avicenna , quod motus corporum

coelcxtium est in praedicamento situs.

210) Albert. M. Ptriherm. l, 2, l, p. 242. A: Prupler quod dicit Avicenna,

quod vox lilterala sine placito instiluenlis nilül siijniftcal penilus; quia tarnen allen

non facit sii/num de re nisi sub ilelcrminala fiyura vocis cerlificaliva , ideo oporlel

lalem vocem esse lilteralam, quia nonnisi sub elemenlis lillerarum liabenl figurae

certiludinem, sine quu certituäine non polest esse rei certum signum.

211) Mlirml. 2, 4, p. 247. B: Quod autem dicitur ,,cuius nulla pars esl significaliva

separata", .... huec causa est, ut dicit Avicenna, quia inslilutio esl causa

significationis in nomine, non esl autem inslilulum , ul pars aliquid significet separala,

sed ul tolum significel lolum, et ideo pars nihil significal.

212) Ebeod. 2, 5, p. 251. A: Cum nomen infinitum privet inferiorem formam

ftnitam et relinquat superiorem infinitam, el hoc nomen ,,ens" superius nihil habeat,

proprie infinilari non polest; similiter aulem est de aliis nominibus ,,unum, res,

aliquid", ul dicit Avicenna.

XVI. Avicenna. 357

und ebenso betreffs eines controversen aristotelischen Beispiel-Salzes

sich an denselben (Anm. 40) angeschlossen zu haben. Die sog. logi

sche Qualität der Urlheilu besprach er im Hinblicke auf den faelischen

Bestand des Ausgesagten in einer Viertheilung213), bei der Quantität,

aber kam er zu der gleichen Auffassung, welche wir schon liei Aba'lard

(Abschn. XIV, Anro. 318 u. 327) in allgemeinerer Anwendung trafen;

nemlich Avicenna bezeichnet die Worte „otnntV und „nullus" ent

schieden als hlosse Zeichen (signa) einer Art und Weise des Ausspre

chens, wornach dieselben nur ausdrücken, dass irgend l'articulares

universell verslanden sei214). Von noch grösserer Wichtigkeit für die

Lateiner war es , dass Avicenna hei der Frage über die Einheit des

Urlheiles die Unterscheidung aufstellte, dass sowohl im hypothetischen

als auch im disjuncliven Urtheile ein einheitlicher Gedanken-Nexus be

siehe, hingegen das copiilnlive Urlheil nichl als Eines, sondern als

blosses Aggregat bezeichnet werden dürfe215).

Was den Inhalt der ersten Analytik betrifft, so äussert er sich

einmal gelegentlich darüber, dass im Syllogismus nicht die Prämissen

für den Stoff des Schlusssatzcs oder lelzterer für die Form der ersteren

gehalten werden dürfe, sondern die Prämissen nur der Sloft" des ganzen

einheitlichen Syllogismus seien216). Sodann aher begegnen wir bei

ihm jenen nemlichen exegetischen Controversen, welche wir hei Alfarabi

(Anm. 45 f.) trafen , neinlich sowohl über das Verhällniss der Urtheile

des Slallfmdens y,u den modalen 217) als auch über die Umkehriing der

Möglichkeils- und Nolhwendigkeils-Urlheile 2 18). Bei Erklärung der' be

treuenden aristolelischen Slelle über die hypothetischen Schlüsse gieng

213) Klii'inl. 5, l, p. 26Ü. A: Dicit enim Avicenna, qnod isla qualuor sie diversißcantur

, quia contingil , quod esl, enunttare esse, in affirmaliva cnunlialione ;

et conlingil, quod esl, non esse enunliare , in eiusdem negativa; et contingit enuntiare,

quod non esl, esse, in afßrmatii'a negative npposila ; el conlingit enuntiarc,

quod non est, non esse, in negalione negalioni opposita.

214) Ebcnd. p. 261. A: Hoc enim signum dislribulivum , quod est ,,omnis",

non esl universale proprie loquendo, sed esl signum, per quod slat pro particularibus

universalster universale, cui lale signum esl adiunclum el ideo ,,omnis" el

„nullus" el huiusmodi signa universalia non sunl, sed sunt siynn designanlia, ulrum

universale sil acceptum universalster vel parliculariter secundum sua supposila. El

kaec sunl verba Avicennae.

215) Ebend. 4, 2, p. 258. B: Coniunelione aulem unae sunl (sc. enunliationes),

in quibus consequenlia , quam notal coniunclio, fatit umtalem, el hoc non est nisi

in conditionali el disiuncliva, el secundum Iloclhium el Avicennam el Alyazelem

istae duae solae coniunctiones faciunl unum coniunclione enunlialioncm, el non copulaliva,

quia in eopulalis nulla esl unilas nisi aggregalionis , quae simpliciler ett

pluralitas et non unilas.

216) Melaph. VI, 4, f. 93. v. A: Jam aulem posuerunl iiuidam proposiliones

simulier maleriam condusioni. El esl error; immo proposiliones sunl maleria fiendi

syllogismi , conclusio vero non esl forma proposilionum , sed quoddam, quod comequitur

ex illis, quae proposiliones efficiunl in n in um.

217) Ps.-Axerr. Quaes. in Prior. Rcsol. f. 362. r. A n. 364. r. A.

218) Ebend. f. 363. r. A: Avicenna dubilal contra jihilosoplmm , qnatido dixit,

quod parlicularis afßrmaliva conlingens converlalur conlingens , et quod neccsxaria

particularis afftrmativa convertalur necessaria u. s. f et conlradicil suo sermoni

per materias.

358 XVI. Avicenna.

Avicenna noch viel weiter als Alfarabi (Anna. 48) , mit welchem er in

diesem Punkte auch nicht übereinstimmte; .er warf sich neinlich mit

höchst spitzfindiger Einseitigkeit auf eine Erklärung der Urtheilsform,

wornach er nur das einfache Diclum de omni als kategorisches , hin

gegen die Form „Alles, was B ist, ist A" als ein zusammengesetztes

und hypothetisches Urtheil betrachtete, sowie entsprechend beim Diclum

de null» eine disjunctive Urlheilsform sich einstelle, und indem er auf

solche Weise die kategorischen Urtheile in hypothetischer Form aus

drückte , ordnete er dieselben nach den drei Schlussfiguren , wobei er

auch Mischungen aus kategorischen und hypothetischen Prämissen zuliess,

so dass diese unnatürlichen Schlussweisen, welche er „combinationes"

nannte, sowohl von ihm selbst als auch von Anderen für eine

bedeutsame neue Ergänzung der aristotelischen Syllogislik gehalten

wurden219). Wirklich angewendet finden wir diese Neuerung in dem

einen ausführlicheren Compendiuui Avicenna's 22°), während er in dem

kürzeren nur die bei den Commentatoren (Abschn. XI, Anm. 166) üb

lichen hypothetischen Schlüsse aufzählt221). — In einer völlig verein

zelten Notiz ist uns berichtet, dass Avicenna die logische Bedeutsamkeit

219) Ebend. f. 363. v. B: Dicere enim A de omni B esl praemissa una categorica

, dicere vero ,,omne quod est B, est A" est praemissa condilionalis et

secundum vcritatem composita ex duabus calegoricis El hine erravit Aricenna

el opinalus est, quod inveniantur alii syllogismi praeler syllogismos categoricos et

praeler conditionales et vocavil illos combinaliones el posuil numerum illorum secun

dum numerum calegoricorum aut prope caleyoricos; ille enim consideravil propositiones

categoricas et eas expressit expressione condilionalium et composuit ex illis

oraliones ad composilionem trium figurarum et immiscuil etiam categoricas cum Ais,

scilicet cum conditionalibus el conslituil illud compositione quodam modo, quo opi

nalus est ipse et omnes, qui eum imitali sunl, quod supcraddidcril Aristoteli mullas

species syllogismorum. Hos aulem syllogismos non invenil noviler Avicenna, cum

illi inveniantur apud quosdam Christianos philosop/tos , non apud aliquem peripateticum

(möglicher Weise könnte der unkritische Berichterstatter aus dritter Hand

Einiges über Boi'thius gehört haben und somit fälschlich hier die oben Abschn.

XII, Anm. 155 ff. , angeführten Schlusswcisen meinen). Ebend. f. 369. v. A :

Avicenna vero consenlit huic rei, seil non admillit exposilionem ipsius Abimazar -

(ß) Conslituto aulem hoc de proposilionibus condilionalibus , videlicel quod quaedam

ipsarum sit Simplex el est illa , cuius vis est vis unius propositionis calegoricae, et

quaedam esl composita et est, cuius vis es( vis syllogismi categorici, propinquum est

intelligere, quod id, quod Avicenna putat, quod hie sit lerlia species tyllogismonim

non calegoricorum nee condilionalium, non sil scrmo vcrus (f. 370. r. B)

Jiirum aulem esl de Avicenna, quod ipse posueril arnbas res, scilicet quod ipse conftteatur

, quod omnis proposilio conditionalis possil reddi categorica et simililer omne

quaesitum conditionale jiossil reddi calegoricum, et Herum ponit , quod sint quidam

syllogismi, qui companuntur ex congruenlia syllogismorum, qui sunt ex calegoricis.

Et mora circa hoc est supervacanea, prout fecil Avicenna Devenil in confusionem

circa hoc capitulum, nam induxil in ipsum syllogismos praeter naturam,

h. e. quibus non ulilur humana cogitalio naluraliler et similiter hie vir numeral

inter species condilionalium coniunctarum quasdam proposiliones praeter naturam,

quas vocat althaphkias , i. e. connexas , prout dicilur ,,ditm homo esl, equus est",

et ait, quod hae sint verae conlingentes el sie eliam numeral inter propositiones

contradiclorias lales proposiliones, proul esl oralio dicenlis ,,aut homo esl

aut vacuum".

220) Bei Vatlier p. 129 ff.

221) Bei SchmOlders, Doc. p. 35.

XVI. Avieenna. 359

des bei Aristoteles besprochenen Indiciums (an](iclov, s. Abschn. IV,

Anra. 649) bestritt222).

Für den Umkreis der zweiten Analytik besass er sicher eine

umfassende Vorarbeit in der oben erwähnten Schrift Alfarabi's, scheint

sich jedoch derselben gegenüber auch die Freiheit eigener Ueberzeugung

bewahrt zu haben. Während er sieh betreffs des Zusammenhanges

der zweiten Analytik mit der ersten (s. Ainii. 51), sowie in comuientirenden

Erörterungen über die im Mitlelbegrifl'c liegende Causalität 223)

und über das sog. praediralum primum224) an Alfarabi (Anni. 54 u.

57 f.) anschloss und mit demselben (Anm. 60) auch die Auffassung

oberster Principicn der Demonstration theilte225), stand er in einer

ziemlich principiellen Frage (vgl. Anm. 62) ganz allein, insoferne er die

Gültigkeit der „demonslralio quia" von vornehnrein darum bestritl, weil

in derselben der Mittelbegrill' nur Accidens des Unterbegrifl'es sei, und

hiernach ausschliesslich die „demonslralio propler quid" als alleiniges

demonstratives Verfahren gelten liess 226). In den Erörterungen über

die Definition selbst, welche er in seinen Gompendien an den Schluss

des Ganzen stellte 221), musste er wieder auf seine Auffassung der

Universalien zurückkommen, und dass er das definitorische Wissen in

aristotelischem Sinne verstand, ersehen wir aus seinen hierauf bezüg

lichen Aeussernngen in der Metaphysik, denn er bekämpft dort die

Annahme, dass die Definition das Product einer hlossen Zusammensetzung

aus Gattungsbegriff und artmachendem Unterschiede sei 228), und ebenso

222) Averr. Poster. Resolut, f. 146. r. B: Negavil Aben Sina hanc sjieciem demonslralionum,

h. e. signa.

223) Averr. a. a. 0. f. 131. v. A. Ps.-Averr. Quaes. in Post. Resol. !. 375. v.

A u. f. 380. r. A.

224) Ps.-Averr. a. a. 0. f. 373. r. B.

225) Albert. M. Top. l, l, 2, p. 663. B: Fides enim esl assensus in ipsum

respondentis, propler quod lalia principia prima communes animi concepliones vocanlur,

ul dicil Avicenna, quod slalim assentit eis animus audienlis , propler quod

etiam indemonslrabilia talia dicunlur; haec igitur sunl principia. demonslrationis, ex

quibus demonslrativus fit Syllogismus. Vgl. bei Sc/imöl/lers p. 37. und bei Vallier

f. 198.

226) Averr. Poster. Resolut, f. 158. v. B: Et haec divisio demonslralionum esl

res per se nota ; hanc enim posuerunt omnes homines istius artis praelerquam ipse

Aben Sena, qui mentionem fecit de demonslralione existentiae et cxistimavit, quod

est demonslratio nun vera, et voluit hoc, cum dixit, quod posteriora composita ex

rebus prioribus non constant esse essentialia rebus prioribus, nisi cum consliteril

causa, propter quam constat postertus ex priori. Ps.-Averr. Quaes. in Post. Res. f.

377. v. B: Avicenna non mcminit de demonstralionibus „quia", et haec est, dian

subiectum ipsarum fuerit composilum , non simplex ; nam ijise putavit , quod demonstrationis

,,quia" medii termini sint accidentia minoris exlremi (f. 378. r. A)

Smno aulem Avicennae dicens , quod, cuiuscunque necessitas esl ob aliquum cuusarum,

illa necessilas sit illius , dum noverimus illam causam, esl propositio, quam

nos concedimus Avicenna itaque , ex qw> miplicila esl apud ipsum in demonstratione

,,quia" scientia per causam, pulavil, quod ibi rton occurral ei nomen verae

scientiae. Vgl. bei Vallier p. 228.

227) Bei Vallier (p. 232 IT.) folgt nur noch die Sophistik nach der Lehre von

der Definition, hingegen bei Schmölders (p. 41.) bildet letztere, nach der Sophistik

folgend, den Schluss.

228) Metaph. V, 5, f. 89. r. B: Polest aliquis dicere, quod diffinilio secundum

360 XVI. Avicenna.

wiederholt er die Angaben des Aristoteles (Abschn. IV, Anm. 496 ff.)

in der Frage über Hie Tlieile der begrifflichen Form und die Theile

des Stoffes229).

Was endlich dieTopik und Sophistik betrifft, so ist zu beach

ten , dass Avicenna , obwohl er bezüglich des wechselseitigen Verhält

nisses zwischen der ersten und der zweiten Analytik mit Alfarabi über

einstimmte (Anm. 223), dennoch zwischen beide das ganze Gebiet der

Dialektik darum einschieben wollte, weil auch in der praktischen An

wendung des logischen Denkens das demonstrative Verfahren erst nach

dem Dialektischen den Schlussstein bilde 23°). Auch mag etwa noch

erwähnt werden, dass er unter dem Vorbehalte der traditionellen Ge

sichtspunkte der blossen Wahrscheinlichkeit oder beziehungsweise der

Unsittlichkeit der beiden üisciplinen , nemlieh der Topik und Sophistik,

eine Universalität der Gegenstände, welche in sie beigezogen werden

können, zugesteht 231), sowie dass er ähnlich wie Alfarabi bei einzelnen

hoc, quod consenliunl auctores artis, composita esl ex gcnere el differentia , quorum

unumquodque discretum est ab alio, et iitraeque partes sint diffinitionis , diffinitio

aulem non esl nisi quiddilas difftniti ; ergo intenliones, quae signißcantur per genus

et differenliam, taliter se habent ad naluram speciei, qualiter ipsa ad diffinilionem,

unde cum ila sil, non eril verum, praedicari naturam generis de natura speciei,

quoniam pars eius est. Ad quod dicimus, quia cum nos difftnimus dicentes verbi

gratia ,,komo est animal rationale", non volumus in hoc, quod sit roniunclio ex

animali el rational! , sed volumus in hoc, quod ipse esl animal, quod est rationale;

quasi enim animal in se quoddam esl , cuius esse non esl delerminatum , nisi cum

ipsum animal fuerit rationale.

229) Ebend. c. 7, f. 90. v. B : Dicemus , quod plerumque in difftnitione sunl

partes diffinili ; cum autem dicimus , quod genus el di/ferentia non sunt duae parles

speciei in quiddilale , non esl hoc, quasi dicamus , quod species non habet partes;

species enim partes habet, cum fueril ex aliquo modorum rerum , scilicet vel ex

accidenlibus secundum quanlilales vel ex subslantiis secundum composita. Unde,

secundum quod uide.lur , parles diffinitionis sunl priores difßnilo; conlingit autem

alicubi ficri e contrario; cum enim voluerim difßnire portionem circuli, diffiniemus

eam per circulum , el t.um voluerim difftnire digilum hominis , difßniemus per hominem

Haer, igitur omnia non sunl parles rei secundum quiddilalem eius , sed

secundum materiam el subiectum eius.

230) Aren. Posler. Resolut, f. 127. v. A: Exislimaverunt autem nonhulli, quod

quemadmodum melius esl, ut primo inquiramus de aliquo intelligibili el investigemus

per viam dialectices, poslea sequatur inquisilio demonstrativa, ita melius sit in

doclrina, ut incipiamus a libro dialeclices post partem communem, deinde sequatur

über de demonstralione. Srd quod exislimaverunl, non se habet ita, ut praecedat

cognilio modorum proposilionum probabilium cognitionem modorum proposilionum

verarum, quoniam condilioncs, quibus proposiliones verae ordinanlur, sunt aliae a.

conditionibus, quibus proposiliones probabiles ordinanlur, quoniam ordines probabilium

sunt secundum consueludinem cinlatum et populorum (vgl. Anm. 13.), ordines autem

verarum sunt secundum condilionem unam, ut videliccl sinl cssenliales; el proplerea

consimililer cognitio ordinum propositionum probabilium non esl universalis (s.

Anm. 318.) respectu ordinum proposilionum verarum Et ideo erravil Ali Sena

errore manifesto, quod exislimavil , quod dialectica praecedal artem dcmonstralionis,

eo quod accidit, proposiliones primas intelligibiles esse eliam probabiles. Dass eine

solche Anordnung des Stoffes schon bei den griechischen Commentatoren in Vor

schlag kam, s. Abschn. XI, Anm. 128.; jedoch dürfen wir auch nicht unerwähnt

lassen , dass Avicenna wenigstens in jenen beiden Compendien , welche uns vor

liegen (bei Vatlier und hei Schmölders) sich an die gewöhnliche Reihenfolge hielt.

231) Melaph. I, 2, f. 71. r. A: Haec aulem scientia (d. h. prima philosophia)

XVI. Algazeli. 361

Punkten wegen seiner commentirenden Thätigkeil von Anderen erwälmt

wird 232).

Die Leistungen Alfarabi's und Avicenna's scheint Algazeli (Abu-

Hamed-Mohainmed-llm-Moliiiinmed-el-Gazali, geb. 1058, gest. 1111) le

diglich nur herübergenommen und benutzt zu haben, denn seine Ten

denz lag in einem Skepticismus , welcher als Mittel zum Mysticismus

dienen sollte, und in dinsem Sinne bearbeitete er auch die üblichen

Zweige der theoretischen Philosophie nur als eine Vorstufe seiner „Deslruciio

philosophorum" 233). Somit werden wir in demjenigen , was

von Algazeli dem Mitlelalter bekannt war und auch uns in lateinischer

Ueberselzung vorliegt234), nur eine Wiederholung und Bestätigung der

bisher betrachteten arabischen Auffassungen finden, und selbst da, wo

scheinbar Neues sich zeigt, dürfen wir wohl nur Ergänzungen jener

Berichte erblicken , welche über Alfarabi oder Avicenna uns theilweise

unvollständig zur Hand sind.

So stimmt Algazeli nicht bloss in der Frage über die Eintheilung

der Wissenschaften vollständig mit Avicenna (Anm. 71 ff.) überein235),

sondern folgt auch seinen Vorgängern in der princLpiellen Zweilheilung

der Logik (Anm. 16 u. 77); indem nemlich auch er das unmittelbar

sinnliche Verständniss (imaginalio) auf d;is ein/.elne Wort und ent

sprechend das beifällige Ufberzetigtsein (credulilas) auf die Satz-Ver

bindung bezieht236) und bei beiden die doppelte Möglichkeit berückcommunicat

cum topica et sophislica simul in aliquilus et differt ab eis simul in

aliquibus Communical enim cum eis in hoc, qttod de eo, quod hie inquiritur,

iin/liix actor singularum scientiarum tractat nisi topicus et sophislicus. Differt vero

ab eis. simul in hoc, quod philosophus primus, in quatilum esl philosophus primus,

non loquilur de quaeslionibus singularum scientiarum, isti vero loquunlur. Differt

etiam a topico per se in forliludine vel polenlia co , quod verbis lopici acquirunt

opinionem, non cerlitudinem , sicut nosti ex magislerio logicae, Di/fert eliam a sophistico

in volunlate eo, quod hie quaeril ipsam verilatem, iUe vero quaerit putari

sapiens in diclione vcritatis , quamvis non sil sapiens. S. Anm. 380.

