GESCHICHTE
LOGIK
IM
ABENDLANDE.
VON
Dr. CARL PRANTL,
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT UND MITGLIED DER AKADEMIE ZU MÜNCHEN.
ZWEITER BAND.
LEIPZIG,
VERLAG VON S. H I R Z E L.
1861.
rl
'S/
MEINEM LIEBEN FREUNDE UND COLLEGEN
D» JOSEPH POEZL
GEWIDMET.
VORWORT.
Nach einem längeren Zwischenraume, als mir selbst lieb ist, folgt
hiemit eine Forlsetzung meiner mühevollen Arbeit, bezüglich deren ich
im Ganzen auf das Vorwort des ersten Bandes verweisen könnte.
Doch wenn ich schon dort es aussprach, dass für die „Geschichte
der Logik" überall die Forschung erst von vorne habe beginnen müssen,
so knüpft sich hieran betreffs des Miltelalters eine doppelte Bemerkung.
Einerseits nemlich lagen hier in einigen einzelnen Theilen allerdings
höchst dankenswerlhe Vorarbeiten vor, und namentlich sind es V. Cousin,
A. Jourdain und B. Haureau, welche bekanntlich durch Veröffent
lichung oder Benützung handschriftlicher Quellen sich die grössten Ver
dienste erworben haben. Aber andrerseits handelte es sich noch um
kritische Untersuchung des gesammten zugänglichen Materiales, sowie
um Auffindung des wirklichen geschichtlichen Verlaufes. Und in letz
terer Beziehung zeigte sich bald, dass gerade die Geschichte der Logik
den Beruf haben könne, die Einsicht in die sog. Philosophie des Miltel
alters zu berichtigen oder zu ergänzen. Sowie nemlich bezüglich des
Streites über die Universalien eine bisher unbekannte Manigfaltigkeil
der Parteispallung zu Tag trat, so konnte hinwiederum nicht bloss das
Maass der logischen Lilteratur-Kennlniss jener Jahrhunderle seine rich
tige Abgrenzung finden, sondern auch der unbestreitbare Nachweis
geliefert werden, dass im ganzen Mittelalter ohne alle Ausnahme kein
einziger Aulor einen eigenen Gedanken aus sich selbst schöpfte, sondern
die gesaminte Litteralur jener Zeit von dem Umfange eines dargebotenen
traditionellen Materiales abhängig und bedingt war. Indem ich mich
der unsäglichen Mühe unterzog, gleichsam bei jedem Satze die Frage
vi Vorwort.
aufzuwerfen und zu beantworten , woher derselbe entnommen sei,
konnte ich den objectiv 'richtigen Entwicklungsgang darlegen , nmsste
aber hiebei allerdings jene Illusionen zerstören, in welchen man von
„Verdiensten" einzelner Autoren zu sprechen gewohnt ist, insoferne
man meint, Dieser oder Jener habe von sich aus einen Forlschritt her
beigeführt. Auch wo ich einmal (bei Pscllus) jene Frage des „Woher?"
nicht mehr beantworten konnte, ist hiedurch die Richtigkeit meiner
allgemeinen Behauptung nicht alterirt, sondern in jenem speciellen Falle
gebricht es der Forschung nur an dem erforderlichen Materiale.
Erhält aber durch eine solche geschichtliche Betrachtungsweise die
sog. Philosophie des Mittelallcrs eine, wenn auch nicht schmeichelhafte,
doch neue Beleuchtung, so sage ich hiemit wahrlich nicht, dass etwa
• Alles, was von Anderen, und insbesondere von B. Haureau geleistet
wurde, verfehlt und unrichtig sei. Aber es schien mir auch überflüssig,
bei jedem Schritte der Entwicklung ausdrücklich anzugeben, wo und
worin ich von Anderen abweichen müsse. Daher zieht sich auch na
mentlich gegen Heinr. Ritler , dessen ebenso wortreiche als schiefe
Darstellung bei Vielen in grossem Ansehen zu stehen scheint, grossentheils
nur eine stillschweigende Polemik durch mein ganzes Buch hin
durch; denn hätte ich, — wozu fast überall Gelegenheit war — ,
Riller's Angaben berichtigen wollen , so wäre eine solche nachträgliche
Recension für den Leser wohl ebenso langweilig gewesen wie für
mich selbst.
Wenn ich übrigens grundsätzlich mich auf jene Lilteratur-Erzeugnisse
beschränkte, welche gedruckt vorliegen, so gestehe ich gerne zu,
dass möglicher Weise aus mancher Bibliothek durch Benutzung liai^dschrifllichen
Materiales Berichtigungen oder Ergänzungen meiner For
schung zu Tage gefördert werden können, und an mehreren Stellen
habe ich auch ausdrücklich den Wunsch geäussert, dass Solches ge
schehen möge. Ich darf vielleicht annehmen, meine wissenschaftliche
Pflicht erfüllt zu haben, wenn ich den Anstoss und etwa die richtigen
Gesichtspunkte zu einer derartigen Durchforschung der vorhandenen
Handschriften gegeben habe. Doch in Einem Falle machte ich von
jenem meinem Grundsatze eine Ausnahme; nemlich , — abgesehen da
von, dass ich die Schätze der Münchner Staatsbibliothek nicht unbe
Vorwort. TU
achtet liess — , benützte ich jene Andeutung, welche Haureau in
seinem trefflichen Werke (ße la philosophie scolaslic/ue. Paris 1850.
2 Bände) zuweilen über einige Pariser Handschriften gab, und nachdem
dieselben auf Vermittlung des königl. Staatsminisleriums mir hieher
übersandl worden waren, ersah ich zu meiner Freude die Pflicht, das
dort vorliegende Material heiziehen zu müssen; denn es ergab sich ein
ebenso neuer als interessanter Aufschluss über das Verhültniss des
Psellus zu Petrus Hispanus oder vielmehr zu den Vorgängern und Zeit
genossen des Letzteren, ein Aufschluss, welcher durch die gedruckte
Litteratur nie hätte gewonnen werden können.
Wenn die in den Anmerkungen reichlich angeführten Quellen-
Stellen häufig (namentlich in dem die Araber beireffenden Abschnitte)
noch mehr zu enthalten scheinen, als'ich im Haupllexte darlegte, so
wird der Leser diess dadurch entschuldigen, dass ich durchweg nach
möglichster Kürze strebte und darum im Texte weder eine blosse Uebersetzung
noch auch ein Excerpl, sondern den innersten Kern der Origi
nal-Stellen zu geben versuchte. Dem gleichen Zwecke der Kürze dienen
auch die zahlreichen wechselseitigen Verweisungen, welche der Leser
nicht als eine müssige Verzierung oder Verunzierung, sondern als ein
compendiöses Mittel betrachten wird, in vielen Fällen einen weiteren
Zusammenhang im Auge zu liehalten.
Nachdem die ersten Bogen dieses Bandes bereits gedruckt waren,
erschien nicht bloss das Werk meines Freundes und Collegen Dr. Joh.
Huber über Scotus Erigena (München 1861), sondern auch Haureau's
Ausgabe des bisher unedirten Commenlares des Scotus Erigena zum
Marcianus Capella (Nolices et Extrails des Manuscripls, Vol. XX, Abthlg.
2.), und ich bedauere, dass ich dieses neuaufgel'undene Material, welches
einzelne Bestätigungen meiner Darstellung des Scotus darbietet, nicht
mehr benützen konnte.
Der dritte und zugleich letzte Band meiner Arbeit wird dem gegen
wärtigen hoffentlich in Bälde nachfolgen.
München, im October 1861.
C. Prantl.
ÜBERSICHT DES INHALTES.
Seite
XIH. Abschnitt. Das Mittelalter in unvollstän
diger Renntniss der aristotelischen Logik l —97
Die Verbreitung der späteren römischen Logik in den Schalen 2.
Beschränktheit dieser Tradition bezüglich der Uebersetzungen des
Boethius und Unkenrilniss der logischen Hauptwerke des Aristote
les 4. Stellung der Orthodoxie zur Logik 6. Die Isagoge des
Porphyrins 7. Ueberwiegen eines platonischen Rralismus 9.
Isidoras Hispalensis 10. Alcuin 14. Fredegisus 17. Hrabanus
Maurns 19. Pseudo-Bocthius De Irinilate 20. Johannes Scolus
Erigena 20, seine logisch-formelle Gewandtheit 21, sein theo
logischer Realismus neben Wertschätzung der vox 25, hiednrch
nominaiistische Anschauungen 30, und ein gewisser Intellectualismus
32. Die Quellen der logischen Partcispaltiing nachweisbar
in zwei Stellen des Boethius vorliegend 35. Stellung des Scotus
Erigena 37. Steigerung der norainalisliscben Wendung des Scotus
bei Pseudo-Hrabanus 38, und noch mehr hei Eric von Auxerre
41. Mathematisirender Aristotelismus des Psoudo-Eric oder Jepa(?)
43. Platonismus des Remigius v. Auxerre 44, und des Otto v.
Chigny 45. Thätigkeit iu St. Gallen 46, das Glossarium Salomonis
47. Unfruchtbarkeit des zehnten Jabrhundertes 48, Poppo
in Fulda, Reinhard in Würzhurg, Johann von Gorz 49, bewusste
Parteistellung des Gunzo Iialus 50 ; Wolfgang in Regensburg, Abbo
v. Orleans, Bernward in Hildeshcim 51, Walther v. Speier 52.
Gerbert 53, änsserste Unbedeutendheit desselben 57. Adalbero
v. Laon 58, Fulbert v. Chartres 59. Anonymus sec. 11 mit nominalistischer
Färbung 60. Reiche Thätigkeit in St. Gallen, Notker
Labeo 61 ; doriiger Nominalismus 63, Bedeutsamkeit des Anonymus ,
De syüogismis 64. Franco in Lattich 67, Othlo in Regensburg,
Petrus Damiani 68.
Frischere Bewegung in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhundertes.
Rechtswissenschaft, Papias 69 ; Lanfrancns, Irnerius, die Formel
bücher 71. Theologie, Berengarius als Nominalist in derAbendrnahls-
Frage und der Ketzer-Richter Lanfrancus 72. Partei-Gegen
satz 75. Alhericus v. Monte Casino 76. Die Lehre des Scotus
x Uebersicht rtes Inhaltes.
Seite
Erigena und Robert v. Paris und Arnulph von Laon 77, und Roscellinus
als Vertreter einer „neuen" Logik 78; die gehässigen
Berichte über Letzteren seitens seiner orthodoxen Gegner 79.
' Raimhert in Lilie und die „alte" Logik des Otto v. Cambray 82.
Wilhelm v. Hirschau und Konstantin der Karlhager 83. Ansei
mus v. Canterbury 85, der ontologische Beweis und Gaunilo 86,
der unwissenschaftliche Realismus des Anselnuis 88 , und der
kläglich niedrige Standpunkt seines Dialogus de grammatico 89.
Honorins v. Autun 97.
XIV. Abschnitt. Allmälige Vervollständigung der
Kenntniss der aristotelischen Logik . . 98— 260
Bekanntwerden der beiden Analytiken und der Topik nebst den
Soph. Elenehi 98. Jacobus v. Venedig 99. Während der Text
jener aristotelischen Bücher zwar selbst nicht vorliegt, transspiriren
anderswoher sporadische Notizen 100; Adam v. Petit-l'ont bear
beitet die erste Analytik 104. Otto v. Freising bringt (nicht aus
Italien , sondern aus Frankreich) jene Bücher nach Deutschland
105. Zur Zeit des Johannes v. Salesbury ist das ganze Organon
bekannt 106; Drogo in Troyes bearbeitet die Topik 107. Neue .
Uebersetzungen des Organons entstehen in Unleritalien und im
byzantinischen Reiche 107.
Gesteigerter Betrieb der Logik 108. Theologie, Pseudo-Boethius
DK trinitale 109. Gegensatz der Logik und des Dogma's
110. Pelrus Lomhardus, Hugo v. St. Victor 111. Grosse Aus
dehnung und zugleich Einseitigkeit der logischen Litteratur 114;
eigentümlicher Gegensatz zwischen „alter" und „neuer" Logik
116. Der Streit über die Universalien, Spaltung in weuigstens
dreizehn nachweisbare Partei-Ansichten 118.
Nominalismus an sensualistische Ansichten streifend 122, Abstu
fungen desselben (GarmuridJ 123. Die Lehre, dass die Universalien
„maneries" seien, — Huguccio — 125. Die Platoniker,
Bernhard v. Chartres 125, und Wilhelm v. Conches 127. Der
Realismus des Wilhelm v. Champeaux 128; die Schwierigkeiten
und Abstufungen des Realismus 131, Controversen über Definition
und ThrilbegrifT 134. Vermittlungsversuch durch die Lehre von
„slalus", Walter v. Mortagne 137. Die Lehre von der „Indiffe
renz" 138; platonische Wendung derselben durch Adelard v.
Bath 140. Die Ansicht des Gauslenus oder Josceliinus v. Soissons
bezüglich des „colligere" 142. Die Ansicht des Verfassers
der Schrift De generibus et specicbus 143, seine Auffassung des
Urtheiles und Hinneigung zum Platonismus ]48. Controversen
über die Kategorien 152, und über die Lehre vom Urtheile 154;
Syllogistik 158, Topik 159.
Abälard 160; seine Begabung 161, seine logischen Schriften
162; theologische Auffassung und innerer Zwiespalt seiner Lehre
'64; er ist Aristoteliker 166, und zugleich Plaloniker 167, und
Uehersiclil des Inhaltes. xr
Seile
zuletzt keines von beiden, sondern Kheloriker 168. Gliederung
seines Hauptwerkes 169. Die Isagoge oder „Aiilepracdicatncnta"
nach seinen ,,Glossae" und besonders nach den „Glosxulae" 172;
Auffassung des „sermo praedicabilis" 175; das Universale als das
jenige, quoll natum est Je pluribus pracdicari, in platonischer 177,
und zugleich in aristotelischer Verwendung 181; aus letzterer
folgt seine Betonung des Unheiles (praedicari) 182, und sein an
geblicher Intelleclualismus 185. Sein Ithetorismiis 187. Die
Kategorien 188. Die ftilpratditatttnla 190. Die Lehre von der
Definition und dem Theilbegrifle nach seinem Über Vivtstonum 192.
Die Lehre vom Urtheile 195. Die Syllogislik 199. Die Topik
200. Die hypothetischen Syllogismen 202.
Steigerung der aristotelischen Seite Abälard's bei einem Ano
nymus De interpr. 204, sowie hei dem scharfsinnigen Pscudo-
Abälard De inlellectibus 205. Ueberwiegen der Lehre vom Ur
theile bei Adam v. Petit-Pont 211. Logischer Skepticismus des
Robert Pulleyn 213, und theologische Reaction durch Petrus v.
Poitiers und Robert v. Melun 214.
Gilbertus Porrelanus und seine Lehre von den /braue nativac
215, die Stümperhafligkeü seiner Schrift De sei principüs 223.
Otto v. Freising ein Anhänger Gilbert's 227. Pseudo-Boethius de
unilate et i/no 228. Alberich in Paris , Williram v. Soissons
229, und mehrere andere, bei Walter Mapes angeführte Autoren
230; der sog. Cornificius des Joh. v. Salesbury 231.
Jobannes v. Salesbury 232, sein ciceronianisclier Ulilismus 233,
und Rhetorismus 235; Verwandtschaft mit Ahälard 239, Beurthei-
Iting des Aristoteles 241 ; seine ,,ratio indi/forentiae" als unwissen
schaftlicher Indifferentismus 243; sein gröblicher Eklecticismus
bezüglich der Universalien 246, und der unbestimmte Begriff der
„nud'o" 251; seine Erörterungen über die Kategorien 253, über
das Urtheil 255, über die Syllogistik 256. Eine unbedeutende
Schrift des Alanus v. Lilie 259.
XV. Abschnitt. Einfluss der Byzantiner . . . .261 — 296
Berührung des Abendlandes mit den Byzantinern 262; reiche Litleratur
zur Zeit der Anna Comnena 263. Die Synopsis des Psel-
1ns, welche durch Wilhelm Shyreswood, Petrus Hispanus uiid
Andere dem lateinischen Abendlande zugänglich wurde 264; die
dort entwickelte Lehre vom Urtheile 265, mit Benützung techni
scher Memorial -Worle und -Verse 272, die Isagoge 272, die
Kategorien 273; die Lehre vom Syllogismus, gleichfalls unter
Anwendung technischer Worle, in welchen die Entstehung des
logischen Schulgebrauches der vier Vokale (4, E, I, O) sich
kundgibt und zugleich das Original der bekannten lateinischen
Nomenclalur vorliegt 275; die Topik; der Abschnitt „De terminorum
proprietatibus" oder „Syncategoreumala"', welcher die Lehre
von der siynißcalio in ausführlichster Gliederung der „supposilio"
XII Uebersieht des Inhaltes.
Seite
darlegt 279. Der aus den Lateinern zu ergänzende verlorene Rest
der Synopsis 287. Die Frage über die Quellen oder Vorbilder
des Psellus 290. Johannes Ilalus 293. Nicephorus Blemmides 295.
XVI. Abschnitt. Einfluss der Araber 297—396
Beschränkung auf die lateinisch-arabische Litleratur 298, und zwar
auf den Umkreis der eigentlichen Logik 299. Die arabische Logik
im Allgemeinen 300. Alkendi 301.
Alfarabi 301, ethische Beziehung der Logik 302, der doppelte
Weg von Bekanntem zum Unbekannten, Argumentation 303, Rhe
torik und Poesie 304; die Universalien anle rem, in re , posl
rem 306; die Kategorien und ens 307; das Urtheil 308; die
erste Analytik und die hypothetischen Schlüsse 310; Ergänzungs
versuche zur zweiten Analytik 312, rlemonstralio quia und propter
quid 317.
Avicenna 318, sein Intellectualismus 320; Definition und Argu
mentation 322 ; die Universalien und die Quiddität 324, das Sub
stantielle und das Accidentelle 326; Erörlerungen und Controversen
über die einzelnen fünf Worte 330, besonders über den Artbegriff
334, und über die Differenz 338; Berichtigungen und Zusätze zur
Isagoge 344; nähere Darlegung dos Intellectualismus in Unter
scheidung der Universalien ante rem, in re , post rem 347; die
Kategorien 351; 4as Urlheil 356; die erste Analytik und die hy
pothetischen Schlüsse 357; die zweite Analytik 359; die Stellung
der Topik und Sophistik 360.
Algazeli 361 , Tendenz seiner Logik 361 ; imatiinatio und credulitas
362; signißcalio dic.linnum 363; die Isagoge 363; die
Kategorien der Ontologie zugewiesen 365; das Urtheil 366; die
Argumentation, Combination der möglichen Schlnssweisen 368,
die hypothetischen und disjunctiven Schlüsse 369; die Urtheile
als Stoff der Argumentation 370 ; fallaciae 371 ; die zweite Ana
lytik 372. Avempace 373.
Averroes 374; sein strenger Aristotelismus 375, Methode des
Abtheilens 376; nothgedrungene Beiziehung der Isagoge 377; die
Kategorien 378; das Urtheil 379; die erste Analytik, Polemik
gegen Galenus 380, die hypothetischen und disjunctiven Schlüsse
381, Praxis der Syllogistik 382; die zweite Analytik 384; die
Topik und Sophistik.
Des Pseudo-Averroes Epitome 385, agens und diri§ens 386, die
Universalien 386, Geltung der Kategorien 387, das Urtheil 388,
Argumentation 389, die Topik 390, die Definition 391. Die
Quaesita des Pseudo-Averroes und anderer Araber 392. Das Buch
De causis 394. Die Juden 394. Moses Maimonides 394. Levi
Ben Gerson 394.
XIII. ABSCHNITT. ,
DAS MITTELALTER IN UNVOLLSTÄNDIGER KENNTN1SS DER
ARISTOTELISCHEN LOGIK.
In das Millelalter gehl die Logik als blosser Schulgegenstand in
jener Form über, deren Darstellung der vorige Abschnitt enthält, und
die dort geschilderten Schriflen des Marcianus Capella, Boelhius, Cassiodorus
und iheilweise auch des Auguslinus und Pseudo - Auguslinus
sind es, welche für den Schulbelrieb der Logik das ausschliessliche Ma
terial darboten. Aller Orten, wo im Zusammenhange mit der Verbreitung
des Christenlhums enlweder zahlreiche völlig neue Bildungsstätten ent
standen oder auch zuweilen eine Anknüpfung au antike Institute mög
lich war, rinden wir bekanntlich den Studiengang des Triviums und
Quadriviums in grösserer oder geringerer Vollständigkeit eingebürgert,
und wenn auch die mathematischen Disciplinen (Arithmetik, Geometrie,
Astronomie und Musik) nicht sämmllich überall die gleiche Pflege fan
den, so bestand doch zu allermeist eine Gleichmässigkeit im Betriebe
der Grammatik, Rhetorik und Dialeklik, insoferne diese drei „Künsle"
in keiner Schule fehlten. Es ist nicht Phrase oder Ueherlreibung, wenn
wir bezüglich der Logik oder Dialeklik den Ausspruch thun, dass der
ganze Occidenl, soweil ihn überhaupt die Kultur des Mitlelalters in ihrer
allruäligen Ausbreitung berührte, durch die Tradition der genannten
Autoren des späteren Römerthums geschult wurde, dass nemlich in Ita
lien, Deutschland, Frankreich, Spanien und Brilanien man wirklich mil
einem gewissen Malenale logischer Lehren bekannl wurde, und zwar
ausschliesslich nur auf Grundlage jener Ueherlieferung. Eben in dieser
Beziehung jedoch scheinl die Geschichte der Logik das ihr zukommende
Gebiet wohl nicht überschreiten zu dürfen. Insoferne nemlich aus ein
zelnen Notizen über Schulen oder aus Bibliolhekverzeichnissen u. dgl.
schlechthin uichls Weileres folgt, als dass da oder dort eine logische
Schrift des Marcianus Capella oder des Boethius u. s. f. bloss vorhan
den war oder in ij-gend einer Kloslerschule eben nur gelesen wurde,
oder dass irgend Jemand durch solche Lectüre sich gebildet oder sie
Anderen empfohlen habe u. s. w., müssen wir derlei Nachrichten immer
hin, so koslbar sie gerade wegen ihrer Vereijizeltheil auch sind, der
allgemeinen Kullurgeschichle oder der Geschichte der Pädagogik über
lassen ; denn für die „Geschichte der Logik" genügt das Factum einer
verbreitern Uebung der sog. sieben freien Künsle überhaupt als allge-
PBANTL, Gesch. II. l
2 XIII. Das traditionelle Material.
meine Grundlage für den Eintritt in das Mittelalter, und auf diesem
Boden haben wir hier dann demjenigen nachzuspüren, was durch eine
eigene, wenn auch noch so geringe, Thätigkeit einzelner Lehrer oder
Gebildeter geleistet wurde und hiedurch Momente eines geschichtlichen
Weiterschreitens darbietet; überdiess ja wird dann Solches, wobei auch
das anscheinend Geringfügige nicht Übergängen werden soll, wieder
einen Bückschluss auf Obiges in sich enthalten , dass nemlich neben
vereinzelter individueller Tliätigkeit auch ein massenhafter Betrieb, wel
cher bloss an dem Texte der Schulbücher-Tradition haften blieb, bestan
den haben muss *).
Aber Eine Bemerkung ist betreffs dieses Schul- Materiales gleich
hier in all ihrer Schärfe und ihrem ganzen Umfange nach vorauszu
schicken. Wir müssen nemlich die völlige Ausschliesslichkeit desselben
von vornherein im Auge behalten, d. h. erstens, dass lediglich nur diese
lateinischen Litteraturprodukte cursirten, und hiemit ausser dem Märcianus
Capella , dem Boethius , dem Cassiodorus und dem ächten oder
dem unächlen Augustinus das Mittelalter bis zum 12. Jahrhunderte für
die Logik überhaupt keine anderweitigen Quellen kannte oder benützen
konnte. Es war jenem ersteren Zeiträume über die griechische Grund
lage der Logik 'nur jene secundäre Kunde möglich, welche aus eben
diesen Autoren geschöpft werden konnte, und namentlich die aristoteli
schen Schriften (ja im Allgemeinen wohl auch nur der Name des Aristo
teles) waren ausschliesslich bloss in jener Form bekannt, in welcher
sie Boethius überliefert hatte. Man darf, wenn in Urkunden , welche
sich auf jene Jahrhunderte beziehen , aristotelische Schriften erwähnt
werden, durchaus an Nichts anderes denken als an eben diese Uebersetzungen
des Boethius; so z. B. wenn unter den Büchern der Biblio
thek zu York im 8. Jahrh. auch ein „acer Aristoteles1'' genannt wird 2),
oder wenn wir im 10. Jahrh. in Tegernsee die Kategorien des Aristo
teles erwähnt finden 3). Dass alle dergleichen Stellen nur in dieser
Weise zu erklären seien, wird allerdings erst aus dem Folgenden, so
wie aus dem Uebergange in jene Periode , in welcher der Originaltext
des Aristoteles dem Mittelalter bekannt wurde, völlig deutlich gleichsam
durch eigenes Erlebniss erhellen, aber es schien nicht überflüssig, schon
1) Für den hiesigen Zweck demnach muss ich ein nicht kärgliches und nicht
ohne Mühe errungenes Quellen- Material bei Seite lassen, welches entweder zu
einer Geschichte der mittelalterlichen Schulen anschwollen würde oder bei einer
(übrigens kaum durchführbaren) Beschränkung auf herausgebissene Auswahl des
Logischen doch nur den Beleg der ohnediess allbekannten Thatsache enthielte, dass
jene obigen Autoren den Inhalt der Schulwissenschaft ausmachten.
2) Die von Aelbert in York angelegte Bibliothek beschreibt dessen Schüler
Alcuin ausführlich in s. Gedichte De Ponlificibus et Sanclis ecclesiae Eboracensis
(Mcuini Opp. ed. Proben. II, p. 241 ff.); dort heisst es v. 1948 ff. (p. 257.): Quae
Victorinus 'scripsere, Boetliius atque Historici veteres , Pompeius, Plinius, ipse Acer
Aristoteles, rhetor quoque Tullius ingens.
3) Ein Tegernseer Mönch schreibt in einem Briefe (b. Pez, Thes. Anecd. VI,
l, p. 131.): stultam fecil Deus sapicntiam mundi huius (diese Worte sind aus Paul,
ad Corinlh. I, 1,20; s. unten Anm. 20 f.), postquamezsiccavit fluvios Etlian ; prae
dukedine enim decem chordarum ßavidis . . . . paene oblitus svm lotidem categoriarum
Arhtolelis. .
XIII. Das traditionelle Material. 3
hier den Gesichtskreis richtig abzugränzen 4). Nur eine scheinbare Aus
nahme liegt natürlich darin, wenn überliefert wird, dass im Anf. d. 10.
Jahrh. ein gewisser Simeon, ein Bulgare, in Constanlinopel die Syllogislik
des Aristoteles im Originale studirt habe5); denn dass im oströ
mischen Reiche die Griechen noch bis in späte Jahrhunderle sich mit
Derartigem beschäftigten, sahen wir hinreichend oben, Abschn. XI, Anm.
106— 118. Aber Eine vereinzelte Notiz könnte unserem Ausspruche
entgegenzustehen scheinen; es schickte nemlich Papst Paul l. im J. 757
an Pipin den Kleinen mehrere griechische Schriften, unter welchen
JSrslerer selbst in dem betreuenden Briefe auch Bücher des Aristoteles
anführt6); ist jedoch die Urkunde acht, woran zu zweifeln kein Grund
vorhanden scheint, so spricht sie weil eher für uns als gegen uns,
denn offenbar blieb dieses damals in jener Gegend einzige Exemplar
eines griechischen Textes des Aristoteles am fränkischen Hofe vergra
ben oder gieng verloren, da wenigstens von einer Benützung desselben
nirgends die leiseste Spur sich zeigt ; auch fällt ja für jene Länder die
erste sichere Kunde von einem Studium des Griechischen oder von
Uebersetzungen aus dem Griechischen überhaupt erst in die Zeit Karls
des Grossen 7), worauf dann noch im 9. Jahrh. die Arbeiten des Scolus
Erigena folgten (Uebersetzung des Pseudo-Dionysius).
Zweitens jedoch ist selbst jenes lateinische Quellen-Material gerade
in der Hauptsache abermals ein' beschränktes. Während nemlich die
logischen Schriften des Aristoteles insgesammt in den Uebersetzungen
des Boethius , welcher hiel'ür die einzige Quelle war, hätten gelesen
werden können, zeigt sich eben hierin eine scharfe Abgränzung; denn
unter den oben (Abschn. XII , Anm. 72 f.) angeführten schriftstelleri
schen Erzeugnissen des Boelhius benülzle man im Mittelalter vorerst aus-
4) Schon hier darf ich vorläufig auf die bekannte vortreffliche Arbeit Am.
iourdain's (Recherches critiques sur l'age et l'origine des Iraduclions latines d'Aristote.
2. Aufl. Par. 1843) verweisen, wenn auch mit dem Vorbehalte, dieselben be
züglich des 12. Jahrhunderts mannigfach berichtigen und ergänzen zu müssen (s.
d. folg. Abschn. Anm. 2, 14 ff.).
5) Liutprand Antapod. III, 29. bei Pertz, Monum. V, p. 309.: Itunc elenim Simeonem
emiargon , id est semigraecum , esse aiebant , eo quod a pueritiit Byzanlii
Demosthenis rtteloricam Aristotelisque Syllogismus didiceril.
6) Der Brief ist gedruckt b. Cai. Cenni, Monum. dominat. pontif. sive Codex-
Carol. (Rom. 1760.4.) I, p. 148, woselbst die Stelle: Direximus etiam excellentiae
veslrae Ultras quantos reperire poluimus , Antiphonale et Responsale, insimul artem
grammalicam, Aristoielis, Dionysii Areopagitae libros (bei Cenni steht ohne Unter
scheidungszeichen arlem grammalicam Aristotelis), Geomelriam, Orthographiam, Grammiiticam
, omnes graeco eloqitio scriptores. Die Worte graeco eloquio, deren Be
deutung im damaligen Sprachgebrauche völlig feststeht, beziehen sich wohl nur
erst auf die von Aristoteles an genannten Bücher, denn das Antiphonale und Re
sponsale war natürlich lateinisch, und wahrscheinlich ebenso die erstere Grammatik,
die zweite hingegen griechisch. (Uebrigens findet sich diese Notiz hei Jourdam
nicht benützt.)
7) Z. B. bei D. Chylraeus Cliron. Saxon. (Lips. 1593. L. III, p. 83.: Inslituit
autem Carolus Osnabrugae, ut in collegio assidui leclores gruecae et lalinae tinguae
essent; vidi enim exemplum literarum fundationis, ul vocanl, quas ecclesiae Osnabrugensi
Carolus dedif) und öfters, stets aber mit Beziehung auf die bekannte Ge
sandtschaft der Kaiserin Irene und den hiedurch hervorgerufenen diplomatischen
Verkehr.
l*
4 XIII. Das traditionelle Material.
schliesslich nur jene Uebersetzungen, welche derselbe durch Commentare
erläutert und schubnässig zugerichtet hatte, d. h. ausser der doppelten
Bearbeitung der Isagoge des Porphyrius nur jene der Kategorien und
die beiden Ausgaben des Buches d. interpr., wozu dann allmälig noch
die eigenen Compendien des Boethius hinzukommen. Hingegen die
Uebersetzungen der beiden Analytiken , sowie der aristotelischen Topik
und der Sophisl. elenchi, welche sämmtlich Boethius ohne Commenlar
belassen hatte, blieben aus eben diesem Grunde unbeachtet und entzo
gen sich hiedurch der Kunde des Mittelalters so sehr, dass man lange
Zeit hindurch überhaupt nicht einmal mehr um das Vorhandensein dersel
ben wusste. Darum liegt aber in dem allmäligen Bekanntwerden jener
Hauptwerke des Aristoteles ein entscheidender Wendepunkt für die mit
telalterliche Logik. Und "während ich alle Versuche, die sogenannte
„Philosophie" des Mittelalters aus inneren Motiven in Abschnitte einzutheilen,
für verfehlt halte, scheint mir für das gesammte Mitlelalter (bis
zum Ende des 15. Jahrb.), in welchem ich, abgesehen von Alchemie
oder Astrologie, nur Theologie und Logik, aber durchaus keine Philo
sophie, finden kann, der Einlheilungsgrurid lediglich in dem äusserlichen
Befunde der Masse des traditionellen Schul - Materiales zu liegen. So
könnte ich auch den Unterschied zwischen diesem gegenwärtigen und
dem folgenden Abschnitte dadurch scharf bezeichnen, dass in ersterem
eine fragmentarische Kenntniss des Boethius obwaltet, in letzterem hin
gegen theils ein allmäliges Bekanntwerden des ganzen Boelhius und
theils die Anfertigung neuer Uebersetzungen der bis dahin unbenutzten
Werke eine deutlich ersichtliche Wirkung äusserl, worauf dann für die
späteren Abschnitte wieder analoge Bereicherungen des Materials ein
treten. — Der Nachweis hievon wird im Folgenden selbstredend vorge
führt werden.
Kurz also, — um die Abgränzung so entschieden und deutlich als
möglich zu wiederholen —, es besieht für diesen ersten Abschnitt des
Mitlelalters das traditionelle Material der Logik ausschliesslich aus Fol
gendem: Marc. Capella, Auguslin, Pseudo-Auguslin , Cassiodorus , Boe
lhius ad Porph. a Viel. IransL, ad Porph. a se Iransl., ad Arisl. Caleg.,
ad Arisl. d. inlerpr. ed. l u. II , ad Cic. Top. , Inlrod. ad cal. syll.,
D. syll. cal., D. syll. hyp., D. div. , D. defin., D. diff. lop. Hingegen
fehlt die Kenntniss der beiden Analytiken, der Topik und der Soph. El.
des Aristoteles.
Die eigene Thätigkeit aber, welche die Lehrer oder Gelehrten die
ser ganzen Periode an diesem ausschliessliehen Materiale der Schultra
dition übten, war eine doppelte. Entweder nemlich handelte es sich
um Herstellung von Compendien, wobei meist ein planloses Zusammen
raffen verschiedener Quellen in ganz ähnlicher Weise waltete, wie wir
es schon im vorigen Abschnitte besonders bei der Schrift des Cassio
dorus bemerklich machen mussten, oder man beschäftigte sich mit einer
mehr oder weniger einlässlichen Erklärung der schon im Gebrauche
stehenden Bücher, unter welcben vor Allem des Boethius Bearbeitung
(Ueherselzung und Commentar) der Isagoge und der Kategorien in den
Vordergrund treten. Dabei aber spielten sowohl Fragen der christlichen
Theologie in die logischen Erörterungen hinein , als auch wirkten die
XIII. Dir kirchliche Auffassung. 5
Controversen der Logik mächtig auf die Kämpfe der Dogmatik hinüber,
und überhaupt ja waltete in dieser Beziehung Anfangs ein sehr eigenthümliches
Verhältniss, welches nicht ausser Acht gelassen werden darf.
Nemlich die christliche Lehre an sich — ganz abgesehen von der
Entstehung dex christlichen Ideen überhaupt — trat wohl in völlig
schlichter Unmittelbarkeil auf und sprach zum religiös erregbaren Gemüthe,
zugleich aber fand sie sich bei ihrer weiteren Verbreitung an
eine Bevölkerung hingewiesen, welche theilweise durch den Schulbe
trieb des späteren Alterthums gebildet worden war und so eine formale
Seite des Antiken mit dein neuen Inhalte christlicher Lehre und christ
lichen Lebens verbinden konnte. Wie aus dieser Vermischung religiö
ser Unmittelbarkeit und geschulter Lehrl'ähigkeit sich rasch der Gegen
satz zwischen Laien und Klerus entfaltete, d. h. eine ecclesia docens
entstand, und wie die Kirche dessbalb, weil sie docens war, ganz na
türlich zu Schuleinrichlungen griff und hiebei der Form nach sich an
Vorhandenes anlehnte, gehört eben so wenig hieher als die mit Waffen
der Dialektik geführten Kämpfe, in welchen die Dogmenbildung vor sich
gieng. Wohl hingegen ist für uns der Umstand von Interesse, dass
überhaupt eine doppelle Richtung vorlag; ja wir musslen im Verlaufe
der Geschichte der Logik selbst schon oben (Absch. XII.) von zwei
hervorragenden Vertretern der christlichen Theologie, neinlich von Hieronymus
und besonders von Augustinus sprechen, unter welchen nament
lich der Letztere das Nebeneinanderlrelen der zwei Richtungen sehr
deutlich zeigt (s. ebend. Anm. 17 —22). Je stärker aber hiebei der
specifisch christliche Standpunkl belonl wurde, deslo mehr Gewicht
musste auf jene innere Unuiiltelbarkeil fallen, welche Auguslinus als
lux interior bezeichnet, und es isl nichl bloss erklärlich, sondern so
gar principiell geforde'rl, dass gerade die Sirengeren unter den ersten
christlichen Theologen neben der gebolenen Polemik gegen den Inhall
antiker Philosophie sich auch spröde gegen die Formen des Wissens
verhielten, durch welches der Glaube nicht nur nicht ersetzt, sondern
selbst häufig gestört werde.
So bestand also allerdings zunächst eine grundsätzliche Abneigung
gegea Logik oder Dialektik, und wenn wir bedenken, dass in den
Kämpfen der Dogiuenbildung gerade die Arianer und Pelagianer an dia--
lektischer Bildung und Gewandtheit wirklich im Vortheile waren , so
können wir es uns erklären, dass jene Abneigung sich zu gereizler
Feindschaft steigerte. Es liesse sicli nicht bloss aus Irenäus (2. Jahrb.)
und Tertullianus (3. Jahrb.), sondern namentlich im 4. u. 5. Jahrb. (der
Zeit des hauptsächlichsten Dogmen-Kampfes) aus Basilius d. Gr., Gregorius
v. Nazianz, Epiphanius, Hieronyuius Presbyter, Fauslinus, Mansuetus,
Eusebius, Sokrates, Theodorelus u. A. eine Übergrosse Menge von
Sielten anführen , in welchen die Dialeklik als übertlüssig 8) oder als
ein nichtiges sich selbst zerstörendes Thun 9) und ein zweckloser ver-
8) Basil. M. adv. Eunom. I. (Opp. ed. Paris. 1518 fol. U, p. 10.): ^ luv
urioT&ov; ovrtaf •fifj.lv xai XqvaCnnov avtJ.oyi.ap.iäv tdei n(>df ib /JK-
4iv Sri o aytvvrjTos ov ytytvvriTai; (vergl. Anm. 16).
9) Terlull. Praescripl. c. 7. (Opp. ed. Venel. 1701. fol. p. 119 b.): Hiserum
Aristotelem qui illis dialecticam instiluü arti/icem struendi et deslruendi »ersipellem
6 XIII. Die kirchliche Auffassung.
künstelter Wortkram 10) bezeichnet wird, welcher vermöge seines welt
lich hunten Charakters untauglich für die reine einfache Wahrheit11)
und überhaupt unchristllch 12) sei, daher alle Syllogislik, sowie sie vor
den schlichten Worten der Apostel zerstieben müsse 13), ihrerseits hin
wiederum nur zur Bekämpfung und Verfälschung des Glaubens diene 14),
was sich insbesondere hei den Arianern zeige 15), u. dgl. m. War aber
so die Dialektik, für welche meistens Aristoteles, und zwar namentlich
wegen der in den Kategorien liegenden Sophistik, verantwortlich ge
macht wurde 18), fast zu einem Gegenstande des Abscheues geworden,
in sentenliis coaetam, in coniecturis duram, in argumentis operariam conlentionem,
molestam eliam sibi ipsi, omnia retractantem, ne quid omnino tractaverit.
10) Greg. Naz. Oral. 26. (Opp. ed. Colon. 1690. 1, p. 458.) : ovx olde löyoiv
s $yo~tts Tf aoytöv xal alvfy/jKTK xal Tag IlvqQiavog IvOTaatie ij
rj ävTi&tafig xal TiSv Xqvalnnuv av^Koyia^iiSv rag tfiaivaeig tf
Ttöv jiQiUTUTfiov; Tfyviäv TT]T xaxoi e/vlav. Oral. 33. (p. 529.) : %alQovTt g
raTs ßtßrjioi.g xfvorjioviai; xal avn&tatai T% ipevfiovvfiov yviäatiag xal
TCCIS elf ovStv xftijatftov (ptpovaaig ioyof^a/Caig.
11) Epiphan. adv. haeres. II, 69^69. (Opp. ed. Pelav. Col. 1682. I, p. 795.):
äiivoTrfn fj.a).),ov eavTovs Ixäiäiaxaaiv ^ ivdvoajtsvoi 'A(itazoT£)ii)V ic xtd
TOVS cc^iovs TOV xöa/uov ä ittitxTixovs (ov xal iouj xctynovg fifTictai ^UTJdtvu
XKQTIÖV dixaioUvvris iläörtf. Ebend. III, praef. (p. 809.) : fx avlloyi-
0/u(öv yctQ xal IdQKtTOTtlixtäv xal ytiafj.eTQixi3v ibv &iov Ttagiaiäv ßoviovrcti.
Ebend. III, 76, 20. (p. 964.) : roßr« rft aqaiyeiTat, näaav aov rtäv >löytav
avlloyiaTixrjV /uv&oloyiav xal ovx IvöfytTtu fj/täs HQOTQtip
TOV aov tniaiärov ____ ov yät> Iv
r\ ßceaif.ila räv ovQaviav xal $v ioyy xof47iu<tTixqi, «u' tv
xal a).ri»(la (s. Anm. 20). Ebend. 76, 24. (p. 971): itoosO.aße TO
9-iiov tag xartt TOV aov löyov fls lyv ai>Tov nCativ Tr<v avt.loyiaTixriv
TavTTrjV aov Trjv Te%voioy(av. (Ausscrdem kömmt Aehnliches gerade bei Epiphanius
höchst häufig vor.) Vgl. Hieran, adv. Hclvid. (Opp. ed. Par. 1706. IV, 2,
p. 130.): non campum rhelorici eloquii desideramus , non dialeclicorum tendiculas
nee Aristotelis spinela conquirimus ; ipsa scripturarum verba ponenda sunl.
12) Faustin, d. Irin. adv. Ariern, l, 10. (Bibl. fair. Galland. Ven. 1770, VII, p.
444.) : Noli infelix adversus Christum dominum tolius creaturae Arislotelis artificiosa
urgumenta colligere qui te Chrislianum qualitcrcunque profiteris, quasi ex disciplinae
tetrenae suppulalionis circumscriplor advenias. •
13) Thcodorct. serm. 5 d. nat. hom. (Opp. cd. Sirmond. Par. 1642. IV, p.
555.): ripfTg äi KVTIOV Trjv Ifj7i),rjf(av 6io(fV(>6fte#a, OTI ärj ÖQtoVTes ßag-
' av&Qianovg ryv cM.rjVtxriv fvyitarTCav vevixrtx6Tae xal roiis
ove [ivft-ovg naVTtifüg f^fi.r)i.K/^e'rovs xal zoiig ttiiKVTixov; Oo-
Tovg aTTixovg xaTaitivxörai avit.oyia/j.ove. (Diese Anspielung auf
die schlichte Rede der Fischer findet sich auch sonst noch öfters.)
14) Iren. adv. haer. II, 14, 5. (Opp. ed. Venet. 1734.1, p. 134 b.) : minutiloquium
autem et sublimitatem circa quaestiones, cum sit Aristotelicum , inferre fidei
conanlur. Euseb. hist. ecel. V, 27. (Opp. ed. Paris. 1591. II, p. 108): Christum
ignorant, ---- sed quaenam syllogismi ftgura ad suam impietatcm confirmandam reperiretur,
studiose indagarunt; quod si quisquam forle illis aliquod divini eloquii
testimonium proferal, quaerunt, ulrutn coniunctam an disiunctam syllogismi figuram
possit efßcere ...... sollerti impiorum astutia et subtilitate simplicem ac sinceram
divinarum scriplurarum fidem adulterant.
15) Hieran, ade. Lucifer. (ob. Ausg. IV, 2, p. 296.): Ariana haeresis magis
cum sapienlia seculi facit et argumentalionunt rivos de fontibus Aristotelis mutualur.
16) Socr., hist. cccl.U, 35. (ed. Vales. Turin. 1747, p. 114.): tv&iig ovv l$ivo(
f(ävei (nemlich Aetius) rovg tvTvy%avoVTag, TOVTO (Tt ^noiti rat; xarriyopfaig
llQiaTore'lovs nioitvtßV ßißklov tC^ ovitag foTlr ln:iyiy()a[t/j.£vov avTy'
f| aviäv ie Siai.ty6fj.fvog xal tKVTiji aöifta/jia noitöv ovx rja&eio ..... TOIS
XIII. Die kirchliche Auffassung. Die Behandlungsweise. 7
so stellte sich doch zugleich von selbst das Gefühl der Noth wendigkeit
ein, mit gleichen Waffen sich gegen die Feinde der orthodoxen Lehre
verlheidigen zu können, und erklärlicher Weise musste dieses Motiv,
dass die Dialektik dem Kampfe gegen die Ketzer diene, das Uebergewicht
erlangen. Also auf die Gesinnung und die Absicht, in welcher
man Logik betrieb, kam es nun an 17), und in solcher Weise durfte
man sich sogar logischer Kenntnisse rühmen 1S); sehr wohl aber konnte
hiemit die Anschauung verbunden sein, dass die dogmatische Theologie
eben doch nur aus äusseren Gründen in der Dialektik das Gebiet eines
bloss äusserlichen Wortkrames betreten habe, und es wird uns dem
nach nicht befremden, wenn wir weiter unten wiederholt eine offene
Feindschaft gegen alle Dialektik überhaupt antreffen werden.
Jedenfalls aber war, wie gesagt, die ecclesia docens schon in .den
ersten Jahrhunderten auf diese Weise dazu gelangt, dass sie eine ge
wisse Summe logischer Lehren in den Umkreis ihres Betriebes aufnahm,
und waren einmal irgend welche Compendien, — wenn auch mit Vor
behalt der Gesinnung und Absicht — , für den Gebrauch der Kleriker
recipirt, so konnte und musste wohl auch der Fall eintreten, dass Ein
zelne jenes Material, welches anderweitig als Mittel zum Zwecke dienen
sollte, zu einem speciellen und selbstständigen Gegenstande ihrer Be
schäftigung machten. Und hiebei waren es vor Allem die Kategorien,
welche von der spät- antiken Schultradition her eine reichliche Ver
wendung in den theologischen Hauptfragen , und zwar gerade zumeist
bei Auguslinus (betreffs der Trinität und der sog. Eigenschaften Gottes)
gefunden hatten ; ja es ist selbst möglich , dass man schon ziemlich
frühe die pseudo-auguslinische Schrift über die Kategorien (s. Abschn.
XII, Anm. 40—50) für ein achtes Werk hielt und so durch die Auclorilät
des Augustinus selbst sich in dem Studium dieses Gegenstandes
bestärkt fühlte. Halten aber die Kategorien jedenfalls eine bedeutende
Geltung für die Theologie, so lag ja in der Schrift des Porphyrius,
d. h. in den Quinque voces, eine in der Schule für unerlässlich gehal
tene Einleitung zu den Kategorien vor, und es verstand sich von selbst,
dass man für den Unterricht sowie für das Studium stets den Anfang
mit der Isagoge machte. Beide aber, nemlich sowohl das Buch über
Ix Tfäv xatriyo(>i(5v ao(f:(a/uaai OvvtTitfifivt , äto ovit vufjaai StSiivrfiai,
näe tonv äyfvvrjTos yfvvrjOts (vgl. Anm. 8).
17) Theodoret. hisl. eccl. IV, 26. (Opp. ed. Sirm. III, p. 707.): xal rtäv Xpi-
OTOTM.OVS aiji.ioyiafj.tuv xal TTJS TlkÜTiavog tienlag Sid TIOV äxotuv flseäifaro
(sc. dldvpog) TU fiaS-rifj.aTn oi>x <äs älij&eiuv ixnaiStvuvia, all' lös,
iijii.ct TTJS alri&tCas XUTU TOV ipfväovs yiyvopteva.
18) Cyrill. Alex., Thesaur. d. Irin. 11. (Opp. cd. Auliert Par. 1638. V, ^1, p.
87.): Ix [lU&rinuTiav rjfili' Ttöv 'AoiaTOTtlov; 6(>fiiö/u.fvoi xal Trj ätivorrjTi.
rijs tv xöafttf acxflng anoxt^rifitvoi xivnovg tytlQovcfi QTjfiaKov xcviöv
ovx tläöres Sri xal nyos TUVT^V üftaS-täs l/ovres fiey%9riaoVTui' &av/u.dacu
yuy oviias axo).ov9-ov, OTI äi) TÖV niQi TOB ju£/foj'oj xal liarioi'o; £ge-
T«fovi£f iöyov fnl TOV negl TOV 0/j.oCov xal avo/^ptov firianemüxaaiv
ovx elöötes OTI xaitt TJJV ^QtOTOT&iovs Tt/vr/v, l(^' j /Aaliora ftiyttio(fQOviTv
eitö&aaiv aviol , ovx eis iftvibv xctraraiTovicti yfvos TÖ re Sfioiov
xal TÖ ävöuotov <äs xal TÖ lufifoj' xal TO i&aTTOv. (S. Abschn. IV, Anm.
522 u. 531.)
8 XIII. Die Behandlungsweise.
die Kategorien als auch das Schriftchen des Porphyrius, lagen für die
lateinische Kirche in der Ueliersetzung des Boethius, noch dazu mit
Erläuterungen versehen, vor, und so wurden sie die hauptsächlichen lo
gischen Schulhücher des Mitlelalters.
Der geschichtliche Verlauf wird uns zeigen, dass lediglich aus der
unausgesetzten Beschäftigung mit Porphyrius und Boethius jener Streit
üher die Gellung der sog. Universalen entstand, welcher nach der bis
her gewöhnlichen Annahme in dem Gegensalze des Realismus und des
Nominalismus sich entspann 19), in Wahrheit aher eine hunte Menge
gar vieler Partei-Ansichten zu Tage kommen liess. Es war nicht etwa
ein eigener , individuell selhslständiger Gedanke eines hervorragenden
Mannes, durch welchen diese logischen Kämpfe wären hervorgerufen
wor-den , sondern ein üherkommener Stoff, schulmässig fortgeerbte Ge
danken aus dem Alterlhume waren es, welche man nur allmälig etwas
genauer ins Auge fasste und erst hiedurch zu einer bestimmten Partei-
Stellung veranlassl wurde, deren Wurzeln in der Tradition selbst schon
vorlagen. Von einem innerlich selbständigen Schaffen eines neuen
Momentes kann im Milielaller keine Rede sein, selbst bei Scotus Erigena
nicht, und auch bei Aliälard nicht. Jene ganze Zeit klebte wesentlichst
noch an der hlossen Tradition und konnte so höchstens durch einen
hingebenden, vielleicht auch durch einen minutiösen Fleiss sich inner
halb ihrer engen gegebenen Gränzen in einzelne Punkte fester verren
nen, nie aber frei mit dem Stolle wallen. Wohl trifft die Scholastiker
nicht der Vorwurf leichtfertiger Zuversicht oder hohler Eitelkeil, wo
mit sie etwa fertige Systeme in die Welt geschleuderl hätten, noch er
regen sie durch bodenloses Geschwätz jenen wissenschaftlichen Unwil
len, wie wir ihn z. B. bei der Lectüre Cicero's empfinden; aher weit
eher heschleichl uns ein Gefühl des Milleides, wenn wir sehen, wie bei
einem äusserst beschränklen Gesichtskreise die innerhalb desselben mög
lichen Einseiligkeiten mit ungenialer Emsigkeit gelreulichsl bis zur Er
schöpfung ausgebeulet werden, oder wenn in solcher Weise Jahrbunderle
auf das vergebliche Bemühen verschvvendel werden, Methode in
den Unsinn zu bringen. Solch wehmüthige Gedanken über verlorene
Zeit werden in uns zumeist gerade da rege, wo die verschiedenen
Meinungen betreffs der Universalien in ihren ausgebildeten Consequen-
19) V. Cousin (Ournages, inedils d'Abflard. Paris 1836. 4, mit einigen Ver
besserungen und Zusätzen wiederholt in Fragments de philosophie du moyen-dge.
,far, 1840 u. 1850. 8.) hat das grosse Verdienst, zuerst diese wahre Quelle des
Nominalismus und Realismus gezeigt zu haben, und auf Grundlage der Nachweise
desselben ga,b B. Haurcau (De la philosophie sculastique. l'ar. 1850. 8. 2 Bände)
noch manches schätzbare Material aus Handschriften, welcher überhaupt die Wis
senschaft mit einer ebenso reichhaltigen als genauen Darstellung des Scholasticismus
bis z. 14. Jahrh. beschenkte. Auch M. X. Rousselol , Etudes sur la philos.
dans le moyen-äye. l'ar. 1840 f. 2 Bade, ist zu erwähnen. Abgesehen von älterer
und veralteter Lilteratur, wie z. B. von dem ziemlich armseligen Buche des Ad.
Tribbechovius , De doctoribus sc/iolasticis (2. Aufl. v. Heumann, Jena, 1719. 8.)
werden wir Einzelnes noch unten am geeigneten Orte anzuführen haben. In neue
ster Zeit erschien eine werthlose Compilation von H. 0. Kühler, Realismus u. No
minalismus etc. Gotha 1858. 8.
XIII. Die Behandlungsweise. Hang zum Platonismus. 9
zen sich am heftigsten befehden , während das erste Auftauchen iles
Streites uns eher noch als befruchtend und anregend erscheint.
Doch dürfen wir hiebei nicht die Gränzen unseres hier gesteckten
Zweckes aus dem Auge verlieren ; denn nicht in seiner ganzen Ausdehnung
gehört jener Kampf der Geschichte der Logik an, und wir
haben hier nicht die Aufgabe, ihn nach allen seinen Seiten zu entwickeln,
sondern wir werden lediglich den logischen Gesichtspunkt festhalten
und daher sofort alles Theologische, was sich daran knüpft, ausscheiden
müssen und hiemit auch die Untologie, je mehr sie sich Schritt für
Schritt von der Logik losschält, hei Seite lassen, ja selbst von der Erkennlnisstheorie
nur jene Momente beiziehen, welche innerhalb der lo
gischen Lehren bis zu einem späteren Umschwünge der Logik selbst
fortglimmten.
Auf Grundlage dieser gebotenen Abgränzung versuchen wir nun,
die Erscheinungen auf dem Gebiete der Logik des früheren Mittelallers
nach ihrer Zeitfolge darzustellen, sei es dass sie als Compendien oder
dass sie als commentirende Erläuterungen auftreten.
Aber Ein höchst entscheidender Gesichtspunkt steht uns hiebei aus
Obigem bereits fest. Wenn nemlich die gesammte Dialektik als ein lee
res und formales Worlgeklimper betrachtet wurde (Anm. 8— 16), so
mussten diejenigen Kleriker, welche dennoch aus dem angegebenen
Grunde sich mit diesem Gebiete beschäftigten, nothwendiger Weise
bestrebt sein, dem Ganzen eine reale Grundlage zu geben, und nwar
konnte, wie sich von selbst versteht, hiebei keine andere Realität massgebend
wirken, als diejenige, welche in den christlichen Ideen sich
fand. Auch ist es wohl möglich, dass wie in anderen Beziehungen, so
auch betreffs der Logik Aussprache, welche in den Briefen des Paulus
vorlagen 20), als entscheidende Auctoritäl mitwirkten. Wenigstens finden
wir bei Theodorus Raithuensis (Mitte des 7. Jahrb.) mit direcler Bezug
nahme auf Paulus die Ansicht ausgesprochen, dass man sich in einem
Widersprüche gegen den Aposlel befinde, wenn man das Studium der
Kategorien als einen entscheidenden Vorzug des Theologen bezeichne
und hiemit die christlich fromme Stimmung in blosse Worte oder Wort
klänge verlege 21). Und wenn wir auch eben diese Stelle nicht gera-
20) Z. B. ad Corinth. I, l, 17. : eiiayyei.(£ca&ai ovx tv aotptq ioyov, ib.
2,4.: xai o iöyog ftov xal TO xf\f>vyfj.a fiov ovx tv ntiS-oii aoqlag ioyoig,
«W tv anodft^ei nvevftaTog xttl ovvKu.f<ag, ivet rj niaiig v/^tiiv ^ury 5 (v
aoyttt av&Q(än<av, &).),' tt> dvvu/ift &eov. ad Thessal. I, l, 5.: TO evayy&wv
r\fiü)V ovx fycTvrjS-ri ngog vpag Iv loy<p fiövov, äiiä xal (v övvä/tei xai
tv TivcvuttTi tty((j>. ad Timolh. I, 6, 3.: «? itg treyoSiänaxnitl — , TiTv(fia-
Ttti priolv fTtiainfj.tvog, nUä voaüv niQl fjjrjjfff/f xai Inyofia^lag. Vgl.
oben Anm. 3 n. 11.
(21) Theod. Railh. Praepar. d. incarn. (Bibl. Palr. Galland. XIII, p. 29.) : tneidri
<f^ 6 2evf,gos \pii.aig nfioxafH^erai ipiovaTs, fv (>yfiaa( re [tövoie xal »j^oif
Ti]V eva^ßfiKV vnorl&fTai , xairoiye rov anoaroiov ln-yovto; „ov yuQ tv
iöyta fj^ ßadiitCa TOV ^foü, «AA' tv ävvä/^ei xai alrjS-flq" (ad Corinl/i. I, 4,
20.)' oviog ät JTKQ' avTff ^evijQy xgäridTog frioloyog yvfaQCfncti , Sf «v
Tag xcrrriyoQlttg ItQtOTOTtlovg xal T« ioina TIÖV ?|ft) <fiioao<f(ov xo/j.if>a
fjaxrjufvog ivy^övrj. Uebrigens sind dergleichen allgemeioere Motive, welche in
der damaligen Zeit überhaupt lagen , weder bei Cousin noch bei Haureau in Be
tracht gezogen.
10 XIII. Isidorus.
ilr/H für das Mittelalter als die älteste und erste Kundgebung des Gegen
salzes zwischen Nominalismus und Realismus anführen wollen , so ist
doch jedenfalls so viel klar, dass der bei weitem überwiegende Zug
der Logik für die ersten Jahrhunderte grundsätzlich auf Seite des Rea
lismus liegen muss. Ein längerer Verlauf daher ist erforderlich, bis
endlich die Auffassung zu einiger Geltung durchdringen kann, dass auch
die Worte etwas Reales sind und dass die Worte in ihrem realen Sein
das Allgemeine in sich enthalten.
Auf solche Weise ist es uns nun völlig verständlich, wie schon
der erste Schriftsteller des Mittelalters, welcher der Geschichte der
Logik angehört, nemlich Isidorus Hispalensis (gest. 636) einen
entschieden theologischen Standpunkt einnimmt, während er zugleich
die logische Schultradition von Gassiodorus und Boetliius ausgehend
fortführt. Nemlich nicht etwa bloss ' dass er heidnische Leclüre den
Mönchen untersagt wissen will oder ddss er die Dialektik und Rhetorik
als ledigliches Wortgepränge dem Inhalte des Chrislenthums, ganz wie
wir oben sahen, gegenüberstellt22), sondern er suhstituirt auch aus
drücklichst die Theologie an Stelle der Logik ; d. h. während er die
üblichen Einteilungen der Philosophie und zugleich die Aufzählungen
der sieben Künste in den von ihm benutzten Quellen vorfindet23), hat
er in seinem bekannten eneydopädisehen Werke „Origines" oder „Elymologiae",
dessen zweites Ruch die Rhetorik und Dialektik enthält, noch
besonders Gelegenheil, auf diese Fragen einzugehen, und dort fügt er
demjenigen, was er aus Cassiodorus abzuschreiben findet (Abschn. XII,
Anm. 172), noch die Bemerkung hinzu, dass in den drei Zweigen der Phi
losophie (Physik, Ethik, Logik) sich auch die heilige Schrift bewege, und
zwar namentlich die Evangelien sich auf die logische Wissenschaft
beziehen, an deren Stelle man jetzt die Theologie betreibe24). Dabei
aber verbindet sich mit diesem Standpunkte eine für das Miltelalter
weit 'fortwirkende Unterscheidung zwischen ars und disciplina, welche
Isidor wahrscheinlich dem Victorinus (Abschn. XII, Anm. l ff.) ent
nahm25); wenn nemlich ars dem Gebiete des Veränderlichen und Wahr-
22) hid. Hisp. Opp. ed. du Breul. Paris. 1601. fol. — Regula. monach. c. 8. (p.
702 a.): Gentilium libros vcl liaereticorum Volumina monachus legere caveat. Senlent.
III, 13. (p. 670 b.): Ideo libri sancti simplici sermone conscripti sunl, iit non
in sapientia verbi, sed in ostensione spirilus liomines ad fidem perducerenlur ; nam
si dialectici acuminis versulia aut rhetoricae urlis e.loquentia editi essent, nequaquam
putaretur fides Christi in dei virlule sed in eloquentiae humanae argumentif
consislere, nee quemquam crederemus ad ßdem divino inspirumine- proviicari, sed
potius verborum calliditale seduci. Omnis secularis doctrina xpumantibus verbis resonans
ac se per eloquenliae tumorem attollens per doctrinam simplicem et humilem
chrislianam evacuata esl, sicul scriptum esl : nonne stultam fecit deus snpientiam
huius mundi.
23) D. diff. spiril. c. 34. (p. 302.) u. Oriy. l, 2. (p. 1.) u. II, 24. (p. 29 a.).
24) Orig. II, 23. (p. 29 a.): in his quippe tribus generibus philosophiae etiam
eluquia divina fonsislunl ; nam aut de natura disputare soleni ut in Genest et Ecclcsiastc,
aut de moribus ut in Proverbiis et in omnibus sparsim libris , aut de logica,
pro qua nostri tlteologiam sibi vindtcant, ul in Canlico canticorum et Evangcliit.
25) Wenigstens stimmt sie dem Sinne nach ganz mit demjenigen überein, was
in der Einleitung der uns erhaltenen Schrift des Victorinus Expos, in Cic. Rliet.
(p. 102 ed. Capper.) sich findet. Vgl. auch Marc. Cap. tt, 138.
XIII. Isidorus. 11
scheinlichen, disciplina aber jenem des Ewigen und Wahren angehört 2Ä).
so konnten nicht bloss das Rhetorische und das Speculative als zwei
gesonderte Zweige auseinandergelegten werden, sondern es durfte auch
letzleres nach seiner äusseren technischen Seite eine besondere Behand
lungsweise finden.
So theilt Isidorus das Gesammtgebiet der „Logik" (auch im fiinblicke
auf dicti-o und nermo) in Rhetorik und Dialektik27), und sowie
er sich bezüglich der schulmässigen Unterscheidung beider Wörtlich an
Cassiodorus (s. Ahschn. VIII, Anin. 25) anschliesst, so ist es überhaupt
des Letzteren oben (Abschn. XII, Anm. 172— 184) geschildertes monströ
ses Compendium, welches durch Isidorus mit einigen Abweichungen
oder Zusätzen den folgenden Jahrhunderten überliefert wurde. Nach
dem er nemlich den Uebergang von der Eintheilung der Philosophie
zur Isagoge in der nemlichen dürren Weise gemacht, welche wir hei
Cassiodorus sahen 28), gibt er eine Aufzählung und Erklärung der quin
que voces , wobei er die Verdienste des Porphyrius gegenüber dem
Aristoteles und Cicero hervorhebt 29) und offenbar nur aus der von
Boethius coimnentirten Uehersetzung des Victorinus geschöpft hat, auf
welch letzteren er auch am Schlüsse des Cap. selbst verweist30);
eigentümlich ist ihm dabei der höchst schulmässige Einfall, die fünf
Worte in Einem Salze beispielsweise auszudrücken31). Die hierauf fol
gende Angabe der Kategorien ist zu Anfang und am Schlüsse wörtlich
aus Cassiodorus entlehnt32), in der Mille aber ist sie ausführlicher,
26) Orig. 1,1. (p. 1.): Inter arlem et disciplinam Plato et Aristoteles hanc differentiam
esse voluerunl dicenles, arlem esse in üs quae se et aliter habere pos&unt;
disciplina vero est, quae de iis agil quae aliter evenire non possunt; nam quando
teris disputalionibus aliquid disserilur , disciplina erit ; quando aliquid verisimile
atque opinabile tractatur, nomcn arlis habebil.
27) D. differ. spir. c. 34. (p. 302 b.) : Nunc partes logiccs assequamur; cunslat
autem ex dialcctica et rlietorica. Dialectica est ralio sive regula disputandi intellectum
mentis acuens reraque a falsis distinguens; haec scientia, sicut quidam
ail, sicut ferrum venenum, ac armat eloquium. Orig. U, 24. (p. 29a.): Logicam.
quae rationalis vocatur, Pluto subiunxil .... dividens eam in dialeclicam et rhetorieam;
dicla autem loyica , i. e rationalis; ioyos enim apud graecos et sermonem
significat et rationem. Ebend. VIII, 6. (p. 106a.): Logici — quia in naturis et
moribus rationem adiung-unt, ralio enim graece ioyos dicitur. Ebend. II, 22. (p.
28 b.): Dialectiea est disciplina ad discerncndas rerum causas inventa; ipsa est
philosophiae species, quae logica dicitur, i. e. rationalis dif/lniendi quuerendi et
disserendi potens Aristoteles ad rcgulas quasdam huius doctrinae argumenta perduxit
et dialeclicam nuncuparil pro co quod in ea de diclis dispulalur , nam ütlji;
diclio dicilur (vgl. ebend. I, 22 f.) ; ideo autem post rhetoricam disciplinam dialectica
sequüur, quia in multis ulrique communia existunl
28) Abschn. XII, Anm 173.
29) Orig. II, 25, p. 30 a.: Cuius disciplinae difßnitionem plenam existimarunt
Aristoteles et Tullius ex genere et differenliis consislere ; quidam pustea pleniores
in docendo eius perfcctam subslantialem diffinitionem in quinque partibus velut in
membris suis diviserunl. Vgl. Boeth. ad Porph. p. 7. (ed. Basil. 1570).
30) Ebend. p. 30 b.: Isagogas autem ex graeeo in latinum translulit Victorinus
orator, commcntumque eius quinque libris Boelhius edidit.
31) Ebend. p. 30 a.: Vt est ex omnibus Ais. quinque partibus oralio plenac
senlentiae ila: „homo est animal rationale mortale visibilc boni malique capax."
(Vgl. Abschn. XI, Anm. 46.)
32) Cap. 26. p. 30 b. S. Abscbn. XII, Anm. 174. (auch die verdorbenen
12 X1I1. Isidorus.
namentlich an Beispielen. Dann reiht sich natürlich d. interpr. an, ein
Abschnitt , welchen wir hier zum ersten Male unter der barbarischen
Ueberschrift „De Perihermenüs Aristotelis" antreffen33); die Eingangs
worte und der eigentliche Kern (die Definition von nomen, verbum,
oral/o , enunlialio, affirmalio , negalio, contradiclio) sind wörtlich aus
Cassiodorus ausgeschrieben 34), dazwischen aberstehen einige allgomeinere
Bemerkungen, welche aus Boelhius (s. Abschn. XII, Anm. 110) entnom
men sind und dadurch, dass sie das Verhältniss zwischen Sprache und
Denken betreffen, eine grosse Wichtigkeit für die Folgezeit erhielten 35);
die Schlussworle aber des Cap. gehen einen erträglicheren Uebergang
zum Syllogismus als jene bei Cassiodorus 30). Die nun folgende Syllogistik
selbst ist nach einer einleitenden Verwahrung vor sophistischem
Missbrauehe 37) wörtlichst aus Cassioilorus herübergenommen 3S). Den
Inhalt der hierauf sich anschliessenden Lehre von der Definition, welche
Isidor aus Vietorinus entlehnt, mussten wir eben desshalb bereits oben,
Abschn. XII, Anm. 2. anführen. Von der Definition aber wird zur Topik
mit den nemlichen Worten wie bei Cassiodorus (s. ebend. Anm.
179) der Uebergang gemacht, und auch bei Aufzählung der Topen nur
Letzterer benutzt; aber es bleiben hiebei vorerst jene fremdartigen
Einschiebsel, welche wir oben (ebend. Anm. 181 — 183) sahen, völlig
hinweg, und ausserdem werden mit Uebergehung der rhetorischen To
pen unter den dialektischen nur die Ciceronischen vollständig und hiezu
drei aus jenen des Themistius aufgenommen 39). Endlich den Schluss
macht ein eigner Abschnitt „De opposilis", welcher allerdings hier nicht
in dem üblichen Zusammenhange mit der Kategorienlehre steht40),
sondern sich noch an das Material der Topik anschliesst, sowie er auch
Schlussworte des Isidorischen Textes sind nach dem dortigen Wortlaute des
Cassiod. zu lesen).
33) Man hielt nemlich das zusammengeschriebene Perihermenias (ne^l tQfAt)-
vetas) für einen Accusativ Plural und dachte sich hiezu einen Nominativ Perihermeniae.
(Ja noch im 19. Jahrh. finden wir bei Ild. v. Arx, Gesch. v. St. Gallen,
I, p. 262. ,,die Periemerien" des Aristoteles; s. unten Anm. 245.)
34) C. 27, p. 31 a. S. Abschn. XII, Anm. 175. (auch das Sprüchlein über
Aristoteles).
35) Ebend.: Omnis quippe res quae una est et uno signiftcalur sermone , mit
per nomen significalur aut per verbum, quae duae parles orationis interprelantur totum,
quidquid conccpit mens ad eloquendum ; omnis enim cloculio conceptae rei
menlis interpres est. Namentlich müssen wir hiebei den Sprachgebrauch „concipere,
conceptio" hervorheben.
36) Ebend. p. 3l b. : Utilitas perihcrmeniarum Itacc esl, quod ex bis interpretamenlis
syllogismi fiunt , unde et Analytica perlractantm. Vgl. Abschn. XII,
Anm. 176.
37) C. 28, p. 31 b.: plurimum adiuvat lectorem 'ad veritatem investigandam,
lanlum ut absil ille error decipiendi adversarium per sophismala falsarum conclusionum.
38) Das ganze Cap. enthält somit dasjenige, was wir schon oben Abschn. XII,
Anm. 176. u. 177. anzugeben hatten; nur lässt Isidor unter den ebendort Anm. 3,
13. n. 16. angeführten Stellen den Inhalt der Anm 3. hinweg.
39) C 30 S. Abschn. XII, Anm. 184; unter den dortigen Topen des The
mistius treuen wir hier nur: a loto, a partilms, a nota.
40) Wie z. B. Abschn. XII, Anm. 61. u. 94; hingegen in anderer Weise ebend.
Anm. 10.
XIII. Isidorus. 13
in der Thal aus des Boethius Commenlar zur Ciceronischen Topik excerpirt
ist41).
Aber ausser diesem Abrisse der Dialektik ist es bei Isidorus auch
noch Anderes, was in Folge der Auclorilät, welche er in der nächsten
Zeit genoss, einen Einfluss auf die Geschichte der Logik ausüble. Nemlich
einerseits finden sich einzelne Bruchstücke logischer Lehren in an
deren Abschnitten seines encyclopädischen Werkes, so z. B. neben der
(in dem Abschnitte über die Kategorien , s. oben Aiuu. 32) üblichen
Begriffsbestimmung des Homonymen u. s. f. kömmt Isidorus auch in der
Grammatik auf diesen Gegenstand , woselbst er aber die griechischen
Wertformen anwendet42); auch ist insbesondere aus der Rhetorik der
Abschnitt De syllogismis zu erwähnen, da er einerseits -für die Argu
mentation dem enthymema eine hohe Geltung verschallte (s. unten Anm.
92), und andrerseits eine wenn auch noch so kümmerliche Notiz vom
Dasein der Induction enthält. Der Inhalt dieser Lehre über den
Schluss 43) bietet natürlich durchaus Nichts neues dar, sondern ist aus
Victorinus entnommen (s. Abschn. XII, Anm. 12) und weist hiedurch
bis zu Cicero (Abschn. VIII, Anm. 53— 62, woselbst bes. Aum. 60 die
betreuende Stelle über das enthymema) zurück.
Andrerseits endlich hat Isidorus durch ein paar ledigliche Einzeln
heiten, welche an sich ausserhalb der Logik liegen, — gleichsam ohne
es zu wollen — , den Späteren Veranlassung zu Fragen dargeboten,
deren Beantwortung wir unlen als Glieder des geschichtlichen Verlau
fes werden anführen müssen44). Das Eine, was wir hiebei im Auge
haben , ist die Aufstellung eines Unterschiedes zwischen Rationale und
Ralionabile 45), welcher offenbar auf einer Stelle des Commentars des
Boethius zur Isagoge beruht46) und bewirkt haben mag, dass man
41) C. 31, p. 35a.: Primum gentts est contrariorum , quod im/lu Ciceronem
diversum (zu lesen adversum) vocalur .... secundum genus eil relativorum tertittm
genus esl oppositorurn (man bemerke den ungenauen Sprachgebrauch) habiltis
vel orbatio, quod genus Cicero privationem vocat quartum vero genus ex confirmatione
et negaiione opponitttr .... quod genus quartum apud dialecticos ninl/iiiii
habet conflictum et appellatur ab eis valae oppositum. Die Quelle hievon s. b.
Soeth. ad Cic. Top. p. 815 f., die betreffende Stelle Cicero's wurde oben, Abschn.
VIII, Anm. 42, angeführt.
42) Orig. I, 7, p. 4 a. : Synonima hoc est plurinomina homonima hoc est
vninomina
43) Orig. II, 9. u. 12. (p. 23 b.: Syllogismus graece. latine argumentatio appellatur
syllogismorum apud rhetores principaliter genera duo sunt, induclio et
ratiocinatio).
•14) Wenn es demnacb auch dem Leser auffallen mag, dass ich hier Solches
erwähne, so wird unten es sich zur Genüge begründen, warum ich aus dem über
reichen Schatze Isidorischcr Schulweisheil gerade diese , und zwar ansschliesslich
nur diese paar einzelnen Momente herausheben mussle. Wenn aber hiedurch be
treffs der Auffassung der Geschichte der Philosophie des Mittelalters an die Stelle
einer bisher üblichen rühmenden Erwähnung eines selbstsländigen Denktriebes die
Einsicht in die völlige innere Unselbstständigkeil damaliger Denker tritt, so
scheint eben eine derartige Aenderung der Ansicht uns das Richtige zu sein.
45) D. differ. spirit. 18, p. 297a. : Inier rationale et rationabile hoc inlerest,
sapiens quidam dicit: rationale est, quod rationis ulitur intellectu, ut homo ; ralionabile
vero , quod ralione dictmn vel factum est. Fast wörtlich ebenso Differ. lib.
p. 770a.
46) Porphyrius hatte nemlich bei Angabe desjenigen, was dem yfvog und der
14 XIII. Alcuim«.
später die dortigen Worte noch genauer erwog (s. unten Anm. 212 IT.);
das Andere aber besteht in der an die „Schöpfung aus Nichts" ge
knüpften Angabe, <l;iss die Finslerniss keine Substanz sei 4~), wovon wir
eine weitere Folge bald unten (Anm. 72 ff.) treffen werden.
Der nemliche Standpunkt wie bei Isidorus, sowohl betreffs der
Geltung der Dialektik als auch in abenteuerlicher Compilalion eines
Compendiuuis, waltet auch hei Alcuin (735—804), dessen Unterricht
in der damals üblichen Logik bekanntlich auch Karl der Grosse genoss
4S). Es gibt Alcuin nicht bloss die Eintheilung der Wissenschaf
ten in einem Schema nach Isidorus, sondern wiederholt auch wörtlich
aus demselben obige Anm. 24) theologische Auffassung der Logik49);
dabei aber zeigt er überall eine hohe Werthschälzung der Philosophie,
und während er häutig Klagen über eine weit verbreitete Unwissen
heit hieran knüpft, erhebt er sich zu dem Ausspruche, dass die freien
Künste die sieben Säulen der Weisheit seien 50) , und so übt er, auf
Augustin hinweisend, reichlich die überlieferte Schulphilosophie, d. h.
die Kategorienlehre, in den theologischen Hauptfragen über den Gottes
begriff und die Trinität51)-
Dass aber Alcuin selbst über alle sieben Künste geschrieben habe,
ist schon längst widerlegt 52) durch den Nachweis , dass ein im Mit
telaller viel gelesenes Excerpt aus Cassiodorus für ein Werk Alcuin's
gehalten wurde. Wohl hingegen bearbeitete er die Grammatik, die Rhe
torik und die Dialektik, und ausserdem übersandle er an Karl d. Gr.
das pseudo-augustinische Buch über die Kategorien (Abschn. XII, Anm.
« gemeinsam sei (Abschn. XI, Anm. 49.), als Beispiel das ioytxöv ge
brauch! in einer Stelle, welche nach der Übersetzung des Boelhius (p. 95.) lautet:
Cumque sit differentia „rationale", praedicalur de ea ut differentia id quod est
„ratione utt": non solum autem de eo quod est rationale, sed etiam de his quae
sub rationali iunl speciebus praedtcabilur ratione uti. In der Erklärung nun dieser
Worte sagt Boethius (p. 96.): de rationall duae di/ferentiae dicuntur; quod enim
rationale esl, utilur ratione vel habet rationem, aliud est aulein uti ratione, aliud
est habere ratiunem ergo ipsius ralionabilitatis quaedam differentia eil ratione
uti, .••i'il sub ralionabilitale posilus esl homo.
47) Sentent. l, 2, p. 620 b.: Materia ex qua coelum terraque formala est,
ideo informis rocala esl , quia nondum ea formala erant , quac formari restabant,
verum ipsa materia ex nikilo facla erat (p. 621 a.:) fio'n ex lioc iubstanliam
habere credendae sunl lencbrae, quia dicit domiitus per prophelam ,,egu dominus formans
lucent et creans tencbras" , sed quia anyelica natura, quae non ett praevaricala,
lux dicilur, itla aulem quae praevaricata ist, lenebrarum nomine nuncupalur.
48) Eijinh. Vil: Car. M, c. 25. : habuil in ceteris disciplinis praeceptorem Albinum
cognomento Alcuinum apud quem et rhetoricue et dialecticae .... ediscendac
plurimum et lempuris et laboris impendil. Saxo, Ann. d. gest. Car. M. V, v.
235 f. bei l'ertz, Montan, l, p. 271.: Anis rlutoricae seu cui dialectica nomen, sumpsil
ab Alcuini dogmate noliciam.
49) Alcuini Opp. ed. Proben. Balisb. 1777. fol. II, p. 332. u. Uialecl. l,
ebend. p. 335.
50) Z. B. Epist. 38. (I. p. 53.), Epist. 68. (p. 94.), Epist. 141. (p. 202.).
Gramm. (II, p. 268.) : Sapienlia liberalium litlerarum seplem columnis confirmatur,
nee aliler ad perfeclam quemlibel deducit scientiam, nisi his septem columnis vel
etiam gradibus exaltelur.
51) 1). fide Irin. I, 15. (I. p. 713.) u. Epist. dedic. (p. 704.), Quaest. d. Irin.
(l, p. 740.), Epist. 122. (l,* p. 177.), Epist. 221. (p. 285).
52) Vun Frobenius in d. praef. U, p. 263 f.
XIII. Alcuinus. lf>
40 ff.) mit einem metrischen Prologe53), welcher in Auffassung der
Kategorien den Standpunkt des Boelhius (s. ebend. Anm. 84) enthält.
Das Compendium der Dialektik selbst, welches ebenfalls einen der
gleichen (unbedeutenden) Prolog an der Spitze trägt, ist in Dialogfonn
geschrieben, so dass Karl d. Gr. immer die Fragen stellt, Alcuinus aber
sie beantwortet. Im Anfange ist hiebei Alles, auch die Theilung der
Logik in Rhetorik und Dialektik, wörtlich aus Isidorus (oben Anm. 27)
genommen, auf den eigentlichen Inhalt aber wird mit einer höchst
schulmässigen Einteilung der Dialektik in „fünf Arten" übergegangen 54).
Der erste Abschnitt, natürlich die Isagoge, ist wörtlich aus Isidor aus
geschrieben (mit Weglassung der Stellen in ob. Anm. 29 u. 30), auch
jener Eine Beispielsatz (Anm. 3l) fehlt nicht55). Die hierauf folgende
ausführliche Angabe der Kategorien 56) ist vollständig aus dem pseudoauguslinischen
Compendium mit barbarischer Schreibung der dortigen
griechischen Worte excerpirt (s. Abschn. XII, Anm. 50); das Einzige,
was neu hinzukömmt, ist, dass hier nun auch für die Kategorien Ein
Salz als Beispiel gebildet wird57). Wenn aber bei Pseudo - Auguslin
(c. 18) nach der zehnten Kategorie (habere) die übliche Besprechung
der Gegensätze folgt, so verschmäht hiefür Alciiin diese Quelle, indem
er unter der Ueberschrift „De conlrariis vel opposilis" nun wörtlich
den betreffenden Abschnitt aus Isidorus (oben Anm. 41) ausschreibt 58);
unmittelbar darauf aber springt er für die sog. Postprädicamente (prius
und simut) wieder auf PS. -Augustin zurück, lässt aber das dortige Cap.
21 (die immulatio) ganz hinweg69). Sodann folgt unter der Ueberschril't
„De argumentis" zunächst ein höchst kurzer Auszug aus jenem
Excerpte der Lehre vom Urlheile, welches Boethius seiner Schrift d.
diff. top. (s. Abschn. XII, Anm. 80 u. 165) einverleibt halte60), und
53) Derselbe lautet (H, p. 334.): Contintt isle decem naturac verlia libelliis,
Qnae iam verba lenent rerum ratione stupenda Omne, q«od in nostrum pulrrit decttrrere
sensum. Qai legil, mgenium vetentm mirabile landet Atque suum sludeat
tali exercere labore Exornans litulis vitae dala lempora honei,tis. Hüne Augustino
ldiicv.il transferre matjislro De veterum gazis graecorum clave lalina, Quem tibi rtx,
magnus sophiae sectator amalur, Munere qui lali gaudes, modo mitlo legendttm.
54) C. l, p. 336.: K. Quol sunt spccies diatecticae? A. Quinque principales:
isagoge, categoriae, syllogismorum formulae, diffinitimes, lupica, periermeniae. Al
lerdings eine monströse Anordnung, welche noch dazu mit der Fünfzahl schlecht
stimmt; doch s. unten Anm. 64.
55) C. 2, welches mit den Worten (p. 337.) schliessl: haec commentario sermone
de isagogis l'orjihyrii dicla sufficiant, nunc ordo postulat ad Aristotelis calegorias
nos transire.
56) C. 3—10, p. 337—342.
57) C. 10, p. 342. : K. Ex Ais omnibus decem praedicamentis unam milii coniunge
oralionem. A. l'lena enim oratio de his ila coniungi polest: „Auguslinus
magnus orator, fihus illius, stans in tcmplo hodie infulatus dispulando fatigatur.'1
58) C. 11, p. 343. Nur in den Beispielen sind die Eigennamen oder der In
halt derselben in das moral-theologische Gebiet umgesetzt.
59) Ebend. Weder am Anfange noch am Schlüsse dieser Postprädicamente ist
irgend ein Uebergang gemacht, der sie an das Vorhergehende oder das Nachfol
gende anknüpfte.
60) C. 12, p. 344. Nach der Bestimmung, was argumentum (rei dubiae affirmalio)
uinl was oratio (verum aut fatsum significans) sei, folgt die übliche Notiz
(s. Abschn. XII, Anm 111.) über est und nun est, sowie über die Casus
16 X1I1. Alcuinus.
hierauf, insoferne ja ebendort auch von der Argumentation die Rede ist,
eine armselige Auswahl einiger Beispiele von hypothetischen Schlüssen,
welche Boethius dort entwickelt ; hieran aber reihen sich noch die vier
ersten Modi der kategorischen Schlüsse an, welche aus Isidor (ob. Ami).
38) entnommen sind61). Die Lehre von der Definition, welche wieder
gänzlich auf Boethius beruht, zerfällt in eine Erörterung de modis dif-
(inilionum, wobei nur das Motiv des Herabsleigens vom Allgemeinsten
zum proprium (s. Abschn. XII, Anm. 105) angegeben und an dem Bei
spiele homo erläutert wird 62), und in eine Aufzählung de speciebus
diffinilionum , woselbst an die Bemerkung, dass es eigentlich fünfzehn
Arten seien, unter denselben aber einige rhetorische und einige dialek
tische sich finden (s. ebend. Anm. 107), eine durchaus hodenlose und
widersinnige Hervorhebung von acht Arten angeknüpft wird 6S). Aber
die Lehre von der Definition soll doch wieder, wie bei Isidorus (oben
Anm. 39), hauptsächlich nur zur Topik gehören 84), und es folgt hieinit
die Aufzählung der Topen, welche sonach auch ebendorther mit Weg
lassung der exlrinsecus vorkommenden entnommen ist, aber durch Boethianische
oder durch biblische Beispiele erläutert wird 65). Endlich
der abenteuerlich nachhinkende Abschnitt „De Perihermeniis" (s. oben
Anm. 33), — denn einige Trümmer der Lehre vom Urlheile waren ja
schon oben gelegentlich der Argumentation dagewesen — , ist gleich
falls dem Isidorus entlehnt und enthält somit zunächst auch die oben
(sie findet sich auch in Alc.'s Gramm. II, p. 271.), hierauf die Vierlheilung der
Urtheile bezüglich der Quantität (s. ebend. Anm. 124.), dann die Unterscheidung
in kategorische und hypothetische, bei deren ersteren die Begriffe subiectum, praertie.
ulum, maior, minor (s., ebend.) angegeben werden, woran sich noch die Utnkehrbarkeit
des das pvoprium enthaltenden Urtheiles anreiht (aequales aequaliter
circumverti possunl, s. ebend. Anm. 129.).
61) Ebend. p. 345. Den Uebergang hiezu bilden die Worte: Quomodo quaelibet
res his argumentis (!) confirmari pulest aut deslrui ? Die Beispiele der hypo
thetischen Schlüsse beziehen sich nur auf die zwei Modi Si A est, B est, A vero
est, und Si A est, Best, B vero nou est. Nach den vier kategorischen Modi stehen
die Worte : Horum enim syllogismorum multae sunt species , sed ha.ec ad praesens
sufficiant ad cognoscendum universales et parliculares conclusiones in afßrmando et
' negando.
62) C. 13, p. 345.: l'rimum per immensum tendi opork-l incipienlem a genere,
dehinc paulatim currendo per partcs devenire debet ad id , in quo solum est id,
quod difftnilum est ; ul In qui signa formant primo immensum sibi deligunt lapidem,
dehinc paultatim minuendo et abscindendo superftua ad formandos vullus et
membra perveniunl. Die Begriffsbestimmung der Definition selbst (oratio brevis
rem ab aliis rebus divisam prupria significatione concludcns) findet sich ebenfalls
Gramm, p. 271.
63) C. 14, p. 346.: K. Quol s/wcics sunt difßnilionum? A. Quindecim; sed
aliae ex las ad dialecticos pertinent, aliae ad rhelores. K. lllas maxime velim
audire , quae magis ad dialecticos perlinenl. Hierauf nun werden aus jenen des
Boethius folgende acht mit biblischen Beispielen vorgeführt: principalis, quae substanliam
demonslrat , a nolilia , quae rem aliquant per actum significat ....,
qualitativa , per di/ferentiam . . . . , per privantiam , per indigenliam pleni
, per laudem . . .. , iuxla rationem.
64) Ebend.: K. Cui enim parti dialeclicae artis hae difßnüiones mazime iungendae
sunt ? A. Topicis. Hiernach bliebe freilich trotz der sechs Abschnitte doch
obige Fünftheilung (Anm. 54.) gültig.
65) C. 15, p. 346—350.
XIII. Fredegisus. 17
(Anm. 35) betonten Momente fiber Sprache und Denken06); aber die
darauf folgenden Angaben über nomen, verbum und oralio sind aus Boethius
(die betreffenden Stellen desselben s. Abschn. XII, Anm. 110)
sehr bereit'bert und erweitert6')» und so wird bei Eintbeilung der
oralio die enunliativa scharf von den übrigen Arten getrennt (s. ebend.
Anui. 111), ja die letzteren sogar der Grammatik zugewiesen 6V), die
selben aber doch ebenfalls mit Beispielen aus Boethius angeführt, und
zuletzt noch auf das Kürzeste affirmalio , negalio und conlradiclio aus
Isidor (ob. Aum. 34) herübergenommen 69).
Abgesehen von dieser Compilation der Dialektik selbst haben wir
noch zu erwähnen, dass AIcuin auch in der Rhetorik nicht bloss
obige (Anm. 43) Stelle über Induction und Argumentation aus Isidorus
benützt70), sondern auch in ein paar Beispielen das Gebiet der so
phistischen Fehlschlüsse berührt71), wobei ihm Gellius als Quelle diente.
Zeigen uns diese beiden bisher betrachteten Compendien lediglich
die Form von Flickwerken, bei deren Abfassung nicht einmal mehr das
abslract logische Bedürfnis» einer irgend zusammenhängenden Reihen
folge mitwirkte, so erblicken wir allerdings im Vergleiche mit solchen
Scliulproducten schon einen Fortschritt darin, wenn der Eine oder An
dere durch das traditionell gewordene Material wenigstens zu Fragen
sich aufgefordert fühlt, welche er so oder so zu beantworten versucht;
aber hoiie Ansprüche dürfen wir an dergleichen erste Versuche nicht
inachen. Und nur einen Beleg für die völligste Unklarheit in jenen
Fragen, welche bald hernach zu einer Parleispaltung führten, gibt uns
die Art und Weise, wie Fredegisus, ein Schüler Alcuin's (gest. 834
als Abt in St. Martin zu Tours), in einer an die Theologen am Hofe
Karls d. Gr. gerichteten Epistola de nihilo el lentbris 72) sich mit den
Begriffen „Nichts" und „Finsterniss" herumschlägt, welche er nach der
üblichen Weise sowohl ratione (d. h. logisch) als auch auclorilale (d. h.
66) C. 16, p. 350. Jener Ausspruch über Aristoteles (ob. Anm. 34.) kömmt
bei Ale. Epist. 35 (I, p. 47.) sogar als proverbium wieder vor. Das Verbältniss
aber zwischen res, iulelleclus und vox drückt Ale. ausserdem Gramm. (II, p. 268.)
auch so aus: Tria sunf, quibus omnis collocutio disputatioque perficilur, res, inlellectus,
voces ; res sunt , quae animi ratione percipimus ; Meücctus , quibus res
ipsas addiscimus; voces, quibus res intellectas proferimus. Vgl. Epis.1. 123. (I, p.
179.): Verba enim, quibus Idquimur, nihil aliud sunt nisi signa earum rerum, quas
menle concipimus, quibus ad cognilionem aliorum venire volumus.
67) Ebend. p. 350 f. Namentlich findet sich hier auch wieder die Erwäh
nung erdichteter Begriffe, z. B. hircocervus, quod graece Iragelaphus dicilur.
68) Ebend. p. 351.: K. Num et illae aliae species quatuor (d. h. mterroyativa,
imperativa, deprecativa, vocativa) ad dialecticos pertinent? A. Non pertinent ad dialecticos,
sed ad grammaticos.
69) Ebend. p. 352.
70) D. Rhe.t. et Virt. (II, p. 324.).
71) Ebend. p. 326.: St dicis „non idem ego et tu, el ego homo", cansequens
est, ul tu homo non sis .... Sed quot syllabas habet homo? Duas. Nunquid tu
dtiae illae syllabae es? Nequaquam. Sed quorsum ista? ül sophisticam intelligas
versutiam. Vgl. Abschn. VIII, Anm. 66.
72) Gedruckt b. Steph. Baluzii Miscett. ed. Dom. Mansi. lucae. 1761 fol. II,
p. 56 b. — 58 a. Die Eingangsworte lauten: Omnibus ftdelibus et domini nostri serenissimi
principis Karoli in sacru eius Palalio consislenlibus Fredegysus Diacanus.
PBANTL, Gesch. II. 2
18 XIII. Fredegisus.
orthodox theologisch) besprechen will 73). Die Veranlassung zur gan
zen Erörterung überhaupt liegt sicher in obiger (Anm. 47) Stelle des
Isidorus 74), die Auffassungsweise aber ist abgesehen vom allgemeinen
theologischen Standpunkte in logischer Beziehung so plump oder so
naiv, dass wir in der That keine Wortbezeichnung für dieselbe finden;
denn wo von einer Erwägung über die sog. Universalien auch nicht die
geringste Spur sich zeigt, können wir unmöglich von Realismus oder
von Nominalismus sprechen. Kurz die Sache ist so monströs, dass wir
sie nicht einmal als eine Vorstufe späterer Ansichten bezeichnen kön
nen. Es wird nemlich nicht hloss mit dürren Worten gesagt, dass wir
mit dem Sprachausdrucke unmittelbar die Sache verstehen , sondern es
'wird auch Bezeichnung und Existenz selbst sofort als .identisch genom
men 75), wornach das existirende Nichts wie bei Isidorus eine An
knüpfung an die mosaische Genesis findet70); ebenso verfährt Fredegisus
betreffs der Finsterniss, kömmt aber hiebei durch den gleichen Geclankengang,
indem er sich auf das Verbum esse in einem biblischen Salze
stützt, zu einer von Isidor abweichenden Ansicht77). Höchstens liesse
73) Es ist doch merkwürdig, welch interessanten Mann lleiur. Hitler, Gesch.
il. Phil. VII, p. 187. aus diesem Fredegisus zu machen weiss, von welchem er sagt,
dass er „zu einem tieferen philosophischen Nachdenken geneigt in der Wissen
schaft eigene Wege zu gehen versuchte." Nachdem nemlich hierauf Ritter selbst
angeführt, dass Fred, im Streite gegen Agobardus den alleräussersten Autoritäts
glauben vertheidigle, heisst es weiter (p. 188.) : „Aber diess zeugt nur von seinem
grübelnden Geiste, keineswegs davon, dass er die Vernunft gänzlich der Auctorität
unterwerfen wollte; vielmehr erklärte er sich entschieden dafür, dass jede Aucto
rität nur durch die Vernunft ibre Auctorität habe." Als Beleg für diese Hhrase,
nach welcher wir in dem hyperorthodoxen Fred, zugleich wenigstens einen Vor
läufer Spinoza's und Lessing's zu verehren hatten, führt Ritter eben die auch uns
interessirenden Worte aus genannter Epislola an, welche bei Baluze allerdings folgendermassen
lauten (p. 57 a.): huic responsioni obviandum est primum ratione, in
>l n n nl u in hominis ratio patitur, deinde auclorilale, non qualibet , sed ralione dwn-
I a, ml, quae sola auclorilas est solaque immobilem oblinet ßrmilatem. Also Ritter
rnuthet seinen Lesern den Unsinn zu, Fred, wolle erstens ralione, und zweitens
aucturitate , aber letzteres eben doch wieder nur raticmc, verfahren. Aber hätte
Ritter nur nicht allzu flüchtig gelesen, so hätte er aus mehreren weiter unten fol
genden Worten (p. 57 a. : ad divinam auctoritalcm recurrere übet, quae est ralionis
/n um int' n et stabile firmamentum. p. 57 b. : ecce inticta auctorilas ralione comilata
et ml in quoque auctoritalem confessa faciamus palam pauca divinn testimonia
adgregantes. p. 58 a.: haec pauca ratione simul el auctorilate congesta .... scribere
curat'i) sehen müssen , dass ratio und auctorilas auch hier den tausendfältig vor
kommenden theologischen Dual rcpräsentiren , kurz, dass in öliger Stelle anstatt
des zweiten ,, ralione" natürlich „revclatione" zu lesen ist.
74) Demnach verspüren wir auch in dieser Hinsicht Nichts von „tieferem
philosophischen Nachdenken" oder von „eigenen Wegen" des Fredegisus. Vgl.
oben Anm. 44.
75) p. 57 a.: Omnc uomcn finilum aliquid significal , ut homo, lapis, liynum ;
haec enim «6t dicla fuerint , simul res quas signiftcant intelligimus — igitur „niliil"
ad id quod siyniftcat referlur Omnis iiynificatio eins significalio (die
letzteren zwei Worte fehlen im Texte) est, quod est; „m'W aulem aliquid signi-
/icat; igilur ..mli/l" eius signißcalio est, quod esl, id est rei exislenlis.
76) Ebend. : Universa ecclesia confitetur divinam potentiam operatam esse
ex in In In terram aquam aßra et ignem elc si ergo haec humana ratione
comprehendere nequimus, quomodo olttincbimus, quantum qualeve sit illud, unde originem
gcnusque ducunt.
77) Ebend. : Qui dicit lenebras esse, rem conslituendo ponit, .... »iam verbum
XIII. Hrabanus Maurus. 19
sich hervorheben, dass Fredegisus einen Rflekliall an dem theologischen
Begriffe des „Wortes Gottes" besitzt (s. Anm. 1221'.). Uebrigens vergl.
über jene beiden Begriffe auch unten Anm. 133 ff.
An den Namen des Hrahanus Maurus (geb. 776, gest. 856)
wurden allerdings in neuester Zeit Producte geknüpft, deren Eines von
den bisher betrachteten sehr abweicht. Es sind diess glossiremle Commenlare,
deren Besprechung jedoch jedenfalls erst weiter unten mög
lich ist; neuilich selbst wenn es aus inneren Gründen für wahrschein
lich gehalten werden könnte, dass wirklich Hrabanus sie verfasst habe,
so inüssle ihnen dennoch behufs einer richtigen Beurtheilung ihre Stelle
erst bei der Darstellung jener Bewegung angewiesen werden, welche
durch die Anschauungsweise des Scotus Erigena hervorgerufen wurde.
Somit schien es , da die Identität des Autors sich als sehr zweifelhaft
erweist, räthlicher zu sein, dass wir das Wenige, was sicher dem Ilrabanus
angehört und zugleich den bisher erwähnten Schriften verwandt
ist, gleich hier in Kürze vorführen, hingegen jene neuerdings gefundenen
logischen Tractate erst nach der Besprechung des äcotus einreihen
(Anm. 144 ff.). Zunächst demnach gehört aus den schon längst be
kannten Werken des Hrabanus 7S) ein Abschnitt der unter dem Titel
„De universo" verfassten Encyclopädie hieher, in welchem mit der
Ueberschrift „De philosophis" die Einteilung der Wissenschaften und
der Philosophie aus Alcuin (öl). Anm. 54, d. h. eigentlich aus Isidor,
s. Anm. 27) wiederholt und somit auch ausdrücklich gesagt wird, dass
die Logik sich in Dialektik und Rhetorik spalte 79). Sodann aber kömmt
Hrabanus auch in der Schrift De instilulione clericorum auf die sieben
freien Künste zu sprechen, und nachdem er dort schon im Allgemei
nen 'die Theologen vor Misshrauch der Disputirkunsl gewarnt hat 80),
ist diese Vorsicht ihm auch da das Ueberwiegende , wo er in der üb
lichen Reihenfolge (nach Grammatik und Rhetorik) nun de Dialeclica
selbst spricht; er wiederholt nemlich vorerst die Definition der Dialek
tik, welche von Isidor und Alcuin her die übliche war, und knüpft
daran allerdings den Ausspruch Augustins, dass die Dialektik zu wissen
wisse 81), aber er will die Uebung derselben nur auf den Kampf gegen
substanliae (d. h. „esse"), hoc habet in natura, ul cuicunque subieclo fuerit iunctum
sine negalione, eiusdem dedaret substantiam; igitur in eo quod dictum est ,,lenebrae
erant super fadem abyssi" , res constüuta est , quam ab esse nulla ttcgatio separat
auf dividit. Hierauf folgt noch eine Menge von Bibelstellen, in welchen von der
Kinsterniss die Rede ist, wobei natürlich die bekannte greifbare ägyptische Finsterniss
diesem Realismus als der willkommenste Releg sich darbietet (solcher Art ist
also die gepriesene „Vernunft-Auctorität" des Fredegisus).
78) Hrabani Mauri Opp. ed. Colvener. Colon. 1627. (öl. 6 Hände.
79) D. univers. XV, 1. (I, p. 201.): Logica aulem dividitur in duas species,
hoc est dialeclicam et rhetoricam.
^80) D. instit. der. Hl, 17. (VI, p. 40.): Sed disputationis disciplina ad omnia
'yencra quaestionum, quae in lüteris sanctis sunt penelranda et dissolvenda, plurimum
valet ; tantum ibi cavenda est libido rixandi et puerilis quaedam oslensio
decipiendi adrersarium.
81) Ebend. c. 20. (p. 42.): Dialectica est disciplina rationalis quaerendi, difftniendi
et disserendi, etiam vera a falsis discernendi polens; haec ergo disciplina
diteipKnaritm est, haec docel docere .... seit scire solo, et scieiites facere non sotum
null, sed eliam polest. S. Abschn. XII, Anm. 18.
2*
20 XIII. Scotus Erigena.
die Häretiker beschränkt wissen, und fügt darum sofort gleichsam zur
Warnung obiges Beispiel eines sophistischen Schlusses aus Alcuin Anin.
71) an S2), worauf noch an einer neutestamenllicheu Stelle die Möglich
keit gezeigt wird, dass unwahre Sätze in eiue wahre Verbindung kom
men, unil dann sogleich der die Dialektik betreuende Abschnitt abge
schlossen wird , um auf die nächstfolgende Kunst (die Mathematik)
überzugeben 83).
Wahrscheinlich im 9. Jahrhunderte war nun wohl auch eine theo
logische Schrift, nemlicli Pseudo-Boelhius De Trinilale , entstan
den, welche im Interesse der Dogmatik auf einzelne Momente der Logik
einlässlicher eingebt; indem wir jedoch uns vorbehalten müssen, das
Notlüge über dieselbe erst bei jeuer Zeit anzugeben, in welcher man
sie hervorzog und in eine nähere Verbindung mit logischen Controversen
zu bringen begann (folg. Abscbn., Anm. 3511'.), wenden wir uns
zu dem hervorragendsten philosophischen Schriftsteller des früheren
Mitlelalters.
Welch bedeutenden Einfluss Johannes Scotus Erigena (geb.
zwischen 800 und 815, gest. zwischen 872 u. 875) im Allgemeinen
auf die Theologie seiner Zeit und der nächstfolgenden Jahrhunderle
ausgeübt habe, ist bekannt84); vielleicht aber gelingt es uns, wofern
wir diesen schwierigen Schriftsteller richtig verstanden haben sollten,
ihm auch für die Geschichte der Logik eine entscheidende Stelle zuzu-
82) Ebend.: Quapropter oporlel clericos hatte artem nobilissimam scire
«/ subtiliter haereticorum versuliam hac possint dignoscere eorumque dicla veneficatis
syllogismorum conclusionibus confutare. Sunt enim mulla quae appellantur sophismata
proposuit enim quidam dicens ei cum quo loquebatiir „quod eao «um,
tu non es" etc.
83) Ebeod. : Sunt etiam verae connexiones ratiocinatiouis falsas haSeittfn senlentias
non enim vera inferebat apostolus (Paul, ad Cor. l, 15, 14— 17.) cum
dicerel „neque Christus resurrexil" et Hin alia ,,inanis est ßdes nostra), inanis esl
et praedicalio nustra" ; quae ornnino falsa sunl falsum esl ergo quod praecedit,
praecedil autem non esse resurreclionem morluorum Cut» ergo verae sint
connexiones non so/um verarum sed etiam falsarum sent entiarum , fädle esl veritatem
connexionum etiam in schalte illis discere, quae praeter ecclesiam sunt, senlentiarum
autem verilates in sanclis libris ecclesiasticis investigandae sunt. Ueberhaupt
ja theilt Hrabanus jenen Standpunkt seiner Zeit, wornach die heidnische
Litteratur an sich als verwerflich gilt (</. instit. der. HI, 20) und auch die sieben
freien Künste im Vergleiche mit der „bescheidenen Bildung" des Klerikers weit
zurückstehen. Comment. in Ecclcsiast. VIII, 11. (Vol. III, p. 484.): Seplem ergo
circumspcctores philosophiae liberalium artiutn sunt traditores , sed magis vera esse
in Omnibus clarel catholici t'i'rt modesta doclrina,. quae in ditiinis libris consislil,
quam omnis philosophorum multiplex in disputando et in argumenlando solerlia.
84) Es haben ja selbst theologische Coatroversen , wolcbe sich an Scolus
anknüpfen, uns aber hier nicht berühreo, ihren starken Reflex auch in der neueren
Litteratur gefunden, indem gegen Fr. Ant. Staudenmaier (Job. Scotus Erig. u. d.
Wissenschaft s. Zeit. 1. Th. Frankf. 1834.) und Saint-Rene Taillandier (Scol Erigene
et la philos. scolastique. Strasb. 1843.) Nie. Möller (J. Scot. Erig. u. s. Irr-
Ihümer. Mainz 1844.) auftrat. Uebrigens ist auch in der jüngst erschienenen
Schrift von Theod. Chrisllieb (Leben u. Lehre d. Job. Scotus Erig. Gotha 1860),
welcher in den abenteuerlichsten Gedankensprüngen den Scotus mit Spinoza,
Fichte, Schelling, Hegel u. s. w. in Verbindung bringt, die logische Seite des Sco
tus kaum mit etlichen Worten berührt. — Im Folgenden citire ich nach der Aus
gabe von H. J. Floss (Par. 1853, als 122. Band der ,g<yne'schen Patrplogia).
XIII. Scotns Erigcna. 21
weisen ; denn es scheint bezüglich des logischen Standpunktes, auf wel
chem sich Scotus befindet, immerhin noch kein erschöpfendes Urlheil
gefällt zu sein, wenn man ihn lediglich als Realismus oder etwa auch
als extravaganten Realismus bezeichnet, sondern mit der realisti
schen Auffassung, welche im Allgemeinen auf der biblisch-theologischen
Anschauung beruht, und welche dem Scotus abzusprechen natürlich Nie
mandem in den Sinn kommen kann, verbindet sich hier höchst eigenthümlich
ein dialektisches Motiv, welches uns dadurch von grösstem Be
lange zu sein scheint , dass wir in demselben die ersten Umrisse des
scholastischen Nominalismus erblicken.
Das Erste, was sicher jedem Leser des Scotus in die Augen springt,
ist die streng syllogistische Form, in welcher dieser Schriftsteller sich
bewegt, dabei zugleich, so zu sagen, seine logischen Schulkenntnisse
zur Schau tragend. Wir würden zwar an sich dieses nicht besonders
erwähnen, da unsere Aufgabe hier nicht ist, etwa sämmlliche logisch
geschulten Schriften aller Kirchenväter oder mittelalterlichen Theologen
zu regislriren ; hier jedoch besteht, wie uns di'uflu., zwischen solchem
äusserlichen Schulwissen und der inneren Auffassung ein enger Zusam
menhang. Scolus Erigena wendet offenbar in der Ueherzeugung , dass
die Syllogistik gerade in ihrer streng schulmässigen Form einen „philo
sophischen" Werth habe, all dergleichen Dinge an. So erscheint bei
ihm, — abgesehen von der häufigen und reichlichen Erörterung der Ka
tegorien in theologischem Sinne — , z. B. aus der Lehre vom Urlheile
die Eintheilung in bejahende und verneinende, und zwar mit der Be
zeichnung afßrmativus und abdicalwus 85) , oder die Angabe der ver
schiedenen Arten der Gegensätze80), unter welchen der sog. contradictorische
noch öfters besonders hervorgehoben wirds7), sowie die
85) Was die Kategorien betrifft , bei deren Gelegenheit Scotus einmal (d. dit>
is. nal. I, 51, p. 493.) das 10. Cap. aus Ps.-August. Caleg. ausschreibt, s. das
Nöthige nnlen Aiim. 139 ff. Bezüglich des Unheiles s. z. B. d. div. nal. I, 14, p.
462. : Et hoc (d. h. die &eolioyla xcncufaTixf) und fhto).oyla anotf arixti des
Pseudo-Dionysius Areopag.) brevi concludamus exemplo: „essentia est" afßrmatio;
,,essentia non est" abdicatio ; ,,superessenlialis est" affirrnatio simul et abdicatio.
Diese Terminologie, welche bei Scotus noch öfter erscheint, weist entweder auf
die Vermengung zurück , welche wir bei Cassiodor trafen (Abschn. XII, Anm. 176
u. 181.), oder Scotus selbst vermischte die Bedeweise des Boethius mit jener des
Marcianus Capella (s. ebend. Anm. 64.).
86) Ebend. 13, p. 458 f.: Oppositum dico aul per privationem aul per contrarietatem
aut per relalionem (dass hier aut per ncgalionem im Texte ausgefallen
sei, zeigt die sogleich folgende Erklärung) aul per absentiam nam opposita
•per relalionem ita sibi semper opposila sunl, ut simul el inchoare incipiant et si
mul esse desinant, Anm eiusdem naturae sinl, ut simplum ad duplum; aul per negationem,
ut est, non est; aul per (zu lesen propter) qualitatcs naturalcs per ab
sentiam, ut lux alque tenebrae , aut secundum privationem, ut mors et vita; aut
per conlrarium, nt sanitas el imbecillitas. Scolus schöpfte hiebei aus der nemlichen
Quelle wie Isidorns (s. oben Anm. 41.), nur entnahm er aus den Worten des
Boethius ungeschickter Weise eine Unterscheidung zwischen privalio und absentia.
87) D. praedesl. 5, 8, p. 378.: Aul quomodo de eadem volunlale passet si
mul dici ,,libera est, libera non est"; haec enim contradiclorie dicuntur , quia si
mul fieri non possunl D. divis, nal. IV, 5, p. 756.: conlradictoria proloquia fient,
et necessario unum erit verum, allernm falsum; non enim aul simul vera possunt
esse, aut simul falsa canlradicloria proloquia de subieclo eodem, sive universalster
22 XIII. Scotus Erigena.
gegensätzliche*!) Verhältnisse, welche zwischen dem Möglichen und dem
Unmöglichen bestehen, erwähnt werden 8S). Auch die übliche Aufzäh
lung der mehreren Arten der Definition findet sich berücksichtigt89).
Hauptsächlich aber sind es die Formen der Argumentation, welche Sco
tus eben nach der formellen Seite so häufig hervorhebt 90) , und wir
treffen bei ihm an vielen Stellen nicht bloss Syllogismen, welche voll
ständig schulmässig formulirl sind, in den Text verwoben91), sondern
er nennt auch sehr gerne Schlüsse, welche der Topik angehören, mit
ihrem technischen Namen 92). G'erade aber in letzterer Beziehung ist es
uns von grosser Wichtigkeil, dass Scotus das eigentlich dialektische
Verfahren, d. h. den Syllogismus überhaupt, genau von dem übrigen
bloss rhetorischen Gebiete unterscheidet und für die Beweisführung auf
die logische Form allein das entscheidende Gewicht legt. Nemlich zu
nächst wird von ihm schon jene Formulirung des disjunctiven Schlus
ses aufs höchste geschätzt, welche als enlhymema von Cicero her sich
in der Tradition erhalten hatte und hiedurch auch in Isidor's Encyclopädie
Eingang l'and »(s. oben Arnn. 43, und die Wiederholung hievon
bei Alcuin Anm. 70), und es erblickt Scotus in der Thal in. dieser
Schlussform den Höhepunkt aller „argumenla" , welche zwar immerhin
noch an die „signa vocalia" gebunden seien 93), ja die Macht der Form
sint sive particularilcr . Hier ist, wie man sieht, die Terminologie des ßoethins
(contradictorius, s. Abschn. XII, Anm. 113.) mit jener des Marcianus Capella (proloquium,
s. eberid. Anm. 62.) vermischt. (Nach Labbe, Bibl. Msscr. not), p. 45. soll
Scotus den Marc. Capella commenlirt haben; ausdrücklich erwähnt und benützt
hat er ihn bei der Kosmographie, d. div. nat. III, 33, p. 719.).
88) D. divis. nat. 11, 29, p. 597. : Possibilia quoque et impossibilia in numero
rerum compulari , nemo rede philosophantium contradicet De quibus quisquis
plcne volueril percipere, legal niQl fnfurivelaq, hoc esl de interprelatione, Aristotelem,
in qua aut de his solis , hoc est possibilibus et impossibilibus , aut maxtme
a philosopho disputatum est. Es versteht sich von selbst, dass das Ganze aus
Boethius entnommen isl (s. Ahschn. XII, Anm. 119.).
89) Ebend. I, 41, p. 483.: Quamvisque tmtltae definilionum species quibusdam
esse videantur, sola ae vera ipsa dicenda est definitio , quac u graecis oüaicööijs,
a nostris vero essentialis vocari consuevil ; aliae siquidcm aut connumeraliones intelligibilium
parlium ovn(as aut argumcntationcs quaedam extrinsecus per accidentia
aut qualiscunque sentenliarum species sunl ; sola vero ovaiiaSrjs id solum recipit
ad definiendum, quod perfeclionem nalurae, quam ilefinit , complet ac perftcit.
Es kann diess aus Alcuin (s. oben Anm. 62 f.) oder aus Isidor (oben Anm. 38 f.)
oder aus Boethius (Abscbn. XII, Anm. 105.) geschöpft sein.
90) Derartige Stellen bewegen sich in jemr Terminologie, welche bei Boe
thius die übliche ist; so z. B. afßrmalivus, neyativus , termini , dialeclica propusilio,
formula syllogismi conditimalis, auch connexio (s. Abschn. XII, Anm. 141.)
und sogar tropus (s. ebend. Anm. 119.); ausserdem finden wir noch colleclio und
reflexim, welche dem Apulejus (s. Abschn. X, Anm. 15. u. 19.) angehören.
91) So z. B. d. praedest. 14, 3, p. 410 ; ebend. 16, 4, p. 420. d. div. nal.
I, 49, p. 491. s. auch Anm. 94 ff.
92) Z. B. d. div. nat. I, 27, p. 474.: sunl loci dialeclici a yencre , a specie,
a nomine, ab antecedcntibus, a consequenlibus, a contrariis, eeterique liuiusmodi, de
quibus nunc disserere longum est. D. praedest. 2, 2, p. 362.: argumentum , quod
ab effectibus ad causam sumilur (ebenso ebend. 3, 2, p. 365.). Ebend. 9, 7, p.
393. locus a contrario und locus a similitudine , u dgl. öfters. Die Kenntniss
aber all dieser Topen konnte Scotus lediglich aus Cassiodor schöpfen.
93) D. praedest. 9, 3, p. 391.: Restant ea, quae contrarielatis loco sumuntur,
quibus tanta vis inest signiftcandi, ut quodam'privüegio cxcellcntiae suae merito a
Xlll. Scotus Erigena. 23
veranlagst ihn, das Enthymenia sofort als „Syllogismus" zu bezeichnen 94),
und an einer anderen Stelle, wo er ausdrücklich sagt, sicli der äno-
Stwtwri bedienen zu wollen, folgen lediglich Beweise in eben jener
disjunctiven Form 85); aber zugleich weist er dennoch den Formen des
sog. kategorischen Schlusses entschieden eine noch höhere Stellung eben
deswegen an, weil dieselben nicht zu dem Getriebe der äusserlich
wirksameren rhetorischen Argumentation gehören 9e). Dass aber dieses
Uebergewichl der syllogistischen Form auch bald von den Lesern des
Scolus als solches empfunden wurde, ist uns durch ein vollgültiges
Zeugniss bestätigt, indem ein Anonymus des 9. Jahrh. (s. unten Anm.
163) sagt, nach der Ansicht des Scotus bestehe die Dialektik in einem
beständigen Nacheilen und Sichverjagen (fuga et inseculio, vgl. unten
Anm. 204) der Sätze97). — Uebrigens konnte Scotus auch die Kenntgraeeis
cnthymemata dicantur, hoc est conceptiones mentis . . . . sicut ergo argumeni
in- a in omnium fortissimum est illud, quod sumitur a contrario, ila omnium signoiinii
vocalium aptissimum est , quod ducilur ah eodem contrarielalis loco. Ebend.
10, l, p- 393. : Restat considerare locum, qui, ut praediximus, a dialecticis ac rhetoricis
enthymcma vocatur , a grammaticis vero xai' ävtdfQaOtv , et esl omnium
argumentorum signorumquc verbalium nobilissimus. S. auch Anm. 96 am Schluss,
u. vgl. Anm. 189.
94) D. praedesl. 3, 3, p. 366.: Quae ratio enthymematis argttmento concludiinr,
quod semper est a contrario, cuius propositio talis est (nun folgt ein Schluss
nach der Form Non esl et A et B, A aulem est, ergo B non est , s. Abschn. VIII,
Anm. 60. u. Abschn. XII, Anm. 13. u. 69.) Idem quoque Syllogismus Aoc modo
conneclitur (ebenso).
95) Ebend. 4, 3, p. 371.: lila igitur rationis specie, quae dicilur.&noäeiXTixrj,
utamur primum adversus cos . , .. , worauf zwei Schlüsse in der so eben erwähnten
Form folgen und sodann mit den siegesbewussten Worten geendet wird: conclusum
esl igilur via igilur rcgia gradiendum nee ad dexlcram nee ad sinistram
diverlendum, etc.
96) Nemlich bei einer längeren Beweisführung betreffs der Immalerialität der
Substanz, d. div. nat. I, 47 IT., finden wir zunächst (47, p. 489.) nach den einlei
tenden Worten lins itaque paucas de pluribus dialcclicas collectiones considera zwei
kategorische Schlüsse nach dem 1. Modus der 1. Figur, sodann folgt eine Argu
mentation in dilemmalischiT Form (48, p. 490.) ; nach dieser aber steht folgen
der Uebergang (49, p. 490 f.): VI aulem plane cognoscas, ....hatte argumenlationis
accipe spcciem. Accipiam, sed prius quandam formulam praedictae argumentationis
fteri necessarium video ; nam praedicta raliocinatio plus argumentum a contrario videtttr
esse, quam dialectici syllogismi imago. Fiat igitur maxima propositio sie:
und nun folgen vier Syllogismen nach dem 2. Modus der 1. Figur mit den ab
schliessenden Worten : liaec formula idoneaest; unmittelbar hierauf aber: Hoc eliam
certa dialectica formula imayinari volo ; fiat itaque furmula syllogismi conditionalis,
was in der Forin St A esl, B esl, A vero esl geschieht; und nach all diesem
sieht zum eindringlichen Abschlüsse noch ein Enthymrma: Si aulem ,<" r >''r/< ///<«-
TOf, hoc est conceplionis communis animi syllogismum , qui omnium conclusionum
principatum obtinet, quia ex las quae siniul esse non possunt assumitur, audire desideras,
accipe huiusmudi formulam (wie oben Anm. 94.).
97) Bei V. Cousin, Ouvr. inc'd. d'Abel. p. 619.: Secundum vero Joannem Scotlinii
est dyalectica quaedam fuga et inseculio, ul cum quis dicil ,,omnis honestus
est", et insequitur alius dicendo ,,oinnis honestus non est" , talis haec dispulalio
fugae et inseculiuni videtur esse consimilis. Wenn übrigens schon der i. .1. 821
gestorbene Abt Benedict von Aniane über einen „Syllogismus delusionis apud modernos
scholasticos , maxime a/iud Scotos" klagt (Baluzi Miscell. ed. Mansi , II, p.
97.), so darf hieraus nicht etwa geschlossen werden, dass Scotus seine dialektische
Gewandtheit aus einem in Schottland weitverbreiteten Schulbetriebe der Logik
24 XIII. Scotus Erigena.
niss der von ihm angewendeten syllogistischen Formen lediglich aus
Isidorus (ohen Anin. 38) schöpfen, und es nötliigl uns keine einzige
Stelle zu der Annahme, dass er etwa auch des Boethius Ueberselzung
der aristotelischen Analytiken gekannt liabe 9S).
Eben diese Momente aber, welche gleichsam der logischen Praxis
des Scotus angehören, leiten uns auch auf desselben theoretische An
sicht bezüglich der Dialektik hinüber. Im Allgemeinen wohl theilt er
hierin die Anschauungen seiner Zeit, wonach die Uebung der freien
Künste zwar als etwas Lobcnswürdiges erscheint"), zugleich aber es
dabei auf die Gesinnung ankömmt, indem namentlich die Dialektik,
welche leicht missbraucht werden könne, ihre wesenlliche Aufgabe bei
Bekämpfung der Ketzer finde 10°). Aber bei Scotus, welchem ja durch
gängig Religion und Philosophie selbst identisch sind 101)i muss eben
deshalb die Logik auch noch etwas Höheres sein, als blosses äusserliches
Mittel zum Zwecke, kurz sie muss ihm als Form seiner Philoso
phie gelten, und hierin liegt nicht bloss der wesentlichste Vorzug des
Scotus vor einem Isidor oder Alcuin u. dgl., sondern auch, wie uns
dünkt, die Ursache seines Einllusses, sowie jener Verketzerung, welche
ihn später als einen Hort der Nominalisten traf (s. unten Anm. 312 f.).
Dass nun die Philosophie des Scolus dennoch auf einem, so zu sagen,
christlichen Platonismus beruhe und zugleich in ganz vernünftiger Weise
auf einen Pantheismus auslaufe, ist theils bekannt, thells ausserhalb
unserer hiesigen Aufgabe gelegen. Aber wie sich hiebei die principielle
Auffassung der Logik gestalte, müssen wir versuchen in's Reine
zu bringen 102).
Die Sctiplura divina ist es nach dem Standpunkte des Scotus,
habe schöpfen können, sondern jene Klage bezieht sich lediglich auf einen einzel
nen dogmatischen Gegensalz (betreffs der Trioitäl), welcher ebenso wie hundert
andere dergleichen in seiner Formulirung als Syllogismus bezeichnet werden kann.
98) Da uns dieser Punkt noch öfters (s. Anm! 156, 183, 196, 209, 253, 258,
277, 288, 310, 363.) von Wichtigkeit sein wird, musste ich absichllich im Bishe
rigen so ausführlich auf die logischen Quellen des Scolus hinweisen.
99) D. praedest. 18, l, p. 430. : Errorem sactiissimum eoruni (d. h. seiner dog
matischen Gegner) ex utüium disciplinarum, quas ipsa sapientia suas comites
invcstiyatricesque fteri voluit (vgl. oben Anm. 50.), ignoranlia crediderim sumpsisse
primordia An einer anderen Stelle, d. div. nat. I, 27, p. 475, werden sämmtliche
sieben Künste definirt; s. unten Anm. 106.
100) D. praedest. l, 2, p. 358.: disputandi disciplinae regulis necessario uti
iukemur, dum adversus quendam saphrophilum (zu lesen saprophilosophum), nomine
Gotescalcum (bekanntlich der Hauptgegner des Scotus) ... respondere cornpellimur.
Ebend. 7, l, p. 382.: Polest mim aliquis in disciplina dispulandi, quae dicitur
dialectica, peritus, quae nullo dubitante a deo homini donalm, si volueril, bene uti
polest e contrario perniciose uti, ad quod non est data , dum (also, pro verii
approlans alias in. errorem mittat falsisque ratiocinationibus simplicium sensus confundat
etc. (vgl. oben Anm. 80.).
101) Ebend. l, l, p. 358.: Conficitur inde , veram esse philosophiam veram
reliyionem conversimque veram religionem esse veram philosophiam. Bekanntlich
zieht sich diese Auffassung durch das ganze System hindurch.
102) Wenn z. B. H. Ritter, Gesch. d. Phil. VII, p. 222, hei Scotus viele Wi
dersprüche erblickt und meint, „an ein methodisches Verfahren sei natürlich hie
bei nicht mehr zu denken", so ist diess sehr irrig, denn Alles löst sich, sobald
man nur genauer zusieht.
XIII. Scolus Erigena. 25
welche als ihre vier Theile in aufsteigender Rangfolge, entsprechend
den vier Elementen (Erde, Wasser, Luft, Feuer) in sich die Geschichte,
die Elhik, die Physik», und die Theologie enthält 103), und sowie wir
hiebei einerseits uns auch an die Auffassung hei Isidor (ob. Anm. 24)
erinnert fühlen, so müssen wir andrerseits zugestehen, dass für eine
derartige aufwärtssteigende Linie erst mit einer geistigen Erhebung über
das lediglich Factische der Geschichte der Weg zur „Weisheit" betre
ten werde, sowie dass die feste Form eines solchen Ringens nach
Weisheit sicher für den ganzen Weg, welcher bis zum höchsten Ziele
durchlaufen werden mus.s, die leitende Fahrerin sei. Somit ist es uns
sehr wohl verständlich, wenn Scolus anderswo die eigentliche „sophia"
in die praktische, die physikalische, die theologische und die logische
eintheilt, und der letzteren die „Regeln" zuweist, nach welchen man
sich hei den „Erörterungen" in jeder der drei anderen Arten der Weis
heil bewegen soll 104). Handelt es sich aber hiemil bei jeder Weis
heit um irgend Kundgebungen, welche in menschlichen Worten bestehen,
so hat die Logik oder — wie sie Scötus übrigens stets nennt — die
Dialektik jedenfalls Eine Seile, nach welcher sie mit dem Wortaus
drucke verflochten ist, während sie andrerseits ihre wesentliche Aufgabe
darin besitzt, dasjenige zu erforschen, was Scolus (in realistischem
Sinne) die „Natur der Dinge" nennt. Er spricht sich neinlich über die
ses ganze Verhältniss sehr klar und entschieden aus, wenn er sagt,
Grammatik und Rhetorik seien Gliedmassen oder Zweige oder wenig
stens Werkzeuge der Dialektik, durch welche sie ihre Entdeckungen
kundgebe und unier Menschen verwerlhe; die Grammatik nemlich ent
halte die Regeln der kundgehenden „vox" selbst, welche nach Aristo
teles nur auf Gewohnheit beruhe, die Rhetorik hingegen handle entwe
der über speeielle Fälle und Verhältnisse, oder bespreche allgemeine
Gesichtspunkte (loci communes), welche schon in der Natur der Dinge
liegen, daher im letzleren Falle die Rhetorik bereits die Rolle der Dia
lektik übernehme; somit seien Grammatik und Rhetorik durchaus nicht
principlos, wohl aber bestehe ein relativer Comparaliv in der Stärke
der Beweise, je nachdem dieselben mehr aus der Natur der Dinge ent
nommen seien, und die höchste Stufe liege dann vor, wenn die Seele
innerhalb ihrer selbst ohne das Geräusch des Sprechens oder der Rhe
torik über die Technik der übrigen Disciplinen nachdenke 105). Durch
103) lluiii/l. in Kr. loann. f. 291.: Divina liquidem serif tura mundus quidam
est tiili-lliii/liil/s , suis quatuor partibus veluti qualuor elemenlis constilulus. Cuius
terra est relttti in medio imoque instar centri historia, circa quatn aquarum similitudine
abyssus circumfundilur moralis intelligenliae, quae a graecis ethice solcl appellari
; circa quas, hisloriam dico et ethicam, vcluli duas praefati mundi inferiores
partes, der ille naluralis scicntiae circumvolvilur, quam, naturalem dico scientiam,
graeci vocant physicen ; extra haec omnia et ultra aethereus ille ignetisque ardor
empyrii coeli, hoc est suptrae contemplutionis dieinae naturae, quam graeci tlteologiam
nominant, circumglobatitr, idtra quam nullus egrcdilur inlellectus.
101) D. die. nat. III, 29, p. 705.: intenlus prospiciat quadriformem sophiae
divisionem; et est quidem prima nQnxTixrj, activa, secunda ifvaixf], naturalis, tertia
ftcoloyCa, quae de dto disputat, quarta ioyixfi , rationalis, quac oslendit, quibus
regulis de unaquaque trium aliarum sophiae parlium disputandum.
105) Ebend. V, 4, p. 869 f.: Cum ex überallhin disctplinis praefalas attraxe
26 XIII. Scotus Erigena.
diese deutliche Erklärung können wir jetzt den Inhalt obiger Anm.
92 — 96 vollständig verstehen, denn nun wissen wir, warum bei Scolus
die loci communes der Topik eine Bedeutung erjialten (s. auch unten
Anm. 132), und warum der im Enthymema liegende locus des Gegen
satzes, welcher ja innigst in die „Natur der Dinge" verflochten ist (man
denke auch an die affirmative und negative Theologie des Pseudo-Dinnysius
, welche Scotus adoplirle) , vor Allem als der wichtigste und
stärkste bezeichnet werde, und warum endlich dennoch über das Enthy
mema hinaus an Reinheit des Gedankens der eigentliche Syllogismus
hervorrage, welcher von allem rednerischen Gepränge frei ist. Kurz
die Dialektik hat bei Scotus eine Stellung, gemäss deren sie unweiger
lich auf die äussere Kundgebung (vox) und auf die menschlich gefassten
Gemeinbegrifle (conceptus communes) eingehen muss, zugleich aber
aus diesem Gebiete zum höchsten reinen Wissen führen soll, und wenn
Scotus die Dialektik als „die Erforscherin der vernünftigen Gemeinbegriffe"
defmirl 106), so fasst er hiemit nach seiner Grundansichl in
Kürze eben jene zwei Seiten ziTsammen, nemlich einerseits die Ver
wandtschaft der Logik mit der Rhetorik, welche die Technik der in
Worten auftretenden Erörterungen ist107), und andrerseits das hohe
Ziel, zu welchem die in den Worten ausgesprochene Vernunft geführt
ris argumentationes , cur grammaticam et rhetoricam praetermiseris , non satis video
Primum quidem quia ipsae duae artes vehiti quaedam membra dialecticae
mullis philosopkis non incongrue exislimantur ; deinde brevitatis causa, Postremo
quod non de rerum natura traetare videntur , sed vel de regulis humanac vocis,
quam non semndum naturam sed secundum consueludinem loqucntium subsistere
Aristoteles mm suis sectatoribus approbat (aus Boethius, s. Abschn. XII, Anm. 110.),
vel de causis atque personis specialibus , quod lange a nalma reium distat ; narr,
dum rhetorica de communibus locis , qui ad naturam rerum pcrtinent , traetare nititur,
non suas sed dialecticae arripit partes. Hoc aulem dico , non quod omniiio
grammalica et rhetorica suis veluti principiis caruerint, sed quod validioris
vigoris sint ad approbandas vel negandas quae s Hone s , quae de rerum incertarum
inquisilionibus ftunl , argumenta ex natura rerum sumpla, quam ex humanis inventionibus
excogitata Cur itaque in numero liberalium disciplinarum computaniur,
si secundum naturam non siml, sed secundum humana macliinamcnta? Non aliam
ob causarn video praeler quod matri artium, quae esl dialeclica, semper adhaereant ;
sunl enim veluli quaedam ipsius brachia rivulive ex ea manantes vel cerle instrumenta,
quibus suas intelligibiles invenliones humanis usibus manifestat Polest
enim rationabilis anima intra semelipsam de liberalibus disciplinis traclare absque
vocis articulatae disertaeque orationis slrepitu. (Bei Haureau, De la phil. scol. I,
p. 1 18 f. findet sich bezüglich dieser Stelle ein schlimmes Missverständniss).
106) Ebend. I, 27, p. 475. (woselbst alle sieben Künste definirt werden):
Grammatica est arliculatae vocis custos et moderalrix disciplina. Rlielorica esl ftnilae
causae seplem periochis (nemlich persona , maleria , occasione , qualitate , luco,
tempore , facultate) sagax ei copiosa disciplina. Dtaleclica est commtiuium animi
conceptionum rationabilium diligens invesligalrixque disciplina. Die Bezeichnung
conceptio animi weist auf Boethius zurück, s. Abschn. XII, Anm. 110.
107) D. praedest. l, 3, p. 358.: non incongrue regulis disputaloriae artis (s.
Anm. 112) utemur; cum enim per artem rheloricam et vera suadeanlur et falsa,
quis audeat dicerc , advcrsus mmdacium in dcfensoribus suis inermem debere consistere
veritatem. Uebrigens erklärt sich nun auch , sowohl dass (Anm. 92) das
Enlhymema allt'n drei Disciplinen, nemlich der Grammatik, der Rhetorik und
der Dialektik, zugewiesen wird , als auch warum bei eben jener Schlussform slets
von conceptio mentis (ebend.) oder conceptio communis animi (Anm. 9ti. u. 10ö.)
die Rede sei.
Srolus Erigena. 27
werden soll. — So also ist die logische Praxis bei Scolus im Einklänge
mit der theoretischen Auffassung.
Ergibt sich uns aber schon aus dem Bisherigen als Resultat das
anscheinend Widerspruchsvolle, dass Scotus, der Platoniker und Anhän
ger des Pseudo-Dionysius, zugleich die Veranlassung zum Hervortreten
einer nominalistischen Partei darbieten konnte, so scheinen die Belege
für diese eigentümliche Thatsache auch noch anderweitig sich zu ver
mehren. Was nemlich die nähere Darlegung der Aufgabe der Dialektik
bei Scotus betrifft, so finden wir allerdings zunächst durchgängig den
platonischen Doppelweg (s. Abschn. III, Anm. 68) verquickt mit dem
Schul-Mechanismus der Tabula logica des Porphyrius oder Boethius (s.
Ahschn. XI, Anm. 60 u. Abschn. XII, Anm. 87 u. 66 ff.). Er bedient
sich hiefür der Ausdrücke öjatpetixij (oder auch fisptOftog) unt' ttvukv-
Tiinj108), und sowie ihm sowohl in logischem als auch in ökologi
schem Sinne erslere als das Herabsleigen vom Allgemeinen zum Indivi
duum gilt, so versteht er ebenso unter letzterer jenen Rückgang des
Individuellen, durch welchen es von seiner speciellen Gestaltung (j/innn)
befreit wird und zuletzt in die höchste Einheit (d. h. in Gott oder das
All) als aufgelöstes zurückkehrt109); auch tlieilt er diesen Doppelweg
noch einmal zweigliedrig, indem er in einem quadrivium der Dialektik
von der SicciQsnxi] zur OJHÖTIJM/ gelangen und von da durch die änori
erst zur avaivriKr) sich erbeben will110), wobei wir sofort
108) D. hierarch. coel. Dion. 7, 2, p. 184. : Duae quippe parles sunt dialecticae
disciplinae, quarum unn Siatyerixri, altera ärctf.vrixri nuncupalur. Et Siai-
Qlitxri quidem divisionis mm possidet; dividil namque maximorum generum unitatem
a summo usque deorsum , donec ad individuas species peroenial inque iis divisionis
terminum ponat. Xi'tt&VTixri vero ex adverso sibi positae partis divixi&nes
ab individuis sursum versus incipiens perque eosdem gradus , quibus illa descendit,
ascendcns convolvit el colligil easdemque in unilalem maximorum generum reducil,
ideoque reducliva dicitur seu reditiva. D. dir. not. II, l, p. 526. : Xi'alviixrj
rero de reditu dicilur divisionis formarum ad principium eitisdem divisionis ; omnis
enim divisio, qutte a yraecis utQiGfibs dicilttr quasi deorswn descendens ab
uno quudam depnilo ad infinitos numeros videlur , hoc est a gcneralissimo usque
ad specialissimum; omnis vero recollcctio veluti quidam reditus Herum a specialissimo
inchoans et usque ad generalissimum ascendens itrc.l.imx/i vocatur ; tst igilur
reditus et rcsolutio individuorum in formas, formarum in genera, generum in
usiat, usiarum in sayientiam et prudentiam, ex quibus omnis divisio orilur in easdemque
ftnitur.
109) D. hier. coel. Dion. 15, l, p. 252.: jiva\\ttiv.i\ enim esl disciplina,
quae risibilium imaginum interprctalionem in invisibilium inlellectuum uniformitalem
resohil omni forma mrentium In Bezug auf Golt selbst kann das Herabsteigen
zum Individuum sehr wohl als Aullösung Gottes, sowie die Rückkehr ins Allge
meine als Apotheose bezeichnet werden, und in solchem Sinne sagt Scotus, Praef.
ad ambig. Max. p. 1195.: quomodo causa omnium, quae deus est, una sit simplex
el multiplex; qualis sit processio, id esl mulliplicatio divinae boiiüalis per nmnia,
quae sunl, a summo usque deorsum el Herum eiusdem, divinae videlicct bonitatis,
quatis sit reversio, id est eongregalio per eosdem gradus usque ad simplicissimam
omnium unitalem ita ut et deus omnia sit et omnia deus sint; et
quomodo praedicta quidem dh'ina in nmnia processie ävitUvi i xr/ dicilur, hoc est
resolulio, reversio vero S-tioOtg, hoc est deifitatio.
110) D. praedest. l, l, p. 358.: bis binas parles jirindpales ad omncm quaetlionem
solvendam necessarias habere dignoscilur (sc. philotophia), quas graecis placuil
nominare Jtai^frixij, oQiOrixf], anodttxtixri , ävnivnxri, easdemque lalia
28 XIII. Scotus Erigena.
erkennen müssen, dass für Scotus die Aufgabe der Dialektik, soweit
dieselbe als Technik der Erörterungen zumeist eine formale Seite hat,
hauptsächlich in die beiden mittleren Stufen falle , daher er ihr auch
insbesondere die Function des Definirens zutheilen kann111), denn inso
fern sie defimrt, erfasst sie die Substanz und findet in dieser sich wie
der auf die nach Oben und nach Unten gehende Stufenfolge der Ent
wicklung hingewiesen 112).
Eben aber diese Mittelstellung, in welche die technischen Manipu
lationen der Logik auf solche Weise gerathen, führt wieder zu einer
unverkennbaren Wertschätzung des Wertausdruckes , in welchem auf
jener Stufe die Vernunft sich bewegen muss. Sehr erklärlich vorerst
ist es, dass auch Scolus für das dialektische Verfahren des Theilens
und Zusammensetzens ein erschöpfendes Register in den aristotelischen
Kategorien erblickt, und er unterscheidet sich hierin weder von der
damaligen allgemeinen Schul-Ansicht noch von der Auffassung des Boethius
113). Auch sind ihm, wie sich von selbst versieht, die Kategorien
an sich selbst betrachtet etwas Unkörperlichcs 114), und sowie er sich
liier possumus dicere divisonam, deßnitivam, demonstrativam, resolutivam. Quorum
enim prima unum m mulla dividendo segregat , secunda unum de mullis deßniendo
colligil, tertia per manifesla occulta demonslrando aperit, quarla composila in simplicia
separando resolvit His enim lanquam utili quodam honestoque humanae
raliocinationis quadrifio ad ipsam dispulandi disciplina, quae est verilas, omnis in
ea eruditus perreniri nun dubilal.
111) D. div. nal. l, 44, p. 486.: quid nos prohibet, definiendi disciplinam in
ier arles ponere adiungenles dialecticae , cuius proprietär est , omnium rerum quae
inlelligi possunt naturas dividerc, coniungere, discernere propriosque locos unicuiqut
distribuere. Welche Bedeutung die loci für ihn haben, sahen wir so eben Anm.
105, sowie auch Anm. 95, dass zur itnoSitxrixr) der disjnnctive Schluss gehöre.
112) Ebend. V, 4, p. 869.: Nonne ars illa, quae a graecis dieitur dialectica,
et deftnitur bene dispulandi scienlia (also auch hier wieder die Verwandtschaft mil
der Rhetorik, s. Anm. 107), primo omnium circa ova(av veluti circa proprium sui
principium vcrsatur , ex qtia omnis divisio et multiplicalio eorum, de quibux ars
ipsa dispulal , inchoat • per genera gcneralissimu mediaque gcnera usque ad formas
et species specialissimas descendens el Herum complicationis regulis per eosdem gradus,
per quos degreditur, donec ad ipsam oi'OCav , ex qua cgressa esl, perveniat,
non desinit redirc in eam, qua scniper appetil quiescere.
113) Ebend. I, 14, p. 402 f.: Aristolcles , aculissimus apud graecos, ut aiunl,
naluralium rerum discretionis repcrtor, omnium rerum, quae posl deum sunl et ab
eo erealae , innumerabiles varietales in decem universalibu$ generibus conclusil,
quue decem calegorias, id est praedicqmenta, vocavit. fiihil enim , ut ei visum , m
miillitiidinc creatarum rerum variisque animorum molibus inveniri polest , quod in
aliquo praedictorum ijenerum includi non possit ; haec autem a graecis vocantur
nvn(ct, TioaÖTijs, Ttoiörri; , nQoq n, xiia&ut, ?|(f, ronug, %QÖVOS, nyäiitiv,
nicll'ti'i' , quae lalialiter dicuntur essentia , quantilas , qualitas , ad aliquid , situs,
habitus, locus , tempus , agere, pati lila pars philosophiae , quae dieitur dialeclica,
circa liorum generum divisiones a generalissimis ad specialissima ileruntque
collectiones a ipecialusimit ad generalissima versalur. Vgl. Abschn. XII,
Anm. 84 f.
114) Ebend. M, p. 478.: Non te tatet, nullam praedictarum categoriarum^.
quas decem esse Aristoteles definivit, dum per sc ipsam , hoc est in sua nattira ra-^j
ti'onii contuitu consideratiir (man beachte diese Beschränkung, s. Anm. 117), sen-s
sibus corporeis succumbere ; nam nvcfi'rt incorporalis est nullique corporeo sensui
subiacet, circa quam aut in qua aliae novem calegoriae rersantur. At si illa incorporea
est, num libi uliter videlur, quam vl omnia, quae aut ei adhaercnt aut in ea
subsistunt et sine ea esse non possunt, incorporea sint.
XIII. Scolus Erigena. 29
bezüglich der Immaterialität der Universalien auf Boelhius beruft und
aus ihm den für das ganze Mittelalter bleibenden Grundsatz „universale
intelligitur, singulare senlüur" aufnimmt115), so wiederholt er ausführ
lich aus Pseudo-Dionysius den Nachweis, dass essenlia und corpus gänz
lich verschieden seien und nie verwechselt werden dürfen110); kurz
er ist grundsätzlich ein Gegner der „individuellen Substanz" (des röäe
•ci) des Aristoteles. Aber wir müssen bedenken, dass bei Scotus das
gesammte Gebiet des Vielheillichen (also auch zuletzt die Vielheit der
Kategorien selbst) in jenes Stadium fällt, wo das concrete Bestehen
eigentlich ein Nichtseinsollendes ist, denn die Vielheit ist durch Tlieilung
aus der Einheit geflossen und hat wesentlich den Beruf, wieder
in die Einheil aufgelöst zu werden, wobei gerade die Mitte der Punkt
der grösslen Entfernung sowohl von der ursprünglichen als von der
schliesslichen Einheit sein muss. So ist die Gestaltung der unendlich
vielheitlichen Dinge der sinnfälligen Welt die erste Hälfte des Prozes
ses gleichsam als Zertheilung Gottes (s. Anm. 109), und Scotus erklärt,
sich an Gregorius v. Nyssa anschliessend, das concrete Auftreten der
sinnfälligen Dinge und überhaupt die Entstehung der Materie durch ein
Zusammentreffen einiger Kategorien , in welchem dieselben durch die
Sinne erfasst werden können117), wobei zugleich dann ähnlich wie
bei vorchristlichen Philosophen das Feuer für die sinnlichen Dinge als
formgebend wirkt118). Da aber nun eben diese Mannigfaltigkeit der
Welt es ist, in welche nach Scotus durch die Philosophie die göttliche
Einheit zerlegt werden soll (dtmpmmf) , und aus welcher wieder der
Rückweg zur Einheit zu durchlaufen ist («vaÄimjwj) , so erhält jene
115) Ebend. 61, p. 50:i.: Qtiid ergo mirunt uut raliuni conlrarium, si sinrililer
accipiamus, magnificum Boelhium nun aliud aliquid variabilem riim Mellexiss?,
nisi corpus materiale si aliter res per se immutabiles puro menlis conluitu
perspicienlur in sua simplicitatf , aliler sensu corporeo in aliqua maleria ex concursu
earum facta composilae. Ebend. II, 24, p. 579. : Omnia enim , quae intelleclus
in rationf univemaliter considerat, parlieulariler per sensum in renm omniiim
discrelas cuynitivncs deßnitionesque parlitur (also das ÖQitmxöv der speciellen De
finitionen lallt schon mehr dem Sensualen anheim). Die Stelle des Boethius s.
Äbschn. XII, Anm. Sti. u. 9).
llti) Ebend. I, 47, p. 489.: Scd adversus eos , qui non aliud esse Corpus et
aliud corftoris essentiam pnlanl in lanlum seducti, ul ipaam substantiam corpoieiini
esse visibilemque et traclabitem non dubilent , quaedam breviter dicendu esse urbilror
(p. 490. :) Ut aulttn ßninus cognoscas, ovalctv, id esl t'ssenliam. incorruplibtlem
esse, lege librum sancti üionysii Areopagitim rfc Divinis Nominibus etc.,
worauf c. 48—50. der ausgedehnte Beweis folgt.
117) Ebend. 34, p. 479.: Quantität vero qualilasque , situs et hubitus , dum
inier se coeuntes materiam iitngunt, corporeo sensu percipi solent Magniis Gregorius
Nyssaeus certis ralionilius ila esse suadet, nil aliud dieens materiam esse,
nisi accidentium quandam composilionem ex invisibilibus causis ad visibilem mate
riam prncedentem. /~
118) Ebend. 52, p. 494.: Formarum aliae in pvaiu , aliae in qualilate intelliyüntur
, sed quae in ovöiu sunt, subslantialesspecies generis sunl' Wemo
denegat , ordinem ulque posilionem naturaliuni~p<irlmni neu membrorum ad qualiluiem
referri formamque proprie vocari quae ex qualilate ignea, quae est calor,
corporibus innasr.itur et forma vocatur a furmo , hoc est calido (s. Festus,
i. v. forma), conversa mitm syllaba in ma , anliqui siquidem formum dicebant calidum
(53, p. 497.:) Extra vero haec altiori consideralione oi/atav, quae esl
formarum subslantialium origo, conlemplamur. ~
30 . XIII. Scotus Erigena.
milllerß Stufe der Vielheit auch für die Dialektik eine besondere Be
deutung, denn in eben die nemliche Vielheit des Sinnlichen ist der
menschliche Wertausdruck verflochten. Sowie daher in den .sinnlichen
Dingen die an sich unkörperlichen Kategorien zuletzt doch (wenn auch
in rälhselhafter und mystischer Weise) körperlich geworden sind, so
wird auch die Sprache, soweit sie sinnlich ist, die Kategorien nur in
der sinnlich- körperlichen Wortform erfassen (wenn auch gleichfalls
durch eine mystische Verflechtung), und gerade das mittlere Stadium
der Dialektik, nemlich das oQiOrmov (s. AIIIH. 115) in Verbindung mit
dem anoSsixnnöv, wird entsprechend dem concrelen Dasein der Dinge
sich zumeist mit dem Wortausdrucke der Vernunft begnügen müssen,
während die reine Vernunft an sich als einheitliche die erste Urquelle
und der letzte Zielpunkt bleibt. In eben diesem Sinne aber spricht
sich auch Scolus selbst ausdrücklich aus, indem er den Bestand eines
Sprachgebrauches und eine „necessüas significandarum rerum", aller
dings als mangelhaft und dem Missbrauche ausgesetzt, anerkennt"9),
ja er bringt dieses selbst wieder in inneren Zusammenhang mit der
bei ihm stets wiederkehrenden Unterscheidung einer affirmativen und
einer negativen Theologie, indem bei ersterer, welche ja das göttliche
Eins in die empirische Vielheil abwärts verfolgt, Alles „nominaliler
sive verbaliler" über Gott in übertragenem Sinne ausgesprochen werde,
worauf die letztere all dieses wieder verneint120); ebenso deutlich
hingegen bezeichnet er auch das Gebiet, auf welchem die „signiftcaliones
calegoriarum" in eigentlichem, nicht in übertragenem Sinne, eine
Geltung besitzen, nemlicli, wie sich nach Obigem von selbst versteht,
hei den sinnfälligen Dingen121). Und wenn hiemit dasjenige, was no
minaliler sive verbauter kundgegeben wird, bei den geschaffenen Din
gen seine angemessene Stellung bat, so findet Scotus auch hiefür einen
bei ihm folgerichtigen lieferen Hinterhalt nicht bloss in der mystischtheologischen
Auffassung des Johanneischen Logos '--), sondern auch
119) Ebend. 38, p. 481.: Videsne ilaquc , qua consueludine rerumque significandarum
necessitate inops verarm» rerum discrelionis humanilas lias alntsivas rerum
denominationes (dass man nemlich locus statt pars gebrauche) repereril.
120) Ebend. 7(i, p. 522.: Haec est .... de deo praeiicanda professio , ut
prius de eo iuxla catafalicum , id est affinnalionem , omnia sive nominaliler sive
verbaliler praedicemus , non tarnen proprie sed translalive ; deindc ul omnia , quae
de. eo praedicantur per catafalicam, eum esse negemus per apofalicam, id esl neqa-
1 1 u in' m. nun turnen translalive sed proprie.
121) Ebend. 15, p. 463.: quemadmodum fere umnia , quae de natura conditarum
rerum proprie praedicantur, de condjlore rerum per melap/turam siynißcandi
f/ralia dicunlur, ila etiam calegoriarum significationes, quae proprie in rebus conditis
dignoscuniur , de causa omnium non absitrdc püssunl profcrri , non ul proprie
signi/kent, quid ipsa sit, sed ul translative etc. Ja es konnte ihm für die An-'
nähme, dass die Namenbczeichnung (innnfit imponere) ursprünglich bei den einzel
nen sinnfälligen Dingen begonnen habe, selbst eine Stelle des Boelhius als Anclurilät
gelten, indem derselbe (ad l'raed. p. 129.) sagt: Qui enim primus hominem
dixit, nun illum, qui ex sinyutis con/teitur, in mente haliuit, sed liunc individuum el
singularem, cui nomen liominis imponeret.
122) Ebend. III, 9, p. 042.: Rationes omnium rerum, dum in ipsa natura
verbi, quue superesseiitialis esl, inlelliyunlur, aelernas esse arbiträr Simplex el
multiplex rerutn omnium pi'inripalissinta ratio detis verbttm est; nam a yraecis
löyo; vocatur, hoc esl verbum veTralio vel causa etc.
XIII. Scotus Erigena. 31
darin, dass den üingen durch Adam ihre richtige Worlbezeichnung zu Theil
geworden sei 123). So nun kann Scotus für die Definitionen und Argu
mentationen, welche mit der Erscheinungsweh zusammenhängen, sich
getrost auf den Sprachausdruck stützen und den entscheidenden Ausspruch
thun, dass „was wir in den Worten erkennen, wir auch in den
durch sie bezeichneten Dingen erkennen" m). Wenn daher, wie wir
oben sahen , die Dialektik bei Scolus die Technik jener sprachlichen
Kundgebungen ist, durch welche wir uns ebenso wie durch die Welt
der Dinge zur höchsten Philosophie erheben sollen, so darf es uns
nicht wundern , wenn eine etwas spätere Zeit den Johannes Scolus in
erster Reihe unter denjenigen nennt, welche gesagt hätten, die Dialek
tik sei „vocalis" (s. unten Anin. 312 f.).
Könnte man nun hiebei sogar darauf hinweisen , dass eine derar
tige Auffassung der Logik auch selbst den Principien einer empirischen
Erforschung der Dinge nicht ungünstig sei , — die wirkliche Brücke,
welche vom iVominalismus zum Empirismus hinüherleitete, konnte sich
allerdings erst nach einer längeren und reicheren Entwicklung gestal
len, s. Abschrf. .XIV, Anm. 771F. — , so müssen wir doch jedenfalls
anerkennen, dass Scolus für die Dialektik die Activitäl der Ücnkoperalionen
, durch welche aus dem gegebenen Stoffe der Erscheinungswelt
das philosophische Wissen gewonnen wird, hinreichend betonen kann
und niuss. Denn wenn bei ihm auch nuch so viele platonisch -christ
liche Mystik in all jenen Fragen wallet, welche sich auf die Herkunft
oder auf das Ziel der menschlichen Seele und des menschlichen Ver
standes, kurz auf die beiden Endpunkte des obigen sog. Quadriviums
(Anm. 110) beziehen, so ergibt sich für das miniere Stadium eine
Auffassung, gemäss deren bei aller ohjecliven luimalerialiläl der Univer
salien doch für das menschliche Denken ein selbsllliätiges Fortschreiten
zur Bildung allgemeiner Begriffe gefordert ist 125). So isl namentlich
jede der sog. arles liberales in ihrer lechuisclien Ausführung ersl das
Producl , welches aus ihrem in der Seele unausgeführt liegenden Be-
123) Ebend. IV, 7, p. 7ti8f. :• per hoc maxime inlelligilur homo esse, quod
cunclorum , quae sive aequaliter silii creala sunt sive qmbus dominari praecipitur,
dalum est ei haben notionem quod afertig sinie divina nobis indicat scriptura
diccns : ,,adduxit e-a ad Adam, ul videret quid vocaret ea" ul viderct,
inquil, hoc esl ul intelligeret, quid vocaret; si mim non intfüigeret, quomodo rede
rocare posset ?
124) Ebend. I, 14, p. 459.: Si igilur .... nomina opposita % regione sibi
alia nomina respiciunt, necessario eliam res , quae proprie eis significantur , oppositas
sibi contrarietates obtinere intelliguntur, ac per hoc de dt o .... proprie praedicari
non possunt Et quod in nominibus cognoscimus , necessarium ut in his
rebus, quae ab m signißcantur, coynoscamus.
12ö) Ebend. IV, 7, p. 765.: Herum siquidem sensibilium species el quantilates
et qualitates , quas corporeo sensn attingo , quodammodo in me creari pulo ;
earum namque phantasias dum memoriae infigo easque intcr me ipsuni tracto , divido,
comparo , ac veluli in unitatem quandam colligo , quandain nolitiam rerum,
quae extra me sunt, in me effici perspicio. Similiter eliam interius inlelligibilium,
quae solo animo contemplor , verbi gratia liberalium disciplinarum , quasdam noliones
uclutt inlelligibiles species, dum studiose eas perquiro , in me nasci et fteri
intelligo.
32 XIII. Scotus Erigena.
griffe gemacht wird126), und während die Dialektik (gleichsam als
Weltdialektik) an sich in der „Natur der Dinge" liegt und von Gott
ausgicng, ist sie doch von dortlier durch weise Menschen erst aufge
funden und zur Erforschung der Dinge angewendet worden 127). Wenn
demnach Scotus nicht oft genug Begriff (nolio) und Wesen (subslanlia)
in metaphysisch-onlologischem Sinne idenliflciren kann 128), so bleibt
dahei die Unterscheidung festzuhalten , da.ss alles Inlelligible hei Gott
als Ursächliches, in dem menschlichen Erkennen hingegen als Wirkung
(effeclualUer) bestehe129); nemlic.li während die subslanlia (der ideelle
Giillungshcgriff) in der Intelligenz des Menschen ebenso sehr sich fin
det, als die übrigen quinque voces llieils der Natur desselben theils
gleichfalls der Intelligenz angehören 13°), bewahrt der Mensch bei' Uelmng
der Dialektik immerhin die Activiläl seines Denkens , durch welches er
die Dinge in Gattungen und Arten u. s. f. tlieill, wenn gleich diese
Theilung auch objecliv in der „Natur", selbst schon vorliegt131)- Ins
besondere aber bezeichnet Scotus das Deliniren als eine Thäligkeit,
nemlich als aclio inlelligenliae, wobei uns wegen innerer Harmonie mit
Obigem (Anm. 92) noch von Wichtigkeit ist, dass er bei seinem Be
streben , die Kategorie des locus so unkörperlich als möglich zu fassen,
dieselbe direct spirilualistisch mit der Definition idenlilicirt 132), wornach
hieinit auch von hier aus ein Reflex auf jene Werlhschälzung der
126) Ebend. p. 766 : Quiu notitia arlium, quae in anima est, ab ipsis artibus
formari videtur. Sed si certissima ralione suaderes , non notiliam ex arlibus,
verum artes ex notitia formari, lua forsitan raliocinalio rede ingrederetur.
127) Ebend. 4, p. 749.: inlelligitur , quod ars illa, quae dividil genera in
species et species in genera resolvil , quae oiaitXTixij dicitur, non ab liumanis
machinationibus sit facla, sed in natura rcrum ab auctore omnium artium, quae
•v/v artes sunt, condita et a sapientibus invenla et ad utililalcm solerli rerum indagine
usitata. Vgl. jedoch Anm. 227.
128) Z. B. ebend. 7, p. 770.: Ilaque si nolio illa interior , quae menli inest
humanae, rerum quarum nutio est substanlia constiluilur, consequens, ut ipsa notio,
qua se ipsum homo cognoscil, sua substanlia credatur. Es zieht sieb dieser Grund
satz in häufiger Anwendung durch die ganze Dediiction in den ersten Capp. des
IV. Buches hindurch.
129) Ebend. 9, p. 779.: ut in divino iiUcllectu omnia causaliler , in humanu
vero cognitione effeclualUer subsislant.
130) Ebend. 8, p. 77-'!.: iubemur intelligere , omnem visibilem et invisibüem
creaturam in solo komme esse conditam , mm nulla substuntia sit creala, quae i»
eo non intelligalur esse, nulla species seu differentia seu proprium seit accidens
naturale in natura rerum reperiatur, quae tiel ei naluraliter non insit vel cuius nolitia
in eo esse non possit.
131) EbÄid. I, 25, p. 472. : Genera quoque et species ipsius ovdtag, cum se
in diversas species numerosque multiplicanl , agere videnlur l es handelt sieb uemlicb
dort um ilii1 Kategorien agere und pali). Si quis vero ralionis virtute iuxta
illam disciplinam, quae nvcii.viixri tocatur, et numeros in species et species in ge
nera generaque in ovalav colligendo adunaverit, pali dicunlur, non quod ipse rolligat,
nalura enim collecta sunt sicut etiam divisa , sed quia colligere actu ralionis
ea videtur, nam cum et eadem dividit, simililer agere dicitur, ea vero pali.
132) Ktirnd. 32, p. 478.: Aiiud igitur est corpus et aliud locus, sicut aliad
est quantitas parlium, aliud definitio earum (in der ganzen v. c. 27—43 sich erstreckeoden
Erörterung ist durchgängig locus nur in der Bedeutung „Abgrenzung",
d. h. ÖQiapus verstanden). 43, n- 485.: Videsne itaque, non aliud esse locum,
nisi actionem inlelligenlis atquc compreliendentis virtule inlelligenliae ea, quae comprehendere
polest, sive sensibilia sint sive intelleclu comprehensa
XIII. Scotus Erigena. 33
Topik zurückfällt. Uebrigens erscheint uns die nemliche Beachtung der
Activität des Denkens bei Scotus auch gelegentlich einer Frage, welche
uns schon anderwärts als Scbulcontroverse begegnete ; nemlicb die Be
griffe des Nichts und der Finsterniss (s. oben Anm. 47 u. 72 ff.) ma
chen auch dem Scolus häufig zu schaffen, aber er weiss bei denselben
jenem seinem Standpunkte, welchen wir bisher trafen, treu zu bleiben.
Die Finsterniss ist ihm der Begriff (nolio) der objecliv realen Abwesen
heit des Lichtes 133), wornaeh bei Berufung auf die betreffende Bibelsteile
bezüglich der wirklichen Existenz des Lichtlosen 134) die Er
klärung möglich ist, dass unter der Finsterniss dasjenige Sein, welches
allem wirklichen Erkennbaren vorhergieng und hieinil sich allem Den
ken entzieht (gleichsam Schelling's „unvordenkliches Sein") zu verstehen
sei 135). In völliger Uebereinstinimung kann sich dann hieran der Be
griff des Nichts anschliessen 136), bei welchem gleichfalls die sprachlichlogische
Function des Denkens ihre Berücksichtigung findet137), während
an der biblisch-theologischen Lehre festgehalten wird 138).
Der Inhalt der ausgedehnten Erörterungen, welche Scotus den
Kategorien widmet, gehört der Geschichte der Theologie an und be
ruht ausserdem nicht einmal auf selbstsländigen Ansichten des Scotus,
sondern ist grossenlheils aus Pseudo-Dionysius, Gregor .v. Nyssa und
Maximus Confessor entnomirien 139). Erwähnt mag demnach nur wer
den, dass Scolus die ideelle Einheit der Substanz als des Gallungsbe-
133) D. praedesl. 15, 9, p. 416 f.: Quid signifieant tenebrae vel silentium, nisi
notionem cof/itanlis, defectum essenliae ? Quid signifieant .... nisi notioncm cogilantis,
vel lucem vel voccm deesse? D. rfit*. nal. V, 31, p. 943.: Ideoque ex uno
(jenere sunl absentiae et res, quarum absentiae statt, ul lux et lencbrae , sonus et
silenlium, forma et informilas celeraque id genas.
134) D. div. nat. I, 58, p. 501.: Hon enim umbra nihil est , sed aliquid;
alioquin non diceret scriptura ,,el vocavil deus lucem diem et lenebras noclem."
135) Ebend. II, 17, p. 550.: Tenebrae ilaque erant super causarum primordialium
abyssum; nam priusquam in spiritualium «ssentiarum numerositatem procederent,
nullus intelleclus conditus cognoscere eas potuit quid essent, et adhuc tenebrae
sunt super hanc abyssum quae nullo percipitur inlellectu eo excepto, qui cam in principio
formavil. Ebend. III, 29, p. 700.: nomine lucis species rerum visibiles et
intelligibiles , lenebrarum vero signißcalione causas substantielles omnem sensvm et
intellectutn superantes divinam scriptwam insinuasse diximus.
130) Ebend. III, 20, p. 683.: Ac sie de niltilo fac.it omnia, de sua tiidelicet
superessentialitate producit essenlias, de supervitalitale vilas, de tuperintelleelualitale
intelteclus, de neijalione omnium quae sunl et quae non sunt affirmationes omnium
quae sunl et quae non sunt.
137) Ebend. 5, p. 634.: Eo namque vocabulo, quod est nihilum, non aliqua
materies existimatur , non causa quaedam exislenlium, non ulla processio vel occasio,
quam sequerelur eorum quae sunt conditio sed omnino totius essentiae
pritiationis nomen eral et, ul verius dicam, vocabulum est absentiae totius essenliae.
138) Ebend. 9, p. 647.: in primordiis conditionis suae de omnino tiihilo in
infarmem processit (sc. mundus) materiem. Ebend. 15, p. 665.: Proinde non datur
locus nihilo, nee extra nee inlra deum, et tarnen de nihilo omnia fecisse non in va-
»um creditur; ac per hoc nil aliud datur intelligi, dum audimus, omnia de nihilo
creari, nisi quia eral, quando non erant.
139) Ebend. l, 15—63. Der Hauptzweck dabei ist, nachzuweisen, dass aile
Kategorien nur uneigentlich (durch die llieoloyia afftrmativa) von Gott prädicirt
werden können. Vgl. Job. Huber, d. Phil. d. Kirchenvater. München 1859. S.
188 o. 343 f.
P HART L, Gesch. U. 3
34 ' XIII. Srolus Erigena.
griffes auch in der Theilung in Arlbegriffe bis zutn Individuum herab
strengstens festhält und daher gegen eine Unterscheidung zwischen
subivrtuiH und de subiecto und in subieclo (Abschn. XII, Aiini. 92) polemisirt
, da sie bezüglich der Substanz selbst identisch seien 14°) , wo
mit natürlich die schroffste Abtrennung der übrigen neun Kategorien,
unter welchen er einige auch Cüfißäfum* (vgl. Abschn. VI, Anm. 114)
nennt, zusammenhängt141). Ausserdem wendet er auch in Folge neu
platonischer Einflüsse die Begriffe der Ruhe und der Bewegung (s.
Abschn. III, Anm. 50, u. Abschn. X, Anm. 83) derartig an, dass er
dieselben als allerobersle Gattungsbegriffe des Universums den Katego
rien überordnet und letztere im Hinblicke auf jene eintheilt 142). Dass
die Kategorie des Ortes völlig spiritualistisch gefasst werde, sahen wir
so eben (Anm. 132); von jener des haliitus aber wird gezeigt, dass
sie sich. auf sämmlliche übrige Kategorien beziehe, und dabei zugleich
ihre selbstständige Stellung behaupte 143).
Man wird nun jedenfalls zugestehen müssen, dass in damaliger
Zeit diejenigen , welche von einer gründlichen Lectüre des Scotus aus
wieder zu den logischen Gompendien des Boethius zurückkehrten oder
selbst auch nur obige Stelle des Jsidor oder des Alcuin (Anm. 35 u.
66) aufmerksam betrachteten, gewiss zu schärferem Nachdenken über
die Geltung des menschlichen Sprach- Ausdruckes veranlasst werden
* 140) Ebend. 26, p. 472.: ovata in generibus generalissimis et in yeneribus
generalioribus, in ipsis quoque generibus eorumque speciebus, atque Herum specialissimis
speciebus, quae aloma, id esl individua, dicunlur, universaliter proprieque
continetur «n Ais mim veluti naturalibus partibus universalis oii<S(a subsislit.
Ebend. 25, p. 470 f.: iuxla dialecticorum opinionem omnc , quod esl , aul subiectum
aut de subieclo aul in subiecto esl; vera tarnen mlio consulla respondel,
subieclum et de subiecto unum esse et in nullo distare , cum nil aliud sil
species, nisi numerorum unitas , et nil aliud numerus , nisi specici pluralitas. Si
ergo species tota el una est individuaque in numeris et numeri unum individuum
sunt in specie, quae quantum ad naluram dislantia est inlcr subiectum et de sub
ieclo, non video, Similiter de accidentibus primae substanliae intelligendum ; non
aliud est enim, quod in subiecto dicitur , et aliud, quod in subiecto simul el de
subiecto; nam disciplina, ut exemplo utar, una eademque est in se ipsa et in suis
speciebus numerisque. Vgl. ebend. 49, p. 492.
141) Ebend. 63, p. 508.: Sed novem gencra, quae solis accidentibus tribuuntur,
ita ... divisa sunt, ut ipsa accidenlia, quae primordialiter in essentiis conspitiunlur,
^hox verlantur in subslantias , quoniam aliis accidentibus subsistunl. Ebend. 25,
p. 471.: Categoriarum igitur quaedam circa oiiGluv praedicanlur, quae veluli ne-
(tioxal, id esl circumstantes , dicunlur, quia circa eam inspiciunlur esse; quaedam
vero in ipsa sunt, quae a graecis avpßä/Aui« , id est accidentia, vocantur, qualitas,
relalio, habitus, agere, palt.
142) Ebend. 22, p. 469.: Horum decem generum qualuor in slatu sunt, id
/•st ouaia, quanlitas, situs, locus ; sex vero in motu, qualilas, relalio, habitus, lempus,
agere, pati Vt scias plane, decem qenera praedicta aliis dttobus sitperioribus
generalioribusque comprchendi, motu scilicet atque statu , quae Herum generalissimo
colliguntur genere, quod a graecis to näv, a nostris vero universitas appellari
consuevil.
143) Ebend. 20, p. 467.: Quaero igilur, quare isla categöria habitudinis, cum
ceteris calegoriis naturaliter inesse videatur, per se specialiter veluli suis propriis
ralionibus subnixa suum in denaria categoriarum quantilale locum oblineat
Quod enim omnium est, nullius proprie est, sed omnium commune, et dum in oiimibus
subsistat, per se ipsum propria sua ratione esse non desinil.
XIII. Die Quellen der logischen Parteiung. 35
oder selbst sofort zu nominalistischen Auffassungen gelangen konnten.
Es sind neinlich, wie mir scheint, zwei Fragen (nicht bloss die Eine,
welche auch schon Cousin — s. Anm. 19 — hervorgehoben hat),
welche sich beim Betriebe der üblichen Schul-Logik aufdrängen mussten.
Die erste derselben ist allerdings jene, welche Boethius bei Uebersetzung
der betreffenden Stelle des Porphyrius (Abschn. XI, Anm. 39)
ausdrücklich selbst als prima quaeslio bezeichnet hatte, und welche
sich darauf bezieht, ob die Universalien (d. h. die Gattungs- und Art-
Begriffe) und die quinque voces eine wirkliche geistige SubslantialitSl
besitzen und unkörperlich seien, oder ob sie in concretcr körperhafter
Existenz vorliegen (Abschn. XII, Anm. 86). Es betrifft diese Frage,
wie sich uns in der Darstellung der antiken Logik hinreichend zeigte,
den Gegensatz zwischen Platonismus und Aristolelismus, und für das
Mittelalter versteht es sich nach der gesammten geistigen Richtung,
welche durch die christlichen Ideen bedingt war, ganz von selbst, dass
man sich überwiegend einem platonischen Realismus zuneigte (vgl. oben
Anm. 20 f.). Die „individuelle Substanz" des Aristoteles musste unver
ständlich bleiben, sobald die Erscheinungswelt und die natürliche Ge
staltung mit der Lehre vom Siindenfalle in Verbindung gebracht worden
war, und man begnügte sich gerne mit dem schon bei Boetbius vor
gefundenen Grundsatze „universale inlelligüur, singulare senlilur" (oben
Anm. 115), einem Dualismus, welcher in speeifisrh christlicher Auffas
sung noch bis Descarles fortwirkte und sich leicht zu einem Hinder
nisse empirischer Forschung gestallen konnte. Auch die subjective Erkenntnisstheorie
konnte hiebei wenig gefördert werden, denn indem die
Universalien logisch hauptsächlich nur dazu dienten" um auf der Jacobsleiler
der tabula logica in den geöffneten Himmel des mmmum ens
emporzuklettern, blieben nur jene objecliv onlologischen Schwierigkei
ten übrig ,• welche dem Platonismus überhaupt ankleben, d. h. man
konnte noch darüber streiten, auf welche Art und Weise denn jene
Universalien als Ideen Gottes in den Unterarien und in den Individuen
zur Erscheinung kommen, ob sie anle rem, ob in re, oder wie sonst
sie seien.
Die zweite jener Fragen liegt gleichfalls schon bei Boelhius vor,
jedoch nicht in solch zugespitzter und handgreiflicher Frageform, wie
jene erslere, denn sie erscheinl ja zunächst äusserlich auch nicht als
schroffe Parteifrage. Sie betrifft riemlich den menschlichen Sprachaus
druck , welcher sowohl von Plato als das Product eines psychischen
Vorganges anerkannt worden war (Abschn. III, Anm. 10 f.), als auch
bei Aristoteles auf gleicher Basis eine einlässliche Erörterung gefunden
halle (Abschn. IV, Anm. 23 u. 105 ff.), und Boelhius hatte sich in die
ser Beziehung völlig unverfänglich und gleichsam naiv ausgesprochen,
wenn er sagt, dass die Dinge (res) vom Verslande (inlellectus) begriff
lich erfasst werden, die Sprache aber (vox) den Begriff bezeichne, und
dass daher, da alle Sätze aus bezeichnenden Worten bestehen, zunächsl
die Isagoge und dann die Kalegorien die Aufgabe haben, über diese
Beslandtheile, d. h. über die obersten Namen und Worlbczeichnungen
der Dinge (de primis rerum nominibus el de vocibus res significanlibus)
zu handeln (Abschn. XII, Anm. 77, 84 u. 110). An sich nun hat
36 XIII. Die Quellen der logischen Parteiung.
diese Auffassung mit jenem vorigen Gegensatze der Richtungen durch
aus Nichts zu schaffen, sondern geht ausserhalb jener beiden und neben
denselben her, denn dass die menschlichen Gedanken in Worten ausge
sprochen werden , scheint allgemein von allen philosophischen Parteien
zugestanden werden zu müssen. Selbst wenn daher sich hieran .wirk
lich nominalislische Anschauungen anschliessen , so bilden dieselben an
sich nicht den entsprechenden Gegensalz gegen jenen platonischen Rea
lismus, welcher bei Beantwortung der obigen ersten Frage hervortrat,
denn dort musste sich eine Parteiung gestallen, welche nach unserem
jetzigen Sprachgebrauche als der Gegensalz zwischen Idealismus und
Individualismus (oder auch Empirismus) zu bezeichnen ist, welch beide
doch gewiss dem Sprachausdrucke die Function eines Zeichens zuge
stehen können. Wenn aber hiemit in diesem Sinne sich sehr wohl
ein Nominalismus denken lässt, welcher durchaus noch nicht anti-rea
listisch ist, so lagen dennoch besondere Umstände vor, durch welche
allmälig eine die Sprach- Bezeichnung berücksichtigende Auffassung der
Universalien in den schrolTen Gegensatz gegen den platonischen Realis
mus hineingetrieben wurde, sobald man nur einigermassen mit grösserer
Schärfe obige Aeusserung des Boelhius ins Auge fasste und über
dachte. Wollen wir nemlich selbst davon absehen, dass die Beschränkt
heit des vorhandenen philosophischen und logischen Materiales, verbun
den mit der geringen .Begabung zu rein selbstsländigem Schaffen, in
jenen Jahrhunderlen einfach nur die Wahl liess, entweder Platoniker
oder Aristoteliker zu sein, so konnte doch schon durch den Hang des
Plalonismus, aus der Wirklichkeit sich in das ideale Jenseils zu flüch
ten und zu solchem'Behufe auch die Sprache abzusireifen (Abschn. 111,
Anm. 15), sich gar Mancher dazu aufgefordert fühlen, dem Diessseiligen
wenigstens für das Diessseits seine Gellung zu verschaffen, insofern
ja die Worte die einzige Form seien, in welcher der Mensch auf Er
den Begriffe besitzt. Hiezu aber kam noch, dass die Praxis aller phi
losophischen oder theologischen Erörterungen unmittelbar auf den Wert
ausdruck sich hingewiesen sah, und somit auch die hierauf bezügliche
Technik, d. h. die ars dispulandi, am wenigsten sich auf jene hyperidealistische
Verllüchligung der Worte einlassen konnte (haben ja doch
später die Praktiker, nemlich die Rhetorikcr, sogar den Aristoteles
selbst wieder aus seiner mitlelalterlichen Herrschaft zu verdrängen ge
sucht). Ferner fanden sich jene obigen Aeusserungen gerade in dem
Buche D. inlerpr. (natürlich in der Bearbeitung des Boelhius), d. h. in
jenem Buche, über welches von Cassiodor her ein pointirtes, den
Ruhm des Aristoteles hervorhebendes Sprüchlein in der Schule umlief
(s. oben Anm. 34 u. 66), und es konnle hienach leicht Aristoteles als
der Vorkämpfer für die Berechtigung der Sprache betrachtet werden.
Endlich aber wird man auch zugestehen müssen, dass, sobald man
durch die Logik mehr als eine objeclive tabula logica der Universalien
beabsichtigte, d. h. sobald man in die subjective Werkstätte der mensch
lichen Urtheile und des mühevollen oder verschlungenen Schliessens
eingehen wollte, jedenfalls die Sprachform und zugleich mit ihr der
Begründer aller wahren Syllogislik in den Vordergrund treten musste ;
d. h. die Logiker mussten stets sich mehr auf die nominalislische oder
XIII. Scotus und die Parteiung. 37
aristotelische Seite neigen. Durch das subjective Element aber förderte
später der aristotelische Nominalismus auch die Erkenntnisstheorie und
bereitete den Weg zu Baco von Verulam vor, worin ersichtlicher Weise
sich gleichfalls ein innerer Zug des Aristotelismus kundgibt.
So also konnte sich schon das frühere Mittelalter aus Ein und dem
selben Boethius den Gegensatz zwischen Realismus und Nominalismus
herauslesen; jedoch nicht aus jener Einen Stelle des Boethius, welche
die Universalien betrifft, ist die Parteispaltung geflossen, sondern zwei
nebeneinander herlaufende Aeusserungen jenes Autors sind es, welche
bei einseitig consequenter Verfolgung ihres Inhaltes zuletzt feindlich aneinanderplatzen
musslen.
Wie sich nun Scotus Erigen« zu den Keimen eines solchen Schisma's
verhalte, ist aus Obigem klar ersichtlich. Er steht nemlich gerade
auf der Gränx.scheide zwischen der früheren naiven Unbeholfenheit,
welche auch Widersprechendes in Ein Schulcompendium zusammenknelete,
und dem offen ausbrechenden bewussten Parteikampfe. Er ist
christlich-platonischer Realist, soweit es sich um die ontologisch ewige
Grundlage der Wesenheiten handelt; aber sowie er, der ja lange vor
Entstehung all jener Detail- Controversen lebte, bei seinem Realismus
noch völlig harmlos die Universalien zugleich ante rem und zugleich
in re bestehen lässt (s. Anm. 140), so ist er andrerseits hinwiederum
Notninalist, soweit es sich um die logische Förderung des Erkennens
handelt, und in solchem Sinne musste er jene Stellen bei Boethius ver
stehen , welche über vox handeln. In dem exclusiven Sinne, in wel
chem bei den folgenden Jahrhunderten von Realisten und Nominalisten
die Rede sein wird, ist Scotus allerdings keines von beiden, aber er
ist derjenige, welcher durch seine Zwischenstellung es hervorruft, dass
neben den Realismus eine nominalistische Richtung hintrilt. Es ist ja
auch eine ganz naturgemässe Stufenfolge, dass vorerst im Anschlüsse an
Scotus die Ansicht sich kundgibt, die Dialektik sei „vocalis" ? insoferne
und insoweit die Universalien Worte seien, später aber, nachdem diess
von hyperidealistischer oder mystischer Seile bestritlen worden war,
erst die Steigerung eintritt, dass man sagt, die Universalien seien über
haupt gar Nichts als blosse Worte. Sowie aber Scotus die ersten Um
risse des späteren Gegensatzes in sich vereinigt, so ist es auch erklär
lich, dass er eine innere Verwandtschaft mit Denjenigen zeigt, welche
später auf eine Versöhnung hinarbeiteten, und wir werden im weiteren
Verlaufe uns noch zuweilen an Scotus erinnern müssen (z. B. folg.
Abschn. Anm. 186 u. 252).
Am nächsten an Scotus nun reiht sich ein Commentar zur Isagoge
an, welcher in neuerer Zeit durch V. Cousin bekannt gemacht und zu
folge der handschriftlichen Ueberlieferung dem Hrahanus Maurus (s.
oben Anrn. 78 ff.) zugeschrieben wurde. Nachdem nemlich schon früher
auf das Vorhandensein einer „Logik des Hrabanus" war hingewiesen
worden 144), fand Cousin die betreffende Handschrift selbst, welche
aasser der Dialektik Abälard's logische Commentare unter dem Namen
144) Oudin, d. scripl. eccl. I, c. 1172.: in bibliotheca Floriacensi, Utero, A, 4,
exslat logica Petri Abaelardi una cum logica Rhabani.
38 . XIII. Pseudo-Hrabanus.
des Hrabanus enthält145), und zwar zunächst eine Schrift „Rabunna
super Porphyrium", deren Ende fehlt, sodann einige Blätter aus der
Mitte einer Paraphrase von Boelh. d. diff. lop., und hierauf unter der
Ueberschrift „Rabanus supere Terencivaa", welche offenbar aus „super
Pariermenias" corrumpirt ist, eine Paraphrase zu Boelh. d. interpr. Die
letzteren beiden enthalten, soweit sich aus den Mitlheilungen Cousin's
schliessen lässl 146), durchaus nichts Selbstständiges, sondern schließen
sich so enge und so wörtlich an die Schriften des Boethius an, dass
uns auch zu einer Annahme über den Autor derselben jeder individuelle
Anhaltspunkt fehlt. Es ist ebensosehr möglich, dass keines von beiden,
als auch dass beide wirklich dem HraLanus angehören; sollen jedoch
dieselben den nemlichen Verfasser halten, welcher auch den Commentar
super Porphyrium schrieb, so scheint die Sache anders zu stehen. Al
lerdings lässt sich nicht direct beweisen, dass Hrabanus denselben un
möglich verfasst haben könne, aber als sehr unwahrscheinlich müssen
wir es immerhin bezeichnen. Chronologische Gründe sind es nicht,
welche entgegenstehen, denn Hrabanus konnte die Schriften des Scolus,
mit welchem er ja auch bei dem theologischen Streite über die dop
pelte Prädestination übereinstimmte, noch sehr wohl kennen; ferner
könnte man, wenn er noch im 9. Jahrb. den Beinamen „sophista" er
hält147), hieraus den Schluss ziehen, dass er sich specieller und aus
führlicher als Obiges (Anm. 78 ff.) kundgibt, mit Logik beschäftigt
hübe. Aber dennoch besteht zwischen diesem Commentare zur Isagoge
und jenem Obigen schon in der allgemeinen Behandlung ein solcher
Abstand, dass wir bei dem gänzlichen Mangel an einschlägigen Andeu
tungen in sämtullichen ächten Werken des Hrabanus uns schwer zu
der Annahme entschliessen könnten, derselbe habe über die Dialektik so
verschieden gedacht und seine logische Auffassung in allen übrigen
Schriften völlig unterdrückt. Ja wenn sich diese Verschiedenheit bis
zum directen Selbstwiderspruche steigert, bleibt nur noch die Möglich
keit übrig, dass Hrabanus in seiner letzten Lebenszeit nach Abschluss
seiner ganzen übrigen schriftstellerischen Thäligkeil förmlich zur lugi
schen Ansicht des Scotus übergegangen sei; dann aber waren wir auch
berechtigt und bemüssigl, die Schrift, in welcher diess geschieht, jeden
falls erst nach Scotus zu erwähnen.
Der Verfasser nemlich des Commentares super Porphyrium schliesst
sich schon darin dem Scotus (s. Anm. 105) an, dass er die Logik in
drei Theile, nemlich in Grammatik, Rhetorik, Dialektik, zerlegt 148), wo-
145) Cousin, Ouvr. ined. d'Abel. p. Xf. u. LXXV1.
146) Ebend. im Appendix p. 616 f.
147) Rudolf, Ann. Fuld. bei Pcrlz, Monum. I, p. H64. : Rhabanus quoque , so
phista et sui lemporis poetarum nulli secundus etc. Doch dass derartige Ausdrücke
aus jener Zeit nur mit Vorsicht aufzunehmen seien, ist bekannt.
148) Cousin a. a. 0. p. 614.: Quaeritur aulem cut'parli philosophiae supponatur
(d. h. die Isogoge) rcstal ergo, ut logicae supponalur ; post quatn vero
parlem logicae supponatur, quaerendum est; habet enim logica tres partes, grammaii
f n m. rheloricam, dialecticam. Post grammaticam; non enim de genere secundum
grammalicam traclat, quia neque quomodo gcnus declinelur ostendit , neque si sil
primitivum an derivalivum, quae omnia ad yrammaticam perlinent. Neque in hoc
XIII. Pscudo-Hrahanus. 39
hingegen Hrabanus nur zwei Theile anerkennt (Amn. 79). Sodann aber
müssen wir nicht bloss in der üblic'lien Einleitung über den Zweck der
Isagoge (s. Absclm. XII, Anm. 75) die Ausdruckswcise beachten, dass
dieselbe über die fünf „Dinge oder Worte" handle 14.9), sondern es zeigt
uns auch der weitere Verlauf, dass hier dasjenige, was wir als den
Nominalismus des Scolus bezeichnen mussten, bereits mit grössercm
Bewusstsein und in schärferer Form auftrete; neulich während einer
seits auch hier die ideelle Einheil der Substanz innerhalb der speciellen
und individuellen Gestaltung (forma) nach der nemliclien realistischen
Anschauung festgehalten wird, welche hei Scotus (s. Anm. 109 u. 140)
in ontologischer Beziehung sich findet150), wird andrerseits bezüglich
der logischen Isagoge des Porphyrius direct darauf hingewiesen, dass
nach der Ansicht Einiger dieselbe über „fünf Worte", nicht aber über
fünf Dinge handle. Ja es wird diese Ansicht, dass genus, species u. s. f.
Dicht als Saclibezeichnung, sondern als Worlbezeichnung zu verstehen
seien, durch formulirte Beweise gestützt, deren Einer sich auf die De
finition des genus beruft, in welcher die Bestimmung enthüllen sei,
dass das genus „ausgesagt" werde; ein zweiler Beweis liege darin,
dass die Kategorien, zu welchen die Isagoge als Einteilung diene,
selbst gleichfalls „de vocibus" handeln (s. die oben, S. 35, genannten
Stellen des Boelbius), sowie sie auch Boelhius als „itomina" be
zeichne151). Und wenn nun noch hinzugefügt wird, dass bei solcher
Iractatu 'docemur, quomodo cattsas debcat disponere orator, quod ad rhcloricam per
linet. Relinquitur igilur, ut per dialecticam logicae supponalur.
149) Ebend. p. 613.: Intentio Porphyrii est in hoc opcrc facilem intellectum
ad praedicamenta praeparare tractando de quinque rebus vel vocibus, genere sciliccl,
specie, differentia, proprio et accidcnte , quorum cognitio valet ad praedicamentorum
cognitionem.
150) Ebend. p. LXXIX. : Alio namque modo universalis est (sc. substanlia
eadem) cum cogitatur, alio singularis cum sentitur (so Boetb. p. 56, s. Abschn.
XII, Anm. 86). Hie innuit nobis Boethius, quod eadem rcs Individuum et species
et genus^ est, et non esse universalia individuis quasi quidilam diversum, ul quidam
dicunt ; scilicet spcciem nihil esse quam genus informatum, et Individuum nihil
aliud esse quam speciem informatam.
151) Ebend. p. LXXVIH. : Quorumdam tarnen senlcntia est, Porphyrii intentionem
fuisse in hoc opere , non de quinque rebus, ied de quinque vocibus tractare,
id est Porphyrium inlendere naluram generis ostendere , generis dico in vocum designationem
accepli. Dicunl enim quod si Porphyrius in designationc rcrum tractat
de genere et de celeris , non bene diffinil ,, genus est quod pracdicalur etc.", res
enim non praedicatur. Quod hoc modo probanl: si res praedicatur , res dicitur; si
res dicitur, res enunciatur ; si res enunlialur , res proferlur; sed res proferri non
polest ; nihil enim proferlur nisi vox ; neque enim aliud est prolalio quam acris
plectro linguae percussio, aeris autem plectro linguae percussio nihil aliud est quam
TOI; si igilur Porphyrius de genere in rerum assignatione trarlaret, male generis
difftnitionem dedisset dicendo sie „genus est quod praedicalur etc." , cum genus in
rerum designatione acceptum nullatenus praedicatur. Eins igilur intentioncm dicunt
esse, de genere non in rerum, sed in vocum designalione traclarc. Adhuc aliat ratio
cur Porphyrius Iractet de genere accepto non in rerum sed in vocum designatione.
Cum enim Iractatus iste inlroductorius sit ad Aristotelis categorias et Aristoteles in
categoriis de vocibus principaliter agerc intendat, convenicns non eum esset de re
bus agere qui ad librum de vocibus principaliter traclare inlendebat Praeterea
ex Boelhii auctorilatc in primo super categorias commcnto confirmatur, genera
et species voces signiftcare; dicit enim üla nomina novem esse (Boeth. p. 5, 8.
40 XIII. Pseudo-Hrabanus.
Ansicht eine reale Sachbezeichnung gar nicht ausgeschlossen sei, insoferne
es sich beim genus um eine allgemein gültige Eintheilung, welche
in der „Natur der Dinge" liege (s. Anm. 127 u. 131), handeln könne 152),
sowie ja überhaupt das genus Nichts anderes sei, als „die im Denken
veranstaltete Zusammenfassung der substantiellen Aehnlichkeit aus den
verschiedenen Unterarten"153), so ist kein Zweifel mehr darüber mög
lich, dass wir hier nur den Standpunkt des Scolus mit gesteigerter
Schärfe seiner nominalistischen Seite vor uns haben. Aber auch gleich
falls an Scotus (s. Anm. 92 f. u. 105) erinnert uns in diesem Commentare
die Berufung auf die Topik, und zwar namentlich auf den locus
der Gegensätze 154). Anderes hinwiederum schliesst sich, wie leicht
erklärlich ist, als blosse Paraphrase völlig an Boelhius an 155). Hin
gegen von Wichtigkeit ist uns das Geständniss des Verfassers, dass er
die Analytik des Aristoteles nur vom Hörensagen kenne (vgl. Anm. 98),
ihm also auch des Boethius Uebersetzung jener Bücher nicht bekannt
war156).
Mag es sich aber mit der Autorschaft dieses Commentares verhalten,
wie es wolle, so äusserte jedenfalls die Schule, welche Hrabanus be
kanntlich in Fulda eingerichtet hatte, •— abgesehen von all dem übrigen
reichen Segen der Cultur, welcher aus ihr floss, — auch auf den Be
trieb der Logik einen höchst günstigen Einfluss, und aus Frankreich
und der Schweiz weisen mannigfache Fäden auf die Pflege der Schulwissenschaften
in Fulda zurück. Bezüglich der logischen Parteifrage
jedoch finden wir keineswegs etwa ein abgeschlossenes einheitliches
Gepräge der Fuldenser Schule, und können demnach auch nicht ihrem
Abschn. XII, Anm. 90.) ; quod si voces non significarenl, nullo modo nomina novem
esse possent.
152) Ebend. p. LXXVIII f.: JVon tarnen genus in rerum designattone accipi
passe negant (der Gedanke Cousin's, negant in negandum oder negari potest zu
ändern, ist verfehlt, denn es ist noch immer von eben Denjenigen die Rede, welche
den logischen Schriften als logischen die voces zuweisen); dicit enim Boelhius in
libro divisionum, generis divisionem esse ad naturam, id est apud omnes (auch die
Worte apud omnes will Cousin ändern, sie stehen jedoch bei Boelh. p. 639, s.
Abschn. XII, Anm. 97.); per quod demonslratur Boethius non in vocum seil in rerum
designatione genus accepisse.
153) Ebend. p. LXXIX: Nihil alind est genus quam subslantialis similüudo ex
diversis speciebus in cogitatione collecta. In des Boethius Uebersetzung des Porphyrius
(p. 57.) erscheint der Ausdruck „coUeclio" nur bei jener unter den Phi
losophen nicht üblichen (Abschn. XI, Anm. 40.) Bedeutung des Wortes „genus",
wornach es in genealogischem Sinne ein „Geschlecht" bezeichnet.
154) Ebend. p. 615.: Probat quod genus non dicitur simpliciter sie: si genus
dicilur tripliciter, tunc non dicilur simpliciter; locus ab oppositis; maxima propositio:
si aliquid oppositum convenit alicui, suum oppositum removetur ab eodem.
155) So z. B. auch dasjenige, was Haureau, De la phil. scol. I, p. 109. aus
der nemlichen Handschrift, welche Cousin benutzt hatte, veröffentlicht; es betrifft
das genus supremum und stimmt dem Sinne nach ganz mit Boetk. p. 72 f. überein.
Ebenso ist, was Cousin a. a. 0. p. 615. über die individua angibt, keineswegs
dem Verfasser des Commentares eigentbümlich, sondern findet sich bei Boelh. p.
73. S. Abschn. XII, Anm. 87.
156) Cousin a. a. 0. p. 614.: ,,Vel in demonstrationc," id est ad librum
demonstralionum- volunt enim quendam librum esse, qui vocetur liber demonslrationum,
qui apud nos in usu non est.
XIII. Eric v. Auxerre. 41
Begründer die Schuld oder das Verdienst beimesseti, ihr in dieser Be
ziehung eine bestimmte Richtung gegeben zu haben, sondern weit eher
scheint sich der Partei-Gegensatz als solcher erst innerhalb dieser Schule
seihst zu entwickeln; wenigstens treffen wir dort sogleich das eigen-
Ihümliche Faclura, dass der Lehrer auf Seite des logischen Nominalismus,
der Schüler hingegen auf jener des ontologischen Realismus steht.
in Fulda hatte unter Leitung des Haimon, eines Schülers des Hrabaiius,
Eric von Auxerre studirt, und es eröffnete derselbe, nachdem
er noch den Unterricht des Servalus Lupus in Ferneres genossen, in
seiner Vaterstadt selbst eine Schule, woselbst unter seinen Zöglingen
ausser Lothar, einem Sohne Karl des Kahlen, sich auch Remigius von
Auxerre befand. Von diesem Eric, dessen Blüthezeit sonach ungefähr
um d. J. 870 zu setzen ist, fanden sich in einer Handschrift von St.
Germain commentirende Glossen zur pseudo-augustinischen Schrift „Calegoriae"
157), wobei sich uns wieder eine erneuerte Steigerung jenes
nominalislischcn Standpunktes zeigt, welcher uns in der so eben betrach
teten Schrift begegnet war. Eric gebt neinlich entschieden von jenen
neinlichen Stellen des Boethius aus, welche wir dort (Anm. 151) als
Beweisgrund angeführt sahen, aber indem er res und inlellectus wohl
ähnlich wie Scotus dem Gebiete der Natur zuweist, hingegen diesem
die vox als blosse menschliche Vereinbarung (vgl. Anm. 105) gegenüber
stellt, scheint er den theologischen Hintergrund, welchen noch Scotus
(Anm. 122 f.) für die Sprache fand, völlig zu verschmähen l58). Und
jedenfalls weist er diesem menschliehen Sprachausdrucke eine so starke
Geltung zu, dass er eine substantielle Sachbezeichnung der Universalien
direct verneint und in denselben nur das Verhältniss der prädicativen
Aussage erblickt159); ja ausdrücklich bezeichnet er die Stufenleiter,
welche von den Individuen zur obersten Gattung, d. h. zur Substanz,
hinaufführt (— also jene zweite Hälfte des Weges, welche bei Scolus
heisst, s. Anm. 108 ff. u. 120 —), als eine nominalistiscbe,
157) Die Angabe Cousin's (a. a. 0. p. 621.) fand ihre Berichtigung durch
Haurdau a. a. 0. l, p. 135., welcher die betreffende Marginal-Note der Handschrift
genauer las und uns den Verfasser der Glossen feststellte. (Eine anderweitige
Schrift des Eric, worin derselbe die Lehren des Haimon und des Servatus Lupus
im Auszuge zusammenstellte, s. Mabill. Ann. Bened. II, p. 627., scheint verloren zu
sein.) — Die pseudo-augustinische Schrift über die Kategorien ist auch hier durch
obigen Prolog Alcuins (Anm. 53.) eingeleitet.
153) Bei Haurtau a. a. 0. p. 142. : Tria sunl quibus omnis colloculio disputalioque
perftcitur: res, inlellectus et voces. Res sunt ijuas animi rationc percipimus
inlellecttique disccrnimus ; intellectus vero quo ipsas res addiscinms ; voces quibus
quod intellectu capimus significamus. Praeter haec autem Iria est aliud quiddam
quod significat voces, hoc est litlerac, harum enim scriptio vocum significatio est (s.
Abschn. XII, Anm. 110.). Kern concipit intellcelus, intcllectum voces designant, voces
autem litterae significant, Rursus horum quatuor duo sunt naturalia, id esl res et
intellectus, duo secundum posilionem hominum, hoc est voces et litterae.
159) Ebend. p. 140.: sed huic occurrimus dieenles, genus non praedicari de
animali secundum rem, id esl substantiam, sed designativum nomen esse animalis,
quo designatur animal de pltiribus specie dilferentibus dici; namqur. neque ralionem
animalis polest habere genas, mm dicitur animal esl substantia animata et sensibilis
; similiter nee species dicitur de homine secundum id quod signiftcat, sed iuxta
illud quod de numero differentibus praedicalur.
42 XIII. Eric von Auxerre.
indem dieselbe zuletzt in eine engste Stufe, welche uno nomine conslat,
auslaute 16°).
Insofern aher dem Eric auch noch andere logische Tractate bei
gelegt wurden, welche in jener nemlii'hcn Handschrift von St. Germain
sich finden, können wir hicmil, allerdings nicht übereinstimmen, glauben
aher, dass dieselben in der Thal noch in jene Zeit, d. h. jedenfalls in
das letzte Drittel des 9. Jahrb.. fallen l(51). Von den Marginal-Glossen
zu „Periermeniae Arislolelis" (nach des Boethius Ueberselzung) können
wir füglich ganz absehen, da sie nur dem Commentare des Boelhius
selbst entlehnt sind 162). Ein hierauf folgender Traotat, in welchem
Augustinns de Dialeclica mit einer Einleitung und gleichfalls mit Rand
glossen hegleitet ist, zeigt eine ganz andere Behandlungsweise als Eric's
Commenlar, indem namentlich häufig griechische Worte eingestreut und
etymologisch erklärt sind; die sehr eigentümliche Einleitung, in welcher
auch Scotus erwähnt wird, beachtet besonders das Verhällniss Augustins
zur Stoa, schliesst sich aber dann an Isidor (Anm. 27) bezüglich des
Gegensatzes zwischen Dialektik und Rhetorik an lli3). Sodann aher ent
hält jene Handschrift auch noch einen glossirenden Commentar zu des
Porphyrius Isagoge (nach der Uebersetzung des Boethius), welcher uns
bezüglich der Controverse über die Universalien wichtig ist. Die dabei
ausgesprochenen Ansichten Messen sich allerdings mit jenen des Eric
vereinbaren, insoferne hier trotz einer deutlichen Beziehung auf Scotus
schon sehr der aristotelische Begriff der individuellen Substanz hervor-
160) Ebend. p. 141.: sciend^lm autem, quia propria nomina primum sunt in
numerabilia, ad quae cognoscenda intellectus nullus seu memoria iufficit; haec ergo
omnia coartata species comprehcndit et fncit primum (jradum, qui lalissimus eil,
scilicet hominem, eqtmm, leonem, et species liuiusmodi omnes continet ; sed quia haec
rursus erant innumerabilia et incomprehensibilia, .... alter factus est gradus angustior;
ita constat in genere, quod est unimal, xurculus et lapis ; Herum eliam luiec
yenera in unum coacta nomen tertium fecerunt gradum arctisimum iam et angttstissimum,
ulpote qui uno nomine solummodo constet, quod est usia.
161) Denn bei einer Handschrift des 10. Jahrb. geht für diesen Fall die Be
weiskraft der Gründe, welche Haureau a. a. 0. p. 135 f. aus der Gleichheit der
Schrift der Marginalglossen schöpfte, sicher auf eine Identität der Zeit. Was aber
gegen die Identität der Person spreche, ist sogleich unten anzugeben.
162) Cousin a. a. 0. p. 618.
163) Ebend. p. 619.: Aureliui, vocatur dominus Augustinus ab awa, id est
favore populari elc ,,Dia" enim quando per iota scribitur, signißcat „de" vel
„ex" praepositionem, quando vcro per y, significat duo, sicut est „dyalogus"
Sed omisso isto nomine transferamus nos ad dialecticam, de qua nunc nobis loqui
oportel. Dyalectica autem proprie ,,de diclione", quum in ea rationabiliter de dictis
dispulalur; ne quidem videretur ,,de" per appositionem dici, quemadmodum dicimus
,,de monte, de domo," iunctim profcrenda est dyaleclica. Nun folgt die oben, Anm.
97, angeführte Stelle über Scotus, sodann: Dicitur microloga, id est paniloga,
sicul rhetorica macrologa, id est lonc/iloga dicitur, macrun enim dicunl graece longum.
Est aulem dialeclica disciplina rationalis dif/iniendi, disserendi ac vcra de
falsis disccrnendi potens. Hüne libellum edidit dominus Augustinus de origine, elymologia
verborum parlim quidem ad imminutionem Stoicorum partim vero ad confusionem;
nam Stoici dicebant nullum verbum esse quod non habeat originem , auf
scialur aul lateat. Quibus ille conlradidt innumerabilia inquims rerba quorum
ratio reddi non possit (s. Abschn. XII, Anm 35.). Dialectica nempe est pugnuf
astriclus, sicut et rhelorica palma quaedam extensa (s. Abscbn. V1Ü, Anm. 25.);
unde raros et studiosos requirit magistros elc.
XIII. Jepa(?). 43
tritt, und der Gattungsbegriff lediglich dem menschlichen Denken ;niheimfälll.
Jedoch bliebe es, falls Eric der Verfasser dieses Commentares
wäre , immerhin schon auffallend , dass derselbe bei dargebotener Ge
legenheit seine entschieden nominalislische Auflassung des genus hier
ganz verschweige und sie nicht, wie doch sehr wohl möglich wäre,
mit seinem ontologischen Standpunkte verbinde. Sodann aber nennt
sich ja der Autor am Schlüsse der Glossen selbst, wobei allerdings die
Handschrift den räthselhaften Namen „Jepa" darbietet, bei welchem
ungewiss ist, was wir dahinter zu suchen haben 164). Jedenfalls zeigt
sich uns hier ein Beleg dafür, dass, wie wir oben S. 35 sagten, von
zwei verschiedenen Seiten her Fragen auftauchten, welche in der Beurtheilung
der Universalien zusammenliefen; denn sowie Eric von jenen
Worten des Boelhius ausgieng, durch welche der Nominalismus an sich
näher gelegt war, so handelt es sich hier um die zum Realismus hin
neigende Stelle des Porphyrius. Dabei aber wird an die entschiedene
Behauptung, dass genus und gpeeies eine wirkliche Existenz haben l65),
sogleich die Unterscheidung geknüpft, dass, während Ein und dasselbe
Subject es ist, welches als universale 'und als singulare besteht, doch
nur einerseits letzteres als das concrete Sein im Sinnlichwahrnebmbaren
und andrerseits ersteres als das Gedachtwerden der Substanz selbst
betrachtet werden solle 166). Darum liege die Unkörperlichkeit z. B.
bei dem genus nicht in jenem, was. dem natürlichen Bestehen der Dinge
selbst zu Grunde liegt, sondern eben nur darin, dass es genus isl, und
ebenso verhalte es sich auch bei species und den übrigen der quinque
voces 167); kurz die Unkörperlichkeit der Universalicn erleide eine Be
schränkung, da dieselben sowohl mit Körperlichem als auch mit Unkörperlichem
(gleichsam geistigen Dingen, z. B. Kunst, Wissenschaft u. dgl.)
verbunden sein können; in beiden Fällen aber seien sie untrennbar an
ihre individuellen Substrate gekettet, daher sie im ersteren Falle mit der
Seele (anima) und im letzteren mit dem Geiste (animus) zu vergleichen
seien 16S); ja am besten könne jene Unkörperlichkeit mit der mathe-
164) Ebend. p. 623. : Scripturae finem sibi quaerunl hie isagogae; Parva quidem
moles, magna sed utilitas. Jepa hunc scripsi glossans utcunque libellum ;
Quod, logicae si sit, scirc legens polerit. Haureau scheint dieses ganz übersehen
zu haben.
165) Ebend. p. LXXXI1: Prima quaestio cst, utrum genera et species vcre sint.
Sed sciendum est, quod non esset dispulatio de eis, si non vere subsisterenl, nam
res omnes, quae vere sunt, sine eis non esse possunl.
166) Ebend. : Genera et species, id est universale et singulare, untan quidem
subiectum habent, subsislunl vero aliu modo, inlelliguntur alio ; et sunt incorporalia,
sed sensibilibus iuncla subsistunt in sensibilibus, et tunc est singulare, inlelligun
tur at ipsa substanlia, ut non in aliis esse suum habenlia, et tunc est universale.
167) Ebend. p. LXXXIII: An corporalia ista sint an incorporalia. Quod duobus
mmlis accipitur. Nam genus si in eo quod genus sil, non quod res nalura
constat, consideratur , sempcr incorporale cst; verbi gralia, si substanlia non cottsideratur
in eo quod substanlia est, sed in eo quod sub se species habet, incorporalis
esl; item si species, quae est homo, consideratur lanlummodo in eo quod sub genere
esl, est incorporalis et ipsa; eodem modo et differentia quadrupcs non rcspicitur
quod sit quadrupes differenlia, sed unde a bipede diffcrl , ac per hoc et ipsa incor
poralis est. Similüer de caeteris accipiendurn est.
168) Ebend. p. LXXXIV: Exceplio (Cousin ändert mit Unrecht in acceplio)
44 XIII. Jepa(?). Remigius.
matischen Abstraction verglichen werden , welche an den Körpern die
Verhältnisse der Linien und Flächen als unkörperliche denke, denn in
gleicher Weise sei jeder Gattungsbegriff trotz aller Unkörperlichkeit des
Gedankens doch in den Individuen stets in körperlicher Weise vorhan
den 169). Wird sonach genus als „die im Denken veranstaltete Zusam
menfassung der Aehnlichkeit aus den verschiedenen Unterarten" ilelinirl
17°), — wobei im Vergleiche mit obiger Definition des Pseudo-
Hrabanus, Anm. 153, bereits die Weglassung des Wortes „substantiell"
zu beachten ist — , so sehen wir, dass bei der Grundansicht des Ver
fassers dieses Commenlares schon nicht mehr die naive Indifferenz wie
bei Scotus (s. Anm. 140) bestehe, sondern dass die aristotelische Auf
fassung mit Absicht und Bewusstsein vertreten werde. Wie sehr aber
hiebei schon eine bestimmte Parteistellung obwalte, ist daraus ersicht
lich, dass hier zum ersten Male mit der Darlegung der eigenen Meinung
des Autors völlig polemische Seitenblicke auf platonisch-realistische Geg
ner verbunden sind nl).
Ein solcher Gegner aber ist Eric's Schüler Remigius von Auxerre,
bekanntlich einer der berühmtesten Lehrer jener Zeit, welcher seit d. 1.
882 in Rheims und hierauf in Paris durch grammatikalischen, musikalischen
und dialektischen Unterricht wirkte172); und es muss uns sehr wahritaque
incorporalitatis genere fit, quod et praeler corpora separatem esse possil et
corporibus iungi patiatur nl anima, sed ila ul, si corporibus iuncta fuerint, inseparabilia
sinl a corporibus, nequc ab incorporalibus scparentur, et utrasque in se contineant
potestates; nam si corporalibus iunguntur, talia sunt'qualis illa prima versus
terminos incorporalilas (s. d. folg. AIIIM.) quae nunquam discedit a corpore, si vero
incorporalibus, lalia sunt qualis est animus qui nunquam corpori copulatur.
169) Ebend. : Termini mm sint semper circa corpora quorum termini sunt,
incorporei tarnen inlelliguntur, sicut est epiphania; et haec prima incorporalitas,
primus Iransilus a corporibus ad incorporea. Huic ergo incorporalitati assimilatur
generis et speciei incorporalitas; nam, verbi gralia animal et homo , licet per se
inlellecla incorporalia sint , in individuis tarnen quibus subslant , corporalia sunl.
Hiezu die Stelle bei Haurtau a. a. 0. I, p. 139.: Locus m corpore quidem percipitur
, sed corpus ipse esse minime credendum; est ergo locus spatium , quod
quodlibel corpus .... tcnere aul occupare i'alet; hoc autem spatium in sua nalura
propria vi integrum et inviolatum permanet. Die Vergleichung der allgemeinen
Begriffe mit der geometrischen Gränze der Körper (vgl folg. Abschn. , Anm. 71.)
oder mit dem Orte ist es jedenfalls, welche uns sehr an Scotus (Anm. 132.) er
innert, wenn auch die Auffassung des locus hier nicht so ausschliesslich spiritualistisch
klingt wie dort, sondern sich mehr an das concrete Wesen des Kör
pers hält.
170) Cousin, p. LXXXV: Genus est cogitatio collecla ex singularum simililudine
spccierum. Diess ist der Punkt , an welchen Eric , wenn er der Verfasser
dieser Schrift wäre, seine nominalistische Ansicht hätte anschliessen können und
müssen.
171) Ebend. p. LXXXII: Sed Plalo gencra et species non modo inlelligi universalia,
verum etiam esse alque praeler corpora subsisterc pulat. Und p LXXXIV :
Hi qui genus et speciem incorporalia solummodo dicunt, hoc probare videntur Porphyrit
ipsius sentenlia , qui veluli tarn probate quod incorporea sint , ila ait ,,et
ulrum separula an ipsis sensibililtus iuncta" ; quod et si haec aliquando corporalia
exslilissent, nhsurdum esset quaerere, utrum incorporalia sciuncta essent a sensibilibus
an iuncla, cum sensibilia ipsa sint corpora.
172) Sein Schulbuch der lateinischen Grammatik, welches noch im 16. Jahrh.
benutzt wurde (gedruckt unter d. Titel Remigii Ftmdamentum scolarium. Basil.
1499. 8.), berührt uns hier nicht.
XIII. Otto v. Clugny. Remigius. 45
scheinlich dünken, dass gerade des Remigius Einfluss in Paris noch bis
zur späteren dortigen Richtung fortwirkte, wenn wir auch nicht mehr
im Stande sind, die Fäden, welche von seinem hervorragenden Schüler
Otto von Clugny173} zu Wilhelm von Champeaux hinabführen, im
Detail nachzuweisen. Seine logischen Ansichten legte Remigius in einem
Commentare zu Marcianus Capella nieder174), und er zeigt dortselhsl
die Parteistellung eines ausgesprochenen Realismus. Er betrachtet nein
lich das genus lediglich als den Sammelpunkt der speciellen Formen
(formarum, vgl. oben Anm. 109), welche durch Theilung (partüio) aus
ihm hervorgehen und dann wieder als substantielle Einheit (unilas sub
slantialis) der Individuen bestehen ''•'), so dass im platonischen Sinne
Alles bis zum Individium herab sein Sein nur durch ein Theilnehmen
(parlicipalio) an dem obersten genus, d. h. an der Substanz, besitzt170).
In voller Consequenz wird diese Auflassung sogar auch auf die Accidentien
angewendet, welche sonach vor ihrer Vereinigung mit einem
Individuum ursprünglich gleichfalls selbstständige Substanzen waren ' '"),
und es verbindet sich hiemit auch die platonische Lehre von der fiiickerinnerung,
insofern es sich um geistige Accidenlien, z. B. wissenschaft
liche Bildung, handelt178).
173) Joannes, Vita Od. Clun. l, 19. bei Mabill. Ad. Bened. See. V, p. 157:
Odo Ais diebus adiil Parisium ibique dialecticam Sancti Augustini Dcodalo ßlio s«o
iiiissniii perlegil et Marcianum in liberalibus arlibus frequenter lectilavit; praeceplurem
in his omnibus habuit Remiyium. Vgl. Mabill. Arm. Bened. Hl, p. 331.
174) Nachdem schon früher das Vorhandensein dieses Coinmentares in ver
schiedenen Bibliotheken (z. B. auch in Leyden) bekannt gewesen war, hat nun
lliini'nin a. a. 0. l, p. 144 II'. aus Pariser Handschriften einiges Wichtigere mii
getheill, vielleicht leider für unseren Zweck zu wenig, und auch dieses nicht immer
im Originaltexte. (Die Note p. 148, aus welcher man auf eine grössere ander
weitige Veröffentlichung von Fragmenten des Bemigiiis schliessen könnte, bezieht '
sieb, wie mir H. Haureau freundlichst miltheiUe, nur auf einen Missbrauch, welcher
mit den eigenen Adversarien desselben vor dem Drucke des Buches von einem
Dritten getrieben wurde.)
175J Haure'au, p. 145.: Genus esl complexio, id est adlectio et comprehensio
muUarum formarum, id est specierum Est aulem forma parlitio subslanlialis,
ul homo ; homo est mullorum hominum subslantialis unilas.
176) Ebend. p. 146.: Voici comment ü s'exprime: „II est an genre plus
gineral que les aulrcs, au-delä duquel l'inlelligence ne peul s'e'lever, que les Grecs
nomment oi>ala, et les Latins essentia. En effet , l'essence comprend lautes les natures
et tout ce qui existe est porlion de l'essence — cuius parlicipationc consislil
omne qttod est .... descendit aulem per gcnera et species usque ad speciem specialissimam
quae a graecis athomos , id est individuum et insecabile dicitur , ul
esl Cicero."
177) Ebend. p. 147.: // n'est pas douteux que t'accident propremenl dil vienne
s'unir d la subslance individuelle ; mais atiant que cette unton soit operee, oii se
trouve, dit-il, l'accidenl? Qu'est-il? Ne peut-on pai dire qu'il est par lui-meme
quelque subslance ,,substanlia per semet?" Ciceron est oraleur, rhdteur; voila
fiiccidenl; nuiis avaul de s'unir d Cice'ron ou de se produire en lui, la rkelorique
n'ftaü-elle pas unc substance?
178) Ebend. p. 148.: Omnis naluralis ars in humana nalura posila et concreta;
inde fit ul omnes homines naturaliler habeant nalurales artes Cum ergo
apparel rhelorica in animo alicuius hominis, non aliunde venit nisi a se ipsa, id
est de profunditate memoriae, et ad nullum aliud redil, nisi ad eandem eiusdem
memoriue profunditatem. Accidms enim in una forma, id esl in .«na specie, ul rhe
lorica, non nisi homini accidil. Ilomi? una species; pliilosoplii dicunt , umnibus
46 XIII. Die Parleispaltimg. St. Gallen.
Somit liegt bereits am Ende des 9. Jahrh. jene ganze Parteispaltimg
vor uns, welche man gewöhnlich erst dem Ende des 11. Jahrh.
zuzuschreiben pflegte oder noch pflegt119), und was das Prineip be
trifft, so haben Roscellinus, Wilhelm von Champeaux, und selbst Abälard
nichts Neues im Vergleiche mit den so eben erörterten Erscheinungen
vorgebracht; dass bei ihnen die Darlegung der Parteistellung reicher
und einlässlicher sich gestaltete, ist sehr erklärlich, da ja der Streit in
der Schule eben zwei Jahrhunderte vorher schon begonnen hatte. Drei
Auffassungen aber, neinlich der sog. Realismus Plato's, der aristotelische
Individualismus, und der Nominalismiis, hatten sich schon im 9. Jahrh.
herausgestellt, und zwar, wie wir wenigstens versuchten zu zeigen,
nicht ohne den Einfluss des Scotus Erigena. Dabei jedoch kann es,
wie sich von selbst versieht, Niemandem in den Sinn kommen, den
Remigius und jenen Jepa(?) und den Eric oder obigen Pseudo-Hrahanus
etwa als die ersten Entdecker oder Erfinder der von ihnen vertretenen
Ansichten zu betrachten, sondern dieselben dürfen uns nur als Reprä
sentanten von Richtungen gellen, welche aus dem logischen Schul-Materiale
mit Notwendigkeit hervorgehen mussten, sobald man nur über
haupt etwas mehr nachdachte, und wir dürfen überzeugt sein, dass in
jener Zeit wohl überall, wo man sich mit Logik beschäftigte, die glei
chen Gegensätze sich herausstellten (vgl. unten Anm. 238; eine sorg
faltige Durchforschung aller Bibliotheken würde wahrscheinlich noch
manchen Beleg hiefür zu Tage fördern). Dass die weitere Fortbildung
der Controversen durch die Berühmtheit einzelner Lehrer und nament
lich gerade durch polemische Darstellungen nur gefördert werden konnte,
ist von selbst klar; aber der erste Anfang des Streites muss jenem
Jahrhunderte zugewiesen bleiben, welchem er wirklich angehört.
In dieselbe Zeit (Ende d. 9. Jahrb.) fallen auch die ersten Keime
jener Thätigkeit in St. Gallen, deren reichere Bliithe uns bald weiter
unten begegnen wird. Auch hier weist uns der damalige Kullurgang
auf Fulda und die Schule des Hrabanus als die eigentliche Quelle zu
rück lso), und es versteht sich von selbst, dass die theologisch-kirch
liche Grundlage der freien Künste , welche in der Schule die übliche
hominibus accidere disciplinas ; quod si ita, ergo omnis Itomo rhetor, dialecticus.
Videmus tarnen complures expcrtcs esse rhetoricae et aliarum disciplinanim ; non
ergo verum, quod omni homini rhetorica accidal. Sed aliud quod accidil secundum
naluram, aliud quod secundum exercitium et experienliam ; ergo secundum naturam
omni homini accidit disciplina, solis vero philosoplns secundum exercilium et experientiam.
Hiebei ist der Realismus um so beachtenswerther, da Remigius zu letz
terer Auseinandersetzung offenbar durch eine Stelle des Boelhius veranlasst wurde,
wo letzterer gerade über den Sprachausdruck handelt (ßoelh ad Ar. d. inlerpr.
p. 323.: sicut eryo naturaliler singularium artium sumus susceplibilcs, 'sed eas non
naluraliler habemus, sed doctrina concipimus, ita vox quidem naluruliter est, sed per
vocem siynificatio non naturaliter).
179) Natürlich mit Ausnahme der Darstellungen bei Cousin und bei Haureau;
auch H. Ritter zog es trotz der Mittheilungen des ersteren (— die des letzteren
konnte er i. J. 1844 noch nicht kennen —) vor, nach älterer Weise den Nominiilisnnis
und Realismus erst mit Roscellinus und Wilhelm von Cbampeaux zu
eröffnen.
180) S. Wackernagel, Gesch. d. deutsch. Litt. S. 78 ff. Vgl. auch Weidmann,
Gesch. d Bibl. v. St. Gallen. 1841. •
.. .._
XIII. St. Gallen. Glossarium Salomonis. 47
war (s. oben Anm. 17, 24, 49, 80 f.), auch in St. Gallen im Auge
behalten wurde 1SI). Welche Wichtigkeit die dortigen Bestrebungen
auch durch die Anwendung unserer nationalen Sprache besassen, ist
bekannt genug; es mag aber in dieser Beziehung gelegentlich bemerkt
werden , dass es damals auch ausgesprochene Gegner des Ueberselzens
gab182); jedoch diese Seite der St. Galler Periode -liegt uns hier ja
Ferne. Hingegen was das logische Material der dortigen Schule helriü't,
dürfen wir die vereinzelte Notiz nicht verschweigen, dass ein ßücher-
Verzeichniss aus d. .1. 872 von „fünf Büchern" des Boethius (ausser
der Schrift d. consol. phü.) spricht183), denn im Zusammenhalt mit einer
späteren Angabe (Abschn. XIV, Anm. 6) dürfen wir hieraus schliessen,
dass auch in St. Gallen in jener Zeit die von Boelhius gemachte Uebersetzung
der aristotelischen Analytiken noch unbekannt war.
Der sog. „Vocabularius S. Galli" und die „Keronischen Glossen"
enthalten noch durchaus nichts Logisches *84), hingegen bietet das sog.
Glossarium Salomonis1^5) uns einiges Interesse dar, indem dort in
der alphabetischen Reihenfolge, in welcher -das ganze encyklopädische
Schulwissen damaliger Zeit vorgeführt ist, sich auch reichlich logisches
Material findet. Allerdings sind es fast ausschliesslich nur die Angaben
des Isidorus, welche hier in alphabetischer Zerrissenheit und mit bar
barischer Schreibung der Kunstausdrücke erscheinen186); aber einiges
181) Eckehard vita S. Notkeri b. Canis. Ant. lectt. III, p. 554.: In monasterio
S. Galli septem liberalium arlium Studium flomil, et ille sub hone magistro (Iso
starb 871) hoc in (empöre literatissimo artinm liberalium subtilitalei non pro gloria
seit favore seculi, sed pro utilitate sanctae dei ecclesiae admodum satis edoctus fuil.
182) Wenigstens sagt Servatus Lupus (gest. 862), Epist. 41.: Vobis aperio,
principem operam nie deslinasse leclioni el ad oblivionis remedium et eruditiotiis
auymenlum libros pauculos paravisse , nee germanicae linguae caplum amore, ut
ineptissime quidam iactaverunt , sarcinam subiisse tanti tamque diulurni laboris.
183) Ralpert. Cos. S. Galli b. Pertz, Mon. II, p. 72.: Isidori Etymologiae.
Murcianus Capella, Boelltii philosophiae consolatio, item alii quinque Ubri.
184) Ich habe die ganze Glossen-Liiteratur jener Jahrhunderte, soweit sie ge
druckt vorliegt, durcbgelesen, aber äusserst selten Worte aus der Logik gefunden
(mehr aus der Rhetorik), und jenes Wenige beruht ausschliesslich auf Isidor und
Mure. Capella.
185) Der Constanzer Incunabeldruck s. l. e. a. dieses Glossariums (wovon
Ein Exemplar sich in der Münchner Staatsbibliothek findet) enthält eine Epislola
praelibaticia, welche gegen das schlechte Latein (des 15. Jahrh.) und auch gegen
(las Calholicon des Joanncs Januensis polemisirt und dabei ausdrücklich den Bischof
Salomo II. (870—890) als Verfasser nennt (ergo Salomon ille noster secundus
Constantiensis ecclesiae episcopus etc.). Weidmann a. a. 0. p. 461. schreib! es
Salomo III. selbst (890—920) zu ; richtiger aber scheint die Ansicht zu sein, welche
Graff, Dinliska III, p. 411 S. und R. v. Raumer, d. Einwirk, d. Christenth. a. d.
althochd. Spr. p. 128. aussprechen, dass das Ganze nur im Auftrage Salomo's III.
von Notker Balbulus (gest. 912) und von Tulilo (gest. 9.12) etwa auch mit Be
nützung von Excerplen Iso's gemacht sei. Vgl. auch E. Dümmler, D. Formelbuch
des Bisch. Sal, III. Berl. 1857, p. 110 Uebrigens besteht das gedruckte Exem
plar aus zwei Glossarien, deren ersteres 238 unpaginirle Blätter gross Folio in
je zwei Columnen, das zweite aber, welches sich weder als Auszug noch als Supple
ment des ersten zeigt, ebenso 49 Blätter füllt.
186) Die Eintheilung der Philosophie und der freien Künste nach Isidor (s.
oben Anm. 23.) steht s. t). Pltilosophia und Disciplinae, wobei auch .der unterschied
zwischen ars und disciplina (Anm. 26.) nicht fehlt; die verschiedenen Angaben
aber die Logik selbst (Anm. 27.) sind verlheill s. D. Dialectictts und Logica und
48 Glossarium. Salomonis. Poppo.
Einzelne weist doch auch auf anderweitige Leclüre hin, wie z. B. höchst
abenteuerliche Notizen über die „Entelechie" oder über das Verbum
Ei'fu ls"), oder wenn bei den Kategorien der Qualität und der Relation
(jedoch nur bei diesen beiden) Ausführlicheres unmittelbar aus Boelhius
benutzt ist188); dasselbe gilt von der Berücksichtigung sophistischer
Schlüsse, welche nicht aus Alcuin (Anm. 71) und nicht aus Unikums
(Anm. 82), sondern selbstständig aus Gellius (Abschn. VIII, Anm. 66)
entnommen sind 1S9).
Dass das zehnte Jahrhundert in geistiger Beziehung die Zeit der
grössten Unfruchtbarkeit und Finsterniss gewesen , ist bekannt, und so
finden auch wir auf unserem Gebiete nur die Bestätigung eines solchen
Urtheiles, denn in der Thal ist es der Zeitraum eines ganzen Jahrhunderles,
aus welchem wir auch nicht eine einzige selbständige Arbeit
oder auch nur die Anfertigung eines Compendiums mit Sicherheit an
führen können. Um so mehr aber müssen wir eben deshalb in dieser
Periode auch jede geringfügige Spur verfolgen, welche uns den Nach
weis geben kann, dass doch wenigstens der receplive, — wenn auch
nicht der produclive — , Schulbetrieb der Logik noch fortglimmte und
somit der Faden der Tradition nicht völlig enlzweiriss.
Eine solche Anknüpfung .an Früheres wäre zu erkennen, wenn
Poppo in Fulda (um d. .1. 960) seinen Schülern ausser dem Boelhius
auch andere philosophische Schriften erklärte 19°); ob aber wirklich
Rationabilis; das ganze Capitel über die Isagoge (Anm. 28—31.) nur mit Weglassung
der letzten paar Zeilen (Anm. 31.) steht s. v.Hisagoge, ebenso vollständig
der Abschnitt über die Kategorien (Anm. 32.) s. v. Kategorie, und Einzelnes daraus
wieder s. v. Equivoca, Homonima (Anm. 42.) , Omoninta, Sinonima, Quantilas, Substanlia
, Vsia. Von der Lehre vom Urtheile steht s. v. Periermenias bloss jenes
Sprüchlein (Anm. 34.), sodann aber Einzelnes s. v. Apofasin, Conlradictio, Katafasin,
Ncgatio, Nomen, Verbum. Das Wort Definitio selbst fehlt, aber Einzelnes
ist angegeben s. v. Kataaplicresin , Kalahipoliposin, Kataepcnon, Kataanalogiam,
Kataetiloyiam. Aus dem Abschnitte über die Syllogistik (Anm. 38.) ist nur Eine
Notiz s. v. Yppotelicos entnommen, hingegen Mehreres aus dem rhetorischen Ab
schnitte (Anm. 43.) vertheilt s. v. Catasceua, Entimema , Rationatio , Sillogismus;
die Topik aber (Anm. 39.) ist s. v. Topica vollständig abgeschrieben. Endlich aber
fehlen auch hier nicht jene obigen zwei Einzelnheiten (Anm. 45. u. 47.); sie stehen
s. v. Rationale und s. v. Tcnebras.
187) Endelecliia i. e. psichen secundum Chalcidium perfeela aetas, secundum
Aristotelem absoluta perfcctio interprelatur , Pläto tarnen endelechium animam mundi
dieit, et dicta endelechia quasi endos lechia, i. e. inlima aelas. — Emi verbum sulistantivum,
i. e. sum, cuius participium praesentis lemporis neulri gencris ens, plurale
-eius oysa, i. e. enlia, cui addita iota formal hoc nomen quod esl usia, i. e.
essentia.
188) S. v. Qualität (vgl. Boeth. p. 186 f.) und s. v. Relatio (vgl. ebeud.
p. 170.).
189) Dilemmatum argumenlum quod est ab ulraque parte firmissimum et concludit
adversarium (diess erinnert an Scotus, s. Anm. 93 ff.). Dilemma esl cornulus
sülogismus. — Pseudomeni dicuntur fallaces a graeco, qui rem aliquam meationibus
conanlur asserere , nt dicimus de philosophis qui aiunl: si dicam menliri
et non mentior, vertan dico. — Soßstice, argute, sapienler conclusione vel repreliensione,
— Im zweiten Glossare: Sopliislem, eloquentissimus oralor. — Sopltismala,
i. e. fraudulenlae assertiones. — Sophismata sunl fulsae conclusiones verbortan , i.
e. übt in falsis sentenliis connexionis veritas manct (s. Anm. 83.).
190) Trühem. Ann. Hirsaug. a. 970, p. 113.: Claruil las eliam temporibus in
monasterio fr'uldensi . ... Poppo venerabilis monachus , magistcr scholarum consensu
XIII. Reinhard. Johann v. Gort. Gunzo. 49
ein gewisser Reinhard, Scholasticus in St. Burchard zu Würzburg
(um d. J. 935) einen aus vier Büchern bestehenden Commenlar zu den
Kategorien geschrieben habe, ist wohl nicht ganz gewiss, denn ausser
der Unlauterkeit der Quelle, welche diess berichtet, muss jene Zahl der
Bücher darum einigen Argwohn erregen, weil der Commentar des Boethius
gleichfalls vier Bücher enthält, und somit die Möglichkeit sehr
nahe liegt, dass Reinhard nur ein Exemplar des Boelhius copirl habe;
falls er jedoch auch eine' Schrift über die Quadratur des Cirkels verfasste,
würde diess immerhin, wie wir unten, Anm. 251 und 278,
sehen werden, auf eine speciellere Beschäftigung mit des Boelhius Com
mentar zu den Kategorien hinweisen191). Auch die Notiz, dass Jo
hann von Vendiere, Abt in Gorz bei Metz (welcher i. J. 955 als
Gesandter Otto des l. nach Cordova zu Abdur Rahrnan II. gieng) , bei
seinen Studien durch Augustin's Trinitätslebre auf die Kategorien oder
die Isagoge hinübergeleitet wurde, mag höchstens als Beleg dafür an
geführt werden, dass Alcuin (oben Anm. 51) in der Schule fortwirkte,
wenn auch, wie die nemliche Quelle besagt, derlei logische Untersu
chungen bei anderen Klerikern keineswegs Beifall fanden m).
Hingegen finden wir aus dem Anfange der zweiten Hälfte dieses
Jahrhunderts wenigstens eine Hinweisung auf die logische Parteifrage
in einem Briefe des Gunzo Italus193), welcher Diaconus in Novara
gewesen war und durch Otto I. nach Deutschland gezogen wurde; und
vielleicht dürfen wir aus der Schulkenntniss , welche Gunzo zeigt,
schliessen, dass man auch in Italien jenen Fragen nicht ganz fremd
geblieben war, wenn wir auch auf die zweiunddreissig ,, Philosophen",
welche schon im 9. Jahrh. in Benevenl gelebt haben sollen ''•"), wenig
ommum cnnstitutus , qui cum esset omni scientia scriplurarvm erudilissimus , mullorum
aitdientium praeceptor egregius fuit; hie, ut Meginfridus teslalur, libros Boethii
de consolalione primus inier omnes suis commentariis explanavil, plura denique
veterum synthemala philosophorum suis discipulis legere consuevit. Dass die Anga
ben des Trilbemius nur vorsichtig zu benutzen sind, ist bekannt.
191) Ebend. a. 934, p. 72.: damit bis quoque temporibus apud Francos
orientales in coenabio sancti Burkardi iuxta Herbipolim Reinhardtis monachus et
magister scholarum ibidem in omni genere doctrinarum nominatissimtis , sub cvius
inslilutione scientia lillerarum multa clauslrales eiusdem loci complures mirifce profecerunt
; scripsit inter cetera ingenii sui opuscula de quadratura circuli librum
a a um , in categorias quoque Aristolelis libros qitatuor, de musica libros duos, de
arte poetica (?) librum unum, in canticum canticorum librum nimm etc.
192) Joann. Melt. vita Joann. Gorz. c. 83 bei Pertz, Man. VI, p. 360.: postre-
Miint in libris de Trinilate multa intentione sudavit ; in quibus cum de dialecticis
rationibus quaedam offendisset, Maxime ubi .... eam quae dicitur ,,ad aliquid"
cathtgoriam inlroducit eiusqne occasione de omnilius quoque decem praedicamentis
strictim quaedam commemorat , sclwlasticam mox super his sibi operiendis expetens
ab ipsis inlroductionibus Isagogarum laborem itrripuil lectionis. In quo cum div
luctaretur, repente dominus paler Einoldus (Abt zu Gorz) medios praecidil conatits
temfora in his fruslra expendere nolens ab hoc Studio eum avertit iussitque,
ut animum potius sacra lectione occuparet.
193) Näheres über ihn s. h. J. Chr. Gatterer, Commentalio de Gumone. Nürnb.
1756. 4.
194) Anon. Salern. bei Pertz, Hon. UI, p. 534.: Ludovici secundi imperatoris
aetate triginta duos philosophos Beneventi vixisse , inter quos Henricus Kbcralibus
disciplinis non so/um apprime imbvtus, scd eliam proba veritate deditus Pertz er-
PBAMTL, Gesch. U. 4
50 XIII. Gunzo.
Gewicht legen wollen. Kurz jener Gunzo hat in einem i. J. 960 an
die Reichenauer Mönche geschriebenen Briefe 195) Gelegenheit, nicht
bloss logisches Material zu erwähnen, wobei wir hervorheben dürfen,
dass er ausser dem Marcianus Capella und Arisl. d. inlerpr. auch die
ciceronische und die aristotelische Topik (letztere gewiss nur in jener
Vereinigung beider Topiken bei Boeth. d. diff. fop.) nennt 196), sondern
er gehl auch mit einem gewissen Forschungssinne und jedenfalls mit
Vorliehe und Loheserhebungen auf den gleichsam als Zauberkunst wir
kenden Inhalt der Logik, zumal der Lehre vom Urtheile, ein197), und
versucht selbst nicht ohne Geschick die logische Technik auf anderwei
tigen Stoff anzuwenden 19S). Sodann aber, was uns das Wichtigste
klärt phitosophus als clericus vel monachus, vielleicht richtiger Giesebrecht (De litt,
slutl. ap. Ilalos. Berol. 1845, p. 15.) als doctor artium liberalium.
195) Die Veranlassung des Briefes liegt darin, dass Gunzo in St. Gallen beim
geselligen Mahle wegen eines Grammatikal-Felilers eine bittere Verunglimpfung von
Eckelard erfahren hatte, worüber er nun die Reicheoauer um schiedsrichterliche
Entscheidung bittet. Abgedruckt ist der ßrief b. Marlene, Veit, scriptt. ampliss.
udl. l, p. 294 ff.
196) Ebend. p. 304.: Adveniens (d. h. nach St. Gallen) deferebam paene
centum librorum Volumina inier quae erat Marciani in septem liberalibus disciplinis
succincla veritas ; deportabatur quoque Platonis in Timeo (d. h. Chalcidius)
vix intellecta pro/itfidi/as, Aristolelis in libro Pericrmenias aut nostris vix
temporibus tentata aut non perspecta obscurilas (Wirkung jenes nun schon oft er
wähnten Sprüchleins), Ciceronis Arislotelisquc non contemnenda Topicorum dignitas
(selbst schon der Wortausdruck weist uns sicher nur auf des Boethius Verknüpfung
der ciceronischen und aristotelischen Topen hin).
197) Ebend. p. 305 : Haec (sc. Minerva, d. h. die Wissenschaft) Ha aliquando
ambiguitate obfuscatur, ut quae res cui ijeneri subponi debeat dif/icile fossil inveniri;
verbi gralia si quis ita proponat, cum umnia quaecunque sunt aut substantia
iiul accidens liabeanlur, quid de differentia dicendum esl, quae neque substantia neque
accidens dici polest? Substantia dici nequil, quia nun praedicalur in eo quod
quid sit; accidens idcirco vocari non polest, quia subslunliam informat (vgl. Anm.
109. u 150.) ; quod enim substanliam constituit, in substantia praedicalur. Est
iititi'tn haec tarn subtilis prudenliae , ut decem et novem modorum conclusionibus
(diess aus Marcianus Cap., s. Abschn. XII, Anm. 68.) omnem paene loi/icen philosuphiam
concludi existimet , quae Aristoteli adeo obsccuta credilur, ul ei nutrix
credatur. Seit sophislica slullos cavillalione decipere , monslrat tarnen qualiter ipsa
eavillatio possit evitari ; falsa veris quando vult sie farcinal , ul unu eodemque
tempere eodemque loco rite convenire videanlur; esse eliam et non esse arcana quaiiiim
ralione (also wie eine magische Kunst) simul concurrere fingit, proposilionum
suarum quadraluram eo modo disposilam aulumat , qualenus obliquorum lalerum
recursus aliquando sine coaclione redeat , aliquando coactione operialur (er meint
die Figuren bei Boethius, Abschn. XII, Anm. 113. u. 125.); Atiic non satis est, ut
dicatur malum esse quod est, sed quia bonum non est; rerba secundum se nomina
esse putal, nam et qui dicit audilum consliluit, et qui audit quiescil, ipsaque nonnisi
in inslanli tempore iudical dici passe (vgl. Abschn. XII, Anm. 83 f. u. 111.).
Ubique se verlit ad singulos ac veluti ludens venena mordacitalis, quae venena monslrata
cuti vitam non intercludunt.
198) Ebend. p. 310.: Orilur quoque magna inier philosopkos de coelestibus
corporibus quaestio (s. Boeth. p. 85., woselbst die Veranlassung der^Betnerkung
Gunzo's) , •iilnini animata sint an inanimata, et Plato quidem non solutn animata
sed et rationabilia et immorlalia putal, Aristoteles inanimala et immortalia. Ex
quo secundum opinionem I'lalonis contrarium quiddam conßcitur difftnüioni l'orphyrii,
qui di/ferentias subslantiales et divisivas affmnal generttm et constitulivas specierum ;
sed irrationalis et immortalis differentiae secundum flalonem nullam speciem coa-
/ormutil (d. h. wenn sie bei Plalo vernünftig und unsterblich sind, so müsste Dach
XIII. Gqnzo. Wolfgang. Abbo. Bernward. 5l
ist , zeigt er ein Bewusstsein des Gegensatzes zwischen Platonismus und
Arislolelismus beziiglirh der Gellung der Universalien 199), und er scheint
hierin auf einem Standpunkte zu stehen, welcher die heiden , von uns
oben S. 35 auseinandergehaltenen Fragen zugleich ins Auge fasst, denn
er entscheidet sich offenbar auch im Hinblicke auf jene die vox be
treuenden Stellen des Boethius für eine platonisch realistische Auffassung,
wobei das Gebiet der Worlbezeichnung als das veränderliche und an
sich unsläte erscheint200).
Anderes hinwiederum, was der zweiten Hälfte oder dem Ende des
10. Jahrh. angehört, können wir nur als Beleg des Fortbestandes der
Schultradition anführen; so wenn berichtet wird, dass Bischof VVolfgang
in Regensburg (um d. J. 970) in einer theologischen Disputation
die verschiedenen Arten , in welche das arcidens emgetheill werden
kann, in Anwendung brachte, wobei jedoch bemerkenswert!) ist, dass
die dialektische Methode als carnalis anlidolus bezeichnet wird201),
oder wenn die logischen Studien des Abbo von Orleans (gest. 1004),
welcher in Fleury studirte und später ebendorl docirte202), und des
Bischol'es Bernward in Hildesheim (gest. 1022) erwähnt werden203),
l'iu [ilij i ins dann auch eine Species von Wesen existiren , welche unvernünftig und
unsterblich wären ; eine solche aber gibt es bei Flato nicht) ; licet Arittvlelis opinio
a Porphyrii dif'ftnitione non dissenliat.
199) Ebend. p. 305.: Aristotcli genus , speciem, differentiam, proprium el
accidens subsistere denegaoit (sc. Minerva) , quae Pialoni subsislentia persuasit.
Ariitoleli an Pialoni mayis credendum pulalis ? Magua est ulriusque auctoritas,
quatenus fix audeal quis allermn alleri dignilale praeferre.
200) Ebend. p. 299. : Boelhius vir erudilissimus in libro peri Ermenias iecuadae
editionis audite quid dicat: Adminiculari quis deliel obscuris sensibus patientia
el consensu, quod ad senlenliam dicentis speclul, elsi sermonum ralio se ita
non habeat Cui rei Aristoteles in libro peri Ermenias congrutl hi$ verbis :
sunt ergo ca quae sunl in voce, earum quae stinl in anima passionum notae. Omnis
nota alicuius rei nola esl; prius ergo res esl quam wo/a; rcs ergo prius ponderanda
esl quam nola.
201) Vita Wolfgangi c. 28 bei Perlz, Man. VI, p. 538.: (juidam haereticut
quod verbum caro faclum esl oppugnans dixit ,,si rcrbum, nun esl factum, aul si
faclum, non esl verbum" worauf Wolfgang: Quia. nun per spirilualrm sed per
carnalem medicandus es antidotnni, die quid sil accidens. llle vero multum arro
ganter ,,accidens esl, inquil , quod adesl el aliesl praelcr snbiecli Korruptionen"
(diess die Delinition des Porphyrius, s. Absclin. XI, Anm. 47.). Rursumque praesul:
,,quol formurum sit accidens, edicilo." AI ille . .. conlicuit. Thcologus autcm
.... sitccincte disst'ruit', Accitlens esl, inquil , quadri forme; unwn quod ncc accedit
nee recedil , ul acilus (wohl zu lesen calvus) el simus (auch Boetli. p. 110. nimmt
ebenso das griechische aipos unverändert herüber); aliud quod accedil el recedil,
ul salurilas el üormilki ; lertium quod non accedil el tarnen recedil , ul infantia et
puerilia; quwlmn quod accedit el non recedil, ul scnectus el canilies. Hac ergo
simitiludine ftlius .... induil quasi per inseparabile accidens humanitatem etc. Die
Viertheilung seihst ist erst aus den erklärenden Beispielen bei Boeth. p. 80. ge
macht, denn bei Purphyhus liegt nur Zweitheilung vor, s. Absclin. XI, Anm
44. u. 47.
202) Aimoin. vita S. Abb. c. 3. h. Hab. Act. Bened. VI, l, p. 3U ff.: Üiversortun
adüt sapienliae offtcinas locorum quapropter Parisiis atqtie Remis ad eos gut
pkilosophiam profitebanlur pro/'eclus ...... denique quosdam dialeclicurum nodos syl~
loyisworum • enuclealissime enodavil etc.
203) Thangmar (Scholasticus in Hildesheim und Lehrer Bernward's, dessen
Leben er beschrieb), Prol. vilue Bernvi. b Perli, Hon. VI, p. 758.: inlerdum sim
4*
52 XIII. Bernward. Walther v. Speier.
und zwar bei beiden1 der Berichterstatter in eigentümlichen Ausdrücken
die Schwierigkeiten der syllogistischen Uebungen hervorhebt; das Gleiche
gilt auch von einer Notiz, welche die Schule in Worms betrifft und
sich wieder des Wortes fuga (s. oben Anna. 97) zur Bezeichnung der
Dialektik bedient 204). Etwas ausführlicher beschreibt den Gang seiner
eigenen Studien Walther von Speier, welcher zur Zeit des Re
gierungsantrittes Otto's III. (i. .1. 983) eine Vita S. Chrislophori in sechs
Büchern (in Hexametern) verfassle, deren erstes unter der Ueberschrift
„Scholasticus" in schwülstiger Allegorie die Darstellung der sieben freien
Künste enthält205); und es ist nicht ganz ohne Interesse, zu sehen,
wie Walther an der Hand des Boethius (s. Abschn. XII, Anm. 77 u. 82)
die Theile der Logik, nemlich Isagoge, Categorien , d. inlerpret., Ana
lytik und Topik, aufzählt und bei letzterer sich an ßoeth. d. di/f. top.
anschliessend das Nebeneinandertreten des Dialektischen und des Rheto
rischen anerkennt, um zuletzt auf Cicero als den Vertreter der eigent
lichen Rhetorik, soweit dieselbe nicht dem Dialektischen anheimfällt,
hinzuweisen 206).
plici cmtextu ralionem conlulimus , saepe syllogisticis canillalionibus desudavimus ;
ipse' quoque me crebro , etsi verecunde, acutis tarnen et ex intimo aditu (zu lesen
adyto) philosophiae prolatis quaestionibus sollicilabat.
204) Lantbert. vüa Herib. c. 3. b. Perlz, Man. VI, p. 741.: Dilectissimam prolem
provehi ardebant (d. h. die Eltera Heribert's gegen Eade des 10. Jahrh.) aetate
et litterali Studio; ac per hoc Wormaciae idoneis personis contradunt eum in domo
apostolorum principis, ubi cum exteriori disciplina ulriusque testamenti imbuerelur
paginis. Patent Mi perpropere quaecunque obscure geruntur in poemate , nee latent
eum fugae et nodosi amfractus in Socrule (hiebei ist wohl Plato gemeint, denn an
Isokrates ist doch sicher nicht zu denken) et Aristolele et quolibet a/«'» siiiuosu
rethore (Rhetorik und Dialektik scheinen als gleichbedeutend genommen zu sein,
wie in obiger Stelle des Saxo, Anm. 48.).
205) Gedruckt b. Pez , Thes. Anecd. II, 3, p. 27 ff. (die Zeitangabe Walther's
selbst über die Abfassung seines Gedichtes steht am Schlüsse des 6. Buches).
206) Der Titel des 1. Buches (ebend. p. 35.) lautet: Primus libellus de sludio
poetae , qui et scholasticus, und nachdem von der Poesie gebandelt ist, folgt
die Philosophie p. 39.: Inde ubi maiorum leligit nos cura ciborum, Porptiyrius
ciaras nobis reseravit Athenas, Qua mutti indigenae librabanl verba sophistae. Cernere
erat quandam vullu pollente puellam, Practica cui limbum pinxüque theorica
peplum (s. Abschn. XII, Anm. 70.) , Et licet efßgiem macularet parva (I. prava)
vetuslas , Ipsa tarnen ternas suspendit ab ubere nalas (s. ebend. die Dreitheilung
des Theoretischen). Praestitü haec nobis summi subsellia lecti, El poslquam Strato
licuit discumbere cocco , Procedunl senae turba conülanle sorores (d. h. Dialektik,
Rhetorik, Rhythmik, Mathematik, Musik, Astronomie). Ingenui vullus non absque
gravedine gestus Adducil famulas praestanti corpore quinas (d. h. die sogleich fol
genden fünf Theile) Omnia sub gemino claudens ])ialeclica punclo (der doppelte
Gesichtspunkt ist inventio und iudicium, s. Abschn. XII, ebend.). Prima quidem
(die Isagoge) miles generali nomine pollens Insignila tribus (d. h. genus, species,
di/ferentia) unum selegit amictum. Hanc vice continua sequitur gradienle secunda
(die Categorien). Tertia (die Lehre v. Urtheile) discrevit quidquid primaeva toegit,
Dans operam sane cirros crispare secundae, Quos quarlae (Syllogistik, 'd. h. Analy
tik) solido collegit ßbula nodo (über nodus vgl. obige Anm. 202. u. 204.). Insta
bilem fucum tulit ultima (die Topik) quinquc sororum Docta quibus geminas decernens
Graecia formas (d. h. dialektische und rhetorische Topen) Pinxit ,,quale"
tribus, „quid sil" referendo duabas (d. h. das Quäle liegt in persona, tempus,
circumslantiae , s. Abschn. XII, Anm. 160., hingegen das Quid in deßnitio und descriptio,
s. Abschn. XI, Anm. 96.), Ut reboant nobis deliramenta Platonis (diess
weiss ich nicht zu erklären). Inde suam stipal comitem pressura sodalem RhetoriXIII.
Gerbert. 53
Ja auch von dem berühmten G er he r t (als Papst Sylvester II.
gest. 1003) müssen wir das Gleiche behaupten, nemlich dass er unselbstständig
lediglich in Her Schul-Tradilion befangen blieb, wenn wir
auch bei ihm eben darum etwas länger verweilen müssen, weil an ihn
und sein Auftreten sich höchst schätzbare Notizen betreffs der beschränk
ten Behandlungsweise der Logik in jener Zeit anknüpfen 207). Es er
zählt uns nemlich zunächst ein Zeitgenosse Gerbcrt's, wie derselbe in
seiner Jugend von einem hervorragenden Kleriker in Rheims (wahr
scheinlich Giselbert) in die Logik eingeführt worden sei und dann alsbald
als Lehrer der üblichen Schulwissenscbaflen ebendaselbst zu wir
ken begonnen habe 208). Indem aber der Berichterstatter hiehei auch
das ganze logische Material, dessen sich Gerberl heim Unterrichte be
diente, ausführlich und vollständig aufzählt, erhallen wir einen ebenso
wichtigen als. entscheidenden Beleg dafür, dass man auch am Ende des
10. Jalirb. noch immer die von Boethius herrührende Uebersetzung der
Analytiken und der Topik des Aristoteles nicht kannte, denn gerade
diese sind es, welche unerwähnt bleiben, während alle übrigen lieber-
Setzungen und eigenen Arbeiten des Boelhius (s. Absch. XII, Anm. 72 f.)
der Reihe nach angeführt werden; auch ist bemerkenswerlh, dass Ger
bert den Unterricht in der Rhetorik erst nach der Dialektik folgen Hess,
sowie dass der erzählende Chronist die Rhetorik noch zur Logik rech
net und hiemit auf dem Standpunkte, welchen wir bei Isidor, Alcuin
und Hrabanus (Anm. 27, 54 u. 79) trafen, sich befindet209). Ferner
cam duplicis vcstitam flore coloris, Quae iaciens varias nervo pulsante sagütas Monstrat
kypothetici nobis spectacula ludi (s. Abschn. \ll, Anm. 11)9.) Et iam cornula
(vgl. oben Anm. 189.) stirgens ad sidera fronte Causarum rivos patulo profudit ab
ore. Sed postquam illatas pepulü conclusio Utes Ipsaque gravigenas compeyit pace
sophistas , Omnibus asseculum veniente porismate laetis Sah pedibus Logicae recubabat
nexa coaevae , Commissura tibi reliquorum munia, Tulli. Hierauf folgen
Rhythmik und die übrigen oben genannten Disciplinen.
207) Die Schrift von Hock , Gerbert od. Papst Sylv. II. n. s. Jahrb. (Wien
1837) ist, selbst abgesehen von der schiefen Partei-Tendenz des Verfassers, in
Bezug auf die wissenschaftliche Thätigkeit Gerbert's und seiner Zeit höchst unge
nügend (vgl. auch S. R. Wilmans in d. Berl. Jahrb. 1839, H, p. 622.^.
208) Richer. hist. III, 44 ff. b. Pcrtz , Man. V, p. 617.: Juvenis 'igitur apud
papam rtlictus ab eo regt (nemlich Oltoni) o'blatus est. Qui (d. h. Gerbert) de
arte sua interrogatus, in mathesi se satis passe, logicae vero scientiam se addiscere
velle respondit OHO (empöre G. Rcmensium archidiaconus in logica clarissimus
habebatur , qui etiam a Lothario Francorum rege eadem tempestale Ottoni regi Italiae
legatus directus est (einen anderen Archidiaconus von Rheims ans jener Zeit,
dessen Name mit dem Buchstaben G begänne , konnte ich nicht finden , als den
Giselbert, welcher im J. 948 bei dem Ingelheimer Concil anwesend war, s. Marlot,
Metrop. Rem. hist. Ins. 1666. I, p. 464.). Cuius adventu iuvenis exhilaratus regem
adiit alqtie ut G...O committerelur obtinuit. E G. ..o per aliquot tempora haesit Remosque
ab eo deductus est. A quo etiam logicae scientiam accipiens in brevi admoium
profecit , G...S vero mm raathesi operam daret, artis difficultate viclus a
mvsica reiectus esd Gerbertus interea studiorum nobilitale praedicto metropolitano
' commendalus eius graliam prae omnibus promeruit , unde et ab eo rogatus discipulorum
turmas artibus instruendas ei adhibuit.
209) Ebend. (fortgefahren): Dialecticam ergo ordine librorum percurrens dilucidis
sententiarum verbis enodavit. l« primis enim Porphyrii ysagogas id est introducliones
secundum Victorini rhetoris Iranslationem , inde eliam eiusdem secundum
Manlium explanavit, Cathegoriarum id est praedicamenlorum librum Aristotelis con54
XIII. Gerbert.
aber wird berichtet, riass Gerbert sich mit dem Entwurfe einer Figur
beschäftigte, in welcher die Einlheilung aller Dinge in eine Tabula
logica gebracht werden sollte, wozu natürlich jene bei Boethius sich
findende Tabelle die Veranlassung gab; er kam jedoch hierüber in
Streit mit Otricus, und es knüpfte sich hieran eine philosophische Dis
putation, welche in Gegenwart des damals fünfzehnjährigen Otto III. i.
J. 970 in Ravenna stattfand210). Eine andere ausführlichere Erzählung
betreffs dieses Gespräches lässt uns deutlich erkennen, dass dabei die
streitenden Personen lediglich die Angaben des Boethius (im Comnientare
zur Isagoge) auswendig wussten und auf solcher Basis die Controverse
erörterten, ob Rationale ein engerer Begriff als Mortale sei,
oder nicht vielmehr umgekehrt letzterer als der engere sich erweise 2 n).
sequenler enucleans;. periermenias vero id est de interpretatione libfjum , cuius laboris
sil, aplissime monstravil; inde etiam topica id esl argumentorum sedes a
Tullio de graeco in lalinum translata et a Manlio cunsule sex commcnlariorum
libris dilucidata suis audiloribus intimavit, necnon et quatuor de topicis differentiis
libros, de sillogismis cathegoricis duos , de ypotlicticis tres , difßnitionumque librv.ni
minm. divisionum aeque nimm, utiliter legit et expressit. Post quorum laborem
cum ad rheloricam suos provehere velltt , id sibi tuspectum erat, quod sine locutionum
modis , qui in poetis discendi sunt, ad oraloriam arlem anle perveniri non
queat; poelas igitur adhibuit quibus assuefactos loculionumque modis compositos
ad rhetoricam lransdux.il; qua instructls sophislam adhibuit, apud quem in
controversiis exerccrenlur ac sie ex arte ägerent, ul praeter arlem agere viderenfur,
quod oratoris maximum rnl et in. Sed haec de logica, in malliesi vero etc.
210) Hugo Flavin. Chron. Virdun, b. Pertz , Man. X, p. 367.: Hoc (empöre
Otricus apud Saxones insignis habebatur Adulhero Romam cum Gerberto petebal
et Ticini Augustum (d. h. Ottonem) cum Otrico reperit , a quo ductus est Havennam;
et quia anno superiore Otricus Gerberti se reprehensorem in quadam figttra
cum mulliplici diversarum rerum distributione (aus Boelh. p. 25., s. Abschn. XII,
Ainn. 87.) monstraverat , iussu Augusti omnes palatii sapienles intra palatium collecti
sunt, Archiepiscopus quoque cum Adsone abbate Denensi et scholasticorum
numerus non panus, et coepla disputatione cum iam Intimi paene diem consumpsissent,
Augusti nutu finis impositus est.
211) Eicher a. a. 0. c. 60 ff. p. 620 f. : Otricus ait: quoniam philosophiae
partes aliquot breviter atligisti , ad plenum oportel ut et dividas et divisionem enodes
Tunc quoque Gerbertus: .... secundum Vilrwii (zu lesen Victorini) atque
Boelii divisionem dicere non pigebit ; est enim philosophia gc.nus ; cuius species sunt
praclice et theoretice; praclices vero species dico dispensalivam , distributivam , civilem;
sub theorelice vero non incongrue intelliguntur pliisica naturalis, mathemalica
intelligibilis , ac theologia intcllectibilis (aus Boelhius, s. Abscbn. XII, A tun. 76.)
Tunr vehemenlius Otricus admirans ait: an mortale rationali supponis? gui.s
nesciat, quod rationale deum et angelum hominentque concludat, mortale vero utpote
maius et continentius omnia mortalia et per hoc infinila colligat? Ad haec Gerber
tus: si, inquit, secundum Porphirium alque Boetium substanliae divisionem usque
ad individua idonea partitione perpenderes, rationale continentius quam mortale sine
dubio haberes;. idque congruis ralionibus enucleari in promptu est. Etenim cum
constet, substantiam genus generalissimum per suballerna passe dividi usqiie ad in
dividua, videndum est an omnia .suballerna singulis dictionibus proferanlur. Sed
liquido patet, alia de singulis alia de pluribus nomen faclum habere, de singuUs ul
corpus, de pluribus ul animalum sensibile ; eadem quoque ratione subalternum quod
est animal rationale, praedicatur de subiecto quod est animal rationale mortale;
nee dico, quod rationale simplex praedicetur de simplici morlali , id enim non procedit,
sed rationale inquam animali coniunclum praedicatur de morlali coniuncto
animali rationali. Cumque verbis et sententiis nimium fluerel et adhuc al/ia. dicere
pararet, Augusli nutu disputationi finis iniectus est. (Sämouliches aus Boetk
a. a. 0.) ,
XIII. Gerbert. 55
Den Gegenstand jener Disputation hatte nun Gerbert noch weiter
verfolgt, und es entstand daraus die an Otto III. gerichtete Schrift „De
ralionali et ralione u<»"212), eine höchst abenteuerliche Verquickung
eines unverdauten Schulwissens, wobei das so eben erwähnte Rationale,
auf welches ja auch schon eine Stelle des Isidorus hingewiesen hatte
(s. oben Anm. 45), näher in Betracht gezogen wird. Nemlich nach
einer Einleitung, welche ausdrücklich an jenen erfolglosen Slreit zu
Ravenna anknüpft213), wird als Thema der aus Boethius (oben Anm.
46) entnommene Zweifel bezeichnet, wie denn der Vernunftgebrauch
(ralione uli) von dem vernünftigen Wesen (rationale) als Prädicat aus
gesagt werden könne, da ja doch immer der Prädicatsbegrifi" der höhere
oder weitere (maior) sein müsse214). Dieses Bedenken, welches uns
höchstens darum interessant sein kann, weil es einen Beleg dafür ent
hält, wie einseitig die Schul-Logik des späteren Alterthumes bloss den
Umfang, nicht aber den Inhalt der Begriffe berücksichtigt hat (s. Abschn.
XI, Anm. 43), wird nun auf eine ebenso ungeschickte als bloss formale
Weise gelöst. Zunächst nemlich soll jenes Prädicats-Verhällniss zwi
schen Vernunftgebrauch und Vernunftwesen dadurch gerechtfertigt wer
den, dass ersterer als ein Actuelles das Höhere sei215). Dagegen aber
erhebt sich der Einwand, dass ja überhaupt die Unterordnung der Be
griffe nur in allgemein bejahenden Urtlieilen ausgedrückt werden könne,
also dann der Vernunftgebrauch von sämmtlichen Vernunftwesen prädicirt
werden müsse, was zu einem unwahren Urtheile führe216); fer
ner sei das Acluelle eben doch von dem Dasein des Potenziellen ab-
212) Gedruckt b. Pez, Thes. Anecd. \, 2, p. 149 ff. Was H. Ritter (Gesch.
d. Phil. VII, p. 304 ff.) über diese Schrift Gerbert's sagl, ist unhaltbares Gerede;
aus einer Stelle (p. 307, Anm.) müsste man ja fast schlössen, dass ihm der seil
Boethius im Miltelalter eingebürgerte Unterschied zwischen Inlelligibilis und Inlclleclilrilis
(s. Abschn. XII, Anm. 76.) unbekannt sei.
213) A. a. 0. p. 149.: Meminislis enim et meminisse possumus , adfuisse turn
mullos nobiles scholasticos et eruditos , inier quos nonnulli aderant episcopi
Eorum tarnen vidimus neminem, qui earwn quaestionum ullam digne explicueril,
quod quaedam nimis ab HSII remolae nee dubitationem ante habuerint, et quaedam
saepenumcro ventilalue dissolvi non potuerint.
214) Ebend. c. l, p. 151.: Quaerilur, inquiunt, quid 'sit, quod ait Porphyrius,
di/fercntiam velul ad cognatam sibi di/ferentiam praedicari, ut ratione uli ad
rationale, cum maiora de minoribus semper praedicentur, minora de maioribus nunquam.
Zu der schon oben, Anm. 46., angeführten Stelle des Boethius kömmt
hiebei noch folgende p. 37i: nam si qua differentia dicla fueril , de alia differenlia
, ut differentia intclligatur , praedicabitur nam ratione uli, di/ferentia, ad
rationalem di/ferentiam veluti cognata differentia praedicatur. Der Lehrsatz betreffs
des maior steht gleichfalls b. Boeth. p. 28. (s. auch Abschn. XII, Anm. 124.).
215) Ehend. : Sed rationale, inquiunt, potestalis est sine aclu , ratione uli
polestatis cum actu ; plus vero est potestas cum actu, quam sola poleslas ; iure,
inquiunt, ergo praedicatur ratione uti de ralionali tanquam maius de minori. Diese
Ansicht über potestas und aclus findet sich b. Boelli. p. 454.: necesse csl, ut ea
quae actu sunt, Ms quae sunt poleslale , priora sinl (s. Abschn. XII, Anm. 122.).
216) C. 2, p. 151.: Quae a gmeralissimis ad specialissima recta linca dfscendunt
, ... lalia sunt , ul inferiora universalster prolata superiorum omnia nomina
diffinitionesque suscipiant (s. Boeth. p. 21. u. öfters)... Quodsi eodem modo ratio
nale sub ratione uti positum sit , quomodo unitersaliter prolatum suscipiet nomen
sui praedicali idem rationale? non enim omne , quod rationale esl , ralione uti
putalur.
56 XH1. Gerbert.
hängig und könne deshalb überhaupt nicht jene höhere Stelle einneh
men, welche im Wesen des Prädicatsbegriffes liege217), und es müsse
auch ein abermals hiegegen gerichteter Einwand betreffs der hohen
Würde des Vernunftgebrauches zuletzt wieder an der Einlheilung der
Wesen überhaupt scheitern818). Wenn aber nun hierauf gesagt wird,
diese ganze bisherige Erörterung sei sophistisch, und es handle sich
vielmehr um die eigentliche Natur des Actuellen und des prius , sowie
des Prädicales 219), so erwarten wir wohl eine tiefer gehende Unter
suchung, aber vergeblich. Denn was nun folgt, besteht zunächst nur
in einem Excerpte aus Boethius bezüglich der verschiedenen Arten der
Actualität 22°), woran sich dann, um auf das Rationale zurückzukehren,
die Unterscheidung der ewigen und der veränderlichen Natur anreiht,
wobei die Angaben des Boethius in ähnlicher Weise wie bei Scotus
Erigena (ob. Anm. 113 ff.) aufgefasst werden221), so dass der Vernunflgebrauch
(ratione uli) als ein in die Erfahrungswelt verflochtener
217) C. 3, p. 152.: potestas actum omni necessilate praecedit, et quia haec
praecedentia non solum priora , sed eliam interemta interimunt sccum posteriora,
necesse est potestate ablata actum quoque auferri .... Non igilur quod natura posterius
esl, de eo praedicabilur quod natura prius est; est autem natura prius
potestas, posterius aclus; non igtiur secundum potestatem et actum praedicabilur
ratione uti de rationalt. Auch dieser Gegenbeweis ist aus der nemlichen Stelle
des Boethius (p. 451.) entnommen.
218) C. 4, ebend. : Sed merito , inquiunl, suae dignitatis seu excellentia seu
potentia numerosius est ratione uti, quam rationale. At natura generum, specierum
vel differentiarum non suscipit; li-omn enim et asinus aeque sub animali sunl, et
deus atque homo aequaliter participant rationali differentia. Diess steht wieder in
jener Stelle b. Boeth. p. 95. , von welcher die Controverse ausgegangen war.
219) C. 5, ebend.: Quaproptcr sophislica, id esl cavillatoria , conluctatione
remota quaedam de natura poleslatis et actus explicanda sunl, et in qua eorum
specie rationale et ratione uli versentur, de nalura quoque priora , utrum praedicalionibus
conveniat, et nonnulla de praedicationum natura et ordine, ul quasi quodam
ftlo .... dispulalio deducatm.
220) C. 6—10, p. 153-156. Das Original hiezu ist wieder Boeth. p. 451 ff.,
selbst mit Eins°chluss der zur Erläuterung dienenden Beispiele, deren Eines hin
gegen aus Kni'lh. p. 95. genommen ist. Der Inhalt, welcher natürlich ursprünglich
der aristotelische ist (s. Abschn. XII, Anm. 119. u. Abschn. IV, Anm. 281 ff.) dreht
sich um die Unterscheidung des aclus necessarius und des actus non necessarius,
welch letzterer entweder a polestate oder a subsislendo entsteht, und endlich des
bloss Potenziellen. Gerbert bringt diese Eintheilung ip eine Tabelle, worin man
wohl nur ein geringes Verdienst erblicken kann, denn dass er nicht einen einzigen
eigenen Gedanken hat, zeigt hier wie im Folgenden unsere Zurückführung auf die
Quelle, d. h. auf Boethius.
221) C. 11, p. 157.: Est igilur rationale, dum est in intelligibilibui , sub
necessaria specie aclus .... immobilis et necessarii; sed quia haec inlelligibüia,
dum se corruptibilibus applicant , tactu corporum variantur , transeunt haec omnia
rursus ad potestatem. Aliler enim rationale vel, ut universalius dicamus , aliter
genera et species , differentiae , propria et accidentia , in intellectibilibus , aliter in
naturalibus ; in intellectibilibus quoque rerum formas sunt, in intelligibilibus alia
sunl quidem passiones , alia sunt aclus, nam quoniam in' anima versantur , dum
intelliguntur , animae passiones sunl. Die Quelle hievon ist Boelh. p. 452. u. p.
56. , woselbst auch die nemliche Beiziehung der quinque voces sich findet. Das
intellectibile ist der realistisch theologische Urgrund der formae (ob. Anm. 109.),
das inlelligibile hingegen dasjenige, was die Vernunft an den Dingen selbst erfasst,
s. oben Anm. 211.
XIII. Gerbert. 57
dem Accidentellen angehöre222). Hieraus wird dann natürlich ge
schlossen, dass der Vernunftgebraurh nicht seihst eine differentia subslanlialis
sei, sondern erst in Bezug auf eine verwandle Differenz aus
gesagt werde 223). Und wenn hierauf wieder in der ncmlichen unge
schickten Weise wie zu Anfang auf das Verhältniss des Unifanges zu
rückgekehrt wird, da ja dann der Prätlicatsbegriff der engere sei, so
wird jetzt erst auf Grund des Boethius angegeben, dass die Accidenlien
von den Individuen ausgesagt werden 224), und im Hinblicke auf die
Eintheilung der Urtheile bezüglich ihrer Quantität 225) folgt nun das
Resultat, dass der Satz „rationale ratione ulitur" eben ein unbestimm
tes Urlheil sei, welches weder als allgemein bejahendes noch als all
gemein verneinendes richtig ausgesagt werden könne226), — ein Resul
tat, durch welches allerdings jeder andere vernünftige Mensch von
vorneherein der ganzen Fragestellung überhoben gewesen wäre. Und
es zeigt sich uns somit Gerbert's Schrift als ein sinnloses Treiben,
bei dessen Gelegenheit ebenso unnütz als zusammenhangslos verschiedene
Schulweisheit ausgekramt wird. — Uebrigens hält Gerbert als Theologe
nicht viel auf die Dialektik , und indem er in dieser Beziehung eine
Stelle aus Scolus Erigena, jedoch ohne denselben zu nennen, ausschreibt,
entscheidel er sich lieber für die realistische Deutung, welche jenen
Worten gegeben werden kann227).
Einen ähnlichen Beweis davon, dass man das traditionelle Schul
material kannte und in Anwendung brachte, gibt uns aus dem Anfange
des 11. Jahrb. nicht bloss ein Brief des Bischofes Burchard in Worms,
worin derselbe einen Freund darüber belobt, dass er die üblichen sechs
Gesichtspunkte (s. Abschn. XII, Anm. 75. u. Abschn. XI, Anm. 141) bei
222) Ebend. p. 158.: merito ratione uli dicilur praedicari de rationali lanquam
accidens de subiecto; ratione uti facere esl, qui enim ratione utilur, ali
quid agit;.... facere aulem unum ex generalissimis generibus accidenlium est ; igitur
uti ratione accidens est.
223) C. 12. ebend.: quod rationale esl, ratione uli polest .... ergo ratione
uti Tationali accidil'.... non esl iyiltir ratione uti subslanlialis differentia. C. 13,
p. 159.: Si igilur secundum Boelium ratione uti a ceteris animalibus di/ferimus
sicul differentia rationali, iusle ralione uli ad rationale velul ad cognatam sibi differentiam
praedicalur. Alles wieder aus Boelh. p. 95 f. u. p. 7.
224) C. 14, p. 159.: Quoniam ergo minus de maiori pracdicabitur , locus hie
admonel, tit de nalura praedicationis pauca aicanlur , worauf die betreffenden An
gaben des Boethius (p. 129., s. Abschn. XII, Anm. 92.) excerpirt werden.
225) C. 15, p. 160. Aus Boelh. p. 350., s. Abschn. XII, Anm. 113 f.
226) C. 15 f. p. 161.: Quia proposilio talis esl, ac si dicatur: quoddam
rationale ratione utitur; qui enim dicit , omne rationale ralione utilur, rcm univer
salem universaliter enuntial , et esl afßrmatio falsa, cuius negatio , id esl nullum
rationale ralione utitur, similiter falsa reperitur (Boelh. a. a. 0.). Diess eben sei
(c. 16. , p. 161 f.) der Unterschied zwischen einem solchen Urtheile und einer
proposilio subslantialis , d. h. einer Definition ; s. Boeth. p. 651., Abschn. XII,
Aom. 103.
227) D. corp. et sang. Dom. c. 7., bei Fez, Thes. Aneed. I, 2, p. 140.: Senes
• •t .... miii dialccticis argumenlalionibus , sed verbis simplicibus et oralione compulerunt
ad credendum Et nos aliquando anlequam tantorum virorum, Cyrilli dico
et Hilarii, aucloritatibus inslrueremur, hanc discrepanliam (d. h. betreffs des Abend
mahles) alir.uius dialeclici argumenti sede abiolverc medilabamur. Non enim ars illa
ett. , d. h. es folgen die oben Anm. 127. angeführten Worte des Scotus.
58 XIII. Adalbero.
Allfassung eines Buches eingehalten habe228), sondern insbesondere ein
höchst eigentümlicher Tractatus des Adalbero, Bischofs in Laon (geb.
977, gest. 1030), welcher ein Schüler Gerberl's war und einen unter
dem angeblichen Titel „De modo rede argumentandi et praedicandi
dialogus" uns handschriftlich erhaltenen Brief an Fulco von Amiens
richtete 229), in welchem eine Mauleselin den Gegenstand syllogistischer
Spielereien bildet. Nachdem nemlicb Adalbero das Thier als gänzlich
untauglich geschildert halte, verfällt er auf den Gedanken, die Allgemeingölligkeit
dieses verwerfenden Urtheiles logisch zu erproben, und
es folgt nun in Dialogform eine Erörterung darüber, dass das Unheil
ein singuläres sei, dass es ein conlradictorisches Gegentheil desselben
gebe u. dgl. , woran sich die Aufforderung reiht, den Nachweis der
Untauglichkeit kunstgemäss zu liefern-30); diess geschieht, indem das
ganze Register der hypothetischen Schlüsse im Dialoge antithetisch
durchlaufen wird231), wobei auch Angaben logischer Regeln eingestreut
sind232); das Ganze aber, das sämmtlich aus Boethius entnommen ist,
228) Bei Pertz , Man. VI, p. 701.: In omni enim expositione anclorali et in
quolibet libro diversas se.x causas quaeri convcnit atque expediri oportet, sicul in
proemio edilionis primae ysagogarum Porphyrii Severinus. prudentissimus doctor Fabio
earhortante dicendo insliluit: ,,primum, inquit, docent, quae sit cuiusque operis
intenlio, secundo quae utilüas , terlio qui ordo , quarto si eins, cuius opus esse
dieitur, germanus propriusque liber est, quinto quae sit eius inscriplio, sextum est
id dicere, ad quam partem philosophiae cuiuscunque libri ducalwr intenlio". Haec
omnia in libro luo caute conservasti etc. Da jenes b. Boeth. p. 1. steht, mochte
es wohl für besonders wichtig gehalten werden.
229) S. Pei, Thes. Anecd. l, l, p. XXIII. Eine in der Münchner Staatsbiblio
thek befindliche Emmeraner Handschrift sec. H. (Cod. M. 14272.) enthält diesen
anderthalb Folioseilen' fällenden Brief (fol. 182 r.). Die erwähnte Ueberschrift
scheint nur auf Combination Pez's zu beruhen.
230) F(ulco). Denique kaec mula .... non esset nniversaliter, sed polius aut
particulariler aut indefinite , quae paenc unum sunt , inutilis proponenda .... lyilur
quae parlicularitcr quoquo modo utilis esl , omnimodis universaliter inutilis non est.
A(dalbero). Si hanc inutilem atque inhoneslam indefinite viluperarcm, verum a falso
non discernerem, nam liuius mulae inutilitas, si universaliler esset dcdicaliva, particulariter
esset abdicativa (d. h. es würde dann zugleich Conlradictorisches aus
gesagt). Sed haec vituperatio neque universaliter neque particulariler esl detcrminata,
igitur quia singularis est, neulrum horum est. F. Singulare dedicativum
nonne suum habet abdicativum? Putasne, universalis propositio universali,
particularis parliculari, indeßnita indefmüae sicut singuläres contradictorie opponuntur?
A. Plane opponunlur; si substantia fueril, erit praedicativa , sine sil sive
non sit. F. Putasne, si accidens? A. Eodcm modo opponuntur, si illud fuil inseparabile.
F. Omne inseparabile contradictorie opponilur? A. Non. F. Illud tanlummodo
cui aliqvid possit accidere, et illud dieitur substantiale. Sed nunc ex arte,
non de arte, nostris afßrmationibus mm luis repugnantiis hanc mulam esse inutilem
atque inhonestam convinci proftlebcrii. Hiebei ist die Doctrin des Boelhiiis (bes. p.
342 ff. u. p. 383 ff., s. Abschn. XII, Anm. 113 ff.) mit der Terminologie des Marcianus
Capella (ebend. Anm 66.) vermengt.
231) A. Mula haec si claudicat, male ambulal; atqui claudicat; igilur ntale
ambulat. F. Mula haec si claudicat, male ambulal; alqui non claudicat; igilitr non
male ambulal. A. Mula haec non, si claudical , male non ambulat; alqui claudi
cat; igilur male ambulat. F. Mula haec non, si non male ambulat, claudical;
atqui non male ambulal; igitur non claudical. A. Si valida non est, debilis esl;
atqui valida non est; igitur debilis est u. s. f. (s. Abschn. XII, Anm. 155.).
232) A. Omnis affirmatio et negalio scmper esl in praedicalis. F. Si simplicitcr
praedicalur ; si vero modus adverbialis (s. ebend. Anm. 119.) adhibetur, vindical
XIII. Adalbero. Fulbert. Anonymus sec. 11. 59
schliesst mit der Hinweisung auf eine dämonische Causalität der Unbrauchbarkeit
der Mauleselin, wobei, wie es scheint, sich beide strei
tende Parteien begnügen sollen233).
Gleichfalls ein Schüler Gerbert's war Fulbert, Bischof von Chartres
(woselbst er i. J. 990 eine Schule eröffnet halte und seit 1007
als Bischof bis zu seinem Tode 1029 wirkte) , welcher als Kenner der
Dialektik in hohem Ansehen stand 234) und sogar den Beinamen eines
„Sokrales der Franken" erhielt235). Während uns aber bezüglich seiner
logischen Lehre durchaus Nichts näheres bekannt ist236), müssen wir
ihn als Lehrer des Berengarius von Tours jedenfalls hochschätzen, wenn
auch zu schliessen sein dürfte, dass Fulbert die Kenntnisse und Ge
wandtheit in der Dialektik noch völlig von dem theologisch-dogmatischen
Gebiete fernhielt, denn in letzterer Beziehung ermahnte er seine Schüler
zum strengsten Auctoritäts-Glauben 23").
Ueberhaupt aber dürfen wir eine gesteigerte Thätigkeit nach dem
Maassstabe jener Zeit schop darin erblicken, wenn man wieder zur An
fertigung von Compendien schritt oder das vorhandene Sclmlmaterial
mit fortlaufenden Commentaren bearbeitete, denn wenn auch hiebei noch
kein eigenes inneres Schaffen waltet, so wird doch die Erhaltung oder
Förderung des logischen Wissens wieder als eigentlicher Zweck be
trachtet, d. h. die Thätigkeil gilt der Theorie als solcher, wenn auch
in unselbständiger Weise.
So hat ein Anonymus am Anfange des 11. Jahrh. die Isagoge
und die Kategorien in Hexametern bearbeitet238), um, wie er selbst in
der. an einen gewissen Beno gerichteten prosaischen Einleitung sagt,
sibi mm contradictionis et modtts inlenxionem et rcmissionem ponit pracdicalis et
determinatio subiectis. A. Non eodem genere, cum allerum quantitale et qualilale,
allerum sola quantilate.