232) Z. B. Averr. Top. f. 298. v. B und fs.-Averr. Epilome f. 357. r. A.

233) S. Munck, Diclimn. H, p. 506 ff., woselbst nicht -bloss schlimme Irrthümcr,

welche Schmölliers (Essai sur l. ecol. phil. p. 220.) begierig, nachge

wiesen werden, sondern auch die Annahme Heinr. Bittcr's, dass Algazeli bei Ab

fassung seiner Logik noch nicht auf seinem späteren ekstatisch-mystischen Stand

punkte gestanden sei, ihre Berichtigung findet; denn Munck thcilt aus dem arabischen

Originale des Makdcid (d. h. der Logik) die Eingangs- und die Schluss-Worte

mit, aus welchen hervorgeht, dass Algazeli auch in der Logik nur Referent sein

wolle, um hernach alle theoretische Philosophie zu bekämpfen; dieselben lauten

nach Munck's Uebersetzung: H m'a donc paru necessaire, avanl d'abordar la rtfutation

des philosophei, de composer un traue' oü j'exposerai Its tendances ge'ne'rales

de leurs sciences , savoir de la Loyique, de la Physique et de la Melaphysique, sans

pourtant distinguer ce qui est vrai de ce qui est faux , car man but esl uniquement

de faire connaitre /es resultats de leurs paroles, und am Schlüsse: Nous commencerons

apres ce.la le livre de la „Destruflion des p/iilosoplies", d fin de montrer clairemenl

tout ce que ces doclrines renferment de faux. Die „Deslruclio philosophorum"

selbst jedoch behandelt keine logischen, sondern nur sechzehn metaphysische

und vier physikalische Fragen.

234) Logica et Philosophie*. Algazelis Arabis. Venet. 1506. 4 (übersetzt von

Liechtenstein).

235) De divisione scientiarum als Cap. 1. der ,,Philosophia".

236) Logica, Cap. 1. (das Buch ist nicht paginirl): Incipit Logica Algazelis

362 XVI. Algazeli.

sichtigt, ilass sie entweder an siel) selbst schon Klarheit und Gewissheit

enthalten oder erst noch einer weiteren Begründung bedürfen 237), so

führt ihn der letztere dieser beiden Fälle auf die Notwendigkeit des

Definirens für das Versländniss und des Argumentteils für das Ueberzeugtsein

238), wornach für diese beiden Functionen eine specielle

Wissenschaft, welche allen übrigen vorausgehe, auf Grundlage der Natur

dfes menschlichen Denkens erforderlich sei 239). Neinlich wenn vom

Bekannten zum Unbekannten fortgeschritten werden solle (vgl. Anm. 15

u. 80), und hiebei jedwedes gesuchte Unbekannte aus dem ihm ver

wandten und eigentümlichen Bekannten zu erörtern sei, so gebe es

für das Zustandekommen des Wissens zwei Wege, deren Einer zur

Definition und Beschreibung und der andere zu Syllogismus, Induction

und Exemplification führe240), und für beide werde in der Logik die

Begelrichtigkeit dargelegt241), so dass, wenn der Zweck aller Wissen

schaft in Vervollkommnung der Seele und biemit in ewiger Glückselig*

keil liege (vgl. Anm. 13), aucli die Logik mittelbar diesem höchsten

Zwecke diene 242).

Indem aber unter jenen beiden Aufgaben der Logik die zweite,

de his , quae debenl praeponi ad intelligentiam logicae et ad oslendendtmi utililales

eius et parles eius. Capitulum primum. Quamvis scientiarum multi sint rami, duae

tarnen sunt proprielutes , imayinalio et credulilas ; imaginalio est apprehensio rerum,

quas significant singulae dicliones ad intelligenditm eas et ad cerlißcandum ;

credulilas vero est sicul quod dicitur ,,mundus cepit" Necesse est aulem, omnem

credulitatem praecedant ad minus duae imaginationes.

237) Ebend.: Quod aulem imaginatur statim sine inquisitione, est sicul ,,ens",

„aliquid", ,,res" et similia; quod vero non imaginatur sine inquisilione, est

imaginatio rerum , qtiarum essenliae sunt occultae. Credulitas vero , quae statim

apprehendit sine inquisitione, est velul scienlia haec, quod duo sunl plus quam

unum, i'l multa alia de sententiis, in quibus retinendis omnes conveniunt sine

praecedenle inquisitione , quae comprehendunlur in tredecim speciebus , de quibus

postea loquemur (Anm. 276 ff.) ; credulilas autem, quae non apprehenditur sine in

quisilione, est velul haec, quod muridus cepit.

238) Ebend. : Quidquid autem non polest imaginari sine inquisitione, non polest

apprehendi sine difftnitione , et quidquid non polest credi sine inquisitione, non po

lest apprehendi sine argumentatione.

239) Ebend.: Manifeslum est igitur ex hoc, quod omnis scienlia non acquiritur

nisi per aliquant scienliam, quae praecedit, et hoc non lendil ad infinilum.

num nccesse est, ul haec perveniant ad prima, quae sunt stabilia in nattira intellectus.

240) C. 2.: Postquam autem manifeslum est, quod ignolum non polest sciri

nisi per nolum , et conslal, quod per unum aliquid nolum non polest sciri quodlibet

ignolum, sed quodlibel ignolum habet aliquid proprium notum sibi conveniens , quod

eil via pcrveniendi ad aliud , .... tunc quod inducit ad cognoscendas scienlias imaginalivas,

vocalur diffinitio et descriplio, quod tero inducit ad scientias credulitatis,

dicitur argumenlatio , argumentalio autem alia est Syllogismus alia inductio alia

exemplum.

241) Ebend. : Scienlia vero logicae dal regulam , qua discernilur , an difßnitio

et Syllogismus sint vitiosa annon ad hoc, ul discernatur scientia tera a non vera.

242) Ebend. : Dicemus, quod omnis ulililas vilis est in comparatione felicilatis

aelernae, quae esl felicilas alterius vitae, haec aulem felicitas pendet ex perfeclione

animae Non est aulem via devcniendi in scienliam nisi per logicam ; ergo

utililas logicae esl appreliensio scientiae, ulililas scientiae est acquisitio felicilalis

aeternae.

XVI. Algazeli. 363

nemlich die Argumentation, die hauptsächlichere sei, alle Beweisführung

aber auf einer Zusammensetzung von Urtheilen beruhe, so ergebe sich

die Gliederung der Logik nach dem Motive des Aufsteigen* vom Ein

fachen zum Zusammengesetzten 243). Somit bezeichnet Algazeli als

maleria prima der Logik die significalio diclionum, welche er

nach fünffacher Einteilung (vgl. Anm. 21) in grosser Ausführlichkeit

erörtert, indem er als ersten Gesichtspunkt das von Avicenna Anm.

105) hierüber Gesagte vorführt244), sodann die Unterscheidung in ein

fache und zusammengesetzte diclio folgen lässt245), hierauf aber als

dritte die Tbeilung in das Universale und das Singuläre anreiht, wobei

er bezüglich der Definition des ersteren sich wörtlich an Avicenna anschliesst

24ti); der vierte Gesichtspunkt beruht auf der grammatischen

Einlbeilung der Worte 24'), der fünfte aber belrill't die Begrill'e des

Synonymen u. dgl. 248), auf welche er für die Kategorienlehre wohl

ebenso wenig Gewicht legte wie Avicenna (s. Anm. 191); hingegen

mochte er durch dieselben den Uebergang zur Isagoge angebahnt linden,

insoferne er in gleicher Weise wie Avicenna daran festhielt, dass die

fünf Universalien nur nach innerer Wesensbestimmlheil, d. h. univoce,

ausgesagt werden 249).

Jedenfalls liess er als maleria secunda hierauf den Inhalt der

Isagoge folgen, wobei er wieder an Avicenna nicht bloss in der ver

gleichenden Bezugsclzung der Universalien auf das Particuläre (vgl. Anm.

107), sondern auch in der principiellen Unterscheidung zwischen essentiale

und accidenlale (Anm. 92 ff.) sich ansohloss, jedoch in letzterer

Beziehung einige Momente hervorhob, deren Erörterung bei seinen Vor

gängern sicher gleichfalls sich gefunden haben rauss, wenn auch unsere

243) C 3. : Partes logicae et ordo eitrum cognoscuntur ex ostensione suae intentionis;

intenlio vero est diffinire et probare et discernere vitiosa a non viliosis

sive vera a falsis. Ex his autem quod est magis necessarium, probatio est, quae

quidem composita est Inquisitor scienliae compositi dicitur primum apprehendere

scientiam partium. Unde sequitur, ut primum luquitlur de dictiunibus et quomodo

significant inlellectus, deinde de inlellectibus el eorum divisionibus , deinde de enunliatione

eomposila, scilicel de praedicalo et stibieclo el de eins speciebus, ud ullimum

de probatione , quae fit ex dualius enunlialionibus.

244) Ebend. : Maleria prima est de siiinißcatione diclionum , quae cerlificalur

quinqtif divisionibus. Divisio prima est, quod dicliunes sirjnißcanl intelleclum Iribus

modis. Uno secundum parilitatem .... alio sccundum consequentiam terlio secundum

concomilanUam.

245) Ebend.: Divisio secunda est, quod dictio dividitur in complexum et incomplexum.

246) Ebend.: Divisio tertia: dictio dividilur in sinyulare el universale; singulare

est, cuius signißcalio prohibet illud a multis participari ; universale est,

cuius significalio non prohibel illud a multis participari (auch die Soane wird wie

bei Avicenna, Anm. 89., als Beispiel eines möglichen Universale angeführt).

247) Ebend.: Divisio quarla est: dictio dividilur in actionem, nomen et coniunctionem

, logici autem actionem verbum vocanl ; unumquodque aulem nomen et

verbum di/ferunl a coniunctione , eo quod signißcalio cuiusqui: eorum plana esl per

se, quod non habet per se coniunctio.

248) Ebend. : Divisio quinta esl , quod dicliones in esse rationum sunt quinque

modis, sunl enim univoca, mu/tii'oca, diversivoca, aequivoca, convenientia .

249) S. die in Anm. 91. angeführte Stelle.

364 XVI. Algazeli.

lückenhaften Quellen hierüber schweigen; nemlich das essentiale sei

dasjenige, was nolhwemlig gedacht werden müsse, während die Existenz

das gleichgültige Zufällige sei, und ferner nehme das Universale eine

Priorität des Gedachtwerdens für si<;h in Anspruch, sowie auch andrer

seits das Essentielle einen Gegensatz gegen die concrete Position des

Daseins in sich schliesse 25°). Indem sodann die nähere Eintheilung

des essentiale und des accidenlale folgt, lässt sich hinwiederum Algazeli

bezüglich des Letzteren durch die wolilbegründeten Bedenken Avicenna's

i Aiini. 156 ff.) nicht beirren, sondern hält sich an die Angaben des

Porphyrius 2äl), hingegen was das essenliale betrifft, stellt er das bei

Avicenna Entwickelle als zwei Einthcilungs-Gesichlspunkte nebeneinander,

indem er zuerst die relative Abstufung der Gemeinsamkeit, welche in

der Tabula logica liegt (Anm. 132), hervorhebt282), und sodann den

Unterschied der Fragen quid und quäle (Anm. 101 ff.) zum Eintheilungsgrunde

macht253), woran sich ihm ebenso wie bei Avicenna (Anm.

110) die Besprechung der Definition anreiht, bezüglich deren er sogar

250) Ebend. : Materia secunda esl de inlentione univcrsalium et de diversitatf

suarum composilionum vel comparalionum inter se et divisionum suarum Dicimus

ergo , quod omnis inlentio universales , mm comparalur ad partifulare contentum

sub eo, fei est essentialis vel accidentalis. Intenlio vero non esl essentialis

nisi ul conveniant sibi tria. Primum esl (folgen völlig unverständliche Worte)

, mm enim intelligis, quid est homo et quid est animal , non potes intelligere

hominem sine inlelleclu animaüs ; cum intellexeris , quid est homo, non est

necesse te intelligere, eum esse — et manifestaliitur libi, quia esse accidentale est

Omnibus Secundum est, ut possit intelligi, universale necessario esse prius,

posterius vero particulare contentum . sub eo vel in esse vel in intellectu; non

polest autein dici, quod ner.rsse est, prius esse risibile, deinde homo; ex hat

autem priorilate non intelligilur ordo tempnralis , sed ordo intellectualis , quamvis

sint paria in tempore. Tertium esl, quia possibile non esl, essentiale esse positi

vem; homo enim essenlialiler esl animal non propler positionern alicuius; si

enim propler posilionem alicuius homo esset animal, tunc possibile esset, iniaginari

nos passe, ponere illum hominem et non animal; clenim (der Text gibt et non)

risibile accidentale posilivum est, nam polest dici ,,quae res posuit hominem habere

esse risibile?", et haec interrogalio vero esl, sed non esl vera inlerrogatio , qua

quaerilur ,,quae res posuit hominem esse animal?" dicemus ergo, quod homo

est homo essenlialiler et homo esl animal essentialiter.

251) Ebend.: Alia divisio solius accidentalis ; accidenlale enim dividitur in

communicans separabile et in communicans omnino inseparabile Separabile vero

dividitur in larde separabile, ut pueritia ...., et in cito separabile, ut rubor

Inseparabile vero dividitur in inseparabile in aeslimatione non in esse, ut nigredo

aethiopi, et inseparabile in esse, ut parilas quaternario et indivisibililas puncto

Item accidenlale dividilur in id , quod est proprium subieclo, ....et in id, quod est

commune multis.

252) Ebend.: Ilem essentiale secundum consideralionem magis universalis et

minus universalis dividilur in illud , quod .... dicitur genus, et in id-, quod ....

dicitur species , et in id, quod esl medium ,....; id autem , sub quo non est minus

commune, dicilur species specialissima. et id, super quod non csl communitis, dicitur

ffenus generalissimum Substantia ergo genus esl generalissimum (folgt die arbor

Porphyriana).

253) Ebend.: Item essenliale secundum aliam consideralionem dividitur in id,

quod respondelur ad „quid est?", cum interrogans inlendit certi/icari de cssentia

rei, et in id, quod respondelur ad ,, quäle quid esl?"; primum autem tlur genus

vel species , secundum differentia.

XVI. Algaaeli. 365

gleich hier die üblichen praktischen Regeln zur Vermeidung von Feh

lern einfügt254). Sodann schliesst ef mit kurzer Nennung der fünf

Universalien diesen Stoff ab255); dass er aher dennoch anderweitig

auch die controversen Erörterungen üher die einzelnen Universalien

berücksichtigt haben imiss, ersehen wir aus obigen Quellenslell^n, wo

er sowohl bezüglich des Gallungsbegrifl'es neben Avicenna (Anm. 116)

als auch in den Fragen üher das Accidens neben seinen beiden Vor

gängern (Anm. 30 u. 160) angeführt wird. Was aber die Kernfrage

über die Universalien betrifft, so sind wir, wenn auch das uns erhaltene

logische Compendium Algazeli's hierüber schweigt, dennoch darüber

unierrichtet, dass derselbe trotz und neben aller mystischen Tendenz

die Universalien auf Grundlage eines Intelleclualismus auffassle; denn

es ist uns diess nicht bloss durch obige anderweitige Anführungen

(Anm. 22 u. 188), sondern auch durch eine Stelle seiner Metaphysik

bezeugt, in welcher er ähnlich wie Avicenna die Annahme bekämpft,

dass das Universale als Eines im Singulären exislire, denn als Univer

sale habe dasselbe nur im Denken seine Existenz 256).

Wenn uns ater bezüglich der Kategorien schon bei Avicenna

(Anui. 189) sich ein leises Bedenken aufdrang, wo dieselben in der

Logik einzureihen seien, so finden wir nun bei Algazeli die beachtens

werte Erscheinung, dass in dem ganzen Compendium seiner Logik die

Kategorien nicht mit Einem Worte erwähnt sind, wohl aber ihre Be

sprechung in der Ontologie, d. h. in der Metaphysik finden. Und so

dürfen auch wir uns auf die Miltheilung beschränken, dass Algazeli

sowohl mit seinen Vorgängern die Auffassung des ens Iheille (Anm. 32)

254) Ebend. : Diffinitio est id, quod facit imaginari quidditatem rei in anima

interrogantis ; diffinüione vero acquiritur verilas essentiae rei , unde nee polest

ßeri difftnilio nisi ex diffcrenliis substantialibus lantum. Descriptio vero sequilur,'

poslquam aliquando sil upposita una differentia; sed ueritas rei certissime non cognoscilur

nisi mullis differenliis Poslquam autem facta est cognilio diffmilionis,

faciam te cognoscere, quot inodis sil error in illa Haec sunt, quae in difßnilionibus

caveri debenl.

255) Ehend.: Palet aulem ex praedictis, quod essenliale dividilur in tria, quae

sunt genas, species et differenlio ; accidens vero dividilur in duo, proprium accidens

et commune accidens. Manifeslum est igüur , quod universale dioidilur in quinque,

quae dicuntur incomplexa quinque.

256) De divis. entis , c. 7. : Ens dividilur in universale el parliculare

Primum est quidem intenlio, quae dicilur universales. Suum esse est in inlelligibilibus,

non in singularibus. Quidam vero audientes hoc, quod dicimus , quod omnes

homines unus sunt in Immimilate, putaverunt, quod Itomo universalis sil

aliquid ens,unum numero existens in singularibus Hie autem primus error esl ;

• intellectus enim recipil formum hominis-, singuli enim homines non differunl

in humanitate ullo modo Id vero, quod concipitur de indinduo Petra, est

forma singularis in intellectu; secundum quod ipsa inlelligitur , universalis est ex

hoc , scilicel quod eius comparalio ad omne individuum , quod est et fuit et erit,

vinnii est Universale igitur, secundum hoc quod est universale, existit in inlellectibus

, non in singularibus ; . ... verilas enim humanitalis est in singularibus et

est in inlelligibilibus utrisque Universale non> polest habere plura singularia,

nisi unumquodque eorum discernatur ab alio differenlia vel accidente; si enim accipiatur

universalitas per se nuda sine aliquo superaddilo, quod adiungatur ei, non

polest imaginari in ea numeralio et singularitas.

366 XVI. Algazeli.

als auch an Avicenna (Anm. 199 ff.) in der Erörterung der Accidentalilät

der übrigen neun Kategorien sich anschloss 257).

Somit reiht er an die Isagoge unmittelbar als maferia lerlia der

Logik die Lehre vom Urtheile an, wobei er zunächst in der üblichen

Weise von den übrigen Satzarten das indicalive , d. h. logische, Urtheil

heraushebt268), in welchem er ebenso wie Alfarabi (Anm. 39) das

Verhällniss der Inhärenz des Priidicates besonders beachtet zu haben

scheint. Sodann aber wirft er sicfi für die nähere Darlegung sogleich

wieder auf das Motiv des Einlheilens, welches überhaupt bei ihm das

überwiegende ist. Zunächst theilt er die Urtheile in kategorische und

hypothetische, welch letztere in das verbundene (d. h. conditionale) und

in das getrennte (d. h. disjunclive) zerfallen sollen, und zwar bestehe

zwischen sämmtlichen drei Formen eine Analogie (vgl. Anm. 219), in

dem das Verhältniss zwischen Subject und Prädicat demjenigen zwischen

den zwei Gliedern des conditionalen und tlisjunctiven Urlheiles ent

spreche 259). Dass auch Algazeli wie Avicenna das copulalive Urtheil

ausschied, s. oben Anm. 215. Eine zweite Einteilung beruhe auf dem

inneren Gehalte des Prädicates, nemlich jene in bejahende und ver

neinende Urtheile, wobei jedoch nicht bloss bezüglich des kategorischen

das scheinbar negative Urtheil (privaliva) positiven Gehaltes zu beachten

sei, welches durch privative Sylben ausgedrückt werde, sondern auch

daran festgehalten werden müsse, dass bei dem conditionalen und disjunctiven

Urtheile die Negation zur Aufhebung der Verknüpfung diene260).

257) Ebend. c. 5.: Necessarium dividere accidcnlia Primum aulem dividitur

in duo, quoniam quaedam corum sunl, quorum essentia nullo modo per se polest

intelligi, nisi aliquid aliud exlrinsecus inlelligatur, et quaedam eomm sunl, quae

per se intelligi possunt; et haec dividunlur in duas species, qttanlilalem sdlicel el

qualitatem Ea vero, quae non possunl inlelliyi nisi respeclu aliorum, septem

sunl, scüicet relatio , ubi, quando, siltts, haberc , agere el pati. Hierauf folgt c. 6.

der Nachweis, dass sämmtliche neun Kategorien, namentlich Quantität und Qualität,

wirklich Accidentien seien.