233) F. SU quoquo modo inutilis nun tarnen absque causa. A. Philosophi
nihil sine causa tradunl fieri Ergo quoniam huius mulae inulililas sollerlia
daemonum effecla fsl, absque ulla contradiclione omnimodis inulilis est. Hac
re /n a In probalur inulilis, non amicus, qui sibi ipsi adversarius vice functus est
aUerius.
234) Tritkem. d. script eccl. p. 154. (_ed. Colon. 1656. 4.): Fulbertus episcopus
Carnotensis in scripturis ditiinis erudilissimus et in seculariwn lilterarum
disciplinis omnium suo tempore doetorum doclissimus, poeta elarus, et dialeclicus,
muUis annis scliolae publicae praesidens piurimos doctissimos auditores cnulrivil
(die hierauf genannten Schriften Fulbert's sind nur theologischen Inhaltes).
235) Adelmanni (eines Mitschülers des Berengarius bei Fulbi'rt) ad Herengarium
epistola, ed. Conr. Arn. Schmid. Brunsv. 1770. 8, p. 1.: Collaclaneum te me meum
vocari propter dulcissimnm illud contubernium , quod cum te in academia Carnotensi
sub nostro illo vtnerabili Socratf iucundissime duxi. Aus dieser Stelle scheint
bei Späteren im Zusammenhange mit der theologischen Gereiztheit gegen Beren
garius jener Beiname Fulbert's geflossen zu sein.
236) Die Notiz, dass Fulbert an den Scholasticus eines Klosters die Isagojre
schickte (s. Fulberti Opp. ed. Villiers , Par. 1608. Ep. 79, fol. 76 b.) , ist un
erheblich.
237) Adelmann a. a. 0. p. 3.: obtestans per secrela Ma.... et obsecrans per
lacrimas, nl illuc omni Studio properemus viam regiam direclim gradientes,
lanctorum patrum vesligiis, observantissime inhaerentes , ut nullum prorsus in divcrliculum,
nullam in novam et fallacem semitam desüinmus etc.
238) Aus einem Cod.. St. German. (1095) abgedruckt b. Cuusin, Ouvr. ined..
d'Abel. p. 657—669.
60 XIII. Anonymus sec. 11.
durch diese seine Erstlingsarbeil den Inhalt jener Bücher seinem Ge
dächtnisse einzuprägen 239). Er beginnt mit der aus Boethius (Abschn.
XII, Anm. 77) entnommenen Eintheilung des aristotelischen Organons,
wobei er die Sache so auffasst, dass Aristoteles zuerst die erste Ana
lytik geschrieben habe und dann, als diese unverständlich gewesen,
hierauf die zweite Analytik, auf welche aus dem gleichen Grunde die
Topik habe folgen müssen, sowie hierauf D. inlerpr. und dann noch
die Kategorien ; da aber Aristoteles behufs des Verständnisses nicht
noch weiter habe herabsleigen wollen und hiemit die quinque voces
verschwiegen habe, so sei hier die Thätigkeit des Porpbyrius zum Glücke
ergänzend eingetreten240). Der Inhalt der Isagoge wird dann sehr kurz
mit blosser Angabe der Begriffsbestimmung der quinque voces abge
macht241), und es folgen die Kategorien. Wenn hiebei der Verfasser
zu Anfang ausdrücklich sagt , es handle sich da nicht um die Dinge
selbst, sondern nur um die voces signalivae der Dinge 242), und wir
hiemit eine Wiederholung jenes obigen (Anm.. 149 ff. u. 159) nominalistischen
Standpunktes antreffen, so ist dieses auch das Hauptsäch
lichste, was wir an diesem Compendium hervorheben müssen ; denn im
Uebrigen schliesst sich dasselbe so enge an die pseudo-augustinische
Schrift über die Kategorien (Abschn. XII, Anm. 43 — 50) an, dass es in
der Thal kurzweg als eine Versificalion desselben bezeichnet werden
muss; höchstens mag noch bemerkt werden, dass die zahlreichen grie
chischen Termini, welche dabei in barbarischer Schreibung auftreten,
gleichfalls aus jener nemlichen Quelle (Hessen , wo sie ja häufig genug
239) Wer jener Beno gewesen sei oder wo er gelebt habe, lässt sich ans
der ganz allgemein gehaltenen Einleitung nicht entnehmen. Heber seine Arbeit
selbst sagt dort der Verfasser (p. 657 f.) : Quoniam complurium mei ordinis scholasticorum,
praesul venerande, oblatas tibi littcras omni gratiarum alacritate saepius
te audio suscepisse, ....tuae conßsus pielati aliqua et ego o/ferre litlerarum iocularia
pracsumo tuae maiestati. Ferl animus dei adspirantc r/ratia quam paucissimis
oratione metrica absolvere, quod Porphyr» Isagogc el Aristotelis Categoriae videntur
in se conlinere. Quod hanc nb causam maxime decrevi agere , ul, quae illi latius
diffudere , breviter collecta per me lenaci diligentius crederem memoriae. Nomina
quoque graeca guaedam interposui, ubi lege melri constrictus lulinn non potui; ....
id mihi ne ducatur vitio, primum abs te, paler piissime, cui hoc litterarum munere
ingenii mei primitias immolo , deinde ab omnibus veniam postulo.
240) Ebend. p. 658.: Doclor Aristotiles, cui nomen ipsa dedit res , Ingenio
pollens miro praecclluit omnes ; Hie nalis poft se dialcctica ne latuissel , Primas
componens Analiticot, studiose, De syllogismis ratio perpcndüur in quis , Credidit ul
sapiens hos planos omnibus esse ; Sed cum nullns eis inlellcctu capiendis Sufftccrct.
rursus lenlat pro/'erre secundos; Quos neque passe capi cum scnsit, Topica. scripsil ;
Hinc Perihermenias, postremo Cathegorias ; Post quas ftnitas descendere noluil infra.
Hie genus ac speciem, proprium, dislantia stringens , Simbebicos etiam quid sint
omnino tacebat. Porphyrius tandem cernens , nisi cognila quinque Hacc sint, bis
quinas nesciri cathegorias , Cuique suum finem signavil convenientem. (Vgl. auch
Boeth. p. 113., Abschn. XII, Anm. 84.)
241) Ebend. Nach der Definition der fünf Worte folgt: JVi nimis est longum,
communia dieicr liorum (<\. h. was bei Porphyrius hernach erörtert wird, Abschn.
XI, Anm. 49 ff.), Non nos horreret, sed malumus ergo lacere, Ne generelur in liis
lihi nausea disc.ulieniiis.
242) Ebend. p. 658 f.: Post haec bis quinas pandamus cathegorias, In quis
vir doctus non ex ipsis quasi rebus, Sed signalivis de rerum focibus orans Sumit
ab omonymis tractandi synunymisque Principium etc.
XIII. St. Gallen. Nolker Labeo. 61
eingestreut sind, wonach jede etwa auftauchende Annahme, dass man
damals schon mit dem griechischen Originaltexte sich beschäftigt hübe,
sehr einfach beseitigt ist243).
Hauptsächlich aber finden wir um jene Zeit in St. Gallen eine
ausgedehntere Bearbeitung des logischen Schulmateriales, wobei der
bekannte Notker Labeo (gest. 1022) jedenfalls das Verdienst hat,
die Anregung gegeben und die Ausführung geleitel zu haben, wenn
auch nicht alle hieher gehörigen Arbeiten aus seiner eigenen Hand selbst
hervorgiengen 244). Allerdings liegt auch hier nur der traditionelle Stoft"
zu Grunde, und eigentlich Neues ist nicht zu erwarten245), aber die
Art der Behandlung des Ueberlieferten ist doch theilweise eine freiere
und zeigt jedenfalls ein hingebendes Interesse für die Sache selbst.
Die unbedeutendere unter diesen Schriften ist ein „Tractalus inier
magislrwm el discipulum de arlibus", indem hiebei lediglich das Compendium
Alcuin's (ob. Anm. 48 ff.) mit Beibehaltung der dortigen Dia
logform excerpirt und ausserdem nur im Anfange, neuilich bei der Isagoge
und der Kategorie der Quantität, auch ßoethius auszugsweise
benützt ist246).
243) Da das Ganze nur eine metrische Wiederholung Pseudo-Augustins ist,
erscheint es als überflüssig, Einzelnes anzuführen. Was aber die griechischen
Worte, welche meistens durch Interlinearglossen lateinisch erklärt sind, betrifft,
mögen erwähnt werden: usya, simliebicos u. simbebicata , enarithma (IvÜQi&fice,
Abschn. XII, Anm. 43.), epipkania (b. d. Quantität), dann bei der Relation der
Hexameter: Thesin, diathesin, episthemin, estesin, exin (d. h. lmaiT\it.T\v, «?<T#JJaiv,
fStv), und desgleichen Dicitur omne qttod esl, vel encria dinanrive (d. h.
IvfQyilti u. ävra/jet) , sowie bei der Qualität: Exis, diathesis, pltisiccs dinamis
poelesque (Tioioirjg) Passitrilis , potius seu pathos , scemata morphae (ayriftara
.(/ooi/j;s). in dem Abschnitte über die Gegensätze habilus steresisque (o1/ N»;»/.,-).
und bei dem Postpradicamente der Bewegung: Auxesis, mfgesis, genesis, sloras,
aliusis, Et kala Ion forus metabeles associala (d. h. Kvir/ai?, uilioais, ytvtaig,
(f&ogä, äiiofiaais, xarä roi1 TOJIUV , /Jirrißoiri).
244) Wenn riemlich J. Grimm (Gott. Gel. Anz. 1835. N. 92.) der Ansicht ist,
dass Notker der alleinige Verfasser sämmtlicher jener Schriften sei , und auch H.
Hattemer, Denkm. d. Mittelallers, III, p. 3 ff. , sich unbedingt dieser Meinung anschliesst,
so scheint doch in Anbetracht der inneren Verschiedenheit jener Arbeileu
es richtiger zu sein, wenn wir mit Wackernagel, Gesch. d. deutsch. Litt. p. 80 f.
(s. auch desselben Akad. Rede üb. d. Verdienst d. Schweizer um d. deutsche Litt.
Basel 1833.) annehmen, dass die Werke, welche Notker's Namen tragen, von ver
schiedenen Autoren nur unter der Leitung desselben verfasst seien; s. auch unten
Anm. 262.
245) Wunderliche Dinge zwar sind zu lesen bei lld. v. Arx, Gesch. v. St.
Gallen, I, p. 262.: „In der Dialektik, welche sie in die Logik, Peripaletik, Stoik
und Sophik eintheillen, waren Aristoteles, Plato, Porphyrius und Boctius ihre
Lehrer; die zehn Cutegorien und die Periemerieu des ersten, die fünf Isagogen
de» Porphyrius , und die Lehrart des Sokrates waren ihnen wohlbekannt." Aber
während man wohl sogleich sieht, dass diese ganze Mittheilung nur auf der gröb
sten Unwissenheit des Verfassers beruhen kann, sollte man doch vermuthen, dass
derselbe die Notiz betreffs der Kinlheilung der Dialektik aus irgend einer Hand
schrift geschöpft habe; ich wurde jedoch auch hierüber durch meinen Freund und
Collegen Conr. Hofmann beruhigt, welcher in St. Gallen bei Gelegenheil seiner
eigenen Forschungen auch in meinem Interesse bezüglich logischer Werke nach
sah, aber durchaus Nichts anderes finden konnte, als was durch Graff, Wackernagel
und Hatlemer bereits veröffentlicht oder wenigstens angedeutet ist; s. auch unten
Anm. 271.
246) Vorhanden in einer Handschrift der Münchner Staatsbibliothek (Cod. tat.
62 XIII. St. Gallen. Notker Labeo.
Hingegen ein fleissigeres Studium des Boetliius und eine etwas
freiere Verarbeitung des dort vorliegenden Materiales zeigen jene beiden
Schriften, welche bekanntlich auch für die Geschichte der deutschen
Sprache von höchster Wichtigkeit sind, nemlich die Bearbeitung der
ÄaTT/yojn'ai und jene des Buches lieg} s^fiij vsiag247). Die erstere
Schrift hält sich, was den Text betrifft, im Ganzen strenge an
die Ueberselzung des Boelhius 248), aber mitten in den Text ist Satz
für Satz eine Erklärung verflochten, welche selbst wieder das Haupt
sächlichste aus dem Commenlare des ßoelhius enthält, und es beruft
sich auf denselben der Verfasser einmal ausdrücklich249); sehr häufig
wird die Beweisführung dieser Erklärungen in ihre Bestandteile über
sichtlich durch Inhaltsangaben oder sonstige Ueberschriften, ja auch mit
der Bezeichnung Proposüio, Assumplio, Conclusio gegliedert250), und
die erklärenden Beispiele sind an etlichen Stellen selbstständig ausge
dacht; bemerkt mag noch werden, dass der Verfasser mit offenbarer
Vorliebe für Geometrie bei solchen Stellen länger und selbstständiger
verweilt, welche eine Hinweisung auf jene Disciplin enthalten251).
Die Bearbeitung der Schrift Ilegl e^füfjvsiccg schliessl sich durch
gängig bezüglich des Textes wö-rtlich an die Uebersetzung des Boetliius
an, und die Erklärungen, welche auch hier in gleicher Weise eirigeflochten
sind, beruhen ebenfalls auf dem Commentare des Boetliius,
dessen beide Ausgaben der Verfasser, wie er selbst andeutet, benutzt
4621.), woraus Hattemer, Denkm. d. Mittelalt. III, p. 532 ff. nur die Capitel-Ueberschriften
veröffenllichte. Die Eintheilung der Philosophie und der Logik ist fast
wörtlich ans Alcuin genommen , bei den quinque toces aber werden die verschie
denen Unterarten derselben aus fioelhius aufgezählt und mit Beispielen erläutert;
der Abschnitt über die Kategorien ist zu Anfang ans Alcuin mit Wegtassung der
humonyma u. dgl. excerpirt, und nachdem nur bei der Quantität wieder Boethius
benützt ist, folgen die übrigen Kategorien wörtlich aus Alcuin, jedoch nur bis zum
habere, und von jenem Einen Beispiel-Satze (s. Anm. 57.) wird sogleich mit der
Ucberschrift Quid sunt /'ormulac syllogismorum auf Alcuin's Angaben über die Ar
gumentation übergegangen, welche ebenso wortgetreu wie die folgenden über Dif-
/iiiilin. Topicu und Ptriermeniae excerpirt sind.
247) Herausgegeben von Graff (Berl. 1837. 4.) und von Haltemer a. a 0.
p. 377—465. u. 465—526 Eine kurze Zusammenstellung der hauptsächlichsten
deutschen Terminologie, welche jedoch für die Geschichte der Logik selbst ohne
alle weitere Wirkung war, gab ich in meiner Abhandlung „Ueb. d. zwei ältesten
Compendien d. Logik in deutscher Sprache." München 1856. 4. p. 28 ff.
248) Nur kleine Abweichungen sind bemerklich, indem zuweilen eine Abkür
zung oder Auslassung oder auch Umstellung der Worte sich findet, oder z. B.
subleriura stall inferiora, cetera statt a/i«, subiacenl slatt subieclae sunt, respicerc
statt ostendcrc steht u. dgl.
249) Bei Hattemer p. 416 a.: Affeclio unde disposilio isl al ein, so unsih boetius
lerit (d. h. Boclh. p. 156 f.); abir duh zwei parlicipia afleclus et dispositus etc.
250) So z. B. p. 409 f. Die letztere Terminologie ist aus Buelh. d. syll.
hyp. entnommen; s. Abschn. Xll, Anm. 154.
251) In solcher Weise ist nicht bloss p. 402 ff. die Erklärung des con/inuum
(Boelli. p. 145 f.) durch Zeichnungen anschaulich gemacht, Sondern es wird auch
nach Erledigung der Quantität p. 412. noch einmal auf die Begriffe (ine«, superftcies
, solidum zurückgekehrt und die verschiedenen Arten der geometrischen Li
nien, Figuren und Körper graphisch dargestellt; ja bei Gelegenheit der Quadratur
des Zirkels (tioelh. p. 165 f. , vgl. ob. Anm. 191.) findet sich p. 423. eine völlig
andere Erklärung und andere Zeichnung als bei Boethius.
XIII. St. Gallen. Notker Labeo. De partibus loicae. 63
Iiat2°2). Von Wichtigkeit aber ist die Einleitung, welche dem Ganzen
vorausgeschickt ist, insoferne uns auch hier wieder der nominalistische
Standpunkt begegnet, dass bei den Kategorien es sich um die Worthezeichnung
handle ; auch werden daselbst in eigentliürnlicher Weise An
gaben und technische Ausdrücke aus Marcianus Üapella mit jenen Be
merkungen verflochten , welche aus Boethius (Absclin. XII, Anm. 77)
betreffs der Reihenfolge der Bücher des Organons entnommen sind, und
ausserdem lassen gerade bei diesen letzteren Notizen die naiven Miss
verständnisse des Verfassers uns den sicheren Schluss ziehen, dass der
selbe die Analytiken und die Topik des Aristoteles eben nur vom Hören
sagen aus jener Stelle des Boethius kannte 253). ,
Eine andere kleine Schrift, welche den Titel „De partibus
loicae" trägt'254), zeigt sich als ein compilirles Schul-Compendium,
indem zunächst die sechs Theile der Logik, deren ersten I'orphyrius
zu den fünf aristotelischen hinzugefügt habe, aufgezählt werden 255),
und dann eine längere oder kürzere Angabe des Inhaltes derselben folgt.
Nachdem neinlich aus der Isagoge nur die Begriffsbestimmungen der
quinque voces nach der Ueberselzung des Boelhius angeführt sind, wird
von den Kategorien lediglich die Substanz, selbst ohne Nennung der
übrigen neun, kurz erläutert, dabei aber noch schärfer, als wir so eben
252) Bei Hattemer p. 474 a.: Est hoc alterius negotii. Taz ist anders uuar
zelerenne , samo so er chatle, lis mine melaphisica (s. Boelh. p. 230.), dar lero «A
tih iz. Aber boetius saget iz füre in, in stcunda edilione etc. (d. h. Boelh. p.
326.). Auch jene Figuren, durch welche bei Boethius die Lehre vom Urlheile
versiunlicht wird (Absclin. XII, Anm. 113 ff.), fehlen hier nicht (p. 479. 492 IT.),
iiod zwar verzichtet bei denselben der Verfasser auf den Gebrauch der deulschen
Sprache.
253) Ebend. p. 465.: Aristoteles sreili cathegorias , chunl zetuenne , uuaz einluzziu
uuorl pezeichcnen (vgl. ob. Anm. 149 ff. 159. u. 242. u. sogleich unten Anm.
2ö6.); nu uuile er samo chunl keluon in perierminiis , uuaz zesamine gelegiliu bezeichenen,
an dien verum unde falsum fernomen uuirdet; tiu latine heizent proloquia;
an dien aber neuueder uentomen neuuirdel, tiu eloquia heizent (die Quelle
dieser Terminologie s. b. Marc. Capella, Abschn. XII, Anra. 51., und b. Augustin,
ebend. Anm. 33. j; lero uersuiyet er an disemo buuche, Uuanda ouh proloquia yeikeiden
sint, unde einiu heizent simplicia, dar ein uerbum ist, ul liomo uiuit , anderiu
duplicia, dar zuei uerba sint, ut homo si uiuil Spiral, so leret er hier sim
plicia, in lopicis lerel er duplicia. Föne simplicibus uuerdent praedicatiui syllogismi,
föne duplicibus uuerdent conditionales syllogistiii (die Quelle hievon b. Boelh.,
Abschn. XII, Anm. 112.). JVoA peri ermeniis sol man lesen prima analitica, tar er
beidero syllogismorum kemeina regula sylloyislicam heizet ; tara nah sol man lesen
secunda analitica, lar er sunderigo leret praedicaliuos syllogismos , tie er heizet
apodiclieam (auch wer nur oberflächlich die Analytiken selbst angesehen hätte, könnte
so M cli nicht ausdrücken); zeiunyisl sol man lesen topica, an dien er ouh sunde
rigo lerel conditionales, tie er heizet dialecticam. Tiu parles heizent samenl loyica.
JVu uernim uuio er dih leite zuo dien proloquiis (auch im Commentare selbst er
scheint häutig proloquium neben der Terminologie des Boethius).
254) 'Aus einer Zürcher Handschrift herausgegeben von Wackernagel in Haupt
u. Hoffmarin, Altdeutsche Blätter II, p. 133 ff. und von Hattemer a. a. 0. p. 537
-540
255) Bei Hattemer p. 537.: Quot sunt parles logicae? Quinque secundum Arislotelem,
sexlam parlem addidit arislotelicus Porphirius ; quae sunl : isagoye, cathegofiae,
periermeniae , prima analitica, secunda analilica, topica.
64 XIII. St. Gallen. De parlilms loicae. De syllogismis.
Aura. 253 sahen, die nominalistist'he Auffassung ausgesprochen286);
dann folgt bezüglich der Urlheile 'die blosse Aufzählung der vier Arten
(allg. bej., allg. vern., pari, bej., pari, vern.) aus Marcianus Capella in
der Terminologie desselben25"). Was aber hierauf über die erste und
zweite Analytik gesagt wird, beruht gleichfalls auf jener nemlichen
Stelle des Boelhius , in welcher derselbe die Ordnung der Theile des
Organons bespricht, und desselben Ueberselzung der Analytiken ist sicher
auch hier nicht benutzt258). Endlich die Topik ist ausführlich behan
delt, und zwar völlig nach Isidor (s. ob. Anm. 39), wobei der Verfasser
als Beispiele der einzelnen Topen deutsche Sprichwörter hinzufügte 259).
Die bedeutendste aber unter all diesen Schriften, welche aus St.
Gallen hervorgiengen, ist die Abhandlung „De syllogismis"21*®);
denn wenn sie auch gleichfalls auf einer Compilalion verschiedenartigen
Materiales beruht, so greift hiebei ihr Verfasser mit grösserer Belesenheil
auch nach Dingen, welche nicht ganz auf der Oberflüche der Schulcompendien
Isidor's oder Alcuin's lagen, und ausserdem bewahrt er
darin eine merkwürdige Selbstsländigkeil* dass er auf einen einheilli
ehen inneren Zweck der Logik hinsteuert, dessen Darlegung den Schluss
der Abhandlung bildet. Zuerst wird die Definition des Syllogismus aus
Marcianus Capella (Abschn. XII, Anm. 67) mit Beifügung einiger Worte
aus Isidor's Bhelorik (ob. Anm. 43) angegeben261), wobei schon eine
ziemliche Anzahl von Beispielen in deutscher Sprache zur Verdeutlichung
dient, und nachdem hierauf die Einlheilung in kategorische und hypo
thetische Schlüsse in einer aus Marcianus und Boethius vermischten
Terminologie angeführt ist262), werden aus ersterem (Abschn. XII,
Anm. 63 u. 67) die Bestandteile des kategorischen Syllogismus und
des kategorischen Urlheiles vorgehrachl 203), um hierauf die vollständige
Darlegung der neunzehn Schlussmodi folgen zu lassen, welche aus Apu-
256) Ebend. p. 538 a.: Quid traclatttr in calhegoriis? Prima rerum signißcatio
et quid singulae dictiones significent, utrum substanliam an accidens etc.
257) Ebend.: Quid narratur in periermeniis? S. Abschn. XII, Anm. 64.
258) Ebend. : Quid consideratur in primis analiticis ? Sillogislica quae est
communis regula omnium sillogismorum , necessariorum et probabilium , cathegoricorum
et ippotheticorum, item praedicativorum et conditionatium (sinnlose Verdopp
lung durch Beiziehung der Terminologie des Marc. Capella, s. Abschn. XII, Anm.
67.). Quid tracl-atur in secundis analiticis? Apodictica id est demonstrativ a quae.
demonatrat veritatem , id est necessarios sillogismos.
259) Ebend. p. 538 b — 540 b. Gleichfalls ans Isidor (Anm. 27.) ist copirt,
was Hatlemer ebend. p. 530 f. aus einer anderen Stelle der nemlichen Handschrift
über den Unterschied der Dialektik und der Rhetorik anführt.
260) Vollständig abgedruckt b. Hattemer a. a. 0. p. 541 — 559. (auszugsweise
in Wackernagel's deutsch. Lesebuche I, p. 111 ff.).
261) C. J, ebend. p. 541 a.: Quid sit Syllogismus. Syllogismus graece, latine
dicitur ratiocinatio quaedam indissolubilis oratio .... quaedam orationis catena
et invicta ralio.
262) Ebend. p. 542 D.: Et ex iis videnlur quidam esse qui latine dicuntur
praedicativi, alii autem qui dicuntur conditionales (p. 542 b.). Conslat autem
omnis Syllogismus proloquiis i. e. propositionibus . Aus den hierauf folgenden Wor
ten proloquia dicamus cruezeda, simulier propositiones cruezeda, item proposiliones
pielunga , alii dirunt pemeinunga geht auch hervor, dass jedenfalls Mehrere sich
mit ähnlichen Bearbeitungen der Logik beschäftigten.
263) C. 2, p. 542 b. Nemlich sumpta, illatio , subiectivum, declarativttm. '
XIII. St. Gallen. De syllogismis. 65
lejus (Abschn. X, Amn. 18 ff.) entnommen und mit selbstgemachten
deutschen Beispielen erläutert ist 264). Sodann wird auf die hypotheti
schen Schlüsse übergegangen, und zwar zunächst dasjenige, was bei
Marcianus (Abschn. XII, Anm. 69) sich findet, in ziemlich freier Verar
beitung und mit Einmischung der Terminologie des Boethius vorge
führt265), und erst hieran reiht sich die vollständige Angabe der sieben
Schlussweisen an, welche bei Cicero (Abschn. VIII, Anm. 60) aufge
zählt sind, und deren nähere Erklärung der Verfasser aus des Boethius
Commentar zur ciceronischen Topik entnommen und gleichfalls mit deut
schen Beispielen versehen hat 266). Nun aber fand sich ja bei Isidor
(ob. Anm. 43) auch noch ein Syllogismus rhelorum, und mit Anknüpfung
an das dort Gesagte wird hier Gelegenheit genommen, ausführlicher auf
die rhetorische Lehre hinüberzublicken, indem mit ausdrücklicher Ver
weisung auf Cicero (d. Inv. I, 36, s. Ahschn. VIII, Anm. 59) an Einem
ebendort sich findenden Beispiele die rhetorische Schlussweise erläutert
wird267). Aber sogleich bemüht sich der Verfasser, diese Art des Syl
logismus, insoweit er der Form der Bewahrheiliing genügt, auf den
kategorischen Schluss zurückzuführen , indem er wieder an der Hand
des Boethius auf die einfachen Bestandtheile der Syllogismen überhaupt
hinweist268) und hieran Erklärungen über das Urlheil anknüpft269).
Und nachdem hierauf über einige mit Syllogismus sinnverwandte Begriffe
etymologische Erörterungen sich anreihten, welche entweder direct aus
Isidor oder aus dem sog. Glossarium Salomon's (ob. Anm. 185) und
theilweise auch aus Boethius genommen sind270), wird in Anbetracht
der Ciceronischen Topik näher auf den Unterschied zwischen Dialektik
und Apodiktik eingegangen271), welcher mit jenem zwischen hypothe-
264) C. 3—8, p. 543—547.
265) C. 9—12, p. 548 f. Der Sprachgebrauch des Marcianus wird dabei
als eigene Terminologie aufgefassl, nemlich: propositio, assumplio, conclusio.
266) C. 13, p. 550—553. Die Quelle hievon ist tioelh. ad Cic. Top. V, p.
831 ff.
267) C. 14, p. 553 a. : Transeunt vero syllogismi et ad rhetores tarn latiores
et diffusiores facli Worum exempla sunl apud Ciceronem in libris Rhetoricorum.
Das ciceronische Beispiel von der Weltregierung (d. Inv. I, 34, 59.), welches
übrigens auch bei Jtoelh. d. cons. plnl. l, p. 958. eine Rolle spielt, wird hernach
ebenfalls in deutscher Sprache ausgeführt.
268) Ebend. p. 554 a. : Prai'dicalivus est ille Syllogismus aut condilionalis ?
Plane ergo praedicativus est nam et omnes partes syllogismorum , sive
propositio sive approbatio sive sumplum sive illatio sire conclusio sive ut alii dicunl
complexio (s. Ahschn. VIII, Anm. 59.) aut confeclio , communi nomine enuntiatio
vocanltir (s. ebend. Anm. 45.). Die Quelle dieser Reduction auf den einfa
chen Satz isl Boeth. ad Cic. Top. V, p. 823.; vgl. auch Abschn. Xlt, Anm. 131.
u. 140.
269) Ebend. : Est anlem enuntiatio oratio verum aul falsuni siqnificans ....
hvius species sunl affirmatiu et negatio (Abschn. XII, Anm. 111); hierauf folgen
deutsche Erörterungen über assumptio . illatio, conclusio.
270) C. 15, p. 555 a. : Nemlich über ratiocinari, disputare , iudicare, experimentum
, und : argumentum dicitur , ut Boetio (ad Cic. Top. p. 763.) placet , quod
rem arguil i. e. probat,
271) C. 16, p. 55H a.: Quaerendum autem mugnopere esl , quare Cicero dialeclicam
in ypotheticis tanlum consliluerit syllogismis .... Est enitn medius inter
Aristotelem et Stoicos (hat etwa hieraus J. v. Ära -jene obige Notiz, Amn. 241.,
l'KANii., Gesch. U. 5
66 XIII. St. Gallen. De syllogismig.
tischen und kategorischen Schlüssen zusammentreffe, eben darum aber
in dem Einen Zwecke der Auffindung der Wahrheit sich zu einer höhe
ren Einheit auflöse, denn durch die Meisterschaft des Schiiessens werde
alle menschliche Wahrheit erfahren, wahrend man das transscendente
Göttliche ohne solche Kunst vernehme272). So kann der Verfasser,
dessen Anschauung uns schon hiedurch ebenso deutlich als erfreulich
an Scotus Erigena (Anm. 111 — 120) erinnert, für das Gebiet des dies
seitigen menschlichen Wahrheitsstrebens eine einheitliche Definition der
Logik aussprechen, in welcher Dialektik „oder" Apodiklik ihr Wesen
habe, und er drückt dasjenige, was er bei Boelhius (Abschn. XII, Anm.
76) vorfand, präciser und stärker aus, wenn er ähnlich wie Scotus
sagt, die Logik sei die Wissenschaft des Reurtheilens oder Disputirens273),
denn die Macht der Form, welche in den Syllogismen jeder
Art erscheint, ist ihm das Entscheidende, in welchem alle innerhalb
der Logik auftretenden Unterschiede zusammenlaufen274); hingegen die
Rhetorik, welche bloss dem Wahrscheinlichen, nicht aber der Wahr
heit diene, liege deshalb auf einem anderen Gebiete, während das all
umfassendste Gemeinschaftliche der Wortausdruck (verburn) sei, in
welchem sich sowohl der philosophische sermo als auch die rhetorische
diclio bewegen müsse 275). Eben darum aber ist dem Verfasser jener
nominalistische Standpunkt, welchen wir bei Scotus trafen, völlig der
geschöpft ?) Propterca Boelius Arislotilem in lliopicii dialecticam el in secundis
analiticis apodiclicam docuissc le Statur , d. h. das Ganze isl aus Boeth. ad Cic.
Top. l, p. 760 f. entnommen, woselbst eine weitere Ausfühnmg des in Abschn.
XII, Anm. 77. erwähnten Standpunktes sich lindet.
272) C. 17, p. 557 b. : De potenlia disputandi , i. e. Föne dero mähte des
uuissprachonis. Si ergo salis intellectum est, omnem apodiclicam tonstare in decem
el novem modis syllogismorttm et dialeclicam in septem modis sylloyismortim, non
sil dubitandum, totam earum utililatem esse in invenienda veritate. Übe niunzen
sloz apodiclicae unde sibcniu dialecticae uuola gelirnet sin, so uuizin man dar mite,
daz sie nuzze sint, alla uuarheit mit in ze eruarenne. U um tu enim his constant,
quae in humanam eadunt rationem. AI daz menniskin irratin mugin , taz uuirdil
hinnun guuissot. Divina excedunl humanam rationem, inlelleclu enim capiuntur.
Tiu gotelichin ding uuerdenl keistlicho uernomen ane disa mcisterskaß.
273) C. 18, p. 557 b. : Quid sit dialectica tel apodictica. Ergo diffinienda
est dialectica sive apodictica, ....possunt enim unam el eandem suscipere diffinii
Kim' in in Im in' modum Dialectica esl sive apodictica iudicandi perilia vel «I
nlii dicunt disputandi scienlia (eben dieses flndet sich ja auch bei Scotus, ob.
Anm. 112.). Meister&kaft chiesennes unde rachonnis, laz ist dialectica, taz ist ouh
apodictica.
274) Ebend. p. 558 a. : Prius diximus , quia rn.li n est quae oslendil rem.
Reda skeinit, uuaz iz ist; pidero redo sol man chiesen , übe iz uuesen muge ....
Tara nah mag er rachon, i. e. disputare , ioh uuar raclwn , i, e. raliocinari ....
Ter uuarrachot , ler mit redo slerchil unde ze uuare bringet, taz er chosot
t'd d n errihlel unsih allis , tes man slrilel. Ter dia chan uinden. der ist iudex, ler
isl rationator, ter ist dispulator , ler ist argumenlator , ler ist dialecticus, der ist
apodiclicus et syllogisticus.
275) C. 19, p. 558 b.: Ntc parum hoc attenlendum est, quanlum intellectu
quaedam dislant, quae simili modo solent inlerpretari , ul sunt: tierbum, sermo,
diclio — Quae si unum significarenl , nequaquam sermo darelur philosophis , diclio
vero rhetoribus , ut auctmcs doccnt (d. h. Isidor, s. oben Anm. 27.); nam et Aristoliles
dialeclicam, quae interpretatur de dictione , ad rhelores Iraxit el voluil eam
esse in argumentis rhetoricis, i. e. probabilibus, quae ille iudicavil esse (die Hand
XIII. St. Gallen. De syllogismis. Franco. 67
selbstverständliche , denn der Unterschied zwischen Wahr und Falsch,
d. h. der Gegenstand aller logischen Beurtheilung oder Erörterung, kann
nur in menschlichen Urtheilen auftreten, und auch die Prädicamente
sind eben nichts Weiteres als Aussagen 276). — Wohltlniend ist es uns
jedenfalls , hier einem Autor begegnet zu sein , welcher weiss , was er
will, und es steht uns diese Schrift unendlich höher als die zwecklosen
und peinlichen Spielereien eines Gerben oder eines Anseimus; auch
wäre es wohl schwerlich zu den „Beweisen für das Dasein Gottes"
gekommen, wenn man im Allgemeinen jene Besonnenheit bewahrt halle,
die Meisterschaft des Schliessens wohl allseitig in dem uns Wahrnehm
baren zu üben, hingegen das unmittelbar Göttliche dem gläubig from
men Sinne zu überlassen. — Uebrigens müssen wir auch hier gleich
falls darauf hinweisen , dass der Verfasser dieser Abhandlung die von
Boethius angefertigte Uebersetzung der Analytiken nicht gekannt haben
kann, denn sowie er überhaupt eine grössere Belesenheit als Andere
zeigt, würde er wohl gewiss die neunzehn Modi nicht aus Apulejus
geschöpft haben, wenn ihm die aristotelische Syllogistik selbst zugäng
lich gewesen wäre, noch auch würde er bei seinem Streben nach in
nerer Einheil der Logik lediglich an jene nemlichen Stellen angeknüpft
haben , welche aus den verbreitetslen Ueberselzungen und Commentaren
des Boethius Jedermann kannte 2").
Aber jener ausgedehnte Betrieb der Logik, wie ihn uns in dieser
Zeit St. Gallen zeigt, dürfte auch wohl eine ziemlich isolirte Erschei
nung sein, wofcrne es nicht etwa bloss der Mangel an Nachrichten ist,
welcher uns zu dem Urtheile veranlasst, dass in der ersten Hälfte des
11. Jahrh. im Allgemeinen eine Unlhätigkeil fn logischen Fragen oder
selbst in Anfertigung von Compendien obgewaltet habe. Ja bei jedem
Schritte unserer Untersuchung müssen wir die Möglichkeit im Auge
behalten, dass Manches, was vorhanden war, unserer Kenntniss gänz
lich entrückt sei, wenn auch zugegeben werden mag, dass Erschei
nungen von gröss.erer Bedeutung schwerlich ganz spurlos entschwunden
wären, und dass ein gänzliches Stillschweigen aller Quellen kaum denk
bar sei, wenn wirklich in weiterer Verbreitung das Gebiet der Logik
eine Bearbeitung gefunden halte.
Ungefähr aus der Mitte des 11. Jahrb. haben wir die Notiz, dass
ein Scholasticus Franco in Lüttich (um d. .1. 1047) eine Monographie
über die Quadratur des Zirkels (vgl. ob. Anm. 191 u. 251) in Anknüschr.
bat non esse) discerncnda a necessariis argumentis , de quibus ftunl ypothetici
syllogismi et Iota dialcclica, ut Cicero damit (s. Boelk. ob. Anm. 271.) Dignior
est namque sermo et gravior , ut sapientes decet, dictio humilior esl et plus communis
dala rheloribus. Verbum autem mmium est.
276) Ebend. : Et in interprelando proprie sermo (vgl. Anm. 321.) saga dicittir,
sie et enuntiatio, quae similiter philosophis tradita esl et disputanlibus neccssaria
est, quia inest ei scmper verum aul falsum Praedicare autem est, inquit Boetius
(p. 127.), nliquid de aliquo dicere, i. e. eteuuaz sagen föne eteuuiu; unde
et praedicamentum dicitur et praedicatio, einis tings keiprocheni föne, demo andermo.
277) Es scheint, dass in solchen Fällen der Beweis aus dem Stillschweigen
völlig schlagend sei und darum sehr bestimmt verstärkend zu dem allgemeinen
Umstände hinzutrete, dass überhaupt keine einzige positive Spur einer Benützung
jener aristotelischen Schriften sich zeigt.
5*
68 XIII. Othlo. Damiani. Die Rechtswissenschaft.
pfung an die betreuende Stelle des Boethius verfasste 278), und etwa
aus derselben Zeit können wir wenigstens das Geständniss eines Kimneraner
Mönches Othlo (geb. um 1013, gest. in Regensburg um 1083)
anführen , welches dahin lautet, dass es einige so eingefleischte Dia
lektiker (dialeclici ita simpiices) gebe, welche an alle Worte der hei
ligen Schrift den dialektischen Maassslab anlegen und dem Boethius mehr
glauben als der Bibel selbst279). Aus letzterer Klage aber muss man
schliessen , dass obige Verwarnung Fulbert's (Anm. 237) nicht bloss
von einem Berengarius inissachtet wurde, sondern dass von mehreren
Seiten die Dialektik in theoretisch -dogmalischen Fragen als Prüfstein'
bezeichnet wurde280). Hingegen blieb, wie sich von selbst versteht,
die Mehrzahl dem ursprünglichen Standpunkte des christlichen Mittel
alters gelreu, und es mag, da wir nunmehr in eine Zeit der Kämpfe
eintreten, darum nur beispielsweise erwähnt werden, wie Petrus Da
miani (geb. 1006, gest. 1072) der Dialektik den Beruf zuweise, als
fromme Magd im Dienste der Kirche zu stehen und ihrer Gebieterin
demüthig auf dem Fusse zu folgen 281), wobei allerdings Damiani's gläu
bige Seele noch keine Ahnung davon hal, dass auch dieser Dienslbole
den Diensl kündigen und sich einen eigenen Herd gründen könne.
Ehen aber in der zweiten Hälfte des 11. Jahph. traten Momente
der Kulturgeschichte auf, durch welche innerhalb der sich gleichbleibenden
logischen Schullradilion eine frischere Bewegung und selbst eine heftige
Erneuerung älterer Parteigegensätze herbeigeführt wurde. Zwei Seiten
sind es, von welchen her sich auf verschiedene Weise und in sehr
verschiedenem Grude ein Einfluss auf die Logik geltend macht, denn
die eine derselben können wir hier vorerst nur in leisen Anfängen er
blicken , um bei ihrem späteren stärkeren Auftreten wieder hieran an
zuknüpfen, während die andere sofort mit aller Macht sich erhebt und
278) Sigebert Gembl. Cltran. ad ann. 1047 b. Perlz, Man. VIII, p. 359.: Francs
scholaslicus Leodicensium et scientia litlerarum et worum proWale clarct , qui ad
Herimannum archiepiscopum scripsit librum de quadratura circuli, de . qua re Aristo
teles (b. Boeth. p. 165.) ait: circuli quadratura, si est scibile, scienlia quidem nun
est, illud vero scibile esl.
279) Othlo d. Iribus quaesl. b. Pez, Thes. Anecd. III, 2. p. 144. : Peritos autem
dico magis illos, qui in sacra scriptura, quam qui in dialectica sunl inslructi; nam
dialecticos quosdam ita simpiices inveni, til omnia sacrae scripturae dicta iuxla dialecticae
auctoritalem conslringenda esse decernerent , magisque Boetio quam sanctis
scriploribus in plurimis diclis crederent; unde et eundem Boetium seculi me reprehendebant,
quod personae nomen alicui nisi subslantiae rationali adscribercm etc.
280) Denn abgesehen davon, dass in den verschiedenen theologischen Schrif
ten Othlo's die Abendmahlst'rage nicht speciell besprochen wird und daher die
Polemik gegen die Dialektiker schwerlich sich auf Berengar bezieht , ist ja in der
eben angeführten Stelle von persönlichen Begegnissen die Rede, welche Otblo als
Folge einer allgemeinen Zeitrichtung bezeichnet.
281) Petri Damiani Opp. ed. Caietani, Par. 1743. fal. III, p. 312.: Haee
plane, quae ex dialccticorum vel rlietorum prodeunt argumentis, non fädle divinae
virtutis sunt aptanda mysteriis, et quae ad hoc invenla sunt, ul in syllogismorum
instrumenta prfßciant vel clausulas dictionum, absit ul sacris legibus se pertinaciter
inferanl et divinae virtuti conclusionis suae necessitates opponant. Quae tarnen arlis
humanae peritia , si quando tractandis sacris eloquiis adhibetur, non debet ius
magislerii sibimet arroganter arripere , sed velut ancilla dominae quodam famulatus
obsequio subsenire, ne , si praecedit, oberrel etc.
XIII. Die Rechtswissenschaft. Papias. 69
den Entwicklungsgang auf längere Zeit bedingt. Diese beiden Seiten
aber sind die Jurisprudenz und die theologische Dogmatik.
Wenn nemlich die Rechtspflege an sich schon überhaupt eine Hin
weisung auf dialektisch-rhetorische Praxis enthält , so ist es erklärlich,
dass zu einer Zeit, als in Italien eine Erneuerung der Rechtswissen
schaft eintrat und die Entstehung von Rerlitsschulen begann282), nun
ein grösseres Gewicht auf praktische Logik fiel , d. h. allerdings auf
eine Logik, welche von der Rhetorik sich kaum unterscheidet, aber in
der Lehre von der Argumentation und in der Topik dem üblichen lo
gischen Schulmateriale verwandt bleibt. Sowie wir selbst für unseren
hiesigen Zweck schon früher (Abschn. VIII, Anm. 52 u. 68) aus den
Pandeklen Quellenslellen entnehmen konnten, so scheint andrerseits das
Studium der Grammatik und Rhetorik in Italien eine ununterbrochene
Verbindung mit juristischen Materien bewahrt zu haben 283), und wenn
wir auch die litterarische Anekdote, dass das ganze Rechtsstüdium zu
Bologna seinen Anfang aus einer grammalischen Erklärung des Wortes
„As" geschöpft habe284), gerne bei Seile lassen, so war doch jeden
falls der juridische Unterrichl, welcher durchaus nichl der ausschliesslichen
Heranbildung von Klerikern diente, damals ursprünglich an den
üblichen Detrieb der artes liberales geknüpft gewesen 285). Den schla
gendsten Beleg hiefür finden wir an dem Grammatiker Papias (um
1060), welcher in seinem encyclopädischen Vocabularium eine ansehn
liche Menge juristischer Worte und Begriffe in grösserer oder geringerer
Ausführlichkeit bespricht286) und in den die Logik betreffenden Wort
erklärungen oder längeren Artikeln, welche er sämmtlich aus der da
mals bekannten Schul-Litleralur entnimmt287), uns durch eine einzelne
282) S. Savigny, Gesch. d. Rom. R. im Mittelalt. IV, p. l ff, u. Giesebrecht,
D. litt. slud. ap. Italos. Berol. 1845. 4.
283) S. Merkel, Gesch. d. Langobardenrechts (Berl. 1850) p. 13. u. 46., u.
Lachmann , Versuch üb. d. Dositheus. Berl. 1837. 4.
284) Hosliensis, Commenl. in Dccret. libr. bei Savigny a. a. 0. p. 19.
285) S. Giesebrecht a. a. 0. , welcher (p. 19.) aus Wippo's Panegyricus auf
Heinrich IIL (gest. 1056) folgende Verse anführt: Tune . fac edictum per terram
Teulonicorum , Quilibet ut dives sibi natos instruat omnes Litterulis legemque suam
persuadeat illis, Vt mm principibus plaeitandi venerit usus, duisque suis libris
exemplum proferat illis Hoc servant Itali posl prima crepundia cuncti , El sudare
schnlis mandatur tota iuventus ; Solis Teutonicis vacuum vcl turpe videlur,
Ul doceant aliquem, nisi clericus accipiatur.
286) Papias Vocabulista. Venet. 1496. fol. (nicht paginirt). Die juristischen
Begriffe sind: Accessio , Aclio, Aequitas, Aes alienum , Agnali, Arra, Arbiter, Konorum
possessio , Capitis diminutio , Casus, Causa, Codicillus, Communi dividundo,
Contractus , Dolus , Edictum, Emancipare , Emphyleusis , Emptio venditio , Falcidia
lex , Fideicommissum , Fundus, Haeres, Haereditas, Interdictum, ludicium, lus
(ausführlich), lustitia, Leges (ebenso), Liber, Mancipi res, Manumissui, Municipes,
Mutuari, Necmancipi, Notar, in libris »tiris, Noxa, Paterfamilias , Peculatus , Pos
sessio, Puberes , Heus, Stipulatio , Testamenta iuris civilis (ausführlich), Usucapio:
(Diese Seite des Papias ist, soviel ich weiss, für die Litterargeschichte der Ju
risprudenz noch nicht benutzt worden.)
287) Die Worterklärungen aus der Logik (Accidens , Ad aliqfiid, Aßrmare,
Anasceue, Apodixis , Apophasis , Argumentatio , Axioma, Calasceue , Conclusio, Defnitio
, Dialeclica, Differentia, Enthymema , Enunliativa, Equivoca, Essentia, Genus,
Höhere, Habitui , Hysagoga, Hypothelici syllogismi, Individuum, Inductio , Logica,
70 XIII. Papias. Lanfrancus.
Bemerkung neuerdings den Beweis liefert, dass man in jener Zeit auch
in Oberitalien die Analytik des Aristoteles nur vom Hörensagen kannte 288).
Eben aber mit einer solchen Verbindung grammatischer, rhetorischer,
logischer und juristischer Schulkenntnisse, wie sie I'apias zeigt, hängt
es zusammen, dass er in einem eigenen Artikel auch die „Epislolae
formatae" bespricht 289) und so auf die sogenannten Formelbücher (s.
sogleich unten Anin. 295) hinüberweist. Mit «II diesem nun steht es
in offenbarem Einklänge, wenn sowohl ein gleichzeitiger Bericht über
jene ersten Keime einer Rechlsschule sich in Ausdrücken bewegt,
welche uns direct an die gewöhnliche Schul-Logik erinnern290), als
auch wenn an zwei hervorragenden Männern jener Zeit, an Lanfran
cus und Irnerius, sich gleichsam eine Personal-Union der Dialektik
und der Jurisprudenz zeigt. Denn dass Lanfrancus (geb. um 1005,
gest. 1089), auf welchen wir alsbald wieder zurückkommen müssen,
die ersle Hälfte seiner Thätigkeit vor dem Ausbruche des Abendmahl
streites hauptsächlich dem Rechtsstudium in ausgedehnter und erfolg
reicher Weise zugewendet habe, ist eine unbestreitbare Thatsache 291),
wenn auch eine directe Verbindung, in welche er sogar mit Irnerius
selbst gebracht wird, aus chronologischen Gründen undenkbar ist292);
Nomen , Omonymn , Oratio , Propositio , Proprium , Qualilas , Quando , Quanlitas,
Raliocinatio , Syllogismus, Synonima, Soplrisma, Species , Substantia , Vnivoca,
Vox) sind sämmtlich aus Isidor oder Boethius excerpirt; höchstens könnte hervor
gehoben werden, dass bei Calegoria Papias die mehr nominalistische Auffassung
auswählt: Categuriae graece, latine praedicamenta dicuntur, quibus per varias significaliones
omnis sermo conclusus est.
288) Er erklärt nemlich : Analetica (vgl. folg. Abschn. , Anm. 23.) i. e. resolutoria,
quod esl medium Volumen commenti super Periermenias , appellavit Boetius,
ubi omnes syllogismi rhetoricae arlis resolvuntur. Ausser diesem Unsinne etwa auch
noch: Elenchorum, titulus libri cuiusdam Aristotelis.
289) Formalae epistolae a sanctis cccxvm patribus in Nicaeno consilio conslilutae
feruntur , u. s. w (eine Folio-Seite hindurch).
290) Nemlich der so eben erwähnte Damiani sagt in seinem Sendschrei
ben De parentelae gradibus (Opp. III, p. 89 ff.) von seinen Gegnern (prooem.
p. 89.): Ex quibus nimirum verbis (d. h. lustin., Inslil. I.) inducloria quacdam
colligebant argumenia, ferner (c. l, p. 90.): interrogentur igilur qiti in Iribitnalibus
iudicant , qui causarum negotia dirimunt, qui scrutandis legum decretis insistunt,
utrd insbsondcre (c. 6, p. 92.): cumque in astruendis propriis allegationibus saepius
verba haec iterarent, deinde ratiocinando , assumendo, colligenda, mullimoda
cavillationum argumenta compnnerenl, sowie auch (c. 7, p. 92.): quidam promptulus
cerebrosus ac dicax, scilicet acer ingenio, mordax eloquio, ve/temens argumento,
Florenlinus puto, verbis me insolenter urgebat. Aehnlich auch D. grad. cogn. c. 2,
p. 9b. : Super quo nimirum nonnulli doclorum diversa a st ini'icem senlienles longis
argumentationibus disputant.
291) Milo Crisp. Vita Lanfr. c. 11. b. Mabill. Acta Bened. IX, p. 639.: Ab
annis puerilibus eruditus esl in scholis liberalium artium et legum secularium ad
suae morem palriae. Adolescens orator veteranos adversantes in actionibus causarum
frequenler rericit torrente facundiae accurale dicendo; in ipsa aetale sententias depromerc
sapuil, quas gratanter iurisperiti aut iudices vel praetores civitatis acceptabant.
Meminit horum Papia (d. h. seine Vaterstadt Pavia). AI cum in exilio philosopharelur
, accendit animum eius ditiinus ignis , et illti.nl cordi eius amor terae
sapientiae. Mehreres speciell Juridische s. b. Merkel a. a. 0. p. 14. u. 46 f.
292) Robert de Monte aucl. ad chron. Sigeb. Gembl. ad ann. 1032. b. Pertt,
Monum. VIII, p. 47S. : Lanfrcfncus Papicnsis et Garncrius socius eius reperlis apud
Bononiam legibus romanis, quas Justinianus emendaverat, his, inquam, repertis
XIII. Irnerius. Formelbücher. 71
jedenfalls aber ist ihm, wie aus den Berichten hervorgehl, die nemliehe
dialektische Gewandtheit, welche er später gegen seine theologi
schen Gegner beurkundete, auch schon damals zur Seite gestanden.
Irnerius aber (seine Bliithezeit fällt zw. 1100 u. 1120), dessen Auf
treten bekanntlich für die Bologneser Bechtsschule den Uebergang von
der ersten Keimperiode zu reicherer Entfaltung bildet, wird in den
Glossen des Odofredus ausdrücklich als „Logiker" bezeichnet, und aus
dem Umstände, dass er vorher Lehrer der freien Künste gewesen sei,
wird eine übertriebene Spitzfindigkeit, welche in seinen Glossen sich
gefunden habe, erklärt293). Da aber Irnerius auch ein Formularium
verfasste294), so müssen wir hieran die vorläufige Bemerkung knüpfen,
dass eine eigene ausgedehnte Lilleratur entstand, welche der Nolariatskunst
und Notariatspraxis diente und fortan eine Verbindung der übli
chen Schul-Rhetorik mit juristischen Stoffen lebendig erhielt. Und wenn
nun diese „ K ormelbüch e r" 2!)5) allerdings damals noch durchaus
keinen nachweisbaren Einfluss auf die Logik selbst ausüblen, und die
„Praktiker" noch nicht eine Anerkenntniss ihrer Berechtigung betreffs
der Logik beanspruchten, so liegt doch hier der Keim einer Tendenz
vor, welche Jahrhunderle hindurch ihre eigenen Wege wandelte und
dabei sich weit mehr auf ciceronisch-rhetorische Dialektik, als elwa auf
das aristotelische Organon hingewiesen sah. Daher wir schon hier es
als dereinstiges nicht unerwartetes Resultat andeuten dürfen, dass später
die rhetorischen Praktiker sich dem Sturmlaufen gegen die aristolelischscholastische
Logik anschliessen werden. Ja, es ist schwerlich eine
ganz zufällige Redensart, wenn schon ein Autor gegen Ende des 11.
Jahrb., und zwar ein Mailänder, gelegentlich den Aristoteles und den
Cicero mit den Ausdrücken „Labyrinth" und „Palast" einander gegen
überstellt296).
operam deilerant eas legere et aliis exponere. Sed Garnerius in hoc persevcravit,
Lanfrancus vero disciplinas liberales et litteras divinas in Galliis mullos edocens
(ändern Beccum venit et ibi monachus factus est. Vielleicht jedoch ist das chrono
logische Bedenken, welches Savigny a. a. 0. p. 21 f. erhebt, überhaupt unn&thig,
wenn wir bei ,,socius" nicht an persönlichen Verkehr denken, sondern es gleich
sam mit „juristischer Gesinnungsgenosse" übersetzen.
293) Odofr. (Codex) in L. M. C. de in int. restit. minor. (2, 22.): Or, segnori,
plura non essenl dicenda super lege ista ; dominus tarnen Irnerius, quia loicus
fuit, et magister fuil in civitalc isla in arlibus , antequam doceret in legibus, fecit
unam glossam sophisticam, quae est obscurior quam sil lexlus. Und (Cod.) in
Aulh. „qui res" C. de SS. eccl. (l, 2.): Et dcbetis scire vos, domint, sicut nos
fuimtis inslructi a nostris maioribus, quod dominus Yrnerius fuit primus, qui fuit
ausus dirigere cor suum^ad legem islam; nam dominus Yrnerius erat magister in
artibus, et Studium fuil Ravennae et, collapsa ea, fuit Studium Bononiae, et do
minus Yrnerius studuit per se sicut potuil, poslea coepit docere in iure civili, et
ipse fecit primum formularium , i. e. librutn omnium instrumenlorum etc. (angeführt
bei Savigny).
294) Näheres b. Savigny a. a. 0. p. 62 f.
295) S. Merkel a. a. 0. p. 33. , und vor Allen L. Rockinger, Ueber Formel
bücher v. 13. bis z. 16. Jahrb. München 1855. 8., bes. p. 36 ff. u. p. 56.
296) Arnulf, Gesta archiep. Medial. I, l, b. Pertz, Hon. X, p. 7 : Non mihimet
ipse confido, quem exilis ingenii adco paupeftas angustat , ut difficilis mihi
videatur Aristolelici laberinthi ingressus, laboriosus valde Tuliani palacii accessus ;
fateor me nunquam conscendisse curules quadrivii rotas.
72 XIII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus.
Entschiedener aber, wie gesagt, äusserten theologische Streitig
keiten, welche damals über das Abendmahl geführt wurden, einen directen
Einfluss, und jene Parteispaltung betreffs der Logik, welche wir schon
am Schlüsse des 9. Jahrh. oben trafen, erhält nun gegen das Ende des
11. Jahrh. einen schärferen Hinlergrund durch speciell dogmatische
Anschauungen, wobei die weitere Entwicklung sich um so eigentüm
licher gestalten muss, je mehr das eigentlich logische Interesse, wie
schon bemerkt wurde (oben S. 36 f.), gerade dem Nominalismus näher
stand, als dem christlichen Realismus. Den dogmatischen Inhalt jener
Kämpfe lassen wir hier, wie sich von selbst versteht, als einen völlig
gleichgültigen gänzlich bei Seite, und betrachten nur das formell dialek
tische Moment.
In dieser letzteren Beziehung ' aber war es vor Allen Fulbert's
Schüler, Berengarius (geb. 998, gest. 1088), welcher seit d. J.
1031 als Scholasticus in Tours docirte und dabei den Muth halte, auf
dem Gebiete des Wissens sich jeder Auctorität, mochte sie sein welche
sie wollte, zu widersetzen, indem er gegenüber aller Tradition, auch
selbst der grammatischen und logischen 297), nur die .selbsteigene Kraft
der Denkfunctinn als den ausschliesslichen Maassstab der Wahrheit an
erkannte; denn jener Grundsalz, welchen er später in seiner Vertei
digungsschrift gegen Lanfrancus aussprach, muss ihm schon früher als
der richtige vorgeschwebt sein, der Grundsatz nemlich, dass einzig und
allein die Dialektik die Form der Vernunft sei, und während Berengarius
in ähnlicher Weise wie Scolus Erigena einen Zusammenhang der Dia
lektik mit der göttlichen Weisheit zugesteht, beruft eben darum auch
er sich auf Augustin's Ausspruch (Abschn. XII, Anm. 18) und erklärt
nun mit aller Entschiedenheit, dass gerade bei Benützung heiliger Auctoriläten
das rationelle Verfahren (rottone agere) unvergleichlich höher
stehe 298). Hingegen umgekehrt im Dienste der dogmatischen Auctoritäl
trat eben um dieselbe Zeit die Dialektik bei Lanfrancus auf, welcher,
nachdem er Pavia verlassen und die dortige juristische Thätigkeit (ob.
Anrn. 291 f.) aufgegeben hatte, zuerst (im J. 1040) in Avranches und
dann seit 1043 im Kloster Bec in der Normandie als Scholasticus wirkte.
297) Adelmanni Epist. (s. ob. Anm. 235.) p. 31.: Aiunt te novilatum caplorem
.... adeo ul Priscianum, Donalum, Boethium prorsus contemnas.
298) Bereng. d. sacr. coena , ed. A. G. et F. Th. Vischer, Berol. 1834, p.
100 f.: Quod relinquere me , inquio ega , sacras aucloritates non dubilas scribere,
manifestum fiel divinitate propitia , illud de cahimnia scribere le , non de verilate,
ubi deducendi sacras aucloritates in medium necessilale inde agendi locus accurrerit
, quanquam ralione agere in perceptione veritatis incomparabiliter superius esse,
quia in evideitli res est, sine vecordiae coecilate nullus negaverit Verbis dialeclicis
ad manifestationem veritatis agere non erat ad dialecttcam confugium confugisse,
a qua ipsam dei sapientiam et dei veritatem video minime abhorrere (vgl.
Anm. 305.), sed suos inimicos arte revincere Maximi plane cordis est, per
omnia ad dialcclicam confugere, quia confugere ad eam ad rationem est confngere,
quo qui non confugit, cum secundum ralionem sit factus- ad imaginem dei, ~suum
honorem reliquit, nee polest renovari de die in diem ad imaginem dei. Dialecticam
beatus Auguslinus tanla diffinit'tone dignatur , ut dicat: dialeclica ars est arlium,
disciplina disciplinarum, novit discere, novit docere, scientes facere non solum null,
sed eliam facit.
XIII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus. 73
Seine grosse dialektische Gewandtheit, welche er in theologischer Exe
gese bei jeder Gelegenheit beurkundele 2"), wirkte gleichsam ansteckend
auf seine zahlreichen Schüler300), und es soll sogar ein kleiner logi
scher Verstoss , welchen er dem Berengarius nachgewiesen habe, die
Veranlassung gegeben haben, dass die Schule des Letzteren an Frequenz
abnahm 301). Wie sehr aber Lanfrancus allen logischen Scharfsinn nur
zur Stütze der Orthodoxie aufgewendet habe, zeigt ausser dem Auftreten
in der Abendmahlsfrage ganz besonders sein Elucidarium3®2), denn in
dieser Schrift wird der Inhalt der damaligen Dogmatik in Beweisform
mit vollendetster Consequenz bis auf die extremsten Spitzen hinausgetrieben,
und das logische Moment dient nur dazu, um für alles Mög
liche irgend Gründe oder nähere Bestimmungen bis ins Abstruseste auf
zuspüren 303). Dieser Mann aber nun, welcher so seine Vernunft schlecht
hin gefangen gab, war ganz dazu angethan, als Denunciant und Ketzer
richter gegen Berengarius aufzutreten 304) , da Letzterer bezüglich des
299) Sigeb. Gemblac. d. scriptt. eccl. c. 155. b. Fabr. Bibl. eccl. p. 112.:
Lanfrancus dialecticus et Cantuarensis archiepiscopus Paulum aposlolum exposuit et
ubicungue opportunitas locorum occurrit, secundum leges dialecticae proponit, assumit,
concludit.
300) Guileim. Malmesb. d. gest. reg. Angl. III. h. Savil. Scriptt. rer. Angl. Land.
1596. fol. 61 b. : Lanfrancum, de quo serio dici polest ,,tertius e coelo cecidit
Cato" ... adeo latinitas omnis in liberalium artium scientiam per doctrinam eius se
incitabat. Ebend. d. gest. pontif. I. fol. 116 b.: publicas scholas de dialeclica
professus est .... ezivit fama eius remotissimas latinitatis plagas eratque Beccum
magnum et famosum litteralurae gymnasium ubique discipuli inflatis buceis
dialeeticam ruclabant Ebend. fol. 122 b.: vir cuius industriam praedicabit Cantia,
cuius doctrinam in discipulis eius stupebit latinitas , quantum omnes anni
durabunt.
301) Guitmond (ein Schüler Lanfranc's) d. corp. et sangu. Chr. b. Bibl. patr.
Lugd. XVIII, p. 441.: Postquam a domino Lanfranco in dialectica de re satis parva
lurpiter est confitsus (sc. Berengarius) , cumque per ipsum dorn. Lanfrancum virum
aeque doctissimum liberales artes deus revalescere atque optime reviviscere fecissel,
desertum se iste a discipulis dolens etc. Doch es ist auf solche Berichte nicht
viel zu geben, denn dass Lanfranc's Anhänger in maiorem dei gloriam gelogen
haben können , wird jeder Unbefangene zugeben.
302) Die Schrift ,,Elucidarium sive dialogus summam tolius theologiae complectens"
ist unter den Werken des Anseimus v. Canterbnry gedruckt, wurde aber
schon von Gerberon beanstandet und unter die zweifelhaften Schriften gesetzt, und
nun scheint sie völlig mit Recht der neueste Herausgeber der Werke Lanfranc's,
Giles, gestützt auf die Auctorität mehrerer Handschriften, dem Lanfrancus zuzu
schreiben.
303) Dahin gehören z. B. die Fragen, warum Gott auch Mücken und Wanzen
erschaffen habe (Elucid. I, 12. Lanfr. Op. ed. Giles, Oxon. 1854. II, p. 211.), um
wie viel Uhr Adam aus dem Paradiese vertrieben worden sei (l, 15, p. 214),
warum Gott keinen zweiten besseren Adam geschaffen habe (I, 17, p. 218.), ob
Christus als neugebornes Kind allwissend gewesen sei (I, 19, p. 220.), warum
Gott nichts ungeschehen machen könne (II, 8, p. 224), welche Zahl von Seelen
in den Himmel kommen könne (III, 3, p. 273), in welcher Körperstellung die
Verdammten in der Hölle sitzen (III, 4, p. 275.), wie es bei der Auferstehung des
Fleisches sich mit den Haaren, welche wir abrasiren, und mit den Nägeln, welche
wir uns abschneiden, verhalte, und wie es mit jenen Menschen stehe, welche von
wilden Tbieren gefressen wurden (111, 11, p. 281.), um wie viel Uhr das jüngste
Gericht stattfinden werde (III, 12. p. 282), ob die Seligen nackt seien oder Klei
der tragen (III, 16, p. 287.) u. dgl.
304) Was den persönlichen Charakter Lanfranc's betrifft, so scheint die An
74 XIII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus.
Abendmahles im Hinblicke auf frühere Streitigkeiten seine offene Sym
pathie für jene Ansieht aussprach , welche als die des Scotus Erigena
galt, und hiemit sich als Gegner des Paschasius bekannte. Der Kern
dieser Händel, welche zwischen 1060 und 1070 einen heftigen Schrif
tenwechsel zwischen Berengarius und Lanfrancus hervorriefen, besteht,
soweit er uns nach seiner dialektischen Seile hier interessirt, in Kürze
darin, dass Berengarius erstens überhaupt jene Anschauungsweise,
welche wir als die nominalistische des Scotus Erigena oben trafen , zu
der seinigen macht, und daher ebenso wie jener die Wahrheit der
menschlichen Kundgebung in den Urtheilen und die Festigkeil der Wort
bezeichnung neben dem ontologisch göttlichen Principe der Dinge aner
kennt305), und zweitens dass derselbe diesen Standpunkt nun folge
richtig auch auf die Abendmahlsfrage anwendet, wornach er in den
Worten „Brod" und „Wein" als Worten die adäquate richtige Bezeich
nung des wahren und unveränderlichen Wesens des Brodes und des
Weines erfasst306), so dass jede beliebige Aussage über die beiden
eben schlechthin sinnlos sei, sobald man annehme, dass das substan
tielle Wesen des Brodes und des Weines geändert oder getilgt wäre s07).
sieht, welche Lessing über denselben aussprach, durchaus noch nicht widerlegt
zu sein.
305) Bereng. a. a. 0 p. 104.: Et quidem proposüio vera esl veraeque propositionis
mm suo loco posita oblineret, ; nee eius magis quam, omnium tarn
rerum quam aliarum propositionum verilas apud veritalcm onmia scientis ac praescientis
dei aelcrnaliler conslal, qui et rcs ipsas in principalibus ac secundis essenliis
condidil easque tarn verarum quam falsarum propositionum causas esse disposuit.
H. Ritter irrt sehr, wenn er (Gesch. d. Phil. VII, p. 310.) in Berengarius
einen Realisten erblickt; denn erstens von den Universalien ist bei Bereng. weder
hier noch überhaupt irgendwo eine Rede, und zweitens werden die sogleich fol
genden Stellen deutlich zeigen, dass das Hauptgewicht auf der begrifflichen Festig
keit der menschlichen Worte liege.
306) Ebend. p. 66. : Nomina enim rerum ad di/ferentiam rerum ipsarum quodnmmodo
solitaria dici possunl, verlii gratia pronuntiato nomine quod esl ,,lerra",
solius cst terrac quod auditur, item audito eo quod est ,,panis" ad plura non eril
excurrendum; pronuntiato aulem eo quod est ,,elementum" ad plura itur, nisi,
unde agas , de terra an de aqua aut ceteris , dctermines , et sicut terrae adhibelur
nomen hoc ,,terra",, quo discernatur ab aliis , ila ,,elemenlum". Ebend. p. 75.:
Qui dicit ,,panis aliaris solummodo est corpus Christi", panem in altari esse non
negat, pantm et vinum esse conftrmat in mensa dominica ßolemus enim aliquas
res illarum rerum ex quibus efficiuntur nominibus appellare , quamvis in aliam
naturam translatae iam non possint esse illud , quod sunt res illae, ex quibus probanlur
effectae ac per hoc , cum tarn divcrsae nalurae sint in utrisque , non
rede quis cristallum nivem vocaveril, nisi eo locutionis modo, quo res effccta materiali
solet nomine appellari. Ebend. p. 79.: Qnando enim sit aliquid non per
generationem subiecti de aliquo, non per corruptionem subiecli, sicut de auro annulus,
de aere concha, de marmore pira, de arbore pdries arcus et tabula, iure materiae
nomine appellantur, quod facta sunt de materia, quia non amisil ipsa maleria
formam suam.
307) Ebend. p. 67. : Dum enim dicilur ,,panis et vinum sacramenla sunl",
minime panis auferlur et vinum, et nominibus rerum ila natarum significativis aplatur
nomen, quod non nala sunt ut ,,est sacramenlutn" ; simul etiam esse alind
aliquid minime prohibentur. "Ebend. p. 81.: Omne enim quod est aliinl . est in eo
quod aliquid est, nee polest res ulla aliquid esse, si desinat ipsum esse; et ne
obscurum, quod dico, remaneat, dical aliquis ,,Socrates esl, So'crales iustus esl";
nullo modo Socrates iuslns erit, si Socralem esse non conlingerel. Ebend. p. 84.:
XIII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus. 75
Lanfrancus hingegen, welcher gelegentlich auch zu einer elenden
Sophisterei seine Zuflucht nimmt80*), steht Oberhaupt auf dem Stand
punkte, dass Auctorilälen mein1 gellen als dialektische Gründe 309), und
ihm sowie seinen Anhängern musste nalürlirh eine nominalislische Werlh-
Schätzung der Dialektik verwerflich erscheinen; kurz ein richtiger Instinct
leitete die Gegner eines selbstständigen Auftretens der Logik,
wenn sie die dem Scotus Erigena zugeschriehene Ansicht über das
Abendmahl in eine innere Verbindung mit dem wirklichen logischen
Momente der Philosophie des Scotus brachten, und die Verurtheilung
der Abendmahlslehre des Berengarius enthielt zugleich eine Verurthei
lung jener Logik in sich, welche auf die sulijective Kraft des mensch
lichen Denkens sich stützend in den menschlichen Sprachausdrücken den
festen Gehalt begrifflicher Allgemeinheit erblicken konnte.
Erklärlich aber ist es, d;iss eben hiedurch die lediglich formelle
Frage wieder stärker angeregt wurde, d. h. dass über die Auffassung
der Logik selbst und namentlich über die Begriffsbildung jene Ver
schiedenheit der Ansichten, welche auf Grund des überlieferten Schulmaleriales
schon viel früher zu Tage getreten war, jetzt zum offenen
Streite aufflammte , wobei mit dem entschiedneren Bewusstscin einer
Parteistellung die beiderseitigen Behauptungen durch Herbeischafl'ung von
Gründen gestützt werden sollten. Nemlich auch die Realisten nahmen
Si propositioni illi quae dicit „hie panis est meum corpus", übt subiectus terminus
qui est ,, panis" propria non polest locutione non expendi, stupenda in tua eruditione
vecordia panem deperisse conlendcris sensualem. Elieml. p. 87. : Ubi panem
qui proprie panis appellctur, corpus etiam Christi, scd tropica locutione, quantum
ad eam proposilionem quae cnunliat „panis altaris post conseerationem est corpus
Christi" nulla falsitale dissimulal appeltari. Ebend. p 107.: Repelilo dico: quicunque
negal, posl conseerationem superesse panem et oinum irf mensa domimca, et
tarnen nobis harum quamcunque concedit enuntiationum , ipse sc subvertit, ipse sibi
necessario contrarius existit. Die präciseste Formuliiung ebend. p. 99.: Vbi ego
scripsi „non enim constare poterit affirmatio omnis parle subrula" etc.
308) Nemlich in Bezug anf das so eben zuletzt Angeführte sagt Lanfr. d. corp.
et sangu. dorn. c. 7., Opp. ed. Giles,.\l, p. 161.: Adhuc alio argumento probare
eontendis ... dicens „non enim constare poterit afßrmatio omnis parte stibrula".
Ad cuius rei probationem non oportuit inferri parlicularem negationem, qua de praesenti
quaestione nihil colligitur, sed universalem potius, per quam enunliatur ..inilln
af/irmatio constare poteril parle subrula". Age enim, particularis sit negatio tua
„non omnis affirmatio constare poteril parte subrula", rursus assumplio tua „jianis
et fiinnn allaris solummodo sunl sacramcntum, vel panis et vinum allaris solummodo
sant verum Christi corpus el sanguis, — ulrumque affirmatio est" ; his du/tbus
parlicularibus praecedentibus polerisne regulariler concludere , parle subruta ea non
passe constare? Absil; in nulla qtiippc syllogismorum /igura praecedentibus duabus
parlicularibus consequenter inferlur conclusio ulla; male igilur eam collocasli. D.
h. Lanfrancns verdreht den Satz des Berengarius, welcher doch den Sinn hat:
„Nicht kann die Bejahung in ihrer Totalität bestehen, wenn ein Theil aufgehoben
ist" derartig, als habe omnis die Bedeutung „Jeder", und als wäre hiemil der
Sinn „Nicht jede Bejahung kann bestehen u. s. f."; die zweite Sophisterei, das
Urtheil ,,ulrumque affirmatio esl" ein parliculares zu nennen, hätte sich Lanfr. so
gar ersparen können , da bekanntlich der Schlnsssatz nicht allgemein sein kann,
wenn auch nur Eine Prämisse particular ist. Vgl. auch Bereng. a. a. 0. p. 103 ff.
'309) Lanfr. a. a. 0. p. 160.: Et quidem de mysterio fidei auditurus ac responsurus
quae ad rem debeant pcrlinere mallem audire ac respondere sacras auclorilates,
quam dialecticas rationes.
76 XIII. Parteiung. Albericus. Nominalismus.
ja die übliche Schul-Logik für sich in Anspruch und glaubten, Dialek
tiker nicht bloss sein zu dürfen, sondern auch sein zu müssen; denn
um die volle Tragweite des Realismus überhaupt nur zu erkennen, dazu
war jene Zeit eben zu unphilosophisch ; und balle es damals eine Phi
losophie gegeben, so hätte man nicht gestritten, wie man stritt. Nun
aber hatte man ja Nichts als das überall verbreitete Schulmaterial der
Logik , und das damals noch übermächtige Motiv der blossen Tradition
hinderte auch innerhalb dieses beschränkten Stoffes jeden tieferen selbst
ständigen Blick des" Geistes. Dass aber das benutzbare Material der
traditionellen Logik auch bei dem nun ausbrechenden Streite noch im
mer nicht jene Gränze überschritten hatte, auf deren Vorhandensein wir
schon so oft hinweisen nmssten, d. h. dass man auch gegen Ende des
11. und zu Anfang des 12. Jahrb. die Analytiken und die Topik des
Aristoteles noch nicht kannte, und des Boethius Uehersetzung derselben
noch nicht cursirle, ist uns durch einen jedenfalls bedeutenden Schrift
steller jener Zeit, durch Sigebert von Gemblours, deutlich bezeugt 31°).
In wie weit Albericus von Monte Casino (gest. 1088), welcher
gleichfalls die Lehre des Berenparius bekämpfte, seinen theologischen
Standpunkt etwa auch in seiner Schrift „De dialeclica" beurkundet
habe, wissen wir nicht, da uns lediglich die Notiz, dass er eine solche
verfasste, überliefert ist; bemerkt mag werden, dass er zugleich auch
zu den Schriftstellern der oben (Anm. 295) erwähnten Formelbücher-
Litteratur gehörte 311).
Wohl hingegen zeigt sich uns jene principielle Anschauung, wornach
man, wie gesagt, mit richtigem Instincle den Nominalistnus in
eine Verbindung mit der Lehre des Scotus Erigena brachte, in jener
Stelle eines Chronisten, welche seit Buläus312) oft genug angeführt,
310) Sigebert v. Gemblours (geb. um 1030, gesl. 1112) schrieb, wie er selbst
sagt, erst am Schlüsse seiner übrigen schriftstellerischen Thätigkeit, also wohl erst
gegen 1100, seine Compilation ,,De scriptoribus ecclesiasticis", und wenn er auch
planlos hiebei verfuhr (s. Sigfr. Hirsch, D. vita et scriptis Sigiberti Gemblacensis,
Berol. 1841, bes. p. 335.), so darf er uns doch als treuer Spiegel seiner Zeit
gelten. Derselbe sagt nun dort c. 37, b. Fabric. Ribl. eccl. p. 97., Folgendes von
Boethius : „Laudent eum scculares, quod Isagogas, quod Perihermenias, quod Calhegorias
translulerit de graeco in latinum et exposueril (die Uebersetzung der Analy
tiken und der Topik ist also nicht erwähnt) , quod Topica Ciceronis exposueril,
quod Anlcpraedicamenta (hierunter kann doch nur wieder die Isagoge verstanden
sein, s. Abschn. XII, Anm. 85, welche ja Boethius sowohl nach der Uebersetzung
des Victorinus als auch nach seiner eigenen bearbeitete, jedenfalls aber ist das
erstmalige Vorkommen dieses Ausdruckes zu bemerken, s. folg. Abschn., Anm.
272.), quod libros de topicis di/ferentiis , de cognatione dialecticae et rhetoricae et
distinctione rheloricorum locorum (diese letzteren sind natürlich keine eigenen Schrif
ten , sondern bilden eben den Inhalt von d. diff. fop.), de communi praedicationc
potestalis et possibilitatis (diess kann wohl nur die zwei letzten Bücher des Commentares
zu d. interpr. Edit. II. bedeuten , s. ßoelh. p. 414.) , de categoricis t,l
hyputheticis syllogismis libros, el alia mulla (d. h. Introd. ad cat. syll., D. tlii'i.\.,
D. defin.) scripserit etc.
311) Petr. Diac. Chron. Casin. III, 35. b. Pertz, Man. IX, p. 728.: Per idem
lempus Albericus diaconus vir disertissimus ac eruditissimus ad hunc locum habilaturus
advenit r.omposuit librum dictaminum et salulationum librum
de dialeclica.
312) Bulaeus, Hist. univ. Paris.}, p. 443.: Nominalium princeps et antesignanus
XIII. Rosccllinus. Robert. Arnulph. 77
aber nicht immer richtig verstanden wurde. Wenn neralich dort ge
sagt wird, zu den einflussreichen Dialektikern gehöre Johannes, wel
cher gelehrt habe, dass die Logik Sache des Worlausdruckes (vocalis}
sei, und demselben seien hierin Roscellinus von Compiegne, Ro
bert von Paris, und Arnulph von Laon gefolgt, welche selbst wieder
von vielen Schülern gehört worden seien , so passt jene Bezeichnung,
wie wir oben (Anm. 110:— 124) zu entwickeln versuchten, vortrefflich
für das dialektische Princip des Johannes Scotus Erigena, und wir
werden alle anderweitigen haltlosen Vermulhungen, wer jener Johannes
gewesen sei, gerne bei Seite lassen313). Von den anderen dreien,
welche als Vertreter jener Richtung genannt sind, bleiben uns Robert
und Arnulph ganz im Dunkeln; einiges Wenige hingegen wissen wir
von Roscellinus.
Das Missliche ist, dass wir über Roscellinus, dessen Thätigkeit
den zwei letzten Jahrzehnten des 11. Jahrh. angehört, nur durch seine
Gegner unterrichtet sind314), und da auch bei ihm die logische Auf-
Joannes quidam cognomento Sophista, de quo sie Auctor historiae a Roberto ret/e
ad morlem Phüippi primi: „In dialectica hi potentes exstilerunt sophistae: Joannes
qui «ändern arlem sophislicam vocalem esse disseruit, Roberlus Parisiacensis , Rocelinus
Compendiensis , Arnulphus Landunensis; hi Joannis fuerunt stclalores , qui
etiam quamplures fiabuerunt auditores."
313) Hame'au, De lu phil. scolast. I, p. 174. gibt jeneü Worten ihre richtige
Beziehung auf Scotus Erigena.
314) In neuerer Zc'it wohl hat Schmeller aus einer Münchner Handschrift
(Cod. lal. 4643.) einen Brief veröffentlicht (Abhdl. d. philos.-philol. Cl. d. k. bay.
Akad. d. W. V, 3, p. 189 ff.), in welchem er ein Sendschreiben des Roscellinus
an Abälard erkannte; doch gibt auch diese einzige Schrift Rose. 's, welche wir
besitzen , betreffs der Logik keinen Aufschluss. Wohl aber ist sie biographisch
von grösster Wichtigkeit, denn indem sowohl einerseits auf den ersten Blick klar
ist, dass Ahälard der Adressat sei (die Entmannung desselben und das Verhältnis:,
zu Heloise sind erwähnt p. 194. u. 210.), als auch andrerseits unzweifelhaft er
hellt, dass Niemand anderer als Roscellinus der Verfasser sein könne (denn jene
Vorwürfe, gegen welche p. 193 f. eine Vertheidigung geführt wird, sind dieselben,
welche anderwärts z. B. in Abael. Epist. 21. gegen Roscellinus geschleudert wer
den, und ausser den Beziehungen auf das unsittliche Leben der Kleriker, p. 197.,
bildet der sog. Tritheismus gerade den Hauptinhalt des Briefes p. 199 ff.), so er
sehen wir nun, dass Roscellinus, welcher in Soissons und Rheims seine Studien
gemacht hatte , hierauf in Tours und in Locmenach (bei Vannes in der Bretagne)
docirte, wobei der noch sehr junge Abälard sicli unier seinen Schülern befand,
und dass Später Rose, als Canonicus in Besancon lebte (p. 193.: l/eneßciorum quae
libi tot et lanla a puero usquc ad iuvenem sub magislri nomine et aclu exhibui
oblitus p. 195.: lestimonio Suessionensis et Remcnsis ecclesiae .... sub quibus
rtatus et educatus et edoclus sum comprobabo .... Neque vero Turonensis ecclesia
vei Locensis , ubi ad pedes meos maüistri lui discipulorum minimus tarn diu resedisti
, aul Bizuntina ecclesia , in quibus cannnicus sum , extra mundum siinl).
Hiernach bestätigt sich die Angabe ütlo's v. Freising (s. d. folg. Anm. 316.), und
wir wissen nun, wo Abälard studirt habe, ehe er nach Paris kam (Abael. hist.
'iiiiini. c. 1.: Proindc diversas diipulando perambulans provincias, ubicunque huiiis
artis vigere Studium audieram, peripatelicurum aemulalor fuctus sum; perveni tandem
Parisios etc.), sowie auch erhellt, dass es nur als Uebertreibung auf Rech
nung des inliuiit thcologicum zu setzen sei, wenn gesagt wurde, Roscellinus sei aus
Frankreich und England vertrieben worden (Abael. Epist. 21.: ab utroque regno in
<fuo conversalus esl, tarn Anglorum scilicel quam Francornm, cum summo dedecore
expulsus esl. Roscell. Epist. p. 194.: quod summa haeresi conviclus et infamis
iam toto mundo expulsus sim).
78 XIII. Roscellinus.
fassung auf das theologische Gebiet (hekanntlich in dem sog. Tritheismus)
hinüberspielle, so ist es erklärlich, dass Ton und Färbung jener
etlichen Notizen durch dogmatischen Fanatismus bedingt sind; denn auch
Roscellinus gehört zu denjenigen, welche dem Glauben nur dann eine
Berechtigung zugestehen, wenn derselbe sicli durch Gründe vertheidigen
lasse315). Zunächst treffen wir nur die unbestimmt allgemeine Angabe,
dass Roscellinus die nominalislische Ansicht in der Logik zur Geltung
gebracht habe316), und zwar wird diess als eine Neuerung bezeichnet,
und an das Auflreten des Roscellinus die Entstehung einer „neuen"
Gattung der Logik neben der bisherigen „alten" (s. unten Anm. 326)
geknüpft, wobei jene Neuerer nicht auf die Wissenschaft der Dinge,
sondern auf Geltendmachung der Worte und Begriffe ausgegangen
seien317). Etwas eingehender ist wohl die Notiz, dass es sich eben
um die Universalien (d. h. die quinque voces und die Kategorien) ge
handelt habe , und dass Roscellinus behauptete , die Worte (voces , s.
unten Anm. 324 f.) selbst seien dasjenige, was man Gattung und Art
nenne318). Aber wenn Anseimus319), welcher in seiner Orlhodoxo-
315) Anselm. d. ftde Irin. c. 3, Opp. ed. Gerberon p. 43.: Dicit , sicul audio,
ille qui tres personas dicitur asserere esse velul tres angelos aut tres animas, ,,Pagani
defendunl legem suam, Judai'i defendunl legem suam, ergo el nos Christiani
debemus defendere fidem nostram" (man beachte für jene Zeit die äusserst vernunf
tige Liberalität, auch den Juden und Heiden die dialektische Begründung ihres
Glaubens zuzugestehen).
316) Otto Fris. d. gest. Frid. l, 47. (ed. Ursiis. Fruncf. 1585, p. 433.):
Petrus isle (sc. Abaelardus) habuit primo praeceptorem Roielmum quendam, qui
primus noslris lemporibus in logica scntenliam vocum instituil , el posl ad gravissimos
viros Anselmum Laudunensem, Guilehnum Campellensem Calaulani episcopum
migrans ipsorumque dictorum pondus tanquam sublililalis acumine vacuum iudicans
non diu sustinuil; inde magistrum induens Parisios venit (s. folg. Abschn.,
Anm. 258.).
317) Aventin. Ann. Boior. VI. (ed. Cisner, 1615, p. 383.): Hisce qttoqtie lem
poribus fuisse reperio Rucelinum Britannum, magistrum Pclri Abaelardi , novi lycaei
condüorem , qui primus scientiam (zu lesen sentcntiam) vocum sive diotionum inslituil,
novam philosophandi viam invenit; co namque aulorc duo Aristotelicontm,
Peripatelicorum , gencra esse coepemnl; unum illud velus locuples in rcbus procreandis,
quod scientiam rcrum sibi vindicat, quamobrem reales vecantur ; altcrum
novum, quod eam distraliit , nominales ideo nuncupali, quod avari rerum prodigi
nominum atque nolionum verborum videntur esse assertores.
318) loann. Saresb. Metalog. II, 17. (Opp. cd. Gilcs, V, p. 90.): Naturam
tarnen universalium hie omnes expediunl et altissimum neyotium et maioris inquisitionis
contra mentcm auctoris explicarc nituntur ; alius ergo consistil in vocibus,
licel haec opinio cum Rocclino suo fere omnino iam evanueril; alius sermones (s.
unten Anm. 324.) intuelur et ad illos detorquet quidquid alicubi de universalibus
meminil scriptum • in hac autem opinionc deprehensus est Peripateticus Palatinus
Abaelardus noster, qui mullos reliqnit et adltuc quidem aliquos habet professionis
huius seclatores. Ebend. Polycr. VII, 12., Opp. IV, p. 127.: Fucrunt et qui voces
Ipsas genera dicerent esse et species ; scd eorum iam explosa sentcnlia est et fädle
cum autore suo evanuit (s. Anm. 325.).
319) Anselm. d. f. Irin. c. 2. Ed. Gerberon p. 42 f. : HU utique nostri temporis
dialectici, immo dialeclicae haeretici, qui nonnisi flatum vocis putant esse
universales substantias, et qui colorcm non aliud queunl inlelligere quam corpus nee
sapientiam hominis aliud quam animam, prorsus a spiritualium quaeslionum dispulatione
sunt exsufflandi. In eorum quippe animabus ratio , quae et princeps et
iudex omnium debet esse quae sunl in homine , sie est in imaginalionibus corporn
XIII. Roscellinus. 79
manie den köstlichen Ausdruck „Ketzer der Dialektik" erfand und gegen
Roscellinus anwendete, in blinder Leidenschaftlichkeit oder böswilliger
Uebertreibung sagt, nach jener Ansicht seien die allgemeinen Substanzen
Nichts weiter als ein Wort-Hauch (flatus vocis), so werden wir wohl
auch die übrigen Angaben des spiriluahstischen Eiferers nur mit Vor
sicht aufnehmen dürfen, zumal da er nach den eigenen Erzeugnissen
seiner Dialektik, wie wir sehen werden, in logischen Fragen kaum
als urlheilsfähig gellen kann; so ist es ja auch nur ein Ausdruck des
schroffsten Parteihasses , wenn er den Anhängern Roscellin's vorwirft,
dass sie die Vernunft den körperlichen Einbildungen (corporalibus imaginalionibus)
preisgeben, denn hoffentlich erhebt sich die Einsicht in
den begrifflichen allgemeinen Gehalt der Worte gerade am meisten über
die sensuale Zufälligkeit und bahnt allein den Weg zu einem wirklichen
selbsterrungenen Wissen, während zu einer spirilualistischen Ontologie
vielfach eine mit dem Sensualen verflochtene Einbildungskraft erforder
lich ist. Und abgesehen von dem lächerlichen Vorwurfe , dass Roscel
linus nicht versiehe, wie die Vielheit .der Individuen im Arlbegriffe eine
Einheit sei (denn das ist es ja eben, was Roscellinus einsah, dass nemlich
die Einheil in dem den Begriff aussprechenden Worte liege), wer
den wir die weiteren Bemerkungen, dass Roscellinus die Farbe eines
Dinges mit dem Dinge selbst und die Eigenschaften mit ihren Trägern
verwechsle, sowie dass er nicht einsehe, wie z. B. „Mensch" etwas
Anderes sei als der einzelne Mensch, nun wohl füglich auf den wahren
Sachverhalt zurückführen müssen; denn Ersteres kann doch nur den
Sinn haben, dass nach des Roscellinus Ansicht der Begriff einer Qualität
als Begriff ebensosehr Allgemeinheit enlhalle, wie der Begriff einer Sub
stanz als Begriff, und Lelzteres enthält, wenn wir die gehässige Wen
dung des Berichlerslatters abstreifen, den einfachen Grundsatz des No
minalismus, dass objecliv im concreten Sein überall nur Individuelles
exislirt, die Art- und Gattungsbegriffe aber nur subjectiv in den mensch
lichen Worten vorliegen, kurz dass objectiv die Universalien keine vom
Individuellen getrennte Existenz haben. Dass hiernach die Trinitäl als
objeelives Wesen Goltes gleichfalls aus drei Individuen bestehen müsse 32°),
liegt in der Consequenz dieser logischen Ansicht, und es war hiedurch
in ähnlicher Weise wie bei Berengarius die Theologie in den logischen
Parleislreit verflochten. Roscellinus aber scheint überhaupt sehr folgeobvoluta,
ul ex eis se non possil nähere nee ab ipsis ea, quae ipsa sola et
/'um conlemplari debet , valeal discernerc. Qui enim nondum intelligit , quomodo
plures homines in specie sint unus, qualiter in illa secrctissima et altissima nattirn
comprehendet, quomodo plures personae .... sint unus deus? Et cuius mens obscura
esl ad discernendum inter equum suum et colorem eius, qualiter discernet inter unurn
deum et plures relationes eins? Denique qui non polest inlelligcre , aliquid esse
hominem nisi Individuum, nullatenus inteltiget hominem nisi humanam personam;
omnis enim individuus homo persona est; quomodo ergo iste intclliget hominem
assumptum esse a verbo etc.
320) Ebend. Epist. H, 41, p. 357.: quia Roscclinus clericus dicil, in deo tres
personas esse tres ab invicem separalas , sicut.sunt tres angeli. Ha tarnen ul una
sil volvntas et potcstas, auf patrem et spiritum sanctum esse incarnalum, et tres
deos vere passe dici, si usus admitteret.
SO XIII. Roscellinus.
richtig seinen Standpunkt nach allen Seiten durchgeführt zu haben, denn
ausserdeni wäre es schwer erklärlich, wie in den spärlichen Mitthei
lungen, welche wir über ihn hüben, wieder irgend ein vereinzelter
Punkt uns völlig auf das gleiche Princip zurückweise; nemlich bei dem
Theilbegriffe , dessen Erörterung Boethius schon in die Isagoge und in
die Kategorienlehre verwoben hatte (s. Abschn. XII, Anm. 92 u. 96),
ist dem Roscellinus gleichfalls das subjeclive Moment das Entscheidende;
denn der Sinn der hierauf bezüglichen Notiz 321) ist folgender: Soll z.
B. das Dach als Theil des Hauses betrachtet werden, so ist zu erwägen,
dass objectiv als Ding das Dach völlig unselbstständig ist, da in objecliv
dinglicher Beziehung es eben nur ein Haus-Dach und ebenso nur ein
mit einem Dache versehenes Haus (falls es nemlich ein wirkliches Haus
sein soll) geben kann; wäre daher das Dach objectiv ein Theil des
Hauses, so wäre es ein Theil des objectiv untrennbaren Ganzen und
hiemit zufolge dieser Untrennharkeit zuletzt auch ein Theil seiner 'selbst,
d. h. objectiv dinglich führt der Theilbegriff zu Widersprüchen, und
das Richtige ist, dass das Dach lediglich durch unsere begriO'shaltigen
Worte als „Theil" bezeichnet wird, also der Theilbegriff als solcher
dem subjectiven Worlausdrucke anheimfällt; auf gleiche Weise verhält
es sich auch mit der Priorität des Theiles gegenüber dem Ganzen, denn
in objectiver Beziehung als Ding kann das Dach nicht früher sein, als
die objectiv untrennbare Verbindung seiner seihst mit Anderem, da es
dann gleichfalls wegen der Untrennbarkeit sich ergäbe , dass das Dach
früher als es selbst wäre, so dass hiemit auch die Priorität des Theilbegriffes
nur im subjecliven Denken liegt. Sowie auch diese Ansicht
Roscellin's von den Gegnern böswillig verzerrt wurde322), so wendete
derselbe sie andrerseits witzig gegen den verstümmelten Abälard an,
wobei consequent auch der Begriff des Ganzen dem subjecliven Denkacte
zugewiesen wird, da bei Aenderung des objectiven Bestandes einer
untrennbaren Verbindung sofort die begrifl'smässige Wortbezeiclmung,
welche dann den subjectiven Gedanken eines Ganzen nicht mehr t'est-
321) Abael. d. divis. et deftn. p. 471. (ed. Cousin): Fuil aulem, memini,
magistri nostri Roscellini tarn insanii sentenlia, ul nullam rem partibus constare
vellet', sed sicul solis vocibus species ita et partes adscribebut. Si quis aulem rem
illuM, quae domus est, rebus aliis, pariele scilicel et fundamento , conslare diceret
(es ist diess das bei Boelhius, z. B. p. 52 f. u. p. 646., übliche Beispiel der Theilung),
tau ipsum argumenlalione impugnabat : Si res illa, quae est paries, rei illius
, quae domus est, paries sit , cum ipsa domus niliil aliud sil quam ipse paries
et tectum et fundamentum , profecto paries svi ipsius et ccterorum pars erit ; at
vero quomodo sui ipsius pars fuerit ? Amplius , omnis pars naturaliler prior est
lato suo ; quomodo aulem paries prior se et aliis dicelur , cum se nullo modv
prior sit?
322) Abael. Epist. 21. (Opp. ed. Amboes. p. 335.): Hie sicut pseudo-dialecticus
ita et pseudo-cliristianus , cum in dialectica sua nullam rem paries haben aestimat,
ita divinam paginam impudenler penertit, ut eo loco quo dicilur dominus partem
piscis assi comedisse , partem huius vocis, quae esi piscis assi, non parlem rei inlelligere
cogatur. (Ob dieser Brief VOD Abälard oder, wie Buläus meint, von einem
Anderen um d. J. 1095 verfasst sei, ist bezüglich dieser Stelle gleichgültig; übri
gens scheint das oben, Anm. 314., Gesagte für die Autorschaft Abälards zu
sprechen.)
XIII. Roscellinus. Raimbert. 81
zuhalten vermag, durch eine anderweitige Bezeichnung ersetzt werden
muss323).
Dass übrigens der Standpunkt des Roscellinus wesentlich kein neuer
war, zeigt die Vergleichung mit Obigem (Anm. 124, 151, 159, 242,
253, 276, 305 f.); nur hatte die Anschauung, dass die Universalien und
die Begriffsbildung Sache der menschlichen Worte seien, seil dem Auf
treten des Berengarius eine grössere Behutsamkeit und schärfere Be
kämpfung seitens der Orthodoxie hervorgerufen. Hingegen bleibt Ein
Punkt, und zwar vielleicht der wichtigste, in Folge des Mangels an
Quellen uns völlig im Unklaren; es wird nemlich in der oben, Anm.
318, angeführten Stelle des Johannes v. Salesbury ein scharfer Unter
schied gemacht zwischen denjenigen, welche die Universalien in die
„vox" verlegten, und jenen, welche sie auf die „serntones" bezogen,
woran sich die Angabe knüpft, dass zu den Letzteren Abälard gehört
habe. Im Hinblicke nun auf die grammatische Bedeutung der Worte
vox und sermo und in vorläufiger Bezugnahme auf dasjenige, was unten
(folg. Abschn., Anm. 308 ff.) hei Abälard zu erörtern sein wird, müssen
wir allerdings vermulhen, dass Roscellinus einseitig nur den isolirten
Begriff ins Auge gefasst und hiemit ohne Rücksicht auf die Satzverbin
dung die Worte als fertige Begriffe betrachtet habe324); aber ob er
die Lehre vom Urlheile bloss vernachlässigt oder etwa die Bedeutung
des Urtheiles sogar direct besinnen habe, oder wie er bei Begründung
einer solchen Durchführung des Nominalismus verfahren sei, wissen wir
nicht325).
Eben für jene Zeit aber, in welcher Roscellinus aufgetreten war,
besitzen wir eine höchst charakteristische Notiz bezüglich des logischen
Parteikampfes326). Es docirte nemlirh ein gewisser Raimbert in
323) Rosccll. Epist. (s. Anm. 314.) p. 210.: Sed forte Pftrum le appellari
passe ex consuetudine mentiris ; certus sum aulem, quod masculini generis nomen,
si a suo genere deciderit , rem solitam significare recusabit; solent enim nomina
propria signißcalionem amillere, cum corum signißcata conligerit a sua perfectione
recedere ; neque enim ablnto lecto vel pariete domus, sed imperfecla domus vocaliitiif;
sublata igilur parte , quae hominem facit , non Petrus, sed imperfectus Pe
trus appeHandus es.
324) Unter den alleren Nominalisten dürften sonach dem Roscellinus vermöge
einer einseitigeren Betonung der vox näher stehen jener Pseudo-Hrabanus (Anm.
151.), Jepa (Anm. 159.), der Anonymus Cousin's (Anm. 242.), und der Sl. Galler
Anonymus B. interpr. (Anm. 253.), sowie thcilweise selbst Scotus Erigena (Anm.
124.) ; hingegen wären durch Beachtung des sermo und des prädicativcn Verhällnisses
mehr mit Abälard verwandt Eric (Anm. 159.), der St. Giiller Anonymus D.
syllog. (Anm. 276.) und Berengarius (Anm. 305.).
325) Möglicher Weise könnte, falls Roscellinus diese einseitige Wendung des
Nominalismus wirklich durch Gründe gestützt hätte, obige (Anm 316.) Ausdrucks
weise Otto's (primus inslituit sentenliam vocum) wörtlich genommen werden ; jeden
falls 'aber geht aus Job. v. Salesh. (Anm. 318.) hervor, dass die Anhänger des
Nominalismus diesen verengten Standpunkt bald verliessen; nur darf man nicht,
— wie schon geschah — , sich so ausdrücken, dass Job. v. Salesb. den Nomina
lismus überhaupt bereits für erloschen erkläre; s folg, Abschn., Anm. 76 ff.
326) Hermann. Narr. Restaur. Abb. S. Märt. Tornae. bei D'Achery Spicit. ed.
De la Barre II, p. 889. : Jörn vero si scholae appropriares, cerneres magistrum Odonem
nunc quidem Peripaleticorum more cum discipulis docendo deambulantem, nunc
vero Stoicorum instar residentem et diversas quaesliones solventem Sed cum
PEAHTL, Gesch. II. 6
82 XIII. Raimbert. Otto v. Cambray.
Lilie, sowie „sehr viele Andere", die Dialektik nach der „modernen"
nominalistischen Auffassung (in voce), und dieselben nebst ihren An
hängern bethäliglen sich in feindseliger Rivalität gegen Otto (nachmals
seit d. J. 1106 Bischof von Cambray), welcher i. J. 1092 das Kloster
St. Mariin in Tournay widerhergestel-lt halle und dort Logik nach „altem"
Stile realistisch (in re) lehrte. Da nun Manche durch den Reiz der
Neuheit sich zu Raimbert hingezogen fühlten, zugleich aber bei dem
gegenseitigen Abwägen der Vorzüge beider Schulen kein ganz entschie
denes Resultat erzielt zu werden schien, so wendete sich Einer der
Kanoniker in Tournay an einen damals berühmten Wahrsager, welcher,
obwohl taubstumm, die an ihn gerichtete Frage sogleich verstand und
durch Zeichensprache sich, — wie man nicht anders erwarten darf
— , unbedingt für die Richtigkeit und Vorlrell'Iicbkeit der realistischen
Schule Otto's erklärte. Wenn übrigens der Berichterstatter (Abt Her
mann in Tournay in d. ersten Hälfte d. 12. Jahrb.), welcher sich na
türlich gleichfalls als einen orthodoxen Feind der windigen Geschwätzig
keit des Nominalismus bekennt, zugleich logische Schriften Otto's er
wähnt, so müssen wir den Verlust derselben allerdings bedauern ; bloss
vennulhen lässl sich, dass der „Liber complexionum" vielleicht nur aus
omnium septem liberalium artium esset perilus , praecipue tarnen in dialeclica eminebat
, et pro ipso maxime clericorum frequenlia (um expetebat. Seripsit etiam de
ea duos libellos , quorum priorcm ad cognoscenda devitandaque sophisrtiata valde
utilem intitulavit „Sophislem", alterum vero appellavit ,,Librum complexionum";
tertium quoque ,,De re et ente" compoiuil, in quo solvit, si unum idemque sit res
et ens. In his tribus libellis non se Odonem, sed, sicut lunc ab omnibus vocabatur,
nominabat Odardum. Sciendum tarnen de eodem magistro, quod eandem dialecticam
non iuxta quosdam modernos (diess ist die älteste Stelle , in welcher die
Nominalisten als moderni bezeichnet werden, 'S. hingegen folg. Abschn. Anm. 55.)
in voce, sed more Boelliii antiquorumque doctorum in re discipulis legebal (also im
Gegensatze gegen die angebliche Neuerung werden ßoethius und Porphyrius als
Realisten antiqui genannt, vgl. ob. Anm. 317.). Vnde et magisler Raimbertus , qui
eodem tcmporc in oppitto Insulensi dialecticam clericis suis in voce legebat , sed et •
atü quamplures magistri ei non parum invidebanl et detratiebant suasque lectiones
ipsius meliores esse dicebaul, quamobrem nonnulli ex clericis conlurbati, cui magis
crederent , haesilabant , quoniam magislrum Odardum ab antiquorum dotlrina non
discrepare videbanl et tarnen aliqui ex eis, man Atkeniensium auf disceretuul audire
aliquid novi semper humana curiositate studcntes, alias potius laudabanl, maxime
i j u i a i'iirvtit lecliones ad exercitium dispulandi vel eloquenliae , imo loquacitatis et
facundiae, plus valere dicebant (Einige demnach wünschten mit dem rechtgläubigen
Realismus dennoch die formelle Virtuosität der eigentlichen Logiker, d. h. der
Nominalisten verbinden zu können). Unus itaque ex eiusdem ecclcsiae canonicis,
nomine Qualbertus tttnla scntentiarum erranliumque clericorum varietate permolus
quendam pythonicum (d. h. einen Wahrsager) surdnm et mutum in eadem urbe
divinandi famosissimum adiit et, cui magistrorum magis esset credendum, digitorum
signis et nulibus inquirere coepil. Protinus ille , mirabile diclu, quaestionem illitis
inlellexil dexteramque ma.nv.rn per sinistrae palmam instar aralri lerram scindentis
perlraliens digilumque versus magistri Odonis scholam protendens significabat, doclrinam
eius esse reclissimam; rursus vero digitum contra Insulense oppidum proten
dens manuque ori admola exsu/flans innuebat, magistri Raimbcrti lectionem nonnisi
verbosam esse loquacitatem. Haec dixerim non quo pylhonicos consulendos .... ar~
Wirer, sed ad redarguendum quomndam superborum nimiam praesumptionem , qui
nihil aliud quaerentes nisi ut dicanlur sapientes, in l'orphyrii Aristotelisque libris
magis volunt legi suam adventiciam novilatem, quam Boelhii ceterorumque antiquo-
Tum expositionem.
XIII. Otto v. Carabray. Wilhelm v. Hirschau. 83
Boelhius (d. syll. categ., s. Absclin. XII, Anni. 131 ff.) entnommen war,
sowie dass der „Sophisles" etwa den theologischen Streitigkeiten näher
gelegen gewesen sei oder möglicher Weise selbst nur die Angaben des
Cassiodorus (Abschn. XII, Anm. 182) wiederholt habe; hingegen wich
tiger könnte die Schrift „De re et enle" gewesen sein, denn die Frage,
ob rrs und ans das Neinliche seien, war dort sicher im Sinne des
Realismus beantwortet, selbst wenn auch, — was das Wahrscheinli
chere ist — , das Ganze sich bloss auf eine vereinzelte Stelle des
Boethius (Abschn. XII, Anm. 89 f.) bezogen haben sollte. — Jedenfalls
aber dürfte anzunehmen sein, dass der damalige Roscellinische Nominalismus
in einer grösseren Zahl von Schriften, als_ unsere Quellen durch
blicken lassen, vertreten gewesen sei; denn wir sind für solch gelegent
liche litterarische Notizen ja fast ausschliesslich auf theologische Autoren
hingewiesen, welche als Gegner einer ihnen verdächtigen Minorität von
vornherein nicht geneigt waren, von derselben viel zu sprechen, son
dern lieber mit einem Fulberl (Anm. 237) oder Lanfrancus (Anm. 309)
in das Verwerfungsurtheil gegen die Dialektik überhaupt einstimmten 327).
Ehe wir 'uns aber zu Anseimus, dem eigentlichen Hauplgegner
Roscellin's wenden, müssen wir auf den Abt Wilhelm von Hirschau
(gest. 1091) hinweisen, welcher bisher in der Geschichte der Philo
sophie wohl mit Unrecht unbeachtet geblieben ist328). Seine Schrift
„Philosophicarum et aslronomicarum instilulionum libri tres" 3'29) scheint
überwiegend ;iuf arabischen Quellen, und zwar hauptsächlich durch
Vermittlung Co ns tantiu's des Karlhager's 33°), zu beruhen und
327) So sagt z. B. Hildebert (als Erzbischof von Tours gest. 1136), Sermo
69 (Opp. ed. Beauyendre , p. 579 f.) : Quidam mim in philosophicis facullalitius
quandam sublilitatem inutilem vel inulilitalem subtilem quacrenles quibusdam minuliis
verborum in cavillalione respondenles uluntur, quibus in disputatione uti. ossa
Christi est incinerare Etsi enim deus comierlil nos , artium liberalium phanlasmalibus
uti, si in hac scriplura voluerimus similitur sophistice incedere , odiliiles
deo erimus , strepitum ranarum Aegypti in terram Gerson traducere molientes.
328) lieber sein Leben sind wir durch seiuen Schüler Haimo (s. Perlz, Hon.
XIV, p. 209 ff.) und einige andere Chronisten (ebeod. VII, p. 281. u. XII, p. 54.
u. p. 64 ff.) unterricblet. Er war i. J. 1026 geboren, wurde i. J. 1069 Abt in
Hirschau, gieng i. J. 1069 in Angelegenheiten seines Klosters nach Rom, starb i.
J. 1091. Wenn Trithem. Chron. Hirs. (Basil. 1558 fol.) p. 109. ihn in Rom mil
Aaseimus zusammentreffen läest, so ist dies« unrichtig , da Letzterer erst i. J.
1098 nach Rom kam (s. F. R. Hasse, Ans. v. Canlerb. I, p. 333 ff.).
329) Gedruckt in Basel b. Htmr. Petrus, 1531. 4 (77 Seiten enthaltend). Ich
habe über dieses seltene und interessante Buch , namentlich über die von Wilhelm
dabei benützten Quellen , nähere Untersuchungen angestellt ; s. Sitzungsberichte d.
Münchner Akad. 1861, Heft 1.
330) Petr. Diac. Chron. Casin. III, 35. b. Pertz, Monum. IX, p. 728.: Istius
t'fro alibatis (d. h. des Desiderius, welcher 1058—1087 Abt war) tempere Constantinus
Africanus ad hunc locum pervcniens hie igitur e Carthayine , de qua
oriundus erat, egrediens Babyloniam petiit, in qua grammatica, dialcctica, geometria,
arithmelica , matliematica , astrmomia, nee non et physica Chaldaeorum, Arabutn,
Persarum , Saracenorum , Aegyptiorum ac Indorum plenissime emditus est ; completis
autem in ediscenttis ivliusmodi sludiis triginta et novem annorum curriculis ad Africiun
reversus est. Eine andere ausführliche Notiz des Petrus Diac. (d. vir. illuslr.
Csuin.) über Coostantin's naturwissenschaftliche Schriften s. b. Muratori, Her. hol.
scriptt VI, p. 40 f. oder b. Jourdain, Recherche« crilitfws, 2. Aufl. p. 455 f. Abt
6*
84 XIII. Wilhelm v. Hirschau.
enthält für unseren hiesigen Zweck, — um abzusehen von allem Naturphilosophischen
und Metaphysischen, was nicht hieher gehört —, Einen
nicht unwichtigen Punkt. Wilhelm nemlich zeigt sieh uns da als der
erste und älteste Autor im mittelalterlichen Abendlande, welcher einen
syllogistisch formulirten Beweis für die Existenz Gottes aufstellte331).
Während aber der theologische oder philosophische Inhalt dieses Be
weises 332) gleichfalls über die uns hier gesteckten Gränzen hinausfällt,
ist es lediglich die formelle Seite, welche wir zu beachten haben.
Dass das ganze Unternehmen, die objective Existenz Gottes beweisen
zu wollen, überhaupt ein verrücktes sei (daher auch Hegel das ontologische
Argument eben nur in seiner Eigenschaft als Neuplatoniker wie
deraufnahm), geben alle philosophisch Unbefangenen zu; aber dass in
jenem unklaren und unphilosophischen Zeitalter ein solcher Versuch
entstehen konnte, ist höchst erklärlich, zumal weil damals als Surrogat
der Philosophie nur ein Bildungskreis vorlag, welcher auf dogmatische
Theologie und eine traditionelle logische Schulgewandtheit beschränkt
war; sobald man daher durch theologische Streitigkeiten sich daran
gewöhnt hatte, diess Beides derartig mit einander zu verbinden, dass
man auch einzelne Bruchtheile des Dogma's logisch zu begründen ver
suchte (s. ob. Anm. 303), war es nur consequent, mit solcher Formulirung
sofort bei dem obersten Punkte des objectiv dogmatischen
Bekenntnisses zu beginnen. Aber eine wesentliche Bedingung hiezu war
natürlich das Vorhandensein eines logischen Realismus, denn ein Nomi
nalist hätte bei irgend folgerichtigem Denken nie auf den Einfalt kom
men können, Gottes ohjective Existenz mit subjectiv menschlichen Wor
ten zu erweisen (ein Beispiel einer sehr ehrenwerthen Besonnenheit in
dieser Beziehung sahen wir oben, Anm. 272); und dieser Zusammen
hang mit der realistischen Anschauung ist es auch allein, um dessen
Wilhelm beruft sich auf Constantinus mehrmals mil namentlicher Nennung, z. B.
p. 12, 15, 24.
331) Da nemlich Wilhelm mit Anseimus schon um 1078 in Correspondenz
stand (s. Hasse a. a. 0. p. 67., Anm.), so hätte er sicher den anseimischen Be
weis berücksichtigt, wenn er die Institutioaes erst nach 1080 (in welchem Jahre
das anselmiscbe Monologium und Proslogium bekannt wurden) geschrieben hätte;
auch zeigt sich der Gedankengang und die ganze Anschauung Wilhelm's als durch
aus unberührt von irgend einem Einflüsse durch Anselm's Richtung, was nur dann
erklärlich scheint, wenn Wilhelm seine Schrift vor dem litterarischen Auftreten
Anselm's verfasste.
332) Er lautet seinem Hauptkerne nach (p. 3 f.): Et quando diximus in hac
vila sciri , deum esse, rationes quibus eliam incredulis hoc probari possit, aperiamus,
scilicet per mundi crealionem et quolidianam dispositionem. Cum enim
mundus contrariis factus sit elemenlis vel casu vel aliquo arli/ice in compositione
mundi illa coniuncta sunt ; casu vero coniuncta non sunl ; ifiilur
aliquo artifice ; arlifex vero ille vel homo vel angelus vel deus fuit ; anle vero
mundus factus est quam homo , angelus vero cum mundo , ergo solus deus munihtm
creavil. Per quotidianam vero dispositionem idem sie probatur: ea quae disponuntur,
sapienter disponuntur, ergo aliqua sapienlia , sed sapientia illa vel divina
vel angelica vel humana; humana .... motum et vilam conferre non polest; angelica
vero sapientia quomodo ipsos angelos disponeret? divina ergo sapientia est, quae
hoc agil; sed omnis sapienlia alicuius est "sapientia; est igitur, cuius est illa sa
pientia, sed nee est homo nee angelus, deus ergo est. Roh genug ist allerdings
diese Anwendung der dilemmatischen Form.
XIII. Wilhelm v. Hirschau. Anseimus. 85
willen wir diese Beweis-Versuche bei ihrem ersten Auftreten erwähnen,
daher wir auch für iille späteren Entwicklungen, wo der formell logi
sche Parteistandpunkl in den Hintergrund tritt, mit Vergnügen darauf
verzichten, die verschiedenen Wandlungen, welche der ontologische
Beweis (z. B. bei Cartesius, Leibnitz, Wolfl', Mendelssohn, Baumgarten,
Kant) erfuhr, zu erwähnen. Uebrigens ist es bei Wilhelm von Hirschau
nicht jener uns bisher schon vorgekommene platonische Realismus, auf
welchem seine Beweisführung beruhe, sondern in der Speculationsweise
seiner Quellen ist es ofl'enhar der arabisch-physikalische Realismus, wel
cher diese Wendung mit sich brachte, denn wir finden schon bei Ara
bern des 10. Jahrhundertes in leisen Anfängen den physiko-theologischen
Beweis 333). Doch steht diese Einwirkung arabischer Philosophie noch
schlechthin vereinzelt da und trifl'l nur vermöge des realistischen Platonismus
überhaupt mit den entsprechenden occidenlalischen Anschau
ungen in diesem Punkte zusammen.
Eben aber der onlologische Beweis war es ja , durch welchen
Anseimus von Canterbury (geb. 1033, gest. 1109) seinen Ruhm
begründete334). Anseimus stand, wie sich von einem Schiller Lanfranc's
nicht anders erwarten lässt, auf dem Standpunkte, ilass da's
Wissen durch den christlichen Glauben bedingt und beschränkt sei 335),
und er findet hiernach dem Denken gegenüber eine unbedingt objective
Realität in geistiger Beziehung bereits als vollendete vor, so dass das
Denken nur entweder an diesem objectiv Realen iheilhahen oder an
demselben nicht theilhaben kann, d. h. Anseimus ist für die Logik, wie
sich von selbst versteht, Realist. Und der sonderbare Wunsch, unser
Denken zu dieser Theilbafligkeit in objectivem Sinne unwiderruflich zu
zwingen, d. h. dem menschlichen Denken den Realismus andemonstriren
zu wollen, ist die Grundveranlassung des ontologischen Beweises336),
an welchem gleichfalls, wie so eben bemerkt wurde, uns hier Nichts
333) S. die in meiner Abhandlung über Wilhelm (a. a. 0. p. 20 f.) angeführte
Stelle aus Fr. Dieterici, d. Nalurphil. d. Araber i. 10. Jahrh. (Bcrl. 1861). p. 162.
334) Die erschöpfend ausführliche Darstellung des Anseimus, welche F. R.
Hasse (Ans. v. Canterb. Lpzg. 1843—52. 2 Bände) gab, ist von einer durch
gängigen Ueberschätzung der Bedeutung desselben getragen.
335) Episl. II, 41. (Opp. ed. Gerberon. Paris. 1675), p. 357.: Christianus per
fidem debet ad inlellcclum proficere , non per intellectum ad fidem accedere auf , si
intelligere non valct, a ftde recedere ; scd cum ad intellectum valel pertingere, delectatur
, cum tiero nequit , quod capere non polest, vencratur.
336) Proslog, c. 2, p. 30. : Cont'incilur ergo etiam insipiens esse , vel in inlelleclu
aliquid, quo nihil maius cogitari polesl, quia hoc, cum audit, intelligil, et
quidquid intelligilur, in intellectu est; et certe id, quo maius cogitari nequit, non
polest esse in inlellectu solo; si enim vel in solo intellectu est, polest cogitari esse
et in re ; quod maius est; si ergo id quo maius cogitari non polest, est in solo
inlellectu, id ipsum, quo maius cogilari non polest, est, quo maius cogilari polest;
sed certe hoc esse non potesl; existil ergo procul dubio aliquid, quo maius cogitari
non valel, et in intellectu et in re. Apolog. c. Gaunil, c. l, p. 37.: Ego dico: si
cel cogitari potest esse, neeesse est illud esse; non» quo maius cogilari nequit,
non potest cogilari esse nisi sine initio ; quidquid autem polest cogitari esse et non
est, per initium potesl cogitari esse; non ergo quo maius cogilari nequil , cogilari
potest esse et non esl; si ergo polest cogitari esse, ex nccessilutc esl, u. s. f. mit
fortlaufender plumper Verwechslung von cogilari und esse.
8(i XIII. Gaunilo. Anseimus.
weiteres interessirt, als eben diese formelle Seite, nach welcher er mit
dem Realismus zusammenhängt, denn er zeigt uns nur das Schauspiel
des grössten Selhstwiderspruches, welcher überhaupt möglich isl, indem
ja durch ihn der principiellste Objectivismus als solcher gerade subjecliv
begründet werden soll. Die Widersinnigkeit aber dieses Unternehmens,
welche darin liegt, dass der Realist, welcher das Ideelle von vorneherein
nur als objectives anerkennt, die objective Existenz desselben
erst noch mit subjectiven Mitteln beweisen will, erblickte Gaunilo
(ein Mönch in Mar-Moutiers) ganz richtig, indem er behauptete, der Be
weis gehe ebensosehr auch auf die Existenz einer unbedingt vollkom
menen Insel337), denn in der That hätte der Realismus durch die nemliche
Formel auch die reale Existenz sämmllicher platonischer Ideen
beweisen können. Wenn aber Anseimus hierauf erwidert, er habe ja
nicht von der Existenz des Concreten, sondern eben nur vom Unbe
dingten gesprochen338), so langt er sich nothwendig in seiner eigenen
Schlinge; denn er isl genöthigt, nun dennoch seine Zuflucht zu einem
successiven Aufsteigen zu nehmen, durch welches wir uns von dem
geringeren Bedingten erst allinälig im Denken zum Gedanken des unbe
dingten Superlatives erheben 339), wornach das Sein dieses Unbedingten
natürlich nur ein vom Denken ponirles Sein sein kann, während hiemit
hinwiederum sehr schlecht stimmt, wenn Anseimus andrerseits bei jedem
Gedanken, und zwar ausdrücklich auch bei dem auf concrele Dinge ge
richteten Denken, eine bloss nominelle Seile (vox signifaans) und ein
reelles Verstehen (id ipsum quod res esf) derartig unterscheidel, dass
bei letzterem die Existenz schon involvirt, bei erslerem aber jeder Un
sinn möglich sei340); denn wenn die Sache so steht, bedarf es über-
337) Liber pro insipiente , c. 6. (Ans. Opp. p. 36.): Aiunt quidam, alicubi
Oceani esse insulam, quam ex difftcultate vcl polius impossibililale inveniendi, quod
non est , cognominant aliqui perditam, quamque fabulantur . . . . universis alüs ....
usquequaque praestare. Hoc ila esse dicat mihi quispiam At si tunc velul
consequenter adiungat ac dicat: non potes ultra dubilarc , insulam illam omnibus
terris praestanliorem vere esse alicubi in re, quam et in intelleclu luo non ambigis
esse; nam quia praestantius esl , non in intellectu solo sed eliam in re esse, ideo
sie tarn necesse cst esse, quia, nisi fuerit , quaecunque alia in re est terra, praestantior
illa eril , ac sie ipsa iam a te praestantior intellecta praestantior non erit,
— si, inquam , per haec ille mihi vetit aslruere de insula illa, quod vere sit,
etc. etc.
338) Apol. c. Gaun. c. 3, p. 38.: Sed tale esl, iuquis , ac si aliquis insulam
Oceani etc Fidens loquor : quia si quis invenerit mihi aliquid aut re ipsa
aut sola cogitatione existens, praeler quod maius cogitari non possit, cui aptare
valeat connexionem huius meae art/umentationis , inveniam et dabo illi perdilam in
sulam amplius non perdendam.
339) Ebend. c. 8, p. 39.: Quoniam namque omnc minus bonum in tanlum est
simile mainri bono , in quanlum esl bonum , patel cuilibet rationali menti , quia de
minoribus ad maiora conscendendo ex Ais, quibus aliquid cogitari polest maius,
mullum possiimuf coniicere illud , quo nihil polest maius cogitari Esf igitur
unde possil coniici, quo maius cogilari nequeat.
340) Prosl. c. 4, p. 31.: Aliler enim cogitatur res, cum vox eam signiftcans
cogitatur , aliter cum id ipsum quod res esl intelligilur ; illo ilaque modo polest
cogitari deus non esse, isto tero minime ; nullus quippe inlelligens id quod iunt
ignis et aqua polest cogitare , ignem esse aquam secundum rem , licet hoc possit
secundum voces; ita igitur ncmo inlelligens id quod deus est polest cogitare, quia
XIII. Anseimus. 87
haupt weder eines Beweises der Existenz, noch eines Aufsteigeus zum
Unbedingten, sondern man braucht dann Nichts weiteres zu thun, als
eben jedwedes nach seiner realen ohjectiven Seite zu denken. Wohl
weislich geht daher Anselmus auch auf den treffendsten Einwand Gaunilo's
mit keinem Worte ein, welch Letzlerer einen sehr vernünftigen
Nominalismus vertritt, wenn er sagt, dass allerdings die vox allein als
blosse vox, d. h. als lediglicher Buchstaben-Klang, keine Wahrheit ent
halte, dass aber in dem Gebiete des Erfahrungsmässigen, wo die inlelligible
Bedeutsamkeit des Wortes an Bekanntes angeknüpft und an dem
selben gemessen wird, sehr wohl das objectiv reale Sein in den Worten
gedacht werde, wornach bei demjenigen, was über alle Erfahrung hin
ausliege , es eben bei der significatio perceptae vocis sein Bewenden
halien müsse, welche an sich den objectiv wirklichen Bestand des be
zeichneten Dinges nicht enthält341). D. h. Gaunilo sagt: Wir setzen in
unseren Worten die concrete Erfahrung in Begriffe um und besitzen in
den Worten auch die Kraft, über das unmittelbar Wirkliche hinauszu
gehen; sobald aber diess geschieht, befinden wir uns in der Sphäre
des Gedankens allein, aus welchem als einem bloss subjectiven die objective
Existenz des Gedachten hervorlocken zu wollen, ein vergebliches
Bemühen ist, denn gerade wenn man auf das cogüari sich wirfl, zeigt
sich, dass esse und non esse dem Objectiven angehören, und hiemit der
ontologische Beweis Nichts beweist, weil er sein eigenes Gebiet über
schreitet und zuviel beweist.
Ist hiemit der onlologische Beweis nur dadurch entstanden, dass
Anselmus sich nicht einmal über seinen eigenen realistischen Standpunkt
logisch klar war, so zeigt sich diese nemliche Schwäche auch in jenem
Bekenntnisse des Realismus, welches der „Dialogus de verilate" enthält.
Den schlechthin realistischen Ausdruck „subslantiae universales11 sahen
deus non est, licet haec verba dient in corde aut sine ulla aut cum aliqua extranea
signiftcalione.
341) L. pro insip. c. 4, p. 36.: Neque enim aut rem ipsam quae deus esl
novi, neque ipsam possum coniicere ex alia simili, quandoquidem et tu talem asseris
illam, ut esse non possit simile quidquam, Nam si de homine aliquo mihi
prorsus ignolo , quem eliam esse ncscirem, dici tarnen aliquid audirem, per illam
specialem generalemve notitiam, qua quid sit homo vel homines novi, de Mo quoque
secundum rem ipsam, quae est homo-, cogitare posscm; et tarnen ßeri possei,
ul mentiente illo qui diceret, ipse , quem cogitarem, homo non esset, cum tarnen
ego de illo secundum veram nihilominus rem, non quae esset ille homo sed quae
esl homo quilibet, cogilarem. Nee sie iqitur , ul haberem falsum istud in cogitalione
vel in inlellectu, haltere possum illud , cum audio dici ,,deus" aut ,, aliquid
omnibus maius", cum, quando illud (d. h. jenen Menschen) secundum rem veram
mihique notam cogitare possem, istud (d. h. Gott) omnino nequeam, nisi lantum
secundum vocem, secundum quam solam aut nix aut nunquam polest ullum cogitari
verum; siquidem cum ita cogitalur , non tarn ipsa vox, quae res est utique vera,
hoc est lillerarum sonus vel syllabantm, quam vocis auditae signiftcatio cogitetur,
Sed non ila ul ab illo qui nocit, quid ea soleal voce significari, a quo scilie.nl
cogitatur secundum rem vel in sola cogilatione vera , verum ut ab eo qui illud non
novil et solummodo cogilat secundum animi molum illius audilu vocis effectum signi-
(icationemque perceptae vocis conantem effingere sibi, quod mirum est si unquam rei
veritate poluerit. Ita ergo nee prorsus aliler adhuc in inlellectu meo conslat illud
haberi , cum audio intelligoque dicentem , esse aliquid maius omnibus quae valeant
cogitari. Haec de eo, quod summa illa nalura iam esse dicitur in intelleclu meo.
88 XIII. Anseimus.
wir schon oben (Anm. 319) in der gegen Roscellinus gerichteten Stelle ;
aber eben diese Auffassung hindert den Anseimus natürlich an jedem
Verständnisse dessen, was die Form des logischen Unheiles bedeute,
denn indem er die enunliatio von vorneherein nur als Abklatsch des
objectiven Seins oder Nichtseins betrachten kann, theilt er ihr nicht
einmal in dieser Form die Wahrheit zu, sondern verlegt die Wahrheit
ausschliesslich in das Objective, welches nicht einmal in seinem Auftreten
im Urtheile wahr sei, sondern nur die Ursache der Wahrheit des Urtheiles
enthalte342); ja er verhöhnt förmlich die Form des Urtheiles,
indem er sagt, dass dasselbe auch dann, wenn es im Widerspruche
mit dem objectiven Thalbestande stehe, immerhin die Richtigkeit des
blossen Aussagens und Bezeichnens enthalte, während die wahre Rich
tigkeit, d. h. die Wahrheit selbst, eben nur in jener Objectivität liege,
nach welcher in ohjectivem Sinne zu haschen gleichsam als ethische
Pflicht bezeichnet wird 343), denn da Alles sein Sein nur von der höch
sten Wahrheit empfängt344), gestaltet sich zuletzt das Sein selbst zu
einem Sollen 345). Hiernach ergibt sich wohl ein schlechthin objectiver
einheitlicher Grund der Wahrheit346), aber je stärker das ausschliess-
342) Dial. d. ver. c. 2, p. 1091'.: M. Quando est enuntiatio vera? D. Quando
esl , quod enuntial sive afftrmando sine negando ; dico enim esse quod enuntial,
eliam quando negat esse quod non est, quia sie enuntial, quemadmodum res est.
U. An ergo tibi videlur, quod res enuntiata sit veritas enuntiationis? D. iVon. M.
Quare? D. Quia nihil est verum nisi participando veritatcm , et ideo veri veritas
in ipso vero est; res vero enuntiala non est in enuntialione vera; unde non eius
veritas , sed causa veritatis eius dicenda est.
343) Ebend. p. 110.: M. Ergo non esl enuntiationi aliud verilas, quam reclitudo
D. Video quod dicis ; sed doce me , quid respondere possim , si quis dicat
, quia eliam cum oratio signiftcat esse quod non est , signiftcat quod debet ; pariter
namque accepit signi/icare esse et quod esl et quod non esl , nam si non
accepisset signißcare esse etiam quod non est, non id signißcaret ; quare etiam cum
significal esse quod non est , signiftcat quod debel ; at si quod debet signißcando
recta et vera est, sicut ostendisti, vera esl oratio etiam cum enuntial esse quod non
est. M. Vera quidem non solet dici, cum significat esse quod non est, verilatem
tarnen et reclitudincm habet , quia facil quod debet. Sed cum significat esse quod
esl , dupliciler facit quod debet, quoniam significal et quod accepit significare et ad
quod facta est; sed secundum hanc rectiludinem et veritatem, qua significat esse
quod est, usu recta et vera dicitur enuntiatio, non secundum illam . qua significal
esse etiam quod non est .... Alia esl igitur rectitudo et veritas enuntiationis , quia
significat ad quod significandum facta est, alia vero quia significat quod accepit
significare; quippe isla immutabilis est ipsi orationi, illa vero mutabilis.
344) Ebend. c. 7, p. 112 : An putas aliquid esse aliquando aut alicubi, quod
non sit in summa veritate et quod inde non acccperit , quod est in quantum est,
aut quod possil aliud esse , quam quod ibi est ?
345) Ebend. c. 9, p. 113.: In rerum quoque existentia est similiter vera vel
falsa significalio, quoniam co ipso quia est, dicit se debere esse. Hiemit hängt
auch zusammen, dass Anseimus das reale Nichtsein oder das seiende Nichts völlig
mit dem Bösen idenliflcirt (Epist. H, 8, p. 343 f.) und somit im Vergleiche mit
Scolus Erigena (Anm. 133 ff.) entschiedener den platonischen Realismus bekennt.
346) Ebend. c. 13, p. 115.: Si rectitudo non est in rebus illis , quae debent
rectitudinem , nisi cum sunt secundum quod debent, et hoc solum est illis rectas
esse, manifeslum esl, earum omnium unam solam esse rectitudinem Quoniam
illa (sc. veritas) non in ipsis rebus aut ex ipsis aut per ipsas, in quibus esse dicilur,
habet suum esse, sed cum res ipsae secundum illam sunt, quae semper praesto
est his , quae sunt sicut debent, lunc dicitur huius vel illius rei veritas.
XIII. Anseimus. 89
lieh spiritualistische Erfassen desselben betont wird 34T), desto weniger
ist verständlich, wie der logischen Form des Urlheiles noch irgend eine
principielle Function verbleiben solle.
Wie wenig durchgebildet aber die Auffassung der Logik überhaupt
bei Anseimus gewesen sei , erhellt am deullichsten aus der Schrift,
welche den Titel „Dialogus de grammalico" führt348). Dieselbe ist
allerdings nur ein Schul-Exercitium, welches Anselmus, wie er selbst
sagt, nur im Hinblicke auf übliche zahlreiche Erörterungen ähnlicher
Art verfasste349); aber während wir nicht wissen, ob jene anderen
dergleichen Schriften etwa hesser gewesen seien, ersehen wir jedenfalls,
dass die des Anselmus auf einem bedauerlich niedrigen Standpunkte
stehe. Denn sie ist ein fortgesetztes verstandloses Spiel mit angelernten
Lehrsätzen aus Boethius und bewegt sich in dem tädiösen Bemühen,
Schwierigkeiten, wo kein vernünftiger Mensch welche finden kann, vor
erst aufzustöbern und dieselben dann in adäquater Weise wieder zu
lösen, — kurz, sie ist ein ebenso geringfügiges Erzeugniss einer höchst
beschränkten Schulweisheil wie die obige Schrift Gerbert's, und davon,
dass durch dieselbe das dialektische Studium gefördert worden sei,
kann um so weniger eine Rede sein, als sie sogar bezüglich der logi
schen Parteifrage sich als äusscrst stumpf und matt zeigt.
Das Ganze dreht sich um die Frage, ob „grammaticus" Substanz
oder Qualität sei, da beides zugegeben werden müsse, aber nicht zu
gleich wahr sein könne350). Die vernünftige Antwort aber, dass nem-
347) Ebend. c. 11, p. 113.: Nempe nee plus nee minus conlinet isla diffinitio
veritalis, quam expediat, quuniam nomen rectitudinis ditidit eam ab omni re,
quae rectitudo non vocatur ; quod vero sola mente percipi dicitur, separat eam a
recliludine visibili.
348) Aoselmus sagt selbst (Prof. ad L. d. ver. p. 109.): edidi tractatum non
inulilem, ut puto, introducendis ad dialecticam, cuius initivm tst „De grammalico",
und aus einer diess wiederholenden Stelle bei Sigeb. Gembl. d. scr. eccl. c. 168.
(Fabric. Bibl. eccl. p. 114.: scripsit.... alium librum introdticendis ad dialecticam
admudum ulilem, cuius inilium esl ,,De ijrammaüco") entstand die irrige Meinung,
er habe auch eine eigene ,,lnlroductio in dialecticam" geschrieben.
349) Dial. d. gramm. c. 21, p. 150.: Tarnen quoniam sei's, quantum noslris
Itmporibus dialectici ccrlent de qttaestione a te proposila, nolo te sie his quae diximus
inhaerere, ut ea pcrlinaciter leneas , si quis validioribus argumenlis haec. deslruere
et diversa valueril astruere ; quod si conligerit, sattem ad exercilationem
ditputandi nobis haec profecisse non negabis.
350) Ebend. c. l, p. 143.: De grammalico pcto ul me cerlum facias, utrum
sit substantia an qualitas,' ut hoc cognilo, quid de aliis quae simulier denominatäe
dicunlur, sentire debcam, agnoscitm. Die Quelle der Frage liegt darin, dass
Boethius (p. 121.), wo in den Kategorien grammaticus als denominalivum von
grammatica angeführt wird, in der Erklärung den Aristarchiis als Beispiel eines
grammalicus nennt, und ausserdem bei der Subslanz (p. J34.) grammaticus aus
drücklich bis zu animal zurückgeführt wird, daneben aber (p. 185 f.) bei der Kate
gorie der Qualität grammaticus zum steheitden Beispiele geworden war. Daher
stellt nun Anselmus Folgendes als sich Widersprechendes nebeneinander: Ul quidem
grammaticus probctur esse substantia , sufßcit quia omnis grammalicus komo , et
omnis homo substantia (vgl. Jtoelh. ad Pnrph. p. 63 f.) Quod vero grammaticui
sit qualitas , aperlc fatentur philosophi, qui de hac re tructaverunt , quorum auctorilatem
de his rebus esl impudentia improbare. Item quoniam necesse est, ul grammaticus
sit aul substantia aut qualitas , cum ergo alterum horum verum sit
alterum falsum, rogo ut falsilatem detegens aperias mihi verilatem.
90 XIII. Anseimus.
lieh dennoch beides wahr sei, wird auf den verkünsteltslen Umwe
gen herbeigeführt 351). Der Annahme nemlich , dass es eine Substanz
darum sei, weil ja der Grammatiker ein Mensch, der Mensch aber Sub
stanz ist, tritt zunächst ein verzerrter Syllogismus gegenüber, dessen
Sfhlusssalz dahin lautet, dass kein Grammatiker ein Mensch sei352),
was vorerst dadurch widerlegt wird, dass man auf gleiche Weise auch
beweisen könne, dass kein Mensch ein lebendes Wesen sei 353), worauf
erst nachhinkend die Hinweisung auf den im MitlelbegrifTe liegenden
Formfehler jenes Syllogismus folgt, und die anli-nominalistische Bemer
kung sich anknüpft, dass die Kraft des Schliessens nicht in den aus
gesprochenen Worten, sondern in dem inneren Gedanken liege354).
Das hieraus gewonnene Resultat aber, dass Grammatiker und Mensch
nicht identisch sind355), wird nun neuerdings syllogistisch dahin ver
zerrt, dass kein Mensch ein Grammatiker sei, und zwar geschieht auch
diess nur, um mit abermaliger Beiziehung des analogen Schlusses, dass
kein Mensch ein vernünftiges Wesen sei , zur Berichtigung des Mittelbegriffes
zu gelangen und hiedurcb auf das bereits dagewesene Resultat
zurückzukehren, dass das Wesen des Menschen nicht das Wesen des
Grammatikers sei356). Aber auch diess genügt noch nicht, sondern
351) Ebend. c. 2.: Argumenta, quae ex utraque parle posuisti, necessaria
sunt, nisi quod dicis, si allerum est, alterum esse non passe; quare non debes a
me exigere, ut alteram partem esse falsam oslendam, quod ab ullo fieri non polest ;
sed quomodo sibi invicem non repugnent, aperiam, si a me fieri potesl. Sed vellem
ego prius a te ipso audire , quid his probationibus tuis obiici passe opineris.
352) Ebend. : Illam quidem propositionem quae dicit , grammaticum este hominem,
hoc modo repelli exislimo: quia nullus grammatictts polest intelligi sine
grammatica, et omnis Homo polest intelligi sine grammalica, item omnis grammaticus
suscipit magis et minus (diess ans Boeth. p. 186.) . et nullus homo suscipit magis
et minus, ex utraque contexlione binarum propositionum conßcilur una conclusio,
id esl, nullus grammaticus esl homo.