258) Log. c. 3.: Malcria lerlia esl de coniunctione incomplexorum el de parttbus

enunlialionis . Intentiones incomplexac cum componunlur , proveniunl ex lis

multae species, de quibus omnibus non inlcndimus nisi de ea solo, quae esl enuntiatio,

quae vocatur indicativa vfl dir/ in difßnitira, et haec est, in qua contmgil

veritas vel crcdulilas vel contradictio vel falsilas.

259) Ebend.: Divisio prima est, quod enunlialiva alia esl categorica ,

alia hypothetica, hypothelica alia coniuncta, ul haec „cum sol esl super terram,

dies est", alia hypothetica disiuncla, ut haec ,,aut mundus coepit aul esl aeternus" ;

. rategorica constal ex duabus parlibu/, , quarum una dicilur subiectum,

secnnda dicilur praedicalum ; simililer liypothelica coniuncta constal ex duabvi

parlibus , quarum tmaquaeque esl cnuntiatitia ; prima aulem pars .... dicilur antecedens

, pars secunda dicitur consequens ; disiuncla ctiam constal ex

duabus parlibus , quarum, una quaeque est enunliativa, cum ablata ftierit cont'unclto

disiuneliva, quae esl ,,aut", partes aulem eins non habenl ordinem nisi so/o probalione.

260) Ebend.: Secunda divisio esl, quod enunlialiva dh'idüur secundum tnlffllionem

praedicati in afßrmativam — et in ncgalivam Negalio vero hypolheliea

coniuncta fit, ul negalio apponalur coniunctioni sie „non, cum sol est super terraa,

slellae occullantur" • negatio vero disiuneliva ß, ul negetur coniunctio disiunclin

sie ,,non est asinus nel masculus vel niger" Errant in calegorica et putanl.

quod haec ,, Petrus est insipiens" sit negaliva ; est autem afßrmativa, eius tnim

XVI. Algazeli. 367

Entsprechend beruhe die Einteilung nach der Quantität auf dem' inneren

Gehalte des Subjecles; indem aber das singuläre Urllieit keine Anwen

dung finde und von dem unbestimmten entweder das Gleiche gelte

oder dasselbe als ^tarticulares genommen werde, bleiben durch Comliinalion

mit der Qualität nur die vier allbekannten Urlheilslbrmen übrig;

hingegen seien auch die conditionalen und disjuncliven Urlheile je nach

Kraft und Umfang ihrer Geltung in allgemeine und parliculare zu unter

scheiden 2GI). Sodann führe noch das zwischen Subject und Prädicat

bestehende Vcrliältniss zu einer vierten Einlheilung, nemlich zu jener

in Möglichkeils- und Unmöglichkeits-IJrlheile, wozu bei engerer Begränzung

des Begriffes des Möglichen noch als drittes das Nothwendigkeits-

Urtheil hinzukomme 2ß2). llierauf folgt noch die Erörterung des contradictorischen

Gegensatzes zweier Urlheile mit Angabe der Bedingungen,

unter welchen ein solcher stalliinden kann 26S), und die Aufzählung

der gewöhnlichen Regeln der Umkelnung 2ti4); jedoch bei letzleren

beiden ist inconsequenler Weise nur mehr von dem kategorischen Ur-

Iheile die Rede.

/ n 1 1' a t in est , significare , eum esse stultum ; .. .. et haec propositio privaliva dicitur,

mm re vera sil affirmaliva.

261) Ebend.: Item alia proposilionis divisio, quod secundum intenlionem subiecli

dividitur in singularem .... el in non singularem; non singularis autem diviililur

in nitlfjniiiiuii et definitam; definita est, quae determinalur aliquo signo

universalilulis vel particularilatis; quae esl quadruplex, scilicel affirmativa universalis

el a/ßrmalira parlicularis, .... negaliva universalis .... et negatita parlicularis

.... Secundum hoc igitur fiunl proposiliones octo cum his quatuor, quae

sequuntur: singularis affirmativa et singularis negaliva, inücfinila affirmaliva el inde/

inilu negaliva; his aulem qualuor non mulium utinmr in scientiis; inde/inilae

vtro accipiuntur in sensu particularium , quoniam sine dubio de parte significant.

Hypothelica vero coniuncta dividitur in universalem, ut ,,si semper sol esl

super lerram, semper est dies", et particularem , ut ,,si aliquando sol es» super,

lerram, erit dies". Disiuncta vero fit universalis, cum dicitur ,,omne corpus aut

movetur aut quiescil", parlicularis etiam, cum dicitur ,,quidam homo aul est in

navi' aul est mersus."

262) Ebeod. : Item propositio secundum intentionem compositionis sive habiludinis

praedicati ad subieclum dividitur in possiliile . . . . el in impossibile Possibile

n n/' in il iinln:. modis intelligitur ; inlelligilm enim possibile, quod non est im

possibile, sub quo compreliendilur eliam necessarium, el secundum hoc res dividilur

in duo, in possibile scilicel el in impossibile; intelligitur eliam possibile id, quod

polest esse et non esse, et hie est eins usus proprius; secundum lianc igitur consideraliunem

erunt tria gencra rerum, scilicet necessarium, possibile et impossibile.

263) Ebend.: Item omnis proposilio videtur haben conlradicluriam diversam a

se in afßrmalione el negatione; sed si diversa est ab ea veritale vel fahilale, revera

dicilur conlradicloria Vera autem contradiclio esse non polest nisi adsint isla

sex: quorum primum esl, ut subieclum ulriusqne sit unum sicut voce sie el signiftcalione

; secundum est, ut praedicalum ulriusque sil unum et idem ;

lertium est vero, ubi non diffcnml in parle el lolo, sicut cum dicis ,,oeulus Petri

est niger", intelliyes de pupilla ; quartum est, ubi non differanl polenlia et

effectu ; quinlum esl, ubi non sinl diversae relaliones ; sexta condilio,

ut non disccrnantur quantilale.

264) Ebend.: Omnis propositio esl convcrtibilis secundum quod videtur, sed

conversio dividitur in comitanlem suae veritalis et in non cnnutantem Nega

liva universalis converlitur in neyaliram universalem; negaliva aulcm parlicularis

non converlilur ; affirmaliva universalis converlilur in alteram particularem

; affinhativa aulem particularis converlitur in similem sibi.

368 XVI. Algazeli.

Nun kann sich als materia quarla die Lehre von der Argumen

tation anreihen, bezüglich deren Algazeli noch einmal an seine principielle

Einllieilung der Logik erinnert, zugleich aher eine Unterscheidung

zwischen Form und Stoff der Argumentation an <li? Spitze stellt265).

Der Form nach ist die erste Species der eigentliche Syllogismus , wel

cher sofort in den kategorischen und den hypothetischen Schluss geilicilt

wird, woran sich unter Angahe der ühlichen Terminologie und

der Dreizahl der Schlussfiguren abermals (vgl. Anm. 259) eine Parallelisirung

der kategorischen und hypothetischen Urlheilsform anknüpft266).

Sodann werden die gewöhnlichen Regeln üher die für alle kategorischen

Syllogismen gültigen Bedingungen sowie über die Tragweile der drei Fi

guren vorausgesckickt 267), um sodann die Entwicklung der sämmllichen

Modi der lelzleren folgen /u lassen, wobei wir nur zu bemerken haben,

dass Algazeli in der ersten Figur die fünf theophrastischen Schluss

weisen nicht erwähnt, sowie dass er überhaupt von den mathematisch

möglichen sechzehn Conibinationen der vier kategorischen Urlheilsformen

ausgeht, und hiernach im Hinblicke auf die für die Schlussfigur geltende

Regel die unzulässigen Conibinationen ausscheidet 26s). Während er aber

hierauf die aristotelische Entwicklung jener Modi, welche auf Verbin

dungen der Urtheile des Staltfindens und der Möglichkeil und der Not

wendigkeit beruhen, gänzlich ignorirt, bildet ihm einen wichtigen Gegen-

265) C. 4.: Materia quarta est de coniunclione propositionum ad faciendam

argumenlalionem, et haec est nostra intenlio Consideralio vero haec est circa

duo, quorum unum esl forma et allerum est materia. Primvm quidem est forma

argumentalionis. Supra diximus autem (s. Anm. 235 ff.) , quod scienlia aut est

imaginationis aut credulitatis, et quod imaginalionc non comprehendttur nisi in difßnitione,

credulilas vero nonnisi argumenlatione. Argumentalio esl vel Syllogismus

vel exemplum vel inductio.

206) Ebend.: Syllogismus dividitur in categoricum et hypolheticum Ex

coniunctione partium ulriusque proposilionis proveniunl Ires partes, quae vocanlur

termini Eiiuntialio aulem, cum fuerit pars syllogismi, vocalur propositio

Disposilio vero duarum propositionum vocalur complexio; qualilas duarum proposi

tionum ad mcdium vocalur fujura. Ex hac ergo proposilionum dispositione ftunl Ires

figurae Judicium aulem anlecedentis et conseqwnlis in hypothelicis coniunclis

simile est iudicio subiecti et praedicati sfcundum ordinalionem eorum in his tribus

figuris. Vgl. Abschn. V, Anm. 56 ff.

267) Ebend.: Conveniunl etiam in hoc tres figurae, quod in nulla earum co*-

cluditur aliquid ex duabus negativis nee ex duabus particularibus nee ex muune

negaliva el niaiure particuluri Figura aulem prima .... concludil qualuor finitas

ßgura vero secunda nullo modo concludil affirmalivum ; tertia figura nullo modo

concludil universalem.

268) Ebend.: Posl lios qualuor (sc. modos primae ftgurae) sequunlur duodecim

commixliones, quae non concludunt. Eo quod in unaquaque figura possunt- fieri sexdecim

connexiones; minor enim polest esse affirmativa universalis vel parlicularis oel

negativa univei'salis vel parlicularis, et sie fiunt qualuor, quarum unieuique etiam

possunl adiungi qualuor maiores Cum autem posuerimui, ut minor sit negaliva

unhiersalis vel parlicularis non concluditur aliquid, et per hoc excluduntur

octo connexiones Et remanebunt duae affirmativae; affrmalivae vero unitersttU

minori possunt adiungi qualuur maiores ; duae. illarum non concludunt eo quod

in hac ßgura posuimus, ut maior sit unieersalis. Remanent ergo in hac figura sex.

A/firmativae vero particulari minori nunquam adiungilur parlicularis maior nee affirmaliva

nee negaliva Excluduntur ergo de scx remanentibus aliae duae. Et sie

remanent qualuor tanlum. '

XVI. Algazeli.

stand die Lehre vom hypothetischen Syllogismus, welcher nach Obigem

(Anin. 259) in einen conditionalen und einen disjuncliven zerrallen muss.

Bezüglich des ersleren giht «r allerdings die gewöhnliche Regel, dass

durch Annahme des Vordersatzes der Nachsalz angenommen und durch

Aufhebung des Nachsalzes der Vordersatz aufgehoben sei, aber er fügt

noch den höchst läppischen Einfalt hinzu, dass, wenn der Umfang des

Vordersatzes und jener des Nachsatzes einander völlig gleich seien, auch

umgekehrt geschlossen werden könne und es dann hiemit vier eoridilionale

Schlussweisen gebe269); in ähnlicher Weise denkt er auch bei

dem disjunctiven Schlüsse, welcher in der Regel in vier Weisen sich

gestaltet, an die Möglichkeit, dass nicht eine dichotomische Alternative,

sondern eine Mehrgliederung von Fällen im Obersatze vorliege270). In

dem er aber hierauf die Entwicklung der Formen der Argumentation

noch vervollständigen will271), bespricht er zunächst noch den indireclen

Beweis 272), sodann die Induclioti unter dem üblichen Vorbehalte be

treffs ihrer Tragweite273), und zuletzt die Exemplification, bei welcher

er völlig in das Gebiet der Rhetorik hinüherstreift, während er Momente,

welche eben dort ihre geeignete Stelle haben, als logische Stützen der

Exemplification betrachtet274). In solcher Weise ist bei Algazeli an

269) Ebend. : AI modo de syllogismis liypolheticis , quorum duae sunt species:

hypotheticus coniunctus el ttisiunctus Hypothelici vero coniuncli hoc est exemplum

,,si mundus est factus , faclorem habet"; haec est propositio, cuius si posueris

antecedens, sequitur consequens; si vero posueris negalivam consequenlis, sequilur

negatoria antecedenlis Ad positionem vero consequentis vel ad destruclionem

anlecedenlis non fit conclusio nisi in paribus lantum, in quibus consequens non est

communius antecedente , et lunc possunt concludi quatuur hypolheticae , ut ,,si hoc

est corpus, hoc est composititm, sed esl corpus, ergo est compositum", vel ,,est

compositum, ergo est corpus", vel „non esl corpus, ergo non est compositum", vel

,,non est compositum, ergo non est corpus". Si vero consequens fuerit communius

anlecedenle, tunc nd remolionem communioris removetur minus commune ,

sed ad remotionem minus communis non removetur magis commune ; sed ad

positionem minus communis ponilur magis commune et non e contrario.

270) Ebend.: Species secunda est de hypothetica disiuncla, ul hie „auf mundus

coepit auf mundus esl aeternus", hie concludunlur quatuor hypotheticae hoc modo:

,,sed mundus coepit, ergo non est aeternus", vel ,,non coepil, ergo esl aelcrnus",

vel ,,est aeternus, ergo non coepil", vel ,,non est aeternus, ergo coepil" Hoc

aulem non fit nisi in contrariis immedialis; sed in medialis , si fuerinl tria, ad

poiitionem unius eorum removenlur reliqua duo ; si vero enuntialio fuerit plurium

partium, ad posilionem unius eorum removenlur ceteri.

271) Ebend.: Haec sunt principia syllogismorum. Sed ad complendum hunc

Iractatum adiicimus eliam qualuor (zu lesen tria), quae sunl ratiocinatio indirecta

el induclio el exemplum.

272) Ebend.: Ratiocinatio composila ratiocinalionis indirectae forma est, probare

propositionem deslruendo conlrarium, dicendo illud ad inconveniens , scilicet adiungere

illi aliam propositionem manifeste veram el concludere ex eis manifeste falsum.

273) Ebend. : Induclio est oralio , in qua ex mullis parlimlaribus infert uni

versale iüorum Inductio aulem non valel nisi in auclorilalibus logicis non

necessarii.i, in quibus, quo magis fueril inductio diligentius composita el plenior,

faciet maiorem ftdem.

274) Ebend.: Exemplum esl illud, quod doclores legis argumenlationem vocanl,

scilicet iudicium de uno singulari in aliud propter aliquam similitudinem Postquam

aulem dialectici apprelienderunl debililatem huius argumentationis, adinvenerunt

PBANTL, Gesch. II. 24

370 XVI. Algazeli.

Stelle einer getreuen Auffassung der aristotelischen Logik bereits ein

sehr steriler Ahhub griechisch-arabischer Schul-Logik getreten, welcher

allerdings für seine skeplisch-deslructive Tendenz ein geeignelerer Gegen

stand sein mochte, als wenn er die ächte Lehre des Aristoteles ent

wickelt hätte.

Indem aber hierauf noch der Stoff der Argumentation seine nähere

Erörterung findet, so hat Algazeli hierin nicht bloss wie seine Vor

gänger (Anm. 51 u. 223) die Anknüpfung der zweiten Analytik an die

erste erblickt275), sondern er folgte hiebei auch völlig dem Alfarabi,

offenbar in der Ueberzeugung, dass die aristotelische Lehre einer we

sentlichen Ergänzung bedürfe (s. Anm. 52), und zwar in einer Weise,

dass wir je nach Befund unserer Quellen erst durch Algazeli eine

genauere Einsicht in jene arabische Znlhat erlangen. Neinlich indem

derselbe Alfarabi's Gleichniss mit dem Golde (Anm. 51) wiederholt,

bringt er mit jenen dortigen fünf Abstufungen der Urlheile zunächst

den Unterschied zwischen dem demonstrativen, dialektischen, rhetori

schen, sophistischen und poetischen Verfahren (vgl. Abschn. XI, Anm.

122 f.) in Verbindung, und zählt hierauf jene nemlichen dreizehn Arten

von Urtheilen, welche den Stoff der Beweisführung bilden können,

auf276), um sodann dieselben höchst ausführlich in Beispielen zu er

läutern — ihre Namen sind: primae, sensibiles, experimenlales, famosae,

quae naluraliter secwn habent, probalionem , aestimalivae , maximae,

receplibües, concessae, simulaloriae , maximae in apparentia, pulabiles,

immutaloriae — 277>, worauf noch die Zurückführung derselben auf

iilium viam el in stabiliendo hoc processerunt duabus viis, quarum una dicitur

,,simile el contrarium" Alia via ,,coniectalio" esl.

275) Albert. M. Anal. post. I, l, l, p. 514. B: Mulla aulem sunt propositionum

genera, ut Ami Algazel, in quitius nihil proximius est syllogismo, quam necessitas

in materia proposilionum • et ideo haec scientia (sc. demonstraliva) immediale fast

scienliam de syllogismo est ordinanda.

276) Log. c. 5.: Materia syllogismi sunl propositiones , quae si fuerint credibiles

el verae, erunl conclusiones credibücs el verae Sicut aurum esl materia

nummi et rotunditas forma eius , simililer Syllogismus esl vitiosus aliquando

vitio formae , scilicct mm non fuerit secundum aliquam figuram praemissarum, ali

quando est i'ttio maleriae , quamms forma sil recla Sed sicul aurum habet

quinque ordines, similiter proposüio habet quinque ordines ; primtun oräinem

habet illa, quae esl vera et credibiUs sine dubielale sive deceptione, et argumenlalio

ex talibus composila diciltir demonslraliva proxima verilali, «t difftcile possit

falsilas esse in illa , et argumcntalio ex ca vocatur dialectica; lertium habet ea,

quae opinabilis , rhelorica ; quarlum habet proposilio formala ad modum verarm*

cum similalione et dolo, et Syllogismus, qui fit ex ea , dicitur deceptivus et

sophisticus; quinlum habet propvsitio, quae scilur esse faha Opus autem,

de las propositionibus latius disseram. Omnis igilur proposilio, ex qua componitur

argumentatio, quae proposilio nondum slabilila esl ratione , dividilur in tredecim

partes , scilicel in primas , sensibiles , experimentales , famosas, proposilionem,

quarum mediitm terminum el probfilionem inleltigere in promptu est, et in aestimativas,

maximas, receptibiles , concessas , simulatorias, eas quae mdentur maximae, el pvtabiles

et immutatorias.

277) Ebend.: Primae sunt, quas per se necesse est naturaliler inlelleclui credere,

ut haec „duo sunl plus, quam unum" Sensibiles sunl, ut haec „sol

est lucidus" Experimentales sunt proposiliones , quas acquirimus in sensu et

intellectu, ut haec, quod scimus, quod ignis adurit Famosae sunt, sicut quas

XVI. Algazeli. 371

obige fünf Verfahrungsweisen (facullales) folgt, insoferne die ersten

fünf der Demonstration, die 7. und 9. der Dialektik, die 6., 8. und 11.

der Rhetorik, die 10. und 12. der Sophistik, und die 13. der Poetik

zugewiesen werden 278). Wenn aber hierauf unter der Uebersclirifl

„De fallaciis" sich eine Aufzählung möglicher Fehler der Beweisführung

anreiht , so ist hiedurch ebensowenig der Inhalt der .Sop/». Elenchi be

rührt, als etwa in das Vorhergehende die Topik verflochten wäre, son

dern das Ganze enthält nur in der Angabe von zehn Punkten eine zer

splitterte Wiederholung dessen, was Aristoteles noch in der ersten

Analytik bezüglich der Wahrheit des Erschliessbaren (Abschn. IV, Anm.

611—614), sowie über das Erschleichen des Ausgangspunktes (ebend.

vulgo dicente didicimus , sicut haec, quod Aegyptus est, quamvis nunquam vidimus.

Propotiliones vero, quae seqttunlur, habetit probalionem suam naluraliler, sunl

Mae, quibus non acquiescil animus nisi per medium termimm Opinabiles

sunt propositiones falsae , quae Ha fixe adhaeserunt in animo, ut nemo pussit dubitare

, de his , quae contingunt ex actione aeslimationis in ea , quae sunt praeler

sensibilia Hanifeslae sunt propositiones , quae non recipiunlur nisi in quantum

sunt manifestae , et putat vulgus et simplices doctores, esse primas comitanles in~

lellectus naturam , ul haec „mendacium esl Ivrpe" (demnach ist, was oben aestimaliva

genannt war, hier in opinabilis und manifesla zerlegt) Maximae

uutem differunt secundum maiorem et minorem cvidenliam sui et secundum diversitates

usus et modorum et lerrarum et artificttm Receptibiles sunt illae, quae

hubenlur a sanciis hominibus vel a maioribus sapieutum Concessae sunt, qtias

concessil adversarius fei sunt manifestae inier ambos tantum Simulators ae sunt,

qtias studet Homo assimilare priinis vel experimenlalibus vel maximis Maximae

in apparentia sunl . quas qui audit slalim recipit in principio , sed mm diligenler

atlendit, audit, non esse recipiendas l'ulabiles sunl, quae fatiunt putare aliqtiid,

quamvis animus percipiat, passe esse eins ojiposüum, sicut ,,qui nocte ambulat,

malefactor esl" Imaginariae vel Irans /örmatoriac vel immulatoriae sunl,

quas scimus esse faisas , sed imprimunlur in animo vel itppelcnda vel respuenda,

sicul ,,mel videlur esse stercus".

278) C. 6.: De acceplione proposilionum in facu/tatibus. (Juinque primae species,

scilicct primae, sensibilcs, experimenlales, famosae et quae secum habenl nalu

raliler probalionem (der Text gibt propotitiunem) suam, congruunl argumentalionibus

demonslralii'is ; ulililas aulem demonstralionis est mani/'cstatio veritalis el acquistlio

cerlitudinis. Maximae vero et concessae aplae sunl argumenlationibus dialeclieis;

ulililas autem dialecticae multiplex est; prima est, convincere praestimpluosum

et iactantem se scire, quae nescit ; secunda est, ul cum votiierimus docere illum

aliquam scientiam vcram , .... nee sil contenlus oraiione rhetorica , ... . ncc tarnen

ascendil adhuc ad yradum superiorem perilatis ; lertia esl, quod inlroducendi

in singulis artibut . . . . non possunt prius addiscere principia arlis ; quarta est,

quod natura dialecticae argumentationis est, passe concludere duas extremilates contradictionis

in quaestione, quod cum feceril et consideraveril locum erroris, aliquando

manifestabitur ei veritas l'utabües autem el simulaloriae propositiones sunl

aptae argumentationi soplaslicae, nee prosunl alio modo nisi ul scianlur ad cavendum

eas , .... et aliquundo lentamus per eas inlelleclum el i'ocaliitur argumentalio

lentativa, aliquando vero inducemus eas ad inferendum sibi vcrccundiam, qui simulat

vulgo se sapientem esse .... et lunc vocabitur argumentatio decepliva Maximae

vero in apparenlia el pulabiles (wie sich von selbst versteht, ist hiefür opinabiles

oder aeslimalivae zu lesen) el receplibiles aplae sunl fteri argumenlationis proposi

tiones rhetoricae et legalis ; ulililas aulem rheloricae manifesla est, fleclere scilicel

animos Transformatoriae autem sunt propositiones argumentationis poeticae

Ex his autem omnibus negoliis nihil esl opus cognoscere nisi demonslrativum

ad inquirendum et sophisticum ad cavendum; intenlio noslra erit admodo loqui de

his duobus.

24*

372 XVI. Algazeli.

AUDI. 628), über den Cirkel-Beweis (ebend. Anm. 615), und über die

Stufe des blossen Meinens (ebend. Anm. 634) entwickelt halte279).

Erst nun aber nach dieser ganzen Digression betreffs des Stoffes,

welche offenbar aus Alfarabi entnommen ist, kömmt Algazeli auf die

materia quinta der Logik, d. h. auf die aristotelische zweite Ana-

'lytik selbst, wobei er vorerst die Frage des „Ob" betreffs der Exi

stenz selbst oder eines blossen Zustandes, und die Frage des „Was"

nach Seite der Namenserklärung und der Wesens-Definition, und die Frage

des „Wie beschaffen" bezüglich des artmachenden Unterschiedes, und

die Frage des „Warum" im Sinne des Realgrundes und auch des Er

kenntnissgrundes bespricht280), und sodann in seiner Manier des Abtheilens

als zweiten Punkt den Unterschied der „demonslralio quia"

und der „demonslralio quare" (vgl. Anm. 62 u. 226) erörtert281); hier

auf folgt als dritter Gesichtspunkt ein Excerpt aus den Angaben des

Aristoteles über das Zustandekommen des apodeiktisr.hen Wissens (s.

Abschn. IV, Anm. 134 ff.) bezüglich der den Einzel-Wissenschaften eigenthümlichen

Gegenstände und desjenigen, was denselben wesentlich zu

kömmt, sowie der wissenschaftlichen Fragen und der obersten Principien,

welch letztere auch Algazeli im Sinne mathematischer Axiome

279) C. 7. : De fallaciis. Nunc autem ostendemus species erroris ad cavendum

eas, quae sunt decem Prima est, quod disputationes saepe ftunt confusae

unde oportet, .... ut scias, si esl Syllogismus annon et cuius ftgurae et cuius

modi Secunda, ul diligenter observes meditim terminum Tertia est, vi

diligenter observes , ne inter utrumque terminum , maiorem scilicet et minorem , et

exlremilales conclusionis sit aliqua diversilas Quarta est, ut observes duos vel

tres lerminos et duas extremitales conclusionis , ne sit in eis aequivocum

Quinta esl, ut observes copulationem et nomina Sexta est, ut non recipias

indeßnitas Seplima est, quia aliquando credes propositionem in syllogismo eo,

quod, quodcunque quaetivera», eius conlradiclorium in inlellectu tuo non invenis,

sed hoc non facil necessilatem credendi Ucluru est, ut quaeslio non fiat propositio

in syllogismo JVona est , ut non probelur aliquid per id , quod non probatur

nisi per ipsum Decima est, ut fugias propositiones pulabiles maiimas

et simulatorias , nee credas nisi primas et sensibiles et alias, quae cum eis sunt.

280) C. 8.: U <i demonslratione . Materia quinta est de his, quae sequunlur

librum argumentalionis de Analecticis (vgl. Abschn. XIII, Aum. 288. u. Abschn. XIV,

Anm. 23) posterioribus , in qua est ulililas demonstralioni.i . Haec dividitur in

quatuor species. Prima species est de quaestionibus disciplinabilibus et eorum parlibui,

scilicel de quatuor quaestionibus, quae versanlur in scienliis , quarum prima

est ,,an eil", secunda esl ,,quid esl", tertia est ,, quäle est", qinirln

esl ,, quare esl". Interrogatio vero „an est" fit duubus modis, uno quo quaerilur,

an res habeat esse, secundo, cum quaerilur disposilio rei, ut an mttndus

coepit. Inlerrogalio vero ,,quid tst" similiter duobus modis fit, uno cum quaeritur

de interpretatione nominis , alio modo quaerilur verilas rei in se: intenogatio

vero ,,quid esl" secundum primum modum praecedil interrogationem „an esl".

Inlerrogalio vero ,, quäle" quaeril de di/ferentia vel de proprio. Interrogatio

vero ,, quare est" fit duobus modis, uno quaeritur causa esse rei, alio quaeritur

causa scientiae Inlerrogatio vero „quid est" et „quäle esl" perlinet ad imaginalionem,

sed interrogalio ,,an est" et ,,quare esl" pertinel ad credulilatem.

281) Ebend.: Secunda eius species est de syllogismo demonslralivo ; Syllogismus

demonslrativus dividitur in eum, quo acquiritur causa esse conclusionis, et in eum,

quo acquirilur ßdes eius, quod est esse; primus vocalur , ,demonstratio quare esl",

secundus vocatur „demonslratio quia est" Demonslralio esl de „quare", quando

medius lerminus causa est inveniendi minorem et maiorem terminum.

XVI. Avempace. 373

(vgl. Anm. 60) aufgefasst zu haben scheint282). Endlich als vierter

und letzter Punkt begegnet uns hier die Erörterung über das aristote

lische xa&ökov und xct9 avrö, welche bei Alfarain und Avicenna (vgl.

Anm. 57 u. 224) zu den Untersuchungen über das praedicalum primwn

geführt halte, hier aber in ziemlich schulmässiger Formulirung und mit

starker Betonung der Bedeutung des Prädicales auftritt2").

So beschränkt sich Algazeli wenigstens in seinem uns zugänglichen

Gompendium auf den Umkreis der Apodeiktik , ohne die Topik oder

Sophislik beizuziehen ; es dürfte aber auch dieses mit seiner skeptischen

Tendenz übereinstimmen , da er bei Bekämpfung des eigentlich wissen

schaftlichen Verfahrens das dialektische Gebiet der blossen Probabilität

völlig ignoriren konnte.

Ueber Avempace (Abu- Bekr- Mohammed -Ben- Jahya-lbn- Badscha,

gest. 1138) können wir hier nur äussersl Weniges berichten. Sein

Einduss auf das Mittelalter liegt hauptsächlich in seinen Bearbeitungen

der physikalischen Schriften des Aristoteles oder mittelbar durch Averroes

in der Entwicklung der Erkeniitni.sslehre, welch beiderseitige Thäligkeit

uns hier nicht berührt. Und wenn derselbe sich auch mit dem

Umkreise der Logik im engeren Sinne beschäftigte284), so scheinen

von dergleichen Schril'len desselben dem Miitelalter durchaus keine

Ueberselzungeri vorgelegen zu sein, und auch wir linden ihn nur ein

paar Mal gelegentlich erwähnt, nemlich in der oben, Anm. 58, ange

führten Stelle bezüglich jener principiellen Frage über die doppelte

282) Ebend.: Tertia species est de his, in quibus poliits r.ontinenlur scientiae

demonslrativae , et haec sunt quatuor, scilicel suliiecla , aeddenlia essenlialia, quaeitiones

, principia. Per /.i /intim quidem , quod est subieclum, intelligitur, quod omnis

scientia subieclum habet sine duhio, de quo tractal , speculalor ergo cuiuslibet

scientiae non debet probare in sua scientia suum subieclum Per secundum

autem, quod est aeddenlia essentialia, inlelligunlur proprielates accidenlales illi subiecto

tantum et non alii; necesse est autem in principiis cuiuslibet scientiae

inlelligere haec aceidenlia essenlialia cum suis diffinilionibus secundum imaginationem,

sed hoc exislere in suis suliieclis non cognoscilur, nist ex comprehensione vel comptexione

tolius scienliae Per tertium autem , quod est quaesliones , inquirimui

cohaerentiam ipsorum accidentium essentialium cum suis subiectis ; et hoc, quod es(,

petilur in omni scientia; .... secundum vero quod intenogatur de eis in ca, nominantur

in ea quaesliones huius vel illius scientiae, sed secundum quod peluntur,

dicuntur pelitiones, secundum vero quod concludunlnr in demonstrationibus , dicuntur

conclusiones ; in quibus omnibus nominatum eil unum, sed variantur nomina

Ipsa vero principia non probantur in ipsa arte, sed vel sunt prima et vocantur per

se nola, ut hoc, quod dicitur in principio Euclidis, vel non sunt prima, sed

sunt recipienda u magi&lro.

283) Ebend.: Species quarla est de omnibus conditionibus proposilionum demonslrationis,

quae qualuor sunt, scilicet quod sunt verae et necessariae et propriae

et essentialcs Essenliale enim hie accipitur duobus modis , uno ut praedicatum

intret diffinitionem subiecti , . ... secundo ul subiectum intret diffinitionem praedicali.

Essentiale autem secundum primum modum supervacuum esl Prior esl

cognitio praedicali cognilione subiecti Quisquis enim intelligit triangulum cum

diffinilione sua secundum imaginationem , non inquiret ea, quae praedicantur de eo ;

postea aulem polest quaerere , si omnes eins anguli sunt aequales duobus reciis;

quaerere autem, an sit figura vel non, supenacuum esl.

284) Munck, Dictionn. III, p. 154. berichtet, dass logische Traclate des Avem

pace sich im Escurial befinden.

874 ' XVI. Averroes.

Funclion der Demonstration, sodann wieder bei den Erörterungen über

praedicatwn primum 285), und einmal in der Sophislik 286), — ledigliche

Einzelheilen, aus welchen wir, wie sich von selbst versieht, nichts

Näheres enlnehmen können.

Einen gewissen Abschluss aber erhielt die arabische Philosophie

Überhaupi, wie bekannt, durch Averroes (Ahul-Walid-Mohamnied-

Ibn-Achmed-Ibn-Roschd, gesl. 1198), dessen commentirende Thäligkeit

die särnmtlichen Werke des Aristoteles umfasste 287). Er stand hiehei

allerdings nur auf dem Boden seiner arabischen Vorgänger, denn er

selbsl verstand weder griechisch noch syrisch, aber mit peniblem, ja

fast bornirtem Fleisse nahm er in stets wiederholten Uelierarheitungen

den gleichen (iegenstand vor, und so verfasste er auch zu jenem Zweige

der Philosophie, welchen wir hier zu besprechen haben, neinlich zum

Organon , dreierlei Commentare , unter welchen die einfachsten blosse

Paraphrasen waren, zu welchen ebendeshalb noch sog. „miniere" und

zulelzl sog. „grosse" Commentare kamen. Indem wir unserer Aufgabe

gemäss von anderen Schriften des Averroes, welche dem Millelalter

bekannt waren, absehen, wie namentlich von der „Deslruclio destructianis"

(gegen Algazeli) und von seiner Darstellung der Erkenntnisslehre

(Epist. de connex. inlelleclus abslr. cum homine, worauf der Monopsychismus

der Averroisten in Oberitalien wurzelt), müssen wir erwähnen,

dass die Scholastiker särnmtliche drei Arten der Commentare zur zweiten

Analytik, zu den übrigen Büchern des Organons aber (mit Einschluss

der Rhetorik und Poelik, vgl. oben Anm. 18) nur die Paraphrasen und

die mittleren Commentare kannten, wozu noch eine „Epilome" des

Organons und „Quaesita in iibros log. Arial." kommen288); die beiden

letztgenannten Schriften jedoch scheinen sicher mit Unrecht für Werke

des Averroes gehalten worden zu sein, denn sowie die Quaesita durch

formelle Momente einen sehr gegründeten Verdacht erregen289), so

liegt die Epitome im Inhalte in Widerspruch mit den ächten Schriften

des Averroes 2Ö°).

285) Ps.-Averr. Quaes. in Poster. Resolut. L 373. r. B (vgl. Anm. 57. u. 224.).

286) Ps.-Averr. Epitome, !. 352. r. B.

287) S. über denselben Munck, Diclionn. III, p. 157 ff. und vor Allem E.

Renan, Averroes et l' Averroisme. Paris 1852. 8.

288) Die dem Mittelalter zugänglichen Schriften des Averroes sind in mehreren

älteren Ausgaben der lateinischen Uebersetzung des Aristoteles gedruckt; ich citire,

wie bemerkt" (Anm. 11.), nach der Venetianer v. 1552, fol.

289) Es mag allerdings als misslich erscheinen, wenn ich ohne weitere Kenntniss

der arabischen Originale lediglich aus den lateinischen Uebersetzungen ein

derartiges Urlheil fälle , und ich darf aus diesem Grunde wohl kein grosses Ge

wicht auf jenen Unterschied des Stiles und der Behandlungsweise legen, welcher

zwischen den Quaesila und anderen unzweifelhaften Schriften des Averroes zu be

stehen scheint, obwohl ich überzeugt bin, dass jeder aufmerksame Leser sofort

den gleichen Eindruck empfangen würde. Hingegen von entscheidenderem Belange

dürfte es sein, dass der Verfasser der Quaesila seinen Tadel gegen Andere in sehr

verallgemeinerten und fast schmähenden Ausdrücken ausspricht, ein Ton, welchen

Averroes bei aller Meinungsverschiedenheit nie einschlägt. Belege hiefür finden

sich in obigen Anm. 11. 55. u. 70.

290) Nemlich abgesehen von einer abweichenden Terminologie, für welche

XVI. Averroes. 375

Die Leistungen des Averroes auf dein hieher gehörigen Gebiete ent

halten an sich durchaus Nichts, was ihm selbst eigentümlich wäre,

sondern er ist lediglich Comnientalor des Aristoteles, dessen richtiges

und klares Verständniss er dem Leser ohne irgend welche Abweichungen

zugänglich machen will. Daher wir gerade nach jener Seite hin, in

welcher sein verdienstlicher Einfluss auf das lateinische Abendland liegt,

uns über ihn am kürzesten fassen können und müssen; denn es dürfte

in der That fast genügen, wenn wir kuroveg im Allgemeinen über ihn

sagen, dass er ein fleissiger und getreuer Erklärer des Aristoteles war,

und es gilt dieses vollständig auch bezüglich der Metaphysik , welche

die Lateiner gleichzeitig im aristotelischen Texte und in der erläuternden

Darstellung des Averroes erhielten, so dass es eine unnölhige Verdopp

lung wäre , wenn wir hei jenen Erörterungen der Metaphysik , welche

(z. B. betreffs des Verwirklichungs-Processes des Artbegriffes oder der

individuellen Substanz) in die Logik hinüberspielen, die Angaben des

Averroes besonders anführen wollten, da ja dieselben nur in exegeti

scher Form das Neinliche darbieten, was zugleich aus Aristoteles selbst

zu schöpfen war. Ein äusserliches Moment aber fällt dem Leser der

Commentare des Averroes sofort in die Augen, nemlich das fortgesetzte

Bemühen , jeden Stoff zur leichteren Uebersicht in Abiheilungen und

Unter-Abtheilungen mit ausdrücklicher Numerirung zu gliedern291), und

wir können auch bemerken, dass hierin Averroes einen äusseren Ein

fluss auf die Leclüre der aristotelischen Schriften ausüble, welcher sich

bis in das 16. Jahrhundert erstreckt292).

Indem sich Averroes bezüglich der Frage, wie sich die Logik zu

den übrigen Wissenschaften verhalte, an eine vielbesprochene aristote

lische Stelle (Abschn. IV, Anm. 177) anschliesst, wornach die logische

Disciplinirung des Denkens vorantreten soll293), sucht er, wie gesagt,

sicher nicht der Uebersetzer verantwortlich gemacht werden kann (Anm. 346.),

widerstreitet den ausdrücklichen Angaben des Averroes nicht bloss die ganze Eintheilung

des Stoffes (Anm. 348.), sondern auch im Einzelnen die Beurtheilung der

Isagoge (Anm. 350 f.), sowie insbesondere die der Dialektik angewiesene Stelle

(Anm. 372). Hiernach miiss unsere UebiTzeugung auch dahin gehen, dass wir

die von Levi Gerson (f. 7. r. B, s. unten Anm. 413.) erwähnte Summula logicalis

des Averroes in jener Epitome nicht besitzen. Dass aber hinwiederum auch nicht

die Quaesita und die Epilome Produkte Eines und des oemlichen Autors sein

können, zeigt die Vergleichung ohiger Anm. 54. u. 55., woselbst uns beide unbe

kannte Verfasser als Berichterstatter über den neinlichen Gegenstand dienten.

291) So werden z. B. (f. 15. r. A) die Kategorien in 6 parles , und dann

die Substanz in 14 parliculas, die Quantität (f. 17. T. B) in 7 , die Relation (f.

20. r. A) in 8, die Qualität (f. 22. v. B) in 11, die Gegensätze (f. 22. r. A) in

H particulas abgelheilt, und jedesmal geht die vorläufige Aufzahlung dieser Ab

theilungen dem Delail-Commenlare voraus, welcher dann wieder die Numerirung

stets im Auge behält.

292) Nemlich nicht bloss durch Franc. Patricias, Discuss. Pcripat. I, f. 98,

ist uns bezeugt, dass die Aristoteliker in Überitalien jene von Averroes durchge

führten Abtheilungen recipirten, sondern es weist auch die in den älteren Drucken

der aristotelischen Werke (auch Metaph. u. De anima) übliche Eintheilung in Capitel

und Paragraphen auf die nemliche Quelle zurück.

293) Alberl. M. De praedicab. l, l, p. 1. B: Et Aristoteles et similiter

Averroes dicunt, omnis scientiae modum esse ipsam scienliam, quae esl et vocatur

376 XVI. Averroes.

das Verständniss des Organons durch seine Commentare zu erleichtern.