353) C. 3, p. 143 f.: Non sequitur Contexe igitur lu ipse quatuor proposiliones
in duos syllogismos : Omne animal potesl intelligi praeter rationalitatem;
nullus vero homo polest intelligi praeler rationalitatem. Item: Nullum ani
mal rationale est ex necessilate ; omnis autem homo ralionalis esl ex necessitale.
Ex utroque hoc ordine binarum propositionum videtur nasci: nullus igilur homo esl
animal; quo nihil falsius, licel praecedenles proposiliones titubare in nullo videam
Sed Video horum duorum syllogismorum connexionem per omnia simücm illis
duobus quos paulo anle proluli.
354) C. 4, p. 144.: Junge has duas propositioncs ita integras sicut eas modo
protulisti. Omnis homo potesl intelligi homo sine grammalica ; nullus grammaticus
polest intelligi grammalicus sine grammalica Video, eas non habere communem
terminum , et idcirco nihil ex eis consequi Cummunis terminus syllogismi non
tarn in prolatione quam in sentenlia est habendus; sicut enim nihil efficilur , si
communis est in voce et non in sensu,- ita nihil obest, si est in intelleclu et no»
m prolatione ; sententia quippe ligat syllogismum , non vcrba (so also denkt der
Erfinder des ontologischen Beweises über die Form des Syllogismus!).
355) C. 5.: Exspecto, ul reddas* effectum propositionibus mm.... Conßcilur
ergo , quia esse grammatici non est esse hominis St ita intelligas • ,,yramma—
ticus non est homo", ac si dicatur ,, grammalicus non esl idem quod homo", i. e.,
non habenl eandem difßnitionem , vera esl conclusio.
i 356) C. 6.: Si quis ila conlexerel ,, Omnis grammaticus dicitur in eo quod
quäle (der Ausdruck in eo quod quäle stellt b. Boeth. ad Porph. p. 87 f.) ; nullus
homo dicitur in eo quod quäle ; ergo nullus homo grammaticus", tale mihi hoc videretur
esse, ac si diceretur „Omne rationale dicüur in eo quod quäle; at nuUus
XIII. Anseimus. 91
mit steter Umgehung Hessen, was jeder vernünftige Mefisch von vorneherein
gewnsst und gesagt hätte, wird wieder ein anderweitiger Syllo
gismus beigebracht i dessen Schlusssalz lautet, dass kein Stein ein
Mensch sei, und es knüpft sich daran die Hinweisung auf den Unter
schied der beiderseitigen Schlusssätze, insoferne man wohl sagen müsse,
dass der Stein in keinerlei Weise ein Mensch sei, nicht aber behaupten
dürfe, dass der Grammatiker in keinerlei Weise ein Mensch sei357);
ja noch einmal folgt, und zwar nun in dileromatischer Form, ein ver
schrobener Beweis, dass kein Grammatiker ein Mensch sei, um neuer
dings zu dem jetzt modifioirten Resultate zurückzukommen, dass das
Grammatiker-Sein nicht schlechthin dasselbe sei wie das Mensch-Sein 358).
Diess Alles aber ist noch nicht genug, sondern die Sache wird von
Schritt zu Schritt immer ungeniessbarer. Nemlich vorerst wird die
Möglichkeit offen gelassen, nunmehr nach Analogie des Weiss-Seins doch
wieder zu schliessen, dass einige Grammatiker keine Menschen seien 359);
sodann aber wird ein aus der Wesens-Verschiedenheit zwischen Gram
matik und Mensch (da ersteres eine Inhärenz sei, letzteres aber nicht)
gezogener abermaliger Schluss , dass kein Grammatiker ein Mensch sei,
dazu benützt, um mit anti-nominalistischer Betonung der res das Resul
tat auszusprechen, dass der ohjectiv sachliche Gehalt des Grammatikers
in „Mensch" und „Grammatik" liege, wornach grammaticus zugleich
liomo dicitur in eo quod quäle; nullus ergo homo rationalis" ; hoc autem nulla
probatio verum efflcere valet, ut rationale praedicetur de nullo homine. Similiter
ille Syllogismus, quem modo protulisti , non necessario concludil, grammalicum non
praedieari de homine; hoc enim signific.anl eius propositiones, si secundum veritalem
eas intelligimus , tanquam si diceretur ita ,,0mnis grammalicus dicilw grammaticus
in eo qtwd quäle; nullus homo dicitur homo in eo quod quäle"; ex his autem
duabus proposilionibus nequaquam consequitur ,,nulhis grammaticus praedicatur de
homine" .... Si quis vero .... ita velit inlelligere , ac si diceretur ,,homo non est
idem quod grammaticus' ' , ud hoc probandum, quia essentia hominis non cst
essenlia grammatici, habet carum significatio eommunem terminum.
357) C. 7, p. 145.: Die mihi , si quis sie proponeret „Nullus homo polest
intelligi sine rationalitate ; omnis autem lapis potest intelligi sine ralionalitate",
quid consequeretur, nisi ,,nullus igitur lapis homo" Die ergo quid differt
iste Syllogismus ab Mo tuo syllogismo ? Sed quoniam iste quodam alio modo
polest intelligi, quo ille tuus non polest, habet hanc conclusionem , ut nullo modo
lapis possit esse homo Si« potest, immo debet accipi , ac si dicatur ,, Nullus
homo potest aliquo modo intelligi sine ralionalitate; omnis vero lapis quolibet modo
polest intelligi sine rationalitate", unde conßcitur ,,nullus igitur lapis aliquo modo
est homo". In tuis vero proposilionibus veritas nequaquam similem admittit subauditionem.
358) C. 8.: Esse grammatici non est esse hominis. Si hoc est, qui habet
essentiam grammatici, non ideo necessario habet essentiam hominis, non est
igitur omnis grammaticus homo. At cum omnibui, grammaticis una sit ratio, für
sint homines, profecto (tut omnis grammaticus est homo aut nullus; sed constat,
quia non omnis ; nullus igitur Debet inlelligi illa argumentatio hoc modo : si
esse grammalici non est simpliciter esse hominis, qui habet essentiam grammatici,
non ideo sequilur ut habeat simpliciter essentiam hominis ; ita vero nihil aliud
seqititur, nisi ,,nullus grammaticus esl simpliciter homo".
359) C. 9.: Verum si probarelur, quod, M« puto , fädle ficri polest, quia esse
grammatici ita non cst esse hominis sicut esse albi non est esse hominis, tunc
vere sequeretur aliquem grammaticum passe esse non hominem.
92 XIII. Anseimus.
nach der einen Seite Substanz und nach der anderen Qualität sei 36°).
Nachdem aber ein neuer gegen die Substanzialität des Grammatikers
erhobener Einwand siegreich durch den eben eingenommenen Stand
punkt beseitigt scheint301)» steigt wieder eine andere Schwierigkeit auf ;
denn die beständige Gewohnheit der Dialektiker, das Wort „Gramma
tiker" stets als Beispiel der Qualität, nie aber als Beispiel der Substanz
anzuführen, widerstreite gerade dem gewöhnlichen Sprachgelirauche,
nach welchem man nie jenes Wort an Stelle der damit bezeichneten
Qualität setzen könne, und ferner müsse folgerichtig auch der Begriff
„Mensch", in welchem gleichfalls Qualitäten enthalten seien, ebenso als
Beispiel der Qualität verwendet werden können, was doch nie ge
schehe 362). Diess wird nun dadurch gelöst, dass das Wort „Mensch"
wirklich eine reale Einheit bezeichne und daher wahrhaft ein significativum
betreffs der Substanz sei, nicht aber eigentlich als prädicatives
appellativum auftreten könne, wohingegen das Wort „Grammatiker" nur
eben bezüglich des realen Dinges, welches die Grammatik ist, an sich
(per se) ein significalivum sei , betreffs des Menschen aber nur mit
telbar (per aliud) als blosses appellalivum gebraucht werde, denn über-
360) Ebend.: Aristoteles ostendit, grammaticam (bei Gerberon steht sinnlos
grammaticum) eorum esse quac sunt in subiecto (aus Boeth. p. 119., s. Abschn. XII,
Anm. 92.) , et nullus homo est in subieclo; quare nullus grammaticus homo. M.
Noluit Aristoteles hoc consequi ex suis diclis, nam idem Aristoteles dicit quendam
hämmern et hominem et animal grammaticum (Boeth. p. 134.) Cum loqueris
mihi de grammatieo, num intelligam te loqui de hoc nomine , an de rebus quas
significat? D. De rebus. M. Quas ergo res significat? D. Hominem et grammaticam
M. Die ergo: homo est substantia an in subiecto? D. Non est in subiecto,
sed est substantia. M. Grammatica esl qualitas et in subiecto? D. Utrumque esl.
M. Quid ergo mirum , si quis dicil , quia grammaticus est subslantia et non esl in
subieclo secundum hominem, et grammaticus esl qualitas et in subiecto secundum
grammaticam.
361) C. 10, p. 146.: Sed unum adhuc dicam, cur grammaticus non sit sub
stantia: quia omnis substantia est prima aut secunila (Boeth. p. 128., s. Abschn.
XII, Anm. 91.), grammaticus autem nee prima nee secunda. M. Memento dictorum
Aristotelis quae paullo anle dixi Sed tarnen unde probas? D. Quia est in sub
ieclo, quod nulla suhstanlia esl, et dicitur de pluribus, quod primae non est, nee
est genus aut species nee dicilur in eo quod quid, quod est secundae (Koelh. p. 72.).
M. Nihil horum , si bene meminisli quae iam diximus, auferl grammatieo substanliam
, quia secundum aliquid grammaticus non est in subiecto et est genus et spe
cies, ....est etiam individuus , sicut homo et animal, .... Socrates enim et homn
et animal est et grammaticus.
362) C. 11.: Nemo qui intelligit nomen grammatici, ignorat , grammaticum
significare et hominem et grammaticam, et tarnen si hac ftducia in populo loquens
dicam ,,utilis scientia est grammaticus"^ aut ,,bene seit iste homo grammaticum",
non solum stomachabuntur grammatici, sed et ridebunt ruslici. fiullatenus itaque
credam sine aliqua alia ratione tractatores dialecticae tarn saepe et tarn sludiose in
suis libris scripsisse , quod idem ipsi colloquentes dicere erubescerent. Saepissime
namque ubi volunl ostendere qualilatem aut accidens , subiungunl ,,ut grammaticus
et similia", cum grammaticum magis esse substantiam quam qualitatem aul accidens,
usus omnium loquentium atteslctur; et cum volunt aliquid docere de substantia,
nusquam proferunt ,,ut grammaticus aut aliquid huiusmodi". Huc accedit: cur
homo non est sinüliler qualitas et substantia? homo namque signiftcal substantiam
cum omnibus illis di/ferenliis quae sunl in homine, ut est sensibilitas et mortalilas ;
sed nusquam ubi sit scriptum aliquid de qualitale aliqua, prolatum esl ad exemplum
,,velut homo".
XIII. Anseimus. 93
haupt falle das appellaltium nur dem gewöhnlichen Redegebrauche anheim,
während das significalivum die reale Substanz enthalte363).
Ahnen wir nun schon hiernach, worauf das Ganze hinauslaufen werde,
so vergönnt uns Anseimus noch nicht sofort den Gcnuss seiner realisti
schen Auffassung, sondern schleppt uns noch einige Zeit durch unver
ständige Tändeleien hindurch. Nemlich der Einwand, dass „Gramma
tiker" und „Mensch" demnach in gleicher Weise bezeichnende Aussagen
seien, und hiemit ersleres gleichfalls in einer realen Einheit den Begrifl'
des Menschen und den Begriff der Grammatik umfasse, soll nun da
durch widerlegt werden, dass dann Grammatik kein Accidens, sondern
eine Wesens-DiU'erenz wäre, was ebenso von allen ähnlichen Qualitäten
gellen müsste, sowie auch die Folgerung sich ergäbe, tlass dann ein
Nicht-Mensch, welcher Grammatiker wäre, eben deshalb zugleich ein
Mensch sein müsste 3ti4); ferner sei ja gerade die Adjektivl'orm des
Wortes grammalicus zu bedenken, denn wenn „Mensch" schon an sich
in „Grammatiker" enthalten wäre, könnte man durch Substituirung ins
Unendliche fort das Wort „Mensch" wiederholen müssen, und überhaupt
verrücke man den Standpunkt der abgeleiteten Appellativa, da dann z.
363) C. 12.: fiempe nomen hominis per se et ul unum significal ea, ex quibus
conslat totus homo Quapropler quamvis omnia simul vclut unum totum sub
Wla significatione wio nomine appellentttr homo , sie lamen principaliter hoc nomen
esl significalivum et nun (non fehlt widersinnig bei Gerlicron) appellativum substanliae
Grammalicus vero non significal hominem et grammaticam ul unum, sed
grammaticam per se et hominem per aliud, et hoc nomen quamvis *// appellalivum
hominis, non tauten pruprie dicitur eius signi/icnlnum, et licel stt significalivum
grammaticae , non tarnen propric est eius appellalivum. Appellativum • indem nomen
cuiuslibet rei nunc dico , quo res ipsa usu loquendi appellalur. Diese Unterschei
dung zwischen significalivus und appellalitus ist gleichfalls aus Boethius geschöpft,
einerseits im Hinblicke auf die dortige (p. 308 f.) Delinition des Substantives, und
andrerseits in Folge ausdrücklicher Angaben des Boethius, welcher die betreffende
Stelle Categ. c. 5. folgendermaassen übersetzt (p. 138.): in secundis vero substantiis
videtur quidem simililer appellationis ftgura hoc aliquid significare, non
lamen verum esl , sed magis quäle aliquid signi/icat , wozu noch Bemerkungen bei
der Kategorie der Qualität kommen (p. 174.): qualilas sectindum Arislolelem ipsa
quoque mullipliciter appellatur et communis est multiplcx appellatio etiam in
his nominibus, quae veluli genera de speciebus dicuntur; und (p. 183.): gramma-
Hci enim a grammalica nominanlur , alque hoc est in pluribus , ul posito nomine
si quid secundum ipsas qualilales quäle dicilur, ex las ipsis qualilatibus appellatio
derivelur dislinclis qualilatum vocabulis appellanlur. So ist also auch bei
Anseimus durchweg der bisherige beschränkte Quellenkreis nicht überschritten,
und hätte man damals schon die Ueberselzung der Analytik gekannt, so wären
wohl derartige Erörterungen überhaupt unmöglich gewesen.
364) C. 13, p. 147.: Sicul enim homo conslat ex animali et rationalitale et
mortalitate et idcjrco homo signiftcat haec Irin, ita grammaticus constal ex homine
et yrummalica et ideo nomen hoc significal ulrumque M. Si ergo Ha esl , ut
tu dicts , diffinilio et esse grammalici est homo sciens grammaticam .... Non est
igilur grammalica accidens, sed subslantialis differenlia, et homo esl qenus et gram
malicus species ; nee dissimilis esl ralio de atbedine et similibus accidenlibus , quod
falsum esse tolius artis traclalus oslendil (Boeth. p. 79 ff.) Ponamus, quod
iil u a i mal aliquod rationale, non lamen homo, quod ita sciat grammaticam sicut
homo Est igilur qliquis non homo sciens grammaticam ul omne sciens gram
maticam est grammaticum .... est igilur quidam non homo grammaticus .... sed tu
dicis in grammatico inlelligi hominem quidam ergo non homo est homo, quod
falsum est.
94 XIII. Ansclnms.
6. auch hodiernus ein Zeitwort sein müsste 365). Nachdem aber hiedurch
als bewiesen gilt, dass grammalicus nicht die Suhslanlialitiil des
Menschen einheitlich in sich schliesse, sondern nur die adäquate Be
zeichnung der Grammatik allein sei , soll nun noch deutlich gemacht
werden, in welcher Weise grammalicus bloss mittelbares A|>|iullativum
des Menschen sei ; diess geschieht mit der sinnlosesten Vertauschung
attributiver Begriffe durch ein Beispiel, da, wenn ein weisses Pl'erd und
ein schwarzer Ochs nebeneinander stehen, durch das Wort „Weiss"
mittelbar das Pferd bezeichnet werden könne 3Ö^). Das hi.evon zu er
wartende Resultat ist , dass alle appellative Bezeichnung nur accidenlell
sei 3(i7), wornach der ganze Umkreis des menschlichen Redens, welches
sich in Urlheilen bewegt, dem Accidenlellen anheimfällt, und hiemil
das Wesen des Prädicales für die Logik vernichtet ist, sobald dasselbe
nicht mit dem substantiellen Subjecte identisch bleibt. Ja, es wird
gegen jene Folgerung ein neuer Einwand beigebracht, um siegreich aus
demselben zu dem verstärkten Standpunkte zurückzukehren; nemlich es
könne eingewendet werden , dass bei solcher Trennung von Substanz
und Accidens nun da, wo Mensch und Gramnialik sich in dem Gram
matiker vereinigen, nur die Wahl bleibe, entweder den Grammatiker
selbst sofort als eine blosse Qualität zu bezeichnen , oder sich ausschliesslich
auf die Substanz zu werfen, so dass der Mensch allein in
dieser seiner Substanzialilät schon der Grammatiker wäre 3(i8). Letztere
Alternative nun wird durch ein Wortspiel und ein Gleichniss beseitigt,
denn der Mensch bleibe ja in seiner Selbstständigkeil, während er die
Grammatik als Eigenschaft besitze, und es sei ebenso, wie wenn von
365) Ebend. : St komo esl in grammalico, non praedicalur cum eo simul de
aliquo , non enim apte dicitur, quod Socrales est homo animal (Koelk. p. 64.)
...., sed convenienler dicilur , quod Socrates esl homo grammalicus.... Item, si
grammaticus esl homo sciens grammalicam , ubicunque ponitur grammaticus , apte
ponitur homo sciens grammalicam si igüur apte dicilur ,, Socrates esl homo
grammalicus", aplc quoque dicilur ,, Socrates esl homo homo sciens grammaticam"
...et sie in infinitum Item simulier in omnibus denominath'is id quod denominalur
cum eo inlelligendum est a quo denominalur .... ergo kodiernmu significal
id quod vocalur hodicrnum et hodie ergo hodiernum non est nomen, sed verbum,
quia est vox significans tempus.
366) C. 14.: Sufficienler probalum est, grammaticum non esse apellalivum
grammalicac, sed hominis , nee esse signißcativum hominis, sed grammalicae ; sed
quoniam dixisli, grammaticum significare grammaticam per se et kominem per aliud,
peto ut aperlc mihi has dtias significationes dislinguas M. Quid si vides stanles
iuxla se invicem album equum et nigrum bovem et dicit libi aliquis de equo
,,percule illum" non monstrans aliquo signo , de quu dical , an scis, quod de equo
dicat. D. Non. M. Si vero nescienli libi et interroganti ,,quem?" respondet „all/um",
inteltigis , de quo dicit ? D, Equum inlelligo per nomen albi .... Namque nomen
equi . . . . significal mihi equi substantiam per se et non per aliud; nomen vero albi
substantiam equi significal non per se, sed per aliud, i. e. per hoc quod scio equum
esse album. (Wohl zu bedauern ist der Leser, welcher solchen Unverstand durch
machen soll; jedoch ich musste das Hauptsächliche objectiv vorführen, da ein
blosses subj'ectives Urlheil, dass Anseimus in dieser ganzen Schrift sich als logisch
impotent zeige , Niemandem genügt hätte.)
367) C. 15, p. 148.: harum duarum significationum illa, quae per se esl, ipsis
vocibus significalivis est substantialis , alia vero, quae per aliud est, accidentalis.
368) -C. 16.: Non sine scrupulo accipil animus , grammaticum aut hominem solum , i. e. sine grammatica, esse grammaticum. esse quaiitalent
X1H. Aiiseliwis. 95
zwei Fussgängern der Eine voraus und der Andere hinterdrein gehe,
denn der Vorausgehende sei allein, insoferne er allein vorausgehe, und
zugleich nichl allein, insoferne ein Anderer mitgehe300). Die erslere
Alternative aber wird zum Bekenntnisse des Realismus henützt, wobei
Anseimus mit verbissener Resignation auf die Anschauungen der aristote
lischen Dialektiker eingeht, um wenigstens zu retten, was zu retten ist,
denn da die Auclorität der Kategorien doch als zu gross galt, um sie
vollends zu verwerfen , musste eine realistische Interpretation versucht
werden. Anseimus nemlich sagt, den Grammatiker lediglich als Qualität
zu bezeichnen, sei nur nach dem Standpunkte der aristotelischen Kate
gorien richtig, denn in denselben handle es sich allerdings weder um
das reelle Sein der Dinge selbst, noch auch um die bloss appellative
Bezeichnung durch Worte, sondern um die voces significativae (s. ob.
Au m. 363), insoweit dieselben das substantielle Sein an sich selbst
unmittelbar bezeichnen , und darum sei es in richtiger Weise bei den
Dialektikern üblich geblieben, sich nur in dieser substantiellen Bezeichnimgsweise
zu bewegen, d. h. den Grammatiker nur als Beispiel der
Qualität zu gebrauchen370); denn in diesem realistischen Sinne sei im
Hinblicke auf die Kategorien der Grammatiker eben sprachlich und sach
lich eine Qualität, hingegen abgesehen von dieser dialektischen Betrach
tung, welche aber hiemit das wesentlich substantielle Sein enthalten
soll, bleibe nur das Gebiet der gewöhnlichen appellativen Redeweise
übrig, in welcher der Grammatiker ein Mensch genannt werde, ebenso
wie z. B. in der Betrachtung der Wertformen der Stein richtig ein
Masculiuum genannt werde, während im gewöhnlichen Sprechen ihn
369) Ebend.: quod homo sulus , i. e. sine grammalica, esl grammalicus,
duobus modis intelligi polest, uno vero , altero /'a/so. Homo quippe (diess ist der
verus modus) solus, i. e. absque grammalica, esl grammalicus , quia solus esl habens
grammalicam , grammalica namque nee so/a nee cum homine habet grammaticum.
Sed homo solus, i. e. absque grammalica, non cst grammalicus, quia absenle
grammalica nullus esse grammalicus polest (d. h. der /alsus modus wäre , jenen
Satz so zu verstehen, als müsse nicht doch noch die Grammatik zur selbstän
digen Menschen-Substanz hinzukommen). Sicul qui praecedendo ducil alium , el
solus esl praevius , quia qui scquilur non esl praevius , el solus non est praevius,
quia nisi sit qui sequatur , praevius esse non polest. Hindurch also glaubt der
Realist das Verhältniss der Inhärenz erklärt zu haben.
370) C. 16.: Cum vero dicilur , quod grammalicus esl qualilas, non rede nisi
secundum Iraclalum Aristolelis de categoriis dicilur. C. 17.: D. An aliud kabel
tue traclalus quam ,,omne quod est, aul esl subslanlia aul quanlitas aul qualilus
etc." (Boelh. p. 127.) M. Non lamen fuil principalis intenlio Arislotelis , hoc
in illo libro ostendere r sed quoniam omne nomen vel verbum aliquid horum signi-
/icai ; non enim inlcndebal ostendere , quid sint singulae res , nee quarum rerum
sinl appellalivae singulae voces, sed quarum significalivae sinl ; sed quoniam voces
non significanl nisi res , dicendo quid sil quod voces significanl , necesse fuil dicere
quid sint res De qua significalione videlur tibi dicere, de illa qua per se
significant ipsae voces el quae illis esl subslanliulis , an de allere quae per aliud
ett et accidenlalis ? D. Nonnisi de ipsa , quam idem ipse eisdem vocibus inesse
diffiniendo nomen el verbum (Boelh. p. 293 f.) assignavil, quae per se significanl.
M. An pulas aliquem eorum, qui eum sequenles de diaieclica ecripserunl, aliler
senlire voluisse de hoc re , quam senlil ipse? D. Nulto modo eorum scripla hoc
aliquem opinari permitlunl , quia nusquam invenilur aliquis eorum posuisse aliquam
vocem ad oslendendum aliquid quod significet per aliud, sed seinper ad hoc quod
per te tignificat.
06 XIII. Anselmus.
Niemand als ein männliches Wesen bezeichne311). Also Anselmus er
blickt in den Kategorien wohl eine formelle Macht, bezieht dieselbe aber
lediglich auf die olijectiv vorliegende Tabula logica des wesentlichen
Seins. Wie roh er aber dieses verstanden habe , erhellt deutlich aus
dem Schlüsse der Schrift , wo noch die Frage erörtert wird , ob Ein
Ding unter mehrere Kategorien fallen könne; denn wenn z. B. gesagt
wird, dass armalus auch unier die Kategorie der Substanz gehören
könne, weil der Bewafl'nete eine Substanz, nemlich die 'Waffen, an sich
habe, so ist diess allerdings der Gipfelpunkt logischen Unverstandes,
und wir schliessen gerne mit dem Entscheide, welchen Anselmus hier
über gibt, dass nemlich eine einheitliche Sache schwerlich (— denn
völlig gewiss will er auch diess nicht behaupten —) unter mehrere
Kategorien fallen könne, wohl hingegen ein Wort, welches mehrere
Bedeutungen enthalte, als ein nicht einheitliches nach mehreren Kate
gorien betrachtet werden könne, wie diess z. B. bei albus der Fall sei,
welches sowohl zur Qualität als auch zur Kategorie des Habens ge
höre372).
So verwickelte sich dieser stumpfsinnige Realismus durch eigenes
Unvermögen in Schwierigkeilen , welche für eine wirklich logische Be
trachtungsweise überhaupt nicht existiren , und das gesummte Auftreten
des Anselmus erscheint uns nur als ein Beleg dafür, dass der realistische
Objectivismus mit einem angebornen Missgeschicke in Bezug auf Fragen
der Logik behaftet sei.
Ueberhaupl aber scheint damals , d. h. an der Gränzscheide des
11. und 12. Jahrhundertes, als das Resultat älterer und neuerer logi-
371) C. 18, p. 148 f.: Si ergo proposita divisione praefata (d. h. die Eintheilung
in die zehn Kategorien) quaero a te, quid sit grammalicus secundum hanc
divisionem et secundum eos, qui illam scribendo de dialectica sequunlur, quid quaero
aul quid mihi respondebis? D. Procul dubio non hie polest quaeri nisi aut de voce
aut de re quam signiftcal ; quare quia conslat , grammaticum non significare secun
dum hanc divisionem hominem sed grammalicam, incunctanter rcspondebo, si quaeris
de voce, quia est vox significans qualilatem, si vero quaeris de re, quia cst qualilas
Quare sive quaeralur de voce sive de re , cum quaeritur quid sit gram
malicus secundum Arislotelis traclalum et secundum sequaces eins, rede respondetur
„qualitas", et tarnen secundum appcüalionem vere est subslantia. M. lla est; non
enim movere nos debet , quoA dialeclici aliler scribunt de vocibus secundum qttod
sunt significativae , aliler eis ulunlur loquendo secundum quod sunl appellativae; si
et grammalici aliud dicunt secundum formam vocum atiud secundum rerum naturam ;
dicunl quidem lapidem esse masculini generis cum nemo dical lapidem esse
masculum.
372) C. 19, p. 149.: Nam si grammaticus est qualitas, qui signißcat qualitatem,
non video cur armatus non sit subslantia, quia significat habentem substantiam,
i. e. arma sie grammaticus signißcat habere, quia signiftcal haben
tem disciplinam. M. Nullatenus .... negare possum, aul armalum esse substantiam
aul grammaticum esse habere Rem quidem unam et eandem non puto sub diversis
aptari passe praedicamentis , licet m quibusdam dubitari possil , quod niaiori
et altiori dispulalioni indigere existimo (wir wären in der Thal begierig gewesen
auf diese altior disputalio) .... Unam autem vocem plura significantem non ul unum
non video quid prohibeal pluribus aliquando supponi praedicamenlis , ul si albus
dicitur qualitas et habere. Hierauf folgt noch C. 20 f. die Erörterung, dass albus
kein einheitlicher Begriff, sondern eben aus qualilas und habere zusammenge
klebt sei.
XIII. Honorius v. Autun. 97
scher und theologischer Differenzen sich ein noch ziemlich plump aus
gesprochener Gegensatz zwischen Nominalisten und Realisten herausge
stellt zu haben, indem man sowohl ausser diesen zwei Standpunkten
keinen anderweitigen ins Auge zu fassen fähig war, als auch jeden der
beiden einseilig nocli in extremer und gleichsam ungeschliffner Weise
aussprach. Eine weit reichere und mehr disciplinirte Entwicklung wer
den uns sogleich schon die nächsten Jahrzehnte darbieten, der späteren
Zeit vorläufig ganz zu geschweigen.
Ja bei Einzelnen mochte damals die Auffassung der üblichen Schul-
Logik noch völlig unberührt von dem Parteislreite bleiben, und als ein
Beispiel gänzlicher Naivetät in dieser Beziehung sowie betreffs der Logik
überhaupt können wir zum Schlüsse dieses Abschnittes noch aus dem
Anfange des 12. Jahrb. einige ergötzliche Bemerkungen des Honorius
von Autun (zwischen 1100 und 1120 litterarisch thälig) anführen,
welcher die sieben freien Künste als ebensoviele Wohnsitze der Seele
schildert und dabei über die Dialektik Nichts weiteres vorzubringen
weiss, als dass man durch fünf Thore (die quinque voces) in die eigent
liche Burg (d. h. die zehn Kategorien) gelange, woselbst zwei Kämpfer
in Bereitschaft seien, nemlich der kategorische und der hypothetische
Syllogismus, welche Aristoteles in der Topik ausgerüstet und dann in
dem Buche d. inlerpr. auf das Schlachtfeld geführt habe, so dass man
hier in dem Kampfe gegen die Kelzer sich methodisch üben könne 313).
373) Honor. Augustod. d. animae exilio et patria, c. 4. bei Pez, Thes. II, p.
229 f. : Tertia civilas est diatectica multis quaestionum propugnaculis munita ....
Haec per quinque portas adventantes recipit, scilicel per yenus , per species, per
di/ferens , per proprium, per accidens , unde et isagogae introductiones dicuntur,
quia per lias repalrianles Mroducuntur. Arx huius urbis est substantia, turres circumstantes
novem sunt accidentia. In hac duu pugiles sunl et litigantes eerla ralione.
dirimunt ; cathegorico et hypothetico syllogismo quasi pracclaris armis vianies
muniunt, quos Aristoteles in Topica recipit, argumenlis instruit, in Perihermenüs ad
latum campum syllogismorum educit. In hac urbe docentur ilinerantes haereticis et
aliis hostibus armis rationis resistere etc.
P RAN T L, Gesch. U.
XIV. ABSCHNITT.
ALLMÄLIGE VERVOLLSTÄNDIGUNG DER KENNTNISS DER
ARISTOTELISCHEN LOGIK.
Wenn ich oben S. 4 sagte, das einzige Motiv einer Einteilung
der Geschichte der mittelalterlichen Logik liege mir in dem äusserlichen
Maasse der beschrankteren oder ausgedehnteren Kennlniss ari
stotelischer Schriften, und es reducire sich der Unterschied zwischen
dem Inhalte des vorigen und dieses jetzigen Abschnittes zuletzt darauf,
dass man bis zum Anfange des 12. Jahrhunderies die beiden Analytiken
und die Topik nebst Soph. Elenchi weder kannte noch benützte, hierauf
aber allmälig auch diese Bücher in den Bereich der Erörterungen ge
zogen wurden, so habe ich hier nun vor Allem die Pflicht, vorerst
eben jene litterarischen Daten festzustellen, durch welche die Abtrennung
begründet wird. Es muss nemlich für diesen ganzen Abschnitt, mit
welchem wir in die bewegte Zeit Abälard's eintreten und bis zum
Schlüsse des 12. Jahrhundertes fortschreiten, zunächst der Umkreis des
logischen Materiales, aus welchem die zahlreichen Controversen dieser
Periode entsprangen, vor Augen gestellt werden, d. h. wir müssen
nachweisen, dass und wie man allmSlig theils zur Kennlniss der ge-
.sjuiniti.cn schriftstellerischen Leistungen des Boethius , welcher ja das
ganze Organen übersetzt hatte, gelangte, und llieils neue Uebersetzungen
der genannten Bücher anfertigte, um erst hiernach berichlen zu können,
welcherlei Thätigkeit sich unterdessen auf diesem successiv erweiterten
Boden entwickelt habe.
Dass jene angegebene Beschränkung bis zum Anfange des 12. Jahrb.
wirklich bestanden habe, mag nun sowohl durch die im vorigen Abschnille
(Anm. 98, 156, 183, 196, 209, 253, 258, 277, 288, 310,
363) angeführten positiven Notizen , als auch durch den vollständigen
Mangel irgend einer entgegenstehenden Andeutung vielleicht als bewiesen
gellen. Gerade je mehr wir aber für diese vorige Periode die Kraft
des „Beweises aus dem Stillschweigen" für uns in Anspruch nehmen '),
1) Die Möglichkeit allerdings , dass durch neue Entdeckungen in irgend einer
Bibliothek entgegenstehende Notizen zu Tage gefördert werden können, soll hiemit
nicht verneint werden ; aber dennoch würden Solches nur isolirle Fälle seiu,
welche auf den Betrieb der Logik im Ganzen keinen Einfluss ausgeübt hätten,
denn um die allgemeine Haltung der I,ogik zu erkennen, scheinen die bis jetzt
zugänglichen Quellen hinzureichen.
XIV. Das vervollständigte Material. 99
desto sorgfältiger haben wir auch die vereinzelten und gleichsam über
schütteten Spuren beachtet, in welchen von einer bestimmten Zeit an
jenes Stillschweigen gebrochen wird. Der Wendepunkt liegt nemlich
in dem Bekanntwerden der Analytiken und der Topik nebst den Sophist.
Elenchi^), und wenn dasselbe auch noch so leise und allmälig statt
fand, so lässt sich wohl erwarten, dass eine selbst noch fragmentari
sche Kenntnis* dieser Hauptwerke des Aristoteles nicht ausser Zusam
menhang mit dem nun reicheren und mannigfaltigeren Betriebe der
Logik stehen werde.
Schon eine auf das Jahr 1128 gehende Nachricht, welche dahin
lautet, dass „ein gewisser Jacob u s aus Venedig die beiden Analy
tiken, die Topik und die Soph. Elenchi aus dem Griechischen übersetzte
und zugleich mit. einem Commentare versall , obwohl man eine ältere
Uebersetzung der nemlichen Bücher gehabt habe"3), betrifft, wie man
sieht, eben jene Werke, welche in der früheren Periode unbekannt
und unbenutzt gewesen waren, und sowie einerseits zu beachten ist,
dass der Berichterstatter, welcher selbst dem 12. Jahrh. angehört, das
Vorhandensein der hoethianischen Ueberselzung jener Bücher kannte, —
denn eine andere kann unter der „älteren" nicht gemeint sein — , so
ist andrerseits ebenso klar, dass jener Jacobus die Existenz derselben
nicht wusste und eben hjedurch zur Anfertigung seiner eigenen Ueber
setzung veranlasst worden war. Der örtliche Boden aber, welchem
diese beiderseitigen Momente angehören, ist Italien.
Diese wichtige Notiz aber, welche somit ein Bekanntsein jener
Werke und daneben zugleich ein Nichl-ßekannlsein derselben enthält,
steht nicht so vereinzelt, als man glaubte 4). Es scheinen nemlich
wohl auf den ersten Blick einem Bekanntsein jener Bücher ganz ent
schiedene und weitgreifende Aussprüche Abälard's entgegenzustehen.
Letzterer gibt, — abgesehen von seiner uns hier nicht berührenden
Klage über den Mangel einer Ueberselzung der aristotelischen Physik
und Metaphysik5) — ausdrücklich seine logischen Quellen selbst an
und sagt, dass die lateinische Litteratur der Logik auf sieben Schriften
beruhe , welche auf drei Autoren sich vertheilen : man kenne nemlich
2) Jourdain halte in seinen Recherclies criliques wohl nur die Aufgabe , die
im Miltelalter neu entstehenden Ueberselzungen zu untersuchen, und er konnte
diesen Umschwung, soweit er die Kenntniss des Boelhius betrifft, unberücksichtigt
lassen, aber auch für jenen seinen eigentlichen Zweck sind ihm entscheidende
Stellen (s. unten Anm. ]4. 19. 26 ff.) entgangen.
3) Zu einer Stelle bei Robert <le Monte, Chronica ad arm. 1128, b. Pertz,
Monum. VIII, p. 489. , bemerkt ein Fortsetzer (d. h. ,,alia manus", aber nach
Pertz's Angabe, ebend. p. 293., gleichfalls aus dem 12. Jahrh.) Folgendes: Jaeokus
Clericus de Vener.ia transMit de graeco m lalinum quosdam libros Aristolelis
et commenlatus esl, scilicel Topica, Anal, priores et posteriores et Elfnchos, quamvis
antiquior translatio super eosdem libros habcretur.
4) Cousin (Ouvr. inddits d'Abdlard, p. L ff. und auch Fragm. d. phil. du
moyen dge , Par. 1855 p. 56 ff.) irrt gänzlich und schliesst aus den sogleich zu
erwähnenden Stellen Abälard's nur nach dem äusserlichen Wortlaute , ohne den
Inhalt der logischen Erörterungen zu berücksichtigen.
5) Abael. Dialect. b. Cousin, Ouvr. indd. p. 200.: in Physicis et ... in his
libris , quos Metaphysica. vocat, exsequitur (sc. Aristoteles); quae quidem opera
ipsivs nullus adhuc translator latinae linguae aptavit.
7*
100 XIV. Das vervollständigte Material.
von Aristoteles nur die Kategorien und d. interpr., von Porphyrius die
Isagoge , von ßoethius aber seien in Gebrauch d. divis. , d. diff. top.,
syllog. caleg., syllog. hypolh.^); ausserdeni führt er auch einmal eine
Bemerkung aus Sophist. El. ausdrücklich nur mittelbar aus Boethius
an 7). Während also Abälard, wie sich von selbst versteht, aus jenen
schon öfter (vor. Abschn. Anm. 253, 258, 277) berührten Stellen des
Boethius (Absdin. XII, Anm. 77) genau wissen mussle, welche Bücher
Aristoteles geschrieben habe , bekennt er hiemit wohl völligst unzwei
deutig, dass er die Ueberselzungen der Analytiken, der Topik und
Soph. El. nicht benützen konnte. Aber mehr dürfen wir auch aus
diesem Bekenntnisse nicht schliessen, als dass dem Abälard jene Haupt
werke des Aristoteles nicht zur Hand waren , weil dieselben überhaupt
unter den recipirten Schriften (man beachte die Ausdrücke „usus cognovü"
und „in consuetudinem duximus") sich nicht befanden; d. h.
wir sehen, dass man damals in Frankreich an all jenen Orten, in wel
chen Abälard sich umherlrieb oder in welchen man Überhaupt sich mit
Logik beschäftigte, kein Exemplar des wirklichen Textes jener Bücher
besass ; denn halte man solche besessen, so würde der logische Eifer
jener Zeit sie gewiss ans Tageslicht gebracht haben. Hingegen bleibt
dabei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen,, dass anderweitig Einzelnes
aus jenen Schriften dennoch zur Kennlniss des gelehrten Publikums ge
kommen sei, und wenn sich auch nur eine einzige Angabe fände, welche
nachweisbar aus keiner anderen Quelle, als .aus Einem jener Bücher
geschöpft sein könnte, so wäre der Beweis geliefert, dass irgendwie
anderswoher vereinzelte Daten aus den Analytiken und der Topik in
die Atmosphäre der Logiker Frankreichs transspirirten. Den Nachweis
aber, durch welche Männer und auf welche Weise Solches geschehen
sei, möge man uns nicht auferlegen; es ist unmöglich, ihn zu führen,
ja nicht einmal die örtliche Quelle können wir bezeichnen.
Nemlich dass zur Zeit Abälard's Einzelnes aus jenen bis dahin un
benutzten aristotelischen Schriften zur Kunde gekommen war, können
6) Ebend. p. 228.: Confido, non pauciora vel minora me praeslilurum
eloquentiae peripateticae munimenla, quam HU praestiterunt, quos latinorum celebral
studiosa doclrina Sunt autem Ins, quorum septem cudicibus omnis in hac
arte eloqaentia latina armalur. Aristotelis enim duos tanlum, Praedicumentorum
seilicet et Periermenias, libros usus adhuc latinorum cognovil, Porphyrii vero tmum,
qui videlicet de quinque vocibui conseriplus, genere seilicet specie di/ferentia proprio
et accidente, inlroduciionem ad ipsa praeparat praedicamenta, Boetlrii autem quatuor
in consuetudinem duximus libros, videlicet Divisionum et Topicorum cum Syllogismis
tarn categoricis quam hypolheticis. Quorum omnium summam nostrae dialeclicae
texlus plenissime condudet etc. Dass hiebei unter Topica Nichts anderes als die
Schrift d. di/f. top. zu versieben sei, zeigt ausser der eigenen Darstellung dieses Zwei
ges bei Abälard (s. unten Anm. 392 ff.) eine Menge von Stellen , in welchen er
Einzelnes aus d. diff. top. kurzweg als „Topica" des Boetbius citirt, so z. B. Jntrod.
ad Iheol. II, )2, p. 1078. (geht auf d. diff. top. I, p. 858 f.), Theol. Christ.
Hl, p. 1281. (ebenso), Sie et Non, c. 9, p. 41. ed. Lindenknlil (d. diff. lop. U, p.
866.), ebend. c. 43, p. 105. (d. d. top. III, p. 873.), ebend. c. 144, p. 397. (d.
d. lop. II, p. 867.).
7) Dialect. b. Cousin p. 258. : Sex autem sophismalum genera Aristolelem in
sophisticis elenchis iuis positisse, Boethius in secunda edilione Periermenias commemorat
(Boeth. p. 337.).
XIV. Das vervollständigte Material. 101
wir gerade aus Abälard selbst, und zwar nicht hloss an Einem l'unkle,
sondern an mehreren erweisen. Abälard bemerkt einmal bei Bespre
chung der Definition des genus s) , dass unter Umständen auch das In
dividuum Prädicat sein könne, wie z. B. in dem Satze, ,.hoc album esl
Socrates" oder „hie veniens esl Socrales", eine Erwägung, welche man
vergeblich in sämmtliclien Commentaren des Boethius sucht, wohl aber
mit wörtlicher Uebereinstimmung jener Beispiel-Sätze in der ersten Ana
lytik findet; und eben von dort aus muss diese Notiz auch zur Kenntniss
mehrerer anderer Logiker gelangt sein "). Ferner berichtet Abä
lard, dass „Viele" das Wesen der Definition lediglich in die Angabe der
Qualitäten verlegen10), und wollte man auch sagen, es sei diese An
sicht nur eine extreme Folgerung aus einer längst bekannten Stelle11),
so führt uns ein Zeitgenosse Ahälard's durch die Formulirung jener
Ansicht auf die wahre Quelle derselben, welche uns nur in der aristo
telischen Topik begegnet t2). Sodann auch bedient sich bei der Controverse
über die Universalien Abälard einer Ausdrucksweise (nemlich
universalia „appellant in se") , welche nur dann erklärlich ist, wenn
wir annehmen, dass der Grundgedanke jener Stellen der zweiten Ana
lytik, in welchen Aristoteles über xara navrög und Ka&öiov handelt
(Abschn. IV, Anm. 132 ff.), irgendwie in den Schulen ruchbar geworden
sei 13); und ebendahin dürfte gehören, dass man mit der grammatischen
8) Glossae in Porph. ebend. p. 360. : videtur esse falsum , quod individua de
uno solo praedicentur , mm hoc Individuum Socrates de pluribu.t Itabeat praedicari,
ut „hoc album esl Soerales", ,,hic veniens esl Socrales". Die entsprechende Stelle
des Aristoteles ist Anal. pr. I, 27 (in der Uebersetziing des Boethius p. 490.).
9) Dass die Sache zu einer üblichen Schulcontroverse Veranlassung gegeben
habe, ersehen wir aus loh. Saresb. Metalog. [l, 20 (p. 110. ed. Giles): Hoc enim
ex opinione quorundam sensisse visus esl Arisloleles in Analyticis dicens (folgt
jene Stelle selbst).
10) Dialect. p. 492. : linde mulli, cum significationem subslanliae huius nominis
quod est ,,homo" agnoscant nee qualitales ipsius salis ex ipso percipianl, tantum
propler qualitalum demonslrationcm diffinitionem rcquirunt.
11) Arist. Gut. 5. (s. Abscbn. IV, Anm. 476.); bei Baelh. p. 138.
12) Der Verfasser der Schrift De generibus et speciebus , welche Cousin mit
Unrecht dem Abälard zuschreibt (s. unten Anm. 49. u. 148.), sagt p. 541 f.:
Concedunt omnes, species ex diffcrentiis constare .... dicunl, omnes differentias esse
in qualitate etc. Diess Letztere konnte in solch pointirter Form nur aus Arist.
Top. VI, 5, 144 a. lij ff. (d. h. aus der dortigen Erörterung über die Definition,
womit dann andere Stellen ebend. IV, 2, 122 b. 16. n. 6, 128 a. 26. übereinstim
men, s. Abschn. IV, Anm. 475.) entnommen sein und muss auf solche Weise zu
jenen versprengten Notizen gehört haben , welche nun zur Vermehrung der Schnl-
Controversen beitragen; der Verfasser D. gen. et spec. lenkt dann mit Gewalt die
angerührte Auffassung auf eine andere Stelle des Boeth. ad l'orjih. p. 62. zurück,
besass also gewiss nur die allgemein verbreiteten Quellen-Texte. Hingegen loh.
Saresb. a. a. 0. p. 100. bringt bereits auch SopA. El. 22, 178 b. 36. mit dieser
Frage in Verbindung.
13) Von Abälard's , Glossulae super Porphyrium gibt Ch. de Rdmusat (Abe'lard,
II, p. 93 ff.) einen Auszug, welcher zwar leider fast gänzlich nur in einer franzö
sischen Paraphrase besteht (s. unten Anm. 238.), aber folgende Stelle enthält (p.
1 10.) : Arislotc pensail que les gcnres et les espcces subsislent par appctlation dans
les choses sensibles nu servenl a les nommer en csscncc, ,, appellant in se1'. Wenn
wir nun ,auch nicht wissen können, wie Vieles hiebei rhetorische Zugabe Rernusat's
sei, so ist doch der authentische Ausdruck „appellanl in se" derartig, dass er
102 XIV. Das vervollständigte Material
Form „TO Zen^mti tlvai" ganz vertraut gewesen zu sein scheint, s.
unten Anm. 133. Selbst aber wenn man diese einzelnen Punkte für
ungenügend zu dem von uns beabsichtigten Nachweise halten wollte,
da ja möglicher Weise Einzelne durch Verliefung des logischen Denkens
und ein merkwürdiges „Ingenia conspiranl" ihrerseits selbstständig zu
Auffassungen hätten gelangen können, welche mit aristotelischen fast
wörtlich übereinstimmen (— was zwar an haarsträubende Unwahrschein
lichkeit gränzen würde —), so muss hingegen jeder Zweifel vollends
verstummen, wenn wir sehen, dass Abälard die in der ersten Analytik
vorkommende Definition des Syllogismus ausführlich in wörtlicher Uebersetzung,
und zwar nicht einmal in jener des Boethius, anführt14), und
sodann in gleicher Weise den Wortlaut der darauffolgenden Stelle des
Aristoteles in Einklang mit Boelh. d. syll. caleg. bringt15), sowie ihm
auch bekannt ist, dass der Sprachgehrauch bezüglich des sog. Diclum
de omni, welcher bei Boeth. a. a. 0. sich findet, ein acht aristotelischer
ist 16); ja endlich, — was der schlagendste Beweis von allen ist —,
schlechterdings nirgend andersher entstanden sein kann, als aus einer Kenntniss
der Stellen Anal. post. I, 4 ff. (bes. 73 b. 26 ff.), wo das iV xara noiiiov dem
iV nttga r« 7ro/Uä gegenübergeslellt wird, kurz wo das xaS-' KÜIO und xara
navfog zum aristotelischen xa3-6i.ov sich vereinigt. Die Auffassung des ,,in se"
konnte aus keinem jener Bücher geschöpft werden , welche vordem bis dahin dem
Mittelalter bekannt gewesen waren.
14) Dialect. b Cousin, p. 305. : Syllogismum üaque in primo Analyticorum
suorum Aristoteles lali difßnilione terminavil: ,, Syllogismus, intjuit, oratio esl in
qua positis aliquibus aliud quid a posilis ex nccessilate consequilur ex ipso esse;
dico autem ipso esse per ipsa contingere , per ipsa vero conlingere null ins extrinsecus
egere tcrmini ut fial necessarium" (s. Abschn. IV, Anm. 537.). Dass diess
nicht aus Gellius entnommen ist, zeigt sowohl der Grad der Ausführlichkeit als
auch die oben (Abschn. VIII, Anm. 58.) angeführte Stelle; ebensowenig istApulejne
(Abschn. X, Anm. 16.) die Quelle, denn dieser übersetzt: oralio in qua concessis
aliquibus aliud quiddam praeler illa quae concessa sunt, necessario evenil, sed per
illa ipsa concessa. Die Uebersetzung hingegen bei Boethius (p. 468 f.) lautet : Syl
logismus est oratio, in qua quibusdam posilis aliud quiddam ab his quae posila sunt
ex necessilate accidit eo quod haec sunt; dico autem eo quod haec sunt propter
haec accidere, propler haec vero aceidere esl nullius exlrinsecus termini indigere ut
/tat necessarium. Es ist sogar die bei Abälard vorgeführte Uebersetzung besser als
jene des Boetbius.
15) Ebend. p. 307.: Horum autem Aristoteles alias perfeclos, hoc est evidentes
per se , esse dixit, alias imperfeclos , id est non pgr se perspicuos. „Perfectum
autem, inquit, dico Syllogismum, qui nullius alterius indigeat praeler assumpta,
ut appareal esse verus", ut illi quatuor quos in prima figura ipse disponil; ,,imperfeclum
vero, quod (zu lesen qui) indiget aut unius aut plurium", ut sunt omnes
illi quos ipse in secunda et terlia figura posuit. Die Uebersetzung jener Worte bei
Boethius (p. 469.) lautet: Perfectum vero voco Syllogismum, qui nullius alius in
diget praeter ea quae sumpta sunl , ut appareat necessarium; imperfeclum vero, qui
indigel aut unius aut plurium etc. Die Stelle des Boeth. d. syll. cat. II, p. 593.
ist oben, Abschn. XII, Anm. 135., angeführt.
16) Ebend. p. 313.: lllud tarnen notandum, quod aliis verbis in regulis syllogismorum
usi sumus quam Aristoteles; pro eo namque quod diximus ,, aliud de
alio verbum (zu lesen universo) praedicari", ipse ponil ,,omni alii inesse"; pro
eo quod diximus „universaliler removeri", ipse dicit ,,nulli inesse"; pro eo vero
quod diximus ,,parliculariter praedicari" vcl „removeri", ipse usus esl ,, alte in
inesse" vel „non inesse". Die Stelle der Analytik (in des Boeth. Uebersetzung
p. 468.) s. Abschn. IV, Anm. 538., jene des Boelh. d. syll. cat. s. Ahschn. XII,
Anm. 132.
XIV. Das vervöllstiindigie Material. 103
es kennt Abälard jene aristotelischen Syllogismen, deren Prämissen sog.
modale Urlheile, d. h. Möglichkeils- oder Nothwendigkeits-Urtheile oder
Combinationen derselben mit Urllicilen des Staltfindens sind (s. Ahschn.
IV, Anm. 559—578); aber eben die Art und Weise ist zu beachten,
in welcher er einige Proben solcher Schlüsse anführt1'), denn einer
seits leuchtet ein , dass er sie doch nur unvollständig und gewiss VOJD
blossen Hörensagen kennt, und andrerseits ersieht man, dass dieselben
irgend in Schulen bereits geläufig gewesen sein müssen, indem sie nicht
wie bei Aristoteles mit blosser Buchstaben-Bezeichnung, sondern in den
aus Boethius (d. syll. cal.) üblichen Beispielsworten angeführt werden.
Ist aber somit unumslösslich nachgewiesen . dass, während man keinen
lateinischen Text jener betreuenden Bücher des Aristoteles besass, man
doch einzelne Hauptpunkte der ersten Analytik kannte, so erhalten nicht
bloss jene anderen vorbin erwähnten Einzelnheiten eine bestärkende
Beleuchtung, sondern wir können auch nur auf diese Weise noch eine
weitere Stelle des Abälard richtig und vollständig verstehen, in welcher
derselbe sagt, er wolle über die mangelhaft behandelten vier letzten
Kategorien keine ergänzenden Erörterungen hinzufügen , um nicht etwa
in Conflict mit aristotelischen Schriften zu kommen, welche in lateini
scher Sprache nicht vorhanden seien 18); d. h. der Grund seiner Vor-
17) Ebend. p. 319 f.: Contingit autem aliquando modales (s. Abschn. XII,
Anm. 119.) enuntiationes simplicibits aggrcgari in modis supraposilarum figurarttm,
sicut in Analyticis suis Aristoteles oslciuiü; in prima quidem hoc modo ,,omne iustum
possibile est esse bonum, otnnis virtus iusla est, omnem igüur virlutem possibile
esl bonant esse"; similiter et necessarium et verum per modos sinyulos (Abschn.
IV, Anm. 565IT.); sie quoque et in secunda figura contingit; si quis enim istas
concedat ,,nullum malum possibile esl esse bonum, omne iustum possibile est bonum
esse", huic quoque in.ni contradicet „nullum iustum est malum"; idem in celeris
modis accidil (ebeud. Am«. 571.); lertiae quoque fignrae sie adiungunlur : „omne
bonim possibile est iuslum esse, omne bouum virlus est, quandam igilur virlutem
possibile est iustam esse" ; sie et in celeris (ebend. Anm. 572.). Videntur quo
que syllogismi ex solis modalibus veraciter componi; si quis enim dical „omne quod
possibile est mori possibile est vivere, omnem autem hominem possibile esl mori,
omnem igilur hominem possibile esl vivere", rede primum primae fiyurac modum
perfeeitse videlur (ebend. Anm. 559.). Eine so bestimmt formulirte Angabe einer
solchen Combinationsweise durch die drei Figuren hindurch konnte unmöglich aus
jener leisen und unbestimmten Andeutung entstehen, welche einmal Boethius ('/.
;////. hypolh. l, p. 613.: Quae cum ita sint, si haec eadem ratio ad conlingentes
el necessarias referalur, idem in necessariis et conlingenlibus invenilur) über das
blosse Vorhandensein solcher Syllogismen gibt, sondern das Ganze beruht auf einer
wenigstens fragmentarischen Kenntniss der ersten Analytik, welche ja auch Abälard
selbst als Quelle bezeichnet. Dass aber dergleichen in den Schulen vielleicht nur
zur Erklärung des Buches d. inlerpr. beigezogen wurde, liesse sich etwa daraus
schliessen, dass Abälard unmittelbar fortfährt: Tales namque eliam syllogismos,
qui videliccl ex solis modalibus compununtur, Aristoteles disposuisse invcnitur; ul
enim oslenderel, quod id quod futurum esl necesse esl fieri, lale praemisit argumenlum
in primo Periermenias: „quod futurum est, non polest non ßcri, quod
autem non polest non fteri, impossibile esl non fieri etc." (d. h. Boel/i. ad d. in
lerpr. p. 365.).
18) Ebend. p. 399.: De conlrarietate aulem in vi praedicatnenlorum nihil
omnino in tcxtu fraedicamentorum , quem habemus , delenninavil (so. Aristoteles),
herum scilicel: Quando , Ubi, Situs , Habere. Nee nos quidem quod itnctoritus indelerminalum
rcüquit , delerminarc praesumemus , ne forle aliis eins operilms , quae
latina non novil eloquentia, contrarii reperiamur. (Vgl. Anm. 344.; dass aber die
104 XIV. Das vervollständigte Material.
sieht liegt darin, weil er nicht wissen zu können glaubte, wie Vieles
etwa aus anderweitigen nicht recipirlen Büchern des Aristoteles in spo
radischer Weise ruchbar geworden sei, und er sonach die Möglichkeit
einer ihm unlieben Berichtigung durch Andere scheute.
Man hatte also zur Zeit Abälartls schon Einzelnes aus den bis dahin
unbenutzten logischen Quellen kennen gelernl, und zwar, wie wir sahen,
durchaus nicht ausschliesslich durch die alte boethianlsche Uebersetzung,
sondern auch durch neue Uebertragungen. Die Belege aber für die
Richtigkeit dieser Tbatsache begegnen uns von Schritt zu Schritt reicher
und intensiver. Sowie wir nemlich gewiss nicht irren, wenn wir auch
das Aufkommen von Fragen und Coritroversen, welche die Genesis des
Wissens betreffen (s. unten Anm. 79 f.), auf eine Kenntniss einiger
Kernstellen der zweiten Analytik reduciren 19), so führt uns eine noch
bestimmtere Notiz selbst auf einen einzelnen Mann und zu einem chro
nologischen Anhaltspunkte, indem Adam von Petit-Pont (Näheres über
ihn unten Anm. 440 ff.) es war, welcher offenbar mit eben jenen
aristotelischen Hauptwerken sich beschäftigte und besonders die erste
Analytik in einer i. J. 1132 verfassten Schrift verarbeitete („expressü"),
wobei er sich einerseits ein Verdienst durch Erweiterung der logischen
Quellen erwarb, andrerseits aber durch die Schwierigkeit seiner philo
sophischen Sprache manchen Tadel zuzog 20). Hiedurch aber gewinnen
hier noch vermiedene Ergänzung alshald von Gilbertus Porretanus wirklich beige
bracht wurde, werden wir unten sehen, Anm. 488 ff.).
19) Die Schrift De inlellectibus , welche nicht, wie man unrichtig glaubte (s.
unten Anm. 416.) , von Abälard selbst, sondern von einem Schüler und Anhänger
desselben herrührt, bespricht die Begriffe sensus , imaginalio , exislimatio, scientia
in einer Weise (Näheres unten ebend.), dass keinenfalls die etlichen Bemerkungen
des Boethius d. inlerpr. p 298 f. die alleinige Veranlassung gewesen sein können,
sondern das Ganze nur auf Anal. posl. I, 31. n. 33. n. II, 19. (Abschn. IV, Anm.
51 —84.) beruhen kann. Uebrigens muss auch hiebei eine andere Uebersetzung
als jene des Boethius benützt worden sein, denn Letzterer (p. 543. u. 547.) über
setzt dofß und (fofßffiv nicht mit exislimare und existimatio , 'sondern mit opinari
und opinatio (s. unten Anm. 628.).
20) loh. Saresb, Melal. II, 10, p. 80. (ed. Giles) sagt zunächst über diesen
Adam: Unde ad magislrum Adam, acutissimi virum ingenii et, quidquid alii senliant,
multarum litterarum, qui Arisloteli prae ceteris incumbebat, familiarilalem
contraxi ulleriorem, womit wir, um die Worte „multarum litterarum" und „Ari
sloteli incumbere" richtig zu verstehen, jene Stellen in Verbindung bringen müssen,
in welchen Johannes die neu erwachende Benützung der aristotelischen Hauptwerke
dem einseitigen und ausschliesslichen Studium der Schriften des Boethius gegen
überstellt (s. unten Anm. 26. u. 56 ff.). Sodann aber, wo Johannes (ebend. IV,
3, p. 159.) die erste Analytik selbst bespricht und die sterile Sprache derselben
tadelt (s. unten Anm. 569.), fährt er fort: Unde qui Aristotelem sequunlur in turbatione
nominum et verborum et inlricata subtilitale, ul suum vindicent, aliorum
obtundant ingcnia, partem pcssimam mihi praeelegisse videnlur, quo quidem vitio
Anglicus noster Adam mihi prae ceterii visus est laborasse in likro , quem „Ariern
disserendi" ipscripsit. Et utinam bene dixisset , bona quae dixit; et licet fami
liäres eins et fauleres hoc sublililati adscribunt, plurimi tarnen hoc ex desipientia
et invidentia vani , ul aiunt, hominis contigisse inlerprctali sunt. Adeo enim expressil
Arislolelem itttricatione verborum , ul sobrius auditor rede subiungat „nenne
hoc spumosum " Habenda est tarnen auctoribus gralia, quia de fönte eorum
haurienles labore ditamur alieno. Die Jahreszahl aber der Entstehung dieser Ars
disserendi führt Cousin (Fragm. d. philos. du moyen-dge. Par. 1855. p. 335.) aus
XIV. Das vervollständigte Material. 105
wir auch das Resultat, dass Aliälard sein umfassendes Werk über Logik
noch vor d. J. 1132 (— woferne diese Jahreszahl richtig überliefert
ist —) ausgearbeitet haben muss, denn ausserdem halte er Adam's
Schrift sicher erwähnt und benützt.
Somit ist es uns nicht auffallend, wenn Gilbertus Porrelanus (s.
über ihn unten Anm. 455 ff.) auf die Analytik wie auf ein bereits cursireniles
Buch verweist21), und die Notiz, dass Otto von Freising, der
Iheologische Anhänger Gilbert's, die Analytiken und die Topik nebst den
Elenchi ziemlich als der erste nach Deutschland oder specieller nach
Baiern gebracht habe 22), ist uns gerade durch die ausschliessliche Her
vorhebung jener drei Werke ein schlagender Beleg für die damalige
Vervollständigung der Quellen-Kennlniss, daher wir auch unbedingt an
nehmen , dass Otto jene Schriften nicht etwa aus Italien oder aus dem
Oriente, wohin er in seinen späteren Jahren reiste, sondern aus Paris
von seiner dortigen Studienzeit her mitbrachte, denn auf französischem
Boden wurden jene Kämpfe der Logik geführt, zu welchen die erwei
terte Kenntniss des Aristoteles beitrug. Ob aber die boethianische oder
eine andere neue Uebersetzung es gewesen sei, welche so eine Ver
breitung fand, lässt sich nicht entscheiden; in Frankreich mochte viel
leicht eher Boetbius ans Licht gezogen worden sein, denn ein dortiger
Anonymus aus dem 12. Jahrb. kennt denselben wenigstens als Uehersetzer
der beiden Analytiken23); hingegen in Italien müssen Handschrif
ten jener boelhianischen Ueberselzungen entweder gänzlich gefehlt haben
oder äussersl selten gewesen sein, da noch im 15. Jahrh. der littera
risch höchst gebildete Leonardas von Arezzo behauptet, Boethius habe
einer Handschrift von St. Victor an: Le „De arlc dialectica" ful compose enl'anne'e
1132, c'est ce qtte nous apprend le lilre „Anno NCXXXII ab incarnationc Domini
editus über Adam de arte dialectica."
21) Gilb. Porr. d. sex princ. c. 7 (Arisl. Opp. laline , Venet. 1552, Vol. I,
fol. 34.): Et quidem de principiis haec dicla sufficiant, reliqua vero in to quod
de Analyticis est quaerantur volumine.
22) Radevich, d. gest. Frider. [l, 11. (ed. Urslis. p. 513.): Lilterali scientia
non mediocriter aul vulgariler instmcliis (sc. Otto) inter episcopos Alemaniae vel
primus vel inier primos habcbalur , intanlum ut praeter sacrae paginae cognitionem,
cuius secretis et senlenliartim abditis praepollebat, philosopliicorum et Aristotelicorum
librorum sul/tilitatem in Topicis, Analyticis atque Elenchis ferc primus noslris finibus
apporlaverit. Wahrscheinlich liegt hierin auch die Quelle jener Handschriften,
welche in der Basler Ausgabe des Boethius benutzt wurden (nemlich eine Amerbachische,
eine ans St. Georgen im Schwarzwalde, und eine aus dem Besitze des
Glareanus, also sämmtlich aus der gleichen Gegend), denn aus Italien waren für
jene drei Werke schwerlich Handschriften zu bekommen, s. Anm. 24.
23) Aus einer in Alenc.on befindlichen Handschrift des 12. Jahrh. veröffent
lichte Raraisson, Rapports sur les Bililiolheques etc. Par. 1841, p. 404 ff. eine kleine
metrische (übrigens unbedeutende) Schrift über die sieben Künste, woselbst be
züglich der Logik gesagt wird: Dialeclic.a diffinit et discernil, dividit et asseri(,
Raliocinari potem, vincens invincibilis. Quam lampas clarißcavil Manliani himinis,
Transtulit lianc resolvendo binis Analeclicis (vgl. vor. Abschn., Anm. 288. «. unten
Anm. 569.), Introducens Isagogas binis commentariis , El idem Kategorias cum Periermeniis,
Topica cum Sillogismis atque Differenliis, Diffinitiotium librum cum Divisionibus
Explicavil addcns unum Propositionibus. Wenn wir unter den Propositiones
die Introd. ad syll. cat. und unter Topica die aristotelische Topik verstehen, hätten
wir hier den ganzen Boethius vollständig.
106 XIV. Das vervollständigte Material.
Moss den Porphyrius, die Kategorien und it. interpr. übersetzt24);
wenn daher der durch anderweitige Uebersetzungen bekannte Burgundio
von Pisa, in der zweiten Hälfte des 12. Jahrb., den Ruhm des Aristo
teles aus der zweiten Analytik rechtfertigt und begründet 25), so dürfte
derselbe wahrscheinlich entweder nur eine neu angefertigte Uebersetzung
oder sofort das griechische Original vor Augen gehabt haben.
Noch deutlicher aber und zugleich reichhaltiger sprechen die Miltheilungen
bei Johannes von Salesbury, dessen schriftstellerische Thätigkeit
nur drei Jahrzehnte von jener Abälard's entfernt ist (obige Anm.
20 im Zusammenhalte mit unten Anm. 535) und bereits das ganze Organon
utnfasst (s. Anm. 562 ff.). Zunächst erfahren wir durch ihn,
dass Mehrere es vorzogen , auf eben jene neu erschlossenen Haupt
werke des Aristoteles nicht näher einzugehen, sondern mit Vorliebe
sich immer nur noch auf die „alte" lioelhianische Tradition zu beschrän
ken20); dass dieses Diejenigen waren, welche trotz aller Berührung
mit den bereicherten Zeitanschauungen dennoch über den Streit betreffs
der Universalien nicht hinauskamen, werden wir unten (Anm. 56 ff.)
sehen. Auch klagt Johannes ausdrücklich darüber, dass die zweite
Analytik so äusserst selten in Gebrauch sei, was sich wohl durch den
schwierigen Stil des Verfassers entschuldigen lasse, wobei jedoch Vieles
auf Rechnung der Abschreiber oder, wie „die Meisten" glauben, die
Hauptschuld füglich auf den Uebersetzer falle21). Sowie aber aus dieser
24) Leon. Bruni Amtini Efiist. ed. L. Mehus, Flor. 1741. L. IV, Ep. 22. (wo
selbst es sich um die Cotitrovwse über eine Uebersetzung der arist. Ethik handelt) :
Nullam enim Boetii inlerpretationem habemus praeterquam Porphyrii et Pracdicamentorum
et Perihermenias librorum, quos si accurate leges , etc. (Leonardus v. Arezzo
war geboren 1369, starb 1444).
25) loh. Saresb. Melal. IV, 7. (p. 163. ed. Gilcs): Fuil autem (sc. über posteriorum
Analyticorum) apud Peripateticos lantae aucloritatis scientia demonstrandi,
Ift Aristoteles, gut alias fere omncs, et fere in omnibus philusophos superabat, hinc
communc namen sibi quodam proprietatis iure vindicaret, quod demonstrativam tradiderat
disciplinam (vgl. Anm. 27.); ideu enim, ut uiunt, in ipso nomen jihilosophi
sedil ; si mihi non credilur, audiatur vel Burgundio Pisanus , a qno islud accepi.
Es ist diess sicher der berühmte, i. J. 1194 verstorbene, Jurist dieses Namens (s.
aber ihn Savigny, Gesch. d. R. R. i. Mittelalter, IV, p. 335 ff.), welcher wieder
holt in Konstantinopel gewesen war und nicht bloss mehrere in den Pandekten
vorkommende griechische Stellen, sondern auch vieles Theologische (von Chrysostomus,
Basilius, Job. bamascenus) und den Nemesius d. nat. hom. übersetzte;
möglich wäre ja, dass er selbst eine Uebcrsetzung der Analytik versuchte; mit Be
stimmtheit kann diess allerdings aus den Worten des Job. Salesb. nicht gefolgert
werden.
26) Ehend. c. 17, p. 183.: Ceterum Contra eos, qui veterum favore potiores
Aristotelis libros excludunt Boclhio fere solo contenti , possenl plurima allegari.
27) Ebend. c. 6, p. 162 f.: Posleriorum vero Analyticorum subtilis quidcm
scienlia est et paucis ingenüs pervia Deinde Itaec ulenlium rarilate iam fere
in desuctudinem abiil, eo quod dcmonslralionis usus fix apud so/os mathemalicos
esl Ad haec Über, quo demonstrativa tradilur disciplinii (vgl. Anm. 25.), ceteris
lunge lurbatiur est transposilione sermonum, traicctione litterarum, dcsuetudine exemplnrum
, quae n divcrsis disciptinis mutuata sunt. Et poslremo quod non attingil
auctorem, adeo scriplorum depraeatus est vilio , ut fere quäl capila tot obstacula
habcat; et bene quidem , ul)i non sunt obstacula capitibus plma. Vnde a plerisquc
in Interpretern difficullatis culpa refunditur asserenlibus , librum ad nos non rede
translatum penenisse. Welcher Uebersetzer ist hier gemeint, Roelhius oder ein
Anderer?
XIV. Das vervollständigte Material. 107
Klage natürlich erhellt, dass man jene Bücher kannte, so wird hinwie
derum berichtet, dass die lange vernachlässigte Topik des Aristoteles
eben damals gleichsam vom Tode erweckt worden sei 2S), und an die
Angabe, dass diese Beiziehung der Topik auch wieder ihre Gegner ge
funden habe, knüpft sich die Notiz über einen uns weiter nicht be
kannten Drogo in Troyes, welcher offenbar die Topik nach dem Muster
der aristotelischen bearbeitete 29). Was aber nun insbesondere die Ent
stehung neuer Uebersetzungen betrifft, so folgt allerdings aus einem
Briefe des Johannes sehr wenig, in welchem derselbe sich aus Constanz
Abschriften aristotelischer Bücher überhaupt und ausserdem wegen mög
licher Unzuverlässigkeit des Uebersetzers auch die Hinzufügung von Noten
erbittet30). Hingegen von grosser Wichtigkeit ist, dass er eine Stelle
sowohl in der boethianischen Ueberselziing als auch zugleich in der
„neuen" anführt31), und sowie diese letztere sich durch grössere Wört
lichkeit unterscheidet, so hatte sich Johannes überhaupt eine ganz be
stimmte Ansicht bezüglich der Uebersetzungen gebildet (nemlich nur
wenn dieselben sich so enge als möglich nach einem festen Gesetze an
das Original anschliessen, sei ein Versländniss möglich, welches vor
jeder Einseitigkeit durch eine „ralio indifferenliae" bewahrt bleibe), und
er sagt, es habe dieselbe damals durch einen der beiden Sprachen
kundigen Griechen aus Severinum , d. h. aus Szöreny in Ungarn; ihre
Bestätigung und Empfehlung gefunden 32). Jene ralio indifferentiae selbst
nun berührt uns hier noch nicht, sondern dieselbe wird sich uns in
28) Ebend. III, 5, p. 135. : Quum itaque tarn evidens sit utilitas Topicorum,
miror quare mm aliis a maioribus tamdiu intermissus sit Aristotelis liber, ut omnino
aut fere in desueludinem abieril , quando aetate nostra dilic/entis ingenü pulsante
studio quasi a, mortc vel a somno excitatus est , ut revocarel errantes et viam veritatis
quaerenlibus aperiret.
29) Ebend. IV, 24, p. 181.: Satis ergo mirari non possum, quid mentis habeant,
si quid tarnen habeant, qui haec Arislotelis opera carpunt Magister
Theodoricus , ut memini, Topica non Aristotelis , sed Trecassini Drogonis irridebal,
eadern tarnen quandoque docnit; quidani auditores magistri Roberti de Meliduno (s.
unten Anm 453 f.): librum hunc fere inutilem esse calumniantur.
30) Epist. 221. (U, p. 54 f. ed. Giles): libros Aristotelis, quos habetis, mihi
facialis exscribi precor etiam iterata supplicatione , quatenus in operibus Ari
stotelis, ubi difficiliora fuerint, notulas faciatis , eo quod Interpretern aliquatenus
tuspectum habeo , quia liest eloquens fuerit alias, ut saepe audivi, minus tarnen
fuil in grammatica institulus.
31) Metal. II, 20, p. 108.: ,,Gaudeant", inquit Aristoteles, ,,species, monstra
enim sunt" (so bei Boeth. p. 537.), vel secundum novam translationem ,,cicadationes
enim sunt, aut si sunl , nihil ad rationem," So erscheint der Unterschied der
Uebersetzungen an dem Worte rtgerCa^aia in der bekannten antiplatonischen
Stelle des Aristoteles (Anal. post. l, 22, s. Abschn. III, Anm. 66.), in deren An
führung wir wieder eine Bestätigung dafür erkennen, dass gerade derartige pointirte
Wendungen leichter in Umlauf kamen.
32) Ebend. III, 5, p. 135.: Satis enim inter cetera, quae translationis arclistima
lege a Graecis tracta sunt, planus est (sc. Aristotelis liber Topicorum, s. oben
Anm. 28.), ita tarnen ul fädle sit auctoris sui stilum agnoscere, et ab iis dumtaxat
fdelüer intelligatur , qui sequuntur indiffertnliae rationem, sine qua nemo vnquam
nee apud nos nee apud Graecos , sicut graecus interpres nalionc Severilanus dieere
consueverat, Aristotelem intellexit. Da wegen der Bezeichnung „graecus" nicht an
St. Sever in Frankreich gedacht werden kann, so scheint nur jenes Severinum in
Ungarn übrig zu bleiben.
108 XIV. Theologie. Pseudo-Boelhius De trinitate. '
die Darstellung der Logik des Johannes von Salesbury verflechten (Anm.
574 (f.); wohl aber gehört hieher, dass derselbe im Zusammenhange
liiemit auch noch einen zweiten Uehersetzer (zwar gleichfalls ohne
Nennung des Namens) erwähnt, welchen er in Apulien kennen gelernt
habe 33). Wenn aber, wie diese wichtigen Stellen bezeugen, im byzan
tinischen Reiche und durch Griechen in Unteritalien die Entstehung
neuer Uebersetzungen gefördert wurde, und Solches zur Kunde der
Logiker in Paris oder in England kam, so läge hier eine erste, wenn
auch vorübergehende Spur eines Einflusses aus der Zeit der Anna
Comnena vor (s. folg. Abschn.). — Endlich mag noch, gleichsam zum
Ueberllusse, erwähnt werden, dass bei Johannes neben Citaten, welche
völlig wörllich mit der Uebersetzung des Boethius übereinstimmen, sich
auch solche finden , welche wenigstens als ungenau bezeichnet werden
müssen, woferne sie nicht von vorneherein anderswoher geschöpft
sind 34).
Ist hiemit hinreichend bewiesen, dass die Kenntniss der logischen
Quellen schon vor der schriftstellerischen Thätigkcit Abälard's wenigstens
in Einzelnheilen bereichert wurde und dann allmälig bis zur Zeit des
Johannes von Salesbury sich vervollständigte (für letzteres werden
sich uns noch manche einzelne Belege ergeben, s. Anm. 78, 219 f.),
so kennen wir nun das entscheidende Moment, aus welchem damals ein
nach Intension und Extension gesteigerter Beirieb der Logik hervorgehen
musste. Eine mitwirkende Macht jedoch lag für jene Zeit hiebei durch
ein erklärliches Wecbselverbältniss in der dogmatischen Theologie, denn
sowie schon dem Scotus Erigcna und dem Roscellinus gegenüber die
Orthodoxie auch in logischen Fragen auf ihrer Hut gewesen war, so
zog man im gleichen Interesse jetzt, als die Dialektik lebhafter und
selbstsländiger eigene innere Kämpfe zu durchleben begann, auch Man
ches aus der theologischen Rüstkammer hervor, damit im Streite der
logischen Parteien das Dogma unbefleckt bewahrt bleibe, wobei, da
die streitenden Dialektiker sämmtlich Kleriker waren, es nicht fehlen
konnte, dass nicht auch dogmatischer Inhalt in die Logik hiniiberspielle.
Vor Allem war es die Trinitätslehre, welche ja schon früher bei dem
Auftreten des Roscellinus sich gellend gemacht hatte, nun aber in ver
stärktem Maasse auch positiv einzugreifen begann, und die Geschichte
der Logik ist hier in dem Falle, ein theologisches Produkt berühren
zu müssen , welches durch eine gewisse Formiilirung logisch-onlologischer
Grundsätze in jener Zeit in den kontroversen der Dialektiker mit
wirken konnte. Es ist diess P s eud o -B o e thiu s de Irinüale , wobei
natürlich nicht ohne Eintluss war, dass man gerade den Boethius, den
Repräsentanten aller Logik, für den Verfasser" hielt 35). In eben jener
33) Ebend. I, 15, p. 40. : non pigcbit referre nee /orte audire displicebit, quod
a qraeco inlerpretc et qui lalinam linguam commode noverat, dum in Apulia morarcr,
accepi ele.
34) Zu ersteren gehören Melal. II, 15, p. 86. (Top. I, 11, bei Boeth. p. 667.)
und II, 20, p. 110. (Anal. pr. I, 27, b. Boeth. p. 490.), zu letzteren llj 9, p. 76.
(Top. I, 11, Boelh. p. 667.), U, 20, p 100. '(Soph. El. 22, Koeth. p. 750.), III, 3,
p. 126. (Top. l, 9, Boeth. p. 666.).
35} Ich sage „Pseudo-Boethius"; da ich jedoch den Theologen die Fürsorge
XIV. Pseudo-Boethius De trinitate. 109
Zeit nemlich, d. h. seit Abälard30), häufen sich die Anführungen aus
jenen vier Büchern üher die Trinilät, und Gilberlus Porrelanus begleilete
dieselben mit einem umfangreichen Commentare, so dass es kaum
mehr möglich war, in den betreffenden Fragen sie zu umgehen. Haupt
sächlich aber gehören bezüglich eines Einflusses auf die Logik jene
Axiome hieher, welche der Verfasser am Anfange des 3. Buches an die
Spitze stellt, um aus ihnen im weiteren Verlaufe seine Beweise aufzu
bauen. Dieselben 31) beziehen sich nach Voransschickung eintfr Definition
der communis conceptio auf den in der Theologie üblichen Unterschied
zwischen Essenz (oiißia) und Existenz (vnöcraais), da zu letzterer noch
die Form des Seins hinzukommen müsse und bei ihr hiedurch ein Theilhaben
eintrete, sowie die Möglichkeit eines Ansichhabens sich ergehe,
was sodann zur Unterscheidung von Substanz und Accidens führt und
eine Doppeltheit jenes Theilhabens begründet; dabei aber wird auch
auf die Einheit hingewiesen, in welcher bei einfachen Wesen, im Un
terschiede von den zusammengesetzten, die Wesenheit und die Existenz
verbunden sind, und zuletzt eine natürliche Wesens- Verwandtschaft in
nerhalb der entfalletcn Verschiedenheit in Aussicht gestellt. Diese Grund
sätze, deren theologisch-dogmatische Verwendung uns hier nicht berührt,
wurden bald auch von Dialektikern als „reyulae" neben anderen „auclorilales"
cilirt, und in ontologischen Punkten mochte mancher Logiker
von vorneherein sich hüten, gegen diese Axiome zu vcrstossen, da
ausserdem bedenkliche Consequenzen bezüglich der Trinitäl. Italien drohen
können. So kam es, dass hierin nichl elwa hloss die Logik auf Theo
logie reicher angewendet wurde, sondern auch dogmatische Momente
direcl den Beirieb der ontologischen Seite der Logik beeinflussten.
Ein eigentümliches Verhältniss liegt in dieser Einmischung aller
dings, und es ist merkwürdig, wie in jener Zeil, welche zu einer
klaren und besonnenen Trennung der Gebiele (etwa im Sinne des ülirifür
ihre eigene Litteratur-Geschichle überlassen muss , so kann ich hier nur so
viel bemerken, dass jene vier Bücher de trinitate , wie aus triftigen Granden er
helle» dürfte, nicht vor dem 9. Jahrh. entstanden sein können. Die Abhandlung
von Gust. Bauer, De Boethio Christianen doctnnae assertort (Darnul. 1841.8.), beruht
auf einer zu wenig umfassenden Kenntniss der einschlägigen mittelalterlichen l.iiteralur.
36) Z. B. Inlrod. ad Theol. \, 25, p. 1039. Amlioes.
37) Boelh. Opp. (cd. Basil. 1570), p. 1181 f.: Postulat, ut ex Hebdomadibui
(unier diesem Titel wird die Schrift bei Spateren auch citirt, s. z. B. Anm. 514.)
nostris eins quaeslionis obscurilalem digcram Ul igilur in malhemalica
fteri solet celerisque eliam disciplinis , proposui lerminos reyulasque , quibus cuncta
quae sequunlur efficiam. 1) Communis animi conceptio esl enuntiatio , quam quisque
probat- auditam 2) Diverswn est esse et id quod est , ipsum enim esse
nondum esl , al vero quod esl , accepla essendi forma esl atque consistil. 3) (Juod
esl, parlicipare aliquo polest, sed ipsum esse nullo modo aliquo parlicipal 4)
Id quod est, haben aliquid praelerquam quod ipsum est polest, ipsum vero esse
in/iil 'iliii.il praeler se habet admislum. 5) Diversum est esse, aliquid et esse aliquid
in eo quod est, illic enim accidens, Ine subslantia significatur. t>) Omne quod est,
patticipal eo quo est esse ut sit, alio vero participal ul aliquid sil 7) Omne
Simplex esse suum et id quod esl, unum habet. 8) Omni composilo aliud est esse,
aliud ipsum est. 9) Omnis diversilas est discors, simililudo vero quaedam appelenda
est, et quod appetit aliud, tule ipsum esse naturaliler ostendilur, quäle est
illud ipsum quod appetit.
110 XIV. Theologie.
stian Thomasius oder des Pierre Bayle) natürlich nicht befähigt war,
dennoch die Incommensurabililät der theologischen und der logischen
Wahrheit ausgesprochen wird, während man das Unvereinbare gleichzeilig
betrieb. Ja gerade Abälard selbst, der Peripaleticus Palalinus,
gibt hiefür das beredteste Zeugniss, wenn er sagt, dass den Logikern
joder Peripaletikern Gott unbekannt bleibe, da dieselben Alles unter ir
gend eine der zehn Kategorien unterbringen, Gott aber unter keine der
selben falTen könne38), und während diess noch als der allgemeine
von Augustinus her übliche Standpunkt der Theologie gelten könnte
(vgl. Scotus Erigena, vor. Abschn., Anm. 120 f.), spricht Abälard eben
betreffs der Trinilätslebre am deutlichsten aus, dass die Dialektiker oder
Peripatetiker die gefährlichsten Feinde derselben seien39), da sie auf
dem Standpunkte der Logik aus der Wesens-Einheit der drei Personen
auf individuelle Einheit und umgekehrt aus der Verschiedenheit der
Personen auf Verschiedenheit ihres Wesens schliessen 40). Und in der
Thal verträgt sich der aristotelische Begriff der individuellen Substanz
nicht leicht mit dem Dogma der Trinilät, so dass strenge genommen
alle Logiker, welche an Aristoteles sich anschlössen, dem Vorwurfe der
Ketzerei nicht entgehen konnten.
So ist es erklärlich, wenn Petrus Lombardus, während er den
Zusammenhang des Triniläls-Streites mit der logischen Parteispaltung
bezeugt, zugleich jede Anwendung der Logik auf jene Hauptfrage der
Theologie abweist41), oder wenn sein älterer Zeitgenosse Bernhard
38) Abael. Theol. Christ. III, 3, p. 1271. (b. Martene, Thes. nov. Aneed. Vol. V):
autem illi quoque doctores nostri, qui maxime intendunt logicae, illam summam
maiestalem, quam ignotum Aevm esse proßlentur, mrinino ausi non sunt attingere aut
in numero rerum comprehendere , ex illorum scriptis liquidum est ; cum enim omnem
«•m aut mbstantiae aut alicui aliorum generalissimorum subticianl, utique et deum,
si inter res ipsum comprehenderent , aut subslanliis aut quantitatibus aut ceterorum
firaedicamentorum rebus connumerarent, qui nihil omnino esse ex ipsis convincitur
(p. 1273.) 0"« tarnen omnem rem aut substantiae aut alicui aliorum praedicamentonan
applicant, patet profeclo a tractatu Peripateticorum illam summam maiestalem omnino
esse exclusam.
39) Ebend. c. l, p. 1242.: Supra universos autem inimicos Christi, tarn liaereticos
quam iudaeos sh'e yentiles, subtilius fidem sanclae trinitatis jierquirunt et acutius
arguendo conlendunt professores dialecticae, seu importunitas sophistarum , quos verborum
aymine atque sennunum inundatione beatus esse Plato irridendo iudicat
Seimus quidem, a Peripateticis , quos nunc dialecticos appellamus, nonnullas et 'naximas
haereses esse repressas etc.
40) Ebend. c. 2, p. 1 260. : Quo in loco gravissimae et difficillimae dialecticoiii
HI quaestiones occurrunt; hi quippe ex unitale essentiae trinitatem personarvm impuynant
ac rursus ex diversitate personamm identitatetn essentiae oppugnare laborant.
Horum itaque obiectiones primum ponamus , postea dissolvamus , worauf nun Abälard
drciundzwanzig aus der Logik entnommene Einwände gegen die Trinität aufzählt,
um sie hernach theologisch zu widerlegen.
41) Petr. Lomb Sent. \, 19, 9. (f. 27. ed. Hasil. 1516): Videlur tarnen miki
ita passe accipi, cum ait (sc. Augustinus) „substanlia est commune et hypostasis est
particulare" ; non ita haec accepit, cum de deo dicantur, ut accipiuntur in philosophica
disciplina , sed per similitudinem eorum , quae a -philosophis dicuntur . locutui
est; sicut ibi commune vel universale dicitur quod praedicatur de pluribus, partic-ttlare
cero vel Individuum quod de uno solo, ita hie essenlia divina dicta est universale,
quia de Omnibus personis simul et de singulis separatem dicitur. particulare vero singula
quaelibet personarum, quia nee de aliis communiter nee de aliquo «lim um stngv
XIV. Hugo v. St. Victor. 111
von Clairvaux (geb. 1091, gest. 1153) sich offen als Feind der Dialek- ,
lik bekennt42). Ja auch der hervorragendste Vertreter jener Richtung,
zu welcher die eben genannten gehören, Hugo von St. Victor (geb.
1097, gest. 1141), steht eigentlich völlig ausserhalb jener reichhaltigen
Bewegung, welche damals in der Dialektik eintrat, und sowie er auf
die logischen Partei-Controversen nicht mit einem Worte eingeht, so
hat für ihn auch sein eigener platonischer Realismus kein logisches In
teresse, sondern nur ein psychologisch-praktisches. Indem auch er eine
feindselige Gesinnung gegen die Dialektik hegte43), scheint er selbst
die allgemein zugängliche Litteratur der Logik verschmäht zu haben und
über einige Stellen des Marcianus Capella , Isidorus und Koelhius nicht
weit hinausgekommen zu sein44), so dass er, was den geschichtlichen
Fortschritt der Logik betrifft, sogar noch unter dem Niveau Derjenigen
steht, welche wir gegen Ende des vorigen • Abschnittes besprochen
haben; da er jedoch sowohl der Chronologie nach hieher gehört, als
auch ein Hauplrepräsentant der consequenten innerlichen Auffassung der
Theologie ist, so mag zum Gegensatze der bunt verschlungenen logi
schen Kämpfe, welche wir nun sogleich darstellen müssen, über Hugo's
Standpunkt in Kürze Folgendes bemerkl werden. Nur die Stellung und
Einlheilung neulich der Logik ist es, worüber derselbe sich gelegentlich
äussert, wobei das praktisch-ethische Motiv schon darin erscheint, dass
die drei Hauplzweige der Wissenschaft, d. h. theoretische, praktische
Disciplin und Mechanik, zur Abwehr dreier Uebel, und zuletzt die Logik
um der Vollkommenheil des Sprechens willen erfunden sein sollen 4B).
lariter praedicatur. Propier similitudinem ergo praedicatiotiis substantiam dei dixit
universale et personas particularia «ei indivtdua (c. 10.) üicuntur enim aliqua
differre numero , quoniam ita differunt, ut hoc non sit illud ..... qtialiter di/ferunt
Socrates et Plato et huiusmodr quae apud philosophos dicuntur individua vel particul'iiiu
. ittxla quem niodum non possunt dici tres personae differre numero etc. Dass
übrigens auch Lombardes verketzert wurde, s. unten Anm. 478.
42) Z. B. Serm. 3. in die Pentec. (Opp. ed. Martene, Venet 1567, fol. III, p.
94.) Numquid ijuia l'latonis argutias , Aristotelis versutias intellexi avt ut intelligerem
laliorai'i? Absit inquam, sed quia testimonia tua exquisim. Oder in Bezug auf das
jungfräuliche Gebären Serm. 3. Vigil. Natio (ebend. p. 21.): Ulti nunc Aristytelicae
tubtilitatis facunda quidem sed infoecunda loquacitas?
43) De sap. an. Christi, Prol. (Opp. ed. Rottiomag. 1648, fol. III, p. 59.):
Quid enim hoc esse putatis, quod de rerum veritate tarn diversa senlire solent homines?
Numquid nomina est veritas? Ecce quid est quod dialectica tot diversas et tarn
adversas , ne dicam perversas, habet sententias? Numquid omnes noverunt unum id
qwd est, sed amore fallendi diversa finxerunt? Non sie ego puto. Sed narrant quinque
sotnnia sua (d. h. die quinque voces) et ea , qua primum ipsi in se opinione decepti
Stint, postmodum alias nescientes seducunt. , •
44) Es erhellt diess, abgesehen von dem Folgenden, schon aus der rohen
Angabe Didasc. III, 2. (Opp. III, p. 16 f.): Plato primus logicam rationalem apud
graecos instititit, qnum postea Aristoteles discipulus eins ampliavit, perfecit et in artem
rfdegil ; Marcus Terenlius Varro primus dialecticam de graeco in lalinum transtulit.
poitea Cicero Topica adiecit. Die Quellenstellen für diese Gelehrsamkeit s. oben
Abscbn. XIII, Anm. 27, 29, 39, u. besond. Abschn. VIII, Anm. 20. u. 25.
45) Excerpt. prior. l, d. orig. et discr. artium, c. 4 (Opp. II, p. 335): Tria
sunl remedia principalia contra tria praedicta mala , sapienlia contra ignorantiam,
rirtus contra vitium, necessitas contra mftrmitatetn (c. 5.) Propter aulem ista
tria remedia imenla est omnis ars et amnis disciplina, propter inveniendam namque
iapientiam inventa est theorica, propter inveniendam virtutem inventa est practica,
112 XIV. Hugo v. St. Victor.
Sowie aber letztere Wissenschaft der Entstehung nach die späteste sei,
so trete sie bezüglich des Unterrichtes an die erste Stelle, da die Tüch
tigkeit im Sprachausdrucke die Vorbedingung zu allem Uebrigen sei 46).
In solchem Sinne bezeichnet Hugo die Logik als „sermocionalis", weil
dieselbe „de vocibus'1 handle4'), und er theilt sie nun in einer Weise,
welche uns sehr an Scolus Erigena erinnert (vor. Abschn., Anm. 105),
derarlig ein, dass nach der weiteren Bedeutung des Wortes Aoyog alle
Kundgebung des Sprachvermögens zur Logik gehört, und dieselbe so
in Grammatik und logica ralionalis zerfällt, welch letzlere der engeren
Bedeutung des Wortes Aoyog entspricht und sodann im Hinblicke auf
die allverbreiteten Stellen des Boelhius nach der gewöhnlichen Weise
näher eingelheilt wird4").
Allerdings nun wäre es gewiss bequemer gewesen , in einer der
artigen Schablone die gesammte Logik von vorneherein abzuthun, und
propter inveniendam necessitatem inventa est mechanica Novissima autem omnium
inventa est logica causa eloquentiae , ut sapientes , qui praedictas principales disciplinas
investigarent et unirent, rectius veracius honestius Mas tractare et disserere de
illis scirent, rectius per grammaticum, veracius per dialeclicam, honestius per rhetori
cam; logica natnque facundiae rectitudinem veritalem venustatem administrat. Fast
wörtlich ebenso Didasc. VI, 14. (Opp. III, p. 39.), vgl. ebend. I, 6. (p. 3.) U, 2.
(p. 7.) III, 1. (p. 15.).
46) Didasc. l, 12. (Opp. III, p. 6.): Celerae prius repertae fuerant, sed necesse
fuit logicam quoque inveniri, quoniam nemo de rebus convenienter disserere polest, nisi
prius recte loquendi rationent aynoverit. Ebend. VI, 14. (|). 39.): Islae tres usu
primae fuerunt, sed postea propter eloquentiam inventa est logica, quae cum sit inventione
ultima, prima tarnen esse debet in doctrina. Excerpl. prior. a. a. 0. c. 23.
(p. 339.): In legendis artibus tulis est ordo servandus: prima omnium comparanda
est elaquenüa et ideo expetenda logica, deinde etc.
47) Didasc. II, 2. (p. 7.): miosophia dividitur in theoricam, practicam, mechanicam,
et loyicam ; hae quatuor omnem continent scientiam Logica sermocionalis,
quia de vocibus tractat Hanc divisionem Boethius facit aliis verbis (folgt die
oben, Abschn. XII, Anm. 76., angeführte Stelle).
48) Ebend. l, 12. (p. 6.) : Logica dicitur a graeco vocabulo ioyof, quod nomen
yeminam habet interpretationeni ; dicitur enim iöyos sermo sive ratio (s. Isidor, vor.
Abschn., Anm. 27.), et inde logica sermocionalis sive rationalis scientia dici potest;
logica rationalis, quae discretiva dicitur, continet dialecticam et rlietoricam, logica
sermocionalis genus est ad grammaticam , dialecticam et rhetoricam, et continet sub se
dissertivam; et haec est loyica sermocionalis, quam quartam post theoricam, praeticam
et mechanicam annumeramus. Excerpt. prior. c. 22. (p. 339.) : Logica dividitur in
grammaticam et rationem disserendi ; ratio disserendi dividitur in probabilem,
necessariam , et sophisticam; probabilis dividilur in dialecticam et rhetoricam, necessaria
pertinet ad pkilosophos , sophistica ad sophistas (s. Boethius , Abschn. XII, Anm.
82.) ; arammalica est scientia recte loquendi, dialectica disputatio acuta verton a falio
distinguens , rhelorica est disciplina ad persuadendum quaeque idonea. Didasc. II, 29.
(p. 14.): Logica dividitur in grammaticam et in rationem disserendi .... giammatica
est litteralis scientia ratio disserendi agil de vocibus secundum inlellectus. Ehencl.
31. (p. 15.): liutin disserendi integrales partes habet inventionem et iudicium (s. Boe
thius, Abscha. XII, Anm. 76.), divisivas vero demonstrationem , probabilem, sophifticam;
demonstratio est in necessariis argumentis et pertinet ad philosophum , probabiUs
pertinet ad dialeclicos et rhetoricos, sophistica ad sophistas et cavillatores ; probabtIis
dividitur in dialecticam et rhetoricam, quarum utraque integrales partes habet inven
tionem et indicium. Ebenso ebend. III, 1. (p. 15.). Die nemlichen Angaben kehren
in einer „Epilome in philosophiam" Hugo's wieder, welche kürzlich Hauriau (Hugutf
de Sainl-Victor, Nouv. examen de l' Edition de ses oeuvres. Paris 1859. 8.) herausgab,
s. daselbst p. 167 ff.
XIV. Reichere Bewegung. 113
es hauen hiebei auch die platonisch-christlichen Anschauungen sowie
die theologische Dogmalik in ungestörter Naivelät ihre unnatürliche
Allianz mit verkümmerten und verschrobenen Resten des Arislotelismus
fortführen können. Jedoch der selbsleigeue innere Trieb der Dialektik
war ja auch schon bisher selbst innerhalb der ecclesia docens wach
gebliehen, und da nun, wie wir sahen, von zwei Seilen her, neuilich
einerseits gerade durch den dogmatischen Streit über die Trinilät und
andrerseits durch sporadische und allmälig sich vervollständigende Kenntniss
der bis dahin unbekannten aristotelischen Bücher, eine gesteigerte
Anregung eintrat, so erhob sich jetzt neben aller Mystik der Schule
von St. Victor zugleich eine reiche und vielfach gespaltene Bewegung
auf dem Gebiete der Logik, deren Geschichte hier nach Maassgabe der
vorhandenen Quellen in eine äusserst schwierige Periode eintritt. Die
Schwierigkeit nemlich liegt zunächst darin, dass die uns zugänglichen
Berichte wohl vielfällig bis ins einzelnste Detail hinabreichen, aber da
bei in schlechthin fragmentarischer Form uns über alle verknüpfenden
Fäden im Unklaren lassen, wozu noch die Unbestimmtheit der üblichen
Bezeichnung „quidam" oder des blossen Anfangs-Buchslaben des Namens
eines Logikers hinzukömmt; und es wird so auch überhaupt; z. B. na
mentlich in Bezug auf jenes Fragment, welchem Cousin den Titel „De
generibus el speciebus" gab49), die ohnediess schon missliche Unter
suchung mannigfach durch litlerarische Schwierigkeiten durchkreuzt;
ausserdein ist mancher Berichterstatter an sich von geringerer Verlässigkeit,
und wir slossen auf Widersprüche, welche in Folge des Mangels
an anderweitigen Quellen nicht genügend gelöst werden können.
Fragt es sich aber dann noch, wie dieses zerfahrene und lücken
hafte Material für die Darstellung verarbeitet werden solle, so konnte
ich bei der Unmöglichkeit, die. einzelnen (meist nicht näher bekannten)
Autoren in geschichtlicher Abfolge zu entwickeln, nach vielfacher Er
wägung nur den Ausweg finden, dass ich die Zeit Abälard's collectiv
darstelle, und zwar so, dass in ähnlicher Weise wie im XI. Abschnitte
die zahlreichen Conlroversen nach der Reihenfolge der inhaltlichen Haupt
gruppen der damaligen Logik vorgeführl werden, wobei die verschiede
nen Meinungen über die Isagoge, d. h. der Streit über die Universalien,
einen ausgedehnteren Stoff darbieten , als die Erörterungen über die
übrigen Theile der Logik. Während aber so die hervorragenderen uns
bekannteren Autoren an diese inhaltlichen Momente geknüpft werden,
tnusste ich allerdings hievon gerade bei Abälard eine Ausnahme machen,
dessen Ansicht über die Universalien doch wieder nur bei der später
zu entwickelnden Charakteristik der gesaminien Dialektik Abälard's ihre
49) Es mnsste eine schlimme Verwirrung zur Folge haben, wenn die franzö
sischen Gelehrten mit Cousin dieses Fragment für eine Schrift Abälard's hielten;
H. Ritter hat bierin richtiger geurtheilt (wenn wir auch seiner Vermuthung über
den Autor selbst nicht beipflichten können, s. unten Anm. 146.); hingegen hat,
— um von Rousselot abzusehen, welchem bei Abfassung seines Werkes der 7. Band
Ritter's noch nicht vorliegen konnte — , auch Remusat und sogar Uauriav, Ritter's
Ansicht völlig ignorirt und im Anschlüsse an Cousin auf jene Schrift Schlüsse
gebaut, welche der richtigen Darstellung des Streites über die Universalien nach
theilig sein mussten.
PRAHTL, Gesch. II. 8
114 XIV. Reichere Bewegung.
genügende Erörterung finden konnte, denn von ihm allein ja besitzen
wir eine fast den ganzen Umkreis der Logik umfassende Schrift. Doch
hielt ich eine solche Zertheilung der Conlroversen , soweit sie die Uni
versalien betreffen, hier eben für das kleinste der unvermeidlichen Uebel.
Nach Abälard können dann in gleicher Weise hauptsächlich Gilbertus
Porretanus und Johannes von Salesbury folgen.
In Folge der oben angegebenen Gründe nahm das Studium der
Logik, abgesehen von seiner allseitigen örtlichen Verbreitung, durchweg
an intensiver Schärfe und Präcision zu, und man gewöhnte sich daran,
alle einzelnen Sätze oder Erörterungen durch das ganze damals zugäng
liche Material der Logik hindurch so genau als möglich zu erwägen
und nach verschiedenen Seiten zu beleuchten, wobei allerdings, da
eine eigentlich philosophische Basis gänzlich fehlte, nur eine einseitig
formale Spitzfindigkeit hervortreten konnte, welche ebensosehr zur zersplittertsten
Parteispaltung führen musste, als sie hinwiederum durch
diese genährt und bestärkt wurde, und vielleicht mag die Zahl der Magistri,
welche in solcher Weise das ganze Gebiet der Logik, meist
mit polemischer Erledigung gegnerischer Ansichten, durcharbeiteten, in
Frankreich allein nicht weit hinter einem Hundert zurückgeblieben sein.
Nicht zu wundern wohl ist es, wenn bei solchem Betriebe Diejenigen,
welche die Logik nicht von vorneherein aus theologischen Gründen
ängstlich scheuten , häufig beim ersten Eintritte in dieselbe in Verwir
rung gerielhen 50) ; wirkt es doch auf uns selbst fast schwindelerregend,
wenn wir aus den fragmentarischen Einzelnheiten einen Rückschluss
auf das Ganze machen, welchem sie angehört hatten. Eine grosse Täu
schung ist es, wenn man die damalige Bewegung in der Logik mit den
zwei Worten „Nominalismus" und „Realismus" oder etwa noch mit Hin
zufügung eines dritten, nemlich „Conceptualismus", erledigen zu können
glaubt, denn erstens ist, wie sich zeigen wird, die Parleispallung eine
weit mannigfaltigere, und zweitens bildet dieselbe nur einen Theil des
Gesammt-Betriebes der Logik.
Wenn wir dem Johannes von Salesbury, welcher zwar häufig hloss
nach allgemeinen Eindrücken und Vieles nur aus dem Gedächtnisse nie
derschrieb (s. unten Anm. 536), vollständig vertrauen dürfen, wäre
der Entwicklungsgang der Logik, welche entweder in Compendien (arles)
oder in Commentaren oder in blosser Glossirung bearbeitet wurde51),
in jenen Jahrzehenlen im Ganzen folgender gewesen. Johannes nemlich
spricht von einem Gegner seiner logischen Auffassung, welchen er sym
bolisch Cornificius nennt (s. unten Anm. 528 ff.), und sagt bei dieser
Gelegenheit52), jene beliebte Manier, ohne ordentliches und mühevolles
50) Abael. Dialect. b. Cous. p. 436.: Sed quia labor huius doctrinae diuturnus
.... fatigat lectores, et multorum studia et aetates subtilitas nimia inaniter consumit,
multi ....de ea difftdentes ad eius angustissimas fores non audent accedere; plurimi
vero eins subtilitate confusi ab ipso aditu pedem referunt.
51) Joh. Saresb. Metal. III, Pro/, p. 113. (ed. Giles vol. V.): JVon m transitu
vel semel dialecticorum attigi scripta, quae vel in artibus vel in commentariis aut glossemalibus
scientiam pariunt aut retinent et reformant.
52) Ebend. I, l, p. 13.: Cornificius noster studiorum eloquentiae imperitus et
improbus impugnator (2, p. 14.) populum qui sibi credat habet, et ei turba
XIV. Reichere Bewegung. 115
Studium ein Philosoph sein zu wollen, in Wirklichkeit aber nur ein
Sophist zu sein und Andere in blosser Sophistik heranzubilden, (Hesse
aus jener Schule, in welcher man auf eigene Faust habe geistreich sein
wollen, indem man lediglich auf angebornes logisches Talent sich stützend
sich mit Controversen der läppischsten Art, z. B. ob ein Schwein, wel
ches zu Markt geführt wird, von dem Stricke oder von dem Menschen
festgehalten werde, u. dgl. , beschäftigte, dabei aber stets in gespreiz
tem Dünkel mit etlichen Kunstworten der Logik um sich warf, — eine
Richtung, welche ebenso intolerant gegen jede anderweitige Wissenschaft
und Bestrebung gewesen sei , als sie in ihrer Neuerungssucht und bei
dem raschen Uebergange vom Lernen zum Lehren sich bald in das
grössle Bunlerlei individueller Ansichten zersplittert habe. Eine Folge
dieses haltlosen Treibens sei nun gewesen53), dass die Einen in weitschmerzlicher
Ueberzeugung von der Eitelkeit dieser Dinge in die Klö
ster sich flüchteten, Andere in Salern und Montpellier das Studium der
Medicin ergriffen, um nun diese Wissenschaft in gleicher rabulistischer
insipientium acquiescit, illorum tarnen maxime , qui ... videri quam esse sapientes
appetunt .... 3, p. 15 ff. : sine artis beneftcio .. . faciet eloquentes et tramite compendioso
sine labore philosophos .... Eo autem tempore ista Cornificius didicit, quae nunc
docenda reservat, .... quando in liberalibtts disciplinis lillera nihil erat et ubique spiritus
quaerebatur , qui ut aiunt tatet in littera; Hylam esse ab Hercule, validum scilicet
argumentum a forti et robusto argumentatore , et in hunc modum docerc
omnia, Studium illius aetatis erat. Insolubilis in illa philosophantium schola tunc
temporis quaestio habebatur, an porcus, qui ad venalitium agitur , ab homine an a
funiculo teneatur; item an capucium emerit , qui cappam integram comparavit. Inconveniens
prorsus erat oratio , in qua haec verba „conveniens" et „inconveniens", „argumenlum"
et „ratio" non perstrepebant mulliplicalis parliculis negativis et traiectis
per „esse" et „non esse", ita ut calculo opus esset, quoties fueral disputatum
Sufficiebat ad victoriam verbosus clamor, et qui undecunque aliquid inferebat, ad propositi
perveniebat metam. Poetae, historiographi habebanlur infames et si quis incumbebat
laboribus anliquorum (d. h. der antiken Autoren, des Porphyrius, Boelhius),
.... amnibus erat in risum. Suis enim aut magistri sui quisque incumliebat invenlis;
nee hoc tarnen diu licitum, quum ipsi auditores .... urgerentur, ut et ipsi sprelis his,
quae a doctoribus suis audierant, cuderent et condcrent novas seclas. Fiebant ergo
summt repente philosophi, nam qui illitemtus accesserat, fere non morabatur in scholis
ulterius, quam eo curriculo temporis, quo ovium pulli plumescunt, itaque recentes
magistri e scholis ...pari tempore avolabant .... Ecce noi'a ßebant omnia, innovabatur
yrammatica, immutabatur dialcctica , contemnebatur rhetorica, et nocas tolius quadrivii
vias evacuatis priorum regulis de ipsis plülosopliiae adytis proferebant. Solam „convenientiam"
sive „ralionem" loauebantur , „argumentum" sonabat in ore omnium, et
aliquid operum nalurae nominare, instar criminis erat aut ineptum nimis aut rüde et
a philosopho alienum. Impossibile credcbatur ', convenienter et ad rationis normam
quidquam dicere aut facere, nisi „convenientis" et „rationis" mentio ezpressim esset
inserta , sed nee argumentum fieri licitum , nisi praemisso »omine argumenti.
53) Ebend. c. 4, p. 18 ff. Alu namque monachorum aul clericorum claustrum
ingressi sunt .... deprehendenles in se et alüs praedicantes , quia quidquid didiceranl
Manilas vanitalum est Alii autem Salcrnum vel ad Montem Pcssulanum profecti
facli sunt clientuli medicorum et repente quales fuerunl philosophi, tales in momento
medici eruperunt Alii se nugis curialibus mancipaverunt , ut magnorum:virorum
patrocinio frcti possent ad divitias adspirare Alii autem ad vulgi professiones
easque profanas relapsi sunt parum curantes quid philosophia doceat dummodo
rem faciant „si possunt, reue, si non quocunque modo rem" Hoc autem quasi
quadrivio .... evadebant Mi repentini philosophi .... non modo trivii nostri, sed totius
quadrivii contemplyes.
~ 8*
116 XIV. Reichere Bewegung. Alte und neue Logik.
Weise, wie vorher die Logik, zu hetreiben, wieder Andere aber das
Leben an den Höfen der Reichen und Grossen aufsuchten , endlich An
dere lediglich auf Gelderwerb denkend sich in die niederen Sphären
des Lebens warfen (s. Anm. Ü30), kurz dass bei diesen Allen die Logik
und die Wissenschaft überhaupt in die grösste Missachtung fiel. Hier
auf aber, fährt Johannes fort54), sei ein Aufschwung der freien Künste
durch Männer, wie Gilbertus Porretanus, Theodorich (uns nicht näher
bekannt), Bernhard von Chartres, Wilheljn von Conches, und vor Allen
durch Abälard eingetreten, wodurch eben jene Verächter tieferer und
ernstlicher Studien nur zu Hass angestachelt und zu Schmähungen fort
gerissen worden seien; Schmähungen, welche sie nun auch gegen An
seimus, Wilhelm von Champeaux, Hugo von St. Victor, Robert Pullus
u. A. , sei es in logischer oder in theologischer Beziehung , gekehrt
hätten; die genannten Männer aber seien es, durch welche oder durch
deren Schüler er, nemlich Johannes, seihst seine Bildung empfangen
habe.
Dieser Bericht aber des Johannes von Salesbury wird uns ausser
seinem allgemeinen Inhalte noch insbesondere dadurch wichtig, dass
sich daran die Unterscheidung von „antiqui" und „moderni" (abweichend
von der Bedeutung dieser Worte bei einem früheren Schriftsteller , s.
vor. Ahsclin., Anm. 326.) in dem Sinne anknüpft, dass letztere die eben
angeführten verdienstvollen Logiker, erstere aber jene spitzfindigen Sophi
sten der vorhergehenden Zeit sind65), und wenn wir hierin ein Vor
spiel der späteren Trennung zwischen velus logica und nova logica
erblicken, wornach von dorther der Riickschluss statthaft wäre, dass
die anliqui sich bei der älteren Boethianischen Tradition der Logik
begnügten, die moderni hingegen dem aristotelischen Organen näher
standen, so bestätigt sich dieses entschieden durch das oben, Anm. 26,
Angeführte, sowie durch eine anderweitige deutliche Stelle des Johan
nes selbst 56). Ja ferner sagt derselbe, dass jene windige Geschwätzig-
54) Ebend. c. 5, p. 21 f.: Solebat magister Gilbertus .... eis artem pisloriam
polliceri Sed et alü viri amatores litterarum, utpote magister Theodorims, artium
itudiosissimus investigator, itidem Willelmus de Conchis, grammalicus post Bernardum
Carnotensem opulentissimus , et peripateticus Palatinus, qui logicae opinionem praeripuit
Omnibus coaetaneis suis, adeo ut solus Aristotelis credcrctur usus colloquio, se
omnes opposuerunt errori Praedictorum opera magistrorum et diligentia redierunt
ortes et quasi iure poslliminii honorem prislinum nactae sunt Hinc indignatio,
quam adversus discipulos memoralorum sapientium concepü Cornificii domus •
impudenter etiam obfuscare nilitur Anselmum et Radulfum , nam de Alberico
Remensi et Simone Parisiensi palam loquunlur Willelmus de Campellis er
rosse convincitur scriplis propriis, vix parcitur magistro Hugoni de Sanclo Victore,
Rodbertus Pullus .... dicerelur ßlius subiugalis , nisi sedi aposlolicae deferretur
...... Ego aulem .... fateor aliquos praemissorum habuisse doctores et itidem aliorum
audisse discipulos et ab eis modicum id didicisse quod novi.
55) Ebend. I, Prol. p. 9.: Nam ingenium hebes est et memoria infidelior, quam
ut antiquorum sublilitates percipere aul quac aliquando percepla sunt, diulius valeam
relinere JVec dedignatus sum , modernomm proferre sentenlias , quos antiquis
in plerisque praeferre non dubito. Vgl. Anm. 219, 365, 522.
56) Ebend. III, 6, p. 138.: JVon inanem reputem operam modernorum, qui
equidem nascentes et convalescenles ab Aristotele inventis eins multas adiiciunt rationes
et regulas prioribus • aeque firmas; habemus graliam peripatetico Palatino et aliis
XIV. Alte und neue Logik. 117
keit, als deren örtlichen Hauptsitz er einmal gelegentlich Paris bezeich
net57), aus einer Silbenstecherei hervorgegangen sei, welche die gegen
alle anderen Wissenschaften intoleranten Logiker viele Jahre hindurch,
ja während ihres ganzen Lebens unablässig in Zusammenstellung und
Bekämpfung aller möglichen Meinungen derartig übten, dass Mancher
selbst seine eigene Ansicht nicht mehr wusste58), wobei man dann um
des persönlichen Ruhmes willen selbst die antiken Autoren verschmähte
und die übliche Ordnung der Schul-Logik hei Seite setzte 59). Und
endlich wird nun noch ausdrücklich bemerkt, dass dieser übermässige
und bornirte Aufwand von Zeit und Kräften sich hauptsächlich um die
Isagoge drehte, bei deren Erklärung man den Streit über die Universa
lien für die einzig höchste Aufgabe hielt60), so dass ebensosehr zum
praeceptoribus nostris, qui nobis proftcere studuerunt vel in explanatione veterum vel
in inventione novorum.
57) Epitt. 181. (vol. l, p. 298. ed. Giles): Studäs tuis congratulor, quum
agnosco ex signis perspicuis in urbe garrula et ventosa, ut pace scholarium didum
sil, non tarn inulüium argumenlationum locos inquirere, quam virtutum. Doch könnte,
da der Magister Radulfus Niger, an welchen di&er Brief gerichtet ist, uns nicht
näher bekannt ist, unter der urbs ventosa möglicher Weise auch Avignon zu ver
stehen sein , denn sprichwörtlich sagte man „Avenio ventosa , sine vento venenosa,
cum venlo fastidiosa."
58) Metal. II, 6, .p. 72. : Indignantur puri philosophi et qui omnia praeter logi- •
tarn dedignantur , aeque grammaticae ut physicae expertes et elhicae c. 7, p.
73.: qui clamant in compitis et in triviis docent et in ea, quam solam proßtentur,
.non decenvium aut vicennium, sed totam consumpserunt aetatem Fiunt itaque in
puerilibus academici senes , omnem dictorum aut scriplorum excutiunt syllabam, imo
et litleram, dubüantes ad omnia, quaerentes semper, sed nunquam ad scientiam pervenientes
, et landen converluntur ad vaniloquium ac nescientes, quid loquantur aut
de quibus asserant, errores condunt novos et antiquorum (d. h. der antiken Autoren,
wie oben Anm. 52.) aut neseiunt aut dedignantur sententias imitari; compilant omnium
opiniones et ea quae eliam a vilissimis dicta vel scripta sunt, ob inopiam iudicii scribunt
et referunt, tanla est opinionum et oppositionum congeries ut vix suo nota
esse possil auclori. Ebend. c. 18, p. 93.: De magtstris aut nullus aul rarus est,
qui doctoris sui velit inhaerere vestigiis ; ut sibi faciat nomen, quisque proprium cudit
errorem. Polycr. VII, 12, p. 126.: Vetus quaestio, in qua laborans mundus iam
senuit, in qua plus temporis consumptum esl, quam in acquirendo et regendo orbis
imperio consumpserit Caesarea domus , haec enim tamdiu mullos tenuit, ut quum
hoc «nun» tota vita quaererent, tandem nee istud nee aliud invenirent. Hiezn unten
Anm. 540.
59) Enthet. v. 41 ff.: Si sapis auclores, veterum si scripla menses, VI slatuas,
si quid /orte probare velis , Undique damabunt ,,vetus hie quo tendit asellus, Cur
veterum nobis dicta vel acta referl? A nobis sapimus, damit se nostra iuvenlus, Non
recipit veterum dogmata noslra cohors, JVon onus accipimus, ut eorum verba sequamur,
Quos habet auctores Graecia, Roma colit (v. 59.) Temporibus plaeuere suis velerum
bene dicta, Temporibus nostris iam nova sola placent." Haec schola non
curat, quid sit modus ordove quid sit, Quam teneant doctor discipulusque viam.
60) Metal. II, 16, p. 89.: Sed quia ad hunc elementarem librum (d. h. die Ka
tegorien) magis elementarem quodammodo scripsit Porphyrius, eum ante Aristotelem
esse credidit antiquitas praelegendum ; rede qutdem, si rede doceatur, id est ut tenebras
non indueat erudiendis nee consumat aetalem c. 17, p. 90.: Naturam
lamen universalium hie omnes expediunt et altissimum negotium et maioris inquisitionis
contra meutern aucloris explicare niluntur. Ebend. III, 5, p. 136.: qui in Porphyrio
aut Categoriis explanandis singuli volumina multa et magna conscribunl. Eine be
stätigende Aensserung Abälard's s. unten Anra. 104.
118 XIV. Die Parteispaltung.
Tummelplätze individueller Eitelkeit wie zum Nachtheile des Unterrichtes
zuletzt alle Weisheit in die Erörterung des Porphyrius hineingepfroprt
wurde 61).
So führen uns die allgemeineren Angaben des Johannes von Salesbury
von selbst zu den Cöntroversen über die Universalien, und wir
dürfen aus dem Bisherigen füglich schliessen, dass der Streit in jener
einseilig spitzfindigen Weise in den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderles
entbrannte, so dass hier die geschichtliche Anknüpfung an
das Auftreten des Roscellinus und an die damals stell erhebenden Kämpfe
(s. vor. Abscbn. Anm. 312 ff. u. bes. Anm. 326) deutlich vorliegt. Ja
innere Gründe sprechen dafür, dass von ebendort her bei den Controversen
betreffs der Universalien vorerst die nominalistische Auffassung
die überwiegendere gewesen sein mag, denn nicht bloss der Umstand,
dass jene Logiker nach des Johannes Bericht sich exclusiv und intole
rant gegen jede Real-Wissenschaft verhielten (Anm. 52 u. 58), deutet
auf Derartiges hin, sondern es ergibt sich auch leicht der Schluss, dass
jene von Johannes angeführten verdienstvollen Wiedererwecker der Logik,
welche sämmtlich einem extremen Nominalismus abhold waren oder
theilweise selbst bis an die( äiissersten Gränzen des Realismus fortschritten,
jedenfalls einen Umschwung hervorriefen oder beförderten,
welcher von nominalistischen Grundsätzen hinweg auf anderweitige Bah
nen hinüberlenkle.
Dass aber hiebei, wie wir schon sagten, die Spaltung der Ansichten
sich nicht bloss in einem dichotomischen oder trichotomischen Gegen
satze bewegte, sondern in einer grösseren Zahl von Abstufungen auf
trat, erhellt aus genauerer Einsichtnahme der uns zugänglichen Quellen.
Die ausführlichste Notiz gibt uns wieder Johannes von Salesbury, wornach
die Meinungsverschiedenheit bezüglich der Universalien sich folgendennaassen
gestaltet habe :
1) die Ansicht des Roscellinus, dass dieselben voces seien62), —
s. Anm. 76 II1.;
2) jene des Abälard und seiner Anhänger, dass die Universalien
auf sermones zu reduciren seien, da das Prädicat eines Dinges
nie selbst ein Ding sein könne63), — s. Anm. 283 ff.;
61) Ebend. II, 20, p. 113.: Nee fideliier mm Porphyrio nee utiliter cum Mroducendis
versantur, qui omnium de gencribus et speciebus recensent opiniones, Omnibus
obviant, ul landen suae inventionii mtja.nl titulum. Ebend. III, l, p. 117.: Auslerus
nimis et durus magister esl, tollcns quod positum non est el melens quod non
esl seminatum, qui Porphyrium cogit solvere, quod omnes philosophi acceperunt, cui
satisfactum non est, nisi libellus doceal, quidquid alicubi scriptum invenilur. Polycr.
VII, 12, p. 129.: Qui ergo Porphyriolum omnibus philosophiae partibus replent, introducendorum
obtundunt ingenia, memoriam lurbant. Hiezn die unten, Anm. 98., an
zuführende Stelle des Wilhelm v. Conches.
62) Melal. II, 17, p. 90., woselbst nnch den so eben (Anm. 60.) angeführten
Worten unmittelbar jene Stelle über Roscellinus (s. vor. Abscnn. Anm. 318.) folgt.
63) Ebend.: Alius sermones inluetur et ad illos detorquet, quidquid alicubi de
universalibus meminit scriptum; in hac autem opinione deprehensus est peripatelicus
Palalinns Abaelardus noster, qui mullos reliquit et adhuc quidem aliquos habet professionis
huius sectalores et testes; amici mei sunt, lieft ita plerumque captivatam
detorqueant lillcram , -ut vel durior animus miseratione Mius nioveatur. Rem de re
XIV. Die Parteispaltung. 119
3) die Annahme, dass intellectus oder notio im Sinne Cicero's (d.
h. der Stoiker) dasjenige sei, was man Universale nenne 64), —
s. Anm. 581 ff.
Von diese« unterscheidet Johannes dann Diejenigen, welche an den
Dingen haften („rebus inhaerenl") , sich selbst aber wieder in mehrere
Parteien spalten, sonach:
4) die bald wieder aufgegebene Ansicht des Walter von Mortaigne,
dass die Universalien mit den Individuen (d. h. den res sensibües)
essentiell vereinigt seien, wornach es auf den „Status"
ankomme, nach welchem man das Individuum betrachte65), —
s. Anm. 129 ff. ;
5) der platonische Realismus des Bernhard von Chartres 66) , — s.
Anm. 89 ff. ;
6) die Annahme des Gilbert von Poitiers betreffs der formae natfroe67),
— s. Anm. 460 ff.;
7) die Ansicht des Gauslenus von Soissons, dass die Universalität
praedicari monslrum dicunl, licet Aristoteles monstruositatis huius auctor sit et rem
de re saepissime asserat praedicari, quod palam est, nisi dissimulent, familiaribus
eius.
64) Ebend. (fortgefahren) : Alius versatur in inlellectibus et eos duntaxat genera
dicit esse et species; sumunt mim occasionem a Cicerone et -ßoclhio, qui Arislotelem
laudant auctorem, quod haec credi et dici debeant notiones ; ,,esl autem", ut aiunl,
„notio ex ante percepta forma cuiusque rei cognitio enodatione indigens" (so aller
dings Cicero in der Abschn. VIII, Anm. 37. angeführten Stelle, welche aber zugleich
zeigt, dass derselbe sich nicht auf Aristoteles, sondern auf „Graeci", d. h. auf die
Stoiker berief), et alibi: ,,notio est quidam intellectus et simplex animi conceptio"
(so Boeth. ad Cic. top. p. 805. bei Erklärung jener ciceronischen Stelle, nur voll
ständiger, nemlich: „ conceplio, quae ad res plures pertineat a se invicem differentes,
id vero genus esse, manifestum est", sodann aber nach einigen Zeilen hin
zufügend: at vero Aristoteles nullas putat extra esse substanlias, sed intellectam similitudinem
.plurium inier se differenlium substanlialem genus pulat esse vel speciem);
eo ergo deflectitur quidquid scriptum est, ut- iii^Mecius aut notio universalium univeriitalem
claudat. .'r\h'-fa «»1*0
65) Ebend. p. 90 f.: Eorum «er* $w\ rebuminliaerent , multae sunl et diversae
opiniones. Siquidem hie ideo, quod onwfc. qujlt) unum est, numero est, rem univer
salem aul unum numero esse aut omnino ,.non • esse concludit; sed quia impossibile,
substantialia non esse existentibus his quorum sunt substantialia , denuo colligunt,
universalia singularibus quod ad essentiam unienda. Parliuntur itaque Status duce
Gautero de ttauritania et Platonem in eo quod Plato est dicunt individuum, in co quod
homo speciem, in eo quod animal genus, sed subalternum, in eo quod subslantia generalissimum.
Habuit haec opinio aliquos assertores, sed pridem hanc nullus profitetur.
66) Ebend. p. 91.: llle ideas ponit Plalonem aemulatus et imitans Bcrnardum
Carnotensem et nihil praeter eas genus dicit esse vel speciem (p. 92.) Egerunt
operosius Bernardus Carnotensis et eius seclatores, ut componerent inier Aristotelem et
Plalonem, sed eos tarde ventsse arbiträr et laborasse in vanuni, ut reconciliarent mortuos,
qui quamdiu in vita licuit dissenserunt.
67) Ebend. p. 92. r Porro alius, ut Aristotelem exprimat, cum Gilberto episcopo
Piclaviensi universalUatem formis nativis attribuit et in earum conformitale laborat; est
autem forma nativa originalis exemplum et quae non in mente dei consistit, sed rebus
creatis inhaeret; haec graeco eloquio dicitur tläo;, habens se ad ideam ul exemplum
ad exemplar, sensibilis quidem in re sensibili, sed mente concipitur insensibilis, singularis
quoque in singulis, sed in Omnibus unieersalis.
120 XIV. Die Parteispaltung.
nur in einem „colligere" beruhe 68) (s. Anm. 145 ff.), welche
wegen mancher Schwierigkeiten sich zu
8) der Annahme betreffs der „maneries" gestaltete oder in die obige
stafus-Frage auslief69), — s. Anm. 85 fl'. »
Sowie aber Johannes diess noch einmal zusammenfasst, um alle
diese Ansichten mit Ausnahme der dritten als anti-aristotelisch zu be
zeichnen, und zwar mit einer merkwürdigen Wendung, wornach ihm
zuletzt Jedwedes als Realismus erscheint 70), so spricht er ein anderes
Mal gleichfalls von dieser Parleispaltung und nennt daselbst71) von den
so eben aufgezählten Ansichten nur die ersten vier, neu aber kömmt
nun dort hinzu
9) die Ansicht, dass die Universalien abstracte Formen wie die
mathematischen seien.
Dass wir aber hiemit noch nicht zu Ende sind, sieht jeder Kun
dige schon daraus , dass in des Johannes Bericht Wilhelm von Champeaiix
gar nicht erwähnt ist; nun kömmt aber, — um vorläufig nur
bei der Aufzählung der verschiedenen Meinungen stehen zu bleiben —,
68) Ebend.: Est et alius, qui mm Gausleno Suessionensi episcopo universalitatem
rebus in unum collectis atlribuit et singulis eandem ilemit.
69) Ehend. p. 92 f. : Exinde quum ad interpretandas auctorilates ventum est,
laborat prae dolore, quia in locis pluribus rictum liltcrae indignantis fern non suslinet.
Esl aliquis , qui confugiat ad subsidium novae linguae , quia latinae periliam non
salis habet; nunc enim quum genus audit vel speties, res quidem dicit intclligendas
universales , minc rerum maneriem (unbegreiflicher Weise gibt Giles materiem, ob
wohl die Ausgabe Amslel. 1064 das Richtige hat, abgesehen von den sogleich fol
genden Worten, s. unlen Anm. 85.) interpretalur ; hoc autem nomen in quo auctorum
invencrit vel hanc distinctionem^ incerlum halieo , nisi forte in glossematibus aut
modernorum linguis doctorum. Sed et ibi quid significet, non Video, nisi rerum
colleclionem cum Gausleno aut rcm universalem, quod tarnen fugit maneriem (ebenso)
dici , nam ad utrumque polest ab interpretalione nomen referri, eo quod maneries
(ebenso) rerum numerus aut Status dici polest, in quo talis permanet (also er etymologisirt
vom Stamme ,,maneo") res ; nee deesl, qui rerum Status attendat et eos
genera dieit esse et species. • jU.-ijtpi *>;.,.
70) Ebend. c. 20, p. 95.: Quare ab Aristotele recedendum esl concedendo ut
universalia sinl (s. unten Ainn.:<$90vV)< 0<U< fefragandum opinionibus , quae eadem
(1) „vocibus", (21 ,,sermonibus"^(fy")>>'sfMibilibus rebus", (5) ,,ideis", (6) ,,formis
nativis" (die Ausgaben haben /ofim's, naturis) , (7 u. 8) „colleclionibus" aggregant,
quum singula horum esse non dubilenlur , qui autem ea esse statttit , Aristoleli
adversetur.
71) Polycr. VII, 12, p. 127.: In his aelatem lerere, nihil agentis et fruslra
laborantis est Expediunt haec auctorcs multis modis variisque sermonibus
et litigiosis hominibus multam contendendi materiam reliquerunt. Inde est, qui sensibilibus
aliisque singularibus apprehensis , quoniam haec sola veraciter esse dicunlur,
ea in diversos ,, Status" (4) subvehit, pro quorum ralione in ipsis singularibus
specialissima generalissimaque constituit. Sunt, qui more mathematieorum ,,formas"
(diess das Neue) abstrahunt et ad Mas, quidquid de universalibus dicilur, referunt.
Alii discutiunt „intellectus" (3) et cos universalium nominibus censeri conftrmant.
Fuerunt ef qui „voces" (1) ipsas genera dicerent et species, sed eorum iam explosa
sententia est et fädle cum auclore suo evanuit. Sunt tarnen ndhuc qui deprehenduntur
in vesligiis eorum, licel crubescant auctorem vel sentenliam profiteri solis
nominibus inhaerentes , quod rebus et intellectibus subtrahunt, ,, sermonibus" (2)
adscribunt. Magno se iudice quisque luelur, et ex verbis auctorum .... suam adstruit
senlentiam vel errorem. Oriuntur hinc magna seminaria iurgiorum et colligit
quisque, quo suam possit haeresin conßrmare.
XIV. Die Tarteispaltung. 121
t
noch eine Stelle des Fragmentes De generibus et speciebus hinzu 72),
in welcher gleichfalls die Unterscheidung zwischen Jenen, welche die
Universalien als vox bezeichnen, und denjenigen, welche sie für res
halten, zu Grunde gelegt ist, hei letzteren aber nur zwei Unterarten
derselben namhaft gemacht werden, nemlich
10) die sogenannte ralio indifferentiae (s. Anm. 132 ff.) und
11) die Ansicht des Wilhelm von Champeaux, — s. Anm. 102 ff.
Ferner spricht von diesen Meinungs-Verschiedenheilen einmal auch
Abälard73), woselbst er innerhalb des Realismus zunächst die beiden
so eben genannten Annahmen erwähnt, sodann aber auch
12) eine Auffassung, wornach der Unterschied zwischen Gattung
und Individuum nur in einer Eigenthümlichkeit (praprietas?) des
Daseins liege, insoferne das Universale sowohl in Mehreren zu
gleich als auch in Einzelnwesen auftreten könne.
Hingegen Pseudo-Abälard De intelleclibus (s. unten Anm. 416 ff.)
unterscheidet unbestimmt allgemein nur Realisten, Nominalisten und die
Abälard'sche Ansicht 74).
Endlich aber kömmt noch hinzu
13) die Annahme des Verfassers De generibus et speciebus, — s.
Anm. 148 ff.
72) Bei Cousin, Ouvr. \nt&. d'Abe'lard, p. -513.: De generibus et speciebus
diversi diversa sentiunt. Alii namque voces solas genera et species universales et
singulares esse affirmant, in rebus vero nihil horum assignant. Alii vero res qenerales
et speciales universales et singulares esse dicunt , sed et ipsi inter se diversa
sentiunt; quidam enim dicunt singularia individua esse species et genera subalterna
et qeneralissima alio et alio modo atlenta (der Verfasser bezeichnet diese
Ansicht selbst als ,,senlenlia de indifferenlia" , s. nnlen Anm. 133.); alii vero quasdam
essenlias universales fingunt, quas in singulis individuis Iotas essentialiter esse
credunt (dass diess letztere die Meinung Wilhelm's sei, wird unten erhellen).
73) fn den schon oben, Anm. 13., angeführten Glossulae super Porphyrium
bei Re'musat a. a. 0. p 96. (leider gleichfalls nicht im Originaltexte mitgetheilt) :
La grande question que Porphyre indique en dttbulanl arrele Abilard, et il est
presque oblige' de la trailer seulement pour la poser. Toutes les opinions sur les
universaux se prtvalenl, dit-il, de grandes autoritts (schon hier übersetzt Re'musat
falsch, denn er gibt in der Anmerkung die Original-Worte ,,unus quisque se tuetur
auctorilate iudice", deren Sinn ist, dass jeder seine Ansicht durch die überlieferte
Auctorität, d. h. durch Aristoteles, stützt) p. 97.: Le premier Systeme est celui
de l'existence des choses universelles. II est plusieurs manie'res de Iflablir. Suivant
l'une etc. (nun folgt die Ansicht Wilhelm's von Champeaux, s. unten Anm. 105.)
p. 99.: La seconde manie're etc. (folgt die Indifferenz-Lehre, s. unten Anm.
132.) p. 101 f.: Enfin on s'y prend d'une troisieme manie're pour soutenir que
les universaux sont des choses. Voulanl expliquer la communautt!, l'on du qu'enlre
la ehose universelle et la chose singulie're est une difftrence de proprie'le' , la proprie'te'
qui consiste a etre universelle, la propriMe' qui consiste a etre singuliire.
L'animal, le corps est univcrsel , et n'est pas seulemenl quelque animal et quelque
corps; mais dire ,,1'animal esl universel", revient a dire ,,il y a plusieurs choses
qui sont chacune individuellement animal"; quand „animal" se dit d'un seul, on
enlend qu'un seul, un elre determini est animal Endlich p. 106. folgt in
unbestimmten Ausdrücken die Auffassung der Universalien als voces.
74) Bei Cousin, Fragm. philos. Philos. scolast. Par. 1840. p. 494.: De formis
diversi diversa sentiunt. Quidam enim volunt omnes formas esse essentias (die Rea
listen), quidam nullas (die Nominalisten), quidam quasdam essentias esse conßrmant,
quasdam non (die Anhänger Abälard's, Näheres s. unten).
122 XIV. Die Parteispaltung. Nominalismus.
Von diesem Bunterlei der Meinungen nun werden wir jene des
Ahälard (2.), des Gilbert (6.) und des Johannes von Salesbury (neinlieh
die 3.) erst später in Verbindung mit der gesammten logischen
Thätigkeit derselben erörtern können; sodann aber fallen die 12. und
die 9. darum hinweg, weil wir schlechthin Nichts näheres als das so
eben Gesagte über dieselben wissen ; nur mag bei letzterer bemerkt
werden, dass sie uns entschieden an jene mathematische Betrachtungs
weise erinnert, welche wir oben, vor. Abschn., Anm. 169, schon in
weit älterer Zeit trafen. Die übrigen hingegen müssen wir nun versu
chen genauer zu besprechen, wobei sich uns manche verschlungene
Verwandtschaft zwischen einzelnen derselben und selbst wieder neue
Abarten und Abzweigungen zeigen werden. Auch spielt aber in jene
Controversen , wie sich schon aus dem Vorgange des Boethius (s. Ab
schn. XII, Anm. 85 ff.) erwarten lüssl und es theilweise bereits bei
Roscellinus zu Tage getreten war (vor. Abschn., Anm. 321 f.), in hohem
Grade die Lehre von der Eintheilung und der Definition herein, denn
die Tabula logica des Porphyrius oder Boethius bewegt sich ja haupt
sächlich in den Universalien, womit das Zeugniss Ahälard's übereinstimmt,
dass Viele sich mit jenem Zweige der traditionellen Logik beschäftigten
und Manche sogar die Boethianische Lehre der Einteilung noch zu
vervollständigen versuchten 75).
Was nun zunächst die an Roscellinus anknüpfende Ansicht betrifft,
so scheint dieser Nominalismus in der That nicht so schnell gänz
lich verschwunden zu sein, als es nach den oben angeführten Aeusserungen
des Johannes von Salesbury (s. vor. Abschn., Anm. 325) schei
nen müssle. Denn abgesehen davon, dass dieser nemliche Autor doch
wieder selbst von einer Richtung spricht, welche einseitig nur dem
Klange der Worte folgt und so dieselben fast zum blossen Hauche ver
flüchtigt76), treffen wir nun auch noch in Abälard's Zeit eine Widerholung
jener Vorwürfe, welche Anseimus gegen Roscellinus gewendet
hatte (s. ebend. Anm. 319), und zwar derartig gesteigert, dass der No
minalismus sich schon einem vollständigen Sensualismus genähert zu
haben scheint, wenn behauptet wurde, dass nicht bloss kein Allgemeines
existire, sondern auch durch die Wortbezeichnung das Denken nur die
Einzel- Wesen erfasse 77). Ja mit deutlicher Bezugnahme auf eine Stelle
75) Abael. Dialecl. b. Cousin, p. 450.: Dividende seu diffiniendi peritiam non
solum ipsa doctrinae necessitas commendat, verum diligentcr multorum auctorilas
tractat. Ebend. p. 489. : Movet autem /befasse quosdam , quod sinl quaedam divisiones,
quae in sex suprapositis (d. h. jenen des Boethius, Abschn. XII, Anm. 96.)
non connumerantur.
76) loh. Saresb. Enthet. v. 27 ff. Qui sequilur sine mente sonum, qui verba
capessit, Non sensum, iudex integer esse nequit; Quum vim verborum diccndi causa
minislrct, Haec si nescitur , quid nisi ventus erunt?