Aber schon bei dem ersten recipirlen Theile desselben, neinlich bei der

Isagoge des Porphyrius, zeigt er sich uns als jenen strengen und reinen

Aristoteliker, welcher er überall ist; denn er will das Büchlein des

Porphyrius lediglich darum bespreche!), weil er hiezu im Hinblicke auf

die einmal bestehende Gewohnheit von wissenschaftlichen Freunden

gedrängt worden war, während er selbst die entschiedene Ueberze.uguog

hegt, dass die Isagoge gar nicht zum Organon gehöre, indem ihr auf

die Definition bezüglicher Inhalt weder unter das demonstrative noch

unter das rhetorisch-topische Verfahren untergebracht werden könne,

sondern nur den Sprach-Ausdruck der fünf Worte betreffe, abgesehen

davon, dass sie überhaupt keiner weiteren Verdeutlichung bedürfe294).

Und da somit Averroes gleichsam widerwillig an diesen Theil seines

Commenlares -geht, so beschränkt er sich auch auf das bei Porphyrius

Angegebene und lässt jede anderweitige oder tiefere Frage bei Seite.

So gibl er sowohl über den Gattungsbegriff295) als auch bezüglich der

Relativität der Definitionen des Gattungs- und des Art-Begriffes (vgl.

Anna. 113) und über die doppelte Definition des letzteren (Anm. 119)

nur karge Referate, ohne in die dargebotene Polemik einzugehen290),

während er allerdings bei Erklärung der Metaphysik sich für die engere

Definition der species specialissima entschied 29T). Er lenkt daher schnell

auf die Tabula logica des Porphyrius ein298), wobei er die Definition

logica, et quod non simul addisci polest scientia et scientiae modus, sed oportet

prius discere modum et deinde per modum iafn perfecte apprehensum addiseere tenlarf.

scicntiam.

294) Ad Porph. f. 1. r. A: Propositum huius Iraclatus est, exponere ea, quae

in introductorio ad scientiam logicam libro Porphyrii continenlur , propterea quia

iam adolevit consueludo , ut inilium librorum logicalium ab ipso sumatur. Ebend.

am Schlüsse f. 10. r. B: Et hie expliciunl ea, quae in hoc inlroductorio conlinentur

; instigatus autem a quibusdam sociis nostris eruditis ac de hoc negolio diligenlibus

de secta Murgilana, quorum deus misereatur, ut ea exponerem, ea exposui;

alias enim ego abslinuissem ab huiusmodi expositione propter duo; primum quidem,

quoniam non eideo , hoc introductorium esse necessarium pro initio sumendo in hoc

arte , nam id , quod in eo dicitur , non polest esse sub ratione Mius partis , quae

est communis hüte arti, ut aliqui samt opinali ; nam id, quod in eo dicilur de defnilionibus

harum rerum, si esset demonstrativi generis , tunc esset pars libri Demonstrationis

, et st esset generis probabilis , tunc esset pars libri Topicorum; sed Por

phyrius fecit mentionem de his rebus, prout sunt expositiones eorum, quae significanl

illa nomina; secunda vero causa erat, quia verba huius viri sunt per se

manifesta in hoc introduclorio.

295) Ebend. f. 2. r. B.

296) Ebend. f. 3. v. B.

297) Albert. M. De praedicab. V, 6, p. 63. B : Aristoteles in septimo pritnae

philosophiae et ibidem Averroes in commeutario (f. 92. v. A) expresse dicunt et

probant, quod ullima differentia cuiuslibet speciei constitutiva convertibilis est cum

ea ita, quod non convenit eam nisi de illa specie praedicari , .... non ergo praedicalur

de pluribus di/ferentibus specie , ut videtur Hoc aulem dicit Averroes

dicens, quod omnia inlermedia inter genus et ultimam differentiam circumlocutio sunt

proximi generis, qua circumlocutione non opus esset, si nomina proximorum generum

haberemus.

298) Ad Porph. f. 4. r. A, woselbst sowohl die Angaben über ,,ens" (s.

Anm. 32.) als auch (f. 4. r. B) die sog. regula de quocunque (Anm. 192.) sich

XVI. Averroes. 377

des Individuums etwas stärker hervorhebt 2"), aber dann wieder völlig

in der üblichen Weise die Einteilung der Differenz anwendet300),

wobei ihn jedoch sein ächter Arisiotelismus ebensosehr wie den Avicenna

(Anm. 166) daran hindert, Gattungs- und Art-Begriff direct mit

Stoff und Form zu identificiren 301). Bezüglich des eigenlhümlichen

Merkmales 302) verfährt er ebenso wie beim Accidens schlechthin nur

referirend 303), und das Gleiche gilt betreffs der üblichen Zusammen

stellung der Verwandtschafts- und Unlerschieds-Punkte der fünf Univer

salien304); ja ganz gelegentlich lässt er ebendort seine principielle Auf

fassung der Universalien durchblicken, insoferne er sich, ohne auf die

Frage näher einzugehen, bei einem einzelnen Punkte gegen die Plaloniker

erklärt305).

Der Commentar zu den Kategorien, welcher sich durchweg nur

als eine eintheilende Paraphrase zeigt, bietet nichts Bemerkenswerthes

dar; höchstens mag erwähnt werden, dass hei Erklärung der Stelle

über „de subieclo" und „in subieclo" durch Averroes eine versinnlichende

linden; auch der schon oben (Anm. 117. u. 134.) erwähnte Gegenstand theologi

scher Bedenken fehlt nicht.

299) Ebend. f. 4. r. B: Hoc autem, quod Porp/iyrius dicit, esl ventm de individuis

accidentium, nam individua substunliae de nulla praedicanlur re secundum

usum nalurae , et ideo vera descriptio individuorum est, quod individuum est id,

quod non praedicatur de pluribus , non id quod praedicatur de uno , ut ipse descripsit.

300) Ebend. f. 5. v. B : Genus supremum habet differenlias dividenles ipsum,

sed non habet differenliam, quae ipsum constiluat Species vero ultima habet

diffcrenliam conslitutivam, sed non divisivam.

301) Ebend. f. 6. r. A und Alben. M. a. a. 0. V, 4, p. 60. A: Ut dicit Aver

roes in commento primae philosophiae (Melaph. I, 17, f. 7. v. B), genus non est

materia , sed forma generalis et confusa et indislincla et di/fusa in materia non

determinala per formam, quam diffusam formam et confusam vocanl quidam forrttae

inchoationem.

302) Ebend. f. 6. v. B.

303) Ebend. f. 7. r. A: Deftniunt insuper ipsum accidens sie: acciflens est,

quod polest inesse uni et eidem rei et non inesse, vel : quod non esl genus nee

di/ferentia nee species nee proprium et quod semper sil in subieclo. Prima ergo definitio

amplectilur accidens separabile et inseparabile , semnda vero separabile lantum

conlinet accidens. Eine anderweitige Notiz jedoch s. unten Anm. 413.

304) Ebend. f. 9 f.

305) Ebend. f. 9. v. B: El hoc quod dicit Porphyrms , esl verum iuxla sentenliam

ponentium ideas , hoc eit, si dantur genera el species extra intellectum.

378 XVI. Averroes.

Figur üblich wurde306), denn in allein Uebrigen finden wir nur die

allgemein recipirten Angaben; selbst bei Besprechung der Bewegung

lässt Averroes die Frage, unter welche Kategorie dieselbe falle, bei

Seite liegen 307). Auch die Erörterung ühcr die vier Arten des Gegen

satzes verweilt in einer Messen Paraphrase, und nur hei anderen Ge

legenheilen spricht er seine Ansicht aus, dass alle Gegensätzlichkeit

ursprünglich auf Anschauungen des örtlichen Abslandes beruhe 30S).

Bezüglich der Lehre vom Urtheile kann hervorgehoben werden,

dass den Lateinern aus einer anderweitigen Stelle des Averroes die

Einlheilung der Redelheile in Subslanlivuni, Verbuin und syncalegoreumala

(s. Abschn. XIV, Anm. 174, 206, 348 und Abschn. XV, Anm. 9

u. bes. Anui. 106) vorgeführl wurde 30!l), sowie dass aus dem Commentare

zum Buche De inlerpr. sich eine Bemerkung über das arabische

Verbum einbürgerle 31°). Auch hielt Averroes ebenso wie Avicenna

(Anm. 215) das conditionale Urlheil für ein durch den inneren Nexus

einheitliches, fügte aber, ohne das disjunctive oder das cupulative Ur-

306) Pracdicam. t. 12. v. B, woselbst die betreffenden Lehrsätze folgendermaassen

in eine Figur zusammengestellt sind:

Substanlia inconsistens Accidens

\^

%

tf

Universale inconsislens Particulare

307) Ebend. f. 30. r. B.

308) Albert. M. I)e praedicam. III, 12, p. 138. A: Averroes in duobus lotii,

scilicel super p/iysicam (V, 99.) et super primam filiilosophiam (Melaph. I, 45, f. 12.

v. B) dicit, ad conlrariorum diffinüionem ab Ais, quae in loco swit conlraria, distantiam

esse transsumptam.

309) Topic. f. 256. r. A : Aristoteles in libro Perihermenias distinguit res ralioiu

dictionum, quando illas dislinfiuit in nomcn, verbum el dictionem st/ncalcgoremalican.

D. 1). der Gebrauch dieses technischen Ausdruckes fällt auf Rechnung des jüdischen

Uebersclzers Abraham (s. Renan, Averr. et. V Averroisme , p. 150.), welcher irgend

woher die hiezu erforderliche Kenntniss besessen haben muss; hingegen Mantini

wählt in seiner Ueberselzung das Wort , ,consignificantia" .

310) De interpr. f. 36. r. B: Apud Arabes praesens et futurum tempus confwduntur;

.... in lini/ua Arabica non dafür propria nota temporis praesentis , sed «l

communis nota tarn praesenti guam /'uluro.

XVI. Averroes. 379

theil zu erwähnen, die Bemerkung hinzu, dass zwei kategorische Urtheile

durch die syllogistisehe Verknüpfung zu Einem Urtheile werden311).

Bei der näheren Erörterung des kategorischen Uiiheiles linden wir die

Bezeichnung „duales" und „lernales", je nachdem ein Urlheil bloss aus

Substantivum und Verhum oder aus Suliject, Prädicat und Copula be

stehe312), sowie die Wiederholung einer von Alfarabi (Anm. 41) ge

machten Bemerkung313) und abermals (vgl. Anm. 40) die Besprechung

jenes aristotelischen Beispieles, in welchem der Satz ein nicht existirendes

Subject betrifft314). Die Bemerkungen über das modale Urlheil

und insbesondere ober die Stellung der Negation in demselben gehen

nicht über den Wortlaut des aristotelischen Textes hinaus315), und die

Erörterung über die Schwierigkeilen , welche das letzte Gapitel des

Buches darbietet (Abschn. IV, Anm. 286 ff.), müssen wir sogar direct

als schwach und ungenügend bezeichnen316).

Am Eingange der ersten Analytik stellt Averroes bereits jene Zwei

theilung nach Form und Stoff an die Spitze, welche wir bei Alfarabi

(Anm. 5l) und bei Algazeli (Anm. 265) bezüglich des Verhältnisses

beider Analytiken Irafen, und es knüpft sich ihm hieran die Unter

scheidung des demonstrativen und des dialektischen Urtheiles 3n), sowie

die Bemerkung, dass das im Syllogismus liegende Motiv der Form im

Vergleiche mit dem Inhalte der Beweisführung das allgemeinere sei318).

Abgesehen von der durch die Uebersetzung dargebotenen Terminologie

„proposilio oftsoiuto" für das übliche „proposilio de inesse" 319) ist zu

erwähnen, dass Averroes bei den kategorischen Syllogismen sich gleich

falls (wie Algazeli, Anm. 268) auf den Standpunkt der möglichen Com-

311) Ebend. f. 37. r. B: Conditionales sunt una ex coniunclione , quae est

signum conditionis, ut cum dicimus ,,si est supra tetram so/, dies est"; praedicalivae

vero orationes sunt quidem una per coniunctioncm , quae est terntinus me~

dius , ut cum dicimus ,,homo esl animal et animal est corpus".

312) Ebend. f. 43. r. B: Vocantur aulem illae, quarum praedicalum est verbum,

duales , quia constanl sulriecto et praedicato tanlum, et illae, quarum praedicatum

est nomen, dicunlur ternales , quia constant subiecto et verbo copulante et

praedicato.

313) Ebend. f. 46. v. B: Constat ergo, qnod nun omne id, quod verificatur

divisim, oporteat ipsum verißcari coniunctim.

314) Ebend. f. 47. r. A.

315) Ebend. f. 48. v. B.

316) Ebend. f. 52. r. A.

317) Prior. Resolut, f. 54. r. A: H*c divisiones (d. h. in allg. bej., allg.

vern. n. s. f. Urtheile) stmt proposiliones ex parle formae , h. e. divisiones uliles

ad cognitionem syllogismi simpliciter. Divisiones vero ex parte materiae sunt, quoniam

ipsius alia est demonstraliva alia dialeclica ac reliquae, in quas parlitur secundum

arliitm sermocinalium malerias Ac proposilio quidem demonstraliva

et dialeclica re a se invicf.m di/ferunt, .... quod dcmonslrativa proposilio altera est

conlradiclionis pars et ea quidem wera, dialeclica vero esse polest ulralibet ex parlibtts

conlradictionii, Eril ilaque proposilio syllogistica veluli genus demonslralivae

ac dialccticae.

318) Ebend. f. 56. v. B: Oportel scrmonem de syllogismo prai'tcdere sermonem

de demonslratione ; Syllogismus namque universalior est demonslratione , omnis enim

demonstrativ Syllogismus et non est omnis Syllogismus dcmonslratio. Vgl. Anm. 333.

319) Ebend.' f. 54. v. A ff.

380 XVI. Averroes.

binationen der Urtheile stellt, um dann die syllogistisch untauglichen

auszuscheiden, dabei aber durch ein anderes Verfahren auf 36 Combinationen

kömmt320), sowie dass er völlig richtig und in acht aristote

lischem Sinne die fünf theoplirastischen Schlussweisen der ersten Figur

als unnatürliche abweist321). Und sowie er dieselben durchaus sachgemSss

mit der sog. Galenischen vierten Schlussfigur in Verbindung

bringt, so müssen wir hier daran erinnern, dass er hetrefl's dieser an

geblichen Erfindung des Galenus uns schon oben (Ahscbn. IX, Anm. 99)

als hauptsächliche Quelle diente, und es bleibt uns nur die Bemerkung

übrig, dass Averroes in sehr vernünftiger Weise und in aristotelischem

Geiste die Berechtigung der vierten Figur überhaupt bestreilet 322). Mit

320) Ebend. f. 56. v. B: Quonium igilur omnes dunr propositiones aut sie se

half »l, quod ambae sunl universale!,, aut particulares aut iiiflefinitae, aul una ipsa

rum universales et altera in parte, aut una ipsarum universalis et altera indefinita,

aut una ipsarum indefinita et altera in parte, et unaquaeque harum Irium specierum

bifariam variatnr, velut sit universalis maior et partieularis minor vel e converso,

et similitcr universalis cum (der Text gibt non) indefinita ac partieularis cum inde

finita, et unaquaeque harum novem specierum ilu se habet secundum compositionem,

aut ul ambae simul afßrmativae sinl aut negativae simul, .aut una ipsarum afftrmaliva

et altera negaliva, et hoc duobus modis , uno quod sit minor negaliva et maior

affirmativa, seeundo in contrarium huius , ex quo planum , si mulliplicatae fuerinl

illae quatuor in has novem, efficientur hac in figura (sc. prima) sex ac triginta coniugaliones.

Et Aristoteles exponit, quae concludat quaeve non concludat.

321) Ebend. 57. r. B: 7s, qui ex Unis negalivis construitur in hac figura,

nihil penitus concludit Si vero minor in ipso exstilerit negativa , iam exislimalur,

quod concluttat neyativam in parte, posteaquam proposiliones conversae fue

rinl ; atqui haec species conclusionis non esl ex iyltogismo , super quem cogitatio

naturaliter cadil: nimirum concluderel , si in quarta figura Syllogismus naturaliter

construerelur. Ebenso im Folgende» bei den übrigen theopbraslischen Scblussweisen,

nemlich insbesondere belrefls der durch Umkehrung des Schlusssatzes

gewonnenen (f. 58. r. A) : Quod vero priores rxcogitaverunl, quod tres modi figurae

istius binas conclusiones colligunl, hoc esl mortus concludens universalem negativam

concludit eliam contierlentem , et concludens particularem affirmativam consimililcr,

et concludens item universalem affirmalivam , quod videlicet isti eliam convertentes

suas concludunt , It. e. af/irmativam in parle , hoc, inquam, ilti asserunl, quia inlenlionem

ignoranl Arislolelicam; Aristoteles namque hoc loco intendil connumerare

conclusionum species, quae per se et primn in syllogismis inveniuntur naturalibus,

non autem qui sunt secundum inlentionem secundam et non secundum cursum syllogismi.

322) Ebend. f. 83. r. A: Quod aulem non invenitilur figura quarta, planum

ex medio termino, qui accipilur communicare cum amuabus extremitalibus ; quemadmodum

si accipiatur C communicare cum K et A , quae sunt exlremitates quaesiti,

ex necessüate sequetur unum ex tribus , vel ut subieclum maioris extremitatis sil

praedicalum minoris, qttemadmodum si A pracdicelur de C et C de B, et haec figura

prima, aut praedicelur de utrixque simul, et haec figura secunda, aul ipsis subiicialur,

et haec figura tertia. Si vrro accipiatur praedicatum maioris Subiici minori,

non conveniet, propterea quod praedicatum maioris praedicatur de minore , quoniam

maior praedicalur in quaesito secundum nalnram de minore , et ila erit idem praedi

catum de se ipso , quod fieri non polest , si inlerpretelur tcrminus medius secundum

quaesitum posilum; quod si ezponatur Sfcundum participationem , concludet aliui a

quaesito, puta conversum suum, et hoc secundum modum, qui numeratur complicalio

figurae quarlae , quam posnit Galenus; atqui erit Syllogismus super alio a quaesito

posito, sed in hoc non cadit cogitatio secundum naluram, neque accipitur in seraone

syllogistico neque demonstrative neque existimativo. Gelegentlich der Erklärung der

XVI. Averroes. 381

der gleichen Strenge liält er sich auch in anderen Fragen gegenüber

seinen Vorgängern an die Angaben des Aristoteles, und so bek9mpft er

den Alfarabi (Anui. 44) bezüglich der syllogistischcm Bedeutung der

Möglichkeit»- und Nothwendigkeits-Uriheile 323), sowie er auch den Be

griff des Möglichen nur nach aristotelischer Lehre fasst 324); ja in

gleicher Weise verfährt er selbst dem Thcophrastus gegenüber, insoferne

derselbe (s. Abschn. V, Anm. 51) bei den aus modalen Urlheilen comhinirten

Syllogismen, den Grundsatz aufgestellt halte, dass der Schluss

salz der schwächeren Prämisse folge325). Und sogar da, wo er be

züglich der aristotelischen Angaben über die Voraussetzungsschlüsse

(Ahschn. IV, Anm. 580 IT.) sich durch die Comroentatoren und den conslanten

Schulgebrauch dazu verleiten liess, in ähnlicher Weise wie

Algazeli (Anm. 269 f.) die condilionalen Schlüsse in zwei Formen und

die disjunctiven in vier Formen anzuführen3'26), lenkt er ziemlich be

sonnen auf den aristotelischen Standpunkt zurück, insoferne er den

wesentlichen inneren Unterschied zwischen diesen hypothetischen und

den kategorischen Syllogismen anerkennt, dass in ersteren der Schluss

satz nicht eine eigentliche Errungenschaft des Schliessens sei, sondern

gerade der Obersalz zu seiner eigenen Begründung noch eines kategori

schen Schlusses bedürfe327). Zu jener aristotelischen Stelle aber

aristotelischen Stelle, welche in der Topik (l, 9.) das problema dialecticum be

trifft, führt Averrots diese Frage über die Zahl der Schlussfiguren als ein Bei

spiel der nützlichen Probleme an (Topic. f. 260. v. A): iuvans logicam est, ut, an

figurae categoricae sinl Ires auf qualnor, et ati ileßnilio acquiratur dicisione aul

compositione aut demonslratione .

323) Prior. Resol. S. 65. v. B u. f. 72. v. B.

324) Ehend. f. 68. v. A.

325) Ebend. f. 65. r. B : Theophrastus vero alque Eudcmus ex anliquis Peripateticis

et inter posteriores Themislius , gut eos seculus est, exislimaverunt , quod

modus conclusionis scqualur viliorem ex duobus modis, h. e. ut semper in luli complicutione

sequalur proposilionem absolulam , quoniam ausoluta Sed in hoc sermone est confusio manifestit ..., quoniaesmt viliormondecuesssacroina.

dusionis sequelur modum proposilionis maioris, secundum quod existimavil Ari

stoteles.