77) Pseudo- Abael. D. intell. a. a. 0. (Anm. 74.), p. 488.: Sicut enim, mquiunt,
cum homo sentilur, necesse vel hunc vel ilhim vel aliquem alium sentiri,
eo vidclicet quod omnis homo sit vel hie vel ille vel alius , ita et 'dt intellectu ad
similitudinem sensus ratiocinanhir , ut videlicet si homo intelligatur , necesse sit vel
hunc vel illum vel aliquem alium intelliqi. Praeterea homo nihil aliud sonat quam
quidam homo, unde et qui hominem intclligit, profecto quendam 'hominem intelligit
el ila hunc vel alium intelligit.
XIV. Nominalismus. 123
der Analytik drückten einige extreme Nominalisten, welche selbst das
prädicative Satzverhältniss bekämpft zu haben scheinen (vgl. vor. Abschn.,
Anm. 324 f.), sich sogar derartig aus, dass nicht einmal das Wort
„Individuum" prädicirt werden dürfe, sondern nur die Singularität des
Einzel- Wesens Gegenstand der Aussage sein könne 18). Auch knüpfte
sich eine solche Hinneigung zum Sensualismus 79) an jene der Psycho
logie angehörigen Erklärungen, auf welche Aristoteles in beiden Analy
tiken (s. oben Anm. 19) die Erkenntniss-Theorie stützt80).
Selbstverständlicher Weise hat die Stufenfolge von Gattung zu Art
und von Art zu Individuen bei den Nominalisten keine ontologische Be
deutung, sondern indem sie den Realismus bekämpfen, substiluiren sie
zur Kundgebung ihrer Auffassung für die in der Isagoge üblichen Worte
überall das durch dieselben „Bezeichnete" (significalum) , indem sie z.
B. significatum generis statt genus sagen und in solcher Weise alle
Lehr-Sätze figürlich (figura loculionis) interpretiren, da ihnen ja über
haupt nur die Individuen als seiend gelten, diese aber durch die Worte,
sei es durch specielle oder durch allgemeine, ihre „Bezeichnung" fin
den 81)- Eben Letzteres aber scheint eine Spaltung unter den Nomina
listen hervorgerufen zu haben; nemlich die Einen, und zwar offenbar
die Besonneren, unter welchen ein uns übrigens unbekannter Garmund
genannt wird, hielten doch noch an dem begrifflichen Gehalte des
Wortes, welcher ein inneres Verstehen erzeugt, fest und verneinten es
hiernach entschieden, dass durch den Namen der Gattung auch schon
die Art oder durch eine Inhärenz auch schon das Substrat (z. B. „Mensch"
durch „lebendes Wesen" oder „Körper" durch „Gefärbt") bezeichnet
werde 82) ; Andere hingegen , gewiss die 'Leichtfertigeren und Extre-
78) loh. Saresb. Metal. II, 20, p. 110.: Hine forte est illud in Analylicis
,,Aristomenes intelligibilis semper est, Aristomenes autem non semper" (Anal. pr. I,
33, bei Boeth. p. 495.); et hoc quidem est singulariter Individuum, quod solum
quidam aiunt possc de aliquo praedicari; Plato enim Arislidis ßius nee quantitale
ut atomus nee soliditate ut adamas, sed nee praedicatione, ut dicunt, Individuum est.
79) Ebend. III, 7, p. 140.: Sed minutiores philosopHi cum Porphyrio vulgi sequuntur
opinionem, qui fere id solum consuevit approbare, quod sensibus patet.
Ebend. IV, 20, p. 176.: Vnde et quidam minuti philosophi, eo quod a sensibus
ad scientiam sil processus, nisi eorum quae sentiunlur ullam negant esse'scientiam.
80) Pseudo-Abael. d. intell. a. a. 0. p. 466.: cum quidam omnes imaginationes
quasdam sensuum .... recordationes esse velint, hoc est eas ex rebus senlitis solummodo
haben, etc. Joh. Saresb. Metal. IV, 9, p. 166.: Eorum ergo opinio est, quod
eadem polentia nunc senliat, nunc memoretur, nunc imaginetur, nunc discernat investigando
, nunc investigata assequendo intelligat.
81) D. gen. et spec. b. Cousin, Abe'lard p. 524 : aiunt ßguram lotam esse
locutionem ,,nenus est materia speciei" (diesen Lehrsatz des Boeth. d. divis. s.
Abschn. XII, Anm. 97.), id est: signißcatum generis materia est signißcati speciei;
sed hoc secimdum eos stabile esl, nam cum habeat eorum senlentia, nihil esse praeter
individua et hacc tarnen signi/icari a vocibus tarn universalibus quam singularibus,
idem prorsus signi/icabit animal et homo.
82) Abel. Dialect. p. 210.: Alii enim omnia , quibus vox imposita est, ab
ipso, voce significari volunt, alia vero ea sola , quae in voce denotantur atque in
senlenlia ipsius lenenlur. Iltis quidem magister noster V. (was Cousin höchst will
kürlich als „Willclmus Campellensis" erklärt, s. unten Anm.*102.) favet, his vero
Garmundus (wenn Cousin in einer Anmerkung sagt „infra de eo , sc. Garmundo,
non semel mentio erit", so verstehe ich diess nicht, denn in jenem Texte wenig
124 XIV. Noininalisiiius. Die Lehre von maneries.
liieren, wie z. B. ein gewisser Magister „V.", warfen sich lediglich auf
das Bezeichnen, wornach jedes Ding in jedwedem ihm beigelegten Prädicate
bereits mitbezeiclmet sei, und es ist beachtenswert?!, dass diese
hiebei sich auf die Grammatik stützten, nach welcher jedes Nomen so
wohl eine Substanz als auch zugleich eine Qualität bezeichne 83). No
minalisten der letzteren Art müssen es auch gewesen sein, welche wohl
mit einseitiger Verfolgung der Ansicht des Roscellinus (vor. Abschn.,
Anm. 321) zu der Behauptung gelangten, dass die einfache dictio (d. h.
das einzelne Wort im Gegensatze gegen das Urlheil) überhaupt keiner
lei Theile des Denkactes, nemlich auch keine gleichzeitigen, in sich
trage , sondern wie ein Punkt in unterschiedsloser Einheit Alles , was
unter das Wort fällt, umfasse 84). — Ein paar einzelne Consequenzen
des Nominalismus bezüglich der Kategorienlehre s. unten Anm. 196 f.
u. 199.
Eine Abzweigung des Nominalismus aber war gewiss die Annahme
betreffs der „maneries", s. oben Anm. 69; denn wenn Johannes von
Salesbury dieselbe unter den realistischen Ansichten aufzählt, werden
wir nicht bloss durch jene obige (Anm. 70) Stelle desselben, in welcher
er ja zuletzt Alles als Realismus bezeichnet, sehr bedenklich gemacht,
sondern wir finden auch in einem anderweitigen Berichte die entschie
dene Mittheilung, dass die Nominalisten es waren, welche zur Stütze
ihrer Ansicht, wornach Gattungen und Arten nur die im Subjecte oder
Prädicate .ausgesprochenen allgemeineren oder specielleren Worte seien,
in den betreffenden Stellen des Boethius und des Aristoteles sofort „res".
als „vox" und „genus" als „maneries" bezeichneten 85). Das Wort
stens, welchen Cousin gibt, ist nicht ein einziges Mal mehr Garmund erwähnt)
consensisse videtur. llli quidem auctoritate, hi vero ful/i sunt ratione. Quibus enim
Garmundus annuit, ralionabililer ea sola (fehlt das Verbum, etwa admitlunt oder
dpi.), quae in senlentia vocis tenentur iusta diffinilione „significandi", quae est
„inlellectum generare"; de eo enim vox intellectum facere non polest, de quo in
sententia eius non agitur; unde nee a nomine generis speciem volunt signißcari, ut
hominem ab animali, nee subiectum accidentis a sumpto vocabulo , ut corpus ipsum
a colorato vel albo'; neque enim honto in nomine animalis exprimilur nee subiecti
corporis natura in colorato denotatur, sed tantum illud, quantum subslantia animal
sensihile dicitur, hoc vero tantum, quod informatur colore vel albedine ; habet tarnen
et illud imposilionem ad hominem et hoc ad corpus, de quibus enunliantur.
83) Ebend.: Hi vero, qui omnem vocum impositionem in signiftcalioncm deducunl,
auctorilatem protendunt , ut ea quoque significari dicant a voce, quibuscunque
ipsa esl imposita, ut ipsum quoque hominem ab animali vel Socratem ab hominc
vel subiectum corpus ab albo; nee solum ex arte, verum etiam ex auctoritate grammaticae
id conanlur ostendere ; cum enim tradal grammalica, omne nomen substantiam
cum qualitate significari: , album quoque, quod subiectam nominal substantiam
et qualilalem determinat circa eam, ulrumque dicitur signiftcare (diese Ansicht also
sollte nach Cousin dem Realisten Wilhelm v. Champeaux angehören!).
84) Pseudo-Abacl. d. intell. a. a. 0. p. 472.: Sunt itaque intellectus coniunctarum
et divisarum rerum diclionum tantum, coniungenles vero et dividentes intellectus
orationum tantum sunl ; HU quippe simplices sunt, isti compositi. (So des Ver
fassers Ansicht.) Sunt plerique fortassis (nemlich Nominalisten), qui intellectus
simplices nullas omnino parles habere concedant , neque sctycet per successionem
neque simul (d. h. ungleichzeitige oder successive Theile hat überhaupt nur das
Urtheil, nie aber das* einzelne Wort); qui enim, inquiunt, plura simul inlelligit,
una simplici aclione omnia simul atlendit.
85) D. gen. et spee. a. a. 0. p. 522. : Nunc illam sentcntiam, quae voces solas
XIV. Die Lehre von maneries. Platonismus. Bernhard v. Chartres. . 125
„maneries" seihst ist gleichfalls weder so monströs noch so selten, als
Johannes in seiner obigen (Anm. 69) Angabe meint, denn es begegnet
uns nicht bloss in allgemeiner Bedeutung bei Bernhard von Clairvaux 86),
sondern sogar in speciell logischem Sinne bei einem anderen Autor aus
dem Anfange des 13. Jahrhundertes, nemlich bei dem Kanonislen Huguccio
(gest. 1212), welcher in seiner lexicalischen Schrift „species"
als „rerum maneries" defmirt 8~). Und sowie dieses Wort (das fran
zösische „mamere") nach seiner richtigen Ableitung auf die Bedeutung
„Handhabung" oder „Behandlungsweise" hinausläuft88), so musste es in
logischer Anwendung zunächst die subjective Aul'fassungsweise bezeich
nen und hiemit der nominalistischen Anschauung oder jenem „colligere"
(Anm. 68) näher stehen; hingegen erst, wenn „maneries" von der
Bedeutung „Art und Weise" allmäli» zu der Bezeichnung einer „Sorte"
hinübergewendet war, konnte es in logischem Sinne objectiv so ge
nommen werden, dass die sta(us-Frage (Anm. 65) hereinspielen mochte,
obwohl auch noch bei „Sorte" der Gedanke an das „Sorliren" (d. h.
colligere) nahe genug läge.
Die einseitigen Gegner der einseitigen Nominalisten waren jeden
falls die eigentlichen Platoniker, unter welchen uns zunächst als ein
Hauptrepräsentant Bernhard von Chartres (bis gegen 1 1 60 lebend)
begegnet. Während derselbe ebenso sehr eine höchst ausgedehnte lit
terarische Keimtniss als eine entschiedene Lehrgabe besass 89), war er
kein Freund der Neuerungen, sondern wies auf die Alten hin, auf
deren Schultern allein die neuere Zeit stehe, so dass dieselbe nicht sich
genera et species universales el particularcs pracdicatas el subiectas asserit et non
res , insistamus (p. 523.) Boelhius in commentario super Categorias (p. 114.)
dieit ,,quoniam rerum decem genera sunt prima, necesse fuil decem quoque esse
simplices voces , quae de simplicibus rebus dicerenlur" ; hi tarnen exponunl: „ge
nera, id est manerias". Quasdam autem res universales alt Aristoteles in Periermenias
(b. Soelh. p. 233.) „rerum aliae sunl universales, alias sunt singulares" ;
A« tarnen exponunt: „rerum, id est vocum" Bis aulem tarn apertis auctoritatibus
rationabiliter obviarc non valentes aul dicunl auctoritalcs menliri aut exponere
laborantes , quia excoriarc ncsciunt, pellcm incidunt.
86) Epist. 402. (Opp. ed. Marione., Venel. 1765. /, p. 156.): Mancriei, locutionis
pro sigillo sil, quia ad manum non erat.
87) Huguccio, der Verfasser einer Summa Dccretorum nnd anderer kanonislischer
Schriften (Näheres über ihn s. b. Sarti, d. dar. archigymn. Bonon. profess.
I, p. 296 ff. u. b. Du Gange, Glossar. Praefatio §. XL VI.) hatte ein Vocabularium
(fiter derivationum) geschrieben , welches theilweise aus dem oben erwähnten Papias
(vor. Abschn., Anm. 286 ff.) geschöpft war und mehrfach handschriftlich vor
handen ist. Aus demselben theilt Du Gange s. v. Maneries folgende Worte mit:
Species dicilur rerum maneries, semndum quod dicilur „herba huius speciei, id est
maneriei, crescil in horto meo".
88) S. Diez, Elymol. Würterb. d. roman. Sprachen p. 216. Ein völlig ver
schiedenes Wort ist maneria, welches von maneo abstammt und verwandt mit mansio
„Aufenlbalt" bedeutet (s. Du Gange s. v. Maneria).
89) Joh. Sarcsb. Metal. I, 24, p. 57 f.: Bernardus Carnotensis, exundatissimus
modernis temporibus fons litterarum in Gallia , in auclorum leclione , quia simplex
esset et ad imaginem regulae posilum, oslendebat; figuras grammalicae, colores rhetoricos
, cavillaliones sophismatum , et qua parle sui proposilae lectionis articulus
respiciebat ad alias disciplinas, proponebal in medio; ita tarnen ut non in singulis
universa doceret, sed pro capacitate audientium dispensaret eis in tempore doctrinae
mensuram.
126 XIV. Platonismus. Bernhard v. Chartres.
selbst eitel überheben dürfe90). Der antike Kern aber, für welchen
er schwärmt, ist ausschliesslich der platonische, und da er die Realität
der Universalien auf Plato's Auffassung hin betheuerte91)) mochte er
wohl vergeblich sich bemühen, Solches mit der aristotelischen Ansicht
zu vereinbaren, s. ob. Am«. 66 u. vgl. unten Am«. 143. Ja es fällt
kaum mehr der Geschichte der Logik anheim, zu berichten, dass Bern
hard bei seiner idealistischen Hypostasirung des Seins auch die Singu
larität der Individuen (d. h. natürlich nicht die singulären Individuen
selbst) in der intelligiblen Welt vorgezeichnel erblickt und zu dem mysti
schen Begriffe eines Kreislaufes der Gattungen und Individuen gelangt,
in welchem nur die Namen der Evolutionen oder Involutionen das Wech
selnde seien92). Das Widerspruchsvolle aber, dass diese idealistischen
Verächter der begrifflichen Function des menschlichen Wortes dennoch
auf die übliche Schul-Logik eingiengen, zeigt sich auch bei Bernhard,
von welchem uns in vereinzelter Weise (so dass wir auf eine ähnliche
Bearbeitung der gesammten Logik schliessen dürfen) eine Erörterung
über die Denominativa (s. Abschn. IX, Am«. 44, Abschn. XII, Am». 46
u. 174) überliefert ist. Er führte nemlich auch bei den Adjectivis mit
einem ergötzlichen Gleichnisse den platonischen Realismus durch, indem
ihm das Entsprechende abstracte Substantivum (z. B. albedo) die reine
platonische Idee repräsentirt, hingegen das Verhum (ullti'l) den Beginn
der Vermischung mit dem Accidenlellen bezeichnet, zuletzt aber das
Adjectivum (album) als der Ausdrück der heillosen Vermengung der
Idee mit der concreten Wirklichkeit gilt93). Hiernach dürfen wir es
90) Ebend. III, 4, p. 131.: Dicebal Bernardus Carnolensis , nos esse quasi
nanos giganlium Immcris insidentes , ul possimus plura eis et remoliora videre , non
utique proprii visus acumine aut eminenlia corporis, sed quia in altum subteliimur
et extollimur magnitudine giguntea.
91) Ebend. II, 17, p. 91 'f.: Quoniam universalia corruptioni non subiacent
nee iiiulibiis alterantur, quibus moventur singularia , proprie et vere dicuntur
esse universalia, siquidem res singulae verbi substantivi nuncupalione creduntur indignae,
quutn nequaquam stent, sed fugiant, nee expeclent appellationem
Herum species transeuntibus individuis permanent eaedem Hae autem ideae, id
est exemplares formae , rerttm primaevae omnium rationes snnt, quae ncc diminutionem
suscipiunl nee augmentum, stabiles et perpeluae, u. s. f., — kurz an Stelle
einer verständigen Auffassung eines Erkcnntnissprincipes fmden wir nur beschau
liche Tiraden.
92) Aus dem Megacosmus Bernhard's theill Cousin, Ouvr. inid. d'Abel. p.
627 ff. Einiges mit. Dort lesen wir z.B. p. 628. : Noys summt et exsuperanlissimi
Dei est inlellectus et ex eius divinilate nata nalura, in qua vitae vivenlis imagines,
notiones aeternae, nmndus intelligibilis, renan cognitio praeftnila lllic in genere,
in specie, in individuali singularitate conscripta, quidquid mundus , quidquid parluriunt
elemenla u. s. w. p. 629.: Sie igitur providenlia de generibus ad species,
de speciebus ad individua, de individuis ad sua rursus principia repetüis anfractibus
rerum originem retorquebal Usia aamque primaria foecunda pluralilatis simplicitas
p. 631.: Solis successionum nominibus varialur, quod ab aevo nee contimiatione
nee essenlia separalur. Die Logik ist bei solchem Schwulst wohl zu
Ende, oder halte vielmehr nie angefangen.
93) loh. Saresb. Melal. III, 2, p. 120.: Ex opinione plurium idem principaliler
signiftcant denominativa et ea, a quibus denominanlur. Sed consif/niftcatione diversa
aiebat Bernardus Carnotensis, quia ,, albedo" signiftcut virginem incurruptam, „albet"
eandem inlroeunlem thalamum aut cubantem in loro , „album" vero eandem, sed
cormptam. Hoc quidem, quoniam „albedo" ex assertione eius simpliciler et sine
XIV. Platonismus. Wilhelm v. Conches. 127
schwerlich bedauern, dass uns nicht mehr Detail über die logischen
Untersuchungen desselben kund geworden ist.
Gleichfalls an Plato schloss sich an Wilhelm von Conches
(gest. um 1160), eine der schwierigsten Persönlichkeiten in Bezug auf
Literaturgeschichte der mittelalterlichen Philosophie 94). Doch jener
mit patristischer Philosophie verüochtene Platouisuius, welchen derselbe
in Cosmographie, Psychologie und Physik entwickelt, berührt uns hier
nicht, sondern wir beschränken uns auf das Wenige, was betreffs der
eigentlichen logischen Fragen zu erwähnen ist. Indem Wilhelm in der
Erkenntnisslehre sich auf den platonischen Standpunkt eines aufwärts
schreitenden Idealismus stellt '•'•'), und auch ausdrücklich ausspricht, dass
er unter den heidnischen Philosophen dem Plalo den Vorzug gebe 96),
unterscheidet er wohl eine vierfache Betrachtungsweise aller Dinge,
nemlich eine dialektische, sophistische, rhetorische, philosophische9'),
tritt aber betreffs der ersteren beiden (bei beiden letzteren ist es ihm
ohriediess selbstverständlich) entschieden auf die Seite der Realisten, in
dem er Diejenigen bekämpft, welche alles Reale ausschliessen oder zu
letzt nicht einmal mehr die Namen der Dinge, sondern überhaupt nur
etliche Worte (d. h. nemlich wohl die qyinque voces) zulassen wollomni
participalione subiecti ipsam significal qualilatem ; ,,albft" aulem candem
principaliter , etsi participationem penonae admiltat, si enim illud excutias, quod
verbum hoc pro substantia signi/icat, qualilas albedinis occurret, srd in accidmlibus
verbi persouam reperies; ,,album" vero e ändern significal qualüalem , sed infusam
commixtamque subslantiae et iam quodammodo magis corruptam Mulla quoque
proferebat undique conquisila, quibus persuadcre nilebatur, res inlerdum pure, interdum
adiacenler praedicari, et ad hoc denominutivorum scienliam perutilem asserebat.
94) S. Oudin, d. scripl. ecel. II, p. 1228 ff. und Brucker, Bist. crit. phil. III,
p. 774., welch letzterer zuerst es bemerkte, dass die „Dragmaticon" betitelte Schrift
des Wilhelm von Conches sieb gedruckt finde als Werk eines Guilclmus Aneponymus
iu einer von Grataroli besorgten Ausgabe. Und da nun die ,,Magna de naturis
philosophia" Wilhelm's, ,von welcher wohl Gonr. Gesncr (Epit. Biblioth. ed. Tigur.
1583, fol. 301.) einen Incunalicl-Druck sah, aber Oudin nicht einmal mehr Hand
schriften auffinden konnte, völlig verloren zu sein scheint, und auch von der „Phi
losophia minor" Wilhelm's offenbar nur der Anfang unter dem Titel ITt^l SiSd-
Zetov in den Werken des Beda Venerabilis (ed. Colon. 1688. II, p. 206 ff.) gedreckt
ist, darf ich hier wohl gelegentlich berichten, dass von jenem Draymaticon die
Münchner Universitäts-Bibliothek ein Exemplar besitzt (Dialogus de subslantiis physicis
confectus a Wilhelme Aneponymo philosopho . . . Industria Guüielmi Grataroli.
Argenlor. 1567. 8.), und dass aus diesem seltenen Buche die Kenntniss der Phi
losophie Wilhelm's noch am vollständigsten geschöpft werden könne. Ausserdem
hat Cousin, Onvr. ine'd. d'Abe'l. p. 669 ff. höchst schätzenswerthe Bruchstücke ver
öffentlicht.
95) S. die bei Cousin a. a. 0. mitgetheilten Bruchstücke, bes. p. 673 f.
96) In genannter Ausgabe des Gratarolus p. 13.: 5t genlilis adducenda est
opinio , malo Platonis quam altcrius inducalur; plus namque cum nostra fide concordat.
97) Ebend. p. 4.: De eodem namque dialeclice, sophistiee, rhelorice, vel philosophice
disserere possumus. Considerare namque de aliquo , an sit singulare an
universale, est dialeclicum; probare, ipsum esse quod non est vel non esse quod
est, sophisticum est; probare, ipsum esse dignum pracmio vel poena, rheloricum;
sed de natura ipsiusque moribus et officiis disserere, est philosophicum. Dialeclicus
trgo, sophisla, orator, philosophus, de eadem re diversa considerantes et intendentes
dispulare possunt.
128 XIV. Realismus. Wilhelm v. Champeaux.
ten 98). Wohl aber gesteht er wenigstens, in ähnlicher Weise wie
Scolus Erigena, sich selbst auf Boethius berufend, dem menschlichen
Geiste die Function zu, die concret existirenden Dinge mit entsprechen
den Namen zu belegen"), und sowie er einmal gelegentlich auf die
verschiedenen Bedeutungen des Wortes „Substanz" eingeht100), so ver
trug es sich mit seinem Realismus sehr wohl, dass er zugleich ein
hervorragender Grammatiker war101).
Wenn Bernhard von Chartres den platonischen Realismus haupt
sächlich in idealistischen Belheuerungen oder sonstigen erbaulichen Wen
dungen kundgab, so war es jedenfalls schwieriger und verdienstlicher,
einmal das Yerhältniss ins Auge zu fassen , in welchem man sich die
Universalien als exislirende Dinge zu den einzelnen Individuen denken
solle; und in diesem Versuche liegt die Bedeutung des Wilhelm von
Champeaux (gest. 1121), wenn auch der logische Gesichtspunkt bei
dem Realismus desselben noch hinler den onlologischen zurücktritt.
Doch muss von vorneherein bemerkt werden, dass wir über die An
sichten des Wilhelm von Champeaux bei Weitem nicht so ausführlich
unterrichtet sind, als Cousin und Andere meinten; denn wir dürfen in
dergleichen Dingen durchaus nicht weiter gehen, als die uns zugäng
lichen völlig unzweideutigen Nachrichten reichen lü2). Schriftstellerische
• 98) Ebend. p. 5.: Quod intelligentes quidam res omnes a dialeclica et sophistica
disputalione exterminaverunt , nomina tarnen earum receperunl, eaque sola esse
universalia vcl singularia praedicaverunt ; deinde supenenit stullior aetas , quae et
res et earum nomina exclusit atque omnium disputationem ad qualuor fere nomina
reduxit; utraque tarnen secla, quia non erat ex deo-, per se defecit. Jene quatuor
nomina können kaum etwas Anderes sein, als die quinque voces, vielleicht mit Ausschluss
des proprium; im Gegensatze gegen eine solche Beschränkung der Anzahl
werden wir hinwiederum selbst sex voces treffen, s. Anm. 278.
99) Ebend. p. 29.: Q'ti hoc nomen „corpus" imposuil constilulo ex qualuor
elemenlis, quod oculis occunebal, illud imposuü; unde ait Boelhius (p. 112.) „rebus
existenlibus et in naturae constitulione manenlibus humanus animus vocabula imposuit".
100) Ebend. p. 8.: Nullus qui scripta auctorum riete inlelligit, hoc nomen
„substantia" mullarum esse signißcalionum dubitat aliquando subslantia est
res per se existens ; aliquando tarn isla quam yenera et species istorum substantia
dicunlur, unde ab Aristolele in primam et secundam dividilur; aliquando .... actus
subsistendi, aliquando possessio.
101) Joli. Saresb. Melal. ], 5, p. 21.
102) Cousin hat nemlich bei Herausgabe der Dialektik Ahälard's und des
Fragmentes D. gen. et spec. jene sämmtlichen in der Handschrift vorkommenden
Abkürzungen ,,magister V.", ,,magister noster ¥.", ebensosehr auf Wilhelm von
Champeaux bezogen wie jene Stellen, in welchen „Willelmus" sich findet; ja er
that sogar das Nemliche, wo einmal (d. gen. et spec. p. 509.) mit den Worten
„Vel alilcr secundum magistrum G." eine Entgegensetzung gegen den vorher (p.
507.) genannten magisler Willelmus deutlich genug bezeichnet ist. Und sowie es
nun geradezu leichtfertig ist, unter jenem magister G. gleichfalls unseren Wilhelm
zu verstehen, so haben wir auch keinen Anhaltspunkt hiefür bei der Abkürzung
„K.", zumal da dieser Buchstabe selbst dagegen spricht. Da Ahalard, ehe er zu
Wilhelm v. Champ. kam, bei allen hervorragenden Dialektikern Belehrung suchte
(Epist. l, c. l, p. 4. Ambocs.: proinde diversas diiputando perambulans provincias,
ubicunque huius artis vigere Studium audieram, Peripateticorum aemulalor factus
sum), so kann er eine Menge Männer, deren Namen wir nicht kennen, als „magi
ster noster" bezeichnen, und wir müssen uns vor voreiligen Schlüssen auf be
stimmte Personen hüten, um nicht auf Abwege (s. z. B. oben Anm. 83.) zu gera
XIV. Wilhelm v. Champeaux. 129
Produkte Wilhelm's sind uns nicht zur Hand103), und wir sind haupt
sächlich auf eine Angabe Abälard's beschränkt, welcher sich rühmt,
Wilhelm's Ansicht über die Universalien derartig mit Glück bekämpft
zu haben, dass derselbe sie bedeutend modificirte, hiedurch aber an
Geltung und Frequenz seines Unterrichtes so sehr verlor, dass ein förm
licher Uebergang Aller zu Abälard's Ansicht stattgefunden habe 104).
Wilhelm nemlich habe zunächst behauptet, dass die Universalien als
einheitlich gleiche Dinge in unzerstückler Ganzheit auf wesentliche Weise
(essenlialiler) den sämmllichen unter sie fallenden Individuen zugleich
einwohnen, und hiemit zwischen den Individuen kein Wesens-Unterschied
bestehe, sondern dieselben nur in der Mannigfaltigkeit zufälliger Be
stimmungen beruhen. Und sowie sich diess durch die oben (Anm. 72)
angeführte Stelle aus D. gen. et spec. wörtlich bestätigt, so erhalten
wir ebendort eine nähere Erklärung, welche uns sogar auf eine ganz
vereinzelte Stelle des Boethius hinüberweisl und hiedurch einen richtigen
Einblick gewährt, wie das Gelriebe der damaligen Parlei-Controversen
wohl mehr durch zerbröckelte Schulweisheit als durch innere principielle
Auffassungen gelragen war. Wilhelm behauptete nemlich, es seien
unier jenem zufällig Hinzukommenden (adveniens) die individuellen For
men zu verstehen, welche den im Gattungsbegriffe bestehenden Stoff
derartig ausprägen (maleriam informanl) , dass dabei das allgemeine
Wesen nach seinem ganzen Gehalte (secundum lolam suam quanlitalem)
eine Individualisirung erfahre, was dann in dieser Weise betreffs der
then. Den Folgerungen Cousin's schlössen sich aber Rousselot, Haureau und auch
H. Ritter an.
103) Haureau, De la phil. scol. \, p. 233. berichtet, dass Ravaisson in der
Bibliothek zu Troyes 42 Fragmente Wilhelm's gefunden habe; die dereinstige Ver
öffentlichung derselben würde gewiss manchen Aufschluss geben. Dass Wilhelm v.
Champ. ,,Glossulae super Periermenias" geschrieben habe, darf nach dem so eben
(vor. Anm.) Gesagten nicht gefolgert werden, da die betreffende Stelle bei Abaelard
Dialect. p. 225. eine so betitelte Schrift nur einem „magisler noster V."
zuschreibt.
104) Abael. Epist. l, c. 2, p. 4.: Perveni tandem Parisios , ubi iam maxime
disciplina haec fiorere consueverat, ad GuiUelmum scilicet Campellensem praeceptorem
mtum in hoc lunc magisterio re et fama praecipuum, cum quo aliquanlulum moratus
primo ei acceptus postmodum gravissimus exstili , cum nonnullas, scilicet eius senlentias
refeilere conarer et ratiocinari contra cum saepius aggrederer et nonnunquam
superior in disputando i'idcrcr (p. 5.) Turn et/o ad eum reversus , ut ab ipso
rheloricam audirem , inter cetera disputaliontim nostrarum conamina antiquam eius
Ae universalibus scntentiam patentissinüs argumcntorum dispulationibus ipsum commutare
, imo destruere compuli. Eral autem in ea sentcntia de cummunilate universalium
, ut eandem essentialiter fern lolam simul singulis suis inesse adstruerel individuis
, quorum quidem nulla esset in essentia diversilas, sed sola multitudine
uccidentium varietas. Sie autem islam suam correxit sentenliam, ut deinceps rem
eandem non essentialiter, sed individualiter (die Variante „indifferenter", welche
Ambois am Rande gibt, fand sich auch in mehreren Handschriften, s. Haureau a.
a. 0. l, p. 236.) dicerel. El — cum hanc ille correxissel , imo coaclus dimisisset
sententiam, in lantam lectio eius devoluta est negligentiam, ut iam ad dialeclicae
Indianern vix admillerelur, quasi in hac scilicet de universalibus sentcntia tota hiiius
arlis consislerel summa (vgl. Anm. 60.). Hinc tantum roboris et aiictoritatis nostra
suscepil disciplina, ut ii qui antea reliementius magistro illi nostro adliaerebanl et
maxime nostram infestabant doctrinam, ad nostras convolarent scholas.
PRAHTL, Gesch. II. 9
130 XIV. Wilhelm v. Champeaux.
ganzen Stufenleiter von Gattung durch Art zum Individuum herab gelte 105).
Auch führte er, wie anderwärts Abälard berichtet, von den zehn Kate
gorien beginnend diesen Process einer Information bis zu den Individuen
hinab durch, und konnte dabei, da jene unterscheidenden individuelleren
Formen selbst wieder auf Universalien zurückweisen, die Aussagbarkeit
der Universalien dadurch erklären, dass dieselben den Individuen ent
weder wesentlich oder durch Beifügung., (adiacenler) zukommen lü8).
Eben hierin aber liegt entschieden eine gewisse Gröblichkeit dieses Rea
lismus , welche unschwer in ihrer äussersten Consequenz aufgedeckt
werden konnte, da ja dann in jedem Individuum nicht bioss die ganze
Reihe aller ihm entsprechenden Art- und Gattung« -Begriffe, sondern
auch in Anbetracht der accidentellen Unterschiede abermals eine mehr
fache Reihe allgemeinerer Begriffe ungelheilt reell vorhanden sein mfisste,
so dass zuletzt jedes einzelne Ding ein realer Inbegriff aller Univer
salien wäre und ein cruder Pantheismus als Folge sich ergäbe; sowie
wieder andrerseits, wenn mehr jene Zufälligkeit der individualisirenden
Bestimmungen betont würde, schliesslich ja sämmtliche Substanzen ein
ander gleich wären, da jenes Zufällige ihr substantielles Wesen nicht
berühre, so dass auch von dieser Seite her der Vorwurf des Pantheis
mus schwer vermieden werden konnte (s. unten Anm. 283). Vielleicht
mochte Abälard wirklich derartigen Einwendungen seinen Sieg über
Wilhelm verdanken, und wenn Letzlerer in Folge liicvon zu der Ansicht
umsprang, dass die Universalien in individueller Weise (individuulilur),
also bereits nicht mehr in total einheitlicher Weise, den Individuen ein
wohnen107), so hatte er durch dieses Umschlagen zum Gegentheile
105) D. gen. el spec. p. 513 f.: Homo quaedam species est, res una essentialiler,
cui adveniunt formac quaedam el efftciunt Socralem; illam eandem essenliatiler
eodem modo informant formae facientes Flalonem el cetera individua hominis,
nee aliquid esl in Socrate praeler Mas formas informanles illam materiam ad faciendum
Socralem, quin illud idem eodem lempore in Platane Information sit formis
Plalonis. El hoc inlelligunl de singulis speciebus ad Individua et de generibus ad
species .... 1,'lii enim Socrates est, et homo vniversalis ibi esl, secundum lotam suam
quantitalem informatus Socratitate (betreffs des Begriffes Socratüas s. die entspre
chende Auffassung des Porphyrius und Boelbius Abschn. XI, Anm. 43.) ; quidquid
enim res universalis suscipil, tola sua quanlilule relinel quidquid suscipit, Iota
sui quantitate suscipil. Gerade auch dieses aber ist aus Boethius geschöpft, wel
cher (ad Porph. p. 87.) gelegentlich der Differenz sagt: fieque enim ul in corpore
solet esse alia pars alba alia nigra, ita ßeri in genere polest; genus enim per se
consideralum partes non habet, nisi ad species referalur; quidquid igilur habet,
non partibus , sed tola sui magnitudine retinebit. So reducirt sich bezüglich der
Geschichte der fnittelalterlichen Philosophie mancher Schein auf seinen wahren
Gehalt; vgl. Anm. 129, 134, 170, 286.
106) Glossul. sup. Porph. hei Re'musal (s. Anm. 13. u. 73.) p. 97.: II y a
naturellemcnt dix choses ge'ncrales ou communes, ce sonl les dix cate'gories; de ces
universaux primilifs pruviennent les choses giluerales qui sotit essenliellement dans
les choses individuelles, gräcc a des formes diffdrenles. Ainsi l'animal, qui de
nature est substance , csl, comme subslance animee, sensible dans Socrale ou dam
Brunel, tout entier dans l'un comme dans l'aulre, sums autre diffe'rence que celle
des formes. A ce campte l'universel seraü atlribuable a plusieurs , en sens qu'une
«lerne chose serail en plusieurs , diversifife uniquement par l'opposition des formes,
et convicndrail ainsi aux individus soil essenliellement, soit adjectii'ement („essentialiter
vel adiacenter"),
107) Auch ich halte demnach, wenn auch aus anderen Gründen als Haur£au
XIV. Wilhelm v. Champeaux. Die Schwierigkeiten des Realismus. 131
seiner früheren Ansicht sich eben einfach blamirt, und es wäre erklär
lich, dass seine Schüler in 'Masse von ihm abfielen, wenn wir auch
nicht vergessen wollen, dass derartige Berichte Abälard's, welche theilweise
ihn selbst betreffen, sehr leicht mit einer Dosis Eitelkeit versetzt
sein können. Jedenfalls aber stimmt es mit jenem Realismus und mit
jener Einschachtlung der Gallungs*- und Art-Begriffe und der accidenlellen
Formen vollständig überein . wenn Wilhelm (offenbar bei Erörte
rungen über die Einteilung, s. unten Anm. 122) behauptete, in dem
Namen der Differenz, welcher nicht adjeclivisch, sondern substantivisch
zu nehmen sei, liege schon der Artbegrilf derartig, dass dabei Stoff
(d. h. Gattung) und Form (d. h. Differenz) zugleich gedacht werden
und z. B. „Beseelt" genau dasselbe wie „beseelter Körper" bedeute los).
Auch ist uns überliefert, dass derselbe bezüglich der Theilung des Üontinuirlicben
(s. unten Anm. 126) an dem Begriffe eines letzten Uniheil
baren, z. B. des Punktes, festhielt109), sowie endlich die vereinzelte
Notiz, dass er betreffs der Topik das Wesen der invenlio in die Auf
findung eines Alittelbegriffes verlegte 110).
Wahrscheinlich gaben gerade die Schwierigkeiten , an welchen die
Ansicht des Wilhelm v. Champeaux leidet, die Veranlassung dazu, dass
die Realisten, während sie im Allgemeinen den Standpunkt desselben
oder Ritter, in obiger Stelle (Anm. 104.) die Lesart , ,individualiter" für die rich
tige, weil sie eben auf ein haltloses Umspringen Wilhelm's hinweist, wohingegen
die sog. Indifferenz-Ansicht, welche in der Variante „indifferenter" läge, schon
maoclft nicht unbedeutende Anhänger zählte, und die Berichterstatter über dieselbe
es sicher nicht verschwiegen hätten, wenn gerade Wilhelm v. Champ. selbst sich
später zu ihr bekannt hätte.
108) Ab'ael. Dialect. b. Cousin p. 454 f.: luvat .... perquirere, cum dicitur
divisio generis fteri per differentias , \atque in loco specierum diflerenliac poni dieuntur,
utrum per diflerentiarum nomina ipsas formas specierum accipiamus , an
potius ipsa vocabuda di/ferentiarum intelligamus , quae a quibusdam sumi dicunlur in
offtcio specialium nominum ac pro speciebus designandis usurpari, ut tantundem
,,rationaie" raletil quanlum „rationale animal" et tantundem ,,animatum" quantum
,, Ultimatum Corpus", ut non solum formae significatio, verum etiam materiae teneatur
in nominibus di/ferenliarum. Quae quidem sententia W. magistro noslro praevalere
visa est; volebal enim, memini, tantam abusionem in vocibus fieri, ut , cum nomen
diflerentiae in divisione generis pro specie poneretur, non sumptum esset a differeiitia,
sed substanlivum speciei nomen poneretur; alioquin subiecli in accidentiä divisio dici
polest secundum ipsius sententiam, qui differenlias generi per accidens inesse volebat;
per nomen ilaque di/ferentiae speciem ipsam volebat accipere,
109) D. gen. et spec. p. 507.: Quod''si conlinuum dicamus, quidam inde sie
argumentantur : Si domus est, paries est, et si paries est, dimidius paries est, et
si dimidius paries est, et dimidium dimidii est, et ila usque ad ultimum lapülum ;
quare si haec domus esl, et tiltimus lapillus est; si ergo nullus lapillus est, etiam
nulla domus est Solebat autem opponere magister Willelmus huic argumentationi
sie : Licet prima consequentia (i. e. si haec domus est , hie paries est) vera
til, non tarnen illa quae sequitur (i. e. si hie paries est, hie dimidius paries est)
vera eril; non enim verum est complexionaliter , quod, si quaelibet pars sequitur
ad tolum suum, idcirco ad positionem eiusdem partis sequatur pars illius; sequitur
enim bipunctalem lineam pars eius , i. e. punctum, non tarnen ad punctum pars eius
sequitur, quia nullum habet.
110) loh. Saresb. Metal. III, 9, p. 145.: Versatur in his (sc. in Topicis) iuventionis
materia, quam hilaris memoriae Willelmus de Campellis de/inivit, etsi
non perfecte, esse scientiam reperiendi medium terminum et inde eliciendi argumentum.
9*
132 XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus.
billigen mochten, durch Begründangs- oder Verbesserungs- Versuche selbst
wieder unter sich in eine Menge von Parteien zerfielen, deren einzelne
Unterschiede — von den Namen ihrer Vertreter ganz zu geschweigen
— wir in ihrer Durchführung nicht mehr näher verfolgen können.
Ausser theologischen Bedenken, welche sich erhoben, mochte man die
Universalien als Erzeugnisse einer Schöpfung oder als ewige Wesen
nehmen, zumal da Einige wirklich alle einzelnen Eigenschaften Gottes
auf solche Weise als „Dinge" bezeichneten ln), war es in onlologischer
Beziehung wohl jene gegenseitige Einschaehtlung aller Universalien,
welche man vermeiden wollte. Einige daher ergriffen die allerdings
plumpe Aushülfe, dass sie obiges (Anm. 105) „Hinzukommen" der artmachendeii
Unterschiede als ein nur vorübergehendes nahmen, um hiedurch
die Selbstständigkeit der Gattung zu wahren 112). Andere hin
gegen zogen eine aristotelische Auffassung hei, indem sie die Galtung
als den in seinem Wesen gleichbleibenden Stoff betrachteten, welcher
in den Arten verschieden geformt werde, gerielhen aber eben wegen
jener Wesensgleichheit in Conflict mit der Lehre von den Gegensätzen 113).
Und sowie bezüglich des Processes einer solchen Formgebung wieder
die Frage auftauchte, ob der artmacheude Unterschied nur das Mittel
der Artbildung sei, oder hingegen zugleich mit der Galtung in das
Wesen der Species selbst übergehe, und Einige (offenbar näher an
Wilhelm v. Champ. stehend) sich auch wirklich für Letzteres entschie-
111) D. gen. el spec. p. 517.: Genera et species aut crealur sunl aul cftatura ;
si creatura sunt, ante fuit suus. creator quam ipsa crealura; ita ante fuil deus
quam iuslitia et fortiludo .... .itaque ante fuit deus quam esset iustus vel fortis.
Sunt autem qui ... Mam divisionem .... sie faciendam esse dicunl: quidquid est, aut
genitum est aut ingenitum; universalia autem ingenila dicuntur et ideo coaeterna, et
sie secundum eos qui hoc dicunt, ... non deus aliquorum factor est. Aliael. Introd.
ad theol. II, p. 1067. (Amboes.): Tertius vero praediclorum (sc. magislrorum divinae
paginae, nemlich eia muyisler in pago Andegavensi) non solum personarum proprietates
res diver sas a deo constituit , vertan eliam potentiam dci , iuslitiam , misericoritiam
. iram et cetera huiusmodi, quae iuxta humani scrmonis consueludinem in deo
significantur , res quasdam et qualitales ab ipso diversas, sicul et in nobis, concedit,
ut quot ferc vocabula de deo dicuntur, toi in deo res diversas constiluat.
112) D. gen. et sp. p. 515 f.: /Wurf ergo maioris simplicilatis , quod dicunl
quidam, quia di/ferentiae quidem udveniunl generi, sed non fundantur, linde et per
se dicitur , quia sibi ipsi facil subieclum.
113) Abael. Dialect. p. 399 f.: Nota autem, id quod diximus, contraria maxime
esse adversd, eorurn abesse sententiae, qui eandem in essentia matcriam generis in
Omnibus proponunl speciebus ipsis, ut eadem prorsus sit in essentia materia hominis
et asini, quae est animal, sed diversae quidem hie et ibi Mius formae. Es bezieht
sich auch jene oben (Aura. 1Ü5.) augeführle Stelle des Boethius auf die Frage
über die Gegensätze. Ja es scheint diese schwierige Controverse sicli in irgend
einen Schulwitz vom „grossen Esel" zugespitzt zu haben, denn kaum anders werden
wir die Worte D. gen. et spec. p. 536.: duo npposita esse in eodem , quod scilicet
inconveniens e/fugere non possunI, qui grandis asini sentenliam tenenl verstehen
können, da die Schreibweise des dortigen Verfassers nicht znlässt, ,, grandis asinus"
etwa als beschimpfende Bezeichnung des Wilhelm v. Champeaux zu nehmen; wie
jedoch der Witz furmulirt gewesen sei, können wir nicht einmal errathen. Aehnliches
wohl finden wir bei einer anderen Controverse, s. unten Anm. 352., und
eine wirkliche Formulirung, in welcher jedoch der Begriff „grandis" keine Stelle
findet, s. unten Anm. 434.
XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus. i 33
den114), so trat andererseits für die Gatlungs- und Art-Begriffe auch
dadurch eine Schwierigkeit hervor, dass Gegensätze (wenigstens in ihrem
individualisirten Dasein) an Ein und demselben Subjecle sich finden,
wornach also, wenn z. B. ein Mensch zwar .keusch, aber zugleich geizig
ist, in demselben das Universale des Guten mit jenem des Bösen zu
sammentreffen müsste; Einige nun halfen sich mit einer Distinction
zwischen den höheren Gattungen und den specialisirlen Arten der Gegen
sätze, indem sie wenigstens diese letzteren von der Möglichkeit des
Zusammentreffens ausschlössen, Andere hingegen dehnten sogar auch
auf diese das bedenkliche Zugestündniss aus115). Vielleicht gerade hiedurch
wurden wieder Andere zu dem radicalen Mittel veranlasst, zu
behaupten, dass die ganze Funelion des artmachenden Unterschiedes
überhaupt nur in der Kategorie der Substanz ihre Stelle hahe, bei den
Qualitäten hingegen dasjenige, was man Arten oder Unterarten nenne,
eigentlich sofort als Gestaltung von Individuen zu betrachten sei, denn
z. B. Weiss und Schwarz seien in der gleichen Weise zwei verschie
dene Wesen wie zwei Menschen -Individuen t16). Ja Einige glaubten
selbst bei den Substanzen den Grundsatz, dass nach Wegfall der Gat
tung auch die Art wegfalle (nicht aber umgekehrt), sogleich beschränken
zu müssen , sobald mit dem Wesen der Gattung eine qualitative Aenderung
vor sich gehe, denn es sei z. B. unrichtig zu sagen: „Wenn es
kein Mehl gibt, gibt es kein Brod", da das Mehl vorerst in Teig zu
ändern sei und hiemit auch bei gänzlichem Mehl-Mangel os Brod geben
könne, woferne es nur Teig gehe111).
114) Abael. Dial. p. 477.: Ralionalilas enim et morlalitas advenientes substantiae
animalis eam in speciem creant, quae est homo; nee mm ipsae generis subslanliam
in speciem reddunt, ijisae quoque in essentiam speciei simul transeunt, sed soln
genera vel subiecta specißcantur non quidem mm differentiis sed per differentias
.... Si enim di/ferentiae in speciem Iransferrentur cum genere, sicut quorundam senlentia
tenet , profeclo cogeremur fateri , et di/ferenlias ipsas cum genere aeque
m essenlia speciei convenire , unde et ipsas de stibstanlia rei esse et in porlem materiae
venire contingerel.
115) Ebend. p. 390.: Sunt autem quidam qui contrario genera in eodem esse
non abhorrent, sed contrarias species in eodem tsse impossiliile confitentur. Dicunt
enim quod cum omnia accidentia per individua in subiecta veniant, et ipsa contraria
genera per individua sua subiectis contingunt, ut t'irtus et vitium, quae in hoc
Aoffline per hanc castitatcm et lianc avariliam recipiunlur, quae individua .sunl castilatis
et avaritiae, quae invicem species non sunt contrariae Verum species con
trarias esse in eodem per atiqua xnti individua , illud prohibet, quod nee ipsarum
individua in eodem possunl esse, quorum sunl tota substantia ea quae sunt contraria,
utpote species Sunt autem et qui species contrarias in eodem passe consistere
non denegant.
116) D. gen. et spec. p. 541.: Sunl tarnen qui solum praedicnmenlum substantiae
di/ferentias habere dicunt , ' et cum qualitas dividatur in iliias proximas species,
dicunt illas non diversificari a genere per aliquas diffcrentias , sed sicut illa essentia
hominis quae esl in mc, non est quae illa est in altero, et tarnen dissimili forma
non differunt, eodem modo albedo non est nigredo , nee tarnen aliqua forma suae
essenliae differt ab ea , sed utraque mera est epsentia.
117) Abael. Dialect. p. 485 f.: Deslructo genere speciem perimi necesse est. perempta
vero specie genus rcmanere contingil Quod tarnen quidam in hin delerminant,
in quorum conslitutione maleria sutim' esse non mutat , srd quod habebat
per se , etiam in coniunctione retinet, ut hie paries, qui et in constitulione domus
paries manet , sicut ante fuerat. Farina autem panis maleria dicitur, sed versa in
134 XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus.
Sowie aber diese Controversen, welche meist mit einem Aufwand«
von Stellen aus Boethius geführt wurden, hereits, wie man sieht, an
die Gränze des Unverständigen heranrückten , so hatten sie nach dein
Vorbilde der- üblichen Schul-Logik ihren verwandten Tummelplatz auch
in der Lehre von der Einteilung (s. oben Anm. 75) und der Defini
tion. Alle Realisten kamen zwar darin »herein, dass sie im Anschlüsse
an die Auffassungsweise des Boelhius (Abschn. XII, Anm. 98) oder viel
mehr des Porphyrius (Abschn. XI, Anm. 41 ff. vgl. Abschn. III, Anm.
78 ff.) dem platonischen Verfahren einer fortgesetzten Dichotomie den
Vorzug -gaben 118); aber schon sogleich bei der zur Definition erforder
lichen Eintheilung der Gattung musste die 'Frage wiederkehren, wie es
sich mit den am Gattungsbegriffe unterscheidbaren Wesens-Theilen ver
halte, und während die Einen behaupteten, dieselben seien durch Mi
schung vereinigt, etwa wie auch aus der Mischung von Weiss und
Schwarz eine anderweitige dritte Farbe entstehe119), wiesen Andere
darauf hin, dass ja alle VVesenstheile der Gattung auch einzeln als
Prädicate von den zur Gattung gehörigen Individuen ausgesagt werden
können120); hingegen auch diess wurde von Einigen wieder beslritten,
da jene Wesenstheile nur als allgemeinere Begriffe, d. h. abgesehen von
ihrer Verbindung mit anderen wesentlichen Merkmalen, Prädicate seien,
nenilich als Prädicat werde z. B. vom Menschen nicht die speciell mensch
liche Körperlichkeit, sondern eben die allgemeine Körperlichkeit über
haupt ausgesagt, und ebenso auch die Geistigkeit121). Eine andere mit
Letzterem offenbar verwandte Controverse betraf die Frage, ob hei der
Eintheilung der Gattung der Name des arlmachenden Unterschiedes nur
auf die Species oder zugleich auch auf die zu Grunde liegende Gattung
sich beziehe 122). Auch konnte, je nachdem man die Differenz mehr
von der Galtung trennte (Anm. 112, 114), die Aufgabe der Definition
in die blosse Angabe der Qualitäten verlegt werden und hiedurch unter
den in der Schul-Tradilion (Abschn. XII, Anm. 2, 107 u. 178) aufgepanem
suum mulat esse, cum scilicet farinam esse deserit et in micas convertitur,
unde necquidquam conceditur, ut , si farina non sit , panis desil etc.
118) Ebend. p. 459.: St autem genus semper vel in proximas speties vel »n
proximas di/ferentias divideretur , omnis divisio generis, sicttl Boethio (d. divis. p.
643) placuit, bimembris esset Hoc autem ad eam plulosophicam sentenliam
respicit, quae res ipsas , non tantum voce s , genera et specics esse confitetur.
119i Gilb. Porret, ad ßoeth. d. Trin. (Boelh. Opp. ed. Basil. 1570) p. 1144.:
Putant quidam imperili quod non sit vera dictiu, si quis dicat ,,homo est corpus"
non addens ,,el anima", aut si dicat ,,homo est anima" non addens ,,et
corpus", opinantes, quod, ex quo diversa ul unum componant coniuncta sunt, esse
utriusque adeo sit ex illa coniunclione confusum, ut sicut cum album et nigrum
permiscentur , quod ex illis sit, nee album nee nigrum dicilur , sed cuiusdam alterius
culoris ex illa permixtione provenientis.
120) Ebend. p. 1143.: corporalüas non modo de hominis illa parte, quae
corpus est, verum etiam de homine praedicatur, et rationalitas non modo de hominii
illa parte, quac Spiritus est, sed etiam de homine praedicalur (p. 1144.) quidquid
de parle naluraliter, idem et de composito affirmandum.
121) Ebend. p. 1144.: Eorum aliqui dicere gestiunl, aliam rationalitatem quarr:
illam , quae est humani Spiritus , de homine dici , et simililer scientiam aliam et
aliam corporalitalem quam quae humani corporis est.
122) Die beireffende Stelle ist vollständig oben, Anm. 108., angeführt.
XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus. 135
zählten Arten der Definition die qualitative den Vorzug erhalten 123).
Noch schwieriger aber gestaltete sich nach Obigem (Anm. 112 u. 116)
die Frage, wie es mit der Definition der Qualitäten selbst, d. h. der
adjectivisch ausgedrückten Begriffe, stehe, und es erhob sich hierüber
eine der ausgedehntesten Conlroversen ; denn wenn man auch bezüglich
der Vorfrage, ob bloss das Wort oder dessen begriffliche Bedeutung
zu definiren sei, in realistischem Sinne sich für Letzteres entschieden
hatte, so dass die Eigenschaft als ein Geformtsein durch ein Universale
(z. B. formatum albedine) delinirl würde, so konnte wieder gefragt
werden, ob diess die Definition der Eigenschaft selbst (albedo} oder
des qualificirten Substrates (ulbwn) sei; und hielt man sich dann, da
ersteres zu einer sinnlosen Verdopplung führt, an letzteres, so trat das
Bedenken auf, ob hiemit jedes einzelne derartige Substrat definirt sei,
oder ^twa sämmtliche zusammen, und notwendiger Weise zeigte sich
wieder diess Beides als haltlos, da weder die Dinge selbst, sondern
nur eine Eigenschaft definirt ist, noch auch die Dinge vermöge Einer
Eigenschaft, die sie gemein haben, in ihrem Wesen identisch sind 124).
Sowie aber diese ganze Discussion im Principe noch auf dem nemlichen
niedrigen Standpunkte steht, welchen wir üben (vor. Abschn. Anm.
350 ff.) bei dem Realisten Anseimus trafen, so tragen auch die Streitig
keiten über die zweite Methode des Eintheilens (Abschn. XII, Anm. 96
u. 100), nemlich über die Theilung des Ganzen in seine Bestandtheile,
eine arge Einseitigkeit in sich. Denn wenn die Frage, was ursprüng
licher Theil (pars principalis) sei , in die Alternative hineingetrieben
wurde, dass die Einen jene Theile als ursprüngliche bezeichneten,
welche, während sie das Wesen des Ganzen constituiren, selbst nicht
mehr Theile eines Theiles sind (z. B. beim Menschen Seele und Leih),
die Anderen hingegen jene letzten Bestandteile, durch deren Zerstörung
123) Abael. Dialect. p. 492. : Multi, cum signißcalionem substanliae hui H* nominis
quod est ,,homo" agnoscant, nee qualitates ipsius satis ex ipso percipiant,
tantum propter qualitatum demonstrationem diffinitionem requirunt.
124) Ebend. p. 495.: AI vero in Ins diffinitionibus quae sumptorum (diess bei
Abälard das übliche Wort für Adjectiva , s. unten Anm. 321.) sunt vocabulorum,
magna , memini, quaestio solel esse ab Ais, qui in rebus utiiversalia prima loco
ponunl .... Duplex mim horum nominum quae sumpla sunt signißcalio dicilur, altem
principalis , quae esl de forma , allera vero secundaria , quae esl dt formal» ; sie
enim ,,album" et albedinem, quam circa corpus subiectum determinat, primo loco
signiftcare dicilur, et secundo ipsius subieclum, quod nominal. Cum itaque atbum
hoc modo difßnimus „formatum albedine", quaeri solet , utrum haec rfiffinitio sit
tantum huius vocis , quae est „albunt", an alicuius suae signißcationis. At vero
cum vocem non secundum essentiam suam, sed sianificationem difßniamus , videtur
haec diffinitio rede ac primo loco illius esse. Restat ergo quaerere, sive ülius
significationis sit, quae prima est, i. e. albedinis, sive eins, quae secunda est. quae
est ,, subiectum albedinis". AI vero si haec diffinitio albedinis sit, praedicalur de
ipsa , et de quocunque albedo dicilur, et ipsa Aiffinilio praedicalur; at vero quis
albedinem vel hanc albedinem formari albedine concedat ? Si vero difßnilio supraposita
eius rei, quam „album" nominant, esse dicatur, ... quaerilur , utrum
uniuscuiusque sit per se, quod albedinem suidpiunt, sive omnium simul acceplorum.
Quod si uniuscuiusque sit üla difßnitio, ulique et margaritae; unde de quocunque
illa diffinitio diätur, et margarita praedicatur , quod omnino falsum est. Si vero
omnium simul acceplorum esse concedatur, oporlebit, ut de quocunque difßnitio illa
enuntiatur, omnia simul praedicentur , quod iterum falsum esl.
136 XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus.
das Ganze zerstört wird (z. B. Haupt oder Herz), als die ursprünglichen
betrachteten125), so war in Folge des onlologischen Realismus bei
ersterer Beantwortung dieser ganze Gesichtspunkt der Einlheilung ent
stellt und in das Gebiet der Definition verdreht, bei letzterer aber unbe
dachtsam die subjective Denkfunction des Menschen, welche den Theilbegriff
erst schall't, in den objecliven Bestand umgesetzt, eine Stumpf
heit der Auffassung, von welcher sich bereits der roscellinische Nomi
nalismus (vor. Abschn. , Anm. 321 f.) freigemacht halte. Während die
Einen die Theilung ins Unendliche als eine objectiv materielle verstanden
und hiebei die gestaltende Form unberücksichtigt Hessen oder vielmehr
vernichteten126), warfen sich Andere, wie z. B. ein gewisser Magister
„G.", auf die Wirkung der Form und hielten das quantitative Verhältniss
der Stofftheile für gleichgültig 121), und auf solcher Basis wurde dann
die Controverse geführt, inwieferne ein Mensch bei Zerstörung «eines
Finger-Nagels noch Mensch bleibe oder nicht 128).
125) Ebend. p. 463 f.: Est autem quaestio, quas principales, quas secundarias
partes vocari conveniat ; alii enim secundum constitulionem, alii secundum deslruclionem
has consiileranl. Hi namque eas principales vocant, quae parlium partes non
sunt, sed tarnen tolius, ul in hoc homine animam et Corpus, quüms coniungilur, vel
in hac domo hunc parielem et hoc tectum et hoc fundamentum. Qui vero principalilatem
secundum destructionem considerant, dicunl eas tantum principales esse,
quae substantiam totius destruunl, ul capul, quod abscissum hominem perimil.
126) D. gen. et spec. p. 510.: Quidam adhuc argumentanlur : si haec domus
est, et quaelibet eius disgregala pars est, el Ha hie asser est, cum sit eins disgregata
pars; tt si hie asser est, medielas huius asseris est, deinde dimidium dimidii,
et sie usque ad punclum ; ilaque si haec domus est , et hoc punclum huius asseris
est; quare si hoc punclum non est, nee ista domus esl. Eine zweite Stelle wurde
schon oben, Anm. 109., angeführt. Ferner Abael. Dialect. p. 182.: Talern ralionem
magislri nostri senlentia praclendebat , ul ex punclis lineam conslare convincerelur :
cum, inquit, linea ubique possit incidi atquc separates parlibus in capite uniuscuiusque
puncta appareanl, quae prius eranl coniuncla, oportet per tolam lineam puncta
esse ; quod si puncta de essentia lineae non sint, magis partes lineae continuare
possunl, quam albedo supraposila?
127) D. gen. el spec. p. 509.: Vel aliler secundum magistrum G. (s. Anm. 102.):
Prius videndum esl, quid dicanl voces istae ,,si paries est, et hie dimidius paries" ;
dicitur inde , hie paries non est posilus ex duobus lapidibus vel qualuor et forma,
sed corpus infeclum tali proprietale, quae parielem facial; quotiens ergo in aliquo
subieclo talem formam reperiunt , sive augmentelur quantitas sive diminualur , forma
tarnen, quae prius fuerat, remanet, verbi gratia, si alterum capul serpenlis duo
capila halicntis ampulelur, serpens tarnen, qui prius fuerat, remanet. Abael. Dialect.
p. 181.: Sunt autem quidam, qui .... neque lineam ex punclis neque superficiem
ex lineis aut corpus ex superftciebus conslare cSncedunl JVo» esl ilaque haec
constitulio ad omnem lineam referenda, sed ad maiores, quas sensu quoque ipso
concipimus et per quas honünes mensurare consueverunt.
128) D. gen. et spec. p. 511.: Sie ilaque crescendo novusque crealuras pro
gressive creando, donec ad aliquam Socralis perveniatur particulam, utpole ad ungues,
habebis unam magnam naturam, quae erit pars Socralis et non Socrales, quia in eius
conslitulione non est ungula, quae ungula pars est etiam Socralis cum illa magna
parle. Hac autem ungula deslruela deslruitur pars illa nalurae, cuius ungula pars
esl, quae natura est Socrales, et ila destruitur Socrales; illa autem magna natura,
quae prius pars Socralis eral et non Socrales, destructa ungula remanet Socrales , et
ila quod prius non erat Socrales, fit Socrales. Oder ähnlich ebend. p. 512.: Haec
senlentia medium digiti naturam unam esse negal, sed si abscindaluf; crealuram esse
merito dubilal; aut ergo creatura erat in digilo, priusquam ampularetur, aul post
abscissionem crealur.
XIV. Die Lehre von Status. Walter v. Mortagne. 137
Wenn auf diese Weise der Realismus jenes Missgeschick, welches
ihm in den eigentlich logischen Fragen ankleben muss, wirklich mannig
fach beurkundete, so ist es nicht zu wundern, dass von mehreren Seiten
neue Wege zur Erklärung der Universalien eingeschlagen wurden, wobei
man den Schwierigkeiten des Realismus ebensosehr wie der Einseitig
keit des Nominalismus zu entgehen wünschte. Die Redeutung einer
Uehergangsformation scheint zunächst jene Auffassung zu haben, welche
von ihrem Stichworte als die „s tatus- Ansicht" bezeichnet werden
könnte, und gleichfalls (vgl. Anm. 112) durch jene Bedenken veranlassl
zu sein scheint, welche den Rehauptungen des Wilhelm v. Champeaux
entgegenstanden. Wenn nemlich das allgemeine Wesen der Gattung
durch individuelle Formen seinem ganzen Gehalte nach specialisirt wer
den soll (Anm. 105), so ist schwer einzusehen, wie es mit jenen „hin
zukommenden Eigenschaften" (advenientia) stehe, welche innerhalb einer
Gattung- entweder variircn oder nur vorübergehend sind. Hier nun
griffen Einige zu dem Auskunftsmillel, dass das Universale von solchen
Qualitäten wohl afficirt werde, nicht jedoch insoferne es eben ein Uni
versale sei, und sowie 'man einmal so weit gegangen war, konnten
sich leicht die Universalien, welche bei den Realisten als Dinge (rei)
gegolten hatten, wirklich in hlosse „Zustände" verwandeln, d. h. es
wurde nun in der Stufenfolge von Gattung zu Individuum nicht mehr
das Universale, sondern der „slatus universalis" in Betracht gezogen,
eine Auffassung, welche sowohl durch das durchgängige Motiv einer
Tabula logica nahe genug gelegt war, als auch ihrerseits gleichfalls
auf eine Stelle des Boethius sich stützen konnte 129). Ein Vertreter
dieser Ansicht war Walter von Mortagne v(er lehrte zur Zeit Abälärd's
in Paris und starb als Bischof von Laon i. .1. 1174), welcher
zwar mit überwiegendem Eifer den dogmalischen Controversen seine
Thäligkeit zuwandle 13°), aber auch in die Dialektik vorübergehend ein-
129) Ebend. p. 514 f.: Amplius sanilas et languor in corpore animalis fundalur,
albedo et nigredo simpliciter in corpore; quod si animal loltitn exislens in Socrate
lanQUore afftcitur, et lotum, quia quidquid suscipit , Iota sui quantitate suscipit,
eorfem et momento nusquam est sine languore ; esl autem in Platane totum illud
idem ; ergo etiam ibi langueret ; sed ibi non languet. Iilem de alliedine et nigredine
circa corpus. Ad hacc enim non refugianl, ul dicanl etc Addunt: ani
mal universale languet, sed non in quanlum est universale. Ulinam se videanl....
Si ad Status se transferatit dicentes ,, animal in quantum est universale nun languel
in universali slatu", respondeant, de quo velinl agere per has voces „in statu unitertali".
Die Quelle aber dieses Begriffes ,, slatus universalis" werden wir mit
Recht bei Boethins erblicken, wo derselbe gelegentlich der Qualität (ad Ar. praed.
p. 180.) sagt: Nihil impedil , secundum aliam scilicel alque aliam causam, unam
eandemque rcm gcmino generi spcciei suae supponere, ut Socrales in eo quod paler
est ad aliquid dicilur , in eo quod humo substanlia est, sie in calore atque frigore
in eo quod quis secundum ea videtur esse dispositus in dispositiune numeralur,
denn in dem Ausdrucke „in eo quod" liegt hier das Entscheidende, sowie in einer
noch deutlicheren Stelle (ebend. p. 189.): Si secundum aliam atque aliam rcm
duoltus generibus eadem res .... supponatur, nihil inconveniens cadit ; ita quoque
et habitudines in eo quod alicuius rei habiludines sunt , in relalione ponuntur , in
eo quod secundum eas quales aliqui dicuntur, in qualilale numerantur ; quare nihil
est inconveniens, unam atque eandem rem secundum divcrsas naturae suae potcntias
(diess sind ja die Universalien) pluribus adnumerare generibus.
130) Seine Briefe (gedruckt b. D'Achery Spicil. ed. De la Barre, Par. 1723,
138 XIV. Walter v. Mortagne. Die Indifferenz-Lehre.
wirkte. Er suchte nemlich die numeräre Einheit des Universale mit
der Wesensverhindung, in welcher es mit den Einzel-Dingen siehe, da
durch zu vereinbaren, dass er an dem Individuum die Individualität und
den Artbegriff sowie den Gattungsbegriff bis hinauf zur obersten Gat
lung je als verschiedene Zustände — Status — unterschied 131). Jeden
falls liegt in dieser Ansicht, wenn uns auch nähere Mitlheilungen über
dieselbe gänzlich fehlen, das Beachtenswerte, dass einerseits das Uni
versale den Einzel-Dingen näher gerückt ist, und andrerseits für jene
Unterscheidung der Zustände die subjective Denkoperation mehr in den
Vordergrund tritt. Daher erscheint auch jener Bericht (s. oben Anm.
69) nicht unglaubhaft, wornach von der nominalislischen Annahme be
treffs der „maneries" Einige in die stafws-Frage hinübergelenkt zu haben
scheinen (s. Anm. 88).
Die innere Entwicklung aber leitet uns hiemit von selbst auf die
Indifferenz-Lehre hin, welche insbesondere eine vermittelnde
Stellung zwischen den Parteien einnimmt. Sie beruht darauf, dass Ein
und dieselbe Sache zugleich allgemein und einzeln sei, indem nicht etwa
ein Universale den Dingen wesentlich einwohne, sondern nur an den
selben als mehreren gleichartigen ein unterschiedslos (indifferenter)
Gemeinschaftliches sich zeige; hiernach also wird dasjenige, was an
mehreren Dingen das Gleichgeltende oder innerlich Aehnliche (indiffe
rent! oder consimile) ist, in der Definition als Gattungsbegriff bezeichnet,
und für das so gefasste Universale ist die Möglichkeit der Aussage
(praedicari de pluribus) gerettet, während der Realismus immer Gefahr
lief, ein Ding von einem Dinge aussagen zu müssen (s. unten Anm. 287),
und diese letztere subjectiv logische Seile konnte nun wohl allenfalls
auch mit dem Begriffe eines Status verbunden werden, so dass jedes
Ding einen Zustand der Individualität und zugleich einen Zustand der
Allgemeinheit an sich habe132); aber dennoch ist der ganze Standpunkt
von jenem Waller's verschieden. Während nemlich dort noch an der
Existenz des Universale festgehalten wird und eben dieses es ist, welchem
III, p. 520 II.) sind nur dogmatischen Inhaltes und berühren die Geschichte der
Philosophie nicht im Geringsten.
131) Die Belegstelle s. oben Anm. 65.
132) Abael. Glossulae sttp. Porph. bei Remusal (s. Anm. 13. u. 73.) p. 99 f.:
La seconde maniire de soulmir l'universalUd des choses, c'est de prdendre que la
meme chose est universelle et particuliere ; ce n'est plus essentiellemenl, mais indiff^
remment quc la chose commune est en divers Ce gut est dans Platon et
dans Socrale, c'esl un indi/fiirenl , un semblable , ,,indifferens »et consimile". H
est de certaines choses qui conviennenl ou s'accordcnt entre eile s , c'esl-ii-dire , qui
. sont semblables en nature, par excmple en tant que corps, en lanl qu'animaux;
elles sont ainsi universelles et parliculieres, universelles en ce qu'elles sont plusieurs
en communauti d'atlributs essenliels , parliculieres en ce que chacune esl distincte
des autres. La diftnilion du (ferne (,, praedicari de pluribus") ne s'applique alors
mix choses qu'elle concerne qu'cn tant qu'elles sont semblables , et non pas en tant
qu'elles sont individuelles. Ainsi les memes cho&es ont deux ftals, leur etat de
gerne, leur elal d'individus , et suivant leur Hat elles comportent ou ne comportent
pas une däßnilion differente. Ob Rämusat in der Handschrift hier wirklich das
Wort ,, stalus" gefunden habe — es scheint wenigstens so —, oder dieser Zusatz
nur auf seiner eigenen Auffassung beruhe, weiss ich nicht; doch s. jedenfalls so
gleich d. folg. Anm. n. 135 f.
XIV. Die Indifferenz-Lehre. 139
verschiedene Zustände zugeschrieben werden , tritt bei der Indifferenz-
Ansicht in aller Schärfe die dem Nominalismiis (Anm. 77 f.) angehörende
Auffassung an die Spitze, dass überhaupt Nichts anderes existire, als
nur Individuen, und ii>dem das Denken sich auf diese als auf seine Objecte
wirft, entstehen nur durch die Verschiedenheit der Auffassung
(aliler et aliler allenlum) die Universalien, so dass Zustand (slalus) oder
Natur (natura) des Individuum-Seins oder des Art-Seins u. s. f. nur
als subjective Anschauungsweisen zu betrachten sind, und vor Allem
isl es hiebei gleichsam ein negatives Verfahren, welches vom Individuum
zum Allgemeinen führt, 'indem das Denken (inlelleetus] die individuellen
Unterschiede stufenweise bei Seite lässt (tion concipil) , absichtlich vergisst
(oblilus), hintansetzt und abstreift (postponil, relinquit), um in
dem Erfassen des Unterschiedslosen zum Höchsten, d. h. zur Substanz
fortzurücken 133). Sonach kann sich auch diese Ansicht, ähnlich wie
die anderen, auf einzelne Stellen des Boethius berufen, wenn sie be
hauptet, dass das Individuum, als Individuum betrachtet, gar kein Un
terschiedsloses an sich trägt, welches ihm mit anderen Individuen ge
meinsam wäre, sondern es gleichsam der Unterschied selbst ist, hingegen
je mehr man dieses nemliche Individuum als Art oder Gattung betrach
tet, man desto mehrere gemeinschaftliche unterschiedslose Mpmente an
ihm entdeckt und dann all das Gemeinschaftliche als Art- oder Gattungs-
Begriff zusammenfasst 134), so dass hiemit allerdings, weil zuletzt an
133) D. gen. et spec. p. 518.: Nunc ilaque illam, que de indifferentia est,
sententiam perquiramus, cuius haec est positio : Nihil omnino est praeler Individuum,
sed et illud aliler et aliter allenlum species et genus el gencralissimum est (ebenso
in der schon oben , Anm. 72., angeführten Stelle). Itague Socrates in ea natura
(man beachte „natura", wofür sogleich hernach „ Status" steht), in qua subieclus
est sensibus, secundum illam naiuram, quam significat de „esse Socrati" (dieser
Sprachgebrauch — TÖ 2foxfjuifi tlvai — beurkundet sicher eine Gewandtheit in
der Terminologie der arislot. Analytik, s. oben Anm. 8 ff.), individuum est ideo,
quia tale est proprietas, cuius nunquam tola reperitur in alio De eodem Socrate
quandoque habetur intelleclus non condpiens quidquid notat haec vox ,, Socrates",
sed Socralitatis oblilus id tantum percipit de Socrate, quod idem notat „homo", i.
e. animal rationale mortale, et secundum hoc species est .... Si intellectus postponat
ralionalitatem- et mortalüatem, et id lantum sibi subücial , quod nolat haec vox
,,animal", in hoc statu (also ,, Status" in dem Sinne von obigem „natura") genus
est. Quod si relictis omnibus formis in hoc tantum consideremus Socratem , quod
notat „substantia", generalissimum est.
134) Ebend. : Socrates, in quantum est Socrates, nullum prorsus indifferent
habet, quod in alio invenialur , sed in quantum est homo, plura habet indifferentia,
quae in Plalone et in aliis inveniunlur; nam et Plato similiter homo est ut Socrates,
quamvis non sit idem homo essentialiler, qui est Socrales. Idem de animali et
subslanlia. Um aber diess auf seine Quelle zurückzuführen, genügen folgende
Stellen des Boethius ad Porph. p. 56.: Cogilantur vero universalia, nihilque aliud
species esse pulanda est nisi cogitalio collecta ex individuorum dissimilium numero
substantiali simililudinc, genus vero cogilatio collecta ex specierum similitudine ; sed
haec simililudo cum in singularib^s esl , fit sensibilis , cum in universalibus , fit
intelligibilis ; ferner ebend. p. 78.: Indiriduorum quidem similitudinem species colligit
, specierum vero genus; similitudo autem nihil est aliud nisi quaedam unitas
qualitalis ; und ebend. p. 80. : ea namque sola dieidunlur, quae pluribus communia
sunt; in his enim unumquodque dividitur, quorum esl commune quorumque naiuram
ac similationem conlinet ; illa vero, in quibus commune dividitur, communi natura
participant, proprietasque communis rei his , quibus communis est , convenil ; at vero
140 XIV. Die Indifferenz-Lelire. Adelard v. Bath.
jeder individuellen Erscheinung auch die Seite (slalus} ihrer allgemein
sten Gattung crl'asst werden kann, es so viele allgemeinste Gattungen
gibt, als es Individuen gibt, und nur wieder durch Erwägung eines ge
meinschaftlich Unterschiedslosen die höchsten Gattungen in zehn Klassen
(Kategorien) sich gruppiren, aber alle zusammen doch wieder darin Ein
Allgemeinstes ausmachen, dass sie eben das unterschiedslos Gemein
schaftliche sind 135). In gleicher Weise gestaltet sich dann auch das
Verhflliniss der Aussage, denn während das Individuum stets nur sein
eigenes Prädical ist, kann diejenige Seite an ihm, welche als Art oder
Gattung erfasst wird , eine gegenseitige Bezugsetzung zu anderen Indivi
duen herbeiführen, d. h. z. B. das Mensch-Sein des Socrates ist Prä
dicat (inhaeret) auch für Plato, und umgekehrt, und dieses Gattung-Sein
des Individuums ist Sammelbegriff (colligitvr) sowohl für dieses Indivi
duum selbst, als auch für die übrigen gleichartigen136), — kurz das
Verhältnis« des Allgemeinen und des Einzelnen reducirt sich auf ein
„Insoferne" (in quantum), und indem es weder ein bloss Allgemeines
noch ein bloss Individuelles gibt, ist es die Verschiedenheit der Auf
fassung (diversus respeclus), wodurch das Allgemeine als Einzelnes und
das Einzelne als Allgemeines betrachtet wird 137).
Indem nun diese Indifferenz-Lehre zuletzt doch wieder mit dem
„Singulare sentilur, universale intelligilur" übereinstimmt und hiemit
sich auch auf Boelhius (Ahschn. XII, Anm. 91) stützen konnte, und
immerhin zugegeben werden durfte, dass die Universalien für uns hienieden
in diesem Jammerthale nur als Individuen eine wahrnehmbare Exi
stenz haben, während ihnen in Wahrheit ein intelligibles Sein zukomme,
so konnten namentlich wegen jenes aufwärts führenden „Abstreifens"
des Individuellen (Anm. 133) sich selbst Platoniker mit der Indifferenz-
Ansicht befreunden , während zugleich Aristoleliker an derselben die
Wechselbeziehung zwischen Allgemeinem und Besonderem, sowie die
Werthschätzung der subjectiven Denkoperation beachten mochten (ein
Beispiel der letzteren Auffassung werden wir unten, Anm. 432 f., bei
einem Schüler Abälard's treffen). So ist es erklärlich, dass Adelard
von Bath, welcher um d. J. 1115 eine auf Platonismus beruhende
proprielas individuorum nullt communis est. Hier nemlich ist sowohl das simile
oder commane als auch das colligere (Anm. 136.) deutlich genug vorgezeichnet.
135) Ebend. p. 519.: Solvunt illi dicenles , generalissima quidem in/inila esse
essentialiter, sed per indi/ferentiam decem lanhmi ; quot enim individua subslanliae,
tot et sunt generalissimae sulistantiae ; omnia tarnen illa generalissima generalissimum
unum dicunlur, quia indifferentia sunt ; Socrates enim in eo quod est substantia,
indifferent est cum qualibet substantia in en sla.lv, , quod substantia est.
136) Ebend.: Sed et hi dicunl: Socrates in nullo statu alicui inhaeret nisi
sibi essentialiler , sed in statu hominis pluribus dicitur inhaerere . quia alii sibi in
differentes inhaerent; eodem modo in statu animalis (p. 520.) Dicunt ita:
Socrates in quantum est homo, de se colligüur (man beachte dieses Wort) et de
Platane caeterisque; unumquodque Individuum, ii^quanlum est homo, de se colligilur.
137) Ebend. p. 521.: Illi tarnen non quiescunt, sed dicent : nullum singulare,
in quantum est singulare , est universale , et e comerso , et cum universale est,
singulare est universale , et e converso. Ebend. p. 520. : Negant hanc consequentiam
,,si est universale , non est singulare", nam impositione suae sententiae habetur:
omne universale est singulare et omne singulare est universale diversis respectibus.
l
XIV. Adelard v. Bath. 141
Schrift „De eodem et dwerso" verfasste 13S), eben durch die Indifferenz-
Lehre den Gegensalz zwischen Plalo und Aristoteles ausgleichen zu
können glaubte. Derselbe klagt über den schroffen Gegensatz der logi
schen Parteien sowie über die Neuerungssucht seiner Zeit 139), aber er
ist der Ansicht, dass durch richtige Erklärung betreffs der Universalien
der Streit sich scblichten lasse140). Er äussert sich hiebei über die
Art- und Gattungs-Begriffe völlig übereinstimmend mit der Indifferenz-
Annahme, ja selbst fast mil den neinlichen Worten (z. B. diversus respeclus,
oMivisei, non allendere u. dgl.), so dass man glauben kann,
unser obiger Berichterstatter habe Adelard's Schrift im Auge, denn die
einzige Abweichung ist, dass hier der Begriff des slalus nicht beige
zogen wird, und vielleicht etwas mehr Gewicht auf die Worlbezeichnung
fällt 14 *). Sodann aber folgt in platonischem Sinne eine Klage darüber,
dass für den Menschen das Allgemeine durch die unerlässlicbe Sinneswahrnehmung
verfinstert sei, während die Universalien in ihrer reinen
Einfachheit ursprünglich nur im göttlichen Novg vorlagen142), und
138) Näheres über ihn s. bei Jourdain, Recherche* crit. 2. Aufl. (1843) p.
26. u. 97. u. 258—277., woselbst aus einer Pariser Handschrift ansehnliche Bruch
stücke dieses Buches in Ueberselzung mitgetheilt sind.
139) Ebend. p. 262.: L'un pre'lend qu'on doit parlir les choses sensibles,
l'aulre commence par les choses non sensibles. Celui-ld soutient que la science
n'est que dans les premieres, celui-ci qu'ellu esl hors des derntires; ils s'inquie'tent
ainsi muluellemenl , ä fin qu'aucun d'eux ne s'allire la conßance .... (p. 263.) 'A
qui donc faut-il croire d'entre ceux qui tourmentenl nos oreilles de leurs innovalions
journalieres , qui chaque jonr naissent pour nous, nouveaux Aristoles et nouveaux
Plalons, qui promcltenl egalement et les choses qu'ils savenl et celles qu'ils ignorenl ?
140) Ebend. p. 267. : L'un d'eux (d. h. Plato und Aristoteles), transporle'
par l'e'lnation de son esprit et les ailes qu'il semiilt s'etre cre'e'es par ses efforls,
a entrepris de connaitre les choses par les principes eux-memes, a exprime ce qu'ils
e'taieitt avant qu'ils ne se reproduisissent dans les corps, el a deßni les formes
arche'lypes des choses. L'aulre, au, conlraire , a commence par les choses sensibles
el cumposees. El puisqu'ils se reconlrenl dans lern route, doit-on les dire opposes?
Si l'un a dit que la science e'tait hors des choses sensibles, el l'aulre, qu'elle iHa.il
dans ces memes choscs, voici ctimmenl U faul les Interpreter.
141) Von den nun unmittelbar folgenden Worten (bei Jourdain p. 267.) gibt
Haure'au, De la phil. scol. I, p. 255. den lateinischen Originaltext: Genus el species,
de his enim sermo, esse el rerum suliiectarum nomina sunl. Harn si res consideres,
eidem essenliae el gencris el speciei et individui nomina imposila sunl, scd rcspeclu
diverso. Volenles enim philosoplii de rebus agere secundum hoc quod sensibus subiectae
sinnt, secundum quod a vocibus sinijularibus notanlur et numeraliter diversae
sunt, individua vocavemnl, sc. Socratem, Hatonem et ceteros. Eosdem autem aliler
inluenles, videlicel non secundum quod sensualiler dicersi sunl, sed in eo quod
nolanlur ab hac voce ,,homo", speciem vocaverunl. Eosdem ilem in hoc lanlum,
quod ab hac voce „animal" nolanlur, consideranles genus vocaverunl. Nee tarnen
in consideratione speciali formas individuales lollunl, sed obliviscunlur, cum a speciali
nomine non ponantur; nee in generali species ablalas intelligunt, sed inesse
non attendunt, vocis generalis significatione contenti ; vox enim haec ,,animal" iure
illa notal subiecla cum animalione et sensibilitale , haec autem ,,homo" totum illud
el insuper cum rationalilale et mortalilate, „Socrales" vero illud idem addila insuper
numerali accidentium discretione. .
142) Ebend. p. 256.: Assueti enim rebus , cum speciem intueri nilunlur,
eiusdem quodammodo cali/jinibus implicantur nee ipsam simplicem nolam .... contemplari
nee ad simplicem specialis vocis positionem ascendere queunt. Inde quidam,
cum de universalibus ageretur, sursum inhians ,,Quis locum eorum mihi oslendet?"
142 XIV. Adelard v. Bath. Joscellinus.
hieran knüpft sich sogleich die wunderliche Behauptung, dass eben
desshalb sowohl Aristoteles Recht habe , welcher die Universalien in
jenes Gebiet verlegte, in welchem allein sie uns zugänglich sind, als
auch Plalo, welcher sie dorthin verweist, wo sie ihr wahres Sein haben,
kurz dass Beide, während sie im Wortausdrucke sich zu widersprechen
scheinen, in der Sache übereinstimmen 143). Viel Kopfzerbrechen kann
diese Versöhnung dem Adelard wohl nicht gemacht haben 144).
Eine dem Principe der Indifferenz-Lehre analoge Auffassung, wenn
auch mit einer etwas verschiedenen Methode, könnte die Ansicht des
Gauslenus oder Joscellinus von Soissons (v. 1125—1151 dortselbst
Bischof) gewesen sein, dass nemiich die [Iniversalien nicht schon
an sich in den Individuen liegen, sondern denselben erst zukommen,
insoferne das Individuelle in eine Einheit vereinigt (in unttm coUectu)
werde145); denn es vertrüge sich diess vollständig mit obigem Grund
satze (Anm. 133), dass nur Individuen existiren, und die Entstehung
der Universalien im menschlichen Denken würde hier nur nicht durch
ein Abstreifen , sondern von vorneherein durch ein Sammeln (colligere)
erreicht, welches auch die Indifferenz-Lehre schliesslich doch nicht um
gehen konnte (Anm. 136). Doch wissen wir über des Gauslenus Mei
nung durchaus Nichts näheres146), und während wir einerseits weiter
oben (vor. Abschn. Anm. 175) sahen, dass auch der Realist Otto von
Clugny sich einer ähnlichen Ausdrucksweise bediente, ja auch Johannes
von Salesbury den Gauslenus für einen Realisten zu halten scheint
(was jedoch vielleicht nicht von grosser Bedeutung ist, s. ob. Anm. 70
u. 85), so kann uns andrerseits wohl nur die Lostrennung der Universalien
von den Einzel-Individuen hauptsächlich dazu veranlassen, die
Annahme des Gauslenus näher an die Indifferenz-Lehre zu rücken, wozu
etwa noch als Bestätigung käme, dass derselbe auf die nominalistische
inquit. Adeo rationem imaginatio perturbal Sed id apud mortales. Divinae
enim menti .... praesto esl, et materiam sine formis et formas sine aliis , imo et
omnia cum aliis .... distincte cognoscere; nam et anlequam coniuncta essent universa,
quae vides , in ipsa Noy simplicia erant.
143) Ebend. : Nunc aulem ad propositum redcamus. Quum igitur illud id,
quod vides, et genvs el specics et individuum sit , merilo ea Aristoteles nonnisi in
sensibilibus esse proposuil , sunt etenim ipsa 'sensibilia quaevis aculius considerata;
quum vcro ea, in quanlum dicuntur speciei el genera, nenio sine imaginatione per
se pureque inluetur jhiemit finden wir hier wahrlich schon das „unbekannte Ding
an sich"), Plalo extra sensibilia, scilicet in menle divina, et conspici et exislere
dixit. Sie viri illi, licet verbo conlrarii mdeantur, re tarnen idem senserunt.
144) Zumal konnte ihm ja auch die bekannte gleichlautende Stelle Cicero's
(Acad. I, 6. bezüglich des Antiochus) wenfgstens durch Augustin (d. civ. dei, VIII,
6.) zugänglich sein. Dass auch Bernhard v. Chartres sich bemühte, Plato und
Aristoteles zu vereinigen, s. oben Anm. 66.
145) Die Quellenstelle s. oben Anm. 68.
146) Denn wenn H. Ritler, dessen Angaben über Waller v. Mortagne, Ade
lard v. Bath u. s. f. theils überhaupt der nöthigen Präcision entbehren, theils
geradezu unrichtig sind , die Schrift De generibus et speciebus sofort dem Ganslenus
vindiciren will, so würden zu einer solchen Annahme die etlichen Worte jener
einzigen Quellenstelle, welche wir über Gauslenus besitzen, selbst dann kaum
ausreichen , wenn sie sich mit den Ansichten des Verfassers D. gen. et spec. ver
trügen. Dass aber Letzteres sehr zweifelhaft ist, mag aus demjenigen hervor
gehen, was wir nun sogleich über jene anonyme Schrift anzugeben haben.
S
XIV. De generibus et speciebus. 143
,,manen'es"-Ansiehl liinübergewiesen habe (ob. Anm. 68). Dann aller
dings hallen wir hier eine Wiederholung dessen, was schon bei den
früheslen Anfängen einer Parleispallung seitens der nouiinalislischen
Richtung beliauplet wurde 141).
Wenn wir aber bezüglich der Universalien die Annahmen Abälard's,
sowie jene des Gilberlus Porrelanus und des Johannes von Salesbury
erst weiter unten im Zusammenhange mil den Gesamml-Anschauungen
derselben zu erörtern vorziehen müssen (s. oben S. 113), so bleibt uns
für jetzt nur noch der unbekannte Verfasser der Schrift „De generibus
et speciebus" 14S) übrig, welcher uns manche Berührungs- oder Ver
wand Ischafts-Punkte mit mehreren der bisher erwähnten Ansichten zeigen
wird. Das Ganze war ursprünglich gewiss eine Abhandlung „De divisione"
(vgl. Anm. 118— 128) völlig in derselben Weise wie die gleich
namige Schrift Abälard's (s. Anm. 277 u. 353 ff.), und sowie der An
fang des uns erhaltenen Textes noch die Frage über die ursprünglichen
Theile eines Ganzen behandelt, so bot dann auch hier die Erörterung
über die Einlheilung der Gattung dem ebenso kennlnissreiehen als scharf
sinnigen Verfasser die Gelegenheit, in dem Streite über die Universalien
sowohl die Meinungen Anderer kritisch zu beleuchten als auch seine
eigene Ansicht zu begründen 149). Er bekämpft den Nominalismus vor
erst kurzweg dadurch, dass die Worte überhaupt kein Sein haben, da
dasjenige, was durch zeilliche Abfolge ersl entsteht, nicht ein einheit
lich Ganzes constiluiren könne, eine Bemerkung, welche eben, so weit
sie die Function" des Gedankens im Urlheile betrifft, auch gegen Abä
lard's Ansicht (Anm. 315) gerichtel istloü); sodann aber auch lasse
sich ja das Verhältniss zwischen StolV und Form, welches heim Uebergange
von Galtung zu Arl obwalte, durch Worte gar nicht aussprechen,
da nie ein Wort der Stoff eines anderen Wortes sei151). Hinwiederum
147) Nemlich Pseiido-Hrabanus (vor. Abschn. Anm. 153.) und jener soge
nannte Jepa (ebcnd. Anm. 170.) haben sich in ganz ähnlicher Weise über den
Gattungsbegriff geänssert.
148) Der Anfang des Buches, welches Cousin (Ouvr. inedits d'Abclard, p.
507—550.) aus einer Handschrift von St. Gennain herausgab, fehll, und der Titel,
welchen Cousin selbst machte, mag wohl fortan recipirt bleiben, jedoch gewiss
mit Ausnahme des Zusatzes „Petri Abaelardi", denn dass das Ganze nicht ein Werk
Abälard's ist — s. oben Anm. 49. — , hätte auch Cousin bemerken sollen; es
erbellt diess nicht bloss aus stilistischen Eigenlhümlichkeiten (z. 6. bei Lösung
von Einwürfen ein eingeschaltenes „Attende" oder „Solulio", oder hinwiederum ein
eigenthümliches Lieblingswort des Verfassers ist „ralionabile ingenium" u. dgl.),
sondern auch aus inneren Abweichungen der Ansicht selbst, welche sich sogar zur
Polemik steigern. Ich verweise hierüber, um Wiederholungen zu vermeiden, nur
auf die folgenden Anm. 150, 167, 168 und besonders 171, woselbst eine Annahme,
welche dem Abälard angehört, geradezu als „lächerlich" bezeichnet wird.
149) Bei sorgfältigem Studium der Schrift dürfte der Vorwurf der Unbeholfen
heit und Dunkelheit, welchen H. Ritter (VII, p. 363.) gegen dieselbe ausspricht,
wohl gänzlich verschwinden.
150) Bei Cousin a. a. 0. p. 523. : -llem voces nee genera sunt nee species
nee universales nee singulares nee praedieatae nee svbiectae, quia onmino non sunt;
nam ex Ais , quae per successionem fiunt , nullum omnino tolum constare , ipsi qui
hanc sententiam tenent, nobiscum credunl.
151) Ebend. p. 523 f.: Quemadmodum stalua eonstat ex aere malerie , forma
aulem figura, sie species ex genere malerie, forma autem differenlia (s. Anm. 160 f.),
144 XIV. De generibus et speciebus.
aber beslreitet er auch den Realismus des Wilhelm v. Champeaux, da,
wenn das Universale nach seinem ganzen Gehalte im Individuum individualisirt
werde (Anm. 105), nicht bloss dieser nemliche ganze Gehalt
doch wieder zugleich in einem anderen Individuum sich linden müsse 152),
sondern auch die variirenden oder transilorischen Eigenschaften allen
Individuen zukommen müssten 153), und ausserdem in dem Gattungsbe
griffe dann auch die Gegensätze gleichzeitig vorlägen 154). Und ebenso
ferner wendet er sich polemisch gegen die Indifferenz Lehre, indem er
sie sowohl in ihrem Priiicipe, d. h. in jenem Begriffe des „Gemein
schaftlichen" (Anm. 134) angreift155), als auch die dortige Ansicht
bezüglich des Sammelbegriffes („colligere", Anm. 136) bekämpft156),
und ebensosehr die Consequenz, welche in der Verwischung des Unter
schiedes zwischen Allgemeinem und Einzelnem liegt, verneint 157). Seine
eigene Ansicht blickt schon in der Erörterung über die Theilung ins
Unendliche (Anm. 126 f.) durch, wo er anerkennt, dass ein Ganzes
noch fortbestehen könne, wenn auch ein Theil desselben seine Form
verliere und an Stoff vermindert werde 158), sowie besonders in der
Auffassung, dass zwei Punkte noch nicht eine Linie ausmachen, wenn
nicht eine einheitliche schöpferische Kraft (una crealura) mitwirke159).
Auch in der Polemik gegen ein Amendement des Realismus (Anm. 112)
quod assignare in vocibus impossibilc est;'nam cum animal genas sit hominis, vox
vocis nullt) modo est allera alterius materia.
152) p. 514.: Quod si ila est, quis solvcre polest, quin Socrates eodem (em
pöre Romae sit el Alhcnis? Vbi enim Socrates esl. et homo universalis ibi est
secundum tatam suam quantüalem informatus Socratilate .... Si ergo res universalis
tota Socratilate a/fecla eodem lempore el Romac est in Platane Iota, impossibile est,
quin ibi etiam eodem tempore sil Socralitas, quae totam iltam essentiam continebat;
ubicunque autem Socratitas est in homine, ibi Socrales est, Socrales enim homo
Socralicus est.
153) Ebend. Die Stelle ist bereits oben, Anm. 129., angeführt.
154) p. 515.: Quam slatim enim rationalitas illam naturam tangit, sc. animal,
tarn slalim species efßcitur et in ea rationalitas fundatur; illa ergo totum informal
animal; sed eodem modo irralionalitas totum animal informal eodem tempore; ita
duo opposita sunt in eodem secundum idem.
155) p. 519.: Neque enim Socrates aliquam naturam, quam habeat, Platoni
communicat , quia neque homo qui Socrates est neque animal in aliquo extra Socralem
esl.
156) p. 520.: Socrates tarnen nullo modo de ph/ribus colligitur, quia in
pluribus non est. Schon diess müsste uns behutsam machen, den Gauslenus für
den Verfasser der Schrift zu halten, doch s. _unten Anm. 162.
157) p. 521.: AI vcro ncc particularitas nee universalitas in se transeunt ;
namque universalilas polest praedicari de particularilatc , ut animal de Socrale et
Platone, el particularilas suscipil praedicalionem univcrsalitatis , sed non ut univer-
'salitas^sit parlicularilas , nee quod parlicularc est, universalitas fiat.
158) p. 510.: Non scquilur „si hie asser est, et medietas huius asseris eit,"
passet enim destrui medietas, non quantum ad totam cius massnm, sed quantum
ad formam, et tarnen remanenlibus cius aliquibus parliculis non destruerelur hie
asser, quoniam medielalis eins materia, forma lantum pereunte , tota non periret.
159) p. 511.: Si quaelibel duo puncla proxime iuncta faciunt bipunctalem
lineam, quae sit una crealura, tunc habebit unum fundamentum; sed una alomus
non erit eius fundamentum, iam enim esset bipunclaliter lineatum p. 513.:
possumus dicere, quod ipsa bipunclalis linea fundalur in illis duabus alomis ut in
subiectis, non in subiecto.
XIV. De generibus de speciebus. 145
stellt er sich entschieden auf das von Porphyrius her (Absnhn. XI,
Anm. 44) in die Annahmen des Boethius (Abschn. XII, Anin. 97) über
gegangene Gleichniss des Kunstwerkes, wornach ihm die Gattung der
Stoff und der Unterschied die Form ist, das Product seihst aber, d. h.
die Species , in welcher der Stoll' die Form trägt (/brmom suslinet),
als eine bleibende Vereinigung betrachtet und auch mit dem Worte
„malerialum" bezeichnet wird100), wofür hinwiederum auch der eigenthümliche
Ausdruck „diffinüivum tolum" mit schroffer Festhaltung der
Theil-Anschauung sich findet181). Genauer aber begründet er diese
seine Meinung foigendermaassen: Im Individuum trägt (sustinel) eine
gewisse Wesenheit (essenlm), welche der Stoff ist, die Form der Indi
vidualität an sich und ist mit ihr zusammengesetzt, wodurch eben die
Verschiedenheit der Einzel-Individuen entsteht; eben diese Wesenheit
nun, insoferne dieselbe nicht bloss in dem einen oder anderen Indivi
duum, sondern zugleich auch in allen zusammen als Stoff vorliegt, ist
die Species, welche hiemit trotz aller Vielheit der einzelnen Wesen
heiten (essenlialiler mulla) als ein Sammelbegriff (colleclio) mit den
Worten „Ein Universale" oder „Eine Natur" bezeichnet wird, ungefähr
wie auch der Begriff „Volk" viele Einzelne umfasst162); es wird nemlich
nicht etwa die ganze Species in jedem Einzel-Individuum individualisirt,
sondern nur ein Theil derselben, d. h. eben Eine solche Wesenheit,
welche ja mit der die Species ausmachenden Gesamuitheit (concolleclio)
nicht identisch ist, sondern mit ihr nur die ähnliche Zusammensetzung
oder ähnliche schöpferische Kraft (similis composüio, similis crealio)
gemein hat, daher auch das Gleichniss mit dem Volke oder mit einem
Heere nicht völlig passt, indem zwischen den einzelnen Wesenheiten
und ihrer Gesammtheit wegen jener Aehnlichkeit der Erzeugung eine
grössere Wesens-Gleichheit besteht, als zwischen einem Soldaten und
dem Heere; besser hingegen kann dieses ganze Verhältniss damit ver
glichen werden, dass z. B. eine grössere Masse Metall in Einem ihrer
160) p. 516.: Sed dico: facla est species ex genere et sithslantiali differentia,
et sicitt in statua aes esl materia, fnrma autem figura, simililer genus est materia
speciei, forma atilem differenlia; materia est, quae suscipit formam. Ita genus in
ipsa specie constituta formam sustinet, nam et postquam constiluta est, ex materie
et forma constat, i. e. ex genere et differenlia p. 517.: omne materialum suf-
/icienter conslituitur ex sua maleria et forma.
161) p. 522.: Speciem ex genere et substantiali differentia constare , ut statua
ex aere et figura, auctore Porphyr io (b. Boeth. p. 88.) constal; itaque pars esl
speciei materia et simulier differentia, ipsa vero species est totum diffinilivum eoruro.
162) p. 524. : Quid nobis potius lenendum videatur de his, deo annuente amodo
ostendemus: Unumquodquc Individuum ex materia et forma composilum esl; ut Socrates
ex homine maleria et Socralitale forma, sie Plato ex simili materia, sc. homine
, et forma riiversa, sc. Platonitale. componilur ; sie et singuli homines. Et
sicut Socralilas, quae formaliter consliluit Socratem, nusquam est extra Socratem,
sie illn hominis essentia, quae Socratilatem sustinet in Socrate, nusquam est nisi in
Socrate. Ita de singulis Speciem igitur dico esse non illam essenliam hominis
solum, quae est in Socrate vel quae esl in aliquo alio individuorum , sed totam
illam colleclionem ex singulis aliis huius nalurae coniunctam, quae tola colleclio,
quamnis essenlialiter mulla sit , ab auctnrilalibus (d. h. von Porphyrius und Boe
thius) tarnen nna species, unum. universale, nna nalura appellalur, sicut populus (s.
vor. Abschn. Anm. 153.), quamvis ex mullis personis collectvs sit, wnus dicitur.
l1 KANT i., Gesch. U. 10
XIV. De generibus et speciebus.
Theile zu einem Messer und zugleich in einem anderen zu einem Griffel
verarbeitet wird IU3). Diess Nemliche nun wiederholt sich beim Gattungs
begriffe, indem jede von den Wesenheiten (essenliae), welche zur (iesammtheit
einer Species gehören, wieder aus einem Stoffe und einer Form
zusammengesetzt ist, nur mit dem Unterschiede, dass die Form hier
nicht mehr bloss die Eine der Individualität ist, sondern selbst in sich
die Mehrheit der artmacheuden, d. h. substantiellen Unterschiede in sich
involvirt; jener Stoff aber erscheint als solcher unterschiedslos (indifferens)
in jenen einzelnen Wesenheiten , welche der Artbildung als Stoff
zu Grunde liegen, und es heisst nun Gattung die Vielheil (mulliludo)
der Wesenheiten, welche Träger (sustinere, recipere) der Artunter
schiede sein können "''). Und endlich gilt das Gleiche auch bezüglich
des „ersten Princips", denn die Wesenheiten (essenliae), welche zu einer
Gattung gehören, bestehen abermals aus Stoff und Form und sind ihrem
Stoffe nach gleichfalls unterschiedslos (indifferentes) , während sie die
Galtungs-Unlerschiede als ihre Form an sich tragen, und so gelangt man
noch ein Mal zu einer Vielheil (mullitudo) von Wesenheilen als zum
generalissimum, von welchem schliesslich nur noch gesagt werden kann,
dass sein Stoff die „reine Wesenheit" (mera essenlia) oder die Substanz
selbst, seine Form aber die' Empfänglichkeil der Gegensätze (susceplibüüas
conlrariorum) sei 165). So streift der Verfasser durch seine
163) p. 526. : Speciem esse dicimus mullitudinem essentiarum inter se simil
i n ni, ut hominem l II ml tanlum humanitatis informatur Socratitate , quod in
Socrate est, ipsum autem species non est, sed illud quod ex ccteris similibus essentiis
conficitur. Allende. Materia est omnis species sui individui et eius formal»
suscipit , non ila scilicel, quod singulae essenliae illius speciei informenlur illa
forma, sed una tanlum, quae tarnen simüis est composilionis prorsus cum omnibut
aliis eiusdem naturae essenliis .... Neque diversum una essenlia illius concolleclionis
a tota collectione, sed idem, non quod hoc esset illud, sed quia similis creationis
'in materia et forma hoc erat cum illo Massam aliquant ferream, de qua faciendi
sunt cultellus el slylus , videntcs dicimus : hoc fulurum maleria cullelli et
slyli, cum tarnen nunquam tota suscipiat formam allerutrius, sed pari, stylt,' pOrs
cultelli (p. 527.) Maior identitas alicuius essenliae illius colleclionis ad
totum, quam alicuius personae ad exercilum, illud enim idem est cum Mo suo, hoc
i'/'t'u diversum. Hiezu p. 535. : Hoc enim habet noslra sententia, quod animal illud
genus in parte sui recipil rationalitalem el in parte irrationalilatem.
164) p. 525.: llrm unaquaeque essenlia huius coUeclionis, quae humanilas
appellatur, ex maleria et forma constat, sc. ex animali materia, forma aitlem non
una, sed pluribus , rationalitale et mortalitate et bipedalitate et si quae sunt ei
aliae substanliales. Et sicut de homine diclum est, sc. quod illud hominis, quod
sustinel Socratilatem , illud essenlialiler non suslinet Platonitatem, ita de animali;
nam illud animal, quod formas humanilatis, quae in me esl, sustinet, illud essenlialiter
alibi non esl, sed illi indiffertns est in singulis materiis singulorum individuorum
animalis. Hanc ilaque multiludinem essenliarum animalis, quae singularum
specierum animalis formas sustinet , ijrnus appellandam esse dico, quae in hoc diversa
esl ab illa mulliludine, quae speciem facil; illa enim ex solis illis essentiis,
quae iitdividuorum formas suslinent, collecla est, ista vero, quae genus est, ex Ais,
quae diversarum specierum substanliales differentias recipiunt.
165) Ebend. : Item, ut usque ad primum principium perducalur, sciendum est,
quod singulae essenliae illius multiludinis , quae animal genus dicilur, ex materia
aliqua essentia corporis el formis substnnliaUbus , animatione et sensibilitate , con
stat, quae, sicut de animali dictum est, nusquam alibi essenlialiter sunt, sed illat
indifferentes formas sustinent omnium specierum corporis. El haec lalium corporii
XIV. De generibus et speciebus. 147
eigentümliche Potenzirung oder Einschachtelung der essenlia doch wieder
an Wilhelm v. Champeaux hin, und hat daher wahrlich nicht, wie
Gauslenus, das Universale vom Individuum getrennt (s. Anm. 145 f.),
zugleich aber kömmt er durch die Begriffe der collfclio und des indifferens
in Berührung mit der Indifferenz-Lehre, während ihm dieselben
allerdings weit mehr eine objeclive Geltung haben.
Um so eigentümlicher aber muss sich hier die Auffassung der
subjecliv logischen Function , d. h. des Urtheilens, bezüglich der Uni
versalien gestalten, während doch erst hiedurch die Ansicht des Ver
fassers ihren vollen Abschluss findet. Er klagt, dass es keine Definition
des Prädicat- Verhältnisses gebe; denn es sofort als objeclive Inhärenz
zu verstehen, sei ein ungerechtfertigter Gehrauch, abgesehen davon,
dass letzlere nur im obigen Sinne einer Theilung genommen werden
dürfe186), und sowie man sich vor den Consequenzen der Indifferenz-
Lehre hüten müsse, so sei es überhaupt zu verwerfen, wenn im Hin
blicke auf den definitorischen Gehalt der Species praedicari und^ esse
identificirt werden167), — eine Bemerkung, welche sicher gegen Abälard
(s. unten Anm. 318) gerichtet ist und noch mehr einen speciell
polemischen Ausdruck erhält, wenn mit unverkennbarer Wendung gegen
eine Ansicht Abälard's (bezüglich der „sumpto", s. unten Anm. 321)
behauptet wird , dass sämmlliche allgemeine Bezeichnungen , mögen sie
Adjectiva oder Substantiva sein, sich mittelbar auf objeclive Gestallungen
beziehen168). Kurz das Urtheil sage nie aus, dass das Subject selbst
essenliarum multitudo genus dicitur illius naturae, quam ex multiludine essentiarwn
animalis confectam iiximus. El singulae corporis , quod genus est, essentiae ex\
materia, se. aliqua essenlia substanliae, et forma corporeitate conslant. Quibus ^
indifferentes essentiae incorporeüatem , quae forma est, speciem sustinent; et illa
talium essenliarum mulliludo substanlia generalissimum dicitur, quae tarnen nondum
est Simplex, sed ex materia mera essentia, ut ita dien m, et susceplibililale contra- ;
riorutn forma conslat.
166) p. 526.: Audi et attende: Praedicari quidem inhaerere dicunt ; usus quidem
hoc habet, sed ex auclorilale non imieni; conccdo tarnen; inhaerere autem dico
humanitatem Socrati, non quod Iota consumatur in Socrate, sed una tantum eius
pars Socratitate informatur (s. Anm. 163.). p. 531.: Nasse debes , quod nusquam,
quid sil praedicari, plane dielt auctoritas; nam quod solel dici, quod praedicari
est inhaerere, usus est ex nulla auctorilate procedens.
167) p. 527. : Item species in quid praedicatur de individuo (diese Abkürzung
,,praedicari in quid" begegnet uns hier zum ersten Male, vgl. Anm. 282.; nemlich
bei Boethius p. 68. lautet die Porphyrianische Definition der Species, s. Abschn.
XI, Anm. 41., vollständig: species est, quae de pluribus in eo quod quid praedi
catur); praedicari autem in quid, ut aiunt, est praedicari in essentia, praedicari
imieni in essenlia est, hoc esse illud. Cum ergo dicitur: „Socrales est homo"
habebimus illud idem inconveniens , quod in aliis sententiis, sc. singulare est univer
sale (s. Anm. 137.).... Hoc conseulio , „praedicari in essenlia" dicerc , ,,hoc esse
illud" nego.
168) p. 527 f.: Sed dicunt: „rationale" allerius nomen esl pro impositione
scilicet animalis, et aliud esl quod principaliter signißcat, sc. rationalilas,
quam praedicat et subiicit; „homo" vero nihil aliud vel nominal vel significat, quam
illam speciem. Absit hoc. Imo sictil „rationale" et „homo", sie et quodlibet aliud
universale subslantivum alterius nomen esl, per imposilionem quidem eius, quod prin
cipaliter significat , v. g. rationale vel album imposilum fuil Socrali vel alicui sensibilium
ad nominandum propter formas, i. e. ralionalitalem et albedinem, quas prin
cipaliter signiftcant.
10*
148 XIV. De generibus et speciebus.
das Prädicat selbst sei , sondern nur dass ersleres unter die Zahl jener
Wesenheiten gehöre, welche entweder von einem bestimmten Stoffe constitiiirl
sind oder einer bestimmten Form unterliegen 189), und demnach
werde, — wofür sich der Verfasser sogar auf eine vereinzelte Stelle
des Boelhius berufen kann — , der eine Species bezeichnende Name
eben nur den betreffenden Einzel-Individuen, nie aber der Species selbst,
gegeben 17°), wobei Substantiva und Adjectiva darin sich unterscheiden,
dass erslere auf den Stoff und letztere auf die Form sich beziehen, so
dass Diejenigen, welche von einem Accidentellen, d. h. von einem
„adiacens" sprächen, — was aber eben wieder Abälard thut, s. unten
Anm. 283 f. —, im grössten Irrthume seien m); wenn aber es so sich
mit der ursprünglichen Bedeutung der Worte verhalle, so seien Aus
drücke wie z. B. „Mensch ist ein Artbegriff" nur nothgedrungene Uebertragungen
172).
Schon hiedurch ist klar, dass der Verfasser (im Gegensatze gegen
Abälard) den eigentlichen Werth der Synthese, welche im Urtheile liegt,
misskennt und in platonischem Sinne die Worte sämmllich isolirt als
subjeclive Abbilder objectiver Exemplare betrachtet, was man kaum deut
licher aussprechen könnte, als er selbst thut, wenn er z. B. sagt: „Ver
nünftig" sei nicht der Name desjenigen, was als Subject dem Prädicale
der Vernünfligkeit unterliege, sondern der Name eines Wesens, welches
durch die „Vernünfligkeit" consliluirt wird 173); ja auf diese Weise
muss er das Prädicatsverhältniss so unbestimmt allgemein fassen, dass
es mit der Erzeugung des significanten Worles überhaupt zusammen
fällt, und, da dieses letztere Moment für Subject und Prädical das
gleiche ist, der Unterschied zwischen beiden zu einem bloss äusserlichen
und zufälligen wird; hiebei aber stützt er sich auf eine Stelle
des Priscianus, in welcher auf Grundlage des allgemeinen stoischen
Sprachgelirauches (s. Abschn. VI, Anm. 112 ff.) die Partikeln als „syncalegoreumala"
bezeichnet werden, woraus geschlossen werden könne,
169) p. 528. : Itaque cum dicilur „Socrates est homo", hie est sensus ,,Socrates
est unus de materialiter constitutis ab homine", .... sicut cum dicilur ,,Socrales
esl ralionalis", non isle est sensus „res subiecta est res praedicata", sed „Socrates
est unus de subiectis huic formae quae est ralionalitas".
170) Ebend. : Quod aulem „homo" impositum sit Ais, quae materialiter consliluuntur
ab homine, i. e. individuis et non speciei, dicit Boethius in commentario
super Calegorias his verbis etc. (s. Boclh. p. 129.); vgl. vor. Abschn. Anm. 121.
171) Ebend.: Nomina illa tantum dicunlur substantiva, quae imponuntur ad
nominandum aliquem propter eius maleriam .... vel expressam essenliam; ad~
iecliva vero illa dicunlur, quae imponunlur alicui propter formam, quam principaliter
signißcat Nam quod d/ci solet , adieclh'um esse, quod signißcat accidens secundum
quod adiacet, et substanlivum , quod significat essentiam, ridiculum est vel sine
intellectu.
172) p. 529.: Sciendum esl ergo: vocabula, quae imposita sunt rebus propter
almA significandum principaliter circa eas , quandoque transferunlur ad agenaum de
principali signißcatione , ul cum translative dicitur „rationale esl differenlia" et
,,album est species coloris", niliil aliud inlelligo quam ,,rationalitas." et ,,albedo";
sie. ..cum dicitur ,,homo est species" Concedimus itaque, hanc translalionem
necessitate fieri.
173) p. 547.: Rationale enim non est nomen subiecti ralionalitalis, sed rei quae
a ralianalitate consliluitur , quae non est ipsum animal.
XIV. De generibus et speciebus. 149
dass dann alle übrigen Worte eben calegoreumala, d. h. Prädicamente,
seien 174). Die ausgedehnte Wirkung, welche diese hier zum ersten
Male vorübergehend beigezogenen Syncategoreumala später in der Logik
äussern , müssen wir natürlich dem weiteren Verlaufe überlassen, die
Folgerung hingegen, welche hier unser anonymer Verfasser daraus zieht,
führt zu einem Platonismus, welcher uns sehr an Scotus Erigena er
innern muss. Wenn neinlich „praedicari" auf diese Weise das Nemliche
wie „significari principaliter" ist, so fällt die intellectuelle Funclion
des Menschen in jene objectiven Formen und Gestaltungen hinüber,
welche den Individuen zu Grunde liegen, denn es erzeugt sich der Be
griff (inleüeclus constüuüur, generalur) mittelst des Wortes im Hinblicke
auf das objective Universale175), und auch die Inhärenz, wenn man
mit ihr nach überkommener Gewohnheit das Prädicatsverbältniss identißciren
wolle, hat eben doch nur eine objective Bedeutung in dem
Werde-Process der Dinge 176). Kurz es handelt sich nur um die ein
heitlichen „Naturen", welche den Dingen zu Grunde liegen, und wenn
der Begriff der Nalur auf obige (Anm. 163) similis creatio oder bezie
hungsweise zur Abgränzung gegen andere Formationen auf dissimilis
creatio reducirt wird 177), so schliesst sich hieran eine platonisch-my
stische Creations-Theorie an, welche uns hier nicht berührt 17S). Indem
aber dabei sowohl nach Obigem für die Aussage das Hauptgewicht auf
174) p. 531.: Mihi aitletn videtur, guod praedicari est principaliter significari
per vocem praedicatam, subiici vero signißcari principaliler per vocem subiectam, et
hoc quodammodo videor habere a Prisciano, quod in tractatu orationis ante nomen
(d. h. in dem Capilel vor der Erörterung über Nomen) dicit praepositiones et coniunctiones
syncategoreumata, t. e. consignificantia; scimus aulem „syn" apvd graecos
,,cum" praepositionem significare, „calegorare" autem „praedicari", unde categoriae
praedicamenta dicunlur. Si ergo idem est „calegvreumata" quod „signißcantia" , idem
erit „praedicari" quod „signi/icari principaliler" (die Stelle b. Prise. II, 15. lautet:
Partes igitur orationis sunl secundum dialecticos duae , nomen et verbum, quia hae
solac etiam per se coniunctae plenam faciunl orationem, alias autem partes syncategoreumata
, hoc esl consignißcantia , appeilabant .)
175) p. 532.: Idem erit „praedicari" quod „signi/icari principaliter", quam
solam significationem recepil Aristoteles iuxla illud „album nikil signiftcat nisi qualitalem"
(Cat. 5, s. Abschn. IV, Anm. 476.; so verdrehte man jede beliebige Stelle
zu Gunsten seiner eigenen Ansicht) ; cwn enim albuni subieclum albedinis nominando
signiftcet, illam solam siqnificationem notavit Aristoteles, in qua intellectus constituitur
per vocem Sii-ni ensis et gladius eundem generanl inlelleclum, ita illa duo
nomina facerent.
176) p. 533.: Quod .« „praedicari" quidem pro ,,mhaerere" accipilur, quod
et nos conccdimus, neque enim bonvm itsum abolere volumus, sie dicendum est: omnis
natura, quae plurious inhaeret individuis malerialiler , species est.
177) Ebend.: Hie autem lantum agitur de naturis; si autem quaeras , quid
appellem naluram, exaudi : naturam dico, quidquid dissimilis creationis est ab omnibus,
quae non sunl vel illud vel de illo , sive una essentia sit sive plures, ut Socrales
dissimilis creationis ab Omnibus, quae non sunt Socrates, similiter et homo
Sfecies est dissimilis creationis ab omnibui, rebus, quae non sunt illa species vel
aliqua essentia illius speciei. Auch der Einwand bezüglich des Phönix, welcher
nur in Einem Exemplare cxistirt (s. Abschn. XII, Anm. 87.) wird berücksichtigt,
aber (p. 534.) durch die Bemerkung beseitigt, dass der Gegensatz zwischen matena
und materiatum (ob. Aum. 160.) dennoch in seiner Allgemeinheit festzuhalten sei.
178) p. 538—540.
150 XIV. De generibus et speciebus.
die Unterscheidung der essentia malerialis und essentia formalis fällt m),
als auch in onlologiseher Beziehung der Form allein eine Wirksamkeit
zugeschrieben wird180), so muss jene — übrigens gleichfalls dem
Abälard (s. unten Anm. 306) angehörende — Ansicht bekämpft werden,
wonach die oberste Gattung (genus generalissimum) der Stoff selbst,
und sonach die Formen seine nächsten Arten wären m), denn dem
Verfasser gilt, wie wir sahen (Anm. 165), die oberste Gattung selbst
schon als ein Product aus Stoff und Form, und es bleibt ihm daher
für jenen letzten höchsten Stoff, d. h. für die „reine Wesenheit" kein
anderes Prädicat als das blosse Sein, d. h. „esl" übrig182), genau
ebenso, wie auch (s. Anm. 170) jene Wesenheil, welche als Stoff den
Individuen zu Grunde liegt, nicht seihst schon einen Prädicats-Namen
hat, sondern ein solcher Collectiv-Name erst von den betreffenden Indi
viduen ausgesagt wird 183). Nun aber wird dieses Letztere auch auf
die Formen, d. h. auf die artmachenden Unterschiede ausgedehnt; es
wird nemlich in einer langen und äusserst zugespitzten Erörterung
gegen die gewöhnliche Annahme (Abschn. XI, Anm. 44, und Abschn.
XII, Anm. 87) dargethan, dass der artmachende Unterschied nicht unter
die Kategorie der Qualität fallen könne, da dann die Qualität in zwei
oberste Arten, nemlich in die Differenz und die übrige Qualität zer
fallen müsste, deren jede von beiden doch wieder nur durch einen
artmachenden Unterschied constiluirt werden könnte, welch letzterer
alier ja gleichfalls unter die Qualität fallen müsste, was er in keiner
Weise, weder als Gattung noch als Art oder Unterart, kann, sowie
auch es dann in keiner anderen Kategorie einen artmachenden Unter
schied geben könne, weil jede Species der Qualität (zu welchen ja
derselbe gehören würde) nur ein artmachender Unterschied innerhalb
der Qualität selbst sein könnte 184). Und wenn nun hiernach auch die
179) p. 548.: Concedo , ratimalitatem praedicari de homine in substantia ul
animal, sed illud ut formalem essentiam, aliud vero ut materialem; vere autem
assero, nuUam sirnplicem formam de alio praedicari substantialiter , qitam de his,
quae formaliter conslüuit.
180) p. 549.: Non esl diuersus effeclus materiamm, imo formarum Apparet,
quod ille e/fectus sequitur formas et non materiam.
181) p. 546.: JVe concedere cogamur, et materiam substantiae generalissimum
esse genus, et susceptibililatem contrariorum et quaslibet simplices formas esse species
Respondendum est, quod in difßnitione generis intelligendum est, td quod genus i
est debere praedicari de pluribus speciebus proxime sibi suppositis, quod quia deesq
illi materiae, idcirco non esl genus. ^
182) Ebend. : Possumus eliam dicere, quia illa mera essentia ad interrogationem
factam per quid convenienter non respondetur Si ergo quaeritur ,,quid esl substanlia",
respondeamus ,,est" ; neque enim polesl responderi per nomen „substantia",
rtamque non est nomen nisi materiatorum a substantia, vet ipsius substantiae per
translalionem supervacue responderi manifestum est.
183) p. 534.: Opponelur: illa essentia hominis , quae in me est, aliquid est
aut nihil Respondemus, lali essentiae nullum nomen esse datum nee per impo~
sitionem nee per translationem.
184) p. 54t.: Bestat nunc de differentiis , an alicui praedicamento sint arfscri-j.
bendae, an omnino a pracdicamen/is removendae iustius videantur (p. 542.)
Dicunt omnes, differentias esse in qualitate Quod si omnes differentiae in qualitate
tenenlur, differentiae specierum qualilatis in eodem praedicamento annumerandae
sunt, quod qualiter stare possit videamus. Praeceptum est Boethii in libro Divisionum
XIV. De generibus et speciebus. 151
das Wesen constituirenden Formen, selbst mit Berufung auf eine ein
zelne Stelle des Hoel.liii.is, gleichfalls aus dem Bereiche des Prädicats-
Verhältnisses ausgeschieden werden185), so bleibt der ontologische
Vorgang selbst, insoferne er auf Stofl' und Form beruht, dem Prädiciren
entrückt, und der Mensch bezeichnet durch Prädicate nur die
Producte des Vorganges, d. h. die einzelnen zusammengesetzten Dinge,
in deren Gebiet die Anwendung der Kategorien und hiemit auch die
Eintheilung in Substanz und Accidens ihre Stelle habe 186). So sind
wir allerdings wieder so ziemlich bei Scotus Erigena (s. vor. Abschn.
Anm. 105, woselbst in ähnlichem Sinne von der „Natur der Dinge" die
Rede ist, und Anm. 121, wo die Geltung der Kategorien hervortritt)
angekommen, wir verstehen aber eben darum auch, wie der Verfasser,
welcher als den Kern seiner Ansicht bezeichnet, dass das Allgemeine
nicht das Einzelne sei187), gegen alle Hauptrichlungen seiner Zeitge
nossen betrefl's der Universalien polemisiren kann, während er zugleich
mit allen sich gewissermaassen berührt.
Nun aber bildete, wie wir schon oben, S. 114, bemerkten, der
Streit über die Universalien immerhin nur einen Theil der gesammten
logischen Thätigkeit jener Zeit, und sowie uns auch Johannes v. Salesbüry
ausdrücklich bezeugt, dass ausser jener Frage es noch mehrere
andere Gegenstände üblicher Controversen gab 188), so müssen wir ver-
(s. ob. Anm. 118.) , omne genus per duas proximas species sufficienler naturalitcr
dividi. Duo ergo species sunt sub qualitale generalissima, in quas ipsum generalissimum
sufficienler distribuilur ; hae per adventum differentiarum in genus constiluunlur,
quo differentiae qualitates sunt, si omnes di/ferentiae praedicamento qualitalis annumerandae
sunt. Quod si esl, aut erunt ipsum generalissimum aut ipsae species dividentes
aut sub illis ipsis speciebus proximis continebuntur. Ipsum generalissimum
sui ipsius forma non est Item ipsae dif[erentiae species non sunt, quae ab ipsis
constitnimtur (p. 544.) quocunque modo dividas qualitatem, nulla species qualitatis
erit, qnam non sit necesse differentiam esse alicuü speciei qualitalis, quod
si verum est, nullius speciei alterius praedicamenti poterunt esse differentiae.
185) p. 545.: Videtur mihi, substantiales differentias in nullo praedicamento
esse, sed simplices formas tantum esse nee aliquo modo ex maleria et forma constare,
ipsas autem in subiectam materiam venientes naluram aliquam constituere, quamvis
a nullo constituantur Etiam Boethius (ad Ar. Praed. p. 130.) ... polentissima
confirmat auctorüate ila dicens: ,,cum tres substanliae sint , materia, species et quod
ex utrisque conficitur hie neque de sola specie neque de sola materia, sed de
utrisque mixtis compositisque proposuit" Ecce hie apertissime Boethius dicil,
subslanlialcm formam in praedicamento non esse.
186) p. 546.: Sensus est, quod res- ex materia et forma compositae in praedicamentis
sunt, res vero simplices in praedicamento non sunt; quod $i forte invenias
auctoritatem , quae videalur asserere, omnes res esse in praedicamento, de composilis
dici intelligas, illamque divisionem quae est ,,quidquid est, substantia aut accidens",
de compositis factam esse dicimus, simplices enim formas accidentia non appellamus.
Ueber Letzteres s. Anm. 191.
187) p. 547.: nostra sententia, quae nullum universale esse singulare recipil.
188) Joh. Saresb. Polycr. VII, 2 (Opp. ed. Giles IV) p. 87.: Sunt autem dubitabilia
sapienti, quae suis in utramque partem niluntur firmamentis; talia sunt,
quae quaerunlur de materia et motu et principiis corporum, de progressu multitudinis
et magnitudinis sectione, an terminos omnino nonhabeal (s. ob. Anm. 125 ff.),
de tempore et loco, de numero et oralione, de eodem ej divers», in quo plurima
attritio est, de dividuo et individuo, de substantia- et forma vocis, de statu
universalium , de usu et fine ortuque virtutum etc.
152 * XIV. Einzelne Controversen.
suchen, auch nocli betreffs der übrigen Theile der Logik die damalige
Zeilrichlung an der Hand einer fragmentarischen Ueberlieferung zu charakterisiren,
wodurch wir zugleich die Kennlniss jenes Terrains ver
vollständigen dürflen, in welchem sich Abälard's Leistungen bewegen.
Was hiebei zunächst die Kategorien betrifft, welche zwar von
Einigen geringschätzig behandelt wurden 189), so boten schon jene ein
leitenden Begriffe des aequivocwn , univocum und denominalivum (s.
oben Anm. 93) eine Veranlassung zu Meinungs-Verschiedenheiten dar 19°).
Sodann aber wurde die Gegenüberstellung von Substanz und Accidens
(Abschn. XII, Anm. 90) von Einigen besinnen, von Anderen aber ent
weder mit Beschränkung auf die concrelen Dinge der Natur gerecht
fertigt oder auf das blosse Prädicats-Verhällniss (vgl. Anm. 186) be
zogen oder selbst mit Verwechslung von Form und Accidens in den
Begriff des aus Theilen bestehenden Ganzen verlegt191). Auch die Er
örterung der einzelnen Kategorien gab manchen Stoff zu Controversen,
welche jedoch die Gränze des bei Boethius Vorliegenden nicht über
schritten; so halle sich bezüglich der Relation die Verschiedenheit der
platonischen und der arislolelischen Auffassung durch die Commentatoren
(Ahschn. III, Anm. 49, Abschn. IX, Anm. 3.1, Ahschn. XI, Anm. 71)
auch in die Discussion bei Boelhius forlgepflanzl (Abschn. Xll, Anm. 93),
und somit erscheint dieser Streitpunkt auch hier wieder192); auch
stritt man, ob nicht die Begriffe der Aehnlichkeil oder Gleichheit mehr
zur Qualität als zur Relation zu rechnen seien, sowie Einzelne sogar
189) Ebend. Melal. IV, 24 (Opp. V.) p. 181.: Alii detrahunt calegoriis.
190) Ebend. III, 2, p. 120.: Ex opinione plurium idem principaliler significant
(lenominutiva et ea, a quibus denominantur (nur Realisten können dies behauptet
haben). Abael. Dialecl. p. 481.: Nee aequivoca ex sola debenl praedicatione iudicari
, sed nee univoca propter eundem communionis causam Sunl aulem nonnulli,
qui .... non ad ea, quibus est imposilum vocabulum aequitiocum et de quibus
enuntialur, respiciunt, imo ad ea, ex quibus est imposilum, ut „ampleclor", cum
ad eandem personam, amplectentem simul el amplexam, aequivocwn dicalur secundum
diversarum proprietatum difftnitiones, aclionis scilicet el passionis, non ad personam
commune dicatur , sed ad proprielales , quas aeque designat.
191) Pseudo-Abael. d. inlell. b. Cousin, Fragm. philos. Par. 1840, p. 493.:
Quaerilur, an haec divisio „earum quae sunt, aliud est substantia aliud est accidens"
sit sufficiens. Quodsi concedalur, tunc, cum ralionalilas sit, oportet esse subslanliam
vel accidens; si aulem accidens fueril, polest adesse et abesse, quod falsum esl
Quidam dicunt, quod de quocunque verum est dicere „istud esl una res", de
eodem verum est dicere, esse subslantiam vel accidens; hi tarnen non concedunt, rem
unam debere dici, quod per opus hominum habet existentiam ut domus , nee quod
habet parles disgregatas ut populus Alii vero duobus modis dicunt divisionem
sufficienlem esse, praedicatione scilicet et continentia secundum naluram. Praedicatione
quidem v. g. animalium aliud est rationale aliud irrationale, haec divisio
est sufficiens praedicatione, quia de quocunque poterit dici „istud est animal", de
eodem slalim consequetur, esse vel rationale vel irrationale. Continentia ut tale
sil exemplum: domus alia pars paries alia lectum alia fundamenlum ; accidens
tarnen ibi large accipitur pro forma.
192) Abael. Dialect. p. 201 f.: Quae quidem difßnilio ab alia in eo maxime
diversa credilur, quod hanc Aristoteles secundum rerum naturam protulil, ittam vero
Plato secundum constntctionem nominum dedit Sunl aulem, qui quemadmodum
Plalonicam diffinilionem nimis laxam vituperant, ita et Arislotelicam nimis slriclam
appellant.
XIV. Einzelne Controversen. 153
die Kategorie der Lage (süus) zur Qualität zählten193), oder man
bezweifelte die Berechtigung der Kategorien ubi und quando, da die
selben aus den zur Quantität gehörigen Begriffen des Ortes und der
Zeit abgeleitet seien und somit z. B. dem Frageworte „qualiler" völlig
parallel stünden194), oder hinwiederum fragte man über die richtige
Unterordnung der Begriffe „Tod" oder „Schlaf" u. dgl. 195), oder man
stritt über die Auffassung des in den Kategorien mehrfach vorkommen
den magis vel minus, ob nemlich durch die Gradabstufung hloss das Sub
strat oder bloss die Eigenschaft oder Leides zugleich berührt werde196);
auch konnte bei solchen Gelegenheiten die principielle Parteisiellung
hervortreten , insoferne die Nominnlisten z. B. den Begriff „Gestern"
als ein Nicht-Seiendes bezeichneten 197), oder auch betreffs der Belation
und der Gegensätze ihren Standpunkt geltend machten, während die
realistische Ansicht ihrerseits dasselbe lliat198). Am häufigsten aber
scheint die Kategorie der Quantität besprochen worden zu sein, schon
darum weil dieselbe wieder auf die Fragen über den Theilbegriff (Anni.
193) Ebend. p. 204.: Sunt tarnen, qui ,,aequalis et inaequalis , similis el
disiimilis" inier qualitales conlrarias recipianl. p. 208.: lli vero, qui similitudinem
potius inier qualitates enumerant, ut magislro nostro V. (s. Amn. 102.) placuit.
(Die Quelle dieser Controverse ist Boeth. p. 157. im Vergleiche mit p. 187.)
Ebend. p. 201.: Vnus , memini, magister noster «tat, qui positionis nomen ad qua
litates quasdam aequivoce delorquerel. Hiezu Anm. 501.
194) Ebend. p. 199. : Videntur aiilem nee generalissima esse ,,ubi" vel ,, quando",
eo quod prima principia non videanlur ; quae enim ex alio nascunlur , prima non
videnlur principia, sed ipsa quoijue principia habent; ubi autem ex loco , quando
au/ cm ex (empöre originem ducunl Solei autem a multis in admirationem ac
quaestionem deduci, cur magis ex loci v r l temporis adiacentia praedicamenta innascanlur,
quam ex adkaerentia aliarum specicrum sive generum ; tarn enim bene ,, qualiler"
unius nomen generalissimi videlur sicul „ubi" vel ,, quando", cuius quidem speeies
bene vel male dicerentur sicul ,, quando" heri vel nudiuslertius vel ,,ubi" Bomae vel
Antiochiae esse. Die Quelle dieser Controverse ist ausser dem Abschnitte über die
Quantität, in welchem ja locus und tempus eine eigene Erörtermjg fanden (Koelh.
p. 146.), besonders der Commentar des Boelhius selbst, p. 190.: „quando" et
„ubi" esse non polest, nisi locus ac tempus fuerit.
195) Ebend. p. 402.: Solei autem de morte et vita quaeri, utrum in privationem
et habitum an potius in contrario recipiantur. p. 406.: St «n dormiente, inquiunl,
visio esset, videre eum oporlerel, si vero caecitas inesset, nunquam amplius
ipsum videre conlingeret.
196) Gilb. Porret, de sei princ. c. 8. (bei Arist. Opp. lat. Venel. 1552, l, f.
34.) : Dicitur autem „magis et minus suscipere" tripliciter ; aiunt enim quidam secundum
cremenlum et diminutionem eorum, quae suscipiunt, subiectorum; aliler autem
et alii , ipsa quidem, quae suscipiuntur , in suscipientt diminui et crcsccre, annuntiant;
alii autem secundum utrumque amborum diminutionem et augmenlalionem.
197) Abael. Dialect. p. 196.: „Heri'1 rei existenlis dcsignativum non videtur
sed fortasse hi, qui magis in speciebus rerum naturam quam vocabulorum
imposilionem altendunt, per „heri" quandam praesenlem adiacentiam designari volv.nl.
198) Ebend. p. 392.: Quod quidem mullos in hanc senlenliam induxil, ut contrarium
nomen lantum unieersalium , non cliam singularium, confiterentur , albedinis
quidem et nigredinis., non Im im, albedinis vel huius nigredinis; sie quoque et relatimm
el „privalio et habitus" nomina tanlum uitiversalium dicunt; relativa quidem
lantum universalite dicebanl ex relatione construclionis ; „habitus" quoque et „privatio"
universalium lanlum nomina dicunt , eo quod in individuis non possunt servari.
Ebend. p. 398.: Quidam lalem eum (sc. Boethium) divisionem innuisse dicunt, quod
contrario alia sunt genera alia specialiisima ; spccialissima vero sie subdividunlur,
ut eorum alia sub eodem genere, alia sub diversii contrariis ponanlur.
154 XIV. Einzelne Controversen.
125 ff.) hinüberführte. Wahrend die Nominalisten die Zahlbegriffe völlig
analog dem Uebrigen auffasslen und daher die einzelnen Zahlen als
Arien bezeichneten, deren Gattung die Zahl selbst sei199), verneinten
diess ihre Gegner, weil es hei den Zahlen an der zum Art- oder Gattungs-
Begriffe erforderlichen Wesens-Einheit der Natur fehle, und hier
nach die Zahlen nur als adjectivische Ausdrücke eines collectiven Ver
fahrens zu bezeichnen seien, welches Letztere man dann auch aufsämmlliche
Momente der Quantität anwendete, insoferne nur die einfa
chen Grundlagen derselben, nemlich die Begriffe des Punktes, des Eins,
des Augenblickes, des Buchstaben, des Ortes, eine Wesens-Realität
beanspruchen könnten, alles Uebrige aber auf blosse collective Aus
drücke sich reducire 20°); auch wurde von Einigen auf den Unterschied
hingewiesen, welcher bezüglich der Theilbarkeit zwischen dem Zeitbe
griffe und dem übrigen continuirlichen Theilbaren bestehe201).
In der Lehre vom Urtheile scheint häufig der ganze hauptsäch
liche Inhalt der Logik , soweit derselbe zum blossen Unterrichte der
jüngeren Schüler verwendet wurde, zusauimengefasst worden zu sein,
denn man verarbeitete das Buch De interpr. zu Compendien, zu ,,/ntroducliones"
oder zu einer „summa arlis", und indem man über die
Theile und Formen des Urlheiles, über Quantität, Qualität, Aequipollenz,
über Conlräres und Contradictorisches, über Wahrheit und Falschheit,
über Umkehrung und Modalität der Urtheile u. dgl. Regeln zusammen
stellte, suchle man das aristotelische Buch gleichsam schulgerechler zu
199) Ebend. p. 190.: Hi vero, quibus videlur,' in specialibus aul generalibus
vocabulis non solum ea contineri, quae una sunt naturaliler, sed magis ea, quae
substantialiter ab .ipsis nominanlur , possunt fortasse et ista (nemlich die einzelnen
Zahlbegrifle) species appellarc , quum videlicet magis logicam in impositione vocum
sequantur quam physicam in natura rerum investiganda.
200) Ebend. »p. 188 f.: Numerum aulem collecUonem unitatum determinant
Unde maxime magisri nostri sententia, mcmini, confirmabat, binarium ternarium ceterosque
numeros species numeri non esse nee numerum genus eorum, cuius videlicet
res una naturaliter non esset; liae namque duae unitates in hoc hominc Romae habilanle
et in illo qui est Antiocliiae, consistitnt atque hunc binarium componunt.