326) Ebend. f. 83. r. A: Syllogismorum conditionalium duo sunt gvnera primu.

l'ni'iii esl Syllogismus coniunclus , is videlicct , qui eoiu/ionilur ex conscquentibus et

coaplalur per notas condilionis facienles coniunclionem ; istius vero sunt binae

species , n«a, ut ponatur ipsius antecedens per se et concludatur con.tequens ,

nllera vero, r um ponilur in ipso oppositum consequenlis et concluditur oppuiitum

antecedentis Sed genus secundum est condilionalis divisus; hie autem componilur

ex contradicloriis perfeclae contradictionis , et coaplanlur Uli tiotac conditionis

signißcantes partitiontm; huini autem sunt quatvur species, et hoc, quia ponitur

antecedens et conctuditttr oppositum conscquentis, et ponilur consequens et concluditur

opposilum antccedcnlis , et ponitur oppositum antecedentis et concluditw

consequens, et ponitur oppositum consequenlis et concludilur antecedens.

327) Ebend.: Si perscrulaliimur ipsorum disposilionem, planum noliis ftet, quod

quaesitum in ipsis id est, quod monslralur per modum condilionis, sed positum esl

illud, quod oportet monslrare per syllogismum praedicativum in conditionali diviso

et coniunclo, posteaquam fuerit coniunclio et contradictio per se manifestit, et hoc,

quoniam, si fuerit coniunctio in ipsis manifesla per se et posilum manifeslum per

se , erit etiam consequens manifestum per se Nee dici polest, quod, quemndmodum

sunt proposiliones in syllogismo praedicalivo per se notae et conclusio ignota,

382 XVI. Averroes.

(Al)schn. IV, Anm. 588 f.), welche sich auf die Praxis der Syllogistik

und liirmii auf die Auffindung eines passenden Mitlelbegriffes bezieht,

wurde durch Averroes dem lateinischen Miltelalter eine neue veran

schaulichende Figur an die Hand gegeben328). Eine ebenso sorgfaltige

als hreile Erklärung widmet er dein zweiten Bliche der ersten Analytik,

hält sich aber dabei durchaus so strenge an Aristoteles — z. B. auch

consimiliter accidat , ut res sil in sylloaismo conditionali, h. e. ut sint antbae propositiones

per se nolae , i. e. conditionali s et posila, et sie conclusio ignola,

sed propositiones in syllogismo condilionali non requiruntur ad compositionem, ut ex

ipsis sequalur id , quod sequitur.

328) Ebend. f. 87. r. (wobei ich nur der Kürze wegen die Bezeichnung der

Schlussmodi wie in Abschn. IV, Anm. 588 (. wähle):

XVI. Averroes. 383

l SS

Figura methodi pro medio in sinqulis coniugationibas inveniendo.

Inconsislens in U ex duobus affirm. 7/1

Inconsislens ex A duabus negattvis

Particul. af/irm. in Iß \, lll 3, III 4 et in l 3 per conversionem \\ S

384 XVI. Averroes.

bezüglich der Induction 329) — dass es völlig unnöthig ist, Einzelnes

besonders anzuführen.

Ebenso können wir, was die zweite Analytik betrifft, vor Allem

von dem sog. minieren Commcnlare 33°) Umgang nehmen, indem derselhe

als ein Mittelding zwischen Paraphrase und Commentar allerdings

das Ganze recht klar und mit guter Betonung des Hauptsächlichen dar

legt, aber nirgend Eigentümliches bielel. Auch der sog. grosse Com

mentar hält sich überwiegend an den Text, und während in demselben

wohl zuweilen Themislius , seltener aber Alexander Aphrodisiensis er

wähnt ist, finden wir auffallender Weise nur sehr selten andere Schrif

ten des Aristoteles zur Erklärung beigezogen 331). Somit ist es nur

Weniges, was wir hervorheben müssen. Zunächst begegnet uns, was

das Verhällniss der zweiten 7,ur ersten Analytik betrifft, auch hier

wieder die bei allen Arabern übliche Auffassung, dass es sich um den

Unterschied von Form und Stoff der Schlüsse handle332), und indem

Averroes den unmittelbaren Anschluss der zweiten Analytik au die erste

dadurch begründet, dass dann auf das allgemeinere und wesentlichere

Element der Form der Inhalt ohne lästige Wiederholungen folgen

könne333), bekämpft er ausdrücklich die Ansicht Avicenna's, welcher

zwischen beide Analytiken das Gebiet der Dialektik einschaltete 334).

Und sowie er gegen obige Auffassung Alfarabi's (Anm. 52) polemisirl 33S),

so verfährt er ebenso bei allen jenen Controversen über die im Mittel

begriffe liegende Causalitäl336), über xct9' ctmo und xa&öiov 337),

über praedicalum pnmum338), indem er überall jede Abweichung vom

329) Ebeud. f. 124. r. B.

330) f. 240—255.

331) So z. B. ist nicht einmal bei Erörterung der Stelle über die vier Priocipien

(f. 217.) die Metaphysik cilirt.

332) Poster. Resolut, f. 127. r. A: Inlentio libri ist, speculari de demonstrationilms

atque de deßnilionibus. De demonstrationibus vero tractal quoad. ea, quae

vicem exhibent materiae ipsarum et haec in summa sunt proposilioncs verae, demonslraliones

namque ex duolius constanl, quorum unum o»J iproposilioncs el hoc est,

quod viccm obtinet materiae, allerum vero est ipsarum compositio et hoc est. quod

i'icem exhibet /ormae, quae cum iam monstruta füll in libro syllogisini, ideo incipit

hoc in loco sermonem j'acere de eo , quod supereral ex cognilione syllogisini demonstralivi,

It. e. de maleria, ex qua componilur, et propterca rocavit ambos libros

unico nomine.

333) Ebend.: Ordo aulem ipsius est post librum de syllogismo procul dubio

Iribus de causis, quarum una esl, quoniam universale nolius est particulari el oporlet

praecedere in ordine doctrinae mqgis nolum , quemadmodum oporlel etiam in deduclione

quuesili procedere Causa autem secunda rst, quoniam specvlalio estentialis

esl, cum speculamur de aliquo universali, secundum quod inest subiecto universali,

non autem subieclo particulari Causa autem lerlia esl,' quia sie non

conlingit itcralio in doclrina , propterea quod , qui facü doctrinam per liunc modum,

monstrare puterit per se ex proposilionibus veris seorsim el probabilibus seorsim el

reliquis eliam speciebus propositionum.

334) Die Stelle ist oben, Anm. 230., angeführt.

335) Posler. Resol. f. 127. r. A.

336) Ebend. f. 131. v. B.

337) f. 137. r. B.

338) f. 138. v. B u. f. 141. v. A.

XVI. Pseudo-Averroes. 385

aristotelischen Texte, welche bei Alfarabi oder bei Avicenna zu Tag

kam, zurückweist. Ebenso strenge hält er an der ächten aristoteli

schen Lehre bei Erklärung der Stelle (Abschn. IV, Anno. 655 f.), welche

die syllogislische Nothwendigkcil betrifft339), bei der Krage über das

Beweisen der Principien in einer Wissenschaft340), bei der vielbe

sprochenen Stelle (Abschn. IV, Anm. 162), aus welcher man das principium

idenlilalis herausgelesen halle341), hei der „demonslralio quia"

und der „demonslralio propler quid" 342), und insbesondere hei den

Erörterungen über das Vcrhältniss zwischen Demonslration und Defini

tion343).

Endlich der Commentar zur Topik isl gleichfalls nur als eine eint

heilend« und numerirende Exegese des aristotelischen Textes zu be

zeichnen, und das einzig Bemerkenswerlhe dürfte sein, dass hiebei sich

Averroes häufig auf den uns verlorenen Coniinentar des Themislius

(Abschn. XI, Anm. 95) stützte 344). Ebenso bleibt die Erörterung der

Saph. Elenchi, welche auch er nach dem Vorgange Alfarabi's (Anm. 64)

in zwei Bücher theilte 345), innerhalb der hloss exegetischen Aufgabe.

Lassen wir hiernach zunächst jene Epilome folgen, welche von

den Lateinern für eine Schrift des Averroes gehalten wurde (s. Anm.

290), so kann man über dieselbe im Allgemeinen kein ungünstiges

Urtheil fällen, denn der Verfasser versteht es, in einer klaren und über

sichtlichen Darstellung, welche zuweilen nur durch den Ueberselzer

verdorben zu sein scheint, den Hauptinhalt des Organons (mit Einschluss

der Rhetorik und Poetik) zu entwickeln. Manche Eigentümlichkeiten

aber dieses Buches machen es nothwendig, dasselbe etwas näher zu

betrachten. Die Aufgabe der Logik, welche die Geltung einer Hilfs

wissenschaft habe (s. unten Anm. 380) , wird in der bei den Arabern

üblichen Weise, aber mit neuer Terminologie, darein gelegt, dass sie

die Regeln über formalio und verificalio , d. h. über Definition und Ar

gumentation, zusammenstelle346). Und indem für diese beiden Zweige

339) f. 143. r. A.

340) f. 151. r. A.

341) f. 154. v. B.

342) f. 159. r. A.

343) f. 199 ff.

344) Z. B. Top. f. 266. r. A u. B, f. 274. v. B, f. 275. v. A, f. 291. r. A,

u. s. f.

345) f. 332. r. A.

346) Epitome, f. 341. r. A: Intenlio in hoc sermone est , colligere sermones

nccessarios in hac arte logicae ad cognitionem regularum parlium formalionis et verificalionis,

quae fiunl in tot a arte logicae (diese Terminologie ,, formalio" und ,,verificalio",

für welche wir bisher stets „definilio" und „demonslralio" trafen, scheint

der späteren arabisch-jüdischen Litteratur anzugehören; s. unten Anm. 419.)

Dicamus itaque, quod, ex quo fuerunl omnes quaestiones, quarum cognilio appelitur

in omnibus arlibus speculalivis , duarum specierum esl, videlicel formalio et verificatio;

el fuil formalio id, quod esl intelleclus rei per id, quod constiluit substanliam

suam, vel per id, quod existimalur, quod comlilual subslantiam suam, el eril

id, de quo quaeritur ul plurimum diclione „quid"; et verificalio esl inlelleclus rei

per id, quod dicilur ipsius disposilio quaedam, et esl id, de quo quaeritur ut plu

rimum diclione „utrum" .... el cum diclione ,,an".

PRANTL, Gesch. II. 25

386 XVI. Pseudo-Averroes.

ein doppeltes Moment in Betracht komme, deren eines die Richtung

bezeichne (dirigens), während das andere (agens) die Verwirklichung

mit sich bringe34'), so ergibt sich zunächst eine Vierlheilung des

Stoffes, insoferne in der Worlbezeichnung (significatio diclionum) die

Richtung und in der Isagoge nebst den Kategorien die Belhälifjung der

Definition liege, sowie entsprechend das Urtheil mit seiner Gegensätz

lichkeit des Wahr- und Falsch-Seins die Richtung und der Syllogismus

die Bethätigung der Argumentation euthulle, und erst nach dieser vier

fachen Erwägung folge die Betrachtung desjenigen, wodurch die ein

zelnen Definitionen und Argumentationen je nach ihrem topischen oder

apodeiktischen oder rhetorischen udor sophistischen oder poetischen

Charakter bestimmt seien 348).

Der erste die blosse significalio als solche betreuende Abschnitt

bespricht die Begnll'e des Synonymen u. dgl. in grösster Vollständigkeit,

indem nicht bloss neben den üblichen auch das disparalum, das n-aimlalum,

das acuommodalum, erwähnt werden, sondern unter der Bezeich

nung commune et speciale auch die fünf Universalien ihre formelle Be

rücksichtigung finden 349).

Die materielle Geltung aber der Universalien, welche von Averroes

als unnölhiges Beiwerk des Organons bezeichnet worden waren (Ainii.

294), bildet den ersten Theil des Abschnittes, welcher sieb auf das

agens der Definition bezieht, und auf eine Begriffsbestimmung des Uni

versale und des Singulare, welche genau mit jener des Avicenna (Anni.

88) übereinstimmt 35°), folgt die nähere Angabe der fünf Worte, wobei

z. B. erwähnt werden mag, dass jene bestritlene Relativität der Defini

tionen des Gattungs- und Art-Begriffes (Anin. 113 u. 296) hier ohne

347) Ebend. : Et oportuit, quod praecedat quamlibet istarum diseiplinanun (der

Text gibt discipulo) duae parles nntitiae, aut agens aut dirigens. Dirigens quidem

ad formationem est, quae significatur per diclionem separatem; agens vero est ex

rebus, quibus sibi constat res, et illae sunt partes deßnitionum et definitiones. Verificationis

vero diric/ens est detcntio veritatis apud quaestionem duarum parlium oppositionis;

sed agens ipsam esl Syllogismus.

348) Ebend. : Sicque dividemus perscrutalionem huius artis necessario ad has

quatuor partes. Et incipiemus a traclatu significationis diclionuii in universali;

deinde procedemus ad sermonem de rebus simplicibus (ausgefallen ist et compositis)

agentibus formationem. Ullerius procedemus ad sermonem de rebus , quibus opposita

sunt opposita adeo, quod veritas Iranseal in unam earum- postea loqnetnur de syllogismo

et specicbus eius simpliciler. Rursus progrediemur ad id, quo proprie terminantur

singulae formatiertes et veriftcationes simpliciter , et illa est disciplina

propria, quae fit in singulis quinque artium, dico demonstrativ am et topicam et

ceteras.

349) Ebend. f. 341. r. B: Sermo de significutione dictionum. Nomina quaedam

sunt aequivoca; et eorum sunt nomina Synonyma, univoca,

disparala, translata, accommodala, et eorum sunt, quae dicuntur secundum

commune et speciale, et eorum sunt nomina denominativa. Vgl. Antn. 91.

350) f. 341. v. A: Sermo de rebus agentibus formationem. Et res incomplexae

vel sunt universales vel particulares. Et universale esl res, cui possibile est ex

substanlia formationis eius in intellectu solo, quod praedicelur de pluribus, quam

de una re Verumtamen singulare est id, quod impossibile est ex substantia

formationis eius, quod praedicetur de plus quam singulari uno.

XVI. Pseudo-Averroes.

allen Argwohn zu Grunde gelegt wird351)- Der zweite Theil dieses

Abschnittes enthält (im Gegensatze gegen die Einfachheit der Univer

salien) bereits Zusammengesetztes, aber nicht dasjenige, welches im

Urtheile eine wahre oder falsche Verbindung darbietet, sondern jenes

Zusammengesetzte, welches in den verschiedenen Formen der Definition

ausgesprochen werde, indem dieselbe entweder als eigentliche Definition

das gesammte substantielle Sein eines Gegenstandes darlege oder als

Beschreibung denselben nur aus einzelnen Wesenshestimmungen erkläre,

oder endlich keines von beiden thue, sondern nur ein Accidenlelles an

dem Gegenstände heraushebe352). Nur ein Behelf aber zur Definition

seien die Kategorien, deren Kenntniss an sich nicht zur Logik gehöre

(vgl. Algazeli, Anni. 257), und nachdem der Verfasser in einer an Avicenna

(Anm. 93) erinnernden Weise den Unterschied zwischen dem

quidditaliven Sein und den einzelnen Wesensbestimmungen sowohl für

das Universale als auch für das Singuläre als güllig bezeichnet und

somit die Kategorien an den Begriff des Universale knüpft, um dieselben

dann in üblicher Weise kurz zu erörtern353), schliesst er diesen Ab

schnitt mit der Bemerkung ab, dass die Kategorien zugleich eine logische

und eine reale Bedeutung haben, jedoch nach der ersteren, in welcher

sie Erzeugnisse der denkenden Seele sind, ein Moment enthalten, wel

ches gemeinschaftlich sowohl der Definition als auch der Argumentation

angehöre 354).

351) Ebend.: Et universalia incomplexa sunt quinque: genus, species , differenlia,

proprium el accüleus. Genus quidem et species dicilur ulrumque eorum in

ordine ad allerulrum u. s. w Accidens esl .... duarum specierum, separabile

et inseparatiile u. s. f.

352) f. 342. r. A: Sermo de rebus compositis. Res quidem composüae ex istis

incomplexis sunl duarum specierum. Una est, cuius composilio est compositio enuntialionis,

et ipsa esl, cuius viae est, quod verificetur et falsificetur , et sermo iste

esl ex appropriatis (über diesen Ausdruck vgl. Anm. 52.) sermonibus veris. Et

species secunda compositionis esl compositio condilionis el copulalionis , el ipsa esl

cumposilio, quae non verißcatur neque falsificalur, scd ulimur ea in formalione. Et

esl Irium specierum, videlicel definitiv et descriptio et sermo, qui non esl definilio

neque descriplio. Sicque -deftnilio est sermo, cuius compositio esl condilionis el copu

lalionis ad inlellectionem definili per res substanlialcs, quibus esl sui consistenlia, et

ipsa componilur ex genere et differentia. El descriptio esl sermo, cuius compositio

esl condilionis el declarationis declarantis rem, super quam significat , non per omne

id, quod consliluil subslantiam sui /'.'/ sermo, qui non est definilio neque de

scriptio, componilur ex specie et accidente, sicut est dictum nostrum de Socrate,

quod ipse sil homo albus.

353) Ebend.: El quoniam decem praedicamerila adiuvanl formationem , decel,

quod loquamur et reminiicamur de eis quidquam, Ucet non sil notilia eorum necessaria

isti inlenlioni, quam inlendimus. L 342. r. B: El universalia sunt duarum

specierum: praedicatum, quod praedicat de eis praedicalione nalurali subslantiam

suam et quiddilatem suam El alia species nolifical de subiectis aliquibus ....

res exeuntes a quiddilale eorum Et singularia etiam sunt duarum specierum:

singulare, quod praedicalur de aliquo omnino praedicalione secundum viam naturalem

el ipsum est singulare subslanliae; et singulare, quod non nolißcal in praedicalione

aliquid de aliquo quiddilalis suae, sed rem exeunlem a quiddilale sua, el ipsum esl

singulare accidenlis El genera islorum universalium suprema ipsa sunt, quae

vocanlur praedicamenta, et secundum quod numeraverunt ea antiqui , sunl decem:

subslanliae el neuem accidentium.

354) f. 343. r. A: Sermo de rebus communibus formationi et verißcationi sim-

25*

388 XVI. Pseudo-Averroes.

Der drille Abschnill, dessen Gegensland das ilirigens der Beweis

führung, nemlich das der Gegensätzlichkeit des Wahren und Falschen

fähige Urlheil ist355), bewegt sich überwiegend in dem forlgesetzten

Gesichtspunkte des Einlheilens; nemlich vorerst werden die Urlheile

wie bei Averroes (Anm. 312) unter Wiederholung einer dortigen Be

merkung über das arabische Verbum (Anm. 310) in binar ia und ternaria

eingetheilt 35ß), worauf die Unterscheidung nach der Qualitäl in

bejahende (simplices), verneinende (remotivae) und privalive (vgl. Anm.

260) folgt357), um hierauf die Eintheilung nach der Modalität (mit der

Terminologie „invenliva" für „de inesse") anzureihen 358), und all diese

sich kreuzenden Einteilungen abermals durch den Gesichtspunkt der

Quantität zu durchkreuze;!, wobei beachtet werden mag, dass auch hier

(vgl. Anm. 214) die Bestimmungen der Quantilät als „signa" bezeichnet

werden359). Sodann folgt die Erörterung der Gegensätzlichkeit, je nach

dem die Urlheile singulär, conträr, conlradictorisch, subconlrär oder

unbestimmt sind 36°), und es wird die Untersuchung hierüber sowohl

pliciler. Isla ilaque sunl genera mayis universalia rebus smsalis, et species islorum

et genera eorum sunl subiecla in sciciuiii. Sed islud esl duobus modis distinclis,

quia .... ex eo, quod contingunl eis, in inlelleclu secunda, quorum invenlio est certe

in inlelleclu , solum erunl logiculia , quia ars lugicae certe tribuet regulas de islis

generibus ab inlelleclis , et isla omnia sunl res inlellectae , quarum inventio

non est extra animam Verumlamen dum accipiuntur ex eo, quod sunt intellecta

rerum sensalarum extra animam , erunl realia , vel mathematica vel alia ab islis.

El hie perßciam sermonem de rebus communibus /'ormalioni e't verificationi simpliciter

et procedemus ad id , quod limital proprie verißcutionem.