Quomodo una res in natura diceretur aut quomodo ipsae spatio tanlo dislanles unam
simul specialem seu generalem naturam recipient? Unde potius numeri nomen et binarii
et ternarii et ceterorum a collectionibus unitalum sumpta dicebant. Ebend. p.
179 f.: Harum autem (sc. quantitalum) aliae sunt simplices aliae compositae; simplices
vero quinque dicunt, punctum scilicet, unilatem, instans quod est indivisibile
temporis momentum, elementum quod est vox indindua, simplicem locum Hat
aulem tantum, quae simplices sunt, magistri nostri senlentia specialcs appellabal
naturas, eo videlicel quod sint unae natmaliter, quae parlibus carent; quae vero ex
his sunt compositae, composila individua dicebat nee una natmaliter esse — magisque
earum nomina sumpta esse a colleclionibus quibusdam.
201) Ebend. p. 186.: Ciim autem res singulae sua habeant tempora in se ipsis
fundata, sua scilicet momenta, suas horas, suos dies vel menses vel annos, omnes
tarnen dies simul existentes vel menses vel anni pro uno accipiuntur (p. 187.)
In aliis totis Mum posilum ponit partem et pars destructa perimit totum ....; in
(empöre vero e converso est, velut in die; &i enim prima est, dies esse dicitur, sed
non amverlilm; — at vero si dies non est, prima non est, sed non convertitur
In his itaque totis, quae per unam tantum partem semper existunt , illud
quod de inferenlia totius et partis Boelhius (de diffi- top. II, p. 867.) docet, non
admittunt.
XIV. Einzelne Controversen. 155
machen und mancherlei Ergänzungen oder Erweiterungen beizubringen 202).
In letzterer Beziehung aber ist uns Nichts näheres überliefert; hingegen
dass hieran sich auch wieder einzelne Controversen knüpften , ersehen
wir auch aus den beschränkten uns zugänglichen Quellen. So wurden
schon sogleich über den Begriff der vox significaliva (Abschn. XII,
Anm. 109) Schwierigkeiten erhoben, welche bezüglich der Fortpflanzung
des Schalles sich so sehr ins Abstruse verstiegen, dass Einige zuletzt
die Luft selbst als das Significante bezeichneten203). Nicht viel besser
ist die gelegentlich der Einheit der Bezeichnung aufgeworfene Frage,
ob ein Wort auch die Buchstaben, aus welchen es besteht, „bezeichnen"
könne 204). Eintlussreicher hingegen mochte es sein, — obwohl uns
weitere Consequenzen nicht überliefert sind — , wenn man beim nomen
eine scharfe Gränze zwischen signißcare und nominare zog, insoferne
ersteres auf die Allgemeinheit und letzteres auf das Einzelne gehe 205),
sowie vor Allem, wenn bei der Controverse, ob die Präpositionen und
Conjunctionen gleichfalls „bezeichnende" Worte seien oder gar nicht
zu den Redetheilen gezählt werden dürfen, die Dialektiker in Berührung
202) Joh. Saresb. Melal. III, 4, p. 130.: Quidquid in islo docetur libro (d. h.
De interpr.) , compendiosius et manifeslius poterit quilibet doctorum, quod et multi
faciunt , excepta reverentia verborum, in doctrinalibus parare rvdimentis, quas introducliones
vocant; vix est enim aliquis , qui haec ipsa non doceat adiectis aliis non
minus necessariis .... Percurrunt itaque, quid nomen, quid verbum, quid oralio,
quae species eius, quae vires enuntialionum, quid ex quanlitate sortiantur aut qualitate,
quae determinate verae sint aut falsae, quae quibus aequipolleant , quae consenliant
sibi, quae dissentiant, quae praedicala divisim, quae coniunclim praedicentur
aul conversim, et quae non, item quae sit natura modalium , et quae singularium
contradiclio p. 131.: Quis enim contentus est iis, quae vel Aristoteles in Periermeniis
docel? Quis aliunde conquisita non adiicü? Omnes enim tolius artis summam
colligunt et verbis facilibus tradunt. Vgl. unten Anm. 366.
203) Abael. Dial. p. 193.: Quomodo ergo eadem vox simul a diversis audiri
conceditur atque diversorum aures attingere? Sed ad haec quidem diversi diversas
proferuni solutiones. Hi quidem , qui audiri etiam remota volunt, dicunt, vocem
ante os proferentis remanenlem essentialiter secundum sensuum discrelionem ad aures
diversorum venire. Illi aulem, qui audiri nolunt nisi praesentia, hanc in voce physicam
considerant, quod, quando lingua noslra aerem perculit sonique formam ipsi
noslrae linguae iclus attribuit, ipse quidem aer, cum ab ore nostro emiltitur extertoresque
invenit aeres , ipsis etiam, quos reverberat, consimilem soni formam altribuit,
illeque fortassis aliis, qui ad aures diversorum perveniunt. p. 190.: Nostri
tarnen, memini, sententia magistri ipsum tantum aerem proprie audiri ac sonare ac
significare volebat. Vgl. unten Anm. 499.
204) Ebend. p. 488.: Totum constat ex suis parlibus, vox ex suis non constituitur
signißcalionibus , et fit quidem dimsio totius in partes , vocis vero non in
signißcationes. Nam etsi hoc, in quibusdam vocibus conlinoat, ut scilicet ex suis
iungantur signißcationibus , ut hoc vocabulum quod esl ,,ens" ex litteris suis, quas
etiam significal, non tarnen id ad naturam vocis , sed lotius referendum est; in eo
enim quod ex eis constat, totum est earum, non eas siiinifcans. Est eliam et alia
quorundam solutio , ut scilicet concedant, nullam vocem coniungi ex signißcationibus
diversis, ad quas videlicct diversas impositiones secundum acquivocationcm habeat ;
neque enim ,,ens" ad quaelibet plura dicunt aequivocum, sed tantum ad diversorum
substantias praedicalorum, unde de litteris, quae in eodem claudunlur pracdicamento,
aequivoce non dicitur.
205) Joh. Saresb. Melal. II, 20, p. 100.: Quod fere in omnium ore celebre est,
aliud scilicet esse quod appellativa significant et aliud esse quod nominant; nominantur
singularia , sed universalia significantur.
156 XIV. Einzelne Controversen.
mit den Grammatikern kamen, unter welchen die Einen einseitig für
Letzleres sich entschieden, Andere aber auch die Interessen der Logik
berücksichtigten und hiedurch eine Vereinbarung ermöglichten, wornach
für jene Redetheile (etwa ähnlich wie bei dem Verfasser De gen. et
spec., s. Anm. 174) ihr späterer Eintritt in die Logik wenigstens vor
bereitet werden konnte206); gleichfalls einem Einflüsse der Grammatik
(möglicher Weise durch Bernhard v. Chartres, s. Anm. 89) kann die
Terminologie zugeschrieben werden, wornach man Urtheile, wie z. B.
„Mensch ist ein Substanliviim" als „materialiter imposita" oder als Ur
theile „de signißcante et significato" bezeichnete 201). An der Frage
über das Wesen der Affirmation und Negation konnte wieder der Par
tei-Gegensatz hervortreten, indem die Einen sich an die Sprachform,
Andere an die Begriffe, Andere an die objective Realität hielten208).
Auch bei manchen einzelnen Punkten, welche im Commentare des Boethius
sich erörtert fanden, entschied man sich bald für bald gegen die
Auctorität desselben, so z. B. betreffs der Einheil des Urlheiles209),
oder bezüglich der Zerlegung des Verbums in die Copula und ein Parlicipium210),
oder bei den Urlheilen , in welchen das „est" nicht die
206) Abael. Dialecl. p. 216.: I'racpositiones et coniunctioncs de rebus eorum,
quibus apponuntur1 quosdam intellectus facere videntur , atque in hoc imperfecta
earum signißcatio dicitm , quod — ipsa quoque res , de qua intellectus habetur , in
huiusmodi dictionibus non tenelur sicut in nominibus et verbis , quae simul et res
demonslrant Unde certa apud grammaticos de praepositionibus sentenlia exstitit,
ut res quoque eorum, quorum vocabnlis apponunlur, ipsae designarenl Unde
illa quorundam dialecticorum sfntentia potior videlur , quam grammalicorum opinio.
quae omnino a partibus orationis huiusmodi voces , • quas signißcativas esse per se
non iudicavit, divisil ac magis ea quaedam supplemenla ac colligamenla (s. Abschn.
XII, Anm. 43, 60. u. 111.) partium orationis esse dicil (p. 217.) Sunt etiam
nonnulli , qui omnino a signißcativis huiusmodi dictiones removissc dialecticos adstruant.
207) loh. Saresb. Metal. III, 5, p. 137. : Interdum tarnen dictionem rem esse
contingit, quum idem sermo ad agendum de se assumitur, ut in iis , quae praeceptores
nostri materialiter dicebant imposita et dicibilia, quäle est ,,homo est nomen,
currit est verbum." Abael. Dial. p. 248.: Quidam tarnen transitivam grammalicam
in quibusdam propositionibus, esse volunt, qui quidem propositionum alias de
consignificantibus vocibus, alias vero de significante et significato fieri dicunl, ul sunt
illae, quae de ipsis vocibus nomina sua cnuntiant hoc modo ,,homo est nomen vel
vox vel disyllabum". Vgl. Anm. 618.
208)' Abael. Dialect. p. 404.: Quidam aulem per ,,iacere sub affirmatione et
negatione" finitum et infinitum vocabulum accipiunt, ut ,,sedel, non sedet" ; quidam
vero inlelleclus ab afßrmalione et negatione generalos (s. Anm. 175.); sed nos potius
ea, quae ab af/irmatione et negalione dicuntur accipimus , essentias scilicel rerum,
de quibus per afßrmalionem et negationem agitur. Nicht recht verständlich aber
ist Joh. Sar. Metal. II, 11, p. 81.: expcdil dialeclica quaesliones , quäle est, an
affirmare sit enuntiare (umgekehrt an enuntiare sit afßrmare hätte eher einen er
denklichen Sinn), et an simul exstare possil conlradictio .
209) Abael. Dial. p. 298.: Sunt autem, qui adstruant, diversa accidentia unam
enuntialionem facere, cum talia sumuntur, quae ad diversa referuntur , veluti st
dicatur ,,homo cilharoediu bonus" (s. Boelh. p. 419.).
210) Ebend. p. 219.: Idem dicit „homo ambulat", quantum proponit „horno
est ambulans" (ßoeth. p. 429.). Sed ad hoc, memini, magister nosler V. opponere
Kolel: si , inquit , verbum propriam significationem inhaerere dicit, verum autem sit,
eam inhaerere, profecto ipsum verum dicil ac sensum proposilionis perficit.
XIV. Einzelne Controversen. 157
factische Existenz des Subjectes involvirt 211), oder bei der Frage über
das Quanlilätsverhältniss zwischen Subjecl und Prädicat212), woran
sicli auch grammatische Spitzfindigkeiten anknüpfen konnten213). Ja
auch jene richtige Vervollständigung, welche die aristotelische Schrift
De inlerpr. durch Boethius in den Angaben über das „unbestimmte Urtheil"
gefunden hatte (Abschn. XII, Anm. 115), wurde von den Einen
gerechtfertigt, von Anderen aber verworfen, unter welch letzteren uns
ein Magister „V.", welcher „Glossulae super Periermenias" schrieb, ge
nannt wird214). Bezüglich der modalen Urtheile, — s. Abschn. XII,
Anm. 119, die Terminologie „modalis" erscheint nun als völlig recipirt
— , ist es wahrlich eine eigenlhümliche Auffassung, wenn Einige
dieselben derartig von den nicht-modalen ableiteten, dass nicht der thatsächliche
Inhalt, sondern der Sinn der Aussage durch die Worte „mög
licherweise" oder „nothwendigerweise" modilicirt werde, oder wenn
Andere sagten, die Möglichkeit oder die Notwendigkeit selbst seien in
solchen Urlheilen das Prädicat 21ä); auch war der Unterschied zwischen
211) Ebend. p. 223 f.: Unde quidam, mm dicitur Homero quoque defunclo
„Homerus est poela" (ßoelh. p. 423.) „esse" quoque, quod inlerponitur , in
designalione non exiitentium valv.nl uccipi — Noslri vero senlenlia magistri non
secundum verbum accidentalem dicebal praedicationem, sed secundum totius conslruclionis
significaluram et impropriam locutionem Sed quaeritur in illa significativa
loculione „Moments est poela", cuius nomen „Homerus" aul „poela" accipialurat
uero, si hominis, falsa est emmlialio eo defuncto, si vero poematis, .... esl novu
vocis aequivocatio.
212) Ebend. p. 247.: In his aulem quae secundum accidens praedicantur nee
lotam subiecti substantiam continenl, sed in parte tantum subieclum atlingunt (lloc/li.
p. 263.), .... non est necesse, praedicatum vel maius esse subiecto vel acquale,
veluli cum dicitur ,, animal est homo" vel ,,quiddam animal est homo" (vgl. Koelh.
p. 562.). Quamvis tarnen et hie quidam concedunt, animal quod subiicitur non esse
maius homine, dicunt enim, quia animal, quod homo est, ibi subiicilur, quod non
est maius homine.
213) loh. Saresb. Metal. II, 20, p. 101.: Quia „omnis homo düigit se", quodsi
ex relativae dictionis proprietate discutias, incongrue dictum forte causaberis et falsum,
siquidem sine collective sive distributive accipiatur , quod dictum est
,,omnis" pronomen relativum, ,,se" quod subiungilur nee universilati singulorum
nee alicui omnium veraciler apletur. Est igitur licentiosa relatio .... (p. 102.) unde
ex senlentia eorum, qui angustiis et subtilitatilius semper insistunt nee bonae ßdei
ralionem in colloquiis aul Icctionibus curanl, haec potius enunliationis forma est,
qttam regularis formae enuntiatio.
214) Abael. Dialect. p. 225.: De orationibus vero inftnitis quare hoc loco Arislotelei
mentionem non fecerit , solel quaeri . . . Alu ilaque Arislotelem simplicis
enuntialionis constitutionem demonslrasse hoc loco volunt, alii vero nullo modo orationem
inftnitari (dieses Wort begegnet uns hier zum ersten Male) concedunt, quibus,
memini, magister nosler V. asscntiebat; nee quidem id lam secundum sententiam
negabat, quam secundum constructionis naturam, cuius quidem invalidam de
coniunctionc dictionum calumniam in Glossulis eins super Periermenias invenies.
215) Ebend. p. 267.: Bestal, qualiler modales proposiliones ex simplicilms
descendere conßteamur ; esl antem magistri nostri sentenlia, eas ita ex simplicibus
descendere, quod de sensu earum aganl , ut, cum dicimus ,,possibile esl Socralem
currere vel necesse", id dicamus , quod „possibile est vel necesse, quod dicit ista
propositio: Socrales currit". Ebend. p. 273.: Haec enim ,,quendam hominem non
est possibile esse album" secundum magistri praedictam expositionem, quae de sensu
simplicis agit, sie ,,non est possibile, quod dicit Itacc propositio: quidam homo est
alias". Ebend. p. 277.: Quidam aiutit, per possibile possibüitalem praedicari, per
158 XIV. Einzelne Controversen.
possibile und conlingens offenbar ebensosehr ein Gegenstand von Con
troversen geworden216), wie andrerseits die Aequipollenz der modalen
Urlheile 217), oder wenn Boelbius bei der Unterordnung des disjunctiven
Urlheiles unier das hypolhetische (Abschn. XII, Anm. 141) nur die
Form „Aul A esl aul H eil" im Auge gehabt halte, so wollten nun
Einige diess durch eine syntaktische Keduction auch auf die Form „A
esl aul B aul C" ausgedehnt wissen218).
Aus dem Bereiche der Syllogistik dürfen wir von vornelierein
keine derartige Controversen-Lilteralur erwarten, denn die betreffenden
Compendien des Boelhius sind gleichsam blosse schulmSssige Formulare,
welche keine Gelegenheit zu Meinungsverschiedenheiten darbieten , die
arislolelisclie Analytik hingegen wurde, wie wir sahen (Anm. 8—34),
eben damals erst allmälig bekannt und ermangelte selbst dann noch
einer solchen commentirenden Zurichtung, wie sie für die anderen
Theile der Logik längst vorhanden gewesen war. Doch findet sich
wenigstens bei Johannes v. Salesbury eine Noliz, wornach jene äusserst
schwierige Stelle der erslen Analytik belreffs der Umkehrung modaler
Urlheile (Abschn. IV, Anm. 246) zu besonderer Erwägung gekommen
zu sein scheint, irisoferne man die dortigen Begriffe der Naturbestimmt
heit, des Möglichen und des Nicht-slallfindens durch eine eigene Ter
minologie (maleria naluralis, conlingens, remola) zu bezeichnen für
nölhig fand219). Aus derselben Quelle erfahren wir auch, dass die aus
modalen Urlheilen bestehenden Syllogismen , welche bereits Abälard ge
kannt hatte (Anm. 17), nun sowohl bei den Theologen als auch"in den
Schulen der Dialektik häufig in Anwendung gebracht wurden220). .Ein
necessilatem , ut , cttm dicimus ,, possibile esl Socralem esse vel necesse",
possibilitatem aul necessilatem ei altribuamus.
216) loh. Sar. Melal. IV, 4, p. 161.: „Conlingens", cuius lalissimus usus,
quo „possibili" aequabalur (s. Abschn. XII, Anm. 119.), in communi modernorun
usu parietes scholarum nusquam egredilur.
217) Mini'l. Dial. p. 275.: Quidam in his propoiitionibus (Abschn. XII, Anm.
122.) dicunl , quod si possibile est vel necesse esl, Socratem non esse equum,
possibile esl vel necesse est, esse non equum — In universalibus non ila concedunt,
ul videlicel \lanlundem valeal „non" ad „esse" praeposilum, quanlum id , quod
,,esse" copulal compositum.
218) Ebend. p. 442.: Sunt lamen qttidam, qui nee dismlimem ullam inlcr
cateyoricam et hypothelicam in disiunctione compositas habent, sed idem dicunl proponi,
cum dicilur „Socrates esl vel sanus vel aeger", et cum dicilur „aal Sacrales
esl sanus aul aeger", ut scilicel omnis enitnliatio, quae disiunctas recipit coniiutcliones,
hypothetica credutur; volunl itaqtie semper in huiusmodi categoricis, quae
disiunctiones recipiunl, hypolheticae sensum inlelligi, veluti cum dicilur „Socrales
esl sanus vel aeger", lale esl ac si dicotur „aul Socrates est sanus aul Socralts
esl aeger".
219) loh. Sar. Melal. IV, 4, p. 160, woselbst in einer Inhalts-UebersiciU
der ersten Analytik auch Folgendes vorkömmt: quid in loto esie aul non esse;
quas proposiliones ad usum syllogizandi converli contingat et quas non; quidve oblineal
in his , quae modernorum (s. Anm. 55.) t/su dicunlur esse de nalurali male
ria aut contingenti aut remota; quibus praemissis trium figurarum subneclit raliones
etc.
220) Ebend.: Deinde habita modalium ralione Iransil ad commixliones quae de
necessario sunt aul contingenli cum his, quae sunl de inesse .... Expositores vero
divinae paginae ralionetn modorum pernecessariam eise dicunl Ksl txim modits,
XIV. Einzelne Controversen. 159
gelegentlich einmal erwähnter Fangschluss bezüglich der Möglichkeit
des Künftigen ist aus Cicero nachgebildet221).
Dass hingegen wieder die Top i k sich einer ausgedehnteren und
mannigfaltigeren Bearbeitung zu erfreuen hatte, geht schon im Allge
meinen aus dem Werke Abälard's hervor, welcher bei den einzelnen
Topen sich so äussert, dass er überall schon eine bestimmte Anzahl
formulirter „Regeln" vorgefunden haben muss, in welche man in den
Schulen die Angaben des Boethius (De diff. lop.) redigirt hatte222);
auch versuchten von jener Zeit an, in welcher die aristotelische Topik
wieder hervorgezogen wurde (ob. Anm. 28 f.) in der That Einige eine
Bereicherung dieses Zweiges der Dialektik durch Auffindung neuer Topen
und neuer „Regeln"223), zugleich aber mochte sich auch eine richtige
Einsicht über die Stellung und Bedeutung der Topik verbreiten 224).
Doch blickten auch hier die allgemeinen Differenzen des Standpunktes
durch, wenn die Einen einseitig mehr die einzelnen Begriffe abgesehen
vom Sprachausdrucke225), Andere aber nur die innere Nothwendigkeit
der Abfolge in der Argumentation betonten220), wieder Andere hin
gegen gerade die subjektive Wahrscheinlichkeit berücksichtigt wissen
wollten227). Sodann aber knüpften sich mannigfache Controversen auch
an einzelne Topen oder Regeln an 228).
ul iüiii/1, quasi quidam medius habitus terminorum (vgl. Abschn. XII, Anrn. 150).
Et profecto licet nullus modos omnes, vnde modales dicuntur, singulatim enumerare
sufficiat, quod quidem nee ars exigit (s. ebend. Anm. 163.), turnen magistri scliolarum
inde commodissime disputanl. Vgl. unten Anm. 623.
221) Ebend. Polycr. II, 23, p. 125.: Restat tibi illius Stoici lui quaeslio ....
Quaerebat enim, an posses aliquid facere eorum, quae minime facturus es etc. Vgl.
Abschn. VI, Anm. 136. u. 164.
222) Abael. Dialect. z. B. p. 334. (sunt igitur quutuor huius inferentiae regu
lae), p. 353. (regulae anlecedenlis et consequenlis), p. 375. (regulae ab interpretatione),
p. 376. (tres autcm regulas a genere in usum duximus) n. s. f. durch die
ganze Topik hindurch.
223) loh. Sar. Melal. III, 9, p. 145.: JVon omnes tarnen locos huic operi (d.
h. Boeth. de diff. lop.) insertos arbiträr, quia nee potuerunt, quum cl a modernis
huius praeeunte beneftcio aeque necessarios evidcntius quolidie doceri conspiciam.
Ebend. 6, p. 138.: IVon tarnen huic operi (d. h. der aristotelischen Topik) tantum
tribuo , ut inanem repulem operam modcrnorum , qui equidem nascentes et convalescentes
ab ArisMele invenlis eins mullas adiiciunl rationes et regulas prioribus aeque
ßrmas.
224) Ebend. 5, p. 134.: scientia Topicorum ex opinione mullorum dialeclico
et oratori principaiiter facit.
225) Abael. Dialect. p. 426. : Dicuntur in argumentis ea, quae a propositionibus
ipsis significuntur , ipsi quidem inlelleclus , ut quibusdam placel, quorum conceptio
sine etiam vocis prolalione ad concessionem alterius ipsum cogit dubitanlem.
226) Ebend. p. 427.: Sunt autem, memini, qui verbis auctorüalis nimis adliaerenles
omne necessarium argumentum in se ipso necessarium dici velint.
227) Ebend. p. 335.: Sunl autem quidam, qui non solum neccssarias consecutiones,
sed quaslibet quoque probabiles veras esse faleantur; dicunl enim, verilatem
hypothelicae proposilionis modo in necessitate modo in sola probabilitale consislere
, in qua quidem sententia magistrum etiam nostrum deprehensum doleo
(p. 336.) dicunl tarnen, quia omne quod probabile est, verum est, saltem secundum
eum , cui est probabile.
228) So wollten Einige zu den maximae propositiones (Abschn. XII, Anm. 165.)
auch die Hauptregeln des kategorischen Unheiles beigezählt wissen (Abael. Dial.
p. 539 f.), Andere dieselben noch weiter ausdehnen (ebend. p. 366.), oder man
160 XIV. Einzelne Controversen. Abälard.
Bedenken wir aber nun, dass fast Sämmtliches , was wir bisher
vorzuführen hatten, nur aus zwei Schriftstellern, nemlich aus Ahälard
und Johannes von Salesbury, von welchen uns zufällig grössere Werke
erhalten sind, entnommen werden musste, und daher bei reicherem
Quellensloffe wir jedenfalls noch weit Mehreres kennen lernen würden,
sowie auch dass jede der angeführten Einzelheiten seitens ihres Ver
treters auf einen Betrieb des gesammlen Umkreises der damaligen Logik
zurückschliessen lässl, so werden wir, was die Exlension der logischen
Thäligkeit jener Zeit, namentlich in Frankreich, betrifft, unsere Vor
stellung kaum hoch genug spannen können. Anders allerdings mag es
sich, gleichsam zur Bekräftigung einer bekannten allgemeinen Wahr
nehmung, mit dem Momente der Intension verhalten, denn wirkliche
Selbstständigkeit, geschweige denn eine philosophische Auffassung, be
gegnete uns nirgends. Sowie das Mittelalter überhaupt von dem äusserlich
aufgedrungenen Materiale einer Tradition abhängig war und blieb,
so giengen auch die zahlreichen Controversen der Logik nicht von einem
inneren Impulse aus, sondern beruhen auf einer von Aussen durch den
"Stoff der Schultradition gegebenen Anregung, auf welche sie gleichsam
warten mussten, um überhaupt zum Vorscheine zu kommen. So rnussten
wir ja auch die Vertreter der hervorragendsten Partei-Ansichten ihres
Ruhmes entkleiden, als hätten sie von sich selbst aus Bahn gebrochen;
denn irgend vereinzelte und herausgerissene Stellen des Boethius, auf
welche man sich eben warf, zeigten sich uns (Anm. 105, 129, 134,
170) als die Ausgangspunkte, nach welchen dann das Uehrige gereckt
und gestreckt wurde. Und wenn unter unseren Händen vielleicht auch
Abälard einem ähnlichen Schicksale nicht entgeht (Anm. 286), so ist
diess nicht unsere Schuld, sondern liegt in der geschichtlichen Wahr
heit als solcher begründet.
Eben jene Erwägung, dass in jener Zeit einerseits eine sehr grosse
Menge von Lehrern sich mit dem überlieferten Stoffe der Logik bis in
das einzelste Detail hinab beschäftigte, und andrerseits eben durch die
traditionelle Litteratur alle derartigen Erzeugnisse bedingt und geführt
waren, müssle uns schon von vorneherein in unserem Urtheile über
Abälard (geb. 1079, gest. 1142) zur Vorsicht auffordern, und in der
Thal auch wird uns die nähere Einsichtnahme seiner Leistungen im
Zusammenhalte mit jenen seiner Zeitgenossen vor einer allzu grossen
Ueberschälzung desselben bewahren 229). Während wir nemlich bezügverlegte
das antecedens und consequens in die einzelnen Glieder des Schlusses
(ebend. p. 353 f.), oder man beschränkte den locus a praedicalo bloss auf kate
gorisch-hypothetische Urtheile (p. 381.), während Andere ihn nur als Beweisgrund
des locus a genere gelten Hessen (p. 384.) ; auch wurde über letzteren Topus
selbst wieder mannigfach gestritten , ob er unbedingt gelte (p. 378.) oder nur
causal zu verstehen sei (p. 386.), und ähnliche Controversen betrafen den locus
ab efficiente, bei welchem Theologisches mitspielte (p. 413.) oder den locus ab
inlerpretatione , in wie weil derselbe mit etymologia zusammentreffe (p. 375.).
229) Insbesondere scheinen die französischen Gelehrten zu einer Ueberschätzung
ihres Landsmannes geneigt zu sein, worin es ihnen unter den Deutschen Schlosser
zum mindesten gleichthut. Das umfassende Werk von Charles de Rtmusat, Abflard
(Paris 1845) 2 Bände, ist im biographischen Theile das Beste, was wir in
der neueren Litteratur über Abälard besitzen, hingegen treten bei Entwicklung der
XIV. Abälard. 161
lieh der Ethik in Abälard mil Freuden einen Ketzer seiner Zeit erblicken
und anerkennen, seine theologischen Verdienste aber der Geschichte
der Theologie überlassen müssen, wird sich uns zeigen, dass er auf
dem Gebiete der Logik nicht selbstsländiger sich bethätigte als vielleicht
hundert Andere in jener Zeit 23°). Allerdings besass er eine grosse
Lebhaftigkeit des Geistes und vor Allem eine ausserordentlicbe Gewandt
heit in rhetorischer Darstellung, er warf sich, sowie auf Alles, was
er ergrifl', so auch auf die Dialektik mit passionirtem Eifer, und trat
sofort als äussersl anregender Lehrer auf231); auf Leichtigkeit des Ver
ständnisses war dabei sein hauptsächliches Augenmerk gerichtet, indem
er auch in der Wahl des Sloll'es sich den Ansprüchen der Schüler an- •
bequemte23'2), und es ist erklärlich, dass er darum mehrfach aufge
fordert wurde, seine logische Lehrgabe zum Nutzen Anderer zu bethätigen
233). Aber nur dieser seiner formellen Virtuosität verdankt er
Lehre die geschichtlichen Voraussetzungen, welche in den allgemeinen Bestrebungen
jener Zeit lagen, vielleicht zu sehr gegen die persönlichen Verdienste Abälard's in
den Hintergrund, wozu bezüglich der Dialektik noch der schon oben (Anm. 49,
vgl.. 148) gerügte Uebelstand hinzukömmt. Die Darstellung, welche Abälard bei
H. Ritter (Gesch. d. Phil. VII, \i. 406 IT.) gefunden hat, müssen wir unumwunden
als eine misslungene bezeichnen. /
230) Es kann nicht oft genug daran erinnert werden, dass unsere ganze Un
tersuchung lediglich von dem quantitativen Maasse unseres Quellen-Materiales be
dingt ist. Und hierin besteht zwischen Abälard und den übrigen Dialektikern seiner
Zeit nur der Unterschied, dass von Ersterem zufalliger Weise uns sehr Vieles er
halten ist,, v. uriiiidi wir bei ih'in im Stande sind, seinen Grundgedanken in reicherer
Gliederung zu erkennen und durchzuführen, was bei Letzteren uns unmöglich ist.
Aber diesen unserer Darstellung günstigen Vortheil in einen objectiven Vorzug Abä
lard's umzusetzen, müssen wir uns hüten.
231) Dass er ein Schüler des Roscellinus, aber auch des Wilhelm von Champeaux
war und ausserdem bei allen übrigen hervorragenden Lehrern Anregung
snchte und fand, s. vor. Abschn. Anm. 314. u. in diesem Abschn. Anm. 102. u.
104. Von seinem Auftreten als Lehrer erzählt er selbst, Epist. l, c. 2, p. 4.
(Amboes.): Peneni (ändern Parisios .... Factum tandem est, ut supra vires aetalis
meae de ingenio meo praesumens ad scholarum regimen adolcscentulus adspirarem et
looum, in quo id agerem, providerem, insigne videlicet tunc temporis Meliduni castrum
et Sedem Regiam (p. 5.) Ab hoc autem scKblarum nostrarum exordio ita in arte
dialectiffa nomen meum dilatari eoepit, ut non solum condiscipulorum meorum, verum
etiam ipsius magistri (d. h. Guilelmi Campellensis) fama contracta paullatim exstinguerelur
(p. 6.) Tunc ego Melidunum reversus scholas ibi nostras, sicut antea,
conslilui Meliduno Parisios redii, . . . extra civitalem in monte S. Genovefae scholarum
nostrarum caslra posui.
232) Joh. Saresb. Hetal. III, l, p. 116 (ed. Giles): Sie omnem librum legi
oportet , ut quum facillime potesl eorum, quae scribuntur, liabeahtr cognitio; non
enim occasio qunerenda est ingerendae difficultatis , sed ubique facilitas generanda.
(Ji'.i'M morem scculum reeolo Peripatelicum Palatinum; inde est, M opinor, quod se
ad puerilem de yeneribus et speciebtts, ut pace suorum loquar , inclinavit opinionem,
malens instruere et promovere suos in puerilibus, quam in gracitate philosophorum
etse obscurior; faeiebat enim studiosissime , quod in omnibus praecipit fieri Auqustinus
, t. e. rerum intellectui serviebat.
233) Abael. Introd. ad theol. I, Prol. p. 974. (Amboes.): Ad has itaque eontroversias
äissolvendas cum me sufficere arbilrarmtur, qtiem quasi ab ipsis incunabulis
in philosophiae sludiis ae praecipue dialecticae, quae omnium magistra rationum
videtur, conversatum scianl atquc experimento, ut aiunt, didicerint, iinanimiter po&tulant
, ne lalentum mihi a domino commissum miilliplicare differam. Epist. l, c. 2,
p. 5. : Non multo autem interiecln tempore ex immoderala sludii afflirlione KOTPB*
NTL, Gesch. II. H
162 XIV. Abälard.
den Beinamen „Peripalelicus Palalinus", denn einerseits galten seinen
Zeitgenossen die Worte „Peripaletiker" und „Logiker" als synonym, da
man ja von Aristoteles überhaupt ausser dem Organon Nichts kannte,
und es bezeichnet jener Ausdruck nur eine sehr einlässliche oder be
sonders wirksame Beschäftigung mit diesen aristotelischen Schriften 234),
ohne dass man dabei etwa an eine volle Durchführung des aristoteli
schen Principes dachte ; andrerseits aber hat Abälard selbst wohl einen
glücklichen Fund gemacht, wornach er an Eine bei Boelhius vorliegende
Stelle die Berechtigung der aristotelischen Lehre vom Urlheile anknüpfen
konnte; hingegen stellt er sich darum durchaus nicht auf das Princip
des Aristotelismus, sondern versteht die Ontologie schlechthin nur nach
dem Sinne Plato's. Ja noch mehr; in Abälard zeigt sich uns die ganze
Unklarheil, welche dem damaligen Miltelalter in allen eigentlich principiellen
Fragen anklebt, gleichsam als eine in rhetorischer gewandter
Form verkörperte, denn er bietet uns das merkwürdige Schauspiel dar,
dass er in Einem Athemzuge christlicher Trinitäts-Theologe und meta
physischer Platoniker und logischer Arisloteliker und dazu noch rheto
rischer Ciceronianer ist, eine haarsträubende Mischung, welche natürlich
von seinen Zeitgenossen nicht als etwas Monströses erkannt, sondern
im Gegentheile zu seinem grüsslen Ruhme gewendet wurde 2S5).
Von der schriftstellerischen Thätigkeit Abälard's, soweit dieselbe
dem Gebiete der Logik angehört, war früher nur die „Invecliva in
quendam ignarum dialeclices" zugänglich236), .bis in neuerer Zeit be
kanntlich Cousin sich das Verdienst erwarb, aus Pariser Handschriften
nicht hloss ein grusseres die gesaminie Logik umfassendes Werk Abä
lard's, welchem er den Titel „Dialectica" gab, sondern auch mehrere
Coramenlare desselben, neinlich Gtossae in Porphyrium, Glossae in
Calegoriai, Gl. in libr. de interpr., Gl. in Topica ßoelhii, zu veröffent
lichen237); hiezu kam noch durch Remusal die Hinweisung auf einen
zweiten Commentar zur Isagoge, die „Glossulae super Porphyrium",
welche bezüglich einiger Punkte zu dem Wichtigsten gehören 23S).
replus infirmitale coactus sum repabiare, et per atmos aliquot a Frantia quasi remotus
quaerebar ardenlius ah iis, quos dialectica soHicitabat duclrina.
234) loh. Saresb. a. a. 0. l, 5, p. 21.: Peripatelicus Palalinus, qui logicae
opinionem praeripuil omnibus coelatuis suis adeu, ul solus Arislotetis crederelur
usus colloquio.
235) In der von Petrus Venerabilis verfassten Grabschrifl Abälard's (hei Abael.
Opp. ed. Amboes. p. 342.) kommen folgende Worte vor : Gallorum Socrates , Plato
maximus Hesperiarum , Noster Aristoteles, logicis , quicunque fuerunl , Aul par auf
tni'liin Ad Christi veram transinil philosophiam; in einem anderen von Ba\vlinson
gefundenen Epitaphium (bei Remusal a. a. 0. I, p. 271.) beisst es: Plangit
Arislotelem sibi togica nuper ademptum, Et plangit Socratem silri moerens ethüa
ilemptum , fhysica Platonem , facundia sie Ciceronem.
236) Abael. Opp. ed. Amboesius (Paris. 1616. 4l, '-p. 238 ff.
237) Ouvrages infdils d'Abelard, publies par V. Cousin. Paris 1S36. 4, wo
selbst die Dialectica p. 173—497. (mehrere Partien jedoch nur im Auszuge abge
druckt), die Glossen p. 551—610. Ein nicht zu billigendes Verfahren aber ist
es, dass Cousin zu den einzelnen Theilen der Dialektik eigenmächtig Titel-Ueberschriuen
schuf, welche den Leser eher verwirren als unterstützen; das Richtige
hierüber s. unten Anm. 273 ff.
238) Abelard. par CA. de flemitsat II, p. 97 ff. Je bedeutsamer aber das
XIV. Abälard. 163
Verloren hingegen isl eine für den erslen dialektischen Unterricht der
Anfänger verl'assle Schrill, welche von Abälard selbst mehrmals citirl
wird und (im Zusammenhange mit einer überwiegenden Belonung der
Topik) die Ueberschrifl „De loco et argumentatione" gehabt zu haben
scheint2311); dieses nemliche Werk ist es jedenfalls, welches an zwei
anderen Stellen unter einem bis zur Unkenntlichkeit verschriebenen
Kamen genannt wird 24°). Wenn er ferner wieder anderwärts sich so
ausdrückt, als habe er unter dem Titel „Grammalica" noch eine aber
malige Umarbeitung der Kaiegorienlehre verfassl '24'), so scheint es
wenigstens nicht unmöglich zu sein, dass er an grammatischen Begriffen
die logische Seite erörterte, denn sowie wir schon oben (Anm. 206 f.)
ein gewisses Ineinandergreifen beider Disciplinen trafen , so wird auch
bei Abälard selbst mehrfach eine Rücksicht auf I'riseianus genommen
(s. unten Anm. 250, 263 u. bes. 272).
Abälard steht als Theologe vollständig auf dem mittelalterlicheit
Standpunkte bezüglich der Wertschätzung der Dialektik. Hit Berufung
auf jenen so häufig angeführten Ausspruch Augustin's 242) gesteht er
dort Mitgelbeilte gerade für die logische Parteitage ist , desto mehr müssea wir
es beklagen, dass Remusat (mit einer einzigen Ausnahme) nicht den lateinischen
Originaltext der von Ravaisson gefundenen Handschrift andrucken liess, sondern
eine französische Paraphrase der Hauptslellen in seinen darstellenden Text TeTllocht,
wornach bei Manchem ein Zweifel entsteht, wie viel davon auf Rechnung
Remusat'» zu setzen sei. Die gelehrte Mitwelt hatte in solchen Fällen wohl einen
gerechten Anspruch aul genaue quullenmässige Angaben.
239) Dialect. p. 254.: Quae autcm invicem conlrariae proposiliones vel contra
. dicloriue , qnae etiam subalternae vel subcontrariae dieantui , a«! quas ad invicem
inferenli'i vel differenlias qualesque conversiones habeanl , m las inlrodticlionibus
diligenlius palefecimus , quas ad lenerorum dialecticorum eruditionem conscripsimus.
Ebend. p. 305. : diffinilioncm syllogismi Boelhius commemorat ac diliyenter sinyulas
expediendo differenlias purtractat , sicul in illa altercalione ,,de loco et argumenlatione"
monslrarimus. quam ad simplicem dialecticorum institutionem conscripsi
mus. Ebend. p. 332. : Wo» esl autem ptaelermittenda ad cognitionem loci differentiae
doctrina introduclionum noslrarum, quas ad primam tenerorum introduclionem con
scripsimus. Ebend. p. 366.: determinationes quae a quibusdam maximis propositionitius
apponuntur superßue (s. Anm. 228.), ... quas quidem in las intrudttclionitnis,
quas ad parvulorum inslilutionem coitscripsimus , nos posuisse meminimus.
Ebend. p. 381.: Nunc aulem locos a praedicato vel subieclo tructemus, quos quidem
multi in his lumlum consequentiis assignant , quae ex categorica et hypothelica iungunlur
(s. ebend.), sicul in inlroductionibus panulorum ostendimus.f
240) Ebend. p. 308. : Sed de his quidem (sc. proposilionibus in syllogismo)
quae utroque lermino parlicipant, in secundo poicherii (Cousin vermnthet enchiridii)
noslri salis diclum esse arbiträr. Ehend. p. 424. : Huius autem urgumentationis
sophisticae solutioncm primus fanlasiarum (C. schreibt sofort introductionum) noslra
rum lilii-i plene cunlinet.
241) lniiiiii. ad theol. 111, p. 1125 (Amboes.) : Quod autem nee loco moveri
poisit, qui spiritus -est, tarn pltilosopliorum quam sanctorum asserlionc docemur,
sicul de quantitale tractanles oslendimus, cum grammaticam scriberemus. Theol.
Christ. IV, p. 1341 (b. Martene, Thes. Anecd. V.): fies omnino recte dici non polest,
quae in se veram non habet enttarn, ut sit in se una res numero a oetens omnibus,
quae i]>sa non statt, rebus entialilcr discretu (s. unten Anm. 304.); sed de Hoc
diligentem , ul arbiträr . tractatum in'rclractatione praedicamentorum nostra continel
grammatica.
242) Inlrod. ad theol. H, p. 1047.: Adeo dialeclicam commendare ausus esl
(sc. Augustmus), ul eam solani scienliam esse profiteri videatur , cum eam solam
11*
164 XIV. Abälard.
die Notwendigkeit einer Disciplin zu, welche im Interesse der Beweis
führung auch die Kenntnis* der Sophislik in sich schliesst248), ja in
solchem Sinne empfiehlt er sogar, auf eine aristotelische Stelle ver
weisend, den Zweifel'244), aber als das Entscheidende gilt auch ihm
(vgl. vor. Ahsdm., Aiini. 17 f.) die Gesinnung, in welcher die Dialektik
praktisch ausgeübt wird, indem nur der Missbrauch logischer Gewandt
heit verwerflich ist245). Kurz auch hei Abälard verbleibt die Dialektik
als Führerin des Wissens dennoch in jener dienstbaren Stellung, ver
möge deren sie dem Kampfe gegen die Ketzer gewidmet ist24"), und
sowie er diejenigen, welche er für Ketzer hält, als Pseudo-Philosophen
bezeichnet und gegen sie seine eigenen philosophischen Argumentationen
richten will247), so bringt er principiell auch sogar das -Wort „Logik"
in eine Verbindung mit dem theologischen Logos-Begriffe 24S). Aller
dings fliesst hieraus jene fast spasshafte Erscheinung, von welcher wir
schon oben , Anm. 38 ff. , sprechen mussten , dass der Dialektiker Abä
lard die Dialektiker als die grösslen Feinde der Trinilät bezeichnete, und
passe facere dicat scientes. Ebenso Theol. Christ. II, p. 1235. Epist. 4 (Invectiva.
etc.), p. 239.: Harte quippe scicntiam lantis praecouiis efferre beatus ausus es<
Auguslinus, ut comparatione celerarum artium eum solum facere scire faleatur, tanquam
ipsa sola sit dicenda scientia.
243) Inlrod. ad theol. II, p. 1048.: Dispntalivuis disciplina ad omnia yenera
quaeslionum, quae in sanctis libris continenlur, plurimmn mir/. Episl. 4, p. 239.:
Utraque tarnen scienlia, tarn dialeclica sciliccl quam sophistica , ad discretionem
pertinet argumentorum , nee aliler quis in argumentis esse discretus poterit, nisi qui
falsas ac deceplorias argumenlaliones a veris et congruis argumenlationibui, distinguere
valebit.
244) Sie et Non , ed. Lindenkohl \i. 16.: /rnquens interroyatio , ad quam quidem
... philosophus Hin omnium pcrspicacissimus Aristoteles in praedicamcnlo ,,Ad
aliquid" studiusos adhortatur dicens ,,.... dubitare autem de sinyulis non eril inulile"
(bei Boelh. p. 172.); dubitando mim ad inquisitionem venimus , tnquirendo
veritatem percipimus.
245) Inlr. ad theol. II, p. 1052.: Nemu elenim scienliam aliquam malam esse
dixerit, nliam ülam, quae de malo est, quae iuslo liomini deesse non polest, non
ut ni'! l u in agal , sed ul a »ta/o sibi providcat (p. 1053.) Seienlias itaque approbamus,
sed fallaciis abutentium resistimus. Ebenso Theol. Christ. III, p. 1242 f.
Dialect. p. 435.: Neque enim crimen est in seiende, quibus obsequiis aut quibus
immolationibus daemones noslra iiota perficiant (diese Disciplin nennt er ,,nefaria
mathematica") , sed in agendo Si ergo scire malum non est, sed agere, nee
ad scienliam, sed ad actum referenda est malilia.
246) Diatecl. p. 435. : Haec autem esl dialectica , cui quidem omnis veritatii
seu falsitatis discretio Ha subiecla est, ut omnis jihüosofluae principalum , dux
universae doctrinae , atque regimen possideal , quae fidei quoquc calkolicae ita neeessaria
monslralur , ut schismaticorum sophisticis ralionibus nullus possil, nisi qui
ea praemuniatur , resislere.
247) Theol. Christ. IV, p. 1312.: Hon enim hoc opmculo veritaleiit docere,
sed defendere intendimus, maxime adversus pseudophilosophos , qui nos philoiophicis
marime ralionibus aggrediuntur ; unde et nos per casdem, scilicet philosophicas,
raliones, quas solas recipiunt et quibus nos impetunt , eis praecipue satisfacere
decrtvimus de/endendo veritatem polius quam docendo.
248) Epist. 4, p. 241.: Cum ergo verbum patris dominus Jesus Christus köyuf
graece dicatur, sicut et noi/ fa palris appellatur, plttrimum ad eum pertincre videtur
ea scientia, quae nomine quoque Mi sit coniuncta et per dcrivationem quandam a
iöyos logiea sit appellata el sicut a Christo Chrisliani ita a ioyus logica proprie
dici videatur, citius eliam amatores tanto verius appellantur philnsophi , quanlo reriores
sunt illius sophiae superiuris amalores.
XIV. Abälard. . 165
es liegt ja auch im Geiste aller dogmen-uhilosophischen Erörterungen,
dass er diejenigen Dialektiker, welche die Dialektik niclit gerade nach
seinein Sinne anwendeten, kurzweg als Atheisten brandmarkt 249), daher
er diesen Andersdenkenden auch die gesamnUe Logik mit einem ver-.
Sichtlichen „vesler Aristoteles" und die Grammatik nebst dein Priscianus
förmlich an. den Kopf schleudert250), wohingegen freilich wieder An
dere eben an der Abälard'schen Verquickung logischer Momente mit der
Trinitätslehre Anstoss nehmen konnten251).
AtfeF Abälard mochte wohl glauben, sich gut aus der Schwierigkeit
ziehen zu 'können, indem er das Gebiet der Dialektik als ein lediglich
irdisches von dem göttlichen lostrennte: nur ist er, insoferne schon
längst Scotus Erigena das Nemliche gethan, dadurch weniger consequent,
dass er nicht, wie jener, das in einer Iheologica affirmaliva Behauptete
wieder mittelst- einer Iheotoyia negaliva zurückzieht; wohl aber konnte
er hiedurch erreichen, dass jener „vester Aristoteles" nun doch zugleich
auch „sein Aristoteles" war. Wenn er nemlicli auf das Irdische den
Gebrauch der Kategorien beschränkt, da ja alle menschliche Aussage
das dem Zeitlichen zugewendete Verbum enthalten muss 252), und über
haupt den Wortschatz der Menschen als ein die Gottheil nie erreichen
des Uffitel der menschlichen Begrifl'shildung bezeichnet253), welches
249) Theol. Christ. 111, p. 1275.: Responde tu, mi aeute dialectice seu versipellis
'sophisla, qui anctorilate Peripatelicorum me arguere nileris, .... quomodo ipsos
quoque älteres tuos absolvis , secundum quorum traditiones nee deum substantiam
esse »icc^PBkm esse aliquid uliud cogeris confilcri? Constal secundum vestraruin
arlium disciplinas, quat omnium reriim naivras in decem praedicamenta distribuunl,
deum penilus u i In/ esse.
250) Ebend. p. 1282.: Sed cwn Aristoteles vester dicit in primo Perihermenias
etc aul mm Priscianus dixit etc.
251) Otto Fris. de gest. Frid. l, 47, p. 433. (ed. Urstitim) : Sententiam ergo
tocum scu nominum (s. unten Anin. 258.) in naturali lenens facullale non caute
theologiae admiscuit, quare de sancta trinilate docens et scribens tres personal
nimis attenuans, non bonis usus exemplis , inier cetera dixit (nemlich Introd. ad
theol. II, p. 1078.): ,,Sicul eadem nratio est propositio, assumptio et conclusio, ita
eadem essentia est pater et ftlius et Spiritus sanctus Bern. Clarav. Epist. 190.
(tract. c. error. Abael.), Opp. ed. Martene l, p. 283—289, woselbst z. B. p. 284.:
Constituit enim (Inlr. ad theol, p. 1083.), hoc esse filium ad patrem quod speciem
ud genus , quod hominrm ad unimal, quod aereum sigillum ad aes, quod aliquant
potentiam ad polentiam. Quis hoc ferat, quis non claudat aures ad voces sacrileqas?
Hiezu unten Anm. 478.
252) Inlrod. ad theol. 11, p. 1073. : Palet itaque, a traclatu phüosophorum rerum
omnium naluras in decem praedicamenta dislribuenttum illam summam maiestatem
esse exclusam omnino , nee Mo modo reyulas aut traditiones eorum ad illam sum
mam alque ineffabilem celsitudinem conscendere, sed creaturarum naturis inquirendis
eos esse contentos secundum quod scriptum est ,,qui deterra est, de terra loquitur."
Ebenso Throl. Christ. III, p. 1273 f. (s. oben Anm. 38.), woselbst die Begründung
dieser Ansicht lautet : quod vero umnis hominum locutio ad creaturarum Status
maxime accommodata sit, ex ea praecipue parte oralionis apparet, sine qua teste
Prisciano (7»s(. gr. XVII, 12.) nittla constal orationis perfectio, ex ea scilicet, quae
dicitur verbum; haec quippe dictio temporis designativa est. quod incoepit a munda.
Uebrigens weist uns diess Letztere auch schon auf Ahälard's Auffassung des sermo
hin, s. unten Anm. 315.
253) Theol. Christ, p. 1275.: vocabula homines instituerunt ad creaturas äesignandas
, quas inlellic/ete potuerunt, cum videlicet per illa vocabula suas intelleetus
166. XIV. Abälard.
liiemit auch gegenüber den von Gott geschalt'enen Dingen nur als mensch
liches Erzeugniss /u betrachten ist254), so befindet er sich beziiglich
der Logik allerdings in einer Uebereinslimumng mit Aristoteles (s.
Abschn. IV, Anin. 108 ft'. und die entsprechenden Stellen des Boethius
Abschu. XII, Anm. 109 f.)- Und sowie er nun- ausdrücklich Logik und
Physik derartig unterscheidet, dass der Gegenstand der ersleren die
Namenbezeichnung (vocum imposilio) sei, letzlere hingegen die Eigenthünilichkeit
der Dinge als solcher betrachte, wodurch aber eben beide
Wissenschaften wechselseitig von einander abhängig seien 255Wlo kann
er von Aristoteles sagen, dass derselbe, insofern er der L«gik diene,
mehr in den Worten (voces), als in den Dingen verweile250). So gilt
ihm Aristoteles als die höchste Auctorilät, an welcher man nicht rütteln
dürfe, geschweige denn, dass man ihr je irgend widerstreite25')- Ja
diese so eben angeführten Stellen könnten uns sogar glauben machen,
Abälard habe diesen, seinen Führer Aristoteles geradezu im Sinne der
Nominalisten verslanden, und wir finden, dass seine Lehre selbst auf
seine Zeitgenossen diesen Eindruck machte 25S), während wiivuns aller
dings überzeugen werden, dass Solches nur auf oberflächlichlr Ansicht
beruhen kann. .V*
In grossem Irrthume jedoch befänden wir uns, wenn wir Abälard
hiernach überhaupt auch nur für einen Arisloteliker hallen wollte)), denn
er ist ja Platoniker, und Plato gilt ihm wieder als der grössle Philo
soph 259), was uns freilieh einigennassen an die Schwatzhaftigketl .Cicemanifestare
vellenl; cum ilaque honto vuces invenerit ad stios MeUectuiBltni/'eslandos,
deum autem miiiime intelligere sufficiai, recte illud ineffabile bonum effari nnmine
non cst ausus.
254) Dialect. p. 487. : Neque enim vox aliquu naturaliter rei significatae inest,
sed secundum kominum impositionem ; vocis cnim impositionem summus arlifex nobis
commisit, rerum autem naturam propriae suac dispositioni reservavit, unde et vocent
secundum impositionis suae originem re significala posteriorem liquel esse.
255) Ebend. p, 351.: Hoc aulem logicae disciplinae 'proprium relinquilur , ut
scilicel vocum imposiliones pensandu , quantum unaquaque proponatur oratione sive
dictione, disculial; physicae vero proprium es t, inquirere, utrum rei natura consentiat
cnunlialioni .... Est autem alterius consideralio alleri necessaria; ut enim lo
gicae discipulis appareal, quid in singulis intelligendum sit vocabulis , prius rerum
proprictas est investiganda; sed cum ab his rerum natura non prae se, sed prae
vocum imposilione rcquiritur , tota eorum inlentio referenda est ad.logicam; cwu
autem rerum natura percepta fueril, vocum sirjnificatio secundum rerum proprietates
distinguenda est, prius quidem in singulis dictionihtus , de.inde in orationibus , quae
ex dictionibus iungunlur. S. Anm. '325.
256) Ebend. p. 401.: Si enim omnia eius (sc. Aristoteiis) opera studiose inspiciamus,
magis eum in vocibus immorari quam in rebus inueniemus , liberiusgue
verba eius de vocibus quam de rcbus exponerentur , quippe qui logicae deserviebat.
257) Ebend. p. 339. : hanc namque dux Peripateticorum Aristoteles dif/initionem
dedil. p. 228.: Peripateticorum princepn Aristoteles, p. 204 : sed et si Aristolelem
Peripatelicorum principem culpare praesumamus, quem nmplius in hac arte recipiemits?
p. 293. : sed. nihil adversus Arislotelem.
258) Obige (Anm. 251.) Worte des Otto v. Freising: senlenliam vocum seu
nominum in nalurali tenens facultate, welche dort nach jener schon früher (vor.
Abschn. Anm. 316.) angeführten Stelle folgen, woselbst Abälard's Ansicht in directe
Verbindung mit der Lehre des Roscellinus gebracht wird.
J59) Theol. Christ. I, p. 1175.: revolvatur et ille maximus phüosophorum Plalo.
p. 1186.: alioquin summum philosophorum Plaloncm summum slultiim esse depre
XIV. Abälard. 167
ro's erinnert, hui welchem ^leiclifalls nach Belieben bald Plalu bald
Aristoteles der grösste Philosoph genannt wird, in den Ansichten der
platonischen Sekte erblickt Abälard (auf Augustin sich berufend) die
meiste Uebereinstiuimung mit dem katholischen Dogma , besonders be
züglich der Trinilät, ja sogar einen Vorzug in jedem Wissen über
haupt200); nicht bloss der Begriff des platonischen Wellschöpfers und
seiner Güte und Weisheit21"1)! sondern insbesondere die Lehre von der
Weltseele ist es, welcher er seine Beislimmung. schenkt 2li2). Und von
da aus schliesst er sich nun auch in jenem Momente, welches für die
Logik das principielle ist, an l'lato an, indem er mit Berufung auf
Priscianus und Macrobius die Formen der Gattungen und Arten als die
Original-Ideen der Dinge in den göttlichen Verstand verlegt263).
Wenn wir aber nun hei Letzterem allerdings nicht mehr einschen
können, wie es sich dann mit jenem „nilül adversus Aristolelem" (Anm.
257) verhalte, zeigt uns Abälard hinwiederum noch eine dritte Auf
fassung der Logik; denn er ist zuletzt weder Aristoteliker noch Platoniker,
obwohl er —- oder vielmehr wohl weil er — beide Anschau
ungsweisen zu vereinigen bemüht ist (s. unten Anm. 292 f.), sondern
er erblickt in der Logik nur ein praktisch dienstbares Werkzeug, und
in dieser Beziehung braucht er es dann allerdings mit den Principien,
mögen dieselben platonisch oder aristotelisch sein, eben nicht sehr gehendemus.
p. 1191.: iwu sine causa maximus Platu plulosvphorum prau ceteris
commendalur ab omtribus. Hiezu die unten, Anm. 293, anzuführende Stelle.
260) Ebend. p. 1175.: Plalu eiusque scquaces, qui testimonio sanclorum patrum
prae ceteris yentilium philasophis ßclei christianae attendenles totius trinitatis summam
post prophetas pulenler ediderunt. p. 1191.: Pluribus quoque sanclormi leslimonüs
didicimus, Platonicam sectam enthaltene ßdei concordare. p. 1192.: liquidum
esl , Platonicam sectam fidei sunctae Irinilalis plurimum semper assentire Cum
ilaque in omni doclrinu philosophiae Platonica secta enituerit, .... Augustinus commemorat
, inmfpiptis eorum se repperisse , in quibus quidcm tnta fere fidei noslrae
summa circa divinitalem verbi apertissime continelur. •
261) Ebend. p. 1157. : Ex summa ilaque illa bonitale sua deus — iuxla eliam
Platonis assertimem uptimus ijise omnittnt conditor. p. 1163.: deum yenitorem universitalis
Plato dicit , a quo sr ilicet . univcrsa aliu habent eise. p. 1176.: Plalo
quoque omne quod a dro esse habet, genitum ex ipso dicit.
262) Dialecl. p. 471.: anima mimdi , qtiam singularem Plato coißtavit
(p. 475.) qtiam imimam mundi Plato vocavit, quam ipse ex noy, i. e. menle divina,
nalurae assemit et eandem in omnilms simul esse corporibus finxit. Theol. Christ.
I, p. 1176.: Nunc uutem illa Plalonis cerba de anima mtmdi diligenler disculiamus,
ut in eis spirilum sanclum integerrimc designatum esse ugnoscamus (p. 1177.)
cum itaque in ipsa anima mimdi individua et dividua, sive ut diclum est eadem et
diversa, conmrril substantia , etc. tV*gl. Introd. ad theol. I, p. 1015 f.
263) Theol. Christ. IV, p. 1336.: Ad hunc modum Plato formas exemplares in
mtnte divina considerat, quas ideas appellat, et ad quas postmodum'quasi ad exemplar
quoddam summi artiftcio providcntia operata es(. Introd. ad theol. II, p. 1095 f.:
Hanc autem conccptionem , qwa scilicet conceptus menlis in effectum operando prodit,
Priscianus in primo constructionum (d. h. Inst. gr. XVII, 44, p. 135. ed. Hertz)
diligenler aperil dicens , generales et speciales formas rerum intelligiliiliter in mente
divina conslitisse , antequam in corpora prodirent. Ebend. I, p. 987.: Sie et Ma
crobius (Somn. Sc. l, 2, 14.) Platonem. insccutiis mentem dei, quam graeci vovv
appellanl , originales rermn species , quae ideae dictae sunt, continere meminit, ante
quam ettam , inquit Priscianus, in corpora prodirent ,' h. e. in c/fecln opmim provenirent.
168 XIV. Ahälard.
nau zu nehmen. Nicht bloss scheint jene l'ür Anfänger bestimmte Schrift
völlig auf dem Boden der Tupik verblieben zu sein264), sondern er
gelangt auch anderwärts an der Hand der Ciceronischen Definition dazu,
das Wesen der Logik in die „Beurtheiiuhg der Argumentation" zu ver
legen, welche hieinit das Auffinden der Beweise voraussetzt265), sowie
sich ihm an die verschiedenen Arten der Beweise (argumenla) der in
der Schultradilion übliche Unterschied zwischen Dialektik, Philosophie,
Sophistik anschliesst 268J. Und dürfen wir hiernach vielleicht auch
schon Abälard's eigenen Ausspruch , er wolle in seiner Dialektik eine
Begründung der peripatetischen Beredtsamkeit (eloquentiae peripateticae)
geben, beim Worte nehmen267), so tritt dieses Motiv jedenfalls deutlich
hervor, wenn er schon die Isagoge unter die Theorie des Auffindens
der Beweise (die inrcniio subsumirt und hauptsächlich an die auf den
qwinque voces beruhenden Topen denkt2"8), oder wenn er ebenso auch
das hypothetische Urtheil nur unter diesem Gesichtspunkte auffasst und
daher die Topik demselben vorausschickt 2<io). Uebrigens mochte wohl
diese Seite der Logik , nemlich eine grosse Gewandtheit des Auffindens,
auch in Abälard's eigenem Auftreten die hervorragende gewesen sein,
so dass er diese Begabung leicht in Scharfe und Feinheit philosnphi-
264) Demi alle oben (Aum. 239 f.) angeführten Stelleu, in welchen er jene
Schrift eil in, enthalten entweder direct die Beziehung auf die Topik oder lassen
wenigstens eine solche zu.
265) Glossulae s. Porph. bei Remusal (s. Anm. 238.) p. 94.: Est scientia alia,
agendi alia discernendi, solo, autem scientia discernendi philosophia dicitur, worauf
dann (p. 95.) die Eintheilung in Physik, Ethik, Logik folgt, und von letzterer
gesagt wird: Est logica auctortlale Tullii (s. Abschn. VIII, Anm. 23.) diligens ratio
disserendi, i. e. discrelio argumenlorum , per quae disserilur, i. e. disputalur ; non
enim est togica scientia utendi argumentis sive componendi ea, sed discernendi et
diiudicandi veraciler de üs Duae argumenlorum scientiae, una componendi, quam
dicimus ratiocinativam, alia aulem discernendi composita, quam loyicam appellamus.
Seine Quelle hiefür ist Boeth, ad Top. Cic., woselbst in der Erörterung über inventio
und iudicium (s. Abschn. XII, Anm. 76.) besonders (p. 762.) die Worte zu
beachten sind: fieri non polest, ul de inventione iudicelur , nisi ipsa mventio prius
exstiterit.
266) Diutecl. \>. 42b. : Non est illud pruetermittendum, quod ipse (sc. Boethius)
ostenderil , quae scientia quibus utatur argumentis , dialecticos quidem et rltetores
maxime probabilitatem attendere, phüosophos vero necessilatent , sopliistas vero neutrum
etc. s. Abschn. XII, Anm. 82.
267) Ebend. p. 228.: Con/ido autem, in ea , quae mihi largius est, mgenii
abundantia ipso cooperanle scienliarum dispensatore non paticiora vel minora me praestiturum
munimenta eloquentiae peripateticae, quam illi praestilerunt, quot latinorum
celebrat studiosa doctrin'a.
268) Glossae in Porph. (b. Cousin) p. 553. : Scientiae inveniendi supponitur
iste tractalus (A. h. die Isagoge), quia Itic docemur invenire rationes sufficientes ad
probandas quaslibet quaesliones factas (p. 554.) necessarium ad ea , quae
sunt utilia, in demonslral tone , quia locus a genere, a specie, ad diffinitionein servil
demonstrativis syllogismis.
269) Dialect. p. 324.: Quoniam ergo liypotheticae enuntialiones, quarum sensus
sub consecutione conditionis progonitur, inferenliae suae sedem ac veritatis evidentiam
ex locis quammaxime tenent, ante ipsas rursus hypothelicits propositiones topicorum
tractalum ordinari convenit , ex quo maxime hypolheticamm propositionum veritas
seit falsitas dignoscilw.
XIV. Abälard. 169
scher Disputationen ubd ebenso in Witz und Scherz der Rede hethäligen
konnte 27°).
Diese überwiegende Bezugnahme auf die Argumentation ist es nun
aucli , welche dem umfassenden Werke Abälnrd's, der „Diatectica", so
wohl in Gruppirung der Haupttheile als auch in Behandlung des Ein
zelnen einen grundsätzlichen Charakter aufprägt. Allerdings müssen wir
es sehr bedauern, dass gerade der Anfang des Werkes, nemlich die
Darstellung der isagoge und ausserdem die ersten Kapitel der Katego
rien, verloren ist; doch sind wir im Stande, nicht hloss, wie sich
zeigen wird, die Lehre betreffs der l'niversalien genügend zu entwickeln,
sondern vor Allem auch den Grundplan des Ganzen einzusehen.
Die Gliederung ist folgende. Indem das bei Boethius durchgängig
eingebürgerte Motiv eines Aufsteigens vom Einfachen zum Zusammenge
setzten (Abschn. XU, Anrn. 83, 123, 131) zu Grunde gelegt wird, ist
bei der menschlichen Kundgebung (vox, s. ob. Amn. 252 ff.) das Wesent
liche der Unterschied zwischen iliciio, d. h. dein einzelnen Worte, und
oralio , d. h. der zusammenhängenden Rede2"1)- Aber nicht bloss auf
der Auctoriläl des Boethius oder etwa auch des Augustinus (Abschn.
XII, Aniu. 34) beruht diese Scheidung, sondern auch Priscianus (Inst.
gr. H, 14 ff.) ist es, welcher hierauf den entschiedensten Einfluss ge
habt hat, denn wenn Abälard den ganzen ersten HaupUheil der Dia
lektik, welcher von der dictio handelt, als „Liber parlium" bezeichnet
und dabei sogar den Ausdruck „parles oralionis" gebraucht, so ist die
grammatische Anschauung deutlich genug ausgesprochen. Diese logische
Erörterung der Redetheile zerfällt aber dann in drei Abschnitte, nemlich
in die „Antepraedicamenla" (s. diese Bezeichnung schon oben, vor.
Alischn., Amn. 310), welche dir Isagoge enthalten, woselbst es sich
um die von Natur aus bestimmten Prädicale handelt (s. unten), sodann
in die „Praedicametila", d. h. die Kategorien, in welchen die natür
lichen Dinge ihre Wortbezeichnung erhalten, und endlich in die „Postpraedicamenla",
d. h. die Angaben über Nomen und Verbum als die
Bezeichnungsweisen der Dinge und zugleich als die wesentlichen Bestandlheile
des Urtheiles 272). Hierauf demnach folgt als Inhalt des
270) Otto Fris. de gesl. t'rid. l, 47, p. 433. (lirstis.): Inäe mayistrum induens
Parisios venit, plurimum in invenlionum (diess ist ja gerade das technische Wort)
subtilitate non solum ad philosophiam necessariamtn , sed et pro commovendis ad
iocns animis hominum uiiUum valens.
271) Dialeet. p. 212.: AM autem diclio simplicis vocalniti nuncupatio, i. e. vox
lotaliter, non per partes, signißeativa, ut ,,homo" vel „cuirit" ; oratio autem dictionum
collectio, i. e, vox ad illiquid significandum invenla , cuius parlium aliquid
extra significat, ut „Homo currit" .... At quoniam dictiones orationibus naturaliter
priores sunt , quippe eas constituunt ac perfithmt , priorem quoque in Iractatu locum
obtinere ipsae meruentnl.
272) Ebead. p. 226. sagt Abäiard beim Uebergange von diesem ersten Haupttbeile
zum zweiten: Hactenus quidem, Dagoberte frater, de partibus orationis, quas
dictiones appellamus , sermonem texuimtu , quarum traclatum tritms voluminibus
comprehendimus • primam namque partem libri Partivm. anlepraedicamenla posuitmts,
dehinc aulem praedicamenta submisimus , denique vero postpraedicamenta novissime
adiecimus , in quibus Partium lextwn tomplevimus. Die Auffassung der Anteprädicamentr
wird sich unten zeigen; bei dem Uebergange aber von den Prädicamenten
170 XIV. Abälaril.
zweiten Haupllheiles die oratto, und zwar handelt es sich, da nach
dem Vorgange des Boethius (Abschn. XU, Anm. 112) das kategorische
Urtheil als das einfache und das hypothetische als das zusammenge
setzte betrachtet wird, zunächst um ersleres und im Interesse der Ar
gumentation zugleich auch um die auf demselben beruhenden Syllogis
men273), und Abälard bezeichnete diesen Abschnitt hiernach als „Liber
calegoric.orum"'214). Wenn aber nun die Lehre vom hypothetischen
Urtheile sich anreihen soll, so lässt er, auch hiezu durch ' Boelh. d.
diff. top. (s. Abschn. XII, Anm. 167) vcranlasst, die Gültigkeit dieser
Urtheilsformen von den Topen bedingt sein (s. Anm. -269), und schickt
hiemit den „Liber tvpicorum" voraus, worauf erst das hypothetisch«
Urlheil selbst und die auf ihm beruhenden Syllogismen folgen275),
zu den Postprädicamenteu wird p. 209. gesagt: Evulutus superius lextus ad discrelionem
signiftcationis nominum et rerum naluras, quae vocibus designanlur, diligenler
secundum distinclionem decem praedicttmentorum aperuit; nunc autem ad voces significativas
recurrentes, quae solae doctrinae deserviunt, quot sint moiii signiftcandi
sludiose perquiramus (in ähnlicher Weise p. 245.: non itaque propositiones res
aliquas dcsignanl simpliciter qttemadmodum nomina), und es folgt hiemit p. 209 —
226. nicht, wie Cousin's willkürliche Ueberscbrift glauben macht, der Abschnitt De
inlerpr., sondern nur eine Erörterung über die Satztheile. Mit dieser Bezeichnung
und Unterabtheilung des ersten Haupttheiles stimmen dann auch Abälard's eigene
Citate überein, indem er sowohl auf das Ganze unter dem Namen Liber Partium
verweist (p. 377.: sicut in libro Partium docuimus a. p. 477.: sicut in libro Partium
Iraclalu speeiei disseruimus) als auch die Unterabtheilungen in eben jener Bezeich
nung erwähnt (p. 174. : sicul secundus Anlepraedicamentorum de di/ferentia conlinct;
p. 249.: nam ,,homo mortuus" .... eomposilum nomen est ... sicut in primo Postpraedicamentorum
oslendimus , was sich ebenso wie die gleichlautenden Citate p.
296. u. 299. auf p. 214. bezieht; bei den beiden Verweisungen p. 204. sicut in
libro Partium ostendimus und p. 205. in libro Partium rcquirantur ist sicher primo
statt libro zu lesen). Uebrigens ist uns durch diese ganze principielle Betonung
der „Bedetheile" nun erklärlich, dass Abälard eine Bearbeitung der -Kategorien
wirklich als „Grammatica" bezeichnen konnte (Anm. 241.).
273) p. 227.: Justa et debila scrie texlus exigente post Iractalim singularum
liictionum occurrit comparatio orationum .... IVon uutem qiiarumlibel orationum conslniclionem
(auch diess ist ein Ausdruck des Priscianus, s. ob. Anm. 263.) cxsequimur^
sed in las lantum opera consumenda est, quae veritalem seu falsitatem continent,
in quarum inquisitione dialecticam maxime desudare nteminimus ; unde cum
inter propositiones quaedam earum simplices sint et natura priores, ut caiegoricae,
quaedam verv composilac ac pasleriores , ut quae ex calegoricis iunguntur hypothcticae
, has quidem quae simplices sunl prius esse Iractindas unaque carum syllogismos
ex ipsis componendos esse apparet.
274) Allerdings gibt hier (p. 227.) die Handschrift den Titel ,,Abaclardi Analylicomm
priorum primtis", aber nicht nur corrigirt sie sich selbst bei der zweiten
Unterabtheilung dieses Abschnittes, woselbst p. 253. die Ueberschrift lautet „Explicil
primus, incipit secundus eorundem, hoc est catcijoricorum", sondern auch
Abälard selbst cilirl diesen Abschnitt als Liber calegoricorum (p. 395.: sed de hoc
quidem uberius in libro categoricorum cgimus).
275) p. 437.: Congruo ordine posl categoricorum sylloyismorum traditionem
hypotheticorum quoque tradamus constitutionem. Sed sicut ante ipsorum categorico
rum complexiones calegoricas propositiones oporluit Iraclari, ex quibus ipsi materiam
pariter et nomen ceperunt , sie et hypolhcticorum tractatus prius est in hypotlielicis
propositionibus eadem causa consumendus , de quarum quidem locis ac veritale inferentiae
quia in Topicis satis , ut arbiträr, disseruimus, non est nie in eisiiem
immoranilum, sed satis, earum dirisiones exsequi.
XIV. Abäiard. 171
welch letzteren Abschnitt er „Liter hypolhelicorum" nannte2™). So
hat Abäiard nach seiner Auffassung die Theorie der Argumentation, von
den einfachen Bestandteilen zum Zusammengesetzten fortschreitend,
vollständig entwickelt, und es sieht der „Liber divisionum", welchen
Cousin als fünften Theil der Dialektik bezeichnete, in keinem Zusammen
hange mit dem Vorhergehenden277), sondern ist eine selbstständige
Monographie (den gleichen Gegenstand wie die Schrift De gener, et spec.
betreffend), in welcher Abäiard die Schriften des Boelhius de divisione
und de definilione unmittelbar miteinander verband , so dass in Er
wägung der inneren Verschiedenheit dieser beiden (Abscbn. XII, Anm.
103) sich recht deutlich zeigt, wie bei Abäiard das logische Interesse
in das rhetorische übergehe. Indem wir daher nun für unsere Dar
stellung dem angegebenen Eintheilungs-Motive Abälard's folgen , werden
wir das Nölhige über den Abschnitt de divisione, welcher sich an die
Lehre vom Begriffe anschliesst, völlig ebenso wie hei Boethius noch
vor der Lehre vom Urtheile einschalten.
Was den ersten Abschnitt des ersten Haupttheiles, nemlich die
Isagoge oder die sog. Antepraedicamenta betrifft, so müssen wir
die erwähnte empfindliche Lücke anderweitig, und zwar namentlich aus
Remusat's (Anm. 238) Mittheilungen, zu ergänzen versuchen, werden
aber hiezu auch alle jene übrigen Stellen beiziehen, welche unser Verständniss
der logischen Parteistellung Abälard's verstärken oder erwei
tern können, so dass schon hier das Wesentliche und Principielle
möglichst vollständig erläutert und eine richtige Einsicht in Ahälard's
Logik überhaupt gewonnen werden soll, worauf dann bezüglich der
übrigen Theile der Dialektik auf solcher Grundlage nur mehr das Ein
zelnere anzuführen übrig bleibt.
Es hat etwas Auffallendes in sich, wenn Ablärd in den Glossen
zur Isagoge nicht bloss von „sechs Worten" spricht, indem er zu den
üblichen fünf noch „Individuum" hinzufügt, sondern auch bemerkt, es
handle sich ausser diesen Worten selbst auch noch um das von ihnen
Bezeichnete — signißcala eorum — 27S); jedoch ersleres klärt sieh
theils durch die Quellenstelle, welcher es entnommen ist279), theils
276) Auch hier ist das neniliche sonderbare Verhältniss, dass die Handschrift
vorerst (p. 434.) den Titel „Abaelardi Analyticorum poslcriorum primus" gibt, dann
aber beim Uebergange zur zweiten Unterabtheilnng das Richtige zeigt (p. 446.):
Explicil primus hypolhelicorum, incipit sccundus.
277) Es findet sich auch nirgends in dem Buche eine Anknüpfung an andere
Theile der Dialektik angedeutet.
278) Glossne in Porph. b. Cousin p. 553.: Inlcnlio forphyrn esl in hoc operc
tractare de sex vocibus, i. e. de gcnere el de specie et de differentia et de propriti
et de accidenti et de individuo, et de significalis eorum .... Considertms, nullas
wces magis esse neeessarias ad calegoriat, quam islas sex t'oces, quoniam ex islis
sex vocibus consliluuntur praedicamenla, idco perclegit traclare de istis sex vocibus.
Huius operis sunt materia istae sex voces et earum signißcata, finis ipse categoriae.
(Cousin verdarb den richtigen Sinn der Handschrift durch Aenderung und durch
Interpunktion.) Scientiae inveniendi siipponitur iste traclatus (Anm. 268.), quia hie
docemur invenire ralioncs sufficientcs ad probandas quaslibcl quaesliones factas de
istis sex vocibus et de significatis eurum. Vgl. unten Anm. 603.
279) Diese Sechszahl hat nemlich, wie sich von selbst versteht, Nichts zu
schaffen mit jener Stelle, welche aus den griechischen Commentatoren (Abschn.
172 XIV. Abälard.
durch die ausdrückliche Bemerkung auf, dass L'orphyrius nicht nöthig
gehabt hübe, den ßegrifl' des Individuums gleich anfangs mitaufzuzählen,
da ja das Individuum jedenfalls unter die übrigen fünf Worte falle und
an sich ebensosehr eine prädicative Bezeichnung eines Gegenstandes
sei, wie die Gattungen und Arten2*0). Wenn aber nun gerade diese
Betonung des Prädicats-Verhältnisses wieder mit dem zweiten Punkte,
nemlich mit der Auffassung des „von den sechs Worten Bezeichneten"
zusammentrifft, so gibt hier Abälard über diese Grundfrage keine nähe
ren Aufschlüsse, sondern selbst bei jener Kernstelle (prima quaeslio),
an welche , wie wir längst sahen , die ganze Parleifrage sich ange
schlossen hatte, gibt er nur eine spitzfindige und betreffs der Univer
salien nichtssagende Unterscheidung zwischen solus intelleclus, nudus
inlelle.ctus und purus intelleclus 2S1), und auch das übrige Folgende
schliesst sich überwiegend in hlosser Wortcrklärung an den Text der
Isagoge an282).
Hingegen erhält eben dieser Punkt, welcher uns hier noch dunkel
bleibt, das meiste Licht durch die anderen sog. kleineren Glossen zur
Isagoge. Dort nemlich knüpft Abälard an seine Angaben über die An
sichten Anderer (wobei er uns oben selbst als Quelle diente) vorerst
polemische Bemerkungen, um hierauf seine eigene Auffassung der UnU
versalien zu entwickeln. Gegen Wilhelm v. Champeaux bemerkt er (s.
oben Anm. 106), dass, wenn ein so lockerer Zusammenhang .zwischen
den individualisirendeti Formen und den allgemeinen Substanzen ange
nommen werde, zuletzt alle Substanzen, — auch den Phönix, welcher
nur Ein Mal existirt, nicht ausgenommen — , eben als Substanzen ein
ander gleich und identisch sein müssen und hiernach auch von der
Substanz Gottes sich nicht unterscheiden können, sowie dass diese
XI, Anm. 134.) anzulaufen war, sondern ucruhl auf dem Inhalte jener Angaben
des Porphyrius (ebend. Arim. 43.), welche bei Boetlt. p. 15. lauten: Eorum , quae
dimnlttr , alia ad proprielatem dicuntur, sicut sunl omnia individua, ut est Socrates
et hoc et illud, alia quae ad multitudinem , ut sunt genera et species et di/ferentiae
et propria et accidentia.
280) p. 553.: Kl nun. inlcndat Iractare de istis sex vocibus >•/ otnne (zu lesen
omnes) tractat , tarnen non proponil nisi de quibusdam tantum- ideo non ponil de
individuo, quia Individuum conlinetur sub unoquogue et in sitjnißcatione et in praedicamcntali
ordine , nam quemadmodum genera et species proprie ponuntur in praedicamenlo,
eodem modo individua ipsorum. Auch diess lag im Commentare des
Boethins zur angeführten Stelle vor, welcher (p. 16 f.) sagt: Ha individua, quae
ad unitatem dicuntur, cunctis superioribus (d. h. quinque vocibus) supposita sunt
Individua vero ....ad nihil aliud praedicantur nisi ad se ipsa, quae 'singula
atque una .iunt , atque ...ad uniiatem dicuntur. D. h. Abälard entnahm sich dar
aus, dass die individuellen Bezeichnungen eben doch ausgesagt werden. — dieuntw.
praedicantur —.
281) p. 555. : lila dicimus poni in solis inlellectibus, quae tantum inlelligunlur
et non sunt lila dicimus poni in nudis intellectibus , quae, eum sint, aliter
intelli(/untur esse, quam sint lila dicimus poni in puris intellectibus, quae iatelliguntur
simpliciter ut sunt.
282) Bemerkt mag werden, dass auch hier die schon oben (Anm. 167.) er
wähnte abgekürzte Redeweise, „praedicari in quid" oder „praedicari in quäle"
für „praedicari in eo qnoa quid" oder „praedicari in eo quod quäle" durchgängig
recipirt ist.
XIV. Abälard. . 173
Wesens- Gleichheit aller Substanzen oder ihre Gleichgültigkeit gegen jed
wede individuelle Gestaltung dazu führe; auch das Zusammentreffen von
Gegensätzen an Einer Substanz zulassen zu müssen 2S3). Gegen die
Indifferenz-Lehre wendet er (s. Anm. 132) vor Allein die Definition des
Gattungsbegriffes (genus esl, quod praedicalur de pluribus) , wornach
nie Ein und das Nemliche zugleich Gattung und Individuum sein könne,
und sodann auch das Verhältniss der Aussage überhaupt, bei welchem
zwischen Individuen und Arlbegriffen unterschieden werden müsse und
unmöglich die Individualität vom Allgemeinen selbst prädicirt werden
könne, wohingegen, wenn man das Individuum zugleich schon als Art
oder Galtung nehme, die Aussage des Gattungsbegriffes ihres Subjectes
beraubt werde oder bei Qualitäten (d. h. bei adiacentia) eben nicht
mehr eine von mehreren Subjeclen geltende Aussage sein könne2"*4).
283) Glossulae s. Porph. bei Kemiisat a. a. 0. U, |>. 98. : Ce systtrne exigt
que les formet aient si peu de rapport avec la mattere qui leur serl de sujet, que
das qu'elles disparaissent, la mattere ne differe plus d'une autre matiere snus aucun
rappnrt, et que lous les sujels individuels se riduisent a l'unite et a l'idenlite'. Une
grate htrisie esl au baut de celte doclrine, car avec eile la subslance ditiine, qui est
re'cormue pour n'admettre aucune forme, est necessairemenl identique ä taute substance
quelconque ou a la subslance en ge'ndral Et non seulemenl la subslance de
dien, mais la substance du phenix (s. Abschn. XII, Anm. 87.), qui est unique,
n'est dans ce Systeme que la substance pure et simple, sans accidenl, «uns proprie'te,
qui , partout la meme , est ainsi la substance universelle. C'est la meme substance
qui est raisonable et sans raison , absolumcnt comme la meme substance est d la
fois blanche et assise, car elre blanc et etre assis ne sont que des formes oppose'es
comme la rationalste et son contraire, et puisque les deux premieres formes peuvenl
notoirement se'trouxer dans le meme sujet, pourquoi les deux secondes ne s'y Irouveraient-
elles pas egalemenl ? Est-ce parce que la rationaliU et l'irralionalite sonl
contraiief? Etles ne le sonl point par l'essence, car elles sonl toules deux de l'essence
de qualile ; elles ne le sont ,.per adiacentia", car elles sont, par la supposition,
adiacentes d un sujet idenliquc. Uu moment que la meme substance convient
d lautes les /'armes, la contradiction peul se re'aliser dans un seul et meme etre.
284) Ebend. p. 100.: Mais c'est lä ce qui n'est pas soutenable. La dtfinition
qui veul que le genre soil ce qui esl allribuable a plusieurs, a ele donnie A l'exclusion
de l'individu. Ce qu'elle dtfinit ne peul en soi elre d aucun titre, en aucun
e'tal , individu. Dire qu'une meme chose töur a tour comporle et ne comporle pas
la de'finition du genre, c'est dire que celte chose est, comme genre, atlribuable a
plusieurs, mais que, comme genre aussi , eile ne l' est pas, car un individu qui
serait aUribuable d plusieurs serait un genre, par conse'quent l'assertion est contraiictoire
ou plulöl eile n'a aucun sens. Les auteurs disent que cette proposition
,,1'hmnme se promine", vraie dans le parliculier , est fausse de l'espice. (Hier
jedoch rauss Itcmusai entweder einen unrichtigen Text vor sich gehabt oder den
richtigen unrichtig verstanden haben, denn die wiederholte Lehre des Boethins,
p. 15, p. 36 u. s. f., lautet mit Anwendung des gleichen Beispieles — Cicero
ambulal , homo ambulal — natürlich dahin, dass das Accidens primitiv vom Indi
viduum und abgeleiteter Weise von der Species ausgesagt werde, nicht aber dass
letzteres falsch sei.) Commenl mainlenir cetle dislinction, si une meme chose est
espece et individu? .... (p. 101.) L'indwidualite resultant de formes accidenlelles
ne saurail elre l'attribut essenliel d'une subslance susceptible d'unnersalili ; cependant
celte substance en lanl que particulie're , distincle de ses semblables , est essenliellement
individuelle, violation manifeste de la regle de logique qui porle que ,,dans
wn mime l'affirmation de l'oppose exclul l'afßrmalion de l'autre oppose". Lorsqu'on
dit que le genre est aUribuable ä plusieurs, on parle ou d'altribution essentielle
(„praedicari in quid") ou de taute autre; s'il_s'agit d'attribution essentielle, comme
on le nie apres l'avoir affirmi , eile cesse d'etre essentielle, ou eile empörte avfc
174 XIV. Abälard.
Endlich uucli gegen jcue uns nicht näher bekannte Annahme bezüglich
einer proprielas der Dinge (s. Anui. 73) richtet er wiederholt den neuilicheu
aus der Definition des Gattungsbegriffes entnommenen Einwand
und bezeichnet überhaupt jede Verwechslung oder Vennengung des.
Individuums mit dein Allgemeinen als das Bedenklichste und Unhalt
barste 285).
Nach seiner eigenen Ansicht über glaubte er das Uichlige, wodurch
er zuletzt den Gegensatz zwischen l'lalo und Aristoteles versöhnen zu
können meint, dadurch gefunden zu haben, indem er sich auf Eine
Stelle des Buches De inlerpr. warf, in welcher das Allgemeine als das
jenige bezeichnet wird, was „von Natur aus dazu gemacht ist, von
Mehreren ausgesagt zu werden" (quod nalum est de pluribus praedi
cari), und er konnte hiedurch in der schon oben (Anni. 254) erwähn
ten Weise die objcctiv natürliche Entstehung der Dinge neben dem
subjecliv menschlichen Erzeugnisse der Wortbezeichnuug einbergehen
lassen, ja dieses Verhältnis^ sogar durch das Gleichniss der Statue aus
drücken, welche aus dem objectiv vorliegenden Steine und der durch
Menschenhand hinangebrachten Form besteht286). Hierauf aber nun
beruht das eigentliche Partei-Schibolet Abälard's, denn aus jener Nalurbestimmlheil
des Ausgesaglwerdens folgt, dass weder die Dinge als
solche noch die Worte als solche das Allgemeine seien, sondern die
Allgemeinheit nur in dem Ausgesaglwerden selbst, also in der Redeform
des Urlheils', kurz im „sermo" liege, wodurch nun die -verfehlte und
unhaltbare Ansicht vermieden werde , dass man ein Ding von einem
eile son sujel; s'it s' agil d'altribulion accidenlelle („in adiacenlia"), la definHio»
n'esl plus exacle, eile ne convient plus •< loul genrc.
285) Ebend. p. 102.: La, difficulte esl loujours de faire cadrer ce syslenu um.
la defmition du genre. II faul que la propriele d'elre altribuable A plusieurs sepan
l'universel de l'individuel; or, on vient de dire que de plusieurs choses chacune eil
individuellemenl animal; le nom individuel d'animat serait-il donc le nom de plu
sieurs? l'individu serait-il atlribuable a plusieurs? Cela ne se peut. Mais comme
animal ne peut plus se dire de plusieurs, mais de chacun, il n'y a plus de genre,
ou plutöt loul esl renverse; c'esl l'individu ou le non-unitersel qui prend la place
de l'univcrsel, c'esl ce qui ne peut s'affirmer de plusieurs, qui s'affirme tle plusieurs,
et c'esl une fluralile ou chucun s'affirme de plusieurs que l'on appelle l'individu.
286) Ebend. p. 104 f.: Aristole, au dire d'Abelard, parail l'insinuer clairemettt,
quand il definil l'universel ce qui est ne atlribuable a plusieurs ,,quod de pluribus
nalum esl praedicari". C'esl une propridtä avec laquelle il est ne, qu'il a d'oriyine
,,a nalivitalc sua". Or, quelle est la nativite, forigine des discours ou de noms?
l'institution humaine , landisque l'origine des choses est la crealion de leurs natvres.
Celle diff^renee d'origine peul se renconlrer lä meme ou il s'agit d'une memeessence:
ainsi dans cet exemple ,,celtc pierre el celle slalue ne sont qu'un", l'e'lat de pierre
ne peut elre donne a la pierre que par la puissance divine , l'elal de Statue Ita
peul elre donne par , la main des kommen. Es lautet nemlich jene , Abscbn. IV,
Aiiin, 197., angeführte Stelle des Aristoteles in der Uebersetzung bei Boeth. p.
338.: Quoniam autem sunt haec quidem rerum universalia, illa vero singularia, dico
aulem universale, quod de pluribus natum est praedicari, singulare vero, quod non,
elc. Hier also konnte Abälard für den Realismus auf das Wort „rerum" und
zugleich für den Nominalismus auf „praedicari" sich stützen. So sind in jener
Zeit, welche keine principielle Einsicht hatte, sondern nur lleissig die Tradition
stndirte, auf einzelne herausgerissene Stellen der Schul-Litleratur, von dem Einen
auf die eine, von einem Anderen auf eine andere, sofort die Partei-Ansichten auf
gebaut worden. Vgl. oben Anm. 105, 129. 134, 170 n. unten 293.
XIV. Abälard. 175
Dinge aussagen könne, wornach ein Hing als Ding gleichmässig in meh
reren Dingen sein uiüsste, wohingegen (— „reu de re non praedicatur"
—) Alles, was ausgesagt wird, und insoferne es ausgesagt wird, nicht
ein Ding, sondern eben eine Aussage ist287). Und indem nun Abälard
hicmit obige Definition der Gattung in Verbindung bringt, verneint er
ausdrücklich, dass, wenn die Aussage (serao) allgemein ist, dann etwa
auch das Wort als Wort allgemein sei, denn .auf gleiche Weise könne
man zuletzt auch schliessen, dass der Buchslabe allgemein sei, hingegen
müsse man bei jener Definition den durch sie definirten Gegenstand,
d. h. die (Haltung selbst, in's Auge fassen, wodurcli sich zeige, dass
nicht die Gattung selbst in all ihrer Totalität in dem einzelnen Worte
enthalten sei, wohl über das die Gattung ausdrückende Wort in einem
Urllieile von Mehreren) ausgesagt wird, kurz dass eben das Urlheil aus
sagbar ist, — „sermo esl praedicabüü" —, weil das Denken die Worte
behufs der Darstellung der Dinge ordnet 2SS). Wenn hiernach das Wort
nicht nach seinem äusserlich wirklichen Klange, sondern nach seinem
inneren Sinne ausgesagt wird, und also seine Bedeutung es zu einem
Allgemeinen macht 289), so darf man auf solche Weise wohl sagen,
dass Gatlung und Art ein Wort (vox) seien, nicht aber umgekehrt, dass
das Wort die Gatlung oder die Art sei, denn das individuelle Wesen,
welches . das Wort ist, kann nicht von Mehrerein ausgesagt werden,
wohingegen ein objectiv Dingliches den Gattungen und Arten enlspre-
287) Ebend. |>. l D.i.: Or , du moment que l'itniversel est d'origine allribuable
; plusieurs, m les choses ni les mots ne sont universels. da ce n'est pas le mot,
«Ja feoia;, mais le discours „sermo", c'est-ä-dire l'expression du mal, qui esl attribuables
d divers, et quoiquc les discours soienl des mols,'ce ne sont pas les mots,
mais les discours qui sont uniuersels. Quant aux choses , s'il tflait mai qu'-une
chose piit s'affirmer de plusieurs chos.es, une seule et meme clwse se relrouverail
egalement dans plusieurs, ce qui rt'pugne. Daher ebenso üialect. p. 496.: nee reni
ullain de pluribus dici, sed nomen tatilum concedimus. Hiezu die schon oben, Anm.
63., angeführte Stelle des Job. v. Salesbury.
288) Ebend. p. 107 f.: Mais Abelard se /ail des objections. Commcnl l'oruison
peut-elle etre universelle, et non pas la voix, quand la description du yenre convient
aussi bien d l'une qu'd l'aulre? Le genre est ce qui se dit de plusieurs qui different
par l'espece; ainsi le de'crit Porphyre. Or , la descriplion et le decrit doivent
convenir d toul sujel quelconque ; c'est une regln de logique , la regle „de quocunque",
et comme le discours et les mots ont le meme sujet, ce qui est dit du discours
esl dit des mots. Däne, comme k discours, la voix esl le genre. Cette proposition
esl incongrue ,,non congn.it"; car la lellre etant dans le mot, et par conse'quent
s'atlTtbttant d plusieurs comme lui , U s'ensuivrait que la lettre est le yenre, C'est
que, pour que la description ou deßnitioH du genre soit applicable, U faul qu'on
l'appliqtie d quelque chose qui ait en soi la re'alitii du diißni, ,,rem definiti" ; c'est
la'condition de l'application de la regle ,, de quocunque", et ici cctte condilion n'existe
{HU. Le mot nc contient pas laut le de'fini, U n'en a pas taute la compre'hension,
et U n'est attribw! d plusieurs, uffirme de plusieurs, „praedicatum de pluribus",
que parce que le discours est predicable, ,,est sermo praedicabilis", c'est-ä-dire
parce que la pensee dispose des mols pour decrire toutes choses.
289) Ebend. p. 108.: On peul donc dire que le discours e'lant un genre, el le
discours etant uu mot, un mot est le genre; seulement U faut ajouter que c'est ce
mot avec le sens qu'on u entendu lui donner. Ce n'est pas l'essence du mot, en tanl
que mal, qui peut clre attribue'e d plusieurs; le son vocal qui constitue le mot est
toujours actuel et parliculier ä chaque fois qu'on le prononce, et non pas universel,
mais c'est la signißcation qu'on y altachc qui est geniale.
176 XIV. Abälard.
übendes Sein bei solcher Auffassung ungestört zugestanden werden
kann290). Neulich Gattungen und Arten, insoferne wir sie denken,
beziehen sich wohl auf Etwas, was exislirl, und ergreifen es, aber
nur durch Übertragung konnte man sagen, dass dieselben als die von
uns gedachten Universalen exisliren, denn der richtige Sinn ist nur,
dass Etwas existirt, was zu diesen Universalien Veranlassung gibt291).
Und auf diese Weise IIIIIH glaubt Abälard, sei der Unterschied zwischen
Plato und Aristoteles kein innerlich wesenllicher, sondern betreffe nur
den Wortausdruck (vgl. oben Anm. 143 f.), denn nach Aristoteles seien
die Galtungen und Arten, während sie durch menschliche Nanienbezeichnung
in den Einzel- Dingen liegen, dennoch als das den reinen all
gemeinen Auffassungen des Erkennens Entsprechende ausserhalb des
sinnlich-wahrnehmbaren Einzelnen, und nach Plato seien die Univer
salien gleichfalls nicht nur Sache subjectiver Denk-Auffassung, sondern
eben als Gegenstand derselben objectiv ausserhalb des Sinnlich-Wahr
nehmbaren existirend 202); ja Abälard findet sogar für diese Uebereinslimmung
des Plato und Aristoteles, während er aus Macrobius die
Schulanekdoten über die Feindschaft des Letzteren gegen Ersteren kennt,
wieder einen Beleg in einer einzelnen höchst äusserlich herausgerissenen
290) Ebend. p. 109.: Abelard ... permet qu'on tlise que le gcnrt ou l'esptce
esl un mal „esl vox", et U rejetle les proposilions converses; car si l'on disait
que le mot esl genre , espece , universel, an attribuerait une essence individuelle,
celle du mot, a plusieurs, ce qui ne se peut. C'est de meme qu'on peut dir« „cel
animal („hie Status animal") est cette mattere, la Socratite est Socrate" l'un et
l'autre de ces deux est quelque chose, quoique ces proposilions ne puissent elre renversees.
Dialecl. p. 480.: in significationibus suis voeabula saepe nominantur, ut
Qum ea quoque vel genera vel species ml universalia vel singularia vel subslantias
vel accideiitia nominamuf ; nomen uiilem hur loco accipiendum est quaelibet vox
signi/tcath'a simplen, qua rebus praeposila voeabula prdedieamus.
291) Ebend. p. 109.: II decide que, bien que ces concepts (ob wohl hier im
lateinischen Originale „conceptvs" steht? ich vermuthe eher, dass es „intellectus"
laute, s. unten Anm. 313 IV.) ne donnent pas tes choses comme discreles , ainsi que
les donne In Sensation, ils n'en sonl pas moiits justes et valablcs, et embrassent les
choses reelles. De sorte qu'il est vrai que les genres et les especes subsistenl, en
ce sens qu'ils se rapportent ä des choses subsislantes, car c'est par metaphore (wohl
„per translalionem") seulcment que les phüosophes ont pu dire que ces univefsaux
subsislent. Au sens propre, ce serait dire qu'ils sont substances, et l'on veut exprimer
seulement que les objets qui donnenl Heu (etwa „locum praebent"?) aux
universaux, subsislent. Les doules que ce langage figure' a fait nailre sont la setile
source des diffieulUs qui semblent arreter Porphyre. Bei dieser ganzen Stelle be
klagen wir es am meisten, nur auf Remusal's nicht nnbederfkliche Umschreibung
angewiesen zu sein.
292) Ebend. p. 110.: Abelard re'duit ces difficu/te's d des simples questioits de
mols. Ainsi pour lui le dissentiment entre Aristote et Platon venait seulement de
ce que le premier pensait que les geiircs et les espices subsistent par appellalion
dans les choses sensibles., ou sereent d les nommer en essence, ,,appellant in se",
et que cependanl ils sonl hör s de ces choses, en ce sens qu'ils correspondent d dts
concepts,' purs de toutes /'armes accidentelles sensibles, landis que flalon voulait que
les genres et les espices fussenl non-seulement concu, mais subsislanls hors des
sensibles. Ainsi, dit Abtlard, la difffrence n' est pas dans le sens, quoiqu'elle
semble se montrer danf les lermes. Ueber die Quelle des Ausdruckes „appellant
in se" s. oben Anm. 13.; hingegen für die Entgegensetzung des Platonismus and
Arislotclismiis ühei'h.mpt konnte Abälard auch Buetli. ad Porpk. p. 56. benutzen.
XIV. Abälard. 177
Stelle der Kategorien, woselbst er dem Aristoteles den platonischen
Realismus aufdrängen will 293).
So weist uns nun jener für Abälard als Ausgangspunkt und als
Auctorität geltende Satz „quod nalum fsl de pluribus praedicari" (Anm.
286) von selbst gleichzeitig auf zwei Wege hinaus, deren einer in der
Richtung desjenigen, quod „nalum'1 esl , liegt und in Platonismus aus
mündet, während der andere die Richtung des „praedicari" einschlägt
und zu einem Aristotelismus führt, welcher stets den parallel laufenden
anderen Pfad in Aussicht behält, und zwar all beides, um die Dialektik
in der Theorie der Argumentation zu verwerthen.
Was nun hiemit die erslere dieser beiden Richtungen betrifft, so
haben wir hier nicht die Aufgabe einer Geschichte der Theosophie, und
werden daher unter demjenigen, was auf Plalo zurückweist, nur das
für die zweite, logische, Richtung Erhebliche entwickeln müssen. Die
Quelle für Abälard war hiebei .natürlich jener Platonismus, welcher
durch Porphyrius in den Boethius übergegangen war, und so wird aus
des Letzteren Schrift de divisione die Anschauung aufgenommen, dass
durch eine „creatio" die Art aus der Gattung entstehe , indem ähnlich
wie bei der Statue eine Form dazukomme (superveniente forma) , so
dass der Stoff (maleria) in dem neuentstandenen Gebilde (inaler iai u IH,
vgl. Anm. 160) fortbestehe, und eine Gleichheil des Seins zwischen
Art und Gattung sich ergebe 294). Hiernach besteht die Species aus
zwei Bestandteilen, nemlich materialüer aus der Gattung, formalüer
293) Dialect. p. 205 f.: Haec quidem de relativis (a. oben Anm. 192.) Arislolelem
plurimnm sequentes diximus Si etiaifr scripta magistri eius Platonis in
hoc arte (d. h. in der Logik) novissemus, utique et ea reciperemus , nee forsitan
calumnia discipuli de definitione magislri recta viderctur. Nwimus eliam ipsum Ariitotelem
et in aliis locis adversus eundem magislrum suum et primum totius philosophiae
ducem ex fomite fortasse invidiae aul ex avaritia nominis , ex mani/'eslatione
scientiae surrexisse, quibusdam et sophisticis argumenlalionibus adversus eins
sentenlias inhianlem dimicasse, ut in eo, quod de molu animae Macrobius (Somn.
Sc. II, 14, 2 u. 15, 1) meminit Sed quoniam Platonis scripta in hac arte
nondum cognovit lalinilas, nostra, eum defendere in his quae ignoramus, non praesumamus.
Unum tarnen confiteri possumus, si attentius Plalonicae definitionis verba
pensenlur , eam ab Aristotelica non discrepare sentenlia; nam in eo quod dixil,
quod „hoc ipsum quod sunl aliorum dicuntur" (diess nemlich ist die Definition des
Relativen bei Boeth. ad Praed. p. 155.), non tarn visus ad vocalem constructinnem,
ut aiiiiit, respexisse, quam ad naturalem rerum relationem; cum enim ait ,,hoe
ipsum quod sunt", essentiam demonstravit , non vocabulum. In solcher Weise also
Terfubr man mit einzelnen Stellen und einzelnen Worten, um Auctoritäten für Par
tei-Ansichten zu gewinnen. Vgl. Anm. 286.
294) Theol. Christ. IV, p. 1305.: Ex materia quippe ipsum tnaleriatum generari
et creari quodammodo tradunt philosophi; unde Plalo Ylen, i. e. corpoream naturam,
lanquam malrem corporum ponit, et Boethius in libro Divisionum (p. 639 f., s.
Abschn. XII, Anm. 97 f.) genus dividi in species quasi in quasdam a, se quodam
modo crealiones Aic.il, eo quod species ex ipsa generif subslantia nasci et conßci
habeant superveniente forma, ut homo ex animali supervenienle rationalitate et mortalitale
, sicul statua ex aere supervenienle ftgura; et cum idem sit materia, quod
ma.lma.lv.rn; sicul idem esl animal quod homo (s. ebend. Anm. 98.) vel hoc aes
guod haec statua, non tarnen ipsum materiatum est materia sui aut ipsa maleria
est malertala ex se, licet sit hoc ipsum, quod est materia eius elc. Dialecl. p. 486.:**
in constitulione speciei genus, quod quasi maleria ponitur, accepla differenlia, quae
quasi forma superaddilur , in speciem transil.
PBANTL, Gesch. II. 12
178 XIV. Abälard.
aber aus dem artmachenden Unterschiede, d. h. der differentia subslanlialis
; diese letztere aber hat ausschliesslich nur die Funclion, eben
die Species zu erzeugen , denn — was polemisch gegen andere An
sichten, s. ob. Anm. 114, bemerkt wird — sie gehl nicht mit dem
Stolle selbst in das Wesen der Species über, da sie hiedurch zu einem
Theile des Stoffes der Species würde, sondern sie ist nur die wirk
same Kraft, daher auch das Gleichniss der Statue nur nach einer äus.serlichen
Aehnlichkeil zu verstehen ist, denn Species ist ja die Statue
nicht,' sondern nur eine menschliche Zusammenlegung29). Auch darf
jene crealio nicht so verstanden werden, dass etwa in zeitlicber Existenz
die Gattung vorher da sei, ehe die Species ins Dasein trete, denn ge
rade im natürlichen Sein der Dinge exisliren die Gattungen nur in den
Arten und umgekehrt29"), sondern diese Priorität oder Posteriorilät fällt
dem Gebiete der Aussage (praedicatio) anheim , welche bald auf die
Form, bald auf das durch sie Geformte u. s. w. gehen kann 29T). Wenn
aber hei diesem Entstehen der Arten aus den Gattungen jene schwie
rigere Frage bezüglich der Gegensätze (ob. Anm. 113 u. 115 f.) zu er
ledigen war, so ist hierüber Abälard's Ansicht folgende: Die Verschiedenbeil
der Arten kann nur dadurch bewirkt werden, dass eine Ver
schiedenheit der Substanzen besiebt; diese aber ist ein Erzeugniss des
artmachenden Unterschiedes, welcher eben darum ein substantieller
heisst, weil er eine Ausscheidung innerhalb der Substanz und dabei
295) Dialecl. p. 477. : Hominis cnim alia pars substanlia animalis, alia forma
ralionalilatis vel morlalitatis , conwonit autem animal liominem matcrialiler, rationalitas
vero et mortalitas formaliter^ebenso Glossac ad I'orph. p. 575.). Neque enim
ralionalitas et inorluliliis, cum qualüates sinl, in essenliam liominis, qui substanlia
est , possunt converti, sed solo animalis subslantia homo ef/tcilur, per Informationen
tarnen subslantialium cius difterentiarum , unde rede Porphyrius ,eas substanliales
differentias esse deßnit (b. Boeth. p. 84., Tgl. Abschn. XI, Anm. 44.), secundum
quas ipsa genera, quae ab ipsis divisa sunt, specificantur .... Nee cum ipsae generis
substantiam in speciem reddunt, ipsae quoquc in essenliam speciei simul transeunt,
sed so/o genera vel subiectu spedftcanlur , non quidem separala a differentiis , sed,
nisi ei differenliae adt'eniunt, ipsa sola non etiam differenliae specics efßcittir, non
quidem cum differentiis , sed per differenlias , sicut in libro Partium tractalu speciei
disseruimus (s. Anm. 272.); si enim differentiae in speciem Irans ferreutur cum gtnere,
....ipsas de substanlia rei esse et in partem materiae venire continyeret
(p. 478.) Nihil aliud materia iam /ormis actualitcr coniuncta quam ipsum materiatum,
ui nihil aliud est hie annulus aureus quam aurum in rolundilatem ductum
Statuac compositio, quam Boethius (p. S8.) ponit, .... speciei non videtur , cum nee
materia sil unttrn, sed operalione Itominum, nee substanliae nomen, sed accidenlis,
cum statua videatur et a quadam composilione isumjilum.
296) Introd. ad theol. H, p. 1083.: Cum autem species ex genere crcari seu
gigni dicantur, non tarnen ideo necesse est, genus species suas (empöre vel per
existentiam praecedere, ut videlicet ipsüm prius esse contigerit quam Mas; nunquam
etenim genus nisi per aliquant speciem suam esse contingit, vel ullatenus animal
fuit, antequam rationale vel irrationale fuerit, et ita specics cum suis generibus
simul naturaliler exislunt, ut nullatenus genus sine illü, sicut nee ipsae sine genere
esse poluerint.
297) Theol. Christ. III, p. 1277.: Proprietas itaque materiae ipsa esl priorilas,
Secundum quam ex ea materialtter aliquid fieri habet, materiati vero proprietas est
ipsa e converso poslerioritas ; proprietales itaque ipsae impermixtae sunt perpraedicalionem,
lieft ipsa propriata peimixtim de eodem praedicentur ; aliud quippe est
praedicare formam, aliud formatum ipsum, h. e. rent ipsam formae subicctam*
XIV. Abälard. 179
zugleich eine Einheit der abgeschiedenen Gruppen, deren jede Eine
gemeinschaftliche Natur hat, bewerkstelligt29*); und sowie hiernach
nicht mehr in einer Wesens-identität der Stoff, welcher die Gattung ist,
in den sämmllichen Arten vorliegt, so sind es lediglich nur die Arten
der Substanz seihst, welche durch den arlmachenden Unterschied er
zeugt werden; wenn daher alle übrigen, nicht aus der Suhslanz her
vorgehenden Arten ohne Wirkung eines substantiellen Unterschiedes
entstehen und somit im blossen Stoffe begründet sein müssen , so ist
die Einheit des letzteren als eine Wesens-Aehnlichkeit (consimililudo)
zu verstehen, durch welche z. B. hei dem gemeinschaftlichen Wesen
des Farbe-Seins die Gegensätzlichkeit des Weissen und Schwarzen nicht
ausgeschlossen ist299). So unterscheidet Abälard zwischen Formen,
welche seihst Wesenheiten sind und in den zu Grunde liegenden Stoff
(subieclum) erst eintreten müssen, um ihn zu Etwas zu machen, was
er ohne sie nicht wäre, und zwischen solchen Formen, welche keine
Wesenheilen selbst sind, sondern schon in) Stoffe der Galtung enthalten
sind 30°); in ersteren liegt natürlich der eigentliche artmachende Unter
schied, sowie in letzteren das sog. zufällige Merkmal accidenteller Un
terschiede, d. h. jene adiacenlia (Anm. 284), welche Gegenstand der
nicht-substantiellen Aussage ist 30 '). lliemit aber sind bei den wesent
lichen Formen die Gegensätze durch die Thätigkeit des artmachenden
298) Dialect. p. 418.: Diversitas itaque substantiae diversitatem generum ac
specierum facit, .... nam etsi in speciebus substantiae specierttm diversitalis causa
sit differentia, hoc tarnen ca rerum diversitate , substantiae quam faciunt, conlingit;
unde etiam substantiales sunl appellatae liuiusmodi differentiae, quae in substantiam
venientes et discrelionem subslantiae /'aciunl et unionem communis nalurae; neque
mim alia in speciali aut gcnerali natura concludimus , nisi ea quae natura substan
tiae dir in u tmivil operalio.
299) Eb'end. p. 400, woselbst nach der oben, Anm. 113., angeführten Stelle
folgt: Si enim oamium specierum est eadem in essentia materia, tunc albedinis et
nigredinis et ceterorum contrariorura, quae omnia eiusdem ycneris species esse nccesse
est Nostra quoque sentenlia lenet, solas substanliae species differentiis confici,
ceterasque species per solam subsistere maleiiam , sicul in liliro Partium ostendimus.
Si ergo eadem prorsus est materia, quae est in ipsis diversilas? Sed eadem (d. h.
rli:-L'n.ilas in ipsis est) , quae esi in consimililudine substantiae non indeterminatae
essentiae; neque.enim ea qualitas, quae est essenlia albedinis, essentia est nigre
dinis, esset enim albedo nigredo, sed consimilis in natura generis superioris ; eonsimilitudo
aulem vel substanliae vel formae contrarietatem non impedit. Bezüglich
der consimililudo vgl. Anm. 307.
300) Pseudo-Abael. de intell. b. Cousin, Fragm. phil. (1840), p. 495 f.: Alu
aulem , qui quasdam formas esse essentias , quasdam minime, perhibent, sicut Abaelunlus
et sui , qui artet» dialeclicam non obfuscando sed diligentissime perscrutando
dilucidant, nullas formas essentias es$e approbant , nisi quasdam qualitates , quae
sie insunt in subiecto, quod subiectum ad esse earum non sufftcil, sicut ad esse
quanlilalum ipsum subiectum sufftcil vel ad esse sessionis ntcessaria est disposilio
partium Niillam enim formam essenliam asserunt, cui polerit assignari,
subieclum ad esse illius sufficere.
301) Theol. Christ. III, p. 1280.: sine illa forma sit communis differentia, h.
e. separabile accidens , ut nasi curvitas, sine magis propria differentia, i. e. substantialis
, sicut est rationalitas , qimr. scilicet substanlialis differentia non solum
facit alterum, i. e. quoquo modo diversum, verum etiam aliud, h. e. substantialiter
atqne specie diversum. Die Quelle bievon ist Porphyrius (Abschn. XI, Anm. 44.),
d. h. Boetli. p. 79 ff.
12*
180 XIV. Abälard.
Unterschiedes erst entstanden und sofort ausgeschieden , während sie
bei den unwesentlichen Formen als Möglichkeiten im Galtungsstoffe vor
liegen302), und es konnte Abälard, indem er sämintlicheu bloss quali
tativen Gegensätzen kein Wesens-Substrat unterlegte, sondern ein solches
nur in den art-constituirenden Gegensätzen anerkannte , sehr leicht mit
Aufrechthaltung der Unvereinbarkeit des Gegensätzlichen jener obigen
(Anm. 115) Schwierigkeit entgehen303). Während aber so jener Creations-
Process, in welchem der artmachende Unterschied ausscheidend
wirkt und das Ausgeschiedene nach Einheilen zusammenfällt (Anm. 298),
in fortschreitender Stufenfolge bis zum Einzel-Individuum sich erstreckt,
welches als solches wesentlich (d. h. essenlialiler oder enlialüer, nicht
jedoch seiner Substanz nach) von seines Gleichen geschieden ist 304),
su gilt für Abälard im Anschlüsse an Porphyrius und Boethius allerdings
wohl der Begriff des „ens" als ein vieldeutig allgemeiner Name 30r>),
hingegen „subslanlia" muss, insoferne diess der Begriff des genus ge
neralissimum ist, als jener oberste und letzte Stoff betrachtet werden,
an welchem die Thäligkeit des artmachenden Unterschiedes beginnt306).
So lehrt Abälard als Platoniker eine objective Ontologie der Uni
versalien, welche einerseits von dem plumperen Realismus des Wilhelm
von Champeaux sich durch sorgfälligere Benützung des Boethius zu
ihrem Vortheile unlerscheidet, andrerseits aber durch obigen Begriff
der consimililudo (Anm. 299) zugleich mit dem Verfasser De gen. el
spec. (Anm. 163 u. 177) oder mit der Indifferenz-Lehre (Anm. 132)
in eine gewisse Berührung trill30').
302) So kann z. B. bezüglich der albedo , welche natürlich keine Substanz
ist (Koelh. p. 173 f.), gesagt werden, Introd. ad theul. III, p. 1119.: Cum idem
sil ,,id quod esl album, esse nigrum" el ,,albedinem et nigredinem eidem simul
inesse", non tarnen, ut possibile esl, id quod est album, esse nigrum, ila etiam
possibite est, albtdinem et nigredinem simul eidem inesse.
303) Dialect. p. 390. : Quod si genera contrario per individua specierum non
conlrariarum in eodem conlingant, non est inconveniens (z B. dass Jemand zugleich
keusch und geizig ist, s. Anm. 115.), quippe ipsa contraria non sunt eorum tota
substanlia, sicut species Omnia itaque contraria in eodem esse negamus, statt
el ipse in eodem (d. h. Arist. Categ.) docuit ,,sed nihil, quod videalur simul con-
Iraria recipere passe" (Boelh. p. 205.).
304) Theol. Christ. IV, p. 1341., welche Stelle schon oben Anm. 241. ange
führt wurde. Ebend. III, p. 1280.: Haec ilaque so/a et omnia numero sunt differentia,
quae Iota quantitate suae essentiae discrela sunl, sive solo numero ab invicem
dislent, ut Socrales el Plalo , sive etiam specie, ut hie homo et ille equus, seu genere
quoque, ut hie homo et haec albedo, seu quacunque forma ab invicem differant.
S. Aura. 337.
305) Glossae ad I'orph. (b. Cousin) p. 569.: Ens est aequivocum .... videlicel
illam definilionem , qüam habet ens in praedicamento subslantiac, nunquam habebil
in praedicamenlo quantilalis; .... ens non habet unam substanlialem dcfinitionem,
eum qua praedicalur de Omnibus generalissimis , cum hac definitione praedicatur ens
de substantia: substantia est ens, quod neque est qualitas nee quantitas etc. S.
Abscha. XII, Anm. 89.
306) Ebend. p. 565.: Subslanlia esl generalissimum, quia esl solum genus ....
(p. 566.) quemadmodum subslanlia est genus generalissimum, cum suprema sil, eo
quod iiullum genus supra eam sil, etc. Hiezu obige Stelle Anm. 298. und Dialect.
p. 485.: Genus omne naturaliler prius esl suis speciebus genus est materia
specierum.
307) In einer ähnlichen an jene Ansichten erinnernden Weise drückt sich
XIV. Abälard. 181
Was aber nun die andere, logisch-aristotelische Anschauungsweise
Abälard's betrifft, so müssen wir /,u entwickeln versuchen, wie er
obigen Begriff des „sermo" (Aniu. 286 ff.) verstanden wissen wolle und
im Einzelnen begründe, wobei es von vorneherein als beachtenswert!]
erscheint, dass er durchweg seinem dortigen Ausgangspunkte gelreu
bleibend sich an Stellen hält, welche in dem Buche De inlerpr. ent
halten sind. Soll nemlich obiger Grundsatz festgehalten werden, dass
das Ausgesagtwerden (praedicari) in der Naturbestimmtheil der Univer
salien liege, so ist es zunächst nur eine Umschreibung hicfiir, wenn
gesagt wird, dass die Aussage (sermo) mit den Dingen in einer ur
sprünglichen Verwandtschaft stehe 30S), was jedoch natürlich so zu ver
stehen isl, dass die Wortbe/.eiclmung (vocum imposilio) als das Spätere
von den durch sie bezeichneten objektiven Dingen (res significala) be
dingt und abhängig ist30"); ja dass in diesem Sinne selbst die H.odeulung
des Wortes (signißcalio) noch das Frühere ist, von welchem erst
das Wort als Wort abhängt310). Auf diese Weise sind dann allerdings
die Gattungen und die Arten Nichts anderes als das durch diese Worte
Bezeichnete311), aber dasjenige, was hiedurch bezeichnet wird, kann
hinwiederum Nichts anderes sein, als die Erzeugnisse jenes Creations-
Processes von der Gattung an bis zum Individuum herab, und indem
die Gattungen und Arten nur in den Individuen eine concrete Existenz
haben , sprechen wir z. B. in dem Salze „Sokrates isl ein Mensch" nur
von dem durch diese Worte Bezeichneten , nicht aber ja von diesen
Worten als Worten312). Eben aber, da die Gattungen und Arien als
Abälard aus Tln'ul. Christ. III, p. 1261.: Sed nee Socrales, cm» sil a Platane numero
diversus, h. e. ex di&cretione propriae essentiae ab ipso alias, ullo modo ab
ipso aliud dicitur, h. e. substanlialiter di/ferens , cum ambo sinl eiusdcm naturac
secundum eiusdem speciei convenientiam , in eo scilicet quod ulerque ipsorum homo
est. Ebend. p. 1279.: Idem vero simililudine dicunlur quaelibct discrela essentialiler,
jquae in aliquo imiicem similia sunt, ut species idem sunl yenere vel individua
idem in specie. Vgl. auch Anm. 337.
308) Introd. ad theol. II, p. 1074. : Constat quippe iuxta Boethium ac Platonem,
cognatos de quibus loquunlur rebus oportere esse sermones. S. Boeth. ad Ar.
de interpr. p. 323.
309) Dialect. p. 487.: vocem secundum impositionis suae oriyinem re significala
fosleriorem liquet esse. Ebend. p. 350.: Si nominis huius, quod est „homo",
propriam impositionem lenuerit , secundum id scilicet , quod substantiae hominis ut
existenti ex animali et rationalitale et mortalilate datum est, ratam omnino conseculionem
videril. Hiezu die oben, Anm. 255., angeführte Stelle.
310) Dialect. p. 345.: neque enim nomina neque verba sunt suis non existentibus
signißcalionibus. Ebend. p. 482.: propria signißcalio, illa scilicet, de qua
inlellectum proprie vox queat generare.
311) Glossae in Porph. p. 567.: genera et species, id est ipsa signißcata harum
vocum, sowie in obiger (Anm. 278.) Stelle stets: sex voccs et signiftcata carum.
312) Dialecl. p. 204.: Neque enim substcmtia specierum diversa esl ab esscntia
individuorum, sicut' in libro (zu lesen primo, s. Anm. 272.) Partium oslendimus,
nee res ila sicut vocabula diversas esse conlingil; sunt namque diversae vocabulorum
in se essentiae specialium et singularium, ut ,,homo" et ,,Socrates", sed non ita
rerum diversae sunt essentiae; unde illam rem, quae est Socrates, illam rem, quae
homo est, esse dicimus , sed non illud vocabulum, quod esl „Socrates", illud, quod
est ,,homo" ; unde quod in re speciali contingit, et in ipsius individuis necesse est
conlingere, cum videlicet nee ipsae species habeanl nisi per individua subsislere nee
1 82 XIV. Abälard.
solche nicht das concret Existirende sind, so gilt der alte Spruch „singulare
sentüur, universale intelligilur", und indem die inlellecluelle
Auffassung (inlellectus) das Nicht-Sinnfällige ergreift313), muss sie, weil
jenes nicht-sinnfällige Universale dasjenige ist, was zum Ausgesagtwerden
bestimmt ist, notwendiger Weise den Entstehungsgrund der Aussage
enthalten und durch jede Aussage als Entstehungsgrund derselben zum
Bewusstsein kommen, d. h. sermo generalur ab inlelleclu et general in
lelleclum 3 ' 4). So ist das Aussagen (sermo) das Terrain der Universa
lien und nur im Ausgesagtwerden (praedifarf) , nicht etwa als Dinge
(denn ein Ding als Ding ist ja nicht ein Ausgesagtes), sind sie eben
Universalien.
Während aber nun so jene inlellectuelle Auffassung (intellectus),
insofern« sie das Nicht-Sinnfällige ergreift und hiemit die Erzeugerin
der yrtheile wird, ihrerseits auch auf den platonischen Idealismus (Anm.
263) zurückweist, ist für die Logik, welche auf die menschlichen
Kundgebungen der Rede sich bezieht und in Aristoteles ihren Meisler
hat (Anin. 255 ff.), jene Kehrseite das Entscheidende, wornach durch
das Urlheil die intellecluelle Auffassung zum Bewusstsein kömmt Es
trägt dabei der Gedanke ein Moment des Zeitlichen (vgl. Anm. 252)
an sich, denn jedes Urlheil bedarf, um ausgesprochen zu werden, eine
Zeit, und erst nach dem successiven Auftreten all seiner Theile ist es
wirklich significant, und während das Transilorische der Theile des
Urtheiles nicht seihst schon eine Form hat, welche etwa die „Bedeu
tung" wäre, macht nur das Erfassen des Gedankens (intcllecl-un conceplus)
den Satz zu einem bedeutungsvollen oder bezeichnenden315),
so dass auch die Einheit des Urtheiles in der Einheit des Gedankens,
welchen es erweckt, besteht310). Eben darum aber hat das Unheil,
»n ea, quac informanl et ad invicem faciunt respicere, nisi per individua, venire
(vgl. Anm. 296.).
313) Introd. ad theol. II, p. 1061.: proprie de invisibilibus intellectus dicilur,
secundum quod quidem intetlectuales et visibiles nalurae distinguuntur.
314) Theol. Christ. I, p. 1162 f.: Licet eliam ipsum nostrae mentis conceptum
ipsius sermonis tarn e/feclum quam causam ponerc , in proferente quidem causam, m
audiente effectum, quia et sermu ipse lo/jucnlis ab eins intellectu proßciscens generalur
, et eundcm rursus in audilore general inlelleclum. Pro hoc itaque •nhi.riiini
sermonum et inlellectuum cognalione non indeccnter in corum nominibus »minus ßeri
licet translationes, quod in rebus quoque et nominibus proptcr adiunctionem signißcationis
frequenter contingil.
315) Dialect. p. 191 f.: Nostra in eo sententia pendel , ut post onmium partium
suarum prolalioncm oralio signiftcare dicalur • tunc enim ex ea inlelleclum colligimus
, mm prolatas in proximo dictiones ad memoriam reducimus, nee ullius tocii
signiftcatio perfecta e'st, nisi ea tota prolata Cum igilur dicinms, prolatam
oratiunem signiftcare, non id inlelligi volumus , ut ei, quod non est, formam ali
quant, quam tigni/iealionem dicunl, altribuamus, sed polius inteüeclum ex prolata
oralione conceptum anitnac audientis conferimus, ut cum dicimus „Socrales currit",
signißcatus hie videtur sensus, quod intellectus ex prolatione ipsius conceptus in
an i in a alicuius exislit Quod inlellectus aliquis generelur, possumus orationem
quamlibet ita signißcativam dicere , quod unum de his , ex quibus intellectus concipiatur.
Die Quelle hievon ist Boeth. p. 296 f., s. Abschn. XII, Anm. 110.
316) Ebcnd. p. 297.: Mulliplicem illam dictionem dicimus, quae pltiribus imposila
eil, ex quibus non fit unum, h. e. plura in senlenlia lenet non secundum
id, quod ex eis unus procedat inlelleclus ; sie autem e converso omnis illa una est
|
XIV. Äbälard. 183
sowie auch das Wort als Bestandteil desselben, wesentlich zugleich
zwei Seilen, deren eine in den Dingen liegt, über („de") welche es
handelt (significatio realis), die andere aber den Gedanken betrifft, wel
chen es enthält und erzeugt, über welchen es aber nicht handelt (significalio
intelleclualis) , »und so geht das ohjecliv faclische Sein und
Nicbt-scin dem Wahr- und Falsch-Sein des Urtheiles parallel317). Nemlich
das Wort „praedicari" bat allerdings drei Bedeutungen, indem es
einmal ganz äusserlicli von der hlossen Aneinanderreihung eines Subjectes
und eines Prädicates, abgesehen von allein realen Inhalte, ge
braucht wird, sodann aber in zweifachem Sinne das Verhältniss des
ohjeetiv Fac tische n betrifft, insoferne das praedir.ari bezüglich jenes
Creationsprocesses (Anin. 294 ff. u. 312) entweder das Geformte (malerialum)
oder die Form (/orma) mit dem Gallungsstoffe (maleria) in
eine Beziehung setzt; natürlich aber ist nur letzleres beides dasjenige,
worüber („de quo") das Urtheil handelt, und in solcher Bedeutung ist
praedicari so viel als esse, so dass , insoferne wir nu/ in Worten Urtheile
aussprechen können, es der Modalität der Ausdrucksweise anheim
fällt, wenn ein Urlheil bejahend oder ein anderes verneinend u. dgl.
ist318). Auch trifft ja jene doppelle Beziehung, welche in den Urtheilen
dictio, quae plurium significaliva es t. secundum id, quod ex eis unus inlellectus procedat.
S. Boelh, p. 335. (d. h. Aristoteles, s. Abschn. IV, Anm. 185 ff.).
317) Ebend. p. 238. : Sunt igilur verum ac falsum nomina intellecluum, vcluti
cum dicimus ,,intellectus verus et falsus", h. e. habitus de eo , quod in re est vel
non est, quos quidem intellectus in animo audientis prolala proposilio yenerat
Sunt rursus vervm ac falsum nomina proposilionum, ut cum dicimus „propositio vera
vel falsa", i. e. verum vel falsum intellvctum generans. Siynißcant proposiliones idem,
quod in re est vel quod in re non est; sicut enim nominum et verborum duplex ad
rem et ad intellectum significatio, ila etiam propositiones, quae ex ipfis componunlur,
duplicem ex ipsis significationem conlrahunt , unam quidem de intelleclibus , aliam
vero de rebus Palet insupcr adeo , per propositiones de rcbns ipsis, non de mtellectibus
nos agere. p. 240 f.: Kestal ilaque, ut de solis rebus, ul dictum est,
propositiones agant, sive idem de rebus, quod in re est, enunlienl, ut „homo est
itnimal , homo non est lapis", sive id, quod in re non est, proponant, ut ,,homo
non est animal, homo est lapis", ut etiam de significalione reali proposilionis , non
tantum de inlellectuali , supraposila propositionis definilio (Boeth. p. 291.) possit
exponi sie ,,significans verum vel falsum, i. e. dicens illud, quod est in re vel quod
non est in re", et in hac quidem significalione verum et falsum nomina sunt earum
existentiarum rerum, quas ipsae propositiones loquuntur. Cum autem eandem de-
/initionem el de inlellectibus ipsis hoc modo exponimus „significans verum vel falsum,
4. e. generans secundum invenlionem suam de rebus, de quibtts agitur , verum vel
falsum intellectum", lunc quidem ipsos nominal intelleclus. Nola aulem, sive de in
lellectibus sive de rerum exislentiis exponamus, oratimis praemissionem necessariam
esse. Die Quelle bievon b. Boelh. p. 321. Vgl. auch Anm. 347.
318) Ebend. p. 367.: Tribus autem modis ,,praedicari" sumilur, uno quidem
secundum enuntiationem vocabulorum ad se invicem in conulructione , duobus vero
secundum rerum ad se inhaerentiam , aut cum videlicet in essentia cohaeret sicul
materia materiato, aut cum alterum allen secundum adiacentiam adhacret ut forma
materiae. Ac secundum quidem enuntiationem omnis enuntiatio .... praedicatum el
subiectum habere dicitur Sed non de his in propositione agitur, sed de praedicatione
tantum rerum, illa scilicet solum, quae in essentia, quae verbo substantivo
exprimitur, comistat Tantum itaque '.praedicari" illud accipimus , quantum si
„hoc illud esse" dicercmus , tanlum per ,,removeri", quantum per „non esse"
Cum üaque per „praedicari" „esse" accipiamus, superflue vel ,,vere" vel „affirma
tive" apponitur; quod enim est aliquid, vere est illud, affirmative aulem enuntia
184 XIV. Abälard.
enthalten sein kann, mit der alten Unterscheidung zwischen „de subieclo"
und „in subieclo" (s. Alischn. XII, Anm. 92) zusammen, und das
Gesetz der Aussage (lex praedicamenti) hat seinen Wirkungskreis in
eben jenen zwei realen Bedeutungen des Urtheiles 319).
Hiemit ist uns nun obige (Anm. 272 ff.) Gliederung der Dialektik
Abälard's erst völlig versländlich. Im sermo , d. h. im Urtheile, liegt
Alles. Hiefür aber sind die Universalien die gebornen, im Creationsprocesse
entstandenen PrSdieate, welche das Denken platonisch erfassl
und im Urlheile aristotelisch als Universalien ausspricht, daher ja Abä
lard auch das Individuum als sechstes Wort den üblichen fünf noch
beizählte (Anm. 278 ff.),- denn das Individuum als prima subslanlia
(Abschn. XII, Anm. 91) oder, wie es liier auch genannt wird, als
principalis subslanlia, wird eben mit jenem Worte (vox) bezeichnet,
welches der letzten Stufe des Grealions-Processes entspricht320); ferner
aber musste Abälard hiebei, da er den arlmachenden Unterschied nur
als wirksame Kraft, welcher nicht selbst in den Gatlungsstoff eingehe,
betrachtete (Anm. 295), den Namen der Differenz nicht als Subslantivurn
nehmen, wie Wilhelm v. Champeaux gethan hatte (Anm. 108), sondern
konnte den Schwierigkeiten, welche hierüber auch von Anderen erhoben
wurden (Anm. 122) dadurch ausweichen, dass er das die Differenz
bezeichnende Wort als ein von derselben abgeleitetes Adjecliviim —
„sumplum" — erklärte 321). Nach jenen gebornen Prädicaten aber
tionis esl delerminalio , quia tantum in vocibus consistit af/irmalio, sicut et modi
vel determinatiunis apposüio; modus enim vel determinatio (s. Abschn. XII, Anm.
119.) tantum vocmn sunt designativa, quae solae moderanlur vel delerminantur in
enuntiatione positae. S. Anm. 327. u. 375.
319) Glossae in Caleg. p. 579 f.: omnia aut dicunlur de principalibus substantiis
sibi subiectis servata lege praedicamenti .... aut sunt in eis subiectis.
Eine andere Ausdrucksweise hiefür ist (ebend. p. 585 f.) die Unterscheidung zwi
schen praedicari substantialiler und praedicari accidenlaliter (Itwlli. p. 134.), vgl.
Anm. 322.
320) Ebend. p. 584.: species, in quibus continentur principales substantiae
genera et species ordinata post principales substanlias sola dicuntur- secundae
substantiae (u. öfters ebenso), p. 591.: Vere primae substanliae signißcant aliquid
hoc individualc , quia illud , quod signiftcatur a prima subslantia , scilicct quae vox
esl sicut et eonsimilia (so ist nach der Handschrift mit kleiner Aenderung zu lesen,
Cousin gibt Widersinniges), est individuum et unum numero , i. e. parificalum numerali
descriplione , i. e. significalur ab hac voce, quae est individuum et unum
numero.
321) Dialect. p. 456.: De nominibus differentiarum sciendum est, ut non quidem
substantiva, sed sumpta a differentiis snmanlur, posita tarnen loco specierum; oportet
enim in eadem significatione vocabula differenliarum sumi in divisione generis, in qua
signi/icatione ipsa in definitione speciei ponuntur, mm scilicei nomini generali adiacent
(p. 457.) sicut in nostra fixum est sentenlia, nullo modo inier accidentia
differentias admittamus (s. oben Anm. 300 f.); quod aulem Porphyrius per differentias
genus in specifs. dividi dixit, secundum eam dictum esl senlentiam, qua naturam
generalem in species' redigi atque dislribui per susceplionem differentiarum realiter
voluit , aut potius per differentias genus in species dividi voluit , cum earum voca
bula adiuncla nomini generis speciem designant alque dcfinüionem speciei componu.nl,
hoc modo ,,animal aliud rationale, aliud irrationale animal." Ebend. p. 189.: In
iumptis enim non ca, quae ab ipsis nominantur, comparantur, sed tantum formae,
quae per ipsa circa subiecta delcrminanlur ; alioquin et subslanlias ipsas comparari
contingeret , quae a sumptis nominibus nominanlur , ut ab eo quod esl album.
XIV. Abälard. 185
folgen dann in den Kategorien die Dinge selbst, insofern« sie durch
Worte bezeichnet werden — „nalurae , quae vocibus designanlur" —,
und die Kategorien enthalten demnach die Dinge322), wohingegen zu
nächst hierauf die Worte als das Bezeichnende betrachtet werden und
den Uebergang zum Urlhe'ile (sermd) selbst, welches aus ihnen zusammen
gesetzt ist, bilden.
Das Urtheil aber sodann enthält nicht die Dinge, sondern enthält
den Gedanken (inlelleclus) , hingegen handelt es über die Dinge, nicht
aber etwa indem es die Dinge bezeichne, sondern indem es den vom
Denken erfassten Zusammenhang der Dinge mit dem Creationsprocesse
enthält. Während demnach das Aussagen des Seienden (im Urlheile)
nicht selbst ein Seiendes ist, handelt es sich bei dem Aussagen um
einen sachlichen Verhalt, d. h. um das objectiv sachliche Zusammen
hängen des durch das Subjcct und des durch das Prädicat Bezeichne
ten 323). Diese Unterscheidung von „enthalten" und „handeln" bildet
den innersten Kern der Abälard'schen Auffassung bezüglich des Urlheiles
324). Die Aussage hat neinlich allerdings eine sprachliche Seite,
und indem wir Ein und das nemliche Ding mit mehreren Bezeichnungen
im Urtheile benennen (z. B. den Sokrates bald Mensch, bald Körper,
bald Substanz nennen) , liegt eben hierin ein Unterschied zwischen
Sprachausdruck und Realität (vgl. Anm. 312); aber während die Aus
sage (praedicalio) für sich allein in einer Losreissung von der sach
lichen Inhärenz (rerum inhaerentia) durchaus Nichts ist, hat gerade die
Logik die Aufgabe, das Urlheil in diesem Sinne nach der Seite des
Wortausdruckes zu untersuchen326). Die Hauptsache ist ja eben das-
322) Ebend. p. 209. u. 245., welch beide Stellen schon oben, Anm. 272.,
angeführt sind. Hiezu aber p. 220. : Subiectarum vero rerum diversitas secundum
decem praedicamentorum discretionem superius esl ostensa, qua principalis ac quasi
substantialis nomini signißcatio detur ; celerae vero signißcaliones , quae secundum
modos significandi accipiuntur, quaedam posleriores alque accidentales dicunlur. Vgl.
A iini. 319.
323) Ebend. p. 241.: Diqnum aulem inquisitione censemus , utrum Mae existentioe
rerum, quas propositiones loquuntur, sinl aliquae de rebus existentibus
p. 245.: Ciarum itaque ex suprapositis arbiträr esse, res aliquas non esse ea, quae
a propositionibus dicuntur Palet insuper, ea quae propositiones dicunt nullas res
esse , cum videlicel nullt rei praedicatio eorum aplari possit; de quibus cnim dici
polest , quod ipsa sint „Socrates est lapis" vel „Socrales non esl lapis" Esse
autem rem aliquant vel non esse, nulla esl omnino rerum essentia; non ilaque proposiliones
res aliquas desiynant simpliciler quemadmodum nornina. Imo qualiter sese
ad invicem habeant, utrum scilicet sibi conveniant annon, proponunt; quae idcirco
verae sunt, cum üa esl in re sicut emmtianl, tunc autem falsae , cum non est in
re ita; et est profecto ita in re, sicul dicil vera proposilio, sed non est res aliqua,
quod dicit; unde quasi quidam rerum modui habendi se per propositiones cxprimilur,
non res aliquae desifinantur.
324) Nur aus dem Misskennen dieses Unterschiedes floss es, dass Cousin und
mit ihm Hauröau und llernusul. in Abälard's Lehre einen Intellectualismus oder
Conceptualismns erblickten.
325) Dialect. -p. 247 f.: S« quis itaque secundum rerum inhaerentiam realem.
aeceperil praedicationem ac subiectionem , secundum id scilicel , quod unaquaeque res
in se recipit ac subsistit , sicut nihil esse eam videret praeler ipsam, ita eam nilül
esse per se ipsam invenerit. At vero magis praedicationem secundum verba propositionis,
quam secundum rei existentiam , nostrum est attendere, qui logicae deser
t86 XIV. Abälard.
>
jenige, worüber das Urtheil „handelt"; diess aber ist weder das Wort
noch der Gedanke (inlellucius), denn weder ist durch die Existenz Eines
Wortes die eines anderen Wortes gefordert, noch auch sind die Ge
danken, welche die Urlheile „enthallen", in einer zwingenden gegen
seitigen Verwandtschaft, da wir ja in 'jedem Urlheile nur Einen Ge
danken haben, und die Annahme, dass wir mehrere zugleich hätten,
zu der Consequenz führen würde, dass wir gleichzeitig unendlich viele
Gedanken hätten, indem sachlich in der Thal jeder Zustand unendlich
Vieles in zusammenhängender Folge enthält; hingegen nur in demjenigen,
worüber das Urtheil „handelt", ist der reale Zusammenhang oder jenes
sachliche Sichverhalten (Anm. 323) zu finden und festzuhalten 326) , da
her auch die Modalität der Ausdrucksweise, d. h. ob Bejahung oder
Verneinung oder dgl. (s. Anm. 318), weder in den Worten noch in den
Gedanken liegt, sondern nur auf ihren ohjectiv dinglichen Grund zurück
zuführen ist327).
Ist es aber auf diese Weise dem Abälard beim Urtheile nicht um
den Gedanken (intelleclus), sondern um die faclische Inhärenz im Ding
lichen zu thuri, so verstehen wir nun auch, warum er nach dem Motive
des stoisch-boelhianischen Zusammensetz-Spieles das kategorische Urtheil
nur als Vorstufe des hypothetischen Urlheiles behandelt, in welch letz
teres sich die Topik als Basis der Gellung desselben einschiebt. Das
hypothetische Urtheil als zusammengesetztes hat ja die Rolle, der adä
quate Ausdruck des Zusammenhanges zu sein , und dieser wird durch
Schlüsse, vorausgesetzt dass die Prämissen für den Hörer eine Geltung
der redenden Aussage haben, in dem Verfahren der Argumentation klar
gemacht. D. h. dasjenige, was der denkende Mensch in platonischer
Weise erfasst und durch das Urtheil in aristotelischer Weise ausspricht,
soll nun in rhelorisch-ciceronischer Weise zur Argumentation verwerthet
werden. Auch in der Argumentation nemlich, — wie polemisch gegen
Andere bemerkt wird, s. Anm. 225 — , handelt es sich nicht um die
Gedanken (intellectus), sondern um das Nemliche, worüber die Urtheile,
aus welchen sie besteht, handeln, nur mit dem Unterschiede, dass hier
vimus , st!r.ui><tii>n quod quidem de eodem diversas facinms eyuntialiones hoc modo
„Socrales esl Sorrates vel homo vel corpus vel subslanlia" ; aliud enim in nomine
Socratis quam in nomine hominis vel ccteris inlellitjilur , sed non esl alia res unius
nominis , quod Socrali inhaerel , quam altcrius. Hiezu obige Stelle Anm. 255.
326) Ebend. p. 352 f.: Neque enim veram hanc consequenliam ,,si esl homo,
est animal" de vocibus agenlem possumus accipere sive diclionibus sive proposilionibus
; falsum esl enim, ul, st haec vox „homo" exislal, haec quoque sil quae esl
,, animal" ; ac similiter de enunlialionibus sive. earum inlelleclibus. Neque enim
necesse esl, ul qui inlelleclum praecedenti proposilione generalum habel, habeal quo
que inlellcclum ex consequenli conceplum; nulli enim diversi inlelleclus ila sunl af
fines, ul allcrum eum altcro necesse sil haberi, imo nullos inlelleclus simul diversos
animam relinere, ex propria quisque discrelione conviceril , sed lolam singulis in
lelleclibus, dum eos habel, vacare inveneril; quod si quis essenliam inlellecluum ad
se sequi sicul essenliam rerum, ex quibus habenlur inlelleclus, concesseril, prafecto
quemlibel inlelligenlem infinilos inlelleclus habere concederet secundum id scilicet, quod
quaelibel propositio innumerabilia consequenlia habel Ul igilur veritatem conseculionis
leneamus, de rebus lanlum eam agere concedamus et in rerum natura rcgulas
anlecedenlis ac consequenlis accipiamus. »
327) Ebend. p. 404., welche Stelle schon oben, Anm. 208., angeführt ist.
XIV. Abälard. 187
die Subsumplion (inferentia) es ist, durch welche der in dem sachli
chen Bestände vorliegende nolhwendige Zusammenhang (necessitai) im
Schliessen ausgedrückt wird 328), und Ahülard glaubt es kaum oft genug
hervorheben zu können, dass die Abfolge zwischen „antecedens" und
„consequens" (s. Abschri. XII, Anm. 144) niohl im Gedanken, sondern
lediglich factisch in der geschaffenen Natur und der realen Grundlage
aller Urtheile selbst schon vorliege329), daher er auch jener anderen
Einseiligkeit, welche wir oben (Anm. 215) trafen, schrolF die Auffassung
gegenüberstellt, dass die Modalität der Urtheile auch bezüglich der Be
griffe des Möglichen und Notwendigen (ebenso wie oben Anm. 327)
auf eine dingliche Modificalion des Seins zu begründen sei 33°).
So glauben wir nun durch das Bisherige über Wesen, Princip und
Durchführung der Dialektik Abälard's eine richtige Einsicht gewonnen
zu haben, für welche wir selbst, falls es nölhig wäre, ein von einem
Zeitgenossen herrührendes Epitaphium Ahälard's331) als äusserlichen
Beleg benutzen könnten. Allerdings ist es kein aristotelischer Geist,
welcher uns in dieser Dialektik entgegenwellt, sondern weil eher ver
spüren wir den verpestenden Einfluss des Stoicismus (s. Abschn. VI,
Anm. 47—56), welcher sich in die Schriften des Boethius hineinge
zogen hatte; denn jene Verbindung eines rohen Empirismus mit dem
328) Ebeud. p. 426 f.: Dicuntur in argumentis ea, quae a propositionibus
ipsis signiftcantur, ipsi quidem inlellectut, , ut quibusdam placel. quorum conceptio
sine etiam vocis prolatione ad concessfionem alterius ipsum cogit dubitanlem , unde et
bene ralionis nomen in praemissa definitione («l. h. in der ciceronischen, s. Abschn.
XII, Anm. 165.) dicunt apponi, ralio cnim nomen cst inlellectus , qui in anima esl.
Sed si divisionis terba allendamus, potius argumcnlum accipicndum erit in designatione
eorum, quae a propositionibus dicnntur, quam eorum intellectuum, qui ab ipsis generantur
Neque enim in propositione quidquam de iiitrlhrii/ dicilur , sed cum
de rebus agitur, per ipsam inlellectus generatur, qui ncque in sua essentia necessitatem
lenet neque inferentiam ad allerum Unde potius de his, quae propositiones
ipsae dicunt, supraposita deßnilio accipienda esl.
329) Introd. ad theol. III, p. 1134.: Ex quo apparet, quam venan sit, —
in illa philosophorum regula, cuius possibile esl antecedens et consequens, eos ad
crealurarum tantum nomen accommodare. Dialect. p. 239 f. : Ex his itaque' manifeslum
est, in consequentiis per propositiones de earum inlelleclibus agendum non
esse, sed magis de essentia rerum Et in hac quidem significalione eorum, quae
propositiones loquuntur , una tarnen regula exponilur, quae all , posito anlecedenti
poni quodlibet consequens eius ipsius, h. e. existente aliqua anlecedenti rerum essen
tia nccesse est existere quamlibet rerum existentiam consequentem ad ipsam. Ebend.
p. 351. : Si <i>iis ilaque vocum imposilioncm recte pensaverit, cnuntiationum quarumlibet
vcritatem facilius deliberaveril et rerum conseculionis necessitatem velocius animadverterit.
Ebenso p. 343 f. u. p. 382.
330) Dialect. p. 270.: Vnde oportet, ut reclae sint modales, ut etiam de rebus
sictit simplices agant et Im n r quidem de possibili et impossibili et nccessario, quod
quidem tarn in his , quae sinijulare subieclum habenl , quam in his , quae universale,
licet inspicere. S. Anm. 379.
331) Aus Rawlinson angeführt bei Re'musat II, p. 104.: Hie docuit voces cum
rebus significare, Et docuit voces res signißcando notarf, Errores generum correxil,
ita specie-rum ; Hie genus et species in sola voce locavil , El gcnus et species sermones
esse nolavit; Siynißcativum quid sil (diess nemlich ist das Unheil, s. Anm.
315.), quid significatum, Kignificans quid sit (diess ist das einzelne Wort), prudens
diversificavit ; Hie quid res cssent, quid voces signiftcarent , Lucidius reliquis patcfecil
in arte peritis; Sie animal nullumque animal genus esse probatur, Sie et homo
et nullus homo species vocitatw.
188 XIV. AbSlard.
formalen Motive des fortschreitenden Zusammensetzet» und mit dem
rhetorischen Interesse der Argumentation tritt gerade da , wo Abälard
überall die logischen Momente an die faktische Sachlage der Dinge
veräussert, an die Stelle einer dem deflatorischen Wissen wahrhaft
dienenden Syllogistik, und im innersten Kerne ist Abälard bezüglich
der Logik weit, mehr ein rhetorischer Theoretiker der Argumentation,
als etwa ein Platoniker oder- Aristoteliker. Jedoch er ist vielfach ent
schuldbar, da er ja von den Hauptwerken des Aristoteles nur etliche
zerstreute Einzelnheiten vom hlossen Hörensagen kannte (Anm. 8—18),
und insbesondere darum, weil die unvernünftige Anordnung der Theile
des Organons sowie die porphyrianischen Anschauungen des Boelhius
eine schiefe oder zwiespaltige Auffassung hervorrufen mussten. Es
rächt sich bei Ahälard und vielleicht bei all seinen Zeitgenossen, dass
einerseits die Isagoge und die Kategorien dem Platonismus näher stehen
und andrerseits zugleich das hernach Folgende den Aristotelismus ent
hält; und ausserdem mochte Abälard durch seine persönliche Begabung
selbst über ein tieferes Erfassen dieser Gegensätze hinausgehoben und
zu einem Rhetorismus hingelrieben sein. Es scheint, dass Abälard, wenn
er in jenen späteren Jahrhunderten gelebt hätte, wohl sicher ein An
hänger des Petrus Raums gewesen wäre.
Es ist uns nun aber noch übrig, Abälard's Entwicklung der Dia
lektik auch durch die einzelnen Theile derselben zu verfolgen, wobei
uns derselbe in gleiche Linie mit den obigen, ihren Namen nach unbe
kannten Urhebern der dort erwähnten einzelnen Conlroversen tritt.
Nach Abälard's eigener Eintheilung (Anm. 272 ff.) folgt nun, nach
dem die Ergänzung des Inhaltes der Antepraedicamenla uns zu den all
gemeineren und principielleren Erörterungen geführt halte, der zweite
Abschnitt des ersten Haupttheiles, nemlich die Praedica men la,
wobei selbstverständlicher Weise Boelhius zu Grunde gelegt ist und
Schritt für Schritt begleitet wird. Die Begriffe des untiocum u. dgl.
fallen nach Obigem (Anm. 312 u. 325) natürlich nur der sprachlichen
Seite anheim332). Die Kategorie der substantia, welche anderwärts
im Anschlüsse an Ps.-Boeth. de Irin, auch als subsistenlia gefassl wird 333),
erhält ihre Besprechung durchgängig im vollständigsten Anschlüsse an
ßoethius 334). Ausführlicher wird die Quantität erörtert, obwohl hiebei
Abälard auf die Erörterungen Anderer sich stützen mussle, da er nach
seinem eigenen Geständnisse in der Arithmetik unwissend war335); er
stimmt denjenigen bei, welche (vgl. Anm. 109 u. 127) der Ansicht
waren, dass die Linie aus Punkten bestehe336), und hält bezüglich des
332) So gelegentlich • Dialect. p. 480.: Hoc itaque nomen, quod cst aequivocum
sive univocum ex vocabulis tantum in rebus contingil.
333) Introd. ad Iheol. II, p. 1071.: linde cl substantiae quasi subsistentiae
esse dictae sunt, et celcris rebus, quae ei assislunt el non per se subsislunl, naturaliter
priores sunt.
334) Dialect. p. 173—178. (Der Text der Handschrift beginnt überhaupt erst
in Mitte der Kategorie subslantia , d. h. bei Boelh. p. 133.)
335) Ebend. p. 182.: Elsi multas ab arit/imeticis soluliones audierim, nullam
tarnen a me praeferendam iudico, quia eius arlis t#narum umnino me cognosco.
336) Ebend.: Talern 'intern, memini, rationem magislri nostri sententia praeten
XIV. Abälard. 189
Zahlbegrill'es an der durch den Creations-Process bedingten natürlichen
Einheit fest (Anin. 304), wornach im Gegensatze gegen obige Meinungen
Anderer (Anm. 199 f.) hier die Particularilät der Einzelnheit die reali
stische Grundlage bildet, so dass einerseits „Zahl überhaupt" schon die
Pluralität enthält und gleichbedeutend mit „Einheiten" ist, und andrer
seits die bestimmten verschiedenen Zahlen als Substantive die Bezeich
nungen für verschiedene colleclive höhere Einheiten sind, vergleichbar
dem collectiven Verfahren, durch welches wir die Dinge nach verschie
denen Gesichtspunkten in Arten oder Unterarten oder sonstige Gruppen
bringen 337). Insoweit dort auch die menschliche Rede als ein Quan
titatives zu erörtern ist, bestreilet Abälard obige Einseiligkeil, wornach
die Luft für das Significante gehalten wurde (Anm. 203), und indem
er dem Schalle diese Function zuweist, sucht er diese Ansicht durch
Auctoritäten zu stützen338). Unmittelbar nach der Quantität aber reiht
er die Kategorien übt und quando ein, da dieselben von Natur aus in
ihrem Ursprünge, mit den in der Quantität erörterten Begriffen des Ortes
und der Zeit verbunden seien339), und während er so diese beiden
Kategorien , auch z. B. mit Einschluss des Begriffes „Gestern" 34°),
realistisch fasst, gelangt er wegen des „im Orte Seins" und des „in
der Zeit Seins" auf die verschiedenen Bedeutungen des „inesse" 341)>
! , ul ex punclis lineam constare convinceretur (p. 183.) Alioquin supraposila
magistri senlenlia, cui et noslra consenlil, etc.
337) p. 186.: numerus semper in nalura discretionem habet, qui solam unitulis
parlicularilatem requiril Nomen numeri plurale simpliciter videlur alque idem
cum eo, quod esl unitates .... p. 189.: Unde opportunius nobü videtur, ut , sicut
supra tetigimus , numeri nomen subslanlivum lanlum sit ac parliculare unitalis atque
idem in signißcatione quod unitates, binarius vero vel ternarius ceteraque numerorum
nomina inferiora sunl ipsius pluralis , sicut homines vel equi ad animalia aut albi
homines et nigri vil tres vel quinque homines ad homines. El fortasse quoniam
unmia Substantive numerorum nomina in unilatibus ipsis pluraliter accipiuntur, omnia
eiusdem singularis pluralia poterunt dici secvndum hoc scilicet, quod diversas unilatum
collectiones demonstrant (vgl. Aum. 307.). Numerus quidem simplex metiatur
plurale , alia vero secundum certas collectiones determinata. Hierauf folgt dann die
oben, Anm. 199., angeführte Stelle. Vgl. auch p. 421.: Haec enim unitas hominis
Parisiis habitantis et illa hominis Romae manentis hunc faciunt binarium, unde sola
unitatum pluralüas numermn perßcil; ebenso p. 486.
338) p. 190. : JVos autem ipsum proprie sonum audiri ac signiftcare concedimus
p. 192.: unde et J'riscianus (Inst. gr. l, 1) ait, vocem ipsam längere auram,
dum auditur, ac rursus ipse Boethius (de Musica , p. 1071.) lotam vocem ad
aures diversorum simul venire perhibet, worauf noch in folgender auffallender Form
auf Auguslin und Boethius verwiesen wird (p. 193.): ipsum etiam Auguslinum in
Calegoriis suis äsierunt dixisse , und etiam ßoelhius dicitur in libro musicae artis
adhibuisse.
339) p. 195. : Bactenus de quanlitatc dispulalionem habuimus. Nunc ad traclatum
praedicameulorum rcliquorum operam transferamus, eaque post quanlitalem exscquamur,
quae ei naluralilcr adiuncta videntur ac quodammodo ex ea originem ducere
ac nasci; haec autem ,, quando" et ,,ubi" nominibus Aristoteles designal, quorum
quidem alterum ex tempore alterum ex loco duxit exordium.
340) p. 196., s. oben Anm. 196.
341) p. 197.: Quum autem et „quando" in tempore esse et „ubi" in loco esse
delerminamus , non incommode hoc loco demonstrabimus , quot modis esse in aliquo
accipimus; Boethius aultm in editione prima super Categorias novem computat (folgt
nun die Aufzählung derselben aus Boeth. p. 121., s. Abschn. XII, Anm. 92.; Cousin
nimmt Anstoss, weil er diese Stelle des Boethius nicht fand!).
\,
190 XIV. Abälard.
sucht aber im Gegensatze gegen obige Bedenken Anderer (Anm. 194),
welche die Analogie des Fragewortes „qualiler" beizogen, jene das
inesse betreuenden Ausdrucksweisen dem grammatischen Sprachgebrauche
zuzuweisen342), hingegen jene zwei Kategorien als solche dadurch zu
rechtfertigen, dass in ihnen eine Vergleichung möglich sei, sie daher
nicht auf die Quantität, welche eine Vergleichung ausschliessl, zurück
geführt werden dürfen343), woran sich übrigens noch die Klage an
knüpft, dass Aristoteles die letzten sechs Kategorien überhaupt so karg
behandelt habe 344). In der Controverse über die Relation (ob. Anna.
192) entscheidet sich Abälard schliesslich für die Auctoritüt der aristo
telischen Definition345), sowie in der Frage über die Stellung der Begrifl'e
des Aehnlichen und Gleichen (Anm. 193) dafür, dass dieselben
zur Qualität gehören 34°).
Die Poslpr aedicamenla sodann als dritter Abschnitt des Liber
parlium enthalten, wie wir sahen (Anm. 272), die Erörterung über
Nomen und Verbum, insoferne dieselben die Bezeichnungsweisea der
Dinge sind und als Theile betrachtet werden, aus welchen das Urlheil
als Ganzes zusammengesetzt ist. Die von uns im Obigen entwickelte
Ansicht Abälard's über den Begriff der Bezeichnung (significari oder
342) p. 200.: St quis autem ,,qualiter" dicat nihil aliud quam qualitatem
demonstrare, et ,,ubi" dicemus nihil aliud quam locum designare vel „quando"
nihil aliud quam tempus ; unde et earum definitiones recte vel ,,in luco esse" vel
,,in (empöre esse" dicimus , quae, si grammaticae proprietatem insistamus , nihil
aliud a loco vel tempore diversum ostendunt Videntur itaque magis pro nominibus
accipienda esse „esse in loco" vel ,,esse in tempore", quam pro definilionibus.
343) Ebend.: Haec autem generalif,sima ipsa, ut arbiträr, comparationis necessitas
meditari eompulit ; cum enim quanlilates non comparari constaret (Boeth. p.
154), non poteramus comparalioncm „diu" vel „diuturni" vel „extra" ad tempus
vel locum reducere, indeque maxime inveniri praedicamenta arbiträr, ad quae Ma
reducantur.
344) Ebend.: Ac de his quidem praedicamentis difficile est perlraetare, quontm
doctrinam ex auctoritate non liabemus , sed numerum tanlum; ipse enim Aristoteles
in tota praedicamentorum Serie sui studii operam nonnisi quatuor praedicamenlis
adhibuil, subslantiae scilicel, quantitali, ad aliquid, qualitati; de facere autem vel
pati nihil aliud damit, nisi quod contrarielalem et comparationem suiciperent
de reliquis aulem quatuor, quando scilicet, übt, situ, habere, eo quod manifesla
sunt, nihil praeler excmpla posuit De itbi quidem ac quando ipso quoque altestanle
Boelhio (p. 190.) in Physicis de omnibusque altius subtiliusque in his libris,
quos Metaphysica vocal, exsequitur , quae quidem opera ipsius nullus adhuc translator
latinae linguae apluvit , ideoque minus natura horum nobis est cognila. Vgl.
obige Anm. 18., woselbst wir schon auf die durch Gilbertus Porretanus später
beigebrachte Ergänzung hinweisen mussten, s. unten Anm. 488 ff.
345) p. 204.: Aristoteles de imper/ectione restriclionis sicut Plato de acceplatione
niniiae largilatis culpabilis vidctur ; uterque enim modum excesseril, atque hie
quasi prodigus, illa tanquam avarus redarguendus. S?d et si Arislotelem peripattticorum
principem culpare praesumamus, quem amplius in hac arte recipiemus ? Üicamus
itaque, omni ac soll relationi eius diffinüionem convenire etc.
346) p. 208.: At vero cum simililudo relalionibus aggreijetur (Koeth. p. 157.),
non videtur secundum solas qualilates simile dici His autem, qui simile ac
dissimile inier qualilales compulant (Boeth. p. 187.), monstrari polest, res quaslibtt
in eo, quod dissimites sunt, esse similes .... At fortasse non impedit , si in eo,
quod dissimilitudinem participant, similes invenianlur (d. h. er hält sich an die
letztere Stelle des Boetuins).
XIV. Abälard. 191
significatio) führt ihn hier dazu, seine Uebereinstimmung mit jenem
Garuiundus (Anm. 82) auszusprechen, welcher als gemässigter Nomi
nalist in dem begrifflichen Gehalte des Wortes, nicht im Worte als
solchem, das Wesen der Bezeichnung erblickte; eine Auffassung, welche
Abälard durch Stellen des Boethius bestätigt findet347). In dem Streite,
ob die Präpositionen und Conjunctionen als Redetheile zu betrachten
seien (Anm. 206), sucht er eine Vermilllung zwischen den einseitigen
Standpunkten der Grammatiker und der Dialektiker herzustellen, indem
er jenen Redetheilen wohl die Fähigkeit des Bezeichnens zuschreibt,
aber dieselbe in der nemlichen Weise wie den Modus der Aussage
(Anm. 327 u. 330) auf eine dingliche Modification zurückführt348), wo
durch, wie man sieht, auch nach Abälard's Ansicht die sog. Syncategoreumata
(s. Anm. 174 u. 206) folgerichtig Bi der Logik irgendwo
ihre Stelle linden müssten. In allem Uebrigen aber schliesst er sich
enge an Boelhius an und sucht Bedenken, welche von Anderen erhoben
wurden, zu widerlegen341'), wozu ihm sowohl bezüglich der Urtheile,
welche nicht die factische Existenz ihres Subjectes enthalten (Anm. 211),
Gelegenheit geboten war350), als auch insbesondere bei dem sog. un
bestimmten Urtheile (Anm. 214), betreffs dessen er theils den techni
schen Sprachgebrauch zu begründen versuchte351), theils die Leistung
des Boethius rechtfertigte 352).
347) p. 210., woselbst unmittelbar auf obige Worte (Anm. 82.) folgt: Unde
manifeslum esl , eos velle vocabula non omnia illa siynißcare , quae norninant (dass
z. B. animal nicht sofort schon homo „bezeichne"), sed ea tanlum, quae deßnite
desiynant, ut animal scilicet animal sensibile aut album albedinem, quae semper in
ipsis denotantur. Quorum sententiam ipse commendare Boethius (p. 639.) videtur,
mm ail in divisione vocis ,,vocis autem in proprias significaliones divisio fit etc."
(p. 211.) Si tarnen ,,signißcare" proprie ac semndum rectam et propriam eius
diffinitionem signamus , non alias res signißcare dicemus, nisi quae per vocem concipiuntur.
Vgl. Anm. 317.
348) p. 217.: lila ergo mihi senlentia praelucere videlur, ut grammaticis con
senlicntes , qui etiam logicac deserviunl, has quoque per se significativas esse conßtearnur,
sed in eo signißcalionem earum esse dicamus, quod quasdam proprielales
circa res eorum vocabulorum , quibus apponuntur praepositiones , quodammodo determinenl
Coniumtiones quoque, dam quidem rerum demonslrant coniunctionem,
quandam circa eas detenninant proprietalem.
349) Z. B. p. 219., wo gegenüber dem oben, Anm. 210., erwähnten Ein
wände bemerkt wird: Yerum ipse verbo deceplus erat ac pravc id cepcral, verbum
dicere rem suarn inliaerere.
350) p. 224.: Sed ad hoc, memini, ut magistri noslri scntenliam defenderem,
respondere solebam, Homeri et poetae nomen, si per se intelligantur , Hmierum designare
, unde bcne denegetur simpliciter Homerum esse, qui iam defunclus est; at
vero .... Iota magis orationis sententia inlelligenda. Dasselbe wiederholt er in der
Lehre vom Urtheile p. 251.
351) p. 220.: Est autem causa vocabuli „infinitum" non tarn ad significationem
reducenda, crnn scilicet nee solis nee omnibus infinitis mdeatur conveiiirc, quam ad
quandam impouentis institutionem p. 221.: Patel, infiniti difßnilionem non esse,
quod infinita continel , sed causam potius esse novae transpositionis et impositionis
nominis. S. Boelh. p. 311 f.
352) p. 225 f.: Si sensum exsequamur, inßnüationis quoque proprietas in
oratione quoque imenielur , et quaecunque sub ßnita non conlinentur, sub inßnita
eadem possunl ; ut, cum verum sit, Socratem non esse album asinum, veram quo
que el eam concedimus „Soerates est non albus asinus", ita quidem, ut non solum
192 XIV. Abälard.
Insoferne aber auf dein Inhalte des Liber partium, d. h. auf der
Auffassung der Universalien , der Kategorien und der Bezeichnungskraft
des Wortes , auch hei Ahälard ebenso wie bei Boelhius die Lehre von
der Einteilung und der Definition beruht, so reihen wir hier jene an
dere Schrift des Abälard, welche mit der „Dialeclica" nicht in Einem
Faden zusammenhängt (s. Anm. 277), ein. Im Liber Divisionum
ncmlich, woselbst Abälard nach des Boelhius Standpunkt Einlheilung
und Definition als Eine gemeinschaftliche Disciplin nimmt und der ers le
ren nur die Stellung einer vorbereitenden Manipulation für die letztere
anweist, dabei aber auch sein eigenes Verdienst in Bearbeitung dieses
Zweiges zu erwähnen nichl vergisst 353), schliesst er sich zunächst,
auch schon in der Aufzählung der sechs Methoden der Eintheilung
(Abschn. XII, Anm. 96}-, ganz an Boethius an354), aber bei der Ein
lheilung der Galtung in die Arien bekämpft er die Ansicht der Realisten,
welche an dein Verfahren der platonischen Dicholomie festhaken zu
müssen glaublen (Anm. 118); denn dasselbe könne keine Anwendung
auf die Kalegorie der Relalion linden, da, wenn es zwei Arten des
Relativen gäbe, diese weder auf eine oberste Gattung des Relativen
bezogen werden könnfen, — indem sie als relative dann gleichzeitig
mit der Gallung als ihrem Correlalum sein müsslen, was aber bei Gat
tung und Art nicht der Fall ist — , noch aber auch auf Unterarten,
indem jede derselben entweder auf ihre eigenen Unterarten zu beziehen
wäre — was zum neinlichen Widerspruche führen würde — , oder
auf die Unterarten der ihr coordinirten z weilen Species, wodurch, da
diess wechselseitig geschehen müssle, die Unterordnung zwischen Oberund
Unier-Arten in Verwirrung komme355). Bei der Eintheilung des
ullium inßnitelur et asinus remancat, ac si ila dicatur ,,esl asinus non albus", sed
ut tola simul oratio ,, albus asinus" negalione excludatur (es erinnert diess an obigen
— Anm. 113. — -rälhselhaften Syllogismus vom „grandis asinus"); alioquin magis
itna dictionum tanlum inßnitarelur.
353) p. 450.: Dividendi seu difßnicndi peritiam .... multorum auctoritas traclat;
quorum non quidem aimulatorcs non ingrati eorumque vesligia sludiose ampleclentes
ad tuam , fraler, imo ad fommunem omnium utililalem in eisdem desudare
compellimur. Non enim tanta fuil anliquorum scriplorum perfectio, ut non et nostro
doctrina indigeat Studio, nee tanlum in nobis mortalibus scicnlia polest crescere, ut
non ultro possil augmentum rccipere. Quoniam vero divisiones diffinitionibus naturaliler
priores sunl, quippe ex ipsis conslilutionis suae originem ducunl, in ipso quoque
traclalu divisiones merito priorem locum obtinebunt, difßnitiones vero posteriorem.
354) p. 452 ff.
355) p. 458.: Si autem genus semper vel in proximas species vel in proximas
differentias divideretur, omnis divisio generis, sicut Boelhio (p. 643, s. Abschn. ' XII,
Anm. 98.) placuit , bimembris esset Hoc aulem ad eam philosophicam sententiam
respicit, quae res ipsas , non lantum voccs , genera et species esse con/itetur.
Sed ad haec, memmi, obiectionem de relalione tiabebam; si enim in omnibus id
conligit generibus, ut duabus proximis speciebus conlineanlur, ulique et ,,ad aliquid"
duabus proximis speciebus comprehendilur, quibus sufficienter dividitur ; licet enim
earum nomina non habeamus, in natura tarnen rerum non minus consislunt. Sed ad
supremum genus non possunt re/'erri; quippe id, quod omnibus relalivis prius et
genus omnium est , simul cum ipsis non esl , unde nee relativum est ad eas, omnia
enim ad aliquid simul esse nalura, Aristoteles in praedicamentis docuit; ex eo quoque
ad ipsum referri non possunt duae Mae species Sed nee ad subieclas
species referri possunI; si enim aliqua illarum specierum ad inferiores specierum ad
XIV. Abälard. 193
Ganzen in seine Bestandteile trat Abälard in der Frage, was die ur
sprünglichen Theile (partes printipales) seien, den beiden oben (Anm.
125) erwähnten einseitigen Annahmen Anderer dadurch gegenüber,
dass er jene Bestandllieile als die wesentlichen bezeichnete, deren Zu
sammenfügung unmittelbar das Ganze constituirt. also z. B. Grundmauer
Wände und Dach bei dem Hause, d. h. er legte dabei die Verwirkli
chung des Wesens des Ganzen zu Grunde356), sowie er auch bezüglich
der Theile der Zeit (s. Anm. 202) sich dafür entschied, dass das
aus snccessiven Theilen bestellende Ganze nicht sachlich objectiv ein
Ganzes sei, sondern nur gleichsam als Ganzes oder Eines (quasi unum,
quasi tolum) durch die Betrachtung aufgefasst werde 35T). Er unter
scheidet aber auch im Anschlüsse an Boethius (Abschn. XII, Anm. 97)
die Eintheilung der Gattung von der Eintheilung des Ganzen derartig,
dass, da die Theile der Stoff des Ganzen sind und die Gattung der
Stoff der Arien ist, die erstere Eintheilung eine Zerlegung in das Spä
tere, die letztere aber eine Theilung in das Frühere sei 358). Bei der
Eintheilung des Wortes in seine Bedeutung (Abschn. Xll, Anm. 101)
reducirt er die auf die Modalität des Wortes bezügliche in gleicher Weise
wie oben, Anm. 348, auf dingliche Modifikationen 359) ; seine Ansicht
aliquid referalur , itaque vel ad sibi suppositam vel ad suppositam altert; scd ad
suppositam sibi non polest, cum prior in natura sit ut genus ; quodsi haec ad speciem
illi suppostlam et Ma ad speciem isli suppositam referatur, necesse est, allerem
ulttra priorem et posleriorem esse in nalura (p. 460.) JVora poterat (so oder
ähnlich ist zu lesen statt des sinnlosen JVo(a) itaque huius praedicamenti generalissimum
duabus contineri speciebus ; aitl nos itaque in his ultra quam oportcat sub
tiles stimus , aut , si auctorilatem salvam conservemus, non ad omnium praedicamentorum
genera respexil.
356) p. 468. : de principalitate partitim — quid nostro praeluceal arbilrio, supponamus.
Principales ilaque partes nobis appellari videnlur, quarum ad se coniunctionem
tolius perfectio stalim subsequilur, ut tecto et fundamento et pariete coniv.
nr.li s domus stalim perßcitur, sed non ita eorum partibus compositis; elsi enim
(so ist zu lesen für non) in lecto omnes partes eius iam sinl disposilae ac simililer
in pariete et fundamento, deest tarnen ad perfectionem domus compositorum , et parietis
et tecti et fundamenti, ad se invicem coniunctio, quorum quidem c.onvenlus
domus perfectionem stalim reddit.
357) p. 469.: Horum enim lotorum existenliam, quae partes permanentes non
habent, ut in orationibus et lemporibus conlingil, non possumus secundum omnes
partes simul accipere, quippe cum ipsae simul nunquam sinl, sed sibi succedanl,
unde tanlum secundum partium ipsarum existentiam lotorum dimelimur essenliam ....
(p. 470.) Sed si rei veritatem eonßteamnr , nunquam proprie ista partibus constare
conligerit Oportel ista lala, non esse confiteri, sed tarnen quasi de totis philosophos
de eis egisse secundum hoc scilicet, quod ea, quae praeterila eranl vel fulura
erunt (dieses Wort fehlt in d. Handschr.), cum eo, quod praesenlialiter est, consideralione
quasi unum colligebanl .... Quae ilaque in re Iota non sunt, secundum
tarnen eorum eonsiderationem quasi Iota accipiunlur.
358) p. 485.: Genus omne naturaliter prius est suis speciebus, totum vero
posterius fartibus, sive illae natura lantum sive tempore compositionem tolius praecedant;
quod enim in materia rei collocatur natura, necesse esl praecedere id, quod
ex eo efficitur ; parles aulem lotius materia sunt, genus vero specierum; unde fil,
ut genus in posttriora distribuatur , tolum vero in priora dividalur. Theol. Christ.
IV, p. 1293.: Vars aulem teste Boethio (p. 640.) prior est ab eo , cuius pars est,
et eo eius constilutiva divisio in priora ftl, sicul generis in posleriora. Ebenso
«>hcnd. p. 1262.
359) üialect. p. 481 f.: At quoniam vocis in signißcationes omnem divisionem
PRAHTL, Gesch. II. 13
194 XIV. Abälard.
über die Frage, ob ein Wort auch seine Buchstaben bezeichnen könne,
wurde schon oben, Anin. 204, angeführt. In der hierauf folgenden
Lehre von der Definition 36°) gibt er eine commentirende Umschreibung
des Boethius 361), wobei er Gelegenheil hat, jene Meinung, dass die
Definition nur auf die Qualitäten sich beziehe (Anm. 123), dadurch zu
modificiren, dass allerdings die Namenbezeichnung schon für sich mehr
das substantielle Wesen enthalte (Anm. 317 u. 347), hingegen die An
gabe der Eigenschaften durch den artmachenden Unterschied auch ihrer
seits auf den formbildenden Process der Substanz (Anm. 294 ff.) ein
gehe, und so Beides ineinander übergreife 3B2). Auch jene andere
Schwierigkeit, welche die Deßnition der Qualitäten selbst betraf (Anm.
124), löst er in analoger Weise; denn indem die Eigenschaft als ein
bloss Beiwohnendes (Anm. 301) betrachtet wird, kann die Definition
sowohl auf dieses Beiwohnende selbst, als auch auf die durch dasselbe
modificirten Dinge gehen, und ebensosehr auch als Definition des Namens
der Eigenschaft gelten, insoferne ja bei den Namen dasjenige, was
durch sie bezeichnet wird, Gegenstand der Definition ist, und die Defi
nition als ein Ausgesagtes stets in Worten sich bewegen muss383). In
letzterem Sinne wird die Definition als ein Urtheil erklärlicher Weise
namentlich in der Topik aufgefasst , woran sich dort die Bemerkung
monslravimus , illam quoque vocis divisionem, quae in modos fit, ptrlraclemus
Unde nee vocis divisio proprie videtur, mm in ea de voce non agatur, imo de rebvs
tanlum.
360) Ebend. p. 490.: Hactenus quidem de divisionibus traclalum habuimus ...
Nunc vero consequens esl, ul ad diffinitiones nos convertamus , quae, sicut dictum
esl, ex divisionibus nascuntur.
361) So z. B. wiederholt er (p. 491.) auch desselben Auffassung, dass nur
die mittleren Wesenheiten definirt werden können , s. Atischn. XII, Anm. 99.
362) p. 492. : Diffinitiones maxime propler ostensioncm proprietatum indticimtur,
interpretaliones vero ita nomen aperiunl, ut sola subslantiae demonstratio sufficere
queal. Tunc enim inlerpretatio proprie requiritur, cum de nominativo quoque substantiae
(die Handschr. hat nominaliva qu. sulistanlia , Cousin gibt nominata qu.
mbstantia) duhitatur nee cui etiam subslantiae imposilum sil, tenetur; tunr atitem
diffinitio sui>eraddilur, cum formae proprietas ignoratur. Cum aulem vel interpretatio
de qualitate quoque vel diffinitio de substantia etiam proponat, principatiter
tarnen illa propter substantiam monslrandam, haec vero propter qualitates ad aliarum
rcrum diffcrentiam et plenam rei demonstrationem componitur.
363) p. 495 f. (nach der in Anm. 124. angeführten Stelle): Sed ad haec,
memini, tales erant solutioncs , quae ab Omnibus suprapositis obiectionibus liberare
viderentur. Dicatur ilaque illa diffinitio albedinis esse non secundum essentiam suam,
sfd secundum adiacentiam acceptae ; unde et eam praedicari convenit et de ipsa albedine
secundum adiacentiam hoc modo ,,omne album est formalum albedine" et de
omnibus, de quibits ipsa in adiacentiam praedicatur Polest etiam dici difftnitie
eadem esse huius nominis quod est „album", non quidem secundum essentiam suam,
sed secundum significationem , nee in essenlia sua de ipso praedicabitttr, ut videlicet
dicamus, hanc vocem ,, album" esse formatam albedine, sed secundum significationem,
i. e. scilicet cum signi/icando , ac si diceremus ,,res quae alba nominalur, est for—
mata albedine". Est autem vocem diffinire eins significationem secundum diffinitionem
aperire, rem vero diffinire ipsam demonstrare. Ilaque sive di/'ßnitio vocis esse sire
cuiuscunque signifcatlpnis esse eius diccrelur, solvi poterat; scilicet profecto nihil esl
diffinitum, nisi declaratum secundum significationem vocabulum dicimus, nee rem
ullam de pluribus dici, sed nomen lanlum concedimus (über Letzleres s oben
Anm. 287.).
XIV. Abälard. 195
knüpft, dass das Definirle und die Oeflnilion wohl bezüglich des Wesens
identisch sind, nicht aber im Sprachausdrucke, indem, während beide
das Nemliche bezeichnen, doch die Definition mehr auf den Creations-
Prozess der Substanz gehe, hingegen das Defmirte noch manches An
derweitige enthalte, was in der Definition nicht ausgedrückt ist, so
dass demnach auch hier, wie oben Anui. 323—330, der dingliche
Befund, über welchen das definitorische Urlheil „handelt", die Haupt
sache ist und durch denselben die Regel sicji bedingt, dass die Defini-
'tion weder zu eng noch zu weit sein soll364).
Was aber sodann den zweiten Haupttheil der Dialektik, nemlich
die Lehre von der oralio (s. Anm. 273 f.) betrifft, so äussert sich Abä
lard im Liber Categoricorum mit einem sehr hohen Selbstbewusstsein
gegenüber seinen Neidern, über seine eigene Leistung im Vergleiche
sowohl mit der Tradition als auch mit der Thätigkeit seiner Zeitge
nossen, welch letztere er als „moderm" (vgl. Anm. 55 u. 219) bezeich
net365); ja er meinte, das Buch De Interpret, (vgl. oben Anm. 202)
sei überhaupt nur durch die Auctorilät gehalten , und es sei leicht,
über diesen Theil der Logik eine Schrift zu verfassen, welche dem-
364) p. 370.: Diffinitio, cum orationis sit species, naturum oralionis non potesl
excedere, seil, sicul omnis oratio ex partibus suis suam contrahit significationem
(s. Anna. 315.), ita diffinüio ex suis; alioquin dictio videretur, si videlicel ad significalionem
lotius, non parlium, respiceremus (p. -371.) Animal rationale
mortale idem prorsus est, quod homo, nee tarnen ex his sequilur, ut si quid sil
animal rationale mortale, sit homo, si propriam vocum demonstrationem altendamus;
si vero magis rei essenliam, quam vocum proprietalem , insistamus magisque identitalem
essentiae, quam vim verborum attendamus , profecto consequentia, ut videlicet
vel toi u m in ,, animal rationale mortale", quod in ,,homo", inlelligamus , vel
in „homo" tantum, quantum in „animal rationale mortale" .... Unde darum esl,
quanlam vim cum enunliationibus vocum proprielas leneat, maximeque illa attendenda
esl vocum signißcalio , quae prima est , i. c. quae in voce ipsa denotalur et secundum
quam ipsa vox imponilur .... Nam et cum difftnitio et difßnitum ad eandem
prorsus substantiam habeant imposilionem atque enunliationem, saepe • tarnen non
idem prorsus de ipsa notant ; nam „animal rationale mortale" secundum id tantum
liominis substantiae datum est, quod est animal informalum rationalilate et mortalitate,
„homo" vero secundum ceterarum quoque formarum differcntiarum Informationen
Haec aittem ratio diffinitionem in rei demonslratione accipi probat, quod in
ipsa consequentia lantum de rebus , non de vocibus , agitur. Theol. Christ. III, p.
1278.: difßnitio ...., quae ex intefiro vim et proprietatem difßniti exprimit et sententiam
nominis in nullo excedil nee ab eo exceditur (s. Abschn. XII, Anm. 108.).
365) Dialect. p. 227 f. : Nee propler aemulomm delractationes obliquasque invidorum
corrosiones noslro decrevimus proposito cedendum nee a communi doctrinae
" vsu desislendum. Elsi enim invidia noslrae tempore vüae scriplis noslris doctrinae
viam obutruat, in his quisque , quod doctrinae necessarium sit, inveniet. Nam
elsi Peripatelicorum princeps Aristoteles catcgoricorum syllogismorum formas et modos
breviter quidem et obscure perslrinxerit , .... Boethius vero hypothelicorum complexiones
eloquentiae latinae tradidit, graecarum quidem Theophrasli et Eudemi operum
moderator (s. Abschn. XII, Anm. 139.), .... posl omnes tarnen ad perfectionem doctrinae
locum Studio nostro in utrisque reservatum non ignoro. Item quae ab eis
summatim designata sunt vel penitus omissa (— aber neue Ergänzungen bringt Abä
lard, höchstens etwa mit Einer Ausnahme, s. Anm. 391., nirgends bei —), labor
nosler in lucem proferat , interdum et quorundam maledicta conigat et schismaticas
expositiones contemporaneorum nostrorum uniat et disscnsiones modernonim, fi tan
tum audeam proftteri tiegolitim , dissolvitt.
13*
196 XIV. Abälard.
selben in keiner Beziehung nachsiehe 366). Doch müssen wir gestehen,
dass Abälard hiebei von Eitelkeit geblendet sein mochte, denn er lässt
sich auch hier nur von Boethius leiten. Aus diesem ist Alles, was zu
Anfang über oratio gesagt wird, entnommen367); nur bei der üblichen
Einteilung der Satzarten, woselbst aus Marcianus Gapella (Abschn. XII,
Anm. 62) auch der Wunschsatz aufgenommen ist, wird der von Boe
thius (ebend., Anm. 111) hinzugefügte Vocativ-Satz bestritten368). Was
die Definition des logischen Urtheiles selbst betrifft, so kann nach Obigem
(Anm. 317) die aristotelische Definition in jene rhetorische hinüberge-'
lenkt werden (s. Abschn. VIII, Anm. 45) , welche bei Boethius in der
Topik sich findet 369). Es folgt hierauf die Einlheilung in kategorische
und hypothetische Urtheile (Abschn. XII, Anm. 112), wobei neben der
üblichen boethianischen Terminologie (s. ebend. Anm. 124) uns hier
zum ersten Male das Wort „coputo" begegnet, welches hiemit damals
in der Schule bereits üblich gewesen sein muss 37°). Das Quantität*-
verhältniss zwischen Suhjects- und Prädicats-Begriff (maior und minor)
fällt nach Obigem (Anm. 318 u. 325) dem Sprachausdrucke anbei in 371)-
Die Eintheilung des kategorischen Urlheiles veranstaltet Abälard
nach vier Gesichtspunkten, indem auf das Prädirat die sog. Qualität
und auch die Modalität, auf das Subjecl aber die Quanlität bezogen
wird, sodann in den Terminis überhaupt die Einheitlichkeit oder Viel
heitlichkeil liege und endlich nach der Zeit sich eine Einlheilung in
drei Arten ergebe 372). Vielleicht war es diese Gliederung, in welcher
366) loh. Saresb. Metal. III, 4 (wo von dem Werthe des Buches De interpr.
die Rede ist), p. 131.: Dixisse recolo Pcripatelicum Palatinum , quod verum arbi
trär, quia fädle esset, aliquem noslri temporis librum de hac arte componere, qm
nullo antiquorum, quod ad conceptionem veri vel elegantiam verbi , esset in/'erior,
sed ut auctoritalis favorem sortiretur , aul impossibile aut di/ficillimum.
367) Dialect. p. 229—233.
368) p. 234.: Harum igitur orationum, quae perfectae sunl, aliae stml enuntiatwae,
aliae inlerrogativae, aliae deprecativae, aliae imperalivae, aliae desiderativae
Addunt autem quidam sextam speciem, vocalivam scilieet orationem; sed mM
qitidem vocatio non videtur diversam speciem a supraposilis procreare , quae quidem
vocatio omnibus aequaliter polest apponi.
369) p. 237 f.: Propositio est oratio verum falsumve significans ; quae quidem
diffinitio (bei Boelh. de diff. top. p. 858.) eadem omnia et sola conlinel cum ea,
quam secundum Aristotelem protulimus Nee quidem incommode ; sicut enim
omnes proposiliones vel affirmativae vel negativae ac solae , ita etiam verac vel
falsae.
370) p. 246.: Hanim ilaque aliae sunt categoricae , i. e. praedicalivae
aliae hypotheticae, i. e. conditionales Esl aulem categoricarum natura sfcundum
membra sive specics demonstranda ; sunt autem mcmbra, ex quibus coniunttae sunl,
praedicatum ac subiectum atque ipsorum copula, secundum hoc scilieet, quod rcrbum
a praedicalo seorsum per se accipimus , verbum vero interpositum praedicatum
subieclo copulat. Die Quelle dieser Schul-Terminologie liegt in den, Abschn. XII,
Anm. 124., angeführten Stellen des Boethius^ wenn auch bei Letzterem das Wort
„copula" selbst noch nicht vorkömmt. Vgl. jedoch folg. Abschn. Anm. 11.
371) p. 248.: Quod ilaque praedicatum iubiecto maius vel aequale dicittir
(Abschn. XII, ebend.), ad vocum enuntialioncm , non ad essentiam rei , reducitur.
372) p. 253.: Ad praedicali enuntiationem pcrtinet, quod proposilioties
affirmativae dicuntur vel negativae, quodque aliae ipsum simpliciler aliae cum aliquo
modo pracdicant, unde alias simplices alias modales appellamus. Ad subiectum vero
illud referlur, quod aliae universales aliae parliculares aliae indeßnitae aut singu
XIV. Abälard. 197
er ein besonderes Verdienst seiner Darstellung erblickte, die Reihenfolge
aber der hier angegebenen Gesichtspunkte änderte er in der Entwicklung
des Einzelnen. Zuerst wird über Affirmation und Negation gehandelt,
wo bezüglich des realen Gegensatzes nicht bloss die an Apulejus
(Abschn. X, Anm. 10) erinnernde Terminologie „maxime repugnans",
sondern auch für die alternativen Gegensätze der Ausdruck „immediatio"
oder „dividenlia" erscheint 373). Bei der contradiclorischen Ent
gegensetzung wird jene Annahme des Boethius, welche bezüglich des
allgemein bejahenden Urtheiles oben, Abschn. XII, Anm. 114, angeführt
wurde, bekämpft, und die aristotelische Angabe (Abschn. IV, Anm. 217)
als die richtige bezeichnet374), was eben damit zusammenhänge, dass
Aristoteles überhaupt bei dem contradictorischen Gegentheile die erfor
derliche Rücksicht auf die Modalität der Ausdrucksweise (Anm. 318 u.
327) genommen habe375). Hierauf folgt die Erörterung der Quantität
der Urlheile und der durch Quantität und Qualität sich ergehenden Ver
hältnisse derselben376), wobei es eigenthümlich ist, dass Abälard nicht
der boethianischen Terminologie „consentiens" oder „conveniens" (Abschn.
XII, Anm. 117 u. 128), sondern des bei Apulejus (Abschn. X, Anm.
11) vorkommenden VVortes „aequipollentia" sich bedient377). Sodann
folgt die Modalität in einer Compilation , welche aus flontli.. de interpr.
lares nominantur. Ad multip Untätern vero terminorum illud attinel, quod aliae tmae
sunt aliae multiplices. Ad diversitatem vero temporum, quod aliae de praesenli aliae
de praelerito aliae de futuro propommtur.
373) p. 255. : Ea namque opposita contrario difßnhmt , quae prima fronte sibi
opponuntur, h. e. quae maxime sibi repugnant , velul album et nigrum, quae nullo
modo cidem simul inesse possunt Quod itaquc simul abesse non possit, oppositionent
non exigil , sed dividentiam seu immediationem. lieber dividentia vgl.
unten Anm. 427.
374) p. 256.: Ex his itaque mauifestum est, ei, quae dicit „omnis homo
iuslus esl", magis repugnare ,,nullus homo iuslus esl", quam „non omnis homo
iustus est" Eadem enim haec „non omnis homo iustus est" cum ea videliir,
quae profonil ,,quidam homo iustus non est", atque pro una et eadem utramque
Boethius accipil , cum tarnen earwn senlentia diversa appareat his , qvi eam perspicacius
inspiciunt. Multum enim refcrt ad senlentiam enuntiationis .... negativa parlicula,
... quod quidem ex hypotheticis quoque enuntiationibus ostcnditur ; non enim
eadem est sententia istarum ,,si est homo, non est iustus" et „non, si est homo,
est iuslus" (p. 257.) Unde subtilius Aristoteles negalionem universalem, quam
tioethius , distinxit; hie enim „non omnis homo est albus" rede scmper opponü,
Boelhius autem ,,quidam homo non esl albus".
375) p. 259. : Apparet autem , . ,. . Aristotelem contradictionem affirmationis
cf negationis non tarn secundum senlentiam, quam secundum constilulionis maleriam
demonslrasse .... Quia vero Aristoteles non solum scntentiam contradictionis , verum
etiam conslitutionem demonstrare intendil, quae in eorundem terminorum voce consistU,
rede, postquam eosdem terminos negationem habere dixit secundum prolalionem,
cetera secundum sententiam determinanda videbantur (p. 260.) Est itaque recta
ac propria tarn voce quam sensu negatio , quae negatio praeposita propositae enunti&
tioni senlentiam eius exstinguit Ex his itaque manifeslum esl, subtilius Ari
stotelem considerassc negalionem universalis affirmationis, quam Boethium.
376) p. 262. Cousin gibt nur den Titel, ohne den Inhalt, welcher auf Boe
thius (Abschn. XII, Anm. 1 13 ff.) beruhen muss, abzudrucken.
377) Glossae in libr. de interpr. p. 597 f.: Modo vult ostendere aequipollentiam
earum .... Nota, hanc regulam esse in omnibus aequipollentibus u. s. f. stets; nur
Ein Mal findet sich dort p. 600. consenlire in aequipollenlia. S. Anm. 381.
198 XIV. Abälard.
l
(Abschn. XII, Anm. 119 ff.) und zugleich aus Boelh. de syll. hyp. (ebend.
Anra. 150 ff.) entnommen ist378), dabei aber in unablässiger Wieder
holung auf die dingliche Basis der Modalität (ob. Anm. 330) hinweist379),
womit zusammenhängt, dass auch hier (vgl. Anm. 216) possibile und
contingens als völlig gleichbedeutend genommen werden 38°). Auf Grund
des Boethius (Abschn. XII, Anm. 122 u. 150) werden sowohl die For
men der modalen Urtheile als auch deren Umkehrung (mit der boelhianischen
Terminologie, s. ebend. Anm. 130) und deren Aequipollenz er
örtert381), worauf dann im Gegensatze gegen andere Auffassungen
(Anm. 215) abermals die Möglichkeit als das von der Natur Zugelassene
und die Nothwendigkeil als das von derselben Geforderte bezeichnet,
und hiemit auch die Modalität des Wahr- und Falsch-Seins in Verbin
dung gebracht wird382). Erst hiernach bespricht Abälard, was bei
Boethius vorausgeht, neinlich das durch die Zeit bedingte Verhällniss
der Urtheile , namentlich insoferne dieselben auf die Zukunft gehen,
wobei er sich vollständigst an die boethianische Erklärung des Aristo
teles anschliesst 383). Ebenso verfährt er in der äusserst weitschwei
figen Erörterung über den noch übrigen Gesichtspunkt, welcher die
Einheil oder Vielheillichkeit des Urtheiles betrifft384), und unter wel
chen sofort schon hier auch das hypothetische Urlheil (nach Boethius,
s. Abschn. XII, Anm. 146) gebracht wird385).
378) Dialecl. p. 262 ff. woselbst z. B. (p. 264.) auch die Hindeutung auf die
erschöpfte Anzahl aller möglichen Combinationen (Abschn. XII, Anra. 152.) sich
findet.
379) p. 266—270., oder z. B. p. 273.: Sie enim rede videnlur mihi omnes
huiusmodi proposiliones exponi, ul de rebus ipsis agamus sie: „omnem liominem
possibile esse album", i. e. natura omnis hominis patitur albedinem, i. e. nullius
hominis natura repugnat albedini u. s. f.
380) p. 265.: Possibile quidem et continaens idem prorsus sonanl.
381) p. 268.: Quod tarn in convcrsione simplici quam in conversione per contrapositionem
licet inspicere. p. 271 it. folgt die Angabe der durch Combioation
der Modalität mit Quantität und Qualität möglichen Formen , nemlich Possibile est
omnem (oder nvllum oder quendam) liominem esse (oder non esse) album, und
ebenso bei Impossibile und bei Necesse, sowie bei Non possibile, Non impossibile
und JVow necesse. Dann im Hinblicke hierauf p. 276.: Nunc aittcm dispositis in
ulroqite generc proposilionum ordinibus modalium regulas aequipollentiae tradamus.
Dass hingegen die auf Subordination beruhende Abfolge bei den modalen Urtheilen
unmöglich sei, wird ausdrücklich bemerkt (p. 276.): Sunl autem quidam, qui et
nostram tenent sententiam, qui in consequentiis modalium inferentiae simplicium
locos vel regulas non admiltant ; dicunt enim totius rel parlis naturam in talibus
omnino deßcere inferenliis; falsum mim aiunt, quod si omne animal impossibile est
esse hominem, omnem liominem impossibile est esse hominem u. s. f.
382) p. 277 f.: Nunc aulcm utrum aliqua proprietas per modalia nomina, ul
quidam volunl , praedicetur, persequamur ; aiunt enim, per possibile possibilitatem
praedicari, per necesse necessilalem .... Sed falso est .... sed per possibile id demonstratur
, quod natura patiatur , per necesse, quod exigal et constringal
Verum anleeedit quidem ad possibile , sequitur vero ad necessarium ; falsum autem
ad impossibile lanlum sequitur ; si enim necesse est esse, verum est esse, et si vertan
est esse, possibile est esse; si vero impossibile est esse, falsum est esse.
383) p. 280—294. (In gleicher Weise äussert er sich über diesen Gegenstand
auch Jntrod. ad theol. III, p. 1134.).
384) p. 294-303.
385) p. 304.: Cadunt aulem sub ditiisionem unarum et multiplicium proposiXIV.
Abälard. 199
Unmittelbar hierauf aber reiht sich als Abschluss dieses Abschnittes
die Lehre von den kategorischen Syllogismen an386), woselbst wohl
jene acht aristotelische Definition des Syllogismus, welche wir oben,
Anm. 14, als Beweis einer sporadischen Kenntniss der Analytik anzu
führen halten , an die Spitze tritt, aber die Entwicklung dann sogleich,
nach Einschaltung einer zweiten aristotelischen Stelle (s. dieselbe oben
Anm. 15) und einer Bemerkung über eine Terminologie (s. oben Anm.
16), lediglich aus Boethius de syll. caleg. (s. Abschn. XII, Anm. 131 IT.)
entnommen wird 3S7). Es bietet die Aufzählung und Darlegung der
sämmllichen Modi des kategorischen Schlusses durchaus Nichts eigerithiimliches
dar, höchstens etwa mit der einzigen Ausnahme, dass
Abälard in der dritten Figur die bei Boethius erwähnte und von Porphyrius
herrührende (Abschn. XII, Anm. 137, Abschn. XI, Anm. 82) Hin
zufügung eines siebenten Modus verwirft338), lieber einen Selbstwider
spruch, in welchen er bei Reduclion der Syllogismen mit seiner eigenen
Ansicht über den conlradictorischeu Gegensatz (Anm. 374) geräth, hilft
er sich sehr leicht mit der „Wahrscheinlichkeit" hinweg359). Sodann
aber folgt jene merkwürdige Stelle, in welcher Abälard eine gewisse
Kennlniss jener aristotelischen Syllogismen zeigt, welche aus Conibinationen
der Möglichkeit^ • und Nolhwendigkeils-Urlheile unter sich und
mit Urtheilen des Stallfindens bestehen, s. oben Anm. 17.; sowie er
aber die Sache gleichsam nur vom Hörensagen zu kennen scheint, so
erblickt er auch in jenen Schlüssen, welche nur aus modalen Urlheilen
allein bestehen, keine eigentliche Schlusskraft, sondern blossc Wahr
scheinlichkeit390). Endlich aber versucht er noch eine eigentümliche
Ergänzung der Syllogistik, von welcher wir nicht wissen, ob sie da
mals in den Schulen überhaupt üblich gewesen sei, oder ob Abälard
selbst sie erdacht habe; es wird nemlich auch auf Combinalionen hin
gewiesen, welche aus Urlheilen der Gegenwart mit Urtheilen der Zu-
Hon um non solum categoricae enunlialiones , terum etiam hypotheticae; sunl multiplices
hypotheticae, in quibus vel ex uno plura vel ex pltiribus unum vel ex pluribus
plura consequunlur u. s. f.
386) p. 305.: Hacc aulem de proprietalibus categoricarum enuntialionum dicta
sufficianl; nunc autem in fiijuris et modis syllogismorum, qui ex ipsis ftunt, propositum
nostrum pcrficiamus.
387) p. 306—319. Auch die Terminologie ist selbstverständlicher Weise jene
des Boethius, and so finden wir auch (p. 310. u. 313.) die Bezeichnung „directi"
und „imperfecti syllogismi" , sowie den Ausdruck „per reflexionem conversionis",
welcher dem boethianischen „per conversionem refractionemque" entspricht, s.
Abschn. XII, Anm. 136.
388) p. 316.: Nos Aristotelem sequentes sex tanlum modos huius fiyurae esse
depreltendinms.
389) p. 319.: lllud aliquos movcre polerit, quod in oslensione impossibilitatis
per contradictoria ac recta dividenlibus ulimur his proposilionibus, quas superius
conlradictorias esse negaeimus, cum quandoque cas non esse veras contingat, univer
salem scilicet af/irmalivam et particularem neyativam, vt sunt islac „omne iustum
virtits est, quoddam iuslum virlus non esl," At vero etsi non necessüate huiusmodi
resolutio constringat, probabilitatem tarnen maximam tenet.
390) p. 321.: Lieet aulem syllogismi rede dici non possint hi, quos ex solis
modalibus constitutos adiecimus, quia tarnen maximam probabilitatem tenent , non
incommode quandoque a disputantibus inducuntur.
200 XIV. AbSlard.
kunft oder der Vergangenheit bestehen, was in allen Modis d'er Fall
sein könne, aber nur dann wirklich einen Schluss gebe, wenn Eines
der Urtheile ein Urtheil der Gegenwart sei391).
Es folgt hierauf der Liber Topicorum, da aus dem oben an
geführten Grunde (AnriT. 269) die Topik dem hypothetischen Urtheile
vorausgeht. Die ciceronianisch-rhetorische Tendenz der Dialektik Abälard's
zeigt sich recht deutlich an der ausserordentlichen Breite und Weit
schweifigkeit, mit welcher dieser ganze Abschnitt behandelt ist. Doch
ist es nur Weniges, was wir aus demselben hervorheben müssen, denn
dem Inhalte nach beruht das Ganze auf Boethius 392). Die Folgerung
(inferentia) , welche in dem Verhältnisse zwischen dem Vordersatze und
dem Nachsatze eines hypothetischen Urtheiles bestehe, unterscheide
sich von der Schlussfolgerung eines Syllogismus dadurch, dass sie nicht
wie jene in sich selbst die vollkommene Schlusskraft trage, sondern
noch einer Verstärkung aus einem gewissen Verhalten (habiludo) der
beiden verbundenen Begriffe bedürfe, und diese Bekräftigung der Ab
folge als einer wirklich nolhwendigen liege eben in den Topen 393),
d. h. jenes Verhalten sei nur das Mittel, nicht der Gegenstand der
Folgerung, denn diese gehe stets auf die Wesenheit der im hypotheti
schen Urtheile verknüpften Dinge 394). Aber an dem Nexus der Nothwendigkeit
sei (im Gegensatze gegen die Meinung Anderer, s. oben
391) p. 322.: Possunt quoque per lempora proposiliones syllogismorutn variari
in singulis ftguris. In prima «H/CM sie ,,omnis homo morietur, omnis citharoedus
est homo, quare omnis citharoedus morietur" vel „omnis senex fuit puer, Nestor
itulem est senex, quare fuit puer". In secunda vero hoc modo „nullus lapis morie
tur, omnis homo morielur, quare nullus homo esl lapis" ; vel ita „nullus puer fuit iurenis,
omnis autem senex fuit mvenis , quare nullus senex puer est". In tertia
quoque talis fit ad modum temporum admistio „omne mortale morietur, ornne autem
mortale vivum esl, quoddam igilur vivum morietur" Sie quoque per singulos
modos trium figurarum praesenti tempori cetera quoque poterunt agyregari; ex solis
aulem propositionibus celerorum temporum nulla secundum aliquam figmam syllogismi
necessitas videlur contingere , sicut nee ex solis particularibus aut negativis.
392) Abälard behandelte diesen Zweig der Dialektik auch in den „Glossae
super Topica" (b. Cousin p. 605 ff.), schloss sich aber dort lediglich erklärend
an Boelh. de diff. top. mit Beiziehung einiger Stellen des Commentar's zur ciceronischen
Topik an.
393) p. 325.: Inferentia in necessilale consecutionis consistit, in eo scilicet,
quod ex sensu antecedentis senlentia exigitur consequentis , sicut in hypothetica proposilione
dicitur. p. 328.: in illis consequentiis, quae formas tenent syllogismorum,
.... ita in se perfectae sunt huiusmodi inferentiae, ul nulla habitudinis natura indigeant,
nullam ex loco firmilatem habeanl; cuius quidem lad proprictas haec est, van
inferentiae ex habitudine, quam habet ad terminum illatum, conferre conscquentiae,
ul ibi tanttim, ubi imperfecta est inferentia, locum valere conßteamur Hoc ergo,
quod ad perfeclionem inferentiae deest, lud supplel assignalio. Sowohl die Bezeich
nung „inferentia" ist aus dem boethianischen Sprachgebrauche ,,inferre" entstanden,
als auch die Auffassung, dass die Abfolge auf dem Nexus der Nothweadigkeit
beruhe, ist dem Boethius entnommen, s. Abschn. XII, Anm. 153 f.
394) p.. 330 f.: Quae enim in ea ponunlnr vocabula, essentiae tanlum , non
habitudinis, sunt designativa, ut „homo" et „animal" et „lapis"; qui itaque
dicunt „si est homo, est animal, si est homo, non est lapis", nullo modo de habitudinibus
rerum, sed de essentiis agunt, ut , si aliquid sit essentia hominis , et
essenlia animalis esse concedalur , et lapidis substantia esse denegetur.
XIV. Abälard. 201
Anm. 227) bei dem hypothetischen Urtheile entschieden festzuhalten395),
und durch diesen Nexus, welcher in jener Verhältniss-Beziehung liege,
unterscheide sich dasselbe vom categorischen Urtheile , welches die
Müsse Existenz ausspreche, während das hypothetische mit voller Nuthwendigkeit,
abgesehen von der Existenz der Dinge, gelle, aber eben
darum bezüglich desjenigen, was aus der blossen Wirklichkeit nicht
entnommen werden könne, die Beihülfe der Topen in Anspruch nehme 396).
Daher sei in diesem Sinne bei dialektischen Erörterungen das Zugeständniss
des Mitredenden , abgesehen von der l'actischen Richtigkeit,
als eine solche Nothwendigkeit zu verstehen397), und bei dem hypo
thetischen Urtheile handle es sich nicht, wie Einige meinen (Anm. 228),
um die einzelnen Glieder desselben, sondern eben um den ganzen
Nexus zwischen antecedens und consequens 398); auch sei aus dem
gleichen Grunde das disjunctive Unheil, wie schon Boethius (s. Abschn.
XII, Anm. 141) gezeigt habe, nur als eine andere Salzform des hypo
thetischen zu betrachten 3"). Auf dieser Grundlage werden dann die
sog. „maximae proposüiones" (s. ebend. Anm. 165) im Anschlüsse an
Boethius besprochen und mit Bekämpfung der Ansichten Anderer (oben
Anm. 228) auf die Form des hypothetischen Urlheiles beschränkt400).
395) PI 336.: Quod autcm veritas hypolhelicae propositionis in necessitate
cansislal, tarn ex auctorilate qwm ex ratione lenemus. Diese Auffassung des hypo
thetischen Urtheiles scheint dem A^iälard speciell eigenthttmlich gewesen zu sein
(Jo/i. Saresb. Polycr. II, 22, p. 122.: Solebat nostri temporis Peripatelicus Palatinus
omnibus his conditionibus obviare , ubi non sequenlis intelleclum anlecedentis conceptio
claudil aut non antecedentis conlrarium consequenlis destructoria ponit , eo
quod omnes necessariam teuere consequentiam velit. Ebend. Metalog. 111, 6, p. 138.:
Miror tarnen, quare Peripateticus Palatinus in hypotheticarum iudicio tarn arctam
praescripseril legen, .... si quidem hypvlheticas respuebat nisi manifesta necessitate
urgente).
396) p. 343.: Categoricarum autem proposilionum verilas, quae rerum actum
circa earum exislenliam proponit, simul cum illis incipit et desinit; hypotheticarum
rero senlenlia nee finem novit nee principium, unde et anlequam homo et animal
creala fuerint , vel postquam eliam omnino perierinl , aeque in rcrilale consislit id,
quod hacc consequentia proponit „si est homo animal rationale mortale, est animal."
p. 347.: Quia vero calegoricae enunliationes aclum rerum proponunt quantum ad
enuntiationes inhaerentiae praedicati, actus vero rerum ex ipsarum rerum praesenlia
manifeslus est, necessitas autem inferenliae ex aclu rerum perpendi non polest, quae
aeque, ut dictum est,<et rebus existentibus et non exislentibus pennanel, arbiträr,
hinc locum lantum in hypolheticis proposilionibus requiri, cum de vi inferentiae rerum
earum dubitatur, quae ex actu rerum convinci non possunt.
397) p. 342.: Neque enim dialecticus curat, sivc vera sit sive /a/so inferentia
propositae consequenliae , dummodo pro vera eam recipial ille , cum quo sermo conseritur
, sed hacc concessio verae inferentiae in necessitale recipienda est.
398) p. 353. : Quidam tarnen käs regulas non solum in tola antecedentis et
consequenlis enuntiatione, vertun etiam in terminis eorum assignant , sed regulae
sunt aecipiendae in his, quae Iota proposilionum enuntiatione dicuntur.
399) p. 368. : Quod autem antecedens et consequens in disiunctis quoque Boe
thius accipil, non ad rerum essenlias , sed ad enunliationum constilutionem respexit
...., quod ex resolulione disiunctae dignoscitur , ex qua eliam resolutione hypothe
licae, i. e. conditionales , disiundivae quoque sunl appellatae.
400) p. 359 f. : Maxiinarum proposilionum proprietates inspiciamus , quibus
quidem singularum verilas consequenliarum exprimituf, quaeque ultimam et perfeclam
omnium conseculionum probationem tencnt Cum ilaqne dixitnus, eas consecutionis
sensum habere, categoricas enunliationes exclusimus.
202 XIV. Abiilard.
Hierauf folgen die einzelnen Topen, wobei Abälard mit Ausschluss der
rhetorischen nur die dialektischen beiziehen will401); die Reihenfolge
derselben beruht auf jener Erörterung, in welcher Boelhius de diff.
top. (s. Abschn. XII, Anm. 168) die Topen des ihninistius (Abschn. XI,
Anm. 96) mit den ciceronischen in Einklang zu bringen versucht402);
den Schluss aber bilden Bemerkungen über Argumentation überhaupt
und über die rhetorische Bedeutung der Induclion und des Enlhymema's403).
Dass die Entwicklung der einzelnen Topen sich in der An
gabe und Aufzählung schulmässig fixirter „Regeln" bewegt, wurde schon
oben (Anm. 222) bemerkt, und wie sehr überhaupt die Topik in den
Schulen Gegenstand und Veranlassung zahlreicher Conlroversen gewesen
sei, zeigt sich im Zusammenhange mit Obigem (Anm. 228) auch in Ahälard's
eigener Darstellung404).
Endlich nun im Liber hypothelicorum, d. h. in der Lehre
von den hypothetischen Urtbeilen und Syllogismen , wird der gesammte
401) p. 334.: III ml praesciendum esl, nus, qui haec ad doctrinam artis dialeclicae
scribimus , eos solum locos exsequi , quibus ars ista consuevil uti.
402) Im Vergleiche mit jener Reihenfolge, welche oben, Abschn. XII, Anm.
184., angegeben wurde, gestaltet sich die Sache hier folgendermaassen: Den An
fang machen auch hier (p. 368.) die Topen aus der Substanz selbst, nemlich a
deßnitione, a descriptione , a nominis interprelatione ; dann aber reihen sich in
einer combinirenden Auswahl aus Themistius und Cicero die Topen aus den Fol
gerungen der Substanz an (p. 375.), nemlich a,gcnere, a toto, a partibus divisivis,
a partibus conslitutivis , a pari, a praedicato, ab anlecedenti, a consequenli ; hier
auf (p. 386.) folgen als Topen , welche extrinsems genommen werden , nur die
Unterarten des loms ab oppositis, nemlich a relatione (mit Einschluss des simttl
und prius), a contrariis, a privatione et habitu, ab afßrmatione et negalione (hei
dieser Besprechung der vier Arten des Gegensatzes wird fast der ganze betreffende
Abschnitt aus den Kategorien beigezogen); sodann folgen als lad medii (p. 408.)
a relativis , a divisione et parlilione, a conlingentibus , und hierauf werden als
solche, welche selten in Anwendung kommen (p. 409.: sunt autem alii, quibus
dialectici ran ac mmquam fcre uluntur , quos tarnen Boelhius non praetermisil),
unter den Topen ex consequenlibus subslantiam noch nachträglich angegeben: a
causa, a materie, a forma, a fine, a motu. Uebrigens hat Cousin in diesem
ganzen Abschnitte häufig nur durch Titel-Ueberschriften die Reihenfolge angedeutet,
ohne den Inhalt selbst zu veröffentlichen.
403) p. 430 ff. Die Quellenstellen aus Boeth. de diff. top. , worauf diese An
gaben beruhen, s. Abschn. XII, Anm. 82. u. 137.
404) So z. B. führte der locus a subslatitia nicht bloss auf die Lehre von
der Definition hinüber (Stellen aus der Topik dienten uns oben, Anm. 364., als
Quellen), sondern es spielte in der Frage über ,,idem" und „diversum" (p. 373.)
vermöge des Pseudo-Boethius de Irin. (Anm. 37.) auch Theologisches herein (vgl.
Introd. ad theol. II, p. 1077 f. Theol. Christ. III, p. 1276 ff.), sowie bei dem locus
a causa cfficienle und a motu (p. 413 ff.) die göttliche Causalität des Weltschöpfers
erörtert wurde. Der locus a genere (p. 378 ff.) leitet auf den realistischen 'Crcations-
Process hin und trifft so mit der richtigen Auffassung des locus a praedicato
(p. 384.) zusammen, welch letzterer unbeschränkt allgemein gelle (p. 381.). Bei
dem locus ab oppositis begegnet uns hier die Terminologie ,.complexa" und ,,tucomplexa"
(p. 407.: complexa aulem contraria eas dicimus propositiones , quac de
eodem contraria enuntiant hoc modo „Socrates est sanus , Socrates esl aeger") , so
wie ,,constantia" (p. 408.: ut immediata infcrentiam habeant, adiiciendum esse,
cuius respectu immediata sint, quae quidem determinatio constantia appellalur) ; auch
vermisst Abälard eine Durchführung der Gegensätze durch alle Kategorien (p. 399.),
d. b. er vermisst, was Gilbertus Porretanus wirklich hinzufügte, s. Anm. 18.
u. 344.
XIV. Abälard. 203
Inhalt der Schrift des Boethius de syll. hypolh. wiedergegeben. Indem
Abälard aus derselben zunächst die Einteilung des hypothetischen Urtheiles
(s. Abschn. XII, Anm. 139 II'.) entwickelt 405), entscheidet er
sich Jietrctl's der mit der Conjunclion „r u m" beginnenden Urtheile (s.
ebend. Anra. 143), über welche er früher eine andere Ansicht gehabt
halte, nun für die Auctoritat des Boethius, d. h. er nimmt jene Ur
theile als hypothetische40"); auch bekämpft er obige (Anm. 218) Mei
nung Anderer bezüglich der Stellung des „vel...vel" in den disjunctiven
Urlheilen 407). Hierauf aber folgt eine merkwürdige Angabe über die
Umkehrung der hypothelischen LJrlheile; nemlich die disjunclive Form
derselben lasse sich rein umkehren (durch Vertauschung der Glieder
der Disjunction !), ebenso auch das eine Gleichzeitigkeit enthallende Ur
lheil , welches mit „c«m" beginnt ; hingegen bei dem eigentlich hypo
thetischen , welches auf dem Nexus der Naturnotwendigkeit beruht,
sei der allbekannte Grundsatz der Abfolge (s. denselben bei Boelhius
Abschn. XII, Anm, 145) als conversio per contraposilionem zu neh
men 408). Wenn aber diese angebliche Ergänzung der traditionellen
Lehre von Anderen bekämpft wurde, so waren diese gewiss eben so
im Rechte, als Ahälard im Unrechte war, wenn er in solcher Ent
gegnung gleichsam ein Märlyrthum seiner wissenschaftlichen Leislungen
erblickte 40!)). Sodann reiht sich zum Schhisse noch die Entwicklung
der hypothetischen Syllogismen an; dieselbe ist vollständig aus Boethius
entnommen, nur mil einer Aenderung der Reihenfolge; zuersl nemlich
werden jene angeführt, welche oben Abschn. XII, Anm. 155—158
405) p. 437—439.
406) p. 440.: A'unc vero de temporalibus in proximo dispuiandutn esl; in his
autem nulla nalma consecutionis altendilur, sed sola comitationis socielas , ul mdelicel
simul sil ulrumque .... Acquc enim qui dicit ,,cum Socrales esl animal, est
homo", verus est et qui proponil „cum ipsc est homo , est animal" Memini
tarnen, quia dicere solebam, tunc hypolheticam esse propositionem, cui temporale
adverbium apponebatur , cum ipsum ad propositiones Iotas referebatur , turn vero
categoricam, cum ad simplices tenninos ponebatur (p. 441.) AI rero licel Imiusmodi
temporales ralionabilius calei/oricae quam hypothelicae videantur, nos tarnen
Boethio adliaerentes eis tanquam hypotheticis in modis sylloiiismorum utamur.
407) p. 442., woselbst auf die oben, Anm. 218., ansefiihrten Worte folgt:
Quod quidem falsum esse convincitur ex eis categoricis, qttae cum universales sint,
Qisiunctivas habenl coniuncliunes, vclut ista ,, omne animal est vel sanum vel aegrum" ;
cum enim haec vera esse non dubilelur, falsa esl manifeste hypolhctica, quae ita
proponitur ,,aul omne animal est sanum, aut omne animal esl aegrum", cum videlicet
neulrum sit.
408) p. 443.: Nunc autem de conversionibus omniiim hypotheticarum superest
disptitare Temporales quidem liypotheticae et disiunctuf, simplicem tenent conversionem;
sicul enim aequc dici polest ,,aut nox esl aul dies est" vel ,,aul dies
est aut nox est", ita aequc dicitur ,,cum pluil, lonat" et „cum lonat, plv.it"
Naturalium autem coniunclarum conversiones per contraposilionem solum ficri hoc
modo „ii est homo, est animal; si non est animal, non esl homo".
409) p. 444.: Sunt autem nonnulli ,' qui ad nomen conversionis hypothelicarum
obstrepant et vehementer obstupeant, eo quod de earum conversionibus Kutthium Irac-
Inre non viderint nee alium quemquam, qui consequentiarum naluram ostenderet ;
linde nos quidem non ex falsitate, sed ex novo conversionis nomine redarguunt ....
Si enim ex addilamcnto vel novilatc me accusent, quomodo et illi absolvi possunl,
quieunque ad alicvius scientiae perfeetionem ex se aliquid post primos traclatores
adiecerunt ?
204 XIV. Abälard. Anonymus De inlerpr.
angegeben sind, dann folgt der Inhalt der dortigen A um. 162, hierauf
jener der Anm. 159—161, zuletzt jener der Anm. 163; der Grund
dieser Aenderung lag für Abälard darin, dass jene dortselbst Anm.
159—161 angeführten hypothetischen Syllogismen sich in den drei
Figuren des kategorischen Schlusses bewegen, und daher diese „Ggurirten"
(figurali) Syllogismen nicht in Mitte der nicht-figurirten einzu
reihen seien410).
So ist uns Abälard nach Maassgabe der uns erhaltenen Quellen der
hervorragendste Repräsentant des damaligen Betriebes der Logik , aber
während wir stets im Auge behalten, dass er eben Einer unter Vielen
war, dürfen wir einerseits aus seinen Leistungen auf die seiner näch
sten Zeitgenossen schliessen, und werden andrerseits zu der Annahme
berechtigt sein, dass ein eigentlicher Fortschritt der Logik weder durch
ihn noch durch Andere in jener Zeit hervorgerufen wurde , sondern
dass nur in der grösseren Anzahl der Dialektiker überhaupt und in dem
reicheren Detail-Studium der traditionellen Schul- Logik der Unterschied
gegen die frühere Zeit beruhe.
Als einen Schüler Abälard's zeigt sich uns der Verfasser eines
anonymen Commeiitares zu dem Buche de inlerpr. 4 1 ') ; denn
derselbe wählt nicht bloss die Abälard'sche Bezeichnung „doctrina sermonum"
für die Logik, welche er in einer Dreitheilung gliedert, die
uns an Obiges (Anm. 271 f.) erinnert412), sondern er erörtert auch
bezüglich der Redetheile, d. h. des Nomens und Verbuins, die Frage,
in welchem Sinne dieselben in der Lehre vom Urtheile zu besprechen
seien, in einer Weise, welche als eine Schärfung der Ansicht Abälard's
bezeichnet werden muss; es sei nemlich die primSre Funclion der
Worte, dass sie die Gedanken (inlelleclus) erwecken und bezeichnen
(vgl. Anui. 314 fl'.), während die Bezeichnung der Dinge das Secundäre
sei, welch Letzteres den Katqgorien anheimfalle (Anm. 272), sowie Ersleres
der Lehre vom UrlheiTe 413); denn gerade darin, dass die Worte
410) p. 447 f.: lps>e namque Boethius inter syllogismos consequenliarum ex
allem tantum liypolhelica constantium et syllogismos consequenliarum ex ulraque
hypothelica connexarum eos medius locavit , qui ex mediis proposilionibus nascentes
Iribus ßguris continentur Nos tarnen lüs syllogismis, qui figurali non sunt, eos,
qui figurali sünl et a lange divcrsis proposilionibus nascunlur, interserere noluimus.
411) In einigen Bruchstücken publicirt bei Cousin, Fragm. philos., Philos.
scolast. 2. Aufl. Par. 1840, p. 408 ff. (Anfl. v. 1855, p. 326 ff.).
412) p. 409.: Doctrinae sermonum huic arli accommodatae in tribus inlegritas
consistit, i. e. in doctrina incomplexorum, propositionum et syllogismorum
Quod aulem traclalus iste de propositionibus institualur, monstral tarn operis inscriplio
quam assignalio intentionis.
413) p. 410.: In parte huius operis agilur de dictionibus , nomine videlicel et
verbo, in parle de propositionibus p. 411.: Sed asserunt quidam, de nomine
et verbo hie agi per hoc, quod intellectum signiftcant; cum enim duplex sit signißcatio
vocum, una quidem de rebus , altera tero de intellectibus , hie de vocibus agi
secundum hoc, quod intellcclum signißcanl, quae principalior est. Ex quo aperte
huius operis intcnlio a Praedicamentorum intciilione distarc ostenditur; ibi enim de
vocibus incomplexis secundum rerum signißcationem agitur, quae secundaria ab tnlelleclttum
signißcatione habelur posterior; primo enim intellectus , secundario ret
significantur ; ad in In l enim aliud facla est vocum institulio nisi ad intellectum , nil
quippe voces in scienlia rerum faciunt, sed tantum intellectus de eis excitant .....
XIV. Anonymus De inlerpr. Anonymus De intellectibus. 205
stets zu Sätzen führen, liege ihre Bedeutsamkeit für das geistige Er
fassen (conceplio), und so seien Nomen und Verbum als Satztheile in
der Lehre vom Urlheile nur in diesem auf die Gedanken bezüglichen
Sinne zu verstehen, und ihre dingliche Bedeutung könne hier nur neben
bei berührt werden 414). Und während hiemit der Verfasser sich auf
jenen Standpunkt stellt, welchen Ahälard in den von ihm sogenannten
Postprädicamenlen eingenommen hatte , erhält hier die Auffassung des
Urtheiles, d. h. des sermo, ein so entscheidendes Uebergewicht, dass
der durch das Urtheil erweckte und in demselben liegende Gedanke
(inteUeclus) sogar scharf den platonischen Ideen gegenübergestellt wird,
da die letzteren bloss Fictionen seien, in welchen man nur die Aehnlichkeiten
der Dinge durch die Einbildungskraft festhalte, während die
Aufgabe des Sprachausdruckes darin liege, nicht blosse Aehnlichkeiten,
sondern die Dinge selbst und deren Denk-Auffassung zum Bewusstsein
zu bringen416). Hiemit wäre hier sowohl jene platonische Seile, welche
der Dialektik Abälard's anklebt, bereits abgestreift, als auch eine Pole
mik gegen jene Wendung angedeutel, in welcher die Slatus-Ansicht und
die Indifferenz-Lehre sich berühren, und vielleicht könnte man, wenn
wir die Meinung des Verfassers vollständiger kennen würden, hier mit
Recht das Princip eines Intellectualismus erblicken, welches bei Ahälard
selbst jedenfalls durch platonische und ciceronianische Anschauungen
sehr entstellt und getrübt ist. <.
Gleichfalls einem Schüler und Anhänger Abälard's gehört die Schrift
„De inlellectibus" an, welche Cousin als ein Werk Abälard's her
ausgab416). Wenn der Verfasser im Anschlüsse an die „doclrina ser-
Unde mm tarn res quam intellectus significenlur, asserunl, hie de vocibus non secitnditm
rerum, sed secundum inteUccluum significationem agi.
414) p. 412.: Vnde propositionem semper reddere possunl et semper ad animi
conceptionem , non quantum ad rerum nominationem , signi/kare dici possunt; quare
Aristoteles de nonrinc et verbo ibi agil propter orationis constilutionem .... Quod
autem de vocibus hie lanlum secundum inlellecluum significationem agalur , monslrat
bifaria vocum distinclio facta, in nomen et verbum, quibus simplitibus sive coniunctis
quilibel inteUeclus exprimi possunt- in Praedicamentis enim, übt de vocibus
secundum rerum significalionem agilur, secundum rerum decem diversitatcm denaria
vocum incomplexarum facta est partitio. Nos aulcm dicimus, quod licet de nomine
el verbo secundum inlellecluum signiftcationem agal Aristoteles, tarnen quod de vocum
significatione communiter inducit, non est ex intcntione , sed incidenter.
415) p. 414.: Quod autem ideae meditatae a Platane a vocibus primo loco
non significentur , planum erit, si prius, quid ipsae sint, inspexerimus. Sunt itaque
formae imaginariae , quas sibi pro rebus animus configurat , ul illis res ipsas speculetur
et per eas rerum imaginationcs sive memoriam retineat, quas quidem ideas
live exemplares formas nominant, Plato vero cas incorporeas naturas, i. e. insensibiles
similitudines nuncupat (die Quellenstelle für diesen Ausdruck s. oben Anm.
134.) Vnde eas effigies incorporeas, i. e. non tractabilcs corporeis sensibus,
Ptalo nominal , qui quidem volebal a vocibus primo loco significari , quod Aristoteles
improbal; non enim propter rerum vcl inlellecluum similitudines voccs repertae snnt,
sed magis propter res ipsas et earum intellectus (Boeth. p. 304., d. h. Aristoteles,
s. Abschn. IV, Anm. 108.), ut de rebus nobis doctrinam facerent, non de huiusmodi
figmenlis, el intellectum de rebus constiluerenl, non de ftgmenlis.
416) In der oben (Anm. 411.) angeführten 2. Aufl. (v. 1840.) der Fragm.
philos. p. 461—496. (es ist ein eigentümliches Verfahren, dass Cousin in späteren
Auflagen diesen Bestandtheil seiner Sammlung wieder wegliess). Dass die Schrift
206 XIV. Anonymus De intelleclibus.
monum" die Begriffe (intrllHc.tux, erörtern und sowohl ihre verschiede
nen Arten als auch besonders ihren Unterschied von Sinneswahrnehmungen,
Einbildungskraft, Meinung, Wissen, Vernunft, angeben will417),
so mussten wir ihn eben darum schon oben (Anm. 19) gleichsam als
Zeugen dafür anführen, dass man in jener Zeit eine gewisse, wenn
auch fragmentarische oder vereinzelte, Notiz von der zweiten Analytik
des Aristoteles hatte, und es möchte wohl dem Einflüsse einer solchen
erweiterten Kenntniss zuzuschreiben sein, dass diese ganze Abhandlung
in der Thal zu dem Besten gehört, was jene Zeit aufzu weisen hat.
Der Verfasser, welcher dem herrschenden Platonismus gegenüber sich
als völlig unbefangen zeigt, steht auf dem aristotelischen Standpunkte
der Erkenntnisstheorie, dass das Denken dem Ursprünge nach wohl
mit der Sinnes-Wahrnehmung verflochten sei, insoferne es aus derselben
seine Anregung empfange41''), dabei aber doch nur durch eine von den
Sinnes -Werkzeugen unabhängige Thätigkeit der erwägenden Vernunft
sein eigentliches Dasein erweise419), so dass die Vernunft (rofe'o) als
die geistige Urteilsfähigkeit die Real-Polenz des begrifflichen Denkens
(inlellectus) sei , wovon die Vernünftigkeit (ralionalilas) sich nur als
die graduell gesteigerte Fähigkeit unterscheide 42°). Eben aber in der
Verflechtung des Denkens mit dun Sinnen liege es, dass auch die Ein
bildungskraft (imaginalio), welche auf Erinnerung beruhe und daher
trotz allem Zusammenhange mit den Eindrücken dennoch über die un
mittelbar gegenwärtige Sinneswahrnehmung sich frei erhebe, sehr wohl
nicht ein Werk Abälard's selbst sei, geht daraus hervor, dnss der Verfasser gegen
das Ende (in der oben, Anm. 300., angeführlen Stelle) selbst den Abälard nennt;
allerdings war Cousin der Ansicht , dass die letzten Capitel der Schrift nur zu
fällig anderswoher angereiht seien ; jedoch selbst wenn dem so wäre (— obwohl
ich eher das Ganze für Einen Tractatus über verschiedene controverse Materien
halten möchte —), so scheint aus sprachlichen Gründen auch der Anfang nicht
ein Product Abälard's zu sein, denn nicht bloss ist der Stil überhaupt hier viel
härter und eckiger als jener Abälard's, sondern der Verfasser gebraucht auch als
synonym mit intelleclus die Worte „speculationes" oder „visus animi", welche man
bei Abälard vergeblich sucht. Uebrigens s. auch Anm. 432 f.
417) p. 461.: !>>' speculationibus itaque, hoc est intelleclibus, disserturi statuimus
ipsos primum a ceteris animae passionibus sive a/feclionibus disiungere.
deinde ipsos quoque ab invicem propriis separarc diffei'enliis, proul necessarium
doclrinae sermonum existimamus esse; stmt aulem quinque, a quibus diligenter eos
disiungi mnvenit, sensus videlicet, imaginatio, existimatio, scienlia, ratio.
418) p. 461.: Cum sensu inlellectus turn origine turn etiam- nomine < »Hindus
ett; origine quidem, quod quislibet quinque sensuum rem quamlibet allraclando ipsius
nobis inlelligentiam mox ingerit — Vocabulo etiam, — cum videlicet senstun verborum
dicimus pro inlellcclu ipsonan. p. 482.: Iota humana nolitia a sensibus
surgit.
419) p. 462.: Sensus perceplio rei corporalis est corporeo indigens instrumento
.... Intelleclus vero nee corpore» exercitio indigel instrumenti ...nee etiam virtuterei
exislentis Praeterea sensus nullam vim deliberandi aliquid habet .... Inletlectus
esse non polest, nisi ex rationc aliquid atlendatur.
420) p. 463. : Ralionem aulem dicimus vim ipsam seu facilitatem discreli animi,
qua rerum naturas perspicere ac diiudicare veraciler sufßcit Tantum itaque inier
rationalitatcm et ralionem di/ferrc arbiträr, quantum inier potentiam currendi et polenliam
fädle currendi Patet, intellectum tarn a sensu quam a ratione divenum
esse et cum necessario ex rationc deseendere tanquam perpetuum ralionis effeclum.
XIV. Anonymus De intellectibus. 207
Quelle von Begriffen sein könne, und zwar namentlich derjenigen, in
welchen wir die Eigenschaften (formae accidentales) der körperlichen
Dinge erfassen421), und überhaupt gehe eine Einsicht (intelligenlia),
welche gänzlich ohne alle Sinneswahrnehmung oder Einbildungskraft
bestünde, über die diesseitige Existenzweise des Menschen hinaus, und
auch wenn man hiehei an unmittelbare göttliche Offenbarung denke, so
sei dieselbe eben darum nicht eigentlich als ein begriffliches Denken,
sondern eher sofort als Wissen zu bezeichnen 422). Das begriffliche
Denken unterscheide sich so sowohl von dem Meinen (exislimalio),
welches zwar gleichfalls nur in Urtheilen, d. h. in der Satzverbindung,
sich bewege, durch die fortschreitende Thätigkeit der vernünftigen Er
wägung423), als auch von dem Wissen (scienlia), welches als bleibende
innere Gewissheit des Geistes auch dann beharre, wenn das Meinen
oder das begriffliche Nachdenken nicht ausgeübt werde424).
Ist so die Thätigkeit des begrifflichen Denkens wahrhaft nach dem
Sinne des Aristoteles in die Mitte zwischen die blosse Sinneswahrnehmung
und das reine Wissen gestellt, so wird nun auf solcher Grund
lage die Abälard'sche Auffassung des sermo mit einigen Modificalionen
durchgeführt. Die Gedanken als Erzeugnisse des Aussagens (vgl. Anui.
314) werden ebenso, wie letzteres in diclio und oralio zerfällt (Aniu.
271), in einfache und in zusammengesetzte getheilt425), wobei das
unterscheidende Merkmal darin liegt, dass in ersteren der ganze Gehalt
421) p. 464.: Itnaginalio esl quacdam sensus recordatiu confusa anmute
perceptio sine sensu, eins scüicet rei, quam imaginariam con/usam dicimus. p. 466. :
Nolandum quoque, quod, cum quidam omnes imaginalioncs quasdam sensuum recordationes
esse velinl, h. e. eas ex rebus sentitis solummodo haberi, Aristoteles tarnen,
teste Boethio super Periermenias (p. 298.), inlelleclus nostros imaginationibus minimc
haberi pmhibet Sensus consuetudo, a quo omnis littmana nolitia surgil , quaedam
per imaginalionem ingeril animu, quae nullo modo attendimus .... utpote pleraequc
accidentalcs formae corpomm, quas f'rcquenter sensibus experti sumus.
422) p. 467.: Forlasse iuxla Boelltium (p. 296.) intelligenlia, quam paucorum
admodum hominum et solius dei esse dicil, omnem et sensum et imaginationein ita
transcendit , ut sine ulraque Itabealur Quod nequaquam iuxla, Aristotelftn in hac
vita contingere credimus, nisi forte per excessum contemplationis revelatio clivina alicui
fiat, magisque hunc excessum nientis ab Arislolele scientiam, quam inleltectum,
appellari credimus. Während allerdings Bot'lhius die aristotelischen Stellen (aus
de an.) über imat/inatio anführt, scheint lelzlere Aeusserung über scientia nur auf
eiüer versprengten Noliz aus der zweiten Analytik (s. Abschn. IV, Anm. 116 ff.)
beruhen zu können.
423) p. 468.: Exislimare credere est, et exislimalio idem quod credulilas sine
fides , intelligere autcm speculari est per rationem .... Nee ulla est existimalio niii
de eo, quod proposilio dicere habet, h. e. de aliqua rerum vel coniunclione vel divisione.
Vgl. Anm. 628.
424) p. 469.: Scientia atitem neque intellectus est neque exislimalio, scd esl
ipsa animi certitudo , quaf nun minus absenle vel existimatione vel inlellectu permanet.
Auch diess war nicht aus Boethius zu schöpfen , sondern weist auf die
Analytik zurück (s. Abschn. IV, Anm. 81.).
425) Ebend. : Nunc autem iuxla promissionis nostrae propositum ipsos ab invicem
intelleclus superest diiigenter distinguere, ut secundum eos clara fial sermonum
discrelio .... Sicut enim sermonum, qui excitanl intellectus, ita est et intellectuum
natura, ut videticet, sicul sermonum alii simplices sunt, singulae scilicel dictiones,
niii compositi velut oraliones, ila et intelleclus ex sermonilms habili .... modo
simplices sunt — modo compositi.
XIV. Anonymus De intellectibus.
auf Ein Mal (Anm. 322), in letzteren hingegen nur successiv (Anm. 315)
zum Bewusstsein kömmt 42B), was dann auch im Hinblicke auf den
Unterschied zwischen Namenbezeichnung und Definition (vgl. Anm. 360 II'.)
derartig ausgedrückt wird , dass die ersleren Gedanken inlrller.iux contunctorum
und die letzteren inlMurtus coniungenles seien, sowie ent-
• sprechend bei den sog. negativen Begriffen, d. h. beim nomen inftnilum
(Aum. 351) die ersteren dtvt«oruin und die letzteren dividentes 4 2 7).
Nach diesem Standpunkte wird hierauf auch die Frage über die Einheil
der Gedanken erledigt, indem dieselbe, abgesehen von der factischen
Richtigkeit, lediglich in das Erwecken Einer geistigen Anschauung, die
Vielfältigkeit hingegen in das successive, durch Pausen unterbrochene,
Erwecken mehrerer Anschauungen verlegt wird428). Die Berechtigung
oder Nichlherechtigung (sanum vel cassum) der Gedanken, gleichviel
ob sie einfach oder zusammengesetzt seien, liege in dem faclischen Be
stände der Dinge429), hingegen von Wahrheit oder Unwahrheil (verum
vel falsum) könne nur bei zusammengesetzten die Rede sein, denn hier
werde ein vom Denken erfasster Gegenstand als grammatisches Subjecl
(vgl. Anm. 317 f.) durch eine denkende Erwägung in einer gewissen
Verbindung oder Nicht- Verbindung ausgesprochen, daher hier auch die
grammatischen Verhältnisse der Verbindung, d. h. der sog. Construction,
von Einiluss seien J3°), in welcher Beziehung z. B. das disjunctive
426) p. 471.: Et hoc esl, ul arbiträr, di/ferenlia intellecluum dictionis et orationis
easdcm prorsus res signi/'icantium , quod videlicel per dictionem, quac nullis
scilicet siijni/icativis parlibus conslal , omnia simul inlelligimus , per orationem vero
eadem per successionem colliaimus.
427) Ebend. : Est ilaque intellectus nominis et diffinilionis eins proprie quodammoAo
idem et quodammodo diversus, idcm quidem secundum effcclum intellectamm
rerum, .... diversus aulem, quia ibi omnia simul, hie succedunt El ideo hi
intellectus, qui de rebus ut iam coniunctis habelur, coniunclorum esl; ille aulem
coniungcns esl intellectus , qui per successionem progrediendo rcbus prius intellectis
alias postmodum inlellcclas aggreyal p. 472.: Ita inlellectus divisorvm et dividens
; sicut enim ,, animal" intcllectum coniunctarum rerum facit, ita ,,non animal",
quod eit inßnitum nomen, divisorum /acil ; cl sicut animalis dif/inilio coniungentem
facil intellcctum, ila descriptio non-animalis dividentem Sunt itaque intelleclus
coniunctarum vel divisantm rerum diclionunt lantiini , coniungentes vero vel
dividenles inlelleclus orationum tanlum sunt. Beireffs des dividens vgl. oben Anm.
373.
428) p. 473 f.: Unos aulem dicimus inlellectus , quicunque simplices sunt vel,
si sunt compositi, in una coniunctione vel divisione seu disiunclione consistunt
JVec referl ad conceptionis modum vel unitatem, sive in re ila lit, ut concipitur, sive
non, sed ad conceptus solummodo vcritatem; aeque enim unus cst intellectus „lapis
ralionalis"', quomodo „animal rationale" Saepe aulem contingil in tmo intellectu
plures fieri coniunctiones , — verbi gratia si dien m ,,liomo ambulans qui currit"
p. 475. : Mulliplicem vero intelleclum dicimus multos intelleclus ab invicem dissolutos,
ut si dicam „animal" et postmodum paullulßm quiescens addam „ratio
nalt". Vgl. hingegen Abälard's Ansicht, Anm. 316.
429) p. 475 f.: Sanas quidem dicimus intellectus, per quoscunque ila, ut sese
res habet, altendimus , sire illi quidem sint simplices sive composili; cassi vero c
contrario dicuntur tarn simplices ijuam composili, quos frequenlius opiniones vocare
consuevimus (s. Boeth. p. 305.).
430) p. 476 f.: Veros aulem vel falsos inlellectus ilicimus eos solummodo, qui
composili sunt Unde bene secundum intclligenliac quoque, non lanlum constructionif
, ordinem subiectum dicimus terminum, per quem intellectu primo res subsli
XIV. Anonymus De intellectibus. 209
Urlheil (welches auch hier als Species des hypothetischen betrachtet
wird, s. oben A tun. 399) im Gegensatze gegen obiges dir i dun* als af
firmatives Urlheil genommen werden müsse431). Die Betrachtung aber
der Berechtigung (sununt) der Gedanken führt nun auf die Frage, oh
denn all jenes Denken, in welchem wir die Dinge anders erfassen als
sie sind, unberechtigt (cassum) sei; und indem darauf hingewiesen
wird, dass wir im Denken durch „abslraclio" sowohl vom Stoffe ab
sehen und bloss die Form helrachlen können, als auch von der indivi
duellen Erscheinung absehen und bloss das einheillich Gleiche derselben
erfassen können, sowie dass wir umgekehrl durch „sublractio" von der
Form absehen können, so wendel der Verfasser bezüglich der „abslractio",
welche auf die Universalien hinausläuft, jene nemlichen Ausdrücke
an, welche wir oben (Anin. 132 ff.) bei den Verlrelern der Indifferenz-
Lehre Iral'en, aber er lenkl diese Ansicht in den aristotelischen SRin
hinüber, indem er ausdrücklich sagt, dass das indifferens, während es
in der vielheillichen concreten Erscheinung nie das Existirende ist, doch
wesentlich (essenlialiler) Nichts anderes als das Individuum, sondern
gänzlich das Nemliche (penüus idem) sei und eben nur durch die Aus
sage (per praedicationem) von den Individuen abstrahirt werde 432J;
und indem er hicniit von dem platonischen Nebenzuge, welchen die
Auffassung der Universalien bei Abälard hatte, sich völlig frei macht,
weist er entschieden dem menschlichen Denken (inlelligere) es zu, die
Dinge in solchem Erfassen des indifferens eben anders zu denken, als
tuilur, quam deinde in copulalione i>el remolione alicuius deliberemus p. 478.:
Sicut autem in eo , quod dicilur, vis enuntiationis consistit, .... ita in intellectu
termini, qui dicilur, h. e. praedicatur, vis deliberanlis inlelligenliae constituitur
p. 479.: Non est ilaque necesse, ut eaedem penitus voces in signißcatione idem penitus
in contcxtu conslructionis valeant, de quo plenius in conslructionibus prosequimur.
Den Priscian'schen Ausdruck ,,conslruclio" trafen wir schon oben Anm. 263 u. 273.
431) p. 479 f.: Differt autem ab invicem dividens et disiungens inlelleclus, quod
dividens inlelleclus negationis est, disiungens vero afßrmationis , ...ex pluribus,
quae mente concipil, unum tuntum constituil, ul ... quicunque sunt hypotheticarum
disiunctarum inlelleclus.
432) p. 480 f.: lliud quoque inquiri ac diffiniri necessarium iiidico , ulrum
omnis intelleclus aliter quam res sese habeat allendens cassus ac vanus dicendus sit
Per abslractionem autem illos dicimus intelleclus , qui vel naluram alicuius formae
absque respeclu subieclae maleriae in se ipsa speculanlur , vel naluram quamlibet
indifferenter absque suorum scilicel individuorum discretione meditantur .... Cum
naturam humanam, quae singulis inest hominibus, ila indifferenter considero, ut nullius
hominis personalem discrelionem altcndam, h. e. simpliciter hominem excogito,
in eo scilicel tanlum, quod homo est, i. e. animal rationale mortale, non etiam in
eo, quod est hie homo vel ille, universale a subiectis abstraho individuis. Sit itaque
abslraclio superiorum ab inferioribus , sive scilicel universalium ab individuis
per praedicationem subiectis, sive formarum a maleriis per fundationem subiectis.
Sublraclio vcro e contrario dici polest, cum aliquis subieclae naturam essenliae
abeque omni forma nititur speculari. Vlerque autem intelleclus, tarn abstrahens sci
licel quam sublrahens, aliler quam res se habet concipere videlur p. 482.: JVi/squam
enim ila pure subsistil, sicut pure concipitur , ...et nulla est nalura, quae
indifferenter subsistat , sed quaelibel res, ubicunque est, personaliter discreta est atque
una numero reperitur .... Humana nalura in hoc homine , i. e. in Socrate, quid
atiud est quam ipse? Nihil utique aliud, sed idem penitus essentialiter Tota
humana nolilia a sensibus surgil; ac per hoc insensibilium rerum Status ad modum
iensibilium excogitare ipsa nos sensuum experimenla compellunl.
PRANTL, Gesch. U. 14
210 XIV. Anonymus De inlellectibus.
sie in tler concreten Erscheinung sind, was natürlich nichl damit zu
verwechseln sei, wenn das Denken eine laotische Unrichtigkeit ent
halte 433). Aber auch die Kehrseile jener Frage wird erörtert, neiulich
ob alles Denken, welches die Dinge erl'asst, wie sie sind, ein berech
tigtes sei; und es dreht sich die Beantwortung um die Widerlegung
oder Lösung eines Fehlschlusses, welcher damals in den Schulen unter
dem Namen des „Esels-Be weises" (s. Anm. 113) üblich gewesen /.u sein
scheint und auf folgenden Witz hinauslief: Wer denkt, dass Sokrates
ein Esel ist, denkt, dass ein gewisses lebendes Wesen (nemlich Sokrales)
ein Esel ist; da aber ein gewisses lebendes Wesen wirklich ein
Esel ist, so denkt Jener richtig 434). Uebrigens bringt der Verfasser
bei seiner Besprechung der Denktliätigkeit auch noch eine Unterschei
dung bei, welche im Vergleiche mit Abälard in Bezug auf Feinheit und
Tiefe der Auffassung als ein Fortschritt bezeichnet werden muss: nem
lich das begriffliche Denken (inieiligere) überhaupt unterscheide sich
von dem begrifflichen Denken eines speciellen Objectes, denn bei letz
terem erhalle in dem blossen Erfassen des Ohjectes das geistige Schauen
an dem Objecle seine Bestimmtheit und seinen Ahschluss, und ebenso
reiche auch das Bezeichnen (significare), indem es das begriffliche
Denken erwecke, über die Einzel-Bezeichnung eines Objectes hinaus,
da letztere in einem bestimmt abgeschlossenen Denken verweile 435).
433) p. 483 f.: Cum dicu ,,intelligo istam rem aliler qttam sit", duo sunl
sensus: unus quidem hviusmodi, si ita dicam, quod alius modus sit in intelligendo
rem, alius in subsislendo , i. e. alius modus tit in intelligcnliu eins, alius in subsislentia
ipsius — Alius vero sensus , si ita dicam „intelligo hanc rem aliler quam
sif", j. e. in slalu alio eam atlendo , quam ipsa in se habeal, vel quocunque modo
aliler se habenlern quam sese habeat Sie uiiquc quaeslio supraposita polest intelligi
....et secundum diversos sensus diversae sunl dandac responsiones. Si enim
ita quaeralur, utrum omnis intelleclus, qui alium modum atlendendi habet, quam res
subsislendi, vanus sit, nun est concedendum. Aus dieser ganzen Erörterung geht
hervor, dass Cousin zu vorschnell war, wenn er diese Schrift für ein Werk Abälard's
hielt.
434) p. 482 f.: Aliam propositi nostri parlem persequamur, ulrum videlicel
omnis inlelleclus sanus sit dicendus , qui ita ut sese res haltet eam intelligil. Quod
. . . habet nonnullam impugnationem. Quippe qui hunc hominem asinum esse intelligil,
intelligit et ipsum esse animal et quoddam animal esse asinum, quae ulraqur
vera sunl; concedendus est inlelligere, esse animal, cum in asino necesse sit
animal substanliam inlelligi Ac per hoc profccto, qui intelligil, hunc hominem
esse animum, verum inlelligere convincitur p. 485.: Non esl audiendus ; cum
i'iinii hoc nomen ,,asinus", quia simplex est sermo, simplicem habeal intelleclwn el
non ex parlibus coniunclum, non possumus in praedicalione eius intelleclus diversarum
enuntiationum distinguere Obüci solet, quod omnis, qui inlelligit Socratem
esse asinum, intelligit quoddam animal esse asinum, et omnis qui inlelligil
quoddam animal esse asinum, intelligil verum, et ila omnis, qui inlelligit Socralem
esse asinum, intelligit verum. Facile responsum damus , quod videlicet , si medius
terminus in eodem sensu sumalur, firma sit omnino complexio.
435) p. 487.: Hon est necesse, nl si alicuius intelleclus conceplus habeam,
quoquo modo ideo illud intelligcre dicari et licel intelligere simpliciter sumpium sit
ab intellectu , non tarnen intelligere hoc sumptum est ab inlellectu huius rei, cum
videlicet — inlelligere hoc non sit simpliciter hunc inlellectum habere, sed sie eum
habere, ut insuper visus animi termi-netur ibi ac perficialur. Nam et significare idem
est quod intellectum constituere, non tarnen significare aliquid idem esl quod inlel
lectum de eo constituere. Alioquin, cum singuli serniones inlelleclus quoque ticut el
XIV. Anonymus De inlellcctibus. Adam v. Petit-Ponl. 211
So können auch die sensualislischen Nuancen des Noininalismus eben
von diesem Standpunkte aus bekämpft werden, dass die Denkthätigkeil
in freier Erwägung in sich selbst fortsc-breite 4363, und es wird diese
Selbständigkeit des Denkens gegenüber dem factischen Bestände noch
an einigen anderweitigen Beispielen nachgewiesen437). Eine hierauf
folgende Erörterung über die Einlheilung des Seienden in Substanzen
und Accidentien wurde ihrem Hauptkerne nach schon oben, Anm. 191,
angeführt. Endlieh aber wird in kurzer Andeutung die Frage über die
Universalien (s. oben Anm. 74) derartig erledigt, dass sowohl den Rea
listen die nothwendige Consequenz einer ins Unendliche fortgesetzten
Einschachtlung der Formen als auch den Nominalisten der Mangel an
Ideal-Sinn vorgeworfen wird438), und bezüglich der Formen die Ahälard'sche
Ansicht die Zustimmung des Verfassers erhält439).
In der stärkeren Betonung der Lehre vom Urtheile mochte vielleicht
mit Abälard auch Adam von Petit-Pont übereinstimmen440), wel
chen wir als einen Bearbeiter der ersten Analytik schon oben (Anm.
20) erwähnen musslen, sowie eine unten (Anm. 522) anzuführende
Stelle gleichfalls einen Beleg enthält, dass er jenes Werk benutzte.
res significare dicuntur, non tarnen ideo de inteUectibus rursum alias intellectus constiluunt.
436) p. 488., woselbst nach den oben, Anm. 77., angeführten Worten folgt:
Quod omnino falsum apparel Cum ilaque dicimus ,,homo intelligilur", hie esl
sensus , quod aliquis per inlelleetum naturam concipit humanam, h. e. animal tale
altendit p. 489.: Ex nalura tarnen ipsius sensus, qui, nisi in aliquam rem
existentem agal, exerceri non potest, concedendum arbiträr, quod si quis hominem
senlial , hunc vel illinn sentiat. AI vero intelleclus non minus haberi polest etiam,
si res non sit , quiu et eorum, quae iam praelerita sunl , memoria recordamur et,
quae futura sunl, per proviäentiam iam concipimus et, quae ntaiquam sunl, nonntinquam
opinamur alque fingimus, ut chimaeram, centaurum, Sirenen, hircocervum
(s. Boeth. p. 296.. Ahschn. XII, Anm. 110.).
437) p. 489 f.: Qtiaeril etiam illud fortassis aliquis, cum audio ,,omnis homo",
utrum intelligam omnem hominem, vel cum dicitur de aliquibus duobus , quod ,, alter
eormn currit", utrum intelligam allerum eorum currere, vel cum dicilur „chimaera
quae est alba", utrum inlelligam chimaeram, quae est alba, sicut cum audio „chi
maera" inlelligo chimaeram, nee non eliam, ulrum cum audio hoc nomen „non intelligibile",
intelligam non intelligibile . Hiebei wird dann p. 490 —492. überall ge
zeigt, dass mit dem ,,inlelligo" durchaus nicht das aüsserlich factische Sein mit
gegeben sei.
438) p. 494.: 0«« aulem forma's universalüer essentias esse volunl, si ralionabililer
agant, inquiramus ; et primum inquirendum videtur, si concesserint, unum
praedicari de unaquaque, sie quoad praedicationem suam (der Text, welchen Cou
sin gibt, ist unverständlich) unitatem messe illi de quo praedicatur, innuant. Quod
si concesserint, Socratem habere unitatem, cum unus sit, concedere debent, et uni
tatem Socratis habere unitatem formam sui, cum una sit, et illam aliam, et sie
tanla multiplicitas fiel, quod in natura numerus non occurral (s. unten Anm. 477.)
p. 495. : Illi autem qui non asserunt essentiam nisi substantias , fortasse vere
virlules et vitia et colores aliquid . esse denegabunt; sed quam rede id faciant, sapientes
iudicent.
439) S. die schon oben Anm. 300. angeführte Stelle.
440) Er war ans England gebürtig, trat als Lehrer des Triviums in Paris
auf, wo er seine Schule in der Nähe von Petit-Pont hatte, und wurde später Bi
schof von St. Asaph in Nord-Wales. Dass er in der Theologie ein Gegner des
Gilbertus Porrelamis war, berichtet Otto Fris. de gest. Frid. I, 51, p. 436. Urstit.
14*
212 XIV. Adam v. Petit-Ponl.
Wohl würde es durch eine solche Thätigkeit sich erklären, dass Adam
zu den Neuerern gehörte und somit über Diejenigen lachte, welche Alles
in die Isagoge hineinpfropften (s. Anm. 56 ff.), aber er scheint dennoch
nach dem Sprichworte, dass man mit den Wölfen beulen müsse, ver
fahren zu sein 441) und wenigstens als Lehrer mit ziemlicher Afl'ectation
im Aeusseren doch nur allbekannte Dinge vorgetragen zu haben442),
wobei er wohl auch in eitler Prahlerei Manches als eigene neue Er
findung ausgeben mochte 443). Von seiner schon oben , Anm. 20, ge
nannten „Ars disserendi" gab Cousin einige kärgliche Bruchstücke, mit
welchen uns wahrlich wenig gedient ist 444). Wir ersehen nernlich
daraus nur, dass Adam in der Einleitung eine eigenlhümliche Unter
scheidung aufstellte, wornach das Wissen (scienlia) auf geistiger Be
gabung allein (vgl. oben Anm. 422), die technische Durchführung aber
(ars) auf Begabung und Uehung, und die Gewandtheil (facullas) auf
Begabung, Uebung und Technik beruhe445), sowie dass er von dem
Urlheile ausgegangen zu sein und innerhalb desselben den sachlichen
441) loh. Saresb. Metal. 111, 3, p. 129. (ed. Giles): Plane magis dedocent
quam erudiunt, qui in hoc libello (d. h. in der Isagoge) legunt universa et etan
brevilate sua conlenlum esse non sinunt; quidquid alicubi dici polest, hie congervnl
Deridebal cos noster ille Anglus l'eripateticus Adam, cuius mstigia sequuntur
multi, sed pauri praepcdienlc invidia profilentur; dicebalque se aul nullum aul audilores
paucissimos habilurum, si ea simplicitate sermonum et facililate senlenliarum
dialecticam traderel, qua ipsam doceri expediret.
442) Waller Mapes (s. unten Anm. 525.), Mitamorph. Goliae , v. 193 ff. (ed.
Th. Wrighl p. 28.): Inter hos et alias in parte remota Parvipontis incola, non loquor
ignota, Disputabat digilis direclis in iota, Et quaecunque dixerat, erant per
se nota.
443) loh. Saresb. Enlhel. v. 49 ff. , woselbst nach den oben Anm. 59. ange
führten Versen folgt: Incola sum modici Ponlis novus auclor in arte, Dum prius
invenlum glorior esse mcum; Quod docuere senes nee nouil amica iuvenlus, Pecloris
invenlum iuro fuisse mei; Sedula me iuvenum circumdal lurba putatque Grandia
iactanlem nonnisi vera loqui.
444) Cousin, Fragm. pliil. (s. Anm. 416.) 2. Aufl. (1840), p. 417 ff. (Aufl. v.
1855, p. 333 ff.). Abgesehen von dem äussersl corrupten Texte der Handschrift,
an welchem alle Versuche einer Exegese scheitern, ist auch die Masse des Mitgetheilten
doch allzu gering. Dass aber das Werk Adam's für uns von Wichtigkeit
sein müsste, sieht man aus folgendem Anfange des 2. Buches, welcher eine Recapitulalion
des 1. enthält und bei Cousin (p. 423.) lautet: Ad prioris a sequenli
libro distinctionem (Cousin's Text hat sil distinctiones), quid in hoc dicendum, quid
in illo dictum, interserere (scheint licet oder cfgl. ausgefallen zu sein). De quo et
ad quid cl qualüer artis disserendi inslitulio, praemonslravimus ; a quibus disserendi
principium in cortim principiis duplicem, in ipsis dupliciter dupliccm disserenti atlenlionern
praescripsimus , de quo dical et qualiler id designet; posl principia item
duplicem, quid de eo dical et qualiler id designel; de quibus autem dical, prima
in qiiatuor, denique distinctius distinximus , et ex hoc principiorum genera, quae
sunt et ad quae, docuimus. Nemlich so unverständlich diese Worte auch grossentheils
sind, so blickt doch eine ganz eigenthümliche Gliederung des Ganzen durch.
445) p. 419.: Principium proposili, de quo et ad quid et qualiter ars disse
rendi instiluenda, dicere; propositum aulem, de eo et ad id et sie artis rationem
instituere. Erit autem, qualiter arlem inslilui conveniat, cognito eius inilio manifestius
Innolescal igitur, quoniam initium non idem scientiae et artis et facultalis
disserendi; id aulem innotescet, ex quibus horum inilia, cognito; sunt autem
ex tribus: ingenio , usu, arte Scientiae enirn disserendi ex ingenio absque ceteris
initium; artis autem ex hoc et usu; facullatis aulem ex his et arte.
XIV. Robert Pulleyn. Peter v. Poiliers. 213
Inhalt und die sprachliche Form unterschieden zu hüben scheint446).
Einen Schüler Adam's werden wir unten (Anm. 522) treflen.
Während nun auf solche Weise, wie wir uns bisher hinreichend
überzeugen konnten , die Dialektik in reicher Fülle als specielle Disciplin
eine ausführliche Pflege fand, fehlte es um die Milte des 12.
Jahrhundertes auch nicht an Solchen, welche lediglich von der Theo
logie aus gelegentlich auf logische Momente stiessen und dann in der
üblichen Weise mit dem platonisch-christlichen Realismus es sich ziem
lich bequem machten oder die Unvereinbarkeit der Logik und der Glaubens-
Mysterien aussprachen. So erwähnt Robert Pulleyn (er lehrte
in Paris und in Oxford, starb im J. 1154), welcher vor keiner dogma
tischen Consequenz zurückscheut, sondern Alles "und Jedes zu construiren
versucht, bei seinen Erörterungen über die Trinität auch Ansichten
der Dialektiker, wobei wir theils Wilhelm v. Champeaux theils Abälard
wiedererkennen 44~) ; er selbst jedoch, in der Ueberzeugung, dass hierin
die Dialektik ein vergebliches Unternehmen sei448), schaukelt sich ab
sichtlich von Zugeständnissen aus, welche uns an die Indifl'erenz-Lehre
erinnern, in einen völligen Skepticismus hinein, indem er verschiedene
Partei-Stellungen der Logik gleichmässig als berechtigt zugesteht und
zuletzt bei dem blossen gewöhnlichen Sprachgebrauche bezüglich der
Uni versauen stehen bleibt449). Und während Petrus von Poitiers
446) p. 421.: Principium disserenäi ab interrogalione vel enuntiatione. Quoniam
igitur ab ipso disserendi principio docendi disserere proposilum inchoari conveniens,
sie de iis docendi disserere principium , a quibus est disserendi /'.'**
igitur enuntiatio veri vel falsi dictio ut ad disserendum; inlerrogatio vero quid sil,
notivs est quam ut diffiniri oporteal p. 422.: Duplieem uirinque considerationem
adhibendam instituimus . alleram eorum, de quibus et quae dicuntur, alleram
verborum, quibus ea de illis. Quoniam mim, quae consideratione percipiunlur, verbis
designari aeque conveniens , de quo et quibus enuntietur vel interrogetur, ex arte
considerato, qualiler secundum locutionem utrumque ut ad disserendum designari conveniat
, non minus attente considerandum.
447) Rob. Pulli Sentent. l, 3 (ed. Mathoud, Paris. 1655 fol.), p. 33 a.: Dicet
dialecticus : Specks est tola substantia individuorum totaque species eademque in singulis
reperilur inditiiduis; itaque species una est substantia, eius vtro individua
mullae personae et hae mullae personae sunt illa una substantia, nam secundum Porphyrium
onmes homines participalione speciei sunl unus homo (diess ist die Ansicht
Wilhelms v. Champeaux, s. Anm. 105.).... Sed dices: Sunt nonnullae formae generum,
quae ea nequaquam ducunt ad esse specierum; sunt quoque proprietates pertinentes
ad substanliam, sed non effieiunt personam (so Abälard, s. Auin. 300 i.).
448) Ebend.: Dialeclice, obscuro obscurum incredibili creditum sohere quaerit;
nihil proficis.
449) Ebend. p. 35 b. : Omnem rem vere informem discretione cogilatuum , non
»arielale formarum, distinguimus ; haec enim est vis menlis, ut concipiat diversis
modis rem licet formis non diversam (diess trifft wörtlich mit dem „diversis modis
attendere" der Indifferenz-Lehre, s. Anm. 133., zusammen). Quod dico, difßcile
esl videre , difficilius explanare. Nam concolores per quid inter se conveniunt, per
quid a discoloribus di/ferunt, si accidentia non sunt? An, ut quidam aiunt, conveniunl
et di/ferunt, sed in nullo , ut albi similantur (diess wäre Abälard's ,,consimile",
s. Anm. 299. u. 307.); sed in quo? An in participatione speciei? Sed ratio
evincil , universalia non esse (diess beruht auf dem Ausspruche „r«s de re non
praedicatur", s. Anm. 132. u. 287., oder stimmt mit Johannes v. Salesbury über
ein, s. Anm. 590.). An in dividua albedine? Sed singuli cernuntur suam, non alterius,
haben (so die Nominalisten, s. Anm. 78.). Verumlamen sibi similes esse
214 XIV. Peter v. Poitiers. Robert v. Melun.
(ein Schüler des Petrus Lombardus, blühte um 1160— 1170) gleichfalls
gegen die Anwendung der Dialektik auf die Trinitäts-Frage prolestirle 45°),
knüpfte er dennoch viele seiner Erörterungen an Pscudo-Boethius De
Trinitale (s. Anm. 35 ff.) an, und zwar mit der komischen Bemerkung,
jene Schrift sei mehr philosophisch (!) als theologisch, und man dürfe
daher durch dieselbe sich nicht irreleiten lassen451); auch zeigt die
Unterscheidung der Substanz als Subject und der Substanz als Form,
sowie die Unterscheidung der substantiellen Form als einer das Indivi
duum erzeugenden und als einer die Arten und Gattungen hervorrufen
den nur den rohesten platonisch-theologischen Realismus 46'2). Desglei
chen findet sich hei seinem Zeitgenossen Robert von Melun, dessen
äusserliche Gewandtheit in der Dialektik sehr gerühmt wird453), nur
der onlologische gewöhnliche Realismus, welcher theoretisch zu stumpf
ist, um auf die logischen Momente überhaupt einzugehen, oder, wo er
solches ihut, sich eben blamirt, wie z. B. wenn gegen die Einheitlich
keit der Bedeutung , welche in „esl", und jener, welche in „ens" hegt,
polemisirt wird 454). Zu verwundern aber ist es demnach nicht, wenn
liquel, quia, licel diversas , habent tarnen albedines. Sed ii formas lollimus, unde
similes? Si sie dico, in consuetudine loquor, autores tarn dtiinos quam mundanos
videor haben adversos.
450) Petri Pictav. Sentent. I, 32 (ed. Malhoud, Paris. 1655, (öl.), p. 93 a.:
Non videtur ergo transferenda conversalio dialecticorttm ad huiusmodi propter inconvenientia
— 33, p. 94 b. : Quod ergo dicil Johannes Damasccnus (s. Abscho. XI,
Anm. 170.), non ila accipiendum , ul universalia et individua ila accipianlur sicut
in philosophicis disciplinis Si quaeratur, an hoc praedicabile ,,deus" sit univer
sale vel Individuum, neulrum hie admittendum. Und dennoch wurde auch er ver
ketzert, s. Anm. 478.
451) Ebend. I, 4, p. 8 b.: Ideo imponitur Bocthio, quod illam diffinilionem
( ii. b. der persona) magis posuil ul philosophus, quam ul theologus. 32, p. 93 b. :
Sed nostri llieologi plerique non habent illam diffinilionem pro aulhenlica, quia magis
fuil philosophus quam theologus et magis ad probabilitatem locutus est quam ad
veritatem,
452) Ebend. l, 6, p. 12 a.: Substanlia a subslando dicilur ipsum subiectum,
quod subslat formis, sive sil corpus sive alia res; substantia a subsistendo dicitur
forma, quae adveniens subieclo illud sulisistit, i. e. sub se et aliis formis sistit, i.
e. substare sibi et aliis facit, sicut imag'o sigilli ceram Sed subslanlialis
forma duplex est, vel quae facit ,,quis", el lalis est omnis individualis proprietas,
i. e. individuo et proprio nomine, ul Plalonitas, cuius participatione Plato est quis;
vel quae facit ,,quid", ut speciale vel generale , i. e. quae speciali vel generali no
mine signiftcalur, ut humanilas, animalitas, cuius participalione Plato est quid, non
vero quis.
453) loh. Saresb. Melal. II, 10, p. 78 f. (ed. Giles): Sie ferme toto biennio
conversatus in monte (A. h. Sanctae Genovefae) artis huitis praeceptoribus usus sum
Alberico (s. unten Anm. 521.) el Roberto Melidunensi, ul cognomine designelur, quod
meruit in scholarum regimine, natione siquidem Angligena esl, quorum alter
Alter autem (d. h. Robert) in responsione promptissimus sublerfugii causa propositum
nunquam dcclinavit articulum, quin alleram conlradiclionis partem eligeret aul
determinata multiplicilale sermonis docerel, unam non esse responsionem in responsionibus
perspicax , brevis el commodus.
454) Ausser jenem , was bei Bulaeus , hisl. univ. Par. II, p. 264. sich findet,
hat Hauriiau, de la phil. scolast. l, p. 333 ff. noch Mehreres ans Handschriflen
mitgetheilt; aus Letzterem kann, da alles Uebrige unseren hiesigen Zweck nicht
berührt, bezüglich eines logischen Punktes folgende Stelle (p. 333.) angeführt
werden: Has vero voces „esl" el ,,em," eiusdem esse significalionis , omncs philo
XIV. Gilbert Porrelanus. 215
die Schüler dieses Robert über die aristotelische Topik als ein unbrauch
bares Buch schmähten (s. oben A um. 29).
Hingegen hat bei Gilberlus Porretanus (geboren in Poitiers,
daher auch Pictaviensis genannt, gestorben i. J. 1 154) 'das theologische
Gezanke über die Trinilät zu einer ganz bestimmten logischen Auffassung
bezüglich der Universalien Veranlassung gegeben, und wir müssen daher
ausser der Schrift De sex principüs, welche in den nächsten Jahrhun
derten für sehr bedeutend gehalten wurde, auch den Commentar dessel
ben zu Ps.-Boelhius de 2'rinita<e4j5) näher ins Auge fassen. Dass
Gilbert bereits die aristotelische Analytik kannte , wurde schon oben
(Anm. 21) erwähnt; jedoch macht er, abgesehen von jenem Citate, in
der That keinen weiteren Gebrauch von einer inneren Kenntnis« der
dortselbst enthaltenen Principien, sondern bewegt sich nur in dem enge
ren Umkreise der allgemein üblichen Schul-Logik 456). Während auch
er uns das eigenthümliche Schauspiel des Widerspruches zeigt, mit
allem Aufwands logischen Scharfsinnes über die Trinitäl zu discutiren
(s. jedoch Anm. 478) und dabei zugleich eine durchgängige Scheidung
Gotles und des natürlichen Gebietes festzuhalten, scheint er allerdings
über Aufgabe und Stellung der Logik durchaus in sich selbst nicht klar
gewesen zu sein. Es lässt sich bei ihm das ontologische und das
logische Gebiet nicht einmal in jener Weise wie bei Abälard auseinan
derhalten, sondern trotz all seinem realistischen Grundlone acceplirt er
völlig naiv und unbedenklich die Function des menschlichen Sprachaus
druckes; denn die Erweckung des Gedankens verlegt er, einen Salz
des fi^ethius wiederholend, ganz gleichmässig in die Eigentümlichkeit
der Dinge und ebensosehr in die feste Bedeutung der Worte457), und
wenn er auf die nemliche Weise die Qualität des Urtheiles in der Ab
folge der Dinge und der Worte oder in der Modalität des Ausdruckes
findet, — was uns an Abälard erinnern könnte, s. Anm. 318, 327,
330 —, und somit die Aufmerksamkeit auf die Sprachform einschärft458),
so stellt er wieder den philosophischen Gehalt, welcher auf die Eigen-
Ihümlichkeil der Dinge (proprielas rerum) geht, sofort neben die der
sophicae clamilanl scriplurae ; in istis ergo locutionibus „mundus est ens", „mundus
est", lerminis oppositis idem siynificatur ; sed nullus tanta amentia ignorantiae excaecatus
est, qui aliquam hurum vocum „essenlia, es.t , ens" in illa significatione
retenla, in qua creaturis convenit, deum <iel essentiam divinam significari praesumal
n. s. w.
455) Gedruckt in Boethii Opera ed. Basil. 1570, p. 1128—1273. —'
456) So erwähnt er z. B. p. 1185. den Unterschied zwischen Syllogismus und
Enthymema, p. 1187. „dialecticorum topica generalis omnibus nota", p. 1225. „regula'dialeclicorum
de conversione", p. 1187. „conceptio communis", f. 1224. „conceptus
non entis" (z. B. Centauren), p. 1226. nihil als nomen inßnitum, u. dgl.,
und auch die Erwähnung der sechs Sophismen (p. 1130.) kann er aus der nemlichen
Quelle wie Abälard (s. oben Anm. 7.) geschöpft haben.
457) p. 1131.: Cttm in aliis inlelligentiam excitet rei certa proprietas aut
certa vocis positio, etc p. 1132.: Tria quippe sunt, res et intellectus et sermo;
res intellectu concipitur, sermöne signißcatur (Boeth. p. 296., s. Abschn. XII, Anm.
110.).
458) p. 1130.: Qualüas autem orandi vel in rerum alque dictionum consequentia
vel in earundem tropis attenditur. p. 1268.: Quia omnis dictio diversa significal,
quid et de quo diligen'i auditor attendit.
216 XIV. Gilbert Porretanus.
Logik anheimfallenden Verhältnisse der Aussage (loquendi ralioites) und
zugleich neben die grammatischen, die sophistischen und die rhetori
schen Momente hin459).
Ist so Gilbert in den Fragen über das Verhältnis des objecliv
ünlologischen zu dem subjectiv Logischen selbst noch naiver, als Scolus
Erigena gewesen war, so ist es hingegen nach der ersteren Seite der
Begrill1 der Substanz, durch welchen er in dem Streite über die Uni
versalien eine Parleislellung einnimmt; und wenn dieselbe uns wesent
liche Berührungspunkte mit anderen Ansichten zeigen wird, so ist diess
eben ein neuer Beleg dafür, dass die Parteien in mannigfachen Knoten
punkten sich kreuzten. Gilberl nemlich unterscheidet an dem Begriffe
der Substanz, welcher in allumfassender Weise als höchster Gattungs
begriff von allen, sowohl körperlichen als unkörperlichen, Wesen gilt,
nach dem Standpunkte der theologischen Terminologie (d. h. des PS.-
Boelhius) zwei Seiten, wornach bei einem Wesen sowohl dasjenige,
was es ist (quod est — subsistens), als auch dasjenige, wodurch es
ist, was es ist (quo est — subsistenlia), als seine Substanz bezeichnet
wird 4ßo). In letzleres aber nun, nemlich in die Subsistenz, verlegt er
in einer eigentümlichen Weise dasjenige, was wir bei Scolus Erigena
als die „Nalur der Dinge" (vor. Abschn. Anm. 105 u. 127) und bei
dem Verfasser der Schrift De gen. el spec. als „una crealura" oder
„similis crealio" (oben Anm. 159 u. 163) trafen; nemlich er deüuirt
Nalur kurzweg als den die Wesen formenden arlmachenden Unterschied,
und indem er es ablehnt, ein Subsistirendes oder etwa auch die Galtung
oder Art als Natur zu bezeichnen, sagt er, die Natur oder Dasjenige,
459; p. 1246.: Ne ergo tectorem decipere possit aliqua dictio, quae, cum sensum
aurium sono excital , in quacunque oratione ponalur, offert menli, quaecunque
significat, rerum proprictatem , quam aptid philosopltos didicit, recolal et loquendi
rationes, quas logica ministrat, atlendal atque <tvvial;iv ex grammalicorum, ii^iv
ex dialecticorum seu sophistarum, (irjaiv ex rhetorum locis considerans de tot significalis
id, quod ad propositum pertinet, convenientium illi rationum adminiculis
eligal.
460) p. 1152.: Hoc nomvn, quod est ,, substanlia", nun a genere naturalium,
sed a communi ratione omnium, quae sunt esse, subsistenlium inditam esl non solum
illis , quae sunl esse, i. e. subsislenliis , sed etiam illis , quorum ipsae sunt esse,
i. e. omnibus subsistentibus ; quoniam tarnen omnium, i. e. corporalium et incorporaliitm,
subsistentium, quod ab illorum subsistenlia communi generalissinmm esse, nomen
non habetur, saepe latini hoc pro eo ponunl; unde et in Isagoge Porphyrius
(Boelh. p. 68.), nbi ait „substanlia est quidem", supponil ,,et ipsa est yenus",
>l u ''in iste (d. h. Ps.-Boelh, de Trin.) sequilur, pro omnium subsistentium generatissimo
ait ,,substanlia" . p. 1151.: Error, .... nescire huius nominis, quod est ,,subslantia"
multiplicem in naluralibus usum , vidclicet non modo id, quod esl, ventm
etiam id, quo est, hoc nomine nuncupari. p. 1161.: JVon enitn subsistens tantum,
sed eliam subsistentia appellalur substanlia, eo quod utraque accidentibus , diversis
tarnen rationilius , substant. Subsistens igilur est substantia, non qua aliqua rerum
esl aliquid, nihil enim sttbsislente est aliquid, sed est illa substanlia, quae esl aliquid
• subsistenlia vero est substantia, non cui quid nitalur, quo ipsa aliquid sit,
sed qua solum subsistens esl aliquid. Es wäre unrichtig, wenn man in dem Aus
drucke „id, quod est" das quod als grammatisches Siibject nähme; es ist Prädical,
denn die Formel für die concreten Dinge gestaltet sich folgendermaassen: res
subsistentcs sunt esse subsislentiarum , d. h. Dasjenige, was ist, ist das Sein seines
Wesens.
XIV. Gilbert Porretanus. 217
wodurch Etwas sein Sein hat, d. h. die Subsistenz, liege in den sub
stantiellen Formen (formae substanliales) und denjenigen qualitativen
und quantitativen Bestimmtheiten, welche mit denselben verflochten
seien461), — eine Auffassung, welche er im Sinne des Realismus auch
auf die Natur des Individuum-Seins derartig ausdehnt, dass er z. B. in
dem I'lato-Sein (Plalonüas) , welches hiemit gleichfalls eine Subsistenz
ist, auch den Grund der Individualität des Leibes Plato's erblickt402).
Aber jene „substantiellen Formen", mit welchen noch anderweitige Eigen
schaften verflochten sind, erhalten nun ihren eigenllichen Umkreis in
den concreten Dingen, denn eine Form wohl sei auch das Wesen
Gottes, und Formen seien die platonischen Ideen der Dinge als Urbilder
derselben, Formen endlich seien auch die mathematischen Verhältnisse
der Figur, aber in all diesen dreien Bedeutungen sei Form ein Imma
terielles, hingegen jene Form, welche als das Sein der subsislirenden
Dinge der Grund dessen ist, dass sie sind, was sie sind, und hiemit
als Stoff Desjenigen auftritt, was mit ihr sich verflicht, sei eben darum
nicht immateriell, sondern hier seien Form und Stoff vereinigt463). In
dieser letzteren Sphäre aber nun, welche auch die_des Werdens und
der Bewegung sei, könne die geistige Auffassung des Menschen auf
461) p. 1231.: Haec igüur est propria naturae signifkatio, quae dif/inielur, *
i. e, secwndum quam signißcalionem natura difßnielur hoc modo : Natura est unamquamque
rem informans specifica di/ferentia; secundum hanc diffinitionem null um
princifium, nullum subsistens corporeum vel incorporeum, nullum genus vel species
sulisistentis, nullum omnino accidens appellalur natura, sowie die kurz vorhergehen
den Worte: naturae nomine monstrare cupientes rerum , quae generibus et speciebus
suis sunt aliquid , vel generum ipsorum atque specierum substanlialem proprietalem,
qualis est v. g. rationalitas. p. 1255 f.: Natura eitim subsistentis est, qua ipsum
subsistens aliquid est; hae vero sunt substantielles formae et quae illis in ipso subsistente
adsunt qualitates et mensurae quoniam sunt alias verioris numiiiis
subsiitentiae , quae 'nunquam a subsistente reccdenles perpeluae vocanlur. Hiezu
Anm. 486.
462) p. 1128.: Est enim proprium naturalium, quod sicul numero diversorum
proprielates diversae sunt , ita quoque subsislenliae numero sunt diversae , et quod
und singularis subsistenlia nonnisi unum numero faciat sitbsislentem , ut Platonis et
Ciceronis non solum accidentales proprietales, i'erum etiam subslantiales, quibus ipsi
sunt (t1, g. vel diversa corpora vel diversi homincs) divcrsae sitnt, et quaecunquc
singularis proprielas Platonem corpus esse vel hominem, eadem nutlum alium e.«.sc
facil idem.