355) f. 343. r. B: De dirigentibus ad tierißcalionem. Formae autem , quae

limilant verißcationum , sunt duorum generum: genus verificationis quaestionis et

distinclionis ipsius in duo opposila adeo , quod detineatur veritas alterius Hierum ;

et genus secundum esl veriftculionis sermonis composili agentis verificalionem , et est,

quod nominaler Syllogismus. Et incipiemus in genere primo, quia ipsum est primum,

quod verificabilur anle omnem rem in quaeslione et est notitia praesupposita verißcationi;.

deinde procedemus ad verißcandum per syltoyismum.

356) Ebend.: Enunliationum quaedam est binaria et quaedam est trinaria;

binaria autem est, cuius praedicatum (der Text gibt praelerilum) est verbum , et

isla est trium speciertim , vel quod /'uerit eins verbum praelerilum vel futurum vel

praesens, sed non invcnilur in lingua Arabum impositio significans super significalttm

praesens ; ternaria autem est , cuius praedicalum est nomen.

357) Ebend.: El utrarumquc istarum, et binariarum et trinariarum, quaedam

sunt simplices, et earum sunl remolivae, quarurn praedicatum est nomen vel

verbum imperfectum , sicut si dixerimus „Socrales non esl sanus", et quaedam

sunl privativae, privalio autem uniuersaliter est, quod deficiat habitus, cuius

consuetndo esl.

358) f. 343. v. A: El cuiuslibel speciei istarum enuntiationum .... quaedam sunl

non habenies modum et quaedam habentes modum Et modi primi sunl tres:

l'ossibile .... et necessarium et inventiva.

359) Ebend. : El unuquaeque istarum enunlialionum vel cril kabens signum vel

non hüben s signum, el sunl enunliationes , quarum subiecla sunt res universales, et

signa sunt quatuor: ,,0mne" et „Nullum", „Aliquod" el „Nun aliquod" et ipsum

esl in gradu dicti noslri „Non omne". "•

360) Ebend.: Omnes autem species enunliafionurn, quarum consueludo esl,

quod opponanlur, aliquando sunt oppositae secundum afftrmationem et negalionem

adeo, quod secernant veritalem et falsitalem, et aliquando non sunt oppositae secun

dum affirmulionem el negalionem Orationum aulriii oppositarum sunl quinque

XVI. Pseudo-Averroes. 389

bezüglich der modalen Arien361) als auch nach Her Qualität der Urtheile

in Verbindung mit der Modalil.1t derselben geführt 362).

Indem sodann als vierler Gegensiand, neinlich als agens der Argu

mentation, der Syllogismus sich anreibt3113), kann bemerkt werden,

dass der Verfasser ebenso wie Averroes (Anm. 320) 36 mögliche Combinationen

der Urtheile annimmt 3(i4) und auch in der Polemik gegen

die vierte Galenische Schlussligur sich an denselben (Anm. 322) anschliesst,

ja noch ein tieferes Moliv hinzufügt, indem er hervorhebt,

dass die feste Bestimmtheit des Mitlelhegrifles be/üglieh des im Syllo

gismus beabsichtigten Beweises das Entscheidende sei 3B5). Jene Syllo

gismen, wi'lche auf Verbindung der Uitheile des Slallfindens mit modalen

beruhen, bleiben hier ebenso wie bei Algazeli (Anm. 269) weg, hin

gegen eine ausführliche Erörterung finden auch hier die hypothetischen

Schlüsse, deren Vorhandensein bereits in der arisloleliscben Definilion

des Syllogismus liege380); und mil der üblichen Zweilheilung in conditionale

und disjunclive finden wir hier, was die ersleren betrifft, eine

Wiederholung der Theorie AlgazelL's (a. a. 0.), womil sich jedoch auch

eine Berücksichtigung der logischen Qualität des Vordersatzes und Nach

satzes verbindet, so dass biediirch die Zahl der conditionalen Schlüsse

auf 24 steigt367); in ähnlicher Weise wird hei den disjunc.tiven auf

species; quaedam sunl singulares ei quaedam sunl conlrariae et quaedam

xn i/l contradicloriae et quaedam sunl subcontrariae et quaedam sinn, cum

quibus non coniungitur signum omnino .... et ipsae sunt indeßnilae.

361) f. 343. v. B: Et expedil, considerare, qtialiter secernant species islarum

oppositarum verilatem et fatsilatem in omnibus tribus maleriis, quae sunt possibilis

et inventi et necessarii.

362) Ebend.: Quoniam autem enunlialiones simplices et remolivae et privativae

sunl etiam opposilae, poslquam simplices significant super dispositioncm et liabilum

et remotivae et privalivae super privalionem, iam convenil, quod comparetur inier

eas el inier oppositionem a//irmalivae et negativae et considerelur, an ipsarum discrelio

veritalis et falsitatis sit secundum tmum exemplum nee ne. Natürlich wird lelztere

Frage verneinend entschieden, und zwar in einer höchst ausführlichen Darlegung

(f. 344. r.), welche bei jeder Species des Gegensatzes wieder die drei Arten der

Modalität berücksichtigt.

363) f. 344. v. A — 346. r. B.

364) f. 345. r. A.

365) Ebend.: ,Y<.w evenirel necessilas conclusionis , quando accepla fuerit illa

habiludo, quae est inier duas praemissas ad quaesitum indeterminalum , et qualitercunque

contigerit, mßceret huit, quod sit una earum , quaecunquc fuerit, affirmalii'it,

qualiscunque fuerit secundum quanlitatem suam, el allera universalis , qualiscunque

fuerit secundum qualilalem suam. Verumlamen dum accipietur ista habiludo,

quae esl inter duas praemissas in respcclu ad quaesitum delcrminalum, quod esl inlentum

in hoc libro, maior necessario eril universalis el minor afftrmativa; el ideo

reliquit Aristoleles ßguram quarlam, quam posuit Galenus.

366) f. 346. v. A: Quoniam aulem iam acceplum esl in definilione syllogismi,

quod ipse sit oratio , in qua positae sunl res plus, quam una, el fuil modus posilionis

duplex, quorum unus esl modus praedicalionis el aller esl modus condilionis,

iam utique decel, quod sermonem transferamus in hoc Syllogismi quidem conditionales

dividuntur secundum parles dictionum conditionis in coniunctum et disiunclum.

367) Ebend.: Quoniam consequenlia quaedam sunl perfecta conseculione

et quaedam sunl, quae non sunl perfecla conseculione, illa quidem, quae

390 XVI. Pseudo-Averroes.

die vier Arten des Gegensatzes hingewiesen und auch eine Dreitheilung

der Disjunclion aufgestellt, je nachdem dieselbe hloss dichotomisch oder

in begränzler oder unbegränzler Zahl der möglichen Mittelstufen polytomisch

ist 368). Von dem (ihrigen Inhalte der ersten Analytik wird

nur noch die deduclio ad absurdum 3li9) und die Verflechtung mehrerer

Syllogismen zu Einer Beweisführung erwähnt310), hingegen die Lehre

von der Induclinn, sowie von der logischen Geltung des Beispieles und

des Indiciums ausdrücklich abgewiesen 371).

Soll aber nun dasjenige, was die übrigen Araber den Stoff der

Argumentation genannt hatten, folgen, so stellt sich der Verfasser auf

den Standpunkt, dass es sich nach Erörterung des Bisherigen noch um

die praktische Verwirklichung handle, und da in dieser Beziehung für

die unvollkommneren Stufen der Wissenschaften die Argumentation»-

Weise der Topik ebenso zweckdienlich sei, wie für die vollkommnen

das apodeiktische Verfahren, so stellt er im Gegensatze gegen Averroes

(Anm. 334) niit aller Entschiedenheit die Topik zwischen die erste und

zweite Analytik372), und entwickelt- hiemit sofort jene Topen, welche

componunlur ex duabus imperfeclis (der Text gibt perfectis) concludenlibus , stml

duarum specierum , quarum una est repetens antecedens per se et condudens consequens

per se, in secunda autetn specie repetilur oppositum consequentis et concluditur

oppositum antecedenlis (f. 346. v. B) Verumtamen species, quae com

ponuntur ex composilis, quae sunt perfcctae eonseculionis, sunt quatuor omnes species

concludcnles Quoniam coniunclionis quaedam esl coniunctio afftrmalionis cum

a/fmualione, et quaedam negationis cum afftrmalione , .... et quaedam affirmationis

cum negalione , et quaedam negationis cum negatione, dum multiplicabuntur

per divisionem primam sei species , erunt species concludentcs viginti

quatuor.

368) f. 347. r. A:' Syllogismi quidem conditionales disiuncti sunt, qui compo

nuntur ex contradictoriis , et contradictoria sunl, quae impossibile est quod coniunganlur

simul in uno subieclo et ex una parte et in uno lempore ; sicque in summa

species oppositorum in eis sunt afßrmatio et negatio, privatio et kabilus, et contrario

et relataa. Istarum autem quatuor specierum quaedam sunt perfeclae contradictionis

et quaedam sunt imperfectae /•.'/ i stumm quaedam sunt, quae opponuntur duobus

solum, et illa est secunda species, in qua componuntur conlraria, inter quae

esl medium dclerminali numeri, qui vero componuntur ex opposilis, quae sunt

imperfeclae cuntradictionis , est species terlia ipsius speciei syllogismi; illi ut plurimum

componuntur ex conlrariis, inier quae est medium indelerminati numeri.

369) f. 347. r. B (s. Abschn. IV, Anm. 623.).

370) f. 347. v. A (Abschn. IV, Anm. 586 f.).

371) f. 348. r. A: Sed sermo de iiiductione et exemplo et signo est ex his,

quae propria sunt unicuique arti et unicuique verificationi.

372) Eb«nd : El dicemus , quoniam normae exhibitae in hac arte sunt duarum

specierum, species agens et species notificans; sicque iam praecessit sermo de rebus,

quibus sciuntur species sylloyismorum et modi eorum; iam itaque contienil , quod

loquamur de normis, quibus poterunl fteri syllogismi, quia iam semita scientiae formae

rei est alia a scientia operationis eius (f. 348. r. B) Et propter hanc

eandem rem non faciemus menlionem de his sermonibus nisi de illis, quorum consuetudo

est, ut veniant in usum demonstrationis Normarum vero, quibus funl

syllogismi lopici , certe opus est apud perscrutalionem arlium , quae nondum sunt

perfectae; sed ad Mas, quae perfeclae sunt, iam non est opus eis nisi ex parle

illius , quod melius esl. Verumtamen alia intentio, qua visum est nobis, quod referamus

istas normas, est, ex quo demonstratio est ea, quae est pracslantissima

rerwn, quas intendimus, sicque visi sumus nobis, ne abbreviemus in normis suis rei

XVI. Pseudo-Averroes. 391

sich auf die Definition und auf die Gegensätze beziehen373). Erst hier

auf geht er mit der Bemerkung, dass dieses Letztere gemeinschaftlich

der Definition und der Argumentation diene, auf den Inhalt der zweiten

Analytik und auf die dortigen Begriffe des Allgemeinen und Nothwendigen

über3'4). Eigentümlich ist ihm die Einteilung des demonstra

tiven Verfahrens in drei Arten, deren erste den ohjectiven Realgrund

und zugleich den subjectiven Erkenntnissgrund enthalte, während eine

zweite nur den ersteren und eine dritte nur den letzteren Causal-Zusammenliang

darbiete, wobei es sieb von selbst versieht, dass bezüglich

der ersten Art alles Gewicht auf den Mitlelbegrill' lallt375); bei dem

zweiten Verfahren , welches nur auf den objectiven Realgrund geht,

drängt sich eine Verwahrung gegen das „pont hoc, ergo propler Aoe"

auf, und in dieser Beziehung werden vier Modalitäten des Zusammen

hanges zwischen Früherem und Späterem unterschieden, wovon nur die

Eine vollständig syllogislisch genügt, in welcher eine Umkehrharkeit der

Abfolge stattfindet376); die dritte jener Arten gehört dem Gebiete an,

welches Aristoteles (Abschn. IV, Ainn. 272 ff. u. 546) als das „Meistentheils"

bezeichnet hatte377). Nachdem hierauf die Erörterung des defiad

atlingendum ipsam, immo cum eis meminerimus de rebus, quibus erit

comprehensio melior el nobilior, et non est dubium, quod Optimum in cognilione, demonslrationis

sit, quod secernamus ipsam el meditemur super operationem eius. Haec

ergo esl ulilitas, quam intendimus in hac parle logicae, et manifesla est ex his,

ijuae ili.i inii/x , inlf n l /n iua et ordo suus et proportio sua, et hoc est, quia li wi

est pars sermonit sy llo gismorum , et quae conveniut, quod legalur posl cognitionem

syllogismi et specierum eius et suorum modorum et ante librum Demonstralionis.

373) f. 348. v. A — 350. T. B , neinlich f. 349. r. B De locis compositionis,

f. 349. v. A De locis deßmtioni s , f. 350. r. A De locis oppositorum.

374) f. 350. v. B: Postquam autem »am locuti sumus de rebus communibus

speciebus formationis et verificalionis , dicemus itaque ea, quae propria sunt itnicuique

illarum, et incipiemus a veri/icatione vera et formatione perfecla. De demontlratione.

Dicimus, quod demonstratio universaliter sit Syllogismus compositus ex

duabus praemissis veris. universalibus necessariis per se.

375) f. 351. r. B: Oportel, quod dividalur Syllogismus demonstrativus in tres

species ; prima itaque species scitur per demonslralionem simpliciter et est de

monstratio causae et invenlionis simul, el secunda scilur per demonslralionem causae,

et tertia per demonstrationem inventionis el signi. Inchoabimus ilaque primo a demonslratione

causae el invenlionis, quia ipsa est nobilissima hanim specierum. Et

dicimus, quod oporlet necessario in hac specie syllogismi cum hoc, quod esl utilis

scientiis veris, quod tradal cum hoc causam adeo , quod medius terminus in ea sil

causa duarum rcrum simul, i. e. cognitionis rei et causae rei.

376) f. 352. v. B: Species vero demonslrationis causae sunt quaedam specierum

demonstrationis essendi et causae simul, et illarum condttiones sunt islae eaedem

condiliones et sua proprietas f»( haec proprietas , sed differentia inter eas est, quoniam

in hac esse est notum apud nos per primam notiliam aul per syllogismum,

sed per illam quaerilur nolitia causae tanlum Quoniam autem non conlingit

ostendere per quodvis posterius , quod conligerit, quodlibet prius , quod contigerit,

convenit cxponere hoc quadam explicatione. Dicimus itaque, quod prius et posterius

sunl secundum qualuor partes, quarum una esl, quod ex essendo ulrumlibet eorum

sequalur alterutrum, el haec sunt, quae sunt praedicatione convertibilia ; se

cunda autem pars est, q«od prius sequatur ad esse ipsum poslerius et non converlulvr

; tertia pars est, quod sequalur posterius ad esse prius et non sequalur

prius ad esse posterius ; quarta pars esl , quod non sequatur ad asse unum

eorum allerulrum.

377) f. 353. r. B: Demonstratio vero euidenliae pro maiori parle eveniet in hac

392 XVI. Spätere Araber.

nilorischen Wissens379) und der Praxis des Defmirens 379) gefolgt ist,

reiht sich an einer hier unerwarteten Stelle durch Anknüpfung an die

Theorie über das Zustandekommen der Wissenschaften eine Notiz über

die Einlheilung der Wissenschaft an, wobei neben den praktischen und

den theoretischen Disciplinen die Logik den Beruf erhält, das Denken

zur Erforschung jener anderen beiden Wissensgebiete zu unterstützen,

und zugleich jene obige Bemerkung aus Avicenna (Anm. 231) sich

wiederholt, dass Metaphysik und Topik und Sophislik in der Allgemein

heit des Gegenstandes zusammentreffen , während sie sich nach den

ihnen eigentümlichen Aufgaben unterscheiden 38°).

Hernacb folgt die Erwähnung des rhetorischen Verfahrens der

Argumentation381), woran sich die Sophistik knüpft382), bezüglich

deren erwähnt werden kann, dass eine von Alfarabi (Anm. 65) einge

führte Ergänzung, welche die „Iranslalio" zum Gegenstände hat, hier

als vollständig recipirt ausführlich besprochen wird383).

Endlich nach der Hinweisung darauf, dass nun Wahrheit und Täu

schung bezüglich der Definition und Argumentation hinreichend erörtert

seien, folgt noch eine Darlegung des topischen Beweisverfahrens384),

und eine Inhalts-Uebersicht der Rhetorik 385) sowie der Poetik 386) bildet

den Schluss des Ganzen.

Sehr kurz hingegen dürfen wir uns über die dem Averroes zuge

schriebenen Quaesila fassen, und insoferne wir von der Unächlbeit

derselben überzeugt sind (s. Anm. 289), stehen sie uns jenen „Divermateria

in accidenlibus , quae esse scquitur rem conseculione pro maiore parte , ul

werkt gratia, quando homini patienti torturam oris accidil apoplexia.

378) f. 353. r. B: Formationum aulem perfeclissima est, quae intelligitur per

deßnilionem , et deßnilifi tandcm est , cuius composilio csl composilio f.lausulae con~

dilionis et nexus explicans significatum deßnili per res essentialcs.

379) f. 353. v. B : Ordo vero partium definilionum in composilione est , quod

praeponamus universale et id, cuius modus est modus materiae , et poslponamus

parliculare et id, cuius modus esl modus formae.

380) f. 354. r. B : Arles .... dividuntur in tres parles, scilicel in arles, quarum

finis est solum operatio , et in arte s , quarum finis esl solum scientia,

et in arles adiuvantes islas , quae sunt artes , quae dirigunt intellectum ad perscrutationem

liarum duarum artium, et est ars logicac aul ei proportionales Quaedam

sunt artes universales et illae sunt trhim partium, ars primae philosophiae,

ars topica, et ars sophistica Modus vero considerandi in prima philosophia

est intellectio entis secundum disposilionem , qua est secundum esse Artis vero

topicae considerationis de cnte exemplum est consideratio vulgali , quo quaeritur 'rei

confirmalio aut ipsius confulatio Ars vero sophislica habet sua principia,

quae sunt ea, de quibus aeslimatur , quod sinl vera, cum non sunt vera, et de

quibus aeslimatur, quod sinl divulgala, cum non sunt divulgala,

381) f. 355. r. A.

382) f. 355. v. A.

383) f. 357. v. A: Translatio vero et permulatio est, quod translatio semper

sit ad id, quod polest capi vice rei et pulalur , quod sil ipsa res, et fallil,

n. s. w.

384) f. 357. v. B : Poslquam autem iam locuti sumus de rebus , ex quibus

cognoscitur verificatio vera et formalio perfecta , et postea loculi sumus de rebus.

quae fallunl in eis, loquemur ilaque de verificalionibus lopicis.

385) f.- 358. v. B.

386) f. 360. v. B.

XVI. Spätere Araber. 393

sorum Arabum Quaesita"3^1) völlig gleich, welche ebenfalls den Latei

nern kund geworden waren. Beide gehören der oonlrovertirenden Exe

gese des ürganons an, und indem wir auch hier nicht die Absicht

haben können, in die Litleratur- Geschichte der späteren arabischen

Epoche einzugreifen, müssen wir uns bei der Bemerkung begnügen,

dass durch jene verschiedenen Quaesita, welche uns oben häufig als

Quelle gedient hallen, das lateinische Abendland manche einlässlichere

Besprechungen jener hauptsächlichen Controversen empfieng, welche uns

bereits bisher fast hei allen arabischen Logikern begegnet waren. So

handelt es sich um die Definitionen des Galtungs- und Art-Begriffes 3S8)

oder um das Verhällniss der Namenserklärung zur Definition 389), sowie

in der Lehre vom Urtheile um jene schon von Anderen (Anm. 40 f. u.

313 f.) besprochenen Schwierigkeiten bei Häufung der Prädicate und

bei Urlheilen über nicht-exislirende Suhjeele 39°), oder um die Stellung

der Negation bei Möglichkeits- oder Nothwendigkeits-Urtheilen 391). Aus

dem Umkreise der ersten Analytik begegnen wir hier wieder den Fragen

über das Verhällniss der Urtheile des Stattfindens zu den modalen 392),

über die Umkehrung393), über die aus Urtheilen verschiedener Moda

lität gemischten Syllogismen 394), und über die Berechtigung der hypo

thetischen Schlüsse395). In der zweiten Analytik war es hauptsächlich

die Controverse über Alfarabi's (Anm. 51 ff.) Auffassung des demonstra

tiven Verfahrens396), woran sich dann die Erörterung über praedicalum

pn'mum397) und über die syllogislische Nothwendigkeit anschliessen

musste 398), und ebendahin gehörte selbstverständlicher Weise die Frage

über die im Mittelbegriffe liegende Causalität 3"). Auss,er dem Grund

satze (Anm. 340), dass die Priricipien einer Wissenschaft nicht in eine

andere zu übertragen sind400), war ein gebotenes Thema von Conlro-

387) f. 380 ff.