463) p. 1138.: Forma quoque multipliciter dicilur. Nam essenlia dei, quo \
opifice est quidquid est, prima forrna dicilur. Qualttor quoque sincerae snbstanliae
, ignis, aer, aqua, lerra, non quidem quae in sylva (d. h. uiij) muluam
concrelionem habere praedicta sunt, sed quae ex sylva et intelligibili specie sunl
exemplaria eorundem corporum, lätai graece, laline" vero formae cognominatae sunt.
Illud ctiain quorumlibet subsislentium quodlibet esse, ex quo unumquodque eorum est
aliquid, et quod eorum, quae sibi adsunt, maleria est, eorundem subsistentium dicitur
forma, ul corporalitas omnium corporum. Dicitur etiam forma illud quartum
genus qualitatis , quod est corporum figura Ex his manifeslum est , quod materiarum
alia informis et ideo simplex, ut t:/7/, alia formata et ideo non Simplex,
ut corpora Quae vero sunt TSsc subsistentium, et materiae dicuntur et formae.
SiriTÜtter formarum alia nullius fliateriae, ul opificis essentia, qua ipse vere est.
Illae quoque sincerae subslanliac, quae corporum exemplaria sunt, sine materie
formae sunt Quae vero sunl subsistentium esse, sicut iam dictum est, non
modo formae sed etiam materiae nuncupantur. Figurae vero sensilium formae
taatum cognominantur et non materiae.
218 XIV. Gilben Porretanus.
Grundlage der Sinneswahrnehmung und des Gedächtnisses (vgl. oben
Anm. 418 IV.) die an sich unahstraclen und concret gewordenen For
men des natürlichen Seins (inabslracla , concrela, naliva) durch eine
andere Betrachtungsweise abslract erfassen — alislrac.iim atlendere —464),
und sowie bei der Erkennlniss des Göttlichen ein intellectuelles Ver
fahren, betreffs der mathematischen Formen aber ein disciplinäres Ver
fahren bestehe, so habe der Philosoph in den natürlichen Dingen ratio
nell (ralionabiliter) zu verfahren, indem er die Worte, durch welche
sowohl dasjenige, was die Dinge sind (quod est), als auch jenes, wo
durch sie es sind (qiw esl), bezeichnet wird, mit verständigem Nach
denken erfasse, und eben dieser Umkreis der natürlichen Dinge sei es
ja auch, in welchem Arten unter Gallungen subsuniirt und Gattungen
von Arien ausgesagl werden 465). So ist uns durch diese Anschauungs
weise Gilbert's 46(l) bereits klar, wie richtig Johannes von Saleshury
sich ausdrückte, wenn er sagt, Gilbert verlege die Universalien in die
„formae nalivae" der geschaffenen Dinge und bemühe sich um die „conformilas"
derselben, welche einerseits vom Denken als das Allgemeine,
erfasst werde und andrerseits in der Erscheinung singulär auftrete46')'
Es erhält diess aber auch noch seine weitere Bestätigung.
Die substantielle Form nemlich hat darin ein Sein, dass sie es ist,
welche das ganze Wesen und die mil demselben verflochtenen Attribute
eines Dinges bewirkt und so als eine totale der Artbegriff ist, welcher
aus Gattung und arlmachendem Unterschiede besteht 4*s), wornach in
464) Ebend.: His itaque divisis addcndum est, quod primaria materia, i. t.^
iiirj, et primaritte formae, i. e. oiiOCa opiftcis et sensiiium täfai , omni motu
carent. Quae vero inabstracta a se invicem atque concreta sunl, i. e. sensilia, moventur.
Formae vero sensiiium, quamvis inabstraclac ideoque motum habentts , st
tarnen abstractim attendantur (man beachte diesen Ausdruck, s. Anm. 133.), hac
vere abstractorum imitatione sine motu esse dicuntur; non enim tantum sicuti sunt,
verum etiam aliter quam sunt, res aliquae saepe vere concipiunlm: Proplcr quod
etiam ipsa animi speculatio dividittir — Cum enim nativu, siciit sunt, t. t. con
crela et inabslracta, considerat, ex sua quidem propria polcstate, qua humane anano
datum est, ex sensuum atque imaginationum praeeuntibus adminiculis reri sensilia
ratio dicitur; sed ex his quae consideral, nn.liris srilicel et inabstractis et mgtum
habenlibus, naturalis et in molu et inabslracta cognominatur . ™. . Speculalio, quae
nativorym ju&b,&iractas formas ... considerat. Hiezu Anm. 487.
465) p. llwl: Ac per hoc in naturalibus, quae sicuti sunt percipi debenl, sc.
concreta et inabstracta, oportebit philosophum versari ralionabililer , ut scilicel posito
nomine, quo et id, quod est, et id, quo est, siijnificatur, ea vi mentis, qua concreta
reri debet, diligenter altendal, quid proprie sibi vel quod est vel quo esl concretionis
consorlio exigat et quid celerarum speculationum locis communicet In naturali
bus enim dicitur homo species generis ... ideoque naturalis concretionis proprietate
dicitur genus de specie praedicari In malliemalicis vero ... oportebit eum versari
disciplinabiliter .... In divinis intellectualiler versari oportebit.
466) Die Quelle hievon liegt natürlich in der platonisch-theologischen Onlologie
des Pseudo-Boelhlus.
467) Die Stelle ist oben, Anm. 67., angeführt.
468) p. 1142.: Ea quae est tola forma substanliae hominii non modo ex eo, '
quod ipsa tola eum , in quo est, f'acit hominem, sed et ex eo, quod alia parte sui
cwti/i'iit facit animatum, alia sensibilem, alia rulionabilem, rede dicitur esse aliquid.
Quidquid est alicuius esse, aut est Iota subslanlia illius , cuius dicitur esse,
auf pars eins, quod est Iota substantia; et Iota quidem substantia species, quae de
XIV. Gilbert I'orrelanus. 219
der Subsistenz, durch welche ein Ding zu dem Subjecle seiner Wesens-
Allribule gemacht wird , mehrere Subsistenzen wie in Einem Geflechte
zusammenlaufen 40I)). Hiedurch aber haben die Gatlungs- und Arl-Begriffe
ein anderes Sein als die Dinge selbst ; denn erstere haben eben
nur das Sein der Subsislenz, letzlere hingegen haben das Sein, Subjecle
und Träger der in der Suhsistenz vereinigten Attribute zu sein470).
Und su erfassl das Denken die Gallungs- und Arl-Begrill'e als die Uni
versalien gegenüber den parliculären Dingen, indem es aus den coucret
exislirenden Trägern der Attribute auf das Sein der Subsislenz
sammelnd (völligere) schliessl 4T1) , wobei dann die natürlichen Dinge
im Hinblicke auf die Gattungs- und Arl-Subsislenz, an welcher als an
dem wesenllichen Sein die einzelnen Dinge theilhaben, mit den Gallungs
und Art-Samen bezeichnet werden , sowie die Atlribule als I'rädicale
ausgesagt werden und auch denominativ die Suhsistenz selbst das Subject
genannt wird 472). Sowie aber der Begrift" des Sammeins (colleeo
dicitur, est, pars vero eius, quod est loluni esse, genas est auf diflerentia, quae \-
speciem ipsam conslituil.
469) p. 1145.: Subsistentia causa es't, ut id, quod per eam est aliquid, suis
propriis sil subiectum. p. 1175.: Quotiens enim subsistens ex subsistentibus coniunclum
est, necesse est, eius lolum esse, i. e. illam qua ipsum perfectum est .••«//-
sistentiam , ex omnium parlium suartim omnibus subsislentiis esse coniunclam.
470) p. 1239.: Genera et species, i. e. generales et speciales subsistenliae, subsistunt
tantum , non subslanl verc , nequc enim accidentia generibus speciebusve con-'~>
lingunl, ut quod sunl, accidenlibus dcbeanl (der Begriff aceidens ist hier wie über
all in dem Sinne genommen, dass er gegenüber der Substanz die übrigen neun
Kategorien umfasst) .... Individua vero subsistunt quidem vere, — informala enim
tunt tarn propriis et specificis di/ferentiis , per quas subsitlunl; non modo atitem
subsislunt, verum etiam subslanl individua, quoniam et accidentibus, ut esse possint,
minislrant, dum sunt seilicet subiecta accidenlibus.
471) p. 1238.: Essentiae in universalibus sunl, in particularibus substant, ....
subtistetitiae in universalibus sunt , in pafticularibus capiunt subslanliam. 1.~e. sub
stant .... Vniversalia, quae intelleclus ex particularibus coliigit, sunl, qttoniam parlicularium
illud esse dicuntur , quo ipsa parlicularia aliquid sunt; particularia vero
non modo sunt, quod ulique ex huiusmodi suo esse sunl, verum ttiam subslanl.—
472) p. 1137.: Ad generales quoque et speciales subsislentias, quae subsistentium,
in quibus sunt, esse dicuntur, eo quod eis, ut sint aliquid, confcrunl, emsdem
nominis , t. e. materiae, alia fit denominatio. p. 1140.: Essentia est illa res,
quae esl ipsum esse, i. e. quae non ab alio hanc mulual dictioncm , et ex qua est
esse, i. e. quae ceteris omnibus eandem quadam cxtrinscca parlicipalione communical
— namque in naturalibus onme subsistentium ex forma esl , i. e. de quocunque
subsistenle dicitur ,,est", formae, quam in schabet, participatione dicilur. p. 1141.:
Omnia de subsistenle dicuntur , ut de aliquo homine Iota forma substanliae , qua
ifte est perfectus homo, et omne genus umnisque differcnlia , ex quibus esl ipsa
eomposita, ut corporalilas et animalio, el 'denique omnia, quae vel loti illi formae 4
adsunl, ut humanitati risibüitas, vel aliquibus partibus eius. p. 1145.: Quoniam
subsistentia causa est, ut id quod per eam est aliquid, suis propriis sit subiectum,
ipsa quoque per denominalionem eius subiecta dicilur et eorundem materia (p-
1146.) el ideo generaliter mm qualilalibus qualitas dicilur el cum solis albedinibus
specialiter albedo, alque adeo mvlta sunl, quae de istis dicuntur , ul saepe etiam
efßciendi ratione a coaccidenlibus ad ea, quibus coaccidunt, denominativa transsumplio
ftat, ut ,,linea esl longa, albedo esl clara". p. 1199.: Hoc igitur , quod
habet a substantia, nomen ad ea, quae ex ipsa ftuxerunt, denominalive transumptiim
est.
220 XIV. Gilben Porrelanus.
cft'o), weichen Gilbert förmlich zu einer Definition der Galtung benutzt 473),
uns schon oben in der Indifferenz-Lehre (Anra. 136), bei Gauslenus
(Anm. 146) und hei dem Autor De gen. et spec. (Anm. 162) begegnete,
so verbindet Gilbert damit in realistischem Sinne eine Auflassung, welche
er durch die Ausdrücke „subslanlialis simililudo" oder „conformanles
subsislenliae", am liebsten aber durch das bei ihm so häufige Wort
„conformitas", selbst mit Ausdehnung auf die Namen der Dinge, bezeich
net474), wobei wir die Verwandtschaft mit der „simüis crealio" des
Buches De gen. et spec. (Anm. 163) und insbesondere mit Abälard's
„consJmiftJttdo" (Anm. 299) nicht verkennen können; bemerke nswerth
aber ist, dass Gilberl das Wort „indifferenlia", welches ihm doch ganz
nahe liegen musste, ausschliesslich nur bei den theologischen Discussionen
über die Trinitäl anwendet475), hingegen wohl de» Wortes
„idenlitas", sowohl bei Substanzen als auch bei Attributen , sich be
dient476). Er nimmt überhaupt diese formgebende Kraft der Univer
salien so realistisch, dass ihm nicht hloss z. B. die Weisse, sondern
auch die Einheit als eine dergleichen Form erscheint, welche bei jedem
Präilicate mitwirken müsse, um den Träger desselben zu Einem Dinge
zu machen477), und während e* hiedurch dem oben angeführten Ein
wände (Anm. 438, was möglicher 'Weise selbst direct gegen Gilbert
gerichtet sein könnte) preisgegeben ist, gelangt er dabei auf eine für
die Trinitälsfrage nutzbare , aber von Anderen wieder heftig bekämpfte,
Unterscheidung zwischen Einheit und Eins otler überhaupt zwischen
473) p- 1252.: Genus vero nihil aliud pvlandum eil. niti subsiilentiarvm secundum
totam eorum proprietatem ex rebtu seeundum species iuas differentibüs simtlitudine
comparala collectio.
474) p. 1135.: Dirersae lubsislentiae , ex quarum aliis homines et ex aliis
equi sunl animalia, non imilationis vel imaginaria, sed substantiali simililudine
ipsos, qui secundvm eas subsistunt , faciunl esse cmformet, p. 1136.: Üictmlvr
etium mulla subsistentia unum et idem non nalurae unius singularilale , sed mullaruui
. quae ralione similitudinis fit, unione .... lila, quae diversarum naturarun
adunal conformitas , genere vel specie unum dimntur Tres homines neque ytnere
neque specie, i. e. nulla subsistentiarum dissimililudine , sed suis accidentibtu
dissimilüudinis distant , sunl conformanlium iptos subsisteatiarum numero plures.
p. 1175.: Conformilate aliqua plures homines dicuntur unus homo. p. 1192.: Stcuudum
propositae nalurae plenitudinern dieilur subslantialis similitudo, qualiter album
albo simüe esl et homo homini. p. 1194.: Tales sunt omnes differentiae illae,
quae tel huic generalissimo proxime cwn ipso qvaedam conlraclioris iimiHtudiais
eonstiluunt genera, quae a logieis subalterna appeUanfur, vel subalternis similiter
adhaerentes quamlibet tut ipsis svbsistentiam specialem componunt. p. 1234.: Homo
tidelicet tubsistenlia specialis, quae est huius nominis qualitas uiia quidem conformilale,
sed plures essenliae singularilale , de tingulis hominibu». Ebenso p 1251
1262. n. s. f.
475) So z. B. p. 1134. u. 1152. n 1169.
476) p. 1169.: Identitate unionis homo idem quod honto est, nam Plalo et
Cicero unione speciei sunt idem homo — ; identilate, quae ex proprielatis est unttate,
rationale idem quod rationale est, teluti anima hominis et ipse homo non unione
speciei, sed unilate proprietalis sunt unum rationale.
477) p. 1178.: Unilas omnnan praedicamenlorum comes est; nam de quocunque
aliquid praeduatur, id praedicalo quidem est hoc, quod nomme ab eodem
sibi mdito tt verbi svbstantiti eomposilione esse signißcalur, sed unitale ipsi coaccidente
ett unum, ut album albedine quidem aUntm eil, sed unilate. eoaccidente albedini
unum, et timul albedine ei eius camile unitate est albm unum.
XIV. Gilbert Porrelanus. 22t
den Zahlwörtern und den ihnen zu Grunde liegenden Idealformen, insoferne
erslere nur von den concreten Dingen , welche eben der formgebenden
Wirkung der ideellen Universellen unterliegen, ausgesagt werden
können479). Sodann aber knüpft sich an den Begriff der conformilas
auch noch die Auffassung, dass im Individuum alle möglichen Bestimmtheilen
derartig vereinigt sind, dass dasselbe in der Totalität seiner Subsistenz
(vgl. Anm. 462) mit keinem anderen Wesen conform ist, und
hiemit die Individualität in dieser Wesens-Unähnlichkcit liegt, wohin
gegen alles Nicht-Individuelle auf einer Aehnlichkeit beruht und hiernach
in seine individuellen concreten Erscheinungsweisen, welche in ihm ähn
lich, unter sich aber unähnlich sind, gelheilt werden kann; es be
zeichnet Gilbert diese Anschauung dadurch , dass er das Wort „divii/
uu1", welches wir hier zum erslen Male treffen , für die sog. nomina
appellaliva und „individua" für die sog. nomina propria wählt4'9,).
Eine logische Verwerthung dieses onlologischen Realismus liegt in
jenem Aufundahklellern an der Tabula logica, welches nach dem Vor
gange des Boelhius in Definilion und Division yeübt wird480), und
hiemit in der Funclion des Aussagens, insu ferne durch dasselbe nie das
concrele Sein selbst, sondern nur das Wesen, d. h. die Subsistenz und
die Wesens-Altrihute, über die concreten Dinge ausgesagt werden461),
478) p. 1148.: Quod esl unum, res esl unilali sitbiecta, cui scilicel vel ipsa
unitas inest, iil albo , vel adesl, ut albedini; unitas vero esl id , quo ipsum, cui
inest, et ipsum, cui adest, dicimus unum, ut album unum, albedo una. Kursus ea,
quae dicimus esse duo , in rebus sunt , t. e. res sunt dualilali similüer subieclae,
quae duae sunt Ideoque non unilas ipsa, sed quod ei subiecluni esl, unum
est, nee dualilas ipsa, sed quud ei subieclum est, recte dicilur duo , iiam i'ere
omnis numerus non numeri ipsius, sed rerum sibi suppositarum est numerus. Dass
aber überhaupt selbst dieses orthodoxeste Bestreben bei manchen anderen Theologen
wenig Dank einarndtete, sehen wir daraus, dass, wie Bulaeus , Inst. un. l'ur. I, p.
404. berichtet, der Prior Walther von St. Victor eine eigene Schrift gegen die
„vier Labyrinthe Frankreichs", neralich gegen Petrus Lombardus, Abälard, Petrus
v. Poitiers und Gilbert, verfasste; aus Handschriften derselben (in der Bibliothek
von St. Victor) theilt Launoi, de var. fort. Arislot. c. 3, p. 29., folgende Stelle
mit: Quisquis hoc legerit, non dubilabil, quatuor labyrinthos Franciae , t. e. Abaclardum
et Lotnbardum, Pelrum Pictavinum et Gilbertum Fonelanum, uno spiritu Ariitotelico
a/'flatos, dum ineffabilia trinitatis et incarnationis scholaslica levitate tractarent,
mullas haereses olim vomuisse et adhuc errores pullulare.
479) p. 1164.: St etiim dividuum facü sinrililudo , consequens est, ut individuum
dissimilitudo. p. 1236.: Homo et sol a grammaticis appellativa nomina, a
dialecticis vero dividua rocanlur, l'lato veru et eius singularis albedo ab eisdem
grammaticis propria, a dialecticis vero individua; sed horum homo tarn actu quam
natura appellativum vel rfividuum est, sol vero nalura lantum, non actu; multi namque
non modo natura, verum etiam actu, et fuerunt et sunt et futuri sunt subslantiali
similitudine similes homines. p. 1165.: Restat igilur, ut illa tantum sinl individua,
quae ex onmibus composita nullis aliis in Mo possunt esse conformia, ut ex omnibus
, quae et aclu et nalura fuerunl vel sunt vel fulura sunt, Platonis collecta Platonitas.
480) p. 1128.: Sicul in difftniliva demonstralione specics genere, sie in divisiva
genus specie declaratur. p. 1130.: „Nulla species de suo genere praedicalur"
in difßnilionum genere verum est, item „omnis species de suo genere praedicalur"
in divisionum genere verum est.
481) p. 1244.: Nunquam enim id, quod est, praedicalur, sed esse et quod
illi adest praedicabile est, et sine tropo nonnisi de eo , quod esl. (Wenn hiemit
222 XIV. Gilben l'orretanus.
d. h. Gilberl spricht seinen Realismus aus, indem er alle Kategorien
als die reellen Causalilälen ihrer Erscheinung in den concreten Dingen
betrachtet und so als oberste Gallungen nicht der Aussagen, sondern
der Objccte bezeichnet, wornach die logische Kunclion (facutlas logica)
nur einen Abklatsch der Realität enthalt482). Dabei aber scheidet er die
Kategorien nicht bloss in der üblichen Weise, dass die Substanz allen
übrigen neun gegenübersteht, sondern letztere zerfallen ihm wieder in
solche, welche zu dem inneren Wesen gehören, und solche, welche nur
eine äusserliche Verbindung enthalten483;; nemlich Qualität und Quan
tität, welche zur „Natur" (Anin. 461) oder Subsistenz gehören, dienen
darum noch der Aussage des wahren Seins (vere esse), wohingegen die
übrigen sieben Kategorien, —- also mit Einschluss der Relation —,
nur dem äusserlichen wechselnden Verhältnisse der Zustände (slalus,
vgl. i-h-nininiiniliu. hei Boethius, Abschn. XII, Am». 166) anheimfal
len484).
Gilbert die blossen Exislentialsälze als nichtssagend bezeichnete, su kam er biedurrh
wieder in Conllict mit Theologen , s. Otto Frising. de gest. Frid. I, 52, p.
437. Urslis.: Eral qiiippe quorundam in logica sentenlia, quod, cum quis diceret,
Socratem esse, nihil diceret ; quos praefalus episcopus seclans talcm dicli usum haud
praemeditale ad theologiam verlernt).
482) p. 1173.: Horum nominum illa significat'a, quae diversis rationibus grammatici
qualüates, dialeetici categorias , i. e. praedicamenta , vixa.nl, praedicanlur
substantieller, p. 1153.: Qualitas omnium qualilatum ycneralissimum est et quantitas
omnium quanlitatum ideoque qualitas est qualitas gencre cuiuslibet qualilatis,
quäle vero esl quäle qualitale cuiuslibet generis . . . . similiter nullum, quod tsl
ad aliquid, relatio est, et nulla relalio est ad aliquid, sed id, de quo ipsa dicititr,
est ad aliquid .... Vbi quoque et quando et haben et situm esse et /'acere et poti
nominu sunt generalissima non eorum, quae praedicantur, sed eoriim, je quibus prae
dicanlur Haec igilur praedicamenta talia sunt retationibus logicae facultalis,
qualia illa suliiecta, de quibus ca convenit dici, permiserint. p. 1146.: Celeras,
quae in corporilius sunt, voeantei formas hoc nomine abulimur, dum non ideae , sed
idcarum sint itxöt'ff, i. e. imagines, quod ulique nomen eis melius contenit; OSMmilantur
enim quadam extra substantiam imilatione Ms formis , quae non statt
in ni nln i u conslitutae, sinceris.
483) p. 1153.: dmdquid hoc esl subsistentium esse, eorundem substantia didtur,
quod ulique sunt omnium subsistentimn fjieciales subfistenliae . et omnes, ex qui
bus hae compositae sunt, scilicel eorundem subsistenlium , per quas ipsa sibi conformia
sunt, generales , et omnes, per quas ipsa dissimilia sunt, differentiales
Accidentia vero de illis quidem svbstanliis, quae ex esse sunl , aliquid dicunlur,
sive in eis crenta sive exlrinsecus affixa sint, sed eis lanlum , quae esse svnl,
accidunt.
484) p. 1156.: llner quidem, i. e. substanliae , qualitalcs, quantitates , sunl
talia, quibus vere sunt, quaecunque his esse proponuntur , ideoque rede de ipsis
praedicari dicunlur ; reliqua vero septem generum accidentia . . . non vefa essendi
ralione praedicanlur, nam cxtrinsecis scilicel circtanfitsus el determinatus minime
praedicaretur, si non suis esset per se proprietatibt/s infortnatus. p. 1160.: sie ergo
praedicatio alia est, quae vere inhacruns inhacrere pracdicalur, atia, quae quamvis
forma inliaerenlium fial , tarnen ita exlerioribus datur , ut ea nihil alicui inhaerert
inlflligalur. p. 1255 f. : Cetera vero (vgl'. Anm. 461.), quae de ipso natttraliter
dicunlur, quidam eins Status vocantur, eo quod nunc sie nunc vero atiler, relinfm
has quibus aliquid est mensuras et qualilales et maxime subsistentias, statuatttr
, situ vcl loco vel habilu vcl relalione vel tempore vel aclione vel passione stainitiif.
So wird auch ausdrücklichst von der Relation gesagt p. 1163.: rclatita
praedicatio consislit non in eo, quod esl etse.
XIV. Gilliert Porreianus. 223
Eben diess Letzlere aber nun führt uns auf Gilberl's Schrift De
sex pri'neiprö485), ein in der That klägliches Machwerk, welches wahr
lich nur durch die Bornirlheit des Albertus Magnus zu Ansehen und
Gellung kommen konnte. Es begegnet uns dort zunächst wieder (vgl.
A n u. 461) der Begriff des substantiellen Seins, in welchem die Form
einer Verflechtung der Wesens-Beslandlheile liegt486), wobei ebenso
unmotivirl wie oben (Anm. 464) bemerkt wird, dass aus der Singulari
tät der concreten Dinge durch das Denken das einheitlich Gemeinschaft
liche (commune) und Universelle erfassl wird487). Sodann aber wird
auf. die Kategorien mit jener neinlichen (Anm. 483 f.) Zweitheilung in
innerliche und äusserliche übergegangen, jedoch mit dem Unterschiede,
dass nun hier die Relation nichl mehr unter den äusserliclien aufgezählt
wird , sondern dieselben nur aus den sechs letzten Kategorien (actio,
passio, ubi, quando, süus , habere) bestehen sollen, und da die ersten
vier Kategorie» schon hinreichend von Aristoteles besprochen seien, so
will Gilbert nun eben jene übrigen sechs vollständiger erörtern 45s).
So erfüllt er ein Bedürl'niss, welches wir schon früher (Anm. 18 u.
344) aussprechen sahen, und indem er in seinem realistischen Wahne
auch diese Kategorien als „prinripia" bezeichnet (vgl. Anm. 477 u.
482), erhielt diese seine verslandlose Schrift auch in Anbetracht ihres
Titels später eine solche Bedeutsamkeit, dass sie gleichsam als integrireiuler
Theil in das Organon aufgenommen wurde.
Zuerst wird aclio definirl und mit schärfstem Dualismus zwischen
körperlicher untl psychischer Action als reciproc mit dem Begriffe der
Bewegung bezeichnet4**), worauf die Bemerkung folgt, dass die Eigenthümlichkeit
der Action darin liege, passio zu erzeugen, und hiernach
die aclio das uranfängliche „Princip" sei4510), und es wird nun der
48ö) In Folge der Aufiiabme in das Ürgano» gedruckt in fast sämmtlichen
ältesteu lateinischen Ueber*etzangen des Aristoteles; ich citire nach Arislot. Opp.
lal. Venet. 1552, fol. vol. I.
486) Cap. l, f. 31. v. A.: Forma est composilioni contingens, simplici et invariabili
essenlia consislens Substanliale vero äst , quod confert esse ex quadum
compositione composilioni. ut in pluribux, quod impossibite est decsse ei.
487) f. 31. v. B.: Sicut ex plurium parlium coniunctione constitutio quaedam
primorum excedcns quantitatem efßcitur, sie ex singularium discretione nimm quoddam
inlelligitur eorum excedens praedicationem. So auch f. 32. r. B. : omnes ijuidem
livmines eius hominis , qui communis esl et universltlis.
488) f. 32. r. A.: Eorum vero, qwe contingunl existenli, singulum aut extrinsecus
adrenit aut inlra substantiam cvnsideratur simpliciler, ut linea, superficies,
corpus; ea vero , quae extrinsecus cunlin/junt , aul urlus aut pati aut dispositio aut
eise alicubi aul in mora aut habere necessario erunt. Sed de his , quue subsistunl
et quoe non solum in quo existunt exigunl, in eo qui ,,,/^e categoriis" libro inscribitur
dispvtatum est; de reliquis vero continuo agamus.
489) Cap. 2, ebend. : Actio vero est, secundum quam in id, quod subücitur,
agere dicimur .... Differunt autem, quuniam ea, quae corporis est, movens est ne
cessario illud, in quo est, .... actio aulcm animac non id movet, in quo est, sed
coniunctum; anima emm, dun agil, immobilis est .... Omnis ergo actio in motu
est, ontnisque motus in aclione firmabitur.
490) f. 32. r. B.: Naturalis vero actionis proprictas est, passionem ex se in
id, quod subiicilur, inferre, omnis enim actio passionis esl effectiva et sie actus
quidem esl primordialc principiutn.
224 XIV. Gilbert Porretauus.
Begriff des „facere" in den dürrsten und grundlosesten Behauptungen
aucl) auf alle übrigen Kategorien angewendet491), und nach dem Muster
der vier ersten Kategorien das Verhältniss des Gegensatzes und das
Mehr oder Minder auch an dem facere und pali aufgezeigt 492). Dann
folgt trotzdem zweitens passio, bei welcher die Verschiedenheit der
Wortbedeutung hervorgehoben wird 4*3). Hierauf wird drittens quando
vorgeführt, welches wohl mit tempus verwandt sei, aber von demselben
sich dadurch unterscheide, dass die drei Zeiten, Vergangenheit und
Gegenwart und Zukunft, kein quando seien, sondern nur eine Wirkung
und Eigenschaft, vermöge deren Etwas als vergangen u. s. f. bezeichnet
werde (Aehnlirhes s. oben Anm. 194); auch könne nach dem quando
Nichts gemessen werden, wohl aber nach der Zeit494). Hieran reiht
sich als Gipfelpunkt des Unsinnes die Angabe eines Unterschiedes zwi
schen quando und ulti, da das quando der Gegenwart zugleich mil dem
Augenblicke selbst in dem Nemlichen sei, was bei dem nlii. nicht sich
finde495), sowie eine Eintheilung des quando und des lempus in ein
fache und zusammengesetzte496), und zuletzt die Notiz, dass das Verhältuiss
des Gegensatzes und des Mehr oder Minder bei quando nicht
statthabe 497). Nun folgt viertens uM, wobei die analoge Unterscheidung
zwischen ubi und locus auftritt498), und an die Unmöglichkeit, dass
491) Ebend. : Facere vero id, quod quäle esl, ex se gignit .... Quantitalum vero
particularium positio e/fectrix est et qualitatum ...., universa enim haec a situ subslanliam
et generationem habent — Situs autem agere et pali, in dispositionis namque
compositione quacdam generalio simplicium ftt, quam in motiva actione consislere
necesse est. Quando vero lempus, ubi vero locus, habere autem corpus, ea enim,
quae circa corpus sunt, habrre dicunlur.
492) Ebend.: Recipil aulem facere et pali conlrarietatetn et magis et minus ,
secare enim ad-planture contrarium est .... et calefieri magis et minus dicilur.
493) C. 3, f. 32. v. A.: Passio esl eflectus illalioque aclionis — Est autem
pali eorum, quae multipliciter dicunlur; animae enim actionum miaquaeque passio
dicilur , dicilur quoque passio, quod in naturam agil, ut morbus Ea vero,
quae nunc relinquunlur, in eo qui est „De generalione" libro ttaclanlur (dieses Citat
ist aus Itoi'lh. p. 190. entnommen).
494) C. 4, ebend. : Quando vero est, quod ex adiacentia (vgl. Anm. 504.)
lemporis relinquilur ; tempus vero quando non esl, utriusque autem ralio coniuncla
est, ut tempus quidem praeterilum quaudo non esl, cffectus autem eins et affeclio,
secundum quam dicilur aliquid /wisse, quando est; instans aulem quando non est,
sed secundum quod aliquid aeqtiale vel inaequale est; eius autem affectio, secundum
quam aliquid dicilur in inslanti esse, quando est; futurum similiter tempus quando
non esl. f. 32. v. B.: Distat aulem et lempus ab eo, quod quando, quoniam se
cundum lempus aliquid esl mcnsurabile, ut motus annuus ...., at vero secundum
quando nihil mensuratur , sed aliquando dicitur esse.
495) f. 32. v. B.: Differt enim quando ab eo, quod esl ubi, quoniam in quocunque
tempus est vel fuit vel erit, in eo quidem quando esl vel fuit vel erit , quod
secundum idcm tempus dicilur; quando enim, quod existenti est, cum ipso instanti
est, et simul in eodem sunt — Ubi vero et locus, a- quo est vel /</, nunquam timul
in eodem; ubi enim in circumscriplione est, locus autem in complectenle.
496) Ebend.: Quando autem sicut et tempus aliud quidem compositum est,
aliud vero Simplex; est aulem compositum, quod in compbsila aclione consistit,
Simplex vero, quod cum simplici procedit.
497) Ebend. : Inest aulem quando , non suscipere magis et minus .... amplius
quando nihil est contrarium.
498) C. 5, f. 33. r. A.: l/W vero est circumscriptio corporis a circumscriptione
XIV. Gilben Porretanus. 225
zwei Dinge in Einem Orte oder Ein Ding an mehreren Orten sei, sich
auch obige Controverse (Anm. 203) über die Fortpflanzung des Schalles
anknüpft 4<ja) ; auch das ulii wird in einfaches und zusammengesetztes
eingetheilt , und demselben das Verhältniss des Mehr oder Minder, so
wie auch jenes des Gegensalzes, sogar mit ausdrücklicher. Beziehung
auf die Begriffe des Oben und Unten, abgesprochen 50°). Fünftens folgt
silus, oder wie Gilbert es nennt, .positio, in möglichst rohem Realismus
aufgefasst, so dass alle speciellen Erscheinungen dieser Kategorie, wozu
auch z. B. Rauh und Glatt gezählt werden (vgl. Anm. 193), nur als
abgeleitete Ausdrücke betrachtet werden101); dass diese Kategorie der
Gegensätzlichkeit fähig sei, wird darum verneint, weil Gegensätze nur
Einer Gattung angehören, hingegen das Sitzen und das Liegen verschie
denen Gattungen anheimfallen , indem nur vernünftige Wesen sitzen
können, die übrigen aber liegen502); und während auch das Verhält
niss des Mehr oder Minder hier unstatthaft sei, müsse diese Kategorie
in die nächste Verbindung mit der Substanz gebracht werden , da die
Substanzen eben in ihr ihre Anordnung finden 503). Sodann ist sechslens
noch habilus übrig, welche Kategorie mit dem uns von Ahälard
her (Anm. 284) bekannten Begriffe der atliaeentia identilicirt wird 504);
loei proveniens ; tocus aulem in eo esl, quod capit et circumscribit .... Mm esl
aulem in eodem locus et übt, locus enim in eo , quod capil , übt vtro in eo, quod
circumscribitur et compleclitur.
499) Ebend.: Nequaquam tgitur duo in eodem loco esse simul possunt nee
idem unum in diversis Movel aulem quis quaestionem fortasse idem in diversis
et pluribui concludens, etenim vox in auribus diversorum est Confiteri oportet
vmnino , unam parliculam aeris ad aures dmersorum jiei'venire Relinquitur igitur,
diversum sensum esse imaginabililer se generantium et similiter.
500) f. 33. r. B. : Ubi aulem aliud quidem simplex , aliud vero compositum ;
simplex quidem, quod a simplici loco procedil , cumpositum autem. quod ex composito
Carel autem ubi inlentione et remissione, non enim dicitur allerum allero
magis in loco esse vel minus .... Inest autem ubi , nihil esse cunlrarium Sursum
enim et deorsum esse contrario pluribus videntur .... ionlingit autem tontraria
in eodem esse ...., si enim sursnm esse et inferitis esse contrario, sunt, cum idem
sursum et deorsum sit, collii/ilur, idem sibimel contrarium fteri.
501) C. 6, f. 33. v. A.: Positio est quidam partium situs et generationii, ordinatio,
secundum quam dicunlur stantia vel sedcntia Sedere aulem et iacere posiliones
non sunl, sed denominative ab his dicta sunt. Solet autem quaeslio induci de
cuno et reeto, aspero et leni .... Non sunl untern positiones ea, quae dicta sunt
omnia , sed qualia circa situm existentia.
502) Ebend. : Suscipere autem videtur silus contrarietatef, nam sedere ad id
quod stare conlrarium esse videtur .... Ponentibus autem nobis , haec contraria esse,
inconvenientiu recipere co//imur, hoc quod unum sit contrarium plurium .... Amplius
autem contrariorutn quidem ralio est , circa idem natura existere ; sedere uutem et
iacere non circa idem natura sunt seiuncla, esl enim sedere proprie circa rationalia,
iacere vero et accumbere circa diversa.
503) f. 33. v. B.: Proprium autem positionis, neque magis neque minus dici
Magis autem -proprium videtur esse positionis, substantiae proxime assistere
Omnibus quidem aliis formt s suppositis; positio enim nihil aliud est, quam natiirulis
ipsius substanliae ordinatio.
504) C. 7, f. 33. v. B.: Habilus esl corporum, et eorum, quae circa eerpus
sunl, adiaeentia, secundum quam hoc quidem habere, illa vero dicunlur haberi;
haec autem non secundum tolum dicunlur, sed secundum. particularem divisionem, ut
armatum esse.
PRUNTL, Gesch. II. 15
226 XIV. Gilbert Porretanus.
wenn dann gesagt wird, das Verhältniss des Mein oder Minder sei in
der Regel bei habere statthaft, zuweilen aber, z. B. bei ßekleidet-sein,
unstatthaft, und die Gegensätzlichkeit bestehe in dieser Kategorie nicht,
weil Bewafl'netsein und Beschuhtsein nicht Gegensätze seien 505), so
gibt auch diess hinreichend Zeugniss von der logischen Befähigung des
Verfassers; als Eigentümlichkeit dieser Kategorie wird angegeben, dass
dieselbe stets auf eine Mehrheit hinweise, was nur in mancher Bezie
hung auch bei der Quantität und der Relation der Fall sei 500) ; endlich
werden noch fünf verschiedene Bedeutungen des Wortes habere ange
führt 507). Nachdem aber dann diese Erörterung über die „Principien"
abgeschlossen wird508), folgt noch eine specielle Besprechung des
magis el minus, wobei Gilbert die oben (Anm. 196) erwähnte Controverse
abschneidet, indem die Gradabstufung weder in der Substanz
selbst liegen könne, da diess gegen den Begriff der Substanz verstiesse,
noch aber auch in den Accidenzien, da dann der höhere Grad z. B.
der Weisse in der Grosse der Oberfläche liegen müssle(!), wornach
sich ergebe , dass auch nicht in beiden zugleich , nemlich in Substanz
und ihren Accidenzien, das Mehr oder Minder seinen Sitz habe509).
Der positive Entscheid aber, welchen nun Gilbert gibt, beruht darin,
dass das magis vel minus in deui Grade liege, in welchem der factische
Bestand näher oder entfernter der Wortbedeutung des die Qualität
bezeichnenden Wortes stehe, eine Gradabstufung, welche bei Substanzen
darum nicht eintrete, weil die Bezeichnung derselben in festen Gränzeu
(in terminis) sich bewege, wobei jedoch Gilbert zum Selbstbekenntnisse
des Unsinnes , welchen er vorbringt, hinzufügen muss, dass eine solche
Festigkeil sich doch auch bei einigen Qualitäten finde510), nie Sache
505) f. 34. r. A.: Suscipit aulcm liahilm, magis el minus, annatior enim est
eques pedite .... In quibusdam aulein non videlur, quod cum magis et minus praedicentnr,
ut vestitum esse el similia. Habitui quoque nihil est contrarhtm^ elertim
armatio calceationi non esl conlrarium.
506) Ebend. : Proprium quidem habilus esl, in pluribus exislere .... In paucis
aulem aliis principiis huiusmodi invemes ; in quantilate enim solum et in Ais,
quae ad illiquid sunt, similia reperies Habilus aulem omnis in pluribus necessario
ear.islil, ul in corpore el in his , quae circa corpus sunt.
507) Ebend.: Dicilur aulem habere mullis modis; habere enim dicitur alleiationem
dicüm etiam vas aliquid habere .... habere quoque in membro dicimur
.... dicitur vir uxorem habere et recipere uxor virum .... Quare modi habendi , qui
diei consueverunl , quinario numero lerminanlur.
508) Ebend. : Et quidem de principiis haec dicla sufficiant, reliqua vero in eo,
quod de Analyticis est, quaeranlur volumine (s. Anm. 21.).
509) C. 8, f. 34. r. B. : Non ergo secundum suscipientium ipsorum crementum
vel decremenltmi cum ,,magis vel minus" aliqua dicunlur; nulla enim ralio obviaret,
hominem el animal el substanliam el cetera consimilia cum ,,magis et minvs" diei
Mons eliam alio monle maior dicilur, cum neuler crescat vel decrescat
Amplius aulem neque secundum ea, quae inficiunt; si enim secundum magniludinetn
albedinis vel alicuius celerorum dicitur illiquid albius aliquo vel secundum parvitatem
minus albitm vel quomodolibet aliter, utique et magis albus equus vel homo vel quodlibet
aliud albius margarita dicetur; etenim maior albedinis quantilas equo accidit
quam margaritat f. 34. v. A.: fatet ilaque , nihil secundum magis el minus
praedicari neque secundum subiecli solum augmentum vel diminulionem neque secun
dum accidentis ; quare neque secundum ulrumque,
510) f. 34. v. A.: Oportel igitur ab alio ea invenire . quae cian „magis et
XIV. Gilbert Porretanus. Otto v. Freising. 227
läuft ja schliesslich auch in den Kern aus, dass in der Vielheit des
Materiellen' überhaupt das Werden und die Relativität ihre eigentliche
Stelle haben511), und der unlogische Realist macht dann für dieses
Gebiet den Sprachausdruck zum Maassstabe , während er für den Um
kreis des wahren Seins in dem Worte nur den Abklatsch einer Idee
besitzt.
So gibt uns Gilhert's Schrift über die Kategorien einen wahrhaft
trübseligen Beleg dafür, dass jene Zeit um Nichts weniger unbeholfen
und unfähig war, als die vorhergegangenen Jahrhunderte, sobald man
nur irgend ohne das Gängelband der Tradition in den einfachsten Dingen
einen selbständigen Schritt zu thun versuchte.
Ais einen Anhänger aber Gilbert's bezüglich der Auffassung der
Üuiversalien zeigt sich uns Otto von Freising (.geb. 1109, gest.
1158), welcher in seine historischen Werke zuweilen förmliche Excurse
philosophischen Inhaltes verflicht und dabei in den üblichen Redens
arten seinen theologischen Respect vor Plalo und zugleich die Werth-
Schätzung der aristotelischen Logik ausspricht512). Indem er gelegent
lich einmal der Annahme beistimmt, dass die concret existirenden Wesen
den Inhalt und Gegenstand der erklärenden Aussagen bilden, hingegen
die Art- und Gattungsbegriffe im Hinblicke auf die in ihnen beruhende
Ursächlichkeit von den Dingen prädicirt werden513), erklärt er sich
ein anderes Mal ausführlicher über dieses Verhältniss, wobei er voll
ständig die Ansicht Gilbert's, selbst im Wortlaute übereinstimmend (naminus"
dicantur. lluiusmodi vcro sunl ea, quae mnt in voce eorum, quae adveniunt,
et non secundum subiecli vel mobilis cremenlum vel diminutionem, sed quoniam eorum,
quae sunl in voce, impositioni propinquiora sunl sive ab eadem remoliora sunt; de
Itis etenitn cum „magis" dicunlur, quae proximiora sunt ei, quae in ipsa voce esl,
impositioni, cum „minus" autem de his, quae remotiora consistunl — Quanto igilur
ad vocis impositionem accedens puriori infiätur albedine, tanto et candidior assignabitvr
Dubitabil autem aliquis , quare haec quidem cum „magis et minus" dican
tur, substantiae vero minime. Hoc autem contingit, quoniam substantiarum impositio
quidem in termino est, ultra quem transgredi impossibile esl. Additur autem et de
accidentibus quibusdam, qvae sine „mngis et minus" dicunlur, ul quadrangulus,
triangulus et simüia.
511) f. 34. v. B.: In subieclo enim duo sunt, quorum haec quidem esl forma
secundum ralionem , haec autem secundum materiam; quando igitur in his duobus
est transmulalio , generalio et corruplio erit simpliciler secundum verilalem Est
autem maleria maximc quidem subiectum generationis et corruptionis proprie susceplibile
Haec autem hoc aliquid significant et substantiam, haec autem quäle, haec
autem quantum; quaecunque igitur non substanliam signiftcant , non dicuntur simpliciler
sed secundum aliquid generari.
512) Chron. II, 8, p. 27. ed. Urslisius: Socrales educavit Platonem el Aristolelem
, quorum aller de polentia sapienlia bonilale crealuris ac creatura mundi
creationeve hominis tarn luculenter , tarn sapienter , tarn vicine veritati disputat ,
alter vero dialecticae libros artis vel primus edidisse vel in melius correxisse acutissimeque
ac disertissime inde disputasse invenitur.
513) De gest. Frid. Prolog, p. 405. Urstis.: Sicul enim iuxla quorundam in
logica nolorum positionem, cum non formantm. sed subsistenlium proprium sit praedicari
seu declarari , genera tarnen et species praedicamento transsumplo ad causam
praedicari dicuntur, vel, ul communiori utar exemplo , sicut albedo clara, mors pallida,
eo quod claritatis altera, palloris altern causa sit, appellatur, etc. (Der
Ausdruck transsumptio , sowie das nemliche Beispiel albedo clara bei Gilbert p.
1142., s. Anm. 472.)
15*
228 XIV. Ollo v. Freising. Pseudo-Boethius De unitate.
lirum, nalura, /orwio, con/ormis, coadunalio, — „omne esse ex forma
esl'' —) wiederholt614). In demselben Sinne bezeichnet er an einer
anderen Stelle (mit polemischer Wendung gegen Wilhelm v. Champeaux)
das Universale als „quasi in unum versale" und knüpft hieran eine ety
mologische Rechtfertigung der Worte und Begriffe diri/hium und <»«•/<-
Dtduum515); auch theilt er mit Gilherl die naive Gleichstellung der
Dinge und Worte516), sowie er auch einmal jene logische Turnübung
erwähnt, welche an dem Klellerhaume der Tabula logica veranstaltet
wird51").
Zur gleichen Gruppe gehört auch eine kleine anonyme Schrift „ De
unilale ei uno'~, welche offenbar in den damaligen Trinitäts-Streitigkeilen
die Veranlassung ihrer Entstehung hat, aber ebenso wie jenes
ältere Werk De trinüale für ein Erzeugniss des ßoelhius gehalten
wurde 418). Es waltet in der Frage über die Einheit, auf welche auch
514) De yesl. Frid. I, 5, p. 408. : Nalivum velul naluin aul ijenilum dcscendens
a genuino (s. Anm. 464.) In nativis igitur omnem naturaal seu formam, guat
integrum esse subsistenlis sit, vel actu et nalura vel nalura sallem conformem habere
necesse est .... Partei, autem hie roco eas fonnas (Anm. 468.), quae ad componendam
speciem aul in capile ponuntur, ul yenerales, aul aggreyanlur, ul differenliales, aul
eas comilanlur, ul accidenlales .... Palet, humanitalem Socratis secundum onmes
partes et omnimodum effeclum humanilati tlatonis conformem esse, ac secundum hoc
Socratem et Platonem eundem et unum in universali dici solere (Anm. 474.)
Concretio eliam in naturalibus non solum coadunatione formae et subsislentis , sed
ex multitudine accidentium, quae subslantiale esse comitantur, considerari polest
(Anm. 464. u. 471.) — Sunl aliae formae subiectum inleyrum informantes, quae
naturam lantttm conformem habenl; esse quippe solis , elsi non actu, natura confor
mem habere noscitur , quare, quamvis plures soles non sunl. sine repuynantia tarnen
naturae plures esse possent (Anm. 479.) (p. 410.) Omne namque esse ex forma
est .... Tantum de ea , quae a philosopliis yenitura , a nobis factura seu crealura,
dici seiet, disputationem instituimus; sed notandum, quod comjiositio alia formarum,
alia est subsislentium , formarum ex /ormis, subsislentium ex subsistenlibus .... For
marum autent aliae compositac , aliae simplices ; simpliccs, ul albedu, compositae, ut
humanitas unde Boelhius in octava reyula libri llebdomaile ,,omni composilo
aimA est esse, aliud ipsum est" (s. Anm. 37.).
515) Ebend. 53, p. 437.: Univei salem dico, non ex eo, quod una in pluribus
sit, quod esl impossibilc (Anm. 105.), sed ex hoc, quod plura in similitudine vivendo
ab assimilandi unione utiiversalis quasi in unum versalis dicalur — Ex quo palet,
quare sinyularem individualem vel particularem dixerim proprietate.m , eum nimirunt,
quae siiiim subiectum non assimilal aliis , ut humanitas, seit ab aliis dividil, diseernit,
partitur, ul ea, quam ftcto nomine solemus dicere „Platonilas", a dividendo
individua , a partiendo particularis , a dissimilando sinyularis dicta. Nee opponas,
quod fiolius a diridendo dil'iduam, quam indh'iduam dici oporleal; nam cum suum
subiectum non solum ab aliis dividal vel dissimilcl, sed eliam in sua individualitate
et dissimilitudine lam ßrmiler manere facial, ul nee sil nee fueril nee futurum sit
aliud fubieclum, quod secundum eiusmodi proprielalem illi assimilari queal, melius
individuum privando, quam dividuum ponendo vocatur, eiusque opposilum, quod divi
dendo pluribus communtcal el communicando dividil, rectius dividuum dici debet
(Anm. 479.).
516) Ebend. p. 438.: i'itnt enim omne esse ex forma sil, quodlibel subsistens
rem el nomen a sua capil fonna (Anm. 458, 474, 482.).
517) Ebend. 60, p. 444 : luxta logicorum enim reyulam melhodus a geuere
ad deslruendum, a specic valet ad construendum (Anm. 480.).
518) Gedruckt bei Itoellut Opp. ed. Batil 1570, p. 1274 (f. Ravaisson (Rap
ports sur les bibliolhiques des de'parlemenls de l'oueit. Paris 1841, p. 169.) fand
XIV. Einzelne Autoren. 229
Gilbert geführt worden war (Anm. 477 f.) jener nemliflic Realismus,
wie bei Gilbert oder bei Otto519), und wir mögen vielleicht höchstens
erwähnen, dass sich hier eine wunderliche Aufzählung verschiedener
Bedeutungen des Wortes „unum" findet 52°).
In die neniliche Zeit aber, d. h. ungefähr zwischen 1140 und 1170,
fällt auch das Auftreten einiger Anderer, von welchen wir fast nur die
Namen kennen, und es drängt sich uns bei jedem Schritte unserer Un
tersuchung wieder die Erwägung auf, dass die uns zugänglichen Quellen
immer noch nur eine fragmentarische Kenntniss ermöglichen. Man wird
es ja als zufällige Notiz bezeichnen müssen, dass Johannes von Salesbury,
wo er den Lauf seiner Studien erzählt, einen gewissen Alberich
nennt, welcher nach Abälard's Tod in St. Genevieve zu Paris docirle
und energisch den Kampf gegen die Nominalisten aufnahm , wobei ihn
ein bedeutendes Talent des Distinguirens unterstützt haben mag521).
Ferner berichtet Johannes, er selbst habe einen gewissen Willi r am
von Soissons in der Logik unterrichtet, welcher dann durch ihn
bei Adam von Petit-Pont (Anm. 440 fl'.) eingeführt worden sei und hier
auf gegen die Anhänger der allen Logik (anliqui, logicae. velustas, s.
in einer Handschrift von St.-Michel einen anonymen Tractat, welcher nach den von
ihm angeführten Anfangs-Zeilen identisch mit diesem Pseudo-Boethius ist.
519) p. 1274.: Omne enim 'esse ex forma est in rebus creatis , sed nullvm
esse ex forma est, nisi eum forma materiae unita est; esse enim non est nisi ex
coniunctione formae cum materia .... Cum autem forma materiae unitur, ex coniunctione
ulriusque necessario aliquid unum constüuitur .... linilio autem non fit
nisi ab unitate — Forma autem non tenet unitatem cum materia, nisi unitas sit;
ideo materia eget unilate ad uniendum se et de natura sua habet mulliplicari ; unilas
vero retinet, unit et colligit, ac per haec, ne materia dividatur et spargatur, necesse
est ut ab unitate retineatur u. s. f.
520) p. 1276.: Unum enim aliud est essentiae simplicitale , ... aliud simplicium
cognitione, .... aliud continuitate , ....aliud composüione, .... aliud aggrcga.-
tione, .... aliud praepositione , ... aliud accidente, ... aliud numero, .... aliud ratione,
.... aliud natura unum, ut parlicipatione speciei plures homines unus, aliud ....
natione, .... aliud more.
521) loh. Saresb. Metal. II, 10, p. 78 f. (ed. Giles): Contuli me ad Peripatcticum
Patatmum, qui tunc in monle Sanctae Genovefae clarus doclor et admirabilis
Omnibus praesidebat; ibi ad pedes eius prima artis huius rudimenla accepi
Deinde post discessum eius , qui mihi praeproperus visus est , adhaesi magistro Al
berico, qui inter ceteros opinatissimus dialecticus enitebat et erat revera nowinalis
sectae acerrimus impugnator. Sie ferme toto bicnnio conversatus in monle artis
huius praeceptoribus usus sum Alberico et magistro Roberto Melidunensi (s. oben
Anm. 453.) quorum alter (d. h. Alberich), ad omnia scrupulosus locum quaestionis
inveniebat ubique, ut, quamvis polita planities , offendiculo non careret et,
ut aiunt, seirpus ei non esset enodis, nam et ibi monstrabal, quid oporteat enodari
Apvd hos loto exercitatus biennio sie locis assignandis assuevi et regulis et
aliis rudimentorum elemenlis, quibus pueriles animi imbuuntur et in quibus praefati
doctores polenlissimi erant et expeditissimi, ut etc. Eine Erwähnung dieses Alberich
findet sich auch bei loh. Saresb. Enthet. v. 55 f. : hte loquax minimumque dicax
redolet Melidunum, Creditur Alberico doctior isle suo. Welcher Alberich aber unter
den Mehreren dieses Namens, welche in jener Zeit erwähnt werden, es gewesen
sei, lässl sich nicht mit Bestimmtheit sagen; die erwähnte Zeitangabe macht es
wahrscheinlich, dass es Alberich von Rheims, mit dem Beinamen de Porta Veneris,
war, welcher später den Johannes v. Salesbury und den Erzbischof Thomas bei
ihrem Exile in Italien gastlich aufnahm. S. Bulaeus , hist. nn. Par. II, p. 724. u.
Histoire litter, de la France XII, p. 75.
230 XIV. Einzelne Autoren.
oben Aniii. 55 IV.) eine eigentümliche Veranstaltung (machina) ersonnen
habe 522). Sodann bezeichnet Johannes ein anderes Mal ausser jenem
seinem Gegner, welchen er Cornificius nennt (s. sogleich unten), den
Vertreter einer anderen, wie es scheint, übertriebenen und abstrusen
Richtung der Logik mit dem fingirten Namen Ser tor ius 523). Hiezu
aber kömmt ausser schlecht beglaubigten Notizen über einen David
in Hirschau und einen Johannes Serlo von York 524) noch eine an
derweitige Mittheilung durch einen Autor aus dem Ende des 12. Jahrhundertes,
nemlich durch Walter Mapes, welcher in seinen Gedich
ten gelegentlich eine Kenntniss der in den Schulen hervorragenden
Persönlichkeiten und Richtungen zeigt; derselbe erwähnt (mit der Be
merkung, dass Abälard die meisten Anhänger habe) ausser dem Bern
hard v. Chartres, dem Petrus v. Poiliers und dem Adam von Petit-Pont,
einen gewissen Reginaldus, einen gewaltigen Schreier, welcher Alle
tadelte und den Porphyrius an den Galgen hieng (laqueo suspendii),
so dass wir vielleicht in ihm jenen Cornificius des Johannes v. Salesbury
erblicken könnten ; ferner neben dem Robert Pulleyn einen äusserst
spitzfindigen Manerius, einen witzigen Bart h olo in aus und einen
Robert Amiclas 525). Auch mag erwähnt werden, dass das Gedicht
522) Ebend. p. 80.: Vnde ad magistrum Adam — familiaritatem conlraxi ulleriorem
.... Interim Willermum Suessionensem , qui ad expugnandam, ut aiunt sui,
loyicae vetustatem et consequentias inopinabiles construendas et anliquorum sententias
diruendas machinam postmodum fecit, prima logices docui elementa et taudem tarn
diclo praeceplori apposui. Ibi /orte didicit, idem esse ex contradiclione', quum Ari
stoteles obloquatur , quia „idem quum sit et non sit, non necesse est idem esse"
(diese Worte finden sieb Anal. pr. H, 4, 57 b. 3, s. Abschn. IV, Anm. 614.) et item
quum aliquid sit, non necesse est idem esse et non esse; nihil enim ex contradictione
evenit et contradictionem impossibile est ex aliquo evenire, unde nee amici
machina impellente urgeri potui, ut credam, ex uno impossibili omnia impossibilia
provenire. Selbst abgesehen davon, worin denn diese räthselbafte machina bestan
den haben soll, ist mir diese ganze Stelle, deren Text wohl auch verdorben sein
mag, völlig unverständlich geblieben; nur so viel geht aus einer anderen Stelle
(unten Anm. 624.) hervor, dass man an jene aristotelischen Worte die hypotheti
schen Syllogismen anzuknüpfen versuchte.
523) Enthel. v. 116 ff.: Si quis credatur logicus , hoc satis est; Insanire putes
potius , quam phüosophari , Seria sunt etenim cuncta molesta nimis , Dukescunl
nugae, iniUitm sapientis abhorrent, Tormenti genus est saepe videre librum. Ablaclan&
nimium teneros Sertorius olim Discipulos fertur sie docuisse suos; Doctor enim
iuvenum prelio compulsus et aere Pro magno docuit munere scire nihil.
524) frühem. Ami. Hirsaug. ann. 1137. (Ed. St. Gatt. 1690, I, p. 403.): Da
vid monachicum habitum suscepit Scripsit quaedam non spernendae lectionis
opuscula de grammatica L. l, in Perihermenias Aristotelis libros duos. Dass je
doch die Angaben des Trilhemius geringen Werlh haben, weiss jeder Kundige;
hingegen uoch weit schlimmer steht es bekanntlich mit Pitseus, welcher häufig,
wo er nicht den Leland ausschrieb, reine Lügen ersann, daher es vielleicht kaum
der Erwähnung werlh ist, dass derselbe, De illustr. Angl. script. p. 223 f. (öd ann.
1160.) sagt: Joannes Scrlo dictus magister Serlo .... ex Eboracensi canonico factus
est... Fonlanus Abbas Scripsit .... de aequivocis dictionibus librum unum, de
univocis dictionibus librum unum.
525) The latin poems commonly altributed to Walter Mapes , collected and eäited
by Thomas Wright (London 1841. 4.), woselbst auch das Nähere über Walter
Mapes in der Einleitung erörtert ist. In Einem Gedichte, Metamorph. Goliae, v.
189 ff. (p. 28.), findet sich folgende Stelle: Ibi doctor eernitur ille Carnolensis, Cuius
fingua vehemens truncat velut ensis, Et hie praesul praesulum stat Pictatiensis, Prius
XIV. Der sog. Cormficius. 231
mit einer Austreibung der Mönche aus den Schulen der Philosophen
endigl 526), sowie dass ein anderes Gedicht, welches ungefähr der nemlichen
Zeit angehört, in sehr launiger Weise den Gegensalz zwischen
sinnlichem Pfaflenlhum und seiner logischer Bildung schildert527).
An die Genannten reiht sich endlich noch jene ganze Richtung an,
welche Johannes v. Salesbury, indem er nicht gegen die Person, son
dern nur gegen die Sache kämpfen will, mit dem. symbolischen Namen
Cornificius bezeichnet528). Die zahlreichen Stellen, in welchen er
diesen seinen Gegner oder die Anhänger desselben erwähnt, treffen in
dem Einen Punkte zusammen, dass es Mehrere gab, welche jede Tech
nik des denkenden Redens (eloquentia oder logica) von vorneherein als
unnütz verwarfen, da Alles auf Naturanlage beruhe, und hiemit, wer
diese besitze, ohne alle Technik von sich selbst auf das Richtige komme,
wer hingegen keine Begabung habe, auch durch die Theorie nicht ge
fördert werde529). Und wenn hinzugefügt wird, dass diese „Philoet
nubentium miles et caslrensis (hierauf die oben, Anm. 442., angeführten Verse)
.... Celebrem theoloyum ndimus Lombardum, Cum Yvone Helyam Petrum (beides
Grammatiker) et Bernardum, Quorum opobalsamum , spiratos et nardum, El professi
plarimi sunt Abaelardum, Rcginaldus monachus clamose contendit Et obliquis singulos
verbis comprehendtt , Hos et hos redarguit, nee in se descendil , Qui noslrum Porphyrium
laqueo suspendit. Roberlus theologus corde vivens muiido Adesl et Maneriut,
quem nullis semndo, Alto loqvens spiritu et ore proftmdo, Quo quidem subtüior nullus
est in mundo. Hinc et Bartholomaeus fadem acutus Khetor, dialcclicus, sermone
aslutus , Et Robertus Amiclas simile seculus , Cum his, quos praetereo, populus
mintitus.
526) Ebend. v. 233. (p. 30.): Quidquid tantae curiac sanclione dafür , Non
cedat in irritum, ralum habeatur; Cucullatus igilur grex vilipendalur Et a philosophicis
scolis expellatur. Amen.
527) De presbytero et logico (gleichfalls von Wright herausgegeben a. a. 0.
p. 251 ff.) in 216 Versen, worin sich allerdings für unseren Zweck kein geschicht
licher Beitrag findet. Der Gegensatz der Richtungen spricht sich aus z. B. v.
29 ff.: Logicus: Fallis , fallis , presbyler, coelum Chrislianum, Abusive loqueris,
laedis Priscianum, Te probo falsidicum, te probo vesanum .... Presbyler : Tace, la.ce,
logice , tace, vir fallator, Tace, dux insaniae , legis vanae lator ... Log.: Peccasti,
sed gravius adiici!. peccare, Legern hanc adiiciens vanam nominare; Sanum est, rfiiserere
vel grammalizare , Si insanum putas, velim dicas quare. Presb.: Deo est
odibile vestrum argumentum; Ibi nulla veritas, totum est ßgmentum , oder z. B. v.
129 ff. : Log.: Audi, inter phialas quid philosopharis; follus, non philosophus, hinc
esse probaris , Slullo sunt similia singula, quae faris, Epieure lubrice, dux inglutiei
, Cuius deus venler est, dum sie senis ei etc.
528) loh. Saresb. Metal. I, 2, p. 14.: Utique par est, sine derogatione personae
sententiam impugnare , nihilque turpius, quam, qmun sentenlia displicel avl
opinio, rodere nomen auctoris .... Ceterum opinioni reluclor, quae mullos perdidil,
eo quod popultim, qui sibi credat , habet, et licet antiquo novus Cornificius ineplior
sit, ei tarnen tmba insipientium acquiescit. Polycr. l, Prol. p. 15.: Aemulus non
quiescil, quoniam et ego meum Cornificium habeo .... Quis ipse sil, nisi ab iniuriis
temperet, dicam , procedat tarnen et pubUcet, arguat meum ratione vel aucloritate
mendacmm. Aus der Ausdrucksweise in diesen beiden Stellen geht hervor,
dass der Name Cornißcius nur von einer antiken Persönlichkeit auf den eigenen
Feind des Johannes symbolisch übertragen sei, und es ist mit Gewissheit anzu
nehmen, dass die Angaben des Oonatus (Vita Virgilii, c. 17 f., s. Virg. Opp. ed.
Wagner I, p. xcix f.) über einen Cornificius, welcher „ob pcrversam naturam" ein
Gegner Virgils gewesen sei, die Veranlassung hiezu darboten.
529) Ebend. Mtlal. I, l, p. 12.: Miror ilaque , quid sibi vult, qui eloqutntiae
negat eise slwrfendum p. 13.: Cornificius noster studiorum eloquentiae
232 XIV. Der sog. Comificius. Johannes v. Salesbury.
sopheu auf eigene Fausl" mit Verschmähung des ganzen Triviuuis und
Quailriviums sich auf praktische Dinge und auf Gelderwerb warfen 53°),
so läge hierin ein bedeutsames Anzeichen, insoferne diese Richtung
nicht etwa von klerikaler oder dogmatischer Anschauung aus, sondern
in Folge eines praktischen Dranges dein Wüste der Schulweisheil abgeneigt
gewesen wäre und auf den unmittelbaren Werth individueller Be
gabung hingewiesen^ hätte. So könnten wir Solches als ein Vorspiel
späterer Tendenzen verstehen. Dürften wir auf den sog. Cornificius
auch die Notiz beziehen , dass Einige die Kategorien und die Isagoge
als unnütze Elementarbücher verwarfen531), so könnten wir vielleicht
den obigen Regiiialdus wenigstens für einen Vertreter dieser Partei
hallen532), wenn es nicht unnütz wäre, bei einer so lückenhaften
Quellenkenntniss blosse Vermulhungen aufzuslellen. Wie aber Johannes
selbst sich die Entstehung einer solchen Opposition gegen die Schul-
Logik gedacht habe, wurde oben, Auin. 52 f., angegeben.
Hiemit aber wenden wir uns zu eben jenem Autor selbst, welchen
wir bisher schon so häutig als Quelle benützen mussten, nemlich zu
Johannes von Salesbury533). Derselbe (gestorben i. J. 1180)
imperitus et improbus impugnalor. C. 3, p. 15.: Fabeliis tarnen et nugis suos
pascil inlerim audilores, quos sine artis beneficio, si vera sunt quae promittil, faciet
eloquentes et tramite contpendioso sine labore philosophos. C. 6, p. 23. : Neque euim
ut Cornificius . meipsum docui ... Non esl ergo ex eius sententia studendum praeceptis
eloquentiae, quoniam eam cunctis natura ministrat aut negal; si ultro minislrat aut
sponte, opera superfluit et diligentia; si vero negat, inefftcax est et inanis. C. 10,
p, 29.: Eo itaque opinionis vergit intentio , ut non omnes mutos faciat , quod nee
ficri potest nee expedit, sed ut de medio logicam tollat. Elend. II, Praef. p. 62.:
Logica, quam, etsi mutilus sit et amplius muMandus, Cornificius parietem solidum
coecati more palpans impudenter altentat et impudenlius criminalur. Ebend. IV, 25,
p. 181.: Sed Cornificius noster, logicae criminalor, philosophantium scurra, non
immerüo contemnetur. Enthet. v. 61 S.: Cum sit ab ingenio totum, non sil titi
curae, Quid prius addiscas posteriusve legas. Haec scola non curat, quid sit modus
ordovc quid sit, Quam teneant doctor discipulusve viam.
530) Metal. I, 4, p. 20. : Alii atitem Cornißcio similes ad vulgi professiones
easquc profanas relapsi sunl parum curanles, quid philosopltia doceal, quid appetendum
fugicndumve denttntiet, dummodo rem faciant, si possunt, rede, si non quocunque
modo rem (Hör. Ep. I, l, 65.) Evadebant illi repentini philosophi et
cum Cornificio non modo trivii nostri, sed totius quadrivii contemplores.
531) Ebend. III, 3, p. 123.: Sunt, qui librum istum (d. h. die Calegoriae),
quoniam elementarius est, inulilem fere dieunt, et salis esse putant ad persuadendum,
se in dialectica disciplina et apodictica esse perfectos, si contetnpserint vel ignoraverinl
illa, quae in primo commento super Porphyrium , antequam artis aliquid
attingatur, docet Boethius praelegenda.*
532) Möglicher Weise könnte dann in obigem „laqueo suspendit" (Aam. 525.)
selbst wieder ein Wortspiel mit Cornificius und carnifex stecken. Ein anderes Wort
spiel mit cornicari s. unten Anm. 545.
533) Gründliche litteratiirgeschicbtliche Untersuchungen über Job. v. Salesbury
hat Christ. Petersen in seiner Ausgabe des Entheticus (Hamb. 1843) gegeben. Die
Monographie, in welcher Herrn. Peuter (Job. v. Salesb. Z. Gesch. d. christl. Wissensch.
im 12. Jahrb. Berl. 1842) die Lehre des Johannes darzustellen versuchte,
leidet durchgängig an einer ebenso schiefen als äusserst mangelharten Orientirung
des Verfassers. — Ich citire nach der Gesammtausgabe von A. Giles (Oxford
1848, 8, 5 Bände, wovon der Polycraticus den 3. u. 4. Band füllt, der Metalogicus
aber im 5. sich findet), wenn auch dieselbe durchaus nicht sorgfällig gemacht
XIV. Johannes v. Salesbury. 233
hatte das Studium der Logik in Aliälard's Schule hegonnen, bei obigem
Alberich, bei Robert von Melun und Wilhelm von Conches fortgeselzt,
trat dann in wissenschaftlichen Verkehr mit Adam von Petit-Font, hörte
abermals Dialektik bei Gilberl I'orretanus, Theologie bei Robert Pull'eyn,
kehrte dann zu den Abälardiauern zurück, welche während der zwanzig
Jahre Nichts gelernt und Nichts vergessen hatten534), und verfasste
um d. J. 1160 535) seinen Melalogkus, in welchem er hauptsächlich
seine Ansichten über Logik niederlegte. Johannes hat dieses sein Werk,
wie er selbst sagt, nach langjähriger Unterbrechung seiner logischen
Studien nur aus dem Gedächtnisse rasch in kurzer Zeit geschrieben,
nicht um einen Coiumentar zum Lehren oder Lernen zu verfassen, son
dern hauptsächlich um gegen die erhobenen Angriffe den Nutzen der
Logik zu erweisen und so dieselbe zu vertheidigen 538).
Der Nützlichkeits-Standpunkt ist ihm der entscheidende, und es
wird uns schon hiernach nicht unerwartet sein, wenn wir in ihm einen
völlig principlosen Eklektiker treffen werden 537). Bei dem praktischen
lltililäls-Drange unterscheidet er sich von seinem Gegner Cornificius nur
ist und namentlich durch die sinnloseste Interpunktion häutig das Verständniss er
schwert (die nöthigen Aenderungen hierin nehme ich stillschweigend vor).
534) Melal. II, 10, woselbst nach der oben Anm. 521. angeführten Stelle
folgt (p. 79.) : Deinde nie ad grammaticum de Conchis transtuli ipsumque triennio
docenlent audivi ; hierauf folgt der Inhalt obiger Anm. 522., sodann (p. 81.): Reversui
itaque ... reperi magistrum Gilbertum ipsumque audivi in logieis et divinis;
sed nimis cito subtraclus est; successil Roberlus Pullus, quem vita pariter et scientia
commendabant ; deinde me excepit Simon Pexiacensis .... sed hos duos in solis theologicis
habui praeceptores .... lucundum itaque Visum est, veteres, quos reliqueram
et quos adhuc dialectica detincbal in monte , revisere socios, confene mm eis super
ainbir/uitalibus pristinis , ut noslrum invicem ex collatione mulua commetircmur profectum.
Inventi sunt, qui fueranl et ubi; neque enim ad palmam visi sunl processisse
ad qttaestiones pristinas dirimtndas neque propositiunculam unam adiecerant.
Ebend. III, 3, p. 129.: Habui enim hominem (d. h. den Adam v. Petit-Pont, s.
Anm. 441.) familiärem assiduitale colloquii et communicatione librorum et quotidiano
fere exercitio super emergcntibus articulis conferendi; sed nee una die discipulus
eius fui , ei tarnen liabeo gratias . quod co docente plura cognovi , plura ipsitis . . .
ipso arbitrio reprobavi. Vgl. hiezu Anm. 54.
535) S. Petersen a. a. 0. p. VI u. 73 ff.
536) Metal. Prol. p. 8.: S« quidem, quum opera logieorum vehementius tanquam
inutilis rideretur, et me indiynanlem et renitentem aemulus quotidianis fere
iurgiis provocaret , landem lilem excepi et ad calumnias studui respondere Placuit
itaque sociis, ut hoc ipsum tumultuario sermone dictareni, mm nee ad sententias
subtiliter examinandas nee ad verba expolienda Studium superesset aut otium
(p. 9.) Nam ingenium hebcs est et memoria inftdelior, quam ut antiquorum (s.
Anm. 55 ff ) subtüitates percipere aut, quae aliquando percepta sunt, diutius valeam
retinerc Et quia logicae suscepi patrocinium, Metalogicon inscriptus esl liber.
Ebend. 111, praef. p. 113.: Anni fere viginti elapsi sunt, ex quo me ab ofßcinis
et palaestra eorum, qui logicam proftlentur, rei familiaris avulsit angustia .... Unde
me excusatiorem habendum puto in bis, quae oblusius et inctillius a me dicta lector
inveniet.... (p. 115.) Ergo procedal oralio , et, quae antiquatae occurrunt memoriqe
de adolescentiae studiis , quoniam iucunda aetas ad mentem reducilur etc. III,
10, p. 156. : propositum est scilicet, ut potius aemulo occurratur, quam ut in artes,
quas omnes docent aut discunt , commentarii scribantur a nobis.
537) Herrn. Reuter ist gänzlich in Irrthutn , wenn er von einem „höheren
philosophischen Standpunkte" spricht, von welchem aus Johannes sich über die
damals streitenden Parteien erhoben habe.
234 XIV. Johannes v. Salesbury.
dadurch, dass er nicht wie jener die Schuldoetrin verwirft, sondern
diese selbst praktisch machen will ; aber Philosoph ist er ebenso wenig
als. Cicero, mit welchem er sich in inniger Uebereinstimmung befindet.
Er bekennt sich ja selbst ausdrücklich zur Probabilitäts-Lehre der von
Cicero empfohlenen akademischen Sekte 538) und findet hiernach in der
praktischen Nutzbarkeit den einzigen Zweck aller Wissenschaft539). In
solchem Sinne äussert er sich über die Wortklauberei und Spitzfindig
keit der Dialektiker in so starken Ausdrücken, dass der principiellsle
Feind aller Logik kaum heftiger sprechen könnte540); ja sogar an den
Erörterungen über die Kategorien, welche sein Lehrer Gilben gepflogen
hatte, findet er, obwohl vielfach mit demselben einverstanden (s. unten
Anm. 582 11'. 593 ff. u. 606 ff.) dennoch zu ladein, dass hierüber die
moralische Selbslerkenntniss verkürzt werden könne541), und hinge
rissen von dem Eifer für Moraltheologie bezeichnet er die aristotelische
Logik, welche er doch gegen Angriffe verlheidigen will, mit dem Worte
astuliae, welches wir bei fanatischen Gegnern der Philosophie zu finden
gewohnt sind 542).
538) folycr. l, frei. p. 15.: In' philosophicis academice disptilans pro ralionit,
modtilo, quae occurrebant probabilia, sectatus sum, nee Academicorum erubesco professionem,
qui in his, quae svnt dubitabüia sapienli, ab eorum vestigiis non recedo;
licet enim secta haec tenebras rebus omnibus videalur inducere, nulla veritali examinandae
fidelior et auctore Cicerone, qui ad eam in seneclute diverlil, nulla profectui
familiarior est. Melal. II, 20, p. 102.: qui me in his, quae sunt dubilabüia
sapicnti, academicum esse pridem profesius sum,
539) Melal. Prol. p. 9. : De moribus vero scienter nonnulla inserui raltis, omnia,
quae leguntur aut scribuntur, inutilia esse, nisi quatentis afferunl aliquod adminiculum
vitae; est enim quaelibet professio philosophandi inutüis et falsa, quae se
ipsam in cultu virtutis et vitae exhibitione non aperil.
540) Polycr. VII, 9, p. 110.: Suspice ad moderalores philosophorum temporis
noslri , eos in regula una aut duobus aut pauculis verbis invenies occupalos,
aut, ut multum, pauculas quaestiones aptas iurgiis elegerunt, in quibus ingenium
i,uum exerceant et consumanl aelatem; eas tarnen non sufficiunt enodare, sed nodum
et totam ambiguitatem cum intricalione sua per audüores suos Iransmillunl posleris
dissolvendum, .... lalebras quaerunt, variant fadem, verba distorquent, . , . si in eo
perstiteris, ut, quocunque verba defluant et volvantur, quid velint, inlelligas, et
quid sentianl in lanta varietate verborum, 'et tandem v'mcientur sensu suo et capientur
in verbo oris sui, si substantiam eorum, quae dicunt, altigeris firmiterque tenueris,
Ebend. 12, p. 122.: Errant ulique et impudenter errant, qui philosophiam in
solis verbis consistere opinantur; errant, qui virtutem verba putant Qui verbis
inhaerent, malunt vidcri quam esse sapienles , .... quaestiunculas moveut, intricant
verba, ut suum et alienum obducant sensum, paratiores ventilare quam examinare,
si quid difficultatis emersit. Hiezu obige Anm. 58.
541) Ebend. 111, 2, p. 164.: Inde est forle, quod illi, quia prima tolius
philosophiae elementa posteris tradere curaverunt , substanliam singulorum arbitrali
sunl inluendam, quanlitalem, ad aliquid, qualitatem, silum esse, übt, quando, haben,
facere et pati, et suas in omnibus his proprietates , an intensionem admittant et
susceptibilia sint conlrariorum et an eis ipsis aliquid inveniatur adversum (all diess
letztere bat eben Gilbert erörtert, s. Anm. 489—509.); provide quidem haec et
diligenler, elsi in eo negligentiores exstilerunt, quod sui ipsius nolitiam in tanta
rerum luce non assecuti sunt etc.
542) Ebend. IV, 3, p. 227.: Astutias Aristotelis , Chrysippi acumina omniumque
philosophorum tendiculas resurgens mortuus confutabat. Melal. III, 8, p. 141.:
Pythagoras naluram excutit, Socrates morum praescribit normam, Plato de omnibut
persuadet, Aristoteles argutias procurat. Vgl. Anm. 560.
XIV. Johannes v. Salesbury. 235
Suchen wir hiernach ausfindig zu machen, welche principiclle
Stellung Johannes der Logik anweise, so deutet er einmal bezüglich
der Eintheilung der Wissenschaften einen Grundton an, welcher uns
sehr an Hugo v. St. Victor erinnert (Anm. 45 f.), indem als dienende
Mächte unter der Herrschaft der dirina pagina die mechanischen, die
theoretischen, die praktischen Disciplinen, und die das feste Bollwerk
aufbauende Philosophie bezeichnet werden543), wobei beachtenswert!!
ist, dass auch Hugo die Aufgabe der Logik in die Vervollkommnung
des Sprechens verlegt. Und wenn ein anderes Mal im unverkennbarsten
Anschlüsse an Gilben (Anm. 465) eine dreifache Funclion der Vernunft
(ratio) unterschieden wird, insoferne der concrete Gebrauch derselben
(modus concretn'us) auf die sinnlich wahrnehmbare Natur gehe, die
abstract auflösende Thätigkeit (resolvere) zur Mathematik führe, und die
beziehungsweise Vergleichung (conferre el rej'erre) Aufgabe der Logik
sei644), so sehen wir schon hieraus, dass Johannes die Fähigkeit hat,
verschiedene Ansichten Anderer beliebig aufzugreifen und eklektisch
nebeneinander hinzustellen.
Nun aber ist der eigentlich eklektische Standpunkt für die Logik
der rhetorische, denn dieser überhebt sich aller Schwierigkeiten, welche
in den philosophischen Grundfragen auftreten können, und so ist auch
Johannes von der Mühe dispensirl, sich etwa für Eine philosophische
Auffassung zu entscheiden. Ohne die Stellung der Logik im Gebiete
der Wissenschaften näher zu bestimmen, und ohne das Verhältnis des
subjectiven Denkens zur Objectivilät oder zur Form des Sprachausdrucke s
nach irgend Einer bestimmten Ansicht zu erörtern, kann er sich dabei
begnügen, in einer bunten Fülle verschiedener Wendungen und mit Be
nützung der üblichen Schullradilion den Feinden der Logik den Begriff
und den Werlh der „eloquentia" entgegenzuhalten 545). Die Art und
Weise, wie sich das Denken zu dem Wortausdrucke verhalle, wird
durch eine rhetorische Floskel bezeichnet, indem von einer „süssen
und fruchtbaren Ehe" der Vernunft und des Wortes gesprochen wird 546),
543) Enlhel. v. 441 ff.: Haec scripturarum reyina vocatur, eandem Divinam
dicunt, .... Hanc caput agnoscit philosophia suum; Huic omncs arles famulae; meehanica
quaeque Vogmala , quae variis usibus apta vides , Quae ius nun reprobal,
$ed pullicus approbat «SMS, Huic operas debent militiamque suam; Praclicus huic
servil servitque theoricus ; arcem Imperii sacri philosophia dedtt. In Bezug auf Hugo
Tgl. Anm. 555.
544) Ebend. v. 659 ff. : Res triplici spectare modo ralio perhibetur, JVec quartum
potuit mens reperire modum; Concretivus hie est, alius concreta resolmt, Res
rebus confert \lertius atque refert; Naturam prinms , malhesim medius comitalur,
Vindical extremum logica sola sibi.
545) Uelal. I, 7, p. 24.: Cornicatur haec domus insulsa, suis tarnen verbis,
et quam comlat totius eloquii contempsisse praecepta .... Ait enim, superftua sunt
praecepta elnquentiae , quoniam ea naturaliler adesl aut übest (Anm. 529.). ('«"',
inquam, falsius? Est enim eloquentia facultas dicendi commode , quod sibi vult
(minus expediri .... (p. 25.) Ergo cui fadlitas adest commode cxprimendi verbo quidem,
quod sentit, eloquens est; et hoc faciendi facultas rectissime eloquentia nominatur,
qua quid esse praestantius possit ad usunt, compendiosius ad opes, fidelius
ad gratiam , commodius ad gloriam, non fädle Video.
546) Ebend. I, l, p. 13.: Ralio , scientiae virtutumque parens, ... quae de
verbo frequentius concipit et per verbum numerosms et fructuosius parit, aut omnino
,—' 236 XIV. Johannes v. Salesbury.
und den gleichen Werlh hat die Redensart, dass die Eigentümlichkeiten
der Dinge in die Worte „überfliessen", und bei der bestehenden Ver
wandtschaft der Dinge und der Aussagen (vgl. das Nemliche bei Abälard,
Anm. 308, und Aehnliches bei Gilberl, Anm. 457) es sich nur
darum handle, eine Fülle von .Dingen im Geiste und eine Fülle vun
Worten i in Munde zu besitzen547). Kurz der einmal vorliegende Be
fund der redenden Kundgebung bietet für Johannes den wesentlichsten
Gesichtspunkt dar, und so definirt er „Logik im weitesten Sinne" in
Cicero'nischer Terminologie als ratio loquendi vel disserendi , wornach
ihr die Discipliuirung der Aussagen (magisterium sermonum) anheim
falle, und sie hierin sowohl ihren Nutzen zeige als auch unter den
freien Künsten die erste Stelle einnehme, denn in jenem weitesten Sinne
umfasse sie auch den Umkreis der Grammatik "*). Indem aber hiemit
sich doch die Forderung ergäbe, bei dieser weilen Definition das wech
selseitige Verhältniss der Grammatik und der Logik (vgl. sogleich unten
Anm. 556) genauer festzustellen, lässl der wissenschaftliche IndiO'erentismus
des Johannes auch diese Frage wieder bei Seite hegen, indem
der Entscheid darüber, ob die Grammatik wirklich ein Theil der Logik
sei, ausdrücklich abgelehnt wird549). Wenn ferner gesagt wird, die
Dialektik solle durch Erwägung der Aussagen (sermones — der so häu
fige Gebrauch dieses Wortes erinnert von selbst an Abälard —) zu einer
Wissenschaft der Prüfung und Feststellung des Wahren gelangen , so
hat diess wieder nur den beschränkten Sinn, dass die Dialektik als
treulichste Dienerin der Rede-Gewandtheit (minislra eloqutntiae) hierin
ihren Nutzen bewährt, indem sie zum Maassslahe des Wissens wird 55°),
sterilis maneret aul quidem infoecunda, si non conceptionis fructum in lucem ederet
eloquio , et invicem, quod sentit, prudens agitalio mentis hominibus publicarel; haec
aulem est illa dulcis et fnictuosa conittgalio rationis et verbi, qtiae etc.
547) Ebend. 16, p. 42.: Natura enim eopiosa est et ubertatis sitae ijratiam
humanae indigentiae facit; inde ergo est, quod proprietas rerum redundat in voces,
dum ratio affectet, sennones rebus, de quibus loquilnr, esse cognatos. Polycr. VII,
12, p. 124.: Mhil enim utilius , iiiliil ad gloriam aut res acquirendai commodias
iuventuti, quam eloquentia, quae ex eo plmimum comparutur, si rerum in mente et
in ore cofia sil verborum.
548) Mctal. I, 10, p 29 f.: Est itaque logica, ut nominis significatio latissinie
paleat, loquendi vel disserendi ratio (s. Abschn. VIII, Anm. 23.); conlrahitur enim
interdum et dumlaxat circa disserendi raliones vis nominis coarctatur. Sive itaque
ratiocinandi vias doceal sive omnium sermonum regulam praebeat , profeclo desipiunt,
qui eam dicunt esse inutilem Sed, ut quam latissinie .protendätur signiftcatio,
ei ad praesens sermonum omnium magisterium tribuutur. Ebend. 13. p. 34. : Harum
aulem omnium (d. h. arlium liberalium) prima est logica, ab ea tarnen s«i
parte , quae in prima sermonum institutione versatur , ut ngmen logices , sicut iam
dictum est, quam latissinie pateat et non modo ad disserendi scienliam contrahatur ;
est enim grammalica scientia rede loquendi fcribendique et origo omnium liberalium
disciplinarum.
549) Ebend. II, praef. p. 62.: Sit aul non sit grammalica pars logices, non
conlendo; cunstal enim, quod in sennonibus vertitur eosque ministrat, etsi non omnes
sermonum examinet rationes.
550) Ebend. III, 2, p. 121.: Quum eo tcndal dialectices tota intentio, ut termonum
vim aperiat et ex eorum praedicatione examinandi veri et slatuendi scientiam
assequatur; hoc agil, sire dividat, sive definiat, sive colligal, sive ea quae fuerunt
collecta resolrat. Ebend. 11, 9, p. 77.: l.iquet , dialecticam, quae inier ministras
XIV. Johannes v. Salesbury. !237
und zuiu Beweise dieser Nützlichkeit stellt auch Johannes seinem Cornifieius
jene augustinischen Worte entgegen, welche wir nun schon so
oft angeführt trafen551)- Gerade der Nutzen aber wird nur in der
obigen Fülle der Dinge zu Tage treten können, und darum dringt Jo
hannes darauf, dass man von dem logischen Schul-Unlerrichle, welcher
in Wortkram und Sophislik sich bewege, hinwegstrebe und auf den
Stoff anderer Disciplinen übergehe, damit eine Fülle der Rede (copia
eloqurnliae) erwachse, vermöge deren man in Allem wenigstens nach
Wahrscheinlichkeit dispuliren , wo nicht sogar das Unwahre siegreich
bekämpfen könne 562). Wie sehr aber diess mit innerer Anknüpfung
an die rhetorische Seite der Logik, d. h. an die Topik, gemeint sei,
geht daraus hervor, dass in wörtlicher Uehereinslimmung mit Boelhius
de diff. lop. nur nach dem Standpunkte der Argumentation die metho
dische That der Logik auf die streitigen Punkte (quaeslio oder Ihesis)
der einzelnen übrigen Disciplinen beschränkt wird, welch letztere hiedurch
auf diesen nützlichsten Zweig des Wissens angewiesen seien 553).
Denselben Sinn hat es auch noch, wenn sodann die „Dialektik im enge
ren Sinne" als ratio disserendi definirl und ihr in üblicher Weise die
Unterscheidung des Wahren und Falschen, jedoch abermals mit Beizie
hung des Wahrscheinlichen, zugewiesen wird 554), und um der Technik
elequentiae expeditisstma est et promptissima , unicuique prodesse ad mensuram
scientiae suae.
551) Ebend. IV, 25, p. 182.: l'ater Auguslinus, cui temerarium est obciare,
eam tanlis effert praeconiis , ut vitupcrari non possit nisi ab Itis , quorum nulla est
pmdeniia .... ,,Haec docet docere, haue docft discere Quid valeat stire , seit
so/o; scientes facere non solum vult , sed et polest". Quid ad haec Cornificius?
552) Ebeqd. 28, p. 184.: Fere enim inuülit est logica, si sit sola ; tuuc demum
eminet , quum adiunctantm virlute splendescit. Tcnerae tarnen aelati indulgcndwn
esl antplius , et, ut copiam eloquentiac comparet, inlerim est /'erenda verbositas
Procedente ergo aetale et sensu verbositatis cohibeatur Hcentia et sophislicae,
quam Aristoteles dictilivam, nos circumventoriam vel caviltatoriam dicere possumus,
improbitas conquiescat. Ebend. II, 9, p. 77.: Sie dialeclica, si aliarum disciplinarum
i'iijore deslilualur, quodammodo manca esl et imililis fere; si aliarum robore
tigeat , polens est, omnem destrucrc falsitatem et. ut minimum ei adscribam, sufftcit,
de omnibus probabililer disputare. Enthet. v. 111 ff. : Laudat Aristotelem solum,
»pernit Ciceronem Et quidqttid Latiis Graecia capta dedil , Ccmspuit in leges, vilescit
physica, quanis LMera sordescit , logica sola plucel. Vgl. Anm. 52.
553) Melal. II, J2, p. 83.: Versaltir exercilium dialecticae in omnibus disciptini
» , siquidem quaestionum habenl materiam • sed eam , quae hypothesis dicitur, i.
e. quae cinumstanliis (s. Abschn. XII, Anm. 166.) implic alur , relinquil oralori
Thesim vero vindical sibi, i. e. quaeslioncm a praedictarnm circumslantiarum nexibus
absolutam. 13, |i. 83.: Quaerimt ergo simjulae (sc. disciplinae), et licel snis muniantur
principüs , eis tarnen logica methodos suas, eompendii scilicel raliones, com~
muniter subministrat , ttndc nnn modo ad exercitalionem , sed ad obvialiones et ad
disciplinas utilissima esl.
554) Ebend. II, l, p. 62.: Ut itaque nominis significalio conlrahatur, logica
est ratio disserendi , per quam lolius prudenliae agitatio solidatur. 2, p. 64. : hie
quidem, sicut Koethius in commento secundo super Porphyrium asseril (p. 47.), est
ortus logicae disciplinae; oportuit enim esse scicntiüin, qnüe vetum a /'also discerneret
et docerel, quae ratiocinatio veram teneat semitam ilispulandi, quae verisimilem , et
quae ftcla sit et debeat esse suspecta; alioquin veritas per ratiocinantis operam non
poterat inveniri. l, 15, p. 41.: Dialectica autem id dumtaxat acceptat, qnod verum
esl an: verisimile, et quidquid ab his longius dissidet, dicit absurdum.
238 XIV. Johannes v. Salesbury.
der Argumentation willen soll so die Dialektik als erste Einführung in
die Philosophie benützt werden 555). Da aber jede Argumentation oder
Disputalion in Wortausdrücken sich bewegt, so wird nun in Anbetracht
dieser engeren Definition (vgl. hingegen Aniu. 548) in ähnlicher Weise
wie bei Abälard (Anm. 271) die Grammatik, welche bloss von dicl>«
handelt, von der Dialektik, deren Gegenstand und Inhalt die dicla seien,
unterschieden , dabei aber in lediglichem Indifferenlismus die Frage als
unerheblich bezeichnet, ob es sich dabei utn die Aussage oder um das
Ausgesagte handle 55B). Und während Johannes hiemit wieder die in
der Schule von Boethius her übliche Eintheilung der „Logik" verbin
det557), führt ihn zugleich seine Kenntniss des Aristoteles auf die
Unterscheidung der Apodeiktik und der Dialektik, wobei ihm jedoch
auch die erslere keinen inneren eigenen Zweck in sich selbst trägt,
sondern immer die Nutzbarkeit der gesammten so eingetheilten Logik
die Hauptsache bleibt 55S).
Von solchem Standpunkte aus vertritt nun Johannes gegen die V'erädiler
der Dialektik auch den Werth der vorhandenen logischen Lilteralur.
Dass er in dieser Beziehung der erste Autor des Mittelallers ist.
555) Ebend. II, 3, p. 65. : l'rofecta igitur hinc est et sie perfecla scienlia disserendi,
quae dispulandi modos et raliones probationtim aperit — aliis philosophicis
disciplinis posterior tempore, sed ordine prima (ebenso Hugo v. Victor, Aon). 46.,
vgl. Anm. 543.); inchoantibus enim philosophiam praelegenda est, eo quod vocum et
inlellecluum interpres est. sine ijnibus nullus philosophiae articulus rede procedit
in lucem.
556) Ebend. 4, p. 67.: Est autem dialeclica, ul Augustino placel (s. Abschn.
XII, Anm. 30.), hene disputandi scienlia Esl autem dispulare, aliquid eorim,
quae dubia sunt aul in contradictione posita aut quae sie n'l sie proponunlur, ralione
supposita probare vel improbare, quod quidem , quisquis ex arte probabiliter facit,
ad dialectici pertingil metam. Hoc aulem ei Humen Aristoteles auclor suus imposuit,
eo quod in ipsa et per ipsam de dictis disputatur; ut enim grammatica de dictiir
nibus et in dictiotiibus teste Remigio (vor. Abschn., Anm. 172.), sie ista dt diclts
et in dictis est; illa verba sensuum principaliler , sed haec examinat sensus verborum,
nam iexiov ijraeco eloquio, sicut ait Isidorus (vor. Abschn. Anm. 27.) dictum
appellatur. Sive autem dicatur a graeco >Ufif, quod locutio inlerpretatur säe
a lexTÖv, quod diclum nuncupatur , non multum refert, quum examinare tocutionii
vim et eius quod dicitur veritatem et sensum, idein aut fere idem sit ; vis enim
verbi sensus esl. III, 5, p. 137.: Est aulem res, de quo aliquid i dicibile . qmd
de aliquo; dictio, qun dicitur hoc de Mo, worauf die oben, Anm. 207., angeführten
Worte folgen.
557) Ebend. II, 3, p. 60. : Pro eo namque loyica dicta est, quod rationalis, i.
e. ralionum minislratoria et cxaminalrix est. Divisit eam Plalo in dialeclicam et
rheloricam, sed qui efficaciam eius altius meliunlur , ei plura altribuunt , siquidem
ei demonstrativa, probabilis et sophislica subiiciuntur, u. s. w. völlig nach Boetbios,
s. Abschn. XII, Anm. 82. Ebenso 5, p. 68.: Di'nionstrutira et probabilis et sophi
slica, onmes quidem consistunt in invenlione et iudicio et itidem dividentes, defnientes
et colligenles domesticis rationilius utuntur, s. ebend. Anm. 76.
558) Ebend. II, 14, p. 35.: Principia ilaque dialecticae probabüia sunt, sicut
demonstrativae necessaria. III, 10, p. 152. : Sophisma esl Syllogismus Utigatoriut.
pkilosophema vero demonslralivus , argumenlum autem Syllogismus dialeclicus , sed
aporisma (s. Abschn. IV, Anm. 33.) Syllogismus dialecticus contradictionis. Bonn*
omnium esl necessaria cognilio et in facultalibus singulis perulilis esl exercilatio.
p. 154.: Sie suorum inslrumetitorum necesse est logicum expeditam höhere famltaiem,
ut srilicet principia noveril, probabilibus abundel. syllogizandi et indueendi omnes
ad manum habeat raliones.
XIV. Johannes v. Salesbury. 239
welcher eine vollständige kciintniss des gesammlen aristotelischen Organons
zeigt , wurde schon oben , Anin. 26 u. 56 ff., bemerkt, und es ist
nun anzugeben, wie er sich das ganze Material und die einzelnen Theile
desselben anschaute und zurechtlegte. Den Aristoteles, dessen logische
Schriften er nicht mehr wie Andere theilweise vom blossen Hörensagen
kennt, bezeichnet er als den wahren Feldherrn (campiductor) aller
Logiker und, wenn auch mit Vorbehalt der Auctoritäl des christlichen
Glaubens und der Moraltheologie, jedenfalls als den Lehrer der Disputirkunst
559), d. h. für den inneren philosophischen Werth der aristo
telischen Logik hat natürlich der Ciceronianer Johannes keinen Sinn,
sondern er erblickt in ihr nur eine äusserliche Tecknik, daher er auch
— was an obigen Ausdruck „aslutiae"', Anm. 542, erinnert — der
Ansicht ist, Aristoteles sei in der Polemik gegen Andere stärker als in
dem positiven Aufhauen der eigenen Lehre flti°). Von der Annahme aus
gehend, dass die Logik als Technik der Aussagen (sermones), indem sie
inventio und iudicium enthält (Abschn. XII, Anm. 76), das Werkzeug
aller Disciplinen sei, und eben hiedurch Aristoteles sich den Beinamen
des „Philosophen" erworben habe6-'1), betrachtet Johannes das ganze
Organon in einer Weise , welche völlig mit Abälard's Auffassung (Anm.
271 ff.) übereinstimmt, indem Aristoteles die einfache vox significativa
aus der Hand des Grammatikers empfangen und in den Kategorien der
artig erörtert habe, dass sie hernach in der Zusammenfügung des Urtheiles
(De inlerpr.) betrachtet werden könne, und hierauf die Entwick
lung dessen, was zu invenlio und iudicium gehört, folgen könne; die
Isagoge, welche Porphyrius zu dem ersten Hauptabschnitte verfasst habe,
gehöre eben nur als Einleitung zu dem Ganzen und solle nicht, wie
Viele, thun (Anm. 56 ff.), gleichsam zur Hauptsache gemacht werden 562).
559) Ebend. III, lü, p. 147.: llct rattonaUs upifex et campiduclor (Giles gibt
campi doclor) eorum, qui logicam profitentur. IV, J, p. 157.: Campiductor (ebenso)
ilaque Peripaleticae disciplinae , quae prae ceteris in veritatis indagatione laborat,
infelicem summam operis dedignatus lotum componit (Anspielung anf Hör. Ars poet.
v. 34.) , cerlus , quod cuiusqm operis perfectio gloriam sui praeconatur auctoris.
IV, 23, p. 180.: Sicul optimus campiduclor (hier auch bei Gites das Richtige) hunc
ad inferendam pugnam, illum inslruit ad cautelam. 27, p. 183.: Nee tarnen Aristolelem
ubique plane aut sensisse aut scripsisse protestor , ut sacrosanctum sil , quidquid
scripsit; nam in pluribus obtinente rartone et auctoritale fidei convincilur errasse.
linde sie accipiendus est , ul ad promovendos im'enes ad ijratiores philosophiac
instituta doctor sit non morum, sed disceptationum.
560) Ebend. III, 8, p. 141.: Aristotelem prae ceteris omnibus tarn aiiae disserendi
ratiocinationes quam deftniendi tilulus (d. h. der Inhalt des 6. Buches der
Topik) illuslraret . si tarn patenter adstrueret propria, quam potenter destruxit
atiena.
561) Knlhel. v. 821 fl'.: Magnus Aristoteles sermonum possidel artes Et de virtutum
culmine nomen habet, ludicii libros componit et inveniendi Vera, facultates
tres famulantur ei ; fhysicus est moresque docel . sed logica servil Auclori semper
ofßciosa «MO; Haec illi nomen proprium facit esse, quod olim Donat amatori sacra
sophia suo; Harn qui praecellit, tituli communis honorem Vindicat. Melal. II, 16,
p. 88.: Omnes se Aristolelis adorare vestigia gloriantur, adeo quidem, ut commune
omnium philosophorttm nomen praeeminentia quadam sibi proprium fecerit; nam et
antonomatice , i. e. excellenter, philosoplius appellatur.
562) Metal. II, 16, p. 89.: Hie ergo (d. h. Aristoteles) probabilium raliones
redf.o.11 in arlem et quasi ab elementis incipiens usque ad propositi perfectionem
240 XIV. Johannes v. Salesbury.
So scheide sich aber das Organon auch wieder in zwei Hauptgruppen
ab, insoferne die Isagoge, die Kategorien und De inlerpr. nur als Vorbereitungsstufen
(praeparaticia artis) gellen können, indem diese Bücher
mehr ad arlem, als de arte seien, wohingegen die eigentliche Technik,
worin invcnlio und iudicium ihre Fülle entwickeln, in den drei Haupt
werken Topik, Analytik und Soph. Elenchi vorliege663). Ehen aber
im Hinblicke auf inventio und iudicium ergebe sich hinwiederum ein
anderer Gesichtspunkt der Eintheilung, insoferne die Topik nebst den
ihr vorausgehenden Büchern überwiegend und grundsätzlich zur inventio
gehöre, hingegen ebenso Analytik und Soph. El. dem iudicium dienen
sollen; doch dürfe man diese Eintheilung (von welcher wir dann aller
dings nicht wissen, warum sie überhaupt zu Grund gelegt worden sei)
auch wieder nicht schroff festhalten, da auch die Analytik und Soph.
EL zur invenlio beitragen, und umgekehrt auch die Topik zu iudiciunt
förderlich sei 6Ö4). Neben all diesem aber beutet Johannes die Durch
führung eines Gleichnisses für die Auflassung des Organons aus, indem
die Kategorien den Buchslaben , das Buch De inlerpr. den Sylben ent
sprechen soll566), worauf dann die Topik das Wort (diclio) repräsenevexil.
Hoc aulem planum csl liis, gut scrulanlur et discutiunl opera eius. Vocti
enim firimo significalivas , i. e. sermones incomplexos de grammatici manu acctptens
differenlias et vires eomm diligenler exposuit, ut ad complexionem entmtiationum et
inveniendi iudicandique scienliam facilius uccedant. Sed quia ad hunc elementarem
librum magis elementarem quodammodo scripsil Porphyrius, eum anle Aristotelem esse
credidit aiUiquilas praelegendum ; rede quidem, si rccte doceatur, i. e. ul lenebras
non inducat endiendis nee consumat aelatem Vnde quoniam ad alia inlroductorius
esl, nonrine Isagogarum inscribihir ; itaque inscriptioni deroganl, qni sie rersanlur
in hoc , ul locum principalibus non relinquanl.
563) Nachdem nemlich Metal. III, l über die Isagoge, c. 2 u. 3 über die
Kategorien und c. 4 üher De interpr. gehandelt worden, beginnt c. 5, p. 134.:
Artis praeparalicia praecesserunt, ad quarn suus opifex et quasi legislator rüdem
omnino lironem irreverenter et, ut dici svlet, Malis manilius non vensuit admiltendum
Utilissima quidem snnl et , si non satis proprie dicantur esse de arte,
satis vere dicuntur esse ad arlem; parmn untern refert, sie magis dicatur an sie.
Ipsum itaque quodammodo corpus arlis deduclis praeparaticiis principaliler consistit
in Iribus , scilicet Topicorum , Analylicorum, Elenchorum notilia ; his enim perfecle
eognitis et habilu eornm per et exercitium rolioratis invenlionis et iudicii copia suffragabitur
in omni facultate tarn ttemotislralori quum dialectieo et sophistae.
564) Ehend. IV, l, p. 157.: linde qimm invenlionis instrumenla procurasset
et usutn , quasi in cun/latorio sedens examinalorium quoddam sluduil cudere, quo
diligentissima ßeret examinalio rutionum; hie aulem est Analylicorum liber, qui ad
iudicium principaliter speclat et tarnen ad invenlionem aliqualenus proftcil ; nam
disciplinartim omnium connexae sunt rationes , et quaelibet sui perfeclionem ab aliis
mulualnr. III, 5, p. 134.: Scienlia Topicorum, quae elsi inventionem principaliter
insliual, iudiciis tarnen non mediocriler su/fragalur siquidem sibi invicem universa
contribuunt , eoque in proposila facultate quisque expedilior est, quo in vicina
et cohaeretile instructior fuerit ; ergo et tarn Analytica quani Sophistica confenmt i»-
ventori et Toptia itidem conducit iudicanti. Fädle tarnen acquieverim , singulas in
suo proposito dominari et acccssorium esse beneßcium cohaerenlis. IV, 8, p. 164.:
Licet ad iudicium maxime dicatm haec scienlia (sc. demonstrativ«) pertinere , utte*-
tioni tarnen plurimum confert.
565) Ehend. III, 4, p. 130.: Liber Periermeniarum eel potius Periermenias (s.
vor. Abschn. Anra. 33.) ratione proporlionis syllabicus est, sicut fraedicamenlonan
elementarius , nam elementa rationum, quae singulalim tradil in sermonibus incomplexis
, iste colligit et in modum syllabae comprehensa producit ad veri fal.'-iijue
XIV. Johannes v. Salesbury. 24t
lire und hierin das Zusammenfassen (coUectio) der liestandtheile ent
halte566), und. zwar in der Weise, dass bei der stets aufsteigenden
Entwicklung das erste Buch der Topik die Grundlage der ganzen Logik
sei 567), und somit dann das achte Buch der Salzverbindung (eonslructio,
ein Ausdruck Prisci,an's, vgl. Anm. 273) entspreche, wodurch in
eben diesem Buche der Höhepunkt der Logik erklommen sei, und das
selbe im Vergleiche mit der ganzen neueren Litteralur (der moderm,
s. Anm. 55 II'.) als die bei weitem nützlichste Schrift bezeichnet werden
müsse °68). Die hierauf sich anschliessende erste Analytik wird unter
Hinzufügung einer barbarischen Interpretation des Namens (vgl. Anm.
23 u. ror. Abschn. Anm. 288) zwar gleichfalls wegen ihres Nutzens
gelobt, jedoch zugleich wegen ihrer sterilen Form getadelt, da nicht
bloss der gleiche Inhalt anderwärts (d. h. offenbar bei Boelh. de syll.
cat. u. Inlrod. ad syll. cat.) viel leichter und eindringlicher entwickelt
sei, sondern jenes Werk überhaupt in seiner verworrenen (con/ums)
und unverständlichen Schreibweise für den äusseren Apparat der Argu
mentation (ad plirasim inslruendarn) ziemlich unbrauchbar sei, und man
daher nur die in demselben enhaltenen Regeln (also ungefähr in der
Weise wie hei Boelhius a. a. 0.) auswendig lernen solle, das Uebrige
aber wie Spreu oder dürres Laub bei Seite lassen könne 569). Und
signiftcationem. Tantae quidem subtüitalis esl habilus ab antiquis, ut in praeconium
eius celebralum feral hidorus (s. ebend. Anm. 34.), quia Aristoteles, quando Periermenias
scriplitabat, calamum in mente tingcbat.
566) Ebend. 6, p. 137 f.: Sicul aulem elemenlarius csl Praedicumenlurttm, Periermeniantm
vero syllabicus, ita et Topicorum über quodammodo diclionalis esl.
Licet enim in Periermeniis agatur de simplici enuntiutione , quae utique veri /'alsive
dictio est, nondum tarnen ad vim colligendi pervenit nee Mud assequitur, in quo
dialectües praecipua opera rcrsatur; hie vero primus est in rationibui explicandis
doclrmamqiie facit localium argumentationum et sequentium complexionum pandil
initia.
567) Ebend. 5, p. 135.: Octo quident vohtminibus claudilur, fiuntque semper
novissima eius poliora prioribus; primus tmtem quasi malert am prueiacit omnium
nliquorum el totius logicae quaedam cunsliluit fundamenta.
568) Elend. 10, p. 147.: Arma lironum suorum locavit in arena, dm» sermonum
sitnplicium significalionem evolteret et item emmtiationum locorumque naturam
aperiret Ut aulem praemissae similitudinis sequamm proportionem , quemadtnodum
Categoriarum elementarius, Periermeniarum syllabicus, praemissi Topici dictionales
libri sunt, sie Topicorum oetavus conslniclorius esl rationum, quarum elementa
vel loca in praecedentibus monslrala sunl, Solus itaque versatur in praeceptis, ex
quibus ars compayinalur, et plus conferl ad scienliam disserendi, si memoriler habealur
in corde, quam omnes fere libri dialecticae, quos ntoderni praeceptores nostri
in scholis legere consuevemnl; nam sine eo non disputatur arte, sed casu.
569) Ebend. IV, 2, p. 158.: Analylicorum quidem perulilis est scienlia et sine
qua quisquis logicum profttetur, ridimlus est. Ul vero ratio nominis exponatur,
quam graeci imalyticen dicunt, nos possumus resolutoriam appellare (diess entnahm
«r aus Boethius, s. Abschn. XII, Anm. 77.), familiarius tarnen assignabimus , si
dixerimus ,,aequam locutionem", nam illi ,,ana" aequale, ,,lexim" locutionem di
cunt. Frequens autein est, quum sermo parum est intellectus, ut eum in notiorem
retolvi desideremtts aequivalentcr ; unde et interpres meus (wohl Einer jener beiden
Uebersetzer, welche wir oben Anm. 32 f. (rufen), quum verbum audiret ignotum,
et maxime in composilis, dicebat „analetiia hnr"t quod volebut aequiv alenler exponi.
.... Ceterum licet necessaria sit doctrina, liber non eatenus necessarms est; quidquid
enim continet, atibi facilius et ftdelius tradilur, sed cerle veritis aut fortius
L, Gesch. II. 16
242 XIV. Johannes v. Salesbury.
wenn sich nach des Johannes Ansicht diese Unversländlichkeit z. B.
namentlich in dem letzten Capitel der ersten Analytik (Abschn. IV, Anru.
649 f.) zeige570), so richtet er den riemlichen V'orwurf auch gegen die
ganze zweite Analytik, nur mit dem Beisätze, dass ein Theil der Schuld
vielleicht an der Uebersetzung liege671). Hingegen nun ündet der
Ciceronianer Johannes wieder sein rhetorisches Fahrwasser in den Soplt.
Elenchi, welche er hieuiil losgetrennt von der Topik an den Schluss
des Organons stellt; er sagt, kein anderes Buch sei für die Jugend
nützlicher als dieses, und sowie dasselbe den grössten rhetorischen
Behelf (ad phrasim) gebe , so sei es auch den beiden Analytiken vor
zuziehen, weil es den logischen Sprachausdruck (eloquentia) in leichte
rer Verständlichkeit fördere5'2). Aus der Topik aber, welche ja die
Grundlage der Logik enthält, seien die betreffenden Schriften des Ci
cero und des Buethius geflossen, sowie des Letzteren Buch De divisione
(hierin allerdings hat Johannes vollständig Recht), welches unter den
boelhianischen Werken eine besonders hervorragende Stelle einnehme 573).
Somit sind wir nun über den Standpunkt des Johannes vollständig
orienlirt und erblicken in demselben gewiss mit Recht eine Steigerung
dessen, was Abälard (Anin. 267) eloquentia Peripalelica genannt hatte,
nusqvaiit, siquidem et ab invito fidem exlorquel .... Porro exemplorum confusione et
traieclione litlerarum, quas turn de induslria turn causa brevilatis turn ne falsitas
alicubi exemplorum argueretur interscruit, adeo confusus csl, ul cum magno labore
eo perveniatur, quod facillime tradi polest. 3, p. 159.: Sicut aulem rcgulae utiles
sunt et necessariae ad scienliam , sie liber fere inulilis esl ad phrasim inslruendam,
quam nos verlii supeUeclilem possumus appellare ... Ergo scientia memoriter est firmanda
, et verba pleraque excerpenda sunl. ... guae'aliu commode Iransferuntur et
quorum polest esse frequentier usus ; reliqua coaequantur foliis sine fruclu et ob hoc
aut calcanlur aut sua relinquunlur in arbore. (Hierauf folgt die oben Anm. 20.
angeführte Stelle.) Ebend. III, 4, p. 132.: Sunl autem pleraque, quae si a suis
avellas sedüius, aul niltil aut minimum sapiunl audilori, qualia fere sunt omnia
Analyticorttm cxcmpla, ubi litlerae ponunlur pro lerminis, quae sicut ad doclrinam
proßciunt sie tractata, alias inutilia sunt; regulae quoque ipsae, sicul plurimum
vigoris habenl a veritate doctrinae, sie in commercio verbi minimum possunt.
570) Ebend. IV, 5, p. 162.: Poslremo agil de cognilione nalurarum; -gründe qutdem
capitulum et quod licel aliqualenus proposilo conferat , fidem tarnen promissi
nequaquam implel. Unum scio, me liuius capituli beneficio neminem in cognitione
naturarum vidisse perfectutn.
571) Die Stelle wurde schon oben Anm. 27. angeführt.
572) Melal. IV, 22, p. 178 f.: Sophisticam esse diel um est, quae falsa imagine
tarn dialecticam quam demonstralivam acmulalur et speciem quam virtutem sapientiae
magis affectal — Opus quidcm dignum Aristolele et quo aliud magis expedire •«-
ventuti non fädle dixerim Fruslra sine hac se quisque gloriabitur esse philosophum,
quum nequeat caverc mendacium aut alium deprehendere mentientetn ....
Vnde et ad phrasim conciliandam et totius philosophiae investigalioncs sophisticae
exercitalio plurimum prodest, ila tarnen ul verilas , non rerbositas sil liuius exercilü
friiclus. 24, p. 181.: In eo autem mini videntur (se. Elenchi) Analyticis praeferendi.
quod non minus ad exercilium conferunt et faciliori inlelleclu eloquenliam
promovent.
573) Ebetid. III, 9, p. 145.: Qui vero librum hunc (d. h. die aristotelische
Topik) diligentius perscrutalur, non modo Ciceronis et Roethii Topicos ab his septeat
voluminibus (d. h. aus den sieben ersten Büchera) erutos deprehendet, sed librum
Uivisionum, qui compendio verkomm et elegantia sensuum intcr opera Hoelhii, quae
ad logicam spectant, singularem gratiam naetus esl.
XIV. Johannes v. Salesbury. 243
und wenn in philosophischer Beziehung schon bei Ahälard eine unor
ganische Vereinigung entgegengesetzter Ansichten obgewaltet hatte, so
ist bei Johannes auch diess in höhcrem Grade der Fall. Es ist eigent
lich consequent, dass Letzterer bei seinem ausschliesslichen Augenmerke
auf die Eloquenz der Argumentation sich sogar um eine bestimmte For
mel umsieht, durch welche er über alle Schwierigkeilen, die in einer
festen philosophischen Parleislellung liegen könnten, sich von vorneherein
hinausheben kann. Diese Formel ist seine „ratio indifferentiae" , d. h.
das Verfahren des vollendeten Indifferentismus. Er weist nemlich zu
nächst , da es sich um die Kennlniss der aussagbaren Dinge (rerum
praedicamentalium, s. Anm. 605) und der Aussagen selbst (sermonum)
handelt, auf die Vieldeutigkeil der Aussagen hin, und bemerkt, dass
dieselben zur Zeit des Aristoteles einen anderen Sinn haben konnten,
da ja nach dem Ausspruche des Horatius die Worte in stetem Wechsel
dahinfliessen und nur der Gebrauch sie so oder so feststelle 514). Und
wenn nun auch zugegeben wird, dass bei gleichem Sinne der Wortgebrauch
der Alten ehrwürdiger sei, als jener der Neueren515), so sei
grundsätzlich der Gebrauch doch mächtiger, als Aristoteles selbst, daher
man auch, insuferne die objectiv dingliche Wahrheit und hiemit der
reelle Sinn der Worte in Frage komme, wohl die Wortausdrücke zum
Opfer bringen dürfe, während andrerseits, so lange es eben angehe,
zugleich Wortlaut und innerer Sinn aus der älteren Lehre beibehalten
werden könne576;. Schon hieraus ersieht man, dass dieser Grundsatz
zu einer äusserst bequemen Manier führen muss , alle auftauchenden
Schwierigkeiten zu escamotiren, denn man braucht in all solchen Fällen
nur zu sagen, der Wortausdruck habe im Laufe der Zeiten eine andere
Bedeutung erhalten-, oder es liege an demselben überhaupt Nichts. So
sagt ja Johannes (gelegentlich einer Ansicht des Bernhard von Chartres)
selbst, er lege kein Gewicht darauf, ein Wort beim Wort zu nehmen,
574) Ebend. 3, p. 128.: l'rofeclu rerum praedicamentalium et sermonum perulilis
est notitia , et quia multiplicitas sermonum plerumque intelligentiam claudit,
quotiens dicatur unumquodque, docet (sc. Aristoteles) esse quaerendum .... Contingil
aulem tractu temporis et acquiesctnte utentium voluntate, multiplicilatem sermonum
nasci itemque exstingui (p. 129.) Mulliplicius dicitur , qtiam Aristotelis (empöre
dicerelur , et quae lunc verba aliquam, nunc forte nullam habent significationem,
siquidcn, ., Mulla renascentur quae iam cecidere, cadentque Quae nunc sunt in honore
vocabula, si volet usus, Quem penes arbitrium est et ius et norma loquendi" (Hör.
Ars poel. v. 70 ff.).
575) Ebend. 4, p. 131.: Praeterea revercnlia exhibenda esl verbis auctorum
cum cultu et assiduitate utendi, turn quia quandam a magnis nominibus antiquitatis
praeferunt maiestatem, turn quia dispendiosius ignoranlur , quam ad urgendum aut
resistendum polenlissima sunt Licel itaque modemorum et veterum sit sensus
idem, vencrabilior est vetustas.
576) Ebend. p. 133.: Palet itaque, quod usus Aristotele polentior esl in derogando
verbis vel abrogando verba, sed veritatem rerum, quoniam eam homo non
staluil, nee voluntas humana convellit. Itaque, si fteri polest, artium verba teneantur
et sensus; iin autera minus, dum sensus maneat , excidant verba, quoniam
artes scire non est scriptorum verba revolvere, sed nasse vim earum alque sententias.
Enthet. v. 27 ff.: Qui sequitur sine menlc sonum , qui verba capessil,, Non sensum,
iudex inleger esse ncquit ; Cum vim verborum dieendi causa ministrat, Haec si neseilur
, quid nisi ventus erunt?
16*
244 XIV. Johannes v. Salesbury.
und es sei gar nicht nöthig, mit einer einzelnen Stelle in solchem Sinne
auch alle übrigen in Einklang zu bringen577). Und in der Thal gestaltet
sich auf diese Weise die ratio indifferentiae, welche er auch behufs
des Uebersetzens für die richtige hält (Aniu. 32), überall da, wo er
sich auf dieselbe beruft, zur ausgesprochenen Methode der Unwissen
schaftlichkeit. Denn sicher höchst leichtfertig ist es, wenn er nicht
bloss „significare" und „praedicare" als völlig synonym nimmt, während
doch Abälard sich um eine feste Begriffsbestimmung bemüht hatte (Anm.
318), sondern dabei es auch als durchaus gleichgültig bezeichnet, ob
z. B. durch die Adjectiva die Eigenschaft oder deren Träger gemeint
sei; und indem er für jeden einzelnen Fall diess einer benigna interpretalio
überlässt, gelten ihm die Kategorien gerade darum als ein haupt
sächlicher Empfehlungsgrund seines Verfahrens , weil sie bald über ilie
bezeichnenden Worte bald über die bezeichneten Dinge handeln 57S).
Ebenso verfährt er gelegentlich mit einer aristotelischen Stelle und
kömmt dabei nach seiner indifferentia oder ralio licenliae zu dem Resul
tate, dass das sinnlich-wahrnehmbare Einzel-Individuum ebensosehr Prädicat
wie Subject sein könne B79), Und wenn in solchen Fragen bei
Johannes die 'Logik zu Ende ist, ehe sie überhaupt begonnen hat, so
577) Mi'lul. III , 2 , p. 120. , woselbst nach der oben Anm. 93. angeführten
Stelle folgt: Habet haec opinio sicut impugnatores sie defensores suos. MM pro
minimo esl, ad nomen in talibus disputare, quum intelligentiam dictorum sumendam
novcrim ex causis dicendi; nee sie memoralas Aristotelis aliorumvc aucloritales inlerpretandas
arbiträr, ut trahatur istuc , quidquid alicubi dictum reperüur.
578) Ebend. p. 122.: Ex quo liquel , quoniam ,, significare" sicut et „praedi
care" multipliciter dicitur; sed quis modus familiarissimus sit, discernere palam est.
Inde esl, quod „iustus" et similia passim apud auctores nunc dicuntur instiun nuttc
iustitiam significare vel praedicare — Tale est illud Aristotelis „qualitatem significant,
ut iillium , quantitatem ul bicubitum" (Cal. 4, s. Abschn. IV, Anm. 303.; bei
llwtli. p. 127.); sie utique, quia danlur a qualitate vel quantilate, ita et qualitatem
praedicant, qitam apposita demonstrant inesse subiectis; interdnm dicunlur significare
qualia, quoniam appositione sua declarant, qualia sinl subiecta. Sed haec a se, st
sit benignus inlerpres , non tnultum distant, etii audito ,,albus" inlelligatur, in quo
est albedo , quum autem ,,albedo" dicitur, non intelligatur , in quo talis color, sed
potius color faciens lale. Illud nero, quod audita voce concipil inlellectus, ipsius
familiarissima significatio est. 3, p. 1 22 f.: Quia ergo aut aeqtiivoce aut univoce
aut denominalive , ut sequantur indifferentiae rationem , singula praedicanlur, ipsaque
praedicalio quaedam ratiocinandi maleria est , jjraedicamentorum praemissa sunt iitslrumenta
Rationem vero indifferentiae , quam semper approbamus, liber iste commendal
prae ceteris, etsi ubique diligenter insfiicienti manifesta sit; agil cnim nunc
de significantibus nunc de significatis aliorumquc doctrinam facit nominibus aliorum.
579) Ebend. 11, 20, p. 110.: Hinc forte est illud in Analyticis „Arislomenes
inlelligibilis semper est, Arislomenes autem non semper" (Anal. pr. l, 33, bei H vel h,
p. 495.); et hoc quidem est singulariter individuum, quod solum quidam aiunt passe
de aliquo praedicari .... Ego quidem opinionem hanc vehementer nee impugno nee
propugno; nee enim multum referre arbiträr ob hoc, quod illam ampleclor indi/ferentiam
in vicissitudine sermonum, sine qua non credo quempiam ad mentem auclorum
fideliter pervenire (p. 111.) Itaque hie sicut et alibi exseculus est, quod decet
liberalium arlium praeceptorem , agens, ut dici dolet, Minerva pinguiori, ut intelligerelur
Quid ergo prohibet, iuxta hanc licenliae ralionem, ea quae sunt senatbilia
vel praedicari vel subiici. Nee opinor, auctores hanc vim imposuisse sermoni,
ut alligatus sit ad unam in iuncturis omnibus signi/icalionem, sed doclrinaliter sie
esse loculos, ut ubique serviant inlellectui, qui commodissimus esl et quem ibi haberi
prae ceteris ratio exigil. Hiezu unten Anm. 604.
XIV. Johannes v. Salesbury. 245
dürfen wir uns nicht wundern, dass er in etwas versteckteren Schwie
rigkeiten sofort ungenirt seinen Standpunkt ausspricht, wie z. B. wenn
er bezüglich des allgemeinen Urtheiles die objective Inhärenz und die
subjective Aussage als gleichbedeutend nimmt und höchstens dabei eine
Aenderung des Wortausdruckes erblickt, welche im Laufe der Zeiten
sich eingestellt habe 58°).
.Verfolgen wir hiernach das Einzelne, was Johannes bezüglich des
Umkreises der Logik äussert, nach dem Faden der Eintheilung, welchen
er selbst für das Organon zu Grunde legte, so begegnet uns bei ihm
erklärlicher Weise zunächst in der Erörterung der Isagoge, d. h. in der
Frage über die Universalen, der äusserste Synkretismus oder Eklekticismus,
welcher zuletzt in eine stoisch-ciceronische Auffassung ausmündet.
Nicht der Standpunkt eines über dem einseitigen Partei-Gezanke stehen
den Philosophen, sondern Mangel an philosophischem Scharfsinne oder
Bequemlichkeit des rhetorischen Praktikers ist es, wenn Johannes den
ganzen Streit über die Gattungs- und Art-Begriffe als einen kindischen
bezeichnet, indem er sich dabei lediglich auf jene obige (Aiun. 574 f.)
Vieldeutigkeit der Worte zurückzieht, da Gattung und Art sowohl das
Princip der Entstehung, d. h. die onlologische Basis der Dinge, als
auch das Aussagbare, d. h. den logischen Werth der allgemeinen Be
griffe, bedeuten können551). Und sowie er hiebei sich auf des Boethius
Erklärung- der Isagoge stützt, so ist es, wie sich zeigen wird (Anm. 602),
schliesslich auch wieder eine einzelne Stelle des Boelhius, in welcher
die Ansicht des Johannes concentrirt vorliegt, so dass wir auch bei ihm
neuerdings einen Beleg vorfinden, wie sehr die ganze logische Bewegung
jener Zeit an herausgerissenen Ausspriichen der traditionellen Autoren
klebte. Völlig ähnlich wie Ahälard an Eine einzige Stelle die Doppelt
heit seiner Auffassung anknüpfte (Anm. 286) , verhält sich das Ganze
anch bei Johannes, insoferne er den Universalien eine ontologische und
zugleich eine logische Geltung verleiht; nur ist bei ihm die Verquickung
der Standpunkte nicht bloss mannigfaltiger und abenteuerlicher, sondern
580) Ebend. III, 4, p. 132.: Quod dicitur „in lolo esse alterum allen" vel
,,in lolo non esse" el ,,universaliler aliquid de aliquo praedicari" vel ,,ab aliquo
rctnoveri" idem esl (vgl. Anm. 16.). Frequens tarnen usus est allerius verbi et alterius
fere inlercidil , nisi qualenus ex condicto interdum admitlitur. Fuit fortasse
tempore Aristolelis ulriusquc usus eelebrior, sed nunc prae altero viget alterum, quoniam
ita vull usus. Sie et in eo, quod dicitur contingens , aliqualenus derogätwn
est ei, ijitod apud Aristotelem oblineliat. (Vgl. Anm. 216.)
581) Ebend. l, p. 116 f.: Se ad puerilem de gencribus el speciebus incliti'ti'it
opinionem (d. h. Abälard) malens instruere el promovere suos in puerilibus,
quam in gravilale plalosophorum esse obscurior Itaque sie Porphyrius legendus
esl, ul sermonum, de quibus agitm, signi/icatio lenealur et ex ipsa superficic
habeatur sensus verborum Sufftdat ergo inlroduccndo nasse, quia notnen gencris
mttlliplex est el a prima inslilutionc significat generationis principium , dehinc
Iranslatum est ad significandum id, quod de differentibus specie in quid praedicatur
(über diese abgekürzte Terminologie s. Anm. 282.). Item et species multipliciter
.lii-ilitr. na/m ab inslitutione f'ormam signißcat — , hinc aulem sumplum est ad significationem
eius , quod de di/ferentibus numero praedicatur (All dieses beruht auf
Boeth. p. 22. u. 57 f.) Quid ergo sibi volunl, qui quidquid aliud excogitari
polest, adüeiunl? — Vocabulorum simplicüer apcrianlur significaliones , apprehendalm
illa, quae proposito congruit , per deseriptiones ccrtissimas etc.
246 XIV. Johannes v. Salesbury.
auch weit widerspruchsvoller, als bei Äbälard. Nemlich Johannes spricht
nicht bloss gelegentlich als Theologe über die Begriffe der Substanz
und der Wesenheit in der nemlichen Weise, wie wir diese Dinge bei
Pseudo-fioelhius de Irin, und bei Gilbert finden582), sondern auch in
jener Schrift, welche der Logik gewidmet ist, äussert er ausdrücklich
seine Uebereinslimmung mil Plato's ontologischem Realismus, wornach
dem Intelligiblen das wahre Sein zukömmt, die concreten Dinge aber
nicht einmal des Verbums „esse" würdig sind 583). Und sowie er die
Unvergänglichkeit der Substanz und die fortdauernde Wirksamkeit der
Form als die reale Basis des Seienden behauptet, dabei auf dem alt
überlieferten Satze „singulare senlüur, universale inlelligilur" fassend 584),
so ist ihm auch Gilhert der Führer in Bezug auf die Begriffsbestimmung
der Natur und die formgebende Kraft des artmachenden Unterschie
des 585), ja er bedient sich sogar des Wortes „forma naliva" (vgL
Anm. 467), und desgleichen fehlt auch der Begriff der Theilhaftigkeit
bei ihm ebensowenig als bei allen Realisten 5S(i); endlich selbst die
Auffassung der Individualität gestaltet sich auf eine Weise, dass wir
Gilberl's Unterscheidung zwischen dividua und indiridua (Anm. 479)
darin wiedererkennen587).
582) Epist. 169 (I, p. 270.): Quidquid autem subsistit , sine dubio in genere
vel in natura ml in subslantia manet; quum ergo essentiam dicimus signiftcare naturam
vel genus vel substantiam , intelligimus eins rei, quae in Ais unmiliux semper
esse subsistat Quod si apud graecos expressam habent differentiam haec, quae
hie tolies inculcata sunl , esscnlia, natura, genus, subslantia, eam expediri omnium
arbiträr interesse quam plurimum.
583) Metal. IV, 35, p. 193.: Plato quoque eorum, quae vcre sunt, et eorum,
quae non sunt sed esse videntur, differenliam ducens intelligibilia vere esse asserttit.
Unde et eis post essentiam primam recte competit esse, t. e. firmus certusque
Status, qucm verbum, si proprie ponitur, exprimit substantivum ; temporalia vero
videnlur quidem esse, eo quod intelligibilium praelendunl imaginem, sed appellatione
verbi substanlivi non satis digna sunt, quae cum tempore transewit , ut nunquam in
eodem statu permaneant, sed ut /UM u s enanescant; fugiunt enim, ut idem ait in
Timaeo (p. 49 E) nee exspcctant appellalionem p. 195.: Ideam vero .... sieut
aeternam audebat dicere, sie coaeternam esse neyabat.
584) Enthet. v. 1013 f.: Nulla perire polest subslantia, formaque formae Suecedens
prohibet, quod movet, esse nihil. v. 1233 f.: Solis corporeis sensus carnalis
inkaeret, Res incorporeae sub ratione iacent.
585) Metal. I, 8, p. 26.: Est autem natura, ut quibusdam placet (hiemit ist
offenbar Gilben gemeint, s. Anm. 461.), lieft eam sU diffinire difßcile, tis quaedam
genitiva rebus omnibus insita, ex qua facere vel pali possunt; geniliva autem
dicitur, eo quod ipsam res quaeque contrahat a causa suae generalionis et ab eo,
quod cuique est principium exislendi (p. 27.) Sed et unamquamque rem informans
specißca di/fertnlia mit ab eo est, per quem facta sunt omnia, aut omnino
nihil est Esto ergo sie potens et efficax vis illa geniliva indita relnts originaliter.
586) Enthet. v. 395 ff.: Est idea potens veri substantia, quae rem Quamlibet
informal et facit esse, quod est; Omne quod est verum, convincit forma vel aclus,
JVec falsum dubites, si quid titraque caret. Forma suo generi quaevis addicla tenetur
Et peragil semper, qmdqitid origo iubet; Ergo quod in forma nativa constat
agitve, Quod nalura manens in ratione manet, Esse sui generis verum quid dicilur
idque Indicat effectus aut sua forma probat. Polycr. III, l, p. 162.: Implet autem
haec vita omnem crealuram, quia sine ea nulla esl substantia creaturae; onine enim
quod est, eius participatione est id quod est.
587) Metal. II. 20, p. 105.: Ergo si gentra et species a deo non sunt, omnno
XIV. Johannes v. Salesbury. 247
Aber nach solch unzweideutigen Aussprachen staunen wir nun
billig, wenn Johannes darum, weil das Intelligible nicht universell sein,
sondern nur universell begriffen werden könne, den Streit über die
Universalien für einen gegenstandslosen erklärt, in welchem man die
Substantialität eines Schattens oder eines flüchtigen Nebels zu erhäschen
suche 588). Auch erhält für die Logik nun Plato nebst Augustin und
allen Platonikern förmlich seinen Abschied, um dem Aristoteles Platz
zu machen, allerdings mit dem tröstlichen Zusätze, dass des Letzleren.
Ansicht vielleicht wohl um Nichts wahrer, aber jedenfalls für die logi
schen Partien passender sei589). Sonach werden nun alle Diejenigen
getadelt, welche in die Isagoge eine platonische Auffassung hineinlegen
oder anderweitig von Aristoteles abweichen, und mit der entschieden
sten Berufung auf den Ausspruch des Aristoteles, dass die Universalien
keine getrennte Existenz für sich haben, wird jede Ansicht, welche von
einem Sein derselben spricht, von vorneherein abgewiesen590), und so
namentlich auch die Status-Lehre von diesem Gesichtspunkte aus be
kämpft591). Sind wir aber nun in der That begierig, wie dieser Wider
spruch gegen das Vorige sich lösen soll , so steigert sich vielleicht
unser Erstaunen noch von Schritt zu Schritt. Johannes stellt nemlich
wohl zunächst den Gedanken (inlelleclus) derartig in den Vordergrund,
dass er in fast wörtlicher Übereinstimmung mit dem Verfasser De intellectibus
nicht bloss das verbindende und trennende Denken (inlelleclus
•niltil t, u.nl; quod si unumquodquc eorum ab ipso est, unum plane et idem bonuii
est. Si autem quid unum numero est, prolinus et singulare est; nam quod quidam
unum aliquid dicunt, non quod in se, sed quod mulla mval expressa plurium eonformitate,
arliculo praesenti non derogant Omnis namque substantia accidentium
pluralitale numeru sähest; accidens aulem unme et forma quaelibel itidcm numero
subiacet, sed non accidentium aul formarum participatione, sed singtlaritale subiecti.
588) Polycr. VII, 27, p. 127.: Sicut in umbra cuiuslibet corporis fruslra soliditalis
substantia quaerilur, sie in Ins quae inlelligibilia sunt dumtaxat et universaliter
concipi, nee tarnen unitiersaliter esse, queunl, solidioris exislenliae subslanlia
nequaquam intenitur. In his aetatcm lerere nihil agentis et frustra laborantis est,
nebulae siquidem sunl rerum fugacium et, quum quaeruntur avidius, citius evanescunt.
589) Metal. II, 20, p. 112.: Lieft Plalo eoetum philosophorum grandem et tarn
Augustinum quam alias plures nostrorum in staluendis ideis habeat assertores, ipsius
tarnen dogma in scrutinio universalium nequaquam sequimur, eo quod hie Peripaleticorum
pnncipem Aristotelem dogmatis huius principem proßtemur Ei, qui Peripaleticorum
libros aggreditur, magis Aristotelis sentcntia sequenda est, forte non quia
verior , sed plane quia his disciplinis magis accommodata est.
590) Ebend. 19, p. 94.: Quati ab adverso petentes (nemlich die Erklärer der
Isagoge) veniunt contra mentem auctoris et, ul Aristoteles planior sit, Platonis sententiam
docent aut erroneam opinionem, quae aequo errore deiiiat a sententia Arislotelis
et Platonis, siquidem omnes Aristotelem profilmtur. 20, p. 94.: Porro hie
genera et species non esse, sed intelligi tantum asseruit (Anal. posl. I, 11 u. 22,
s. Abschn. III, Anm. 66. u. Abschn. IV, Anm. 373.) (p. 95.) Ergo si Aristo
teles verus est, qui eis esse tollit, inanis est opera praecedenlis investigationis
Quare ab Aristotele reeedendum est concedendo , ut universalia sint , u. s. f. , s.
Anm. 70.
591) Ebend. 20, p. 102 f.: Sed esto, ut statum aliquem generalem appellatna
significent, .... Status ille quid sit, in quo singula uniuntur et qui nihil singulorum
est, etsi aliquo modo somniare possim, tarnen quomodo sentenliae Aristotelis coaptetur,
qui universalia non esse contendit, non perspicuum habeo.
248 XIV. Johannes v. Salesbury.
coniungens el disiungens, s. Anm. 427) und hauptsächlich vor Allem
die Kraft des Abslrahirens (int. abstrakens , s. Anm. 432) hervorhebt,
sondern auch mit Zurückweisung des Einwandes, dass das abstrahirende
Denken ein nichtberechtigtes (cassus, s. Anm. 429) sei, dem Denken
die Fähigkeit vindicirt, die Dinge anders zu betrachten, als sie im Concreten
sind (s. Anm. 432 f.), und hiedurch die Abstraclion als die Grund
bedingung aller geistigen Technik bezeichnet, wobei er sich sowohl in
Uebereinstimmung mit Gilbert (abstractim attendere , s. Anm. 464) be
findet, als auch in Ausdrücken sich bewegt, welche wir bei der In
differenz-Lehre trafen (generalüer inlueri, diverso modo attendere, s.
Anm. 133 u. 137), und zugleich wieder mit dem Verfasser De gen,
et spec. in dem Begriffe des Sammeins der Aehnlichkeiten (s. Anm. 162 f.)
zusammentrifft, ja unter dem Vorbehalte, dass es sich nur um die subjective
Denkkraft bandle und objectiv in der Natur die Universalien nicht
existiren, sogar jenes Wortes sich bedient, welches in der von ihm
bekämpften Status-Lehre (s. Anm. 132) das übliche war 592).
Laufen so in bunter Auswahl aus den Ansichten Anderer mehrere
Fäden in die Auffassung der subjectiven Denkoperalion zusammen, so
soll nun unerwarteter Weise lueniit wieder der Gilbert'sche Realismus
in Verbindung kommen; nemlich Unkörperlichkeit sei nur negative Be
zeichnung der Universalien, hingegen nach ihrer positiven Grundlage
seien dieselben, wie überhaupt Alles, in ein Abhängigkeils- Verhällniss
zu Gott zu bringen; Gott aber habe die geformte Materie geschaffen,
d. h. sämmllicbe Formen, sowohl die substantiellen als auch die accidentellen
(s. diess bei Gilbert oben Anm. 461 f.) haben ihr Sein und
ihre Wirksamkeit von Gott, und so habe bei der Ausprägung der Dinge
eine Rücksicht auf Art-Begriffe obgewaltet, welche hiemit der Logiker
592) Ebend. 20, p. 95.: Nee verendum, ut cassus sü inlellectus, qui ea perceperit
seorsum a, singularibus, quum tarnen a singularibus seorsum esse