388) Divers. Ar. Quaes. f. 380. r. A.

389) Ebend. f. 381. r. B.

390) Ps.-Averr. Quaes. f. 361. r. A.

391) Div. Ar. Quaes. f. 383. r. A.

392) Ps.-Averr. Quaes. f. 362. r. A.

393) Ebend. f. 363. r. A.

394) Ebend. f. 363. v. A, f. 364. r. A, f. 370. v. B. Diners. Ar. Quaes. (.

381. v. A.

395) Ps.-Averr. Quaes. f. 368. r. A.

396) Ebend. f. 371 ff. Div. Ar. Quaes. f. 382. v. B.

397) Ps.-Averr. Quaes. (. 380. r. A.

398) Ebend. f. 375. r. A.

399) Ebend. f. 375. v. A. Div. Ar. Quaes. f. 383. r. B. Albert. M. Saph. El.

I, l, l, p. 840. A: Diät enim Isaac , quod ratio esl virlus collectiva faciens coire

causam in causalum, secundum quod causa sunritur in communi pro causa coruequentiae

et non pro causa consequcntis, sicut causa esl, quae causal decursum syllogisticum

per dici de omni et dici de nullo: sie enim logica est scientia de ratione

argumenlativa. Ebend. De praedicab. I, I, p. 1. B: Et hie modus (sc. scientiae)

esl per actum ralionis, qui raliocinatio sive argumentatio est, de cognüione cognili

procedens in scienliam eius , quod erat incognilum (s. Anm. 15.) , secundum quod

Isaac in libro de difftnitionibus rationem diffiniens dic.il, quod ralio esl animae intellectualis

virlus faciens currere causam in causalum.

400) Ps.-Averr. Quaes. f. 376. r. A.

394 XVI. Moses Maimonides. Levi Gerson.

versen der Unterschied der „demortslralio quia" und der „demonstralio

propter gutd" 401), sowie das VerhSItniss zwischen Demonstration und

Definition 402) und die näheren Bestimmungen über die Definition

selbst403).

Auch das fast berüchtigte Buch De causis , welches jedenfalls auf

arabische Litteratur als seine letzte Quelle zurückweist (s. d. folg.

Abschn.), konnte in der logischen Controverse über die Universalien als

Auctorität für eine bestimmte Parteistellung benutzt werden404).

Die Leistungen der Araber und namentlich des Averroes wurden,

wie bekannt, hauptsächlich in Spanien durch die Juden dem abend

ländischen Betriebe der Philosophie vermittelt 405). Sowie aber dieselben

überhaupt in völliger Abhängigkeit von ihren arabischen Vorgängern

lilterarisch thätig waren, so ist es auch auf dem speciellen Gebiete der

Logik nur Weniges, was wir hier über sie berichten müssen.

Wenn auch Moses Maimonides (geb. 1135, gest. 1204), wel

cher fälschlich für einen Schüler des Averroes oiler des Avempace ge

halten wurde 406), auf jüdische und christliche Theologie einen ziemlich

bedeutenden Einfluss ausübte , so ist seine hieber gehörige Schrift

„Vocabularium logicae" 407) in der That kaum erwähnenswerth, da sie

lediglich ein Excerpt der gewöhnlichsten Schuldoctrin enthält 40S).

Einigermaassen bedeutender ist Levi-Ben-Gerson (genannt Ma

gister Leon, in der Mitte des 14. Jahrb. blühend), dessen Commentare

zur Isagoge, zu den Kategorien, und zu De interpr. bereits von den

ihm gleichzeitigen Lateinern benützt wurden 409). Er folgt bei seiner

Exegese allerdings Satz für Satz und Zeile für Zeile dem Averroes,

ohne jedoch die Auffassung desselben stets zu seiner eigenen zu machen.

Mit Entschiedenheit vertritt er die Ansicht, dass die Logik Nichts wei-

401) Ebend. f. 377. v. B. Div. Ar. Quaes. f. 381. v. B.

402) Ps.-Averr. Quaes. f. 377. r. A u. f. 379. v. A.

403) Ehend. f. 378. r. B u. v. A.

404) Albert. M. De praedicab. II, 3, p. 14. A: Etiam per hoc confirmanl hoc,

quod dicunt , quod in Libro de causis multipliciler probatum est, quod res in causa

non est nisi per modum et mrtutem effecli per causam E/feclus aulem individuus

et singularis est; ergo forma, sive substanlialis sive accidcntalis , in effeclu

procedens ab intelligentia individua est et singularis. Universale autem nee indii'iduum

nee singulare est; universale ergo in e/fectu nalurae extra intelligentiam pro

cedens non est; in solis ergo et nudis purisque intellectibus posilttm esl.

405) Ueber diese Verdienste der Juden s. Renan, Averr. et l'Averroisme , p.

148 ff. und Munck, Dictionn. III, p. 362 f. Munck's Artikel „luifs" hat B. Beer

unter dem Titel „Philosophie und philos. Schriftsteller der Juden etc." Lpzg.

1852. 8. besonders herausgegeben.

406) S. über ihn Munck, Dictionn. IV, p. 21 ff.

407) Gedruckt Venet. 1550. 4.

408) Auch wenn z. B. Albert. M. De praedicam. III, 1. p. 122. A sagt: Inter

praedicabilia, quae sunt de natura accidentium subslantiae, primum occurrit praedicabile,

quod est quantitas , eo quod hoc immediale sequitur. ut dicit Rabbi Moyses,

so lohnte es sich nicht der Mühe, sich hiefür eigens auf Moses zu berufen (vgl.

Anm. 205).

409) S. über ihn Munck a. a. 0. IH, p. 364. Gedruckt sind die genannten

Commentare zusammen mit jenen des Averroes in den Ausgaben des Aristoteles

(Anm. 11. u. 288).

XVI. Levi Gerson. 395

teres als blosses Werkzeug der Wissenschaften sei410), und er bietet

den Lateinern die von denselben reichlich befolgte gute Lehre dar, dass

der Logiker von aller übrigen Wissenschaft sich fern halten könne, so

dass auch diejenigen sich hierauf berufen durften , welche den Streit

über die Universalien für die Logik bei Seite liessen 411). Bezüglich

der Aufnahme der Isagoge in das Organon bestreitet er direct obige

(Anm. 294) Ansicht des Averroes und schliessl sich an die übliche

Weise der Commentatoren an412); die Erörterung der gewöhnlichen

Controversen über die fünf Universalien bietet ausser einem Citate aus

Averroes Nichts hemerkenswertlies dar413). Die drei zunächst nach

der Isagoge folgenden Bücher» nemlich Kategorien, Lehre vom Urtheile

und erste Analytik, bezeichnete er ebenso wie der Verfasser der Epitome

(Anm. 348) als Erörterungen, welche allen fünf nachfolgenden

Verfahrungsweisen gemeinschaftlich seien, so dass das den letzleren

Eigenlhümliche den zweiten Haufdtheil der Logik bilden muss414).

Bei den Kategorien selbst, welche er ausschliesslich nur in realistischem

Sinne verslanden wissen will415), beschäftigt ihn unter Anderem haupt

sachlich die Einlheilung in Subslanz und neun Accidentien, sowie die

Frage über die Priorilät der Quantität vor der Qualität416); auch mag

410) Ad Porph. f. 1. r. B: Dicamus itaque , quod haec ars dirigit intellectum,

ut diiudicel inier verum el falsum, ....et sie hanc artem non esse scienliam, sed

organum ad scientias, est perspicuum.

411) Ebend. f. 1. v. A: Haec ars est principium ad omnes scientias, et ideo

non oporlet professorem huius scienliae habere noliliam de aliis scientiis, el idcirco

non debet considerare in hoc libro de his nominibus nisi quatenus sunl logicalia;

nam circa esse ipsorum universalium variae exstant opiniones apud sapienles.

412) Ebend.: Sed apud nos est quidem necessarium, ut sumatur initium ab

ipso (sc. introductorio) in hac arte, quoniam, turn initium huius arlis sit de significalione

simplicis locutionis el denlur in ea quaedum nomina, quae univoce dicunlur,

hac ralione nomina entium possunt reduci in exiguum numerum Adde

etiam, quod quicunque aliquem librum ediderit, profecto debet praeponere unnersalia

parlimlaribus .

413) Nemlich gelegentlich der verschiedenen Definitionen des Accidens sagt

Levi (f. 7. r. B): Tertia deßnilio esl, quae dicit, quod non est genui neque species

neque differenlia neque proprium et semper exislil in subiecto , et haec definitio est

data in arte lopica vel dialeclica, ul dixit Averroes in summula sua logicali; et re

vera est descriptio et non definitio. Jedenfalls suchen wir diese Notiz in der Epitome

(s. Anm. 290.) vergeblich.

414) Ad Praedicam. f. 12. v. A: Aristoteles praeposuit in hac arte logica tres

libros, qui sunt communes quinque artibus (s. Anm. 275.), quarum sententias declaravit

in reliquis quinque libris , el illi tres libri, qui sunt communes cunctis artibus,

sunt liber Praedicamenlorum et Perihermenias et Priorum.

415) Ebend. f. 13. v. B: Aristoteles vull Iraclare de his (sc. categoriis)

in hoc loco, quatenus existunt extra animam. non quatenus signißcant afßrmationem

vel negationem, quae est in anima.

416) Ebend.: Hie tarnen passet quis dubitare, cur Aristoteles non divisil enlia

in duo genera suprema tantum, nempe in suuslantiam et accidens , cum videatur

accidens univoce dici de omnibus praedicamentis accidentis quod hoc nomen ens dicilur secundum prius et posteri;usaddequocudnctdiiscepnrdauemdiecsat,

mentis, nam per prius dicilur de substantia el per poslerius de eorum ordine, ut si

dixeris , quantitatem esse primum accidens, quod recipial ipsum corpus et per ipsam

recipiat qualitatem Diynum praelerea invesligalione vidctur, quodnam accidentium

sit prius in substantia, utrum scilicet quantitas vel qualitas Si-il veritas

XVI. Levi Gerson.

noch erwähnt werden, dass er ähnlich wie Gilhertus Porretanus (Abschn.

XIV, Anm. 491) die Kategorie des far.ere durch alle übrigen Kategorien

hindurchführt417) und sehr ausführlich iiher quando, ubi und situs

spricht 41S). Bei Erklärung des Buches De inlerpr. , woselbst er ge

legentlich die übliche arabische Einlheilung der Logik in der Termino

logie „formalio" und „verificalio" (vgl. Anm. 346) vorbring»*19), be

zeichnet auch er (vgl. Anm. 260 u. 357) das privative Urtheil als eine

eigene Species420), schliesst sich aber, sowie er die das arabische

Verbum betreffende Bemerkung (Anm. 310 u. 356) erklärlicher Weise

auch für das Hebräische wiederhol!4'21), in allein Einzelnen völlig an

Averroes an.

Somit liegen nun sämmtliche Ingredienzien jenes logischen Betriebes

vor uns, welcher mit dem Eintritte des 13. Jahrhundertes im Abend

lande beginnt, und der erste Abschnitt des folgenden Bandes wird dar

legen müssen , wie die hoelhianische Tradition des früheren Miltelallers

und die erwachende Lectüre sämmtlicher Schriften des Aristoteles und

die Aufnahme byzantinischer Lilteratur und die Kenntniss der Leistungen

der Araber uianigfach nebeneinander treten oder sich vermischen, und

hiedurch eine neue Epoche, und zwar die üppigste und extensivste,

für die mittelalterliche Logik eintritt.

negolii est, quod qualilas individua est prior in ipso subieclo ipsa quantitate

propria, sed absolute et simpliciter loquendo quanlitas ipsa absolula est prior

in ipso subiecto qualitate absoluta.

417) Ebend. f. 24. v. A.

418) Ebcnd. f. 25 f.

419) De interpr. f. 35. v. A: Scienlia vel liabctur per coticcptum simplicem el

nominalur apud Arates formalio , vel per noliliam complcxorum et nominatur apud

Arabes uerificatio; Simplex igitur conceptus est notilia rei per dictionem simplicem

significatae , i. e. quidditalis unius rei etc.

420) Ebend. f. 36. r. A.

421) Ebend. f. 36. v. A.

REGISTER.

A, E, r, O 275.

Abälard 160 ff.

Abbo v. Orleans 51. *

abstractio 209, 248.

Abiinazar 301 ff.

acciiientale 326, 343.

Adulbero 58.

Adam v. Petil-Pont 104, 211 f.

Adelard v. Bath 140 f.

adiacenler 130.

adiacentia 179.

aequipollentia 197, 268.

agens 386.

Alanus v. Lilie 258 f.

Alberich 229.

Albericns v. Casino 76.

Alcnin 14 ff.

Alexander Aphrodisiensis 299.

Alfarabi 301 ff.

Algazeli 361 ff.

Alkendi 301.

ampliatio 288.

Anna Cornnena 263, 293.

Anonymus De gener, et specieb. 143 ff.

De inlelleetibus 205.

De inlerpret. 204.

De unit. et uno 228.

Sangall. De pari, loicae 63 f.

De syllog. 64 ff.

sec. XI 59 f.

Anseimus v. Canlerbury 85 ff.

Antepraedicamenta 76, 169, 273.

anliqui 229.

und modemi 116.

appellatio 288.

Araber 297 ff.

Aristoteles, neue Uebersetzungen des

106 ff.

Arnulph v. Laon 77.

Avempace 373.

Averroes 374 ff.

Avicenna 318 ff.

Barthulomäus 230.

Berengarius 72 ff.

Bernhard v. Chartres 125 f.

T. Clairvaux 111.

Bernward v. Hildesbeim 51.

Burgundio v. Pisa 106.

Byzantiner 261 ff.

catasylluyismus 257.

Cüllegium Constantinopolilanum 263.

colligere 140 ff., 219.

ruMllilHllitlllCS 358.

conceplio 205.

conceptus communis 26.

conformitas 22Q, 250.

consimilitudo 179.

Constantin der Karthager 83.

contimjcns u. possibile 198.

copula. 196, 266.

copulatives Urtheil 357, 366.

Cornißcius 231 f.

credulitai. 361.

Damiani 68.

David v. Hirschau 230.

Definition 134 ff, 192.

demonstratio nobilissima 313.

ijuia n. propter quid 317,

359, 372, 394.

Differenz s. Porphyrius.

dignitates 316.

Dionysius Thrax 290.

dirigens 386.

disjunctive Schlüsse 369, 381.

disparatum 386.

distributin 289.

398 Register.

dividentia 197.

dividuum 221.

Drogo v. Troyes 107.

dualis 379.

235 ff.

peripatelica 168.

ens 307.

Eric v. Auxerre 41 f.

Esels-Beweis 210.

essenliale 364 f.

expoaibüia 289.

fucullales 371.

fallaciae 371.

Farabi 301 ff.

forma substantialis 217.

foimae nativae 218.

formatio 396.

Formelbücher 71.

Franco v. Liittich 67.

Fredegisus 17 f.

Fulbert v. Chartres 59.

Galenische Schlussflgur 295, 380, 389

Garmund 123.

Gattungsbegriff s. UniVersalien.

Gaunilo 86.

Gauslenns v. Soissons 142.

Gazali 361 ff.

Gerbert 53 ff.

Gerson 394.

Gilbertus Porretanus 215 ff.

Gislbert v. Rheims 53.

Gunzo Italus 49 I.

Honorius v. Aulun 97.

Hrabanus Maurus 19 ff.

Hugo v. St. Victor 111.

Huguccio 125.

V7io»fais 280 ff.

hypothetische Schlüsse 310, 358, 381.

u. disjunct. Schlüsse 369,

381, 389.

Jacohus v. Venedig 99. '

Ibn-Badscha 373.

-Roschd 374 ff.

-Sina 318 ff.

identilas 220.

Jepa (?) 43 f.

imaginalio 361.

indifferentia 243. "•

Indifferenz-Lehre 138 f.

individualiter 129 f.

inesse 189.

informare 129.

Intellectualismus 205, 347 f., 365.

intellectus 182 ff.

b. d. Arabern 299.

conceptus 182.

coniungens el dividens 208,248.

Johannes v. Gorz 49.

Italus 293 f.

v. Salesbury 232 ff.

Johannes Scotus Erigena 20 ff.

Serlo 230.

Joscellinus v. Soissons 142.

Irnerius 71.

Isidorus Hispalcusis 10 ff.

Juden 394.

Jurisprudenz 69.

Kategorien 152, 188, 223, 307, 351, 365.

Kundi 301.

Lanfrancus 70 ff.

Levi Ben Gerson 394 ff.

Logik, alte u. neue 116.

maneries 124, 356.

Manerius 230.

Mapes 230.

materialiter imposüa 156.

muterialum 145, 177.

Memorial-Worte 272, 275.

iiiiniiiHs 157.

moderna via 262.

moderni 82, 195, 241.

u. anliqui 116.

monstra 251.

Nicephorus Blemmides 295

Nominalismus 122.

u. Realismus 35 ff., 118.

nominatiter 30.

notio 251.

Nolker Labeo 61 ff.

Othlo v. Regensburg 68.

Otto v. Cambrai 82 f.

v. Clugny 45.

v. Freising 105, 227.

Papias 69.

parililas 329.

Parteispaltung betr. d. Universalien 118 ff.

perihermeniae 12.

Petrus Hispanus 264 ff.

Lombardus 110.

v. Poitiers 213 f.

Platoniker 125.

Poppo 48.

Porphyrius, Isagogedes 7 f., 117 ff., 324,

330 ff.

possibile und cniiliiii)i'iis 198.

post hoc, ergo propter hoc 391.

Poslpraedicamenla 169, 274.

potentia u. poleslas 351.

praedicabilia 272.

praedicamentalis 243.

praedicari 181 ff.

in quid 147.

quasi in quid 345.

praedicalum primum 315.

praemissa 309.

privatio 352.

propoiitio absoluta 379.

proprium s. Universalien.

Psellus 264 ff.

Pseudo-Abälard 204 ff.

Register. 399

Pseudo-Averroes 385 ff.

-Boelhius De Irin. 20, 108 f.

De unit. et uno 228.

-Eric 43 f.

-Hrabanus 37 ff.

Quaesila Arabum 392.

q-uiddilas 325.

'Raimbert v. Lilie 82 f.

rationale 13, 55.

Realismus 128 f.

u. Nominalismus 35 ff , 118.

Rechtswissenschaft 69.

Reginaldus 230.

regula de quocunque 273, 351.

Reinhard v. Würzburg 49.

Remigius v. Auxerre 41.

res de re non praedicatur 175, 252.

Rhabanns Maurus 19 ff.

Rhetorik 292.

Robert Amiclas 230.

v. Melun 214.

v. Paris 77.

Pulleyn 213.

Roscellinus 77 ff., 122 f.

Salomonis Glossarium 47.

Sanct Gallen 46 f., 61 ff.

Scotus Erigena 20 ff.

atifiaate 279 ff.

Sensualismus 123.

sermo 66, 174 ff., 236.

sermocinalis 112, 323.

Serlorius 230.

.11' j; principia 223 ff.

significatio 279 ff.

dictionum 363.

significatum 123.

Simeon 3.

Sophist. Elenchi 318.

species s. Universalien.

Status 137 f.

substanliale 326 ff.

Mimplum 184.

supposilio 280 ff.

Syllogismen, Lehre von den 158, 199 ff.,

256, 275 f., 310 ff., 357 ff.,

368 ff., 380 ff.

hypothetische 203, 310, 358,

" 381 u. disjunet. 361, 389.

syllogismi imperfecti 199.

Sylvester II. 53 (f.

syncategoreumata 148, 191, 256, 266,

279, 289, 378.

Syrer 300.

terminorum proprietates 279 ff.

ternalis 379.

Theilbegriff 135, 193.

Theraistius 293, 385.

Theologie 72 ff., 108.

tbeophrastische Schlussmodi 380.

Topik 159, 200 f.

universale intelligitur, singulare sentitur 29.

Universalien, Streit über die 118 f.

ante rem, in re, posl rem

306, 349 f.

in re 249.

Urtheil 148, 154, 182, 195, 308, 356,

366, 379.

verbaliler 30.

veriftcatio 396.

«i'o moderna 262.

vocalis 31.

tiuces signalivae 60.

vocis flatus 79.

tionm» impositio 166, 181.

Walter Mapes 230.

v. Mortaigne 137 f.

Walther v. St. Victor 221.

v. Speier 52.

Wilhelm v. Champeaux 128 ff.

v. Conches 127 f.

v. Hirschau 83.

v. Shyreswood 264 ff.

Williram v. Soissons 229.

Wolfgang v. Regensburg 51.

Druck von C. P. Heizer in Leipzig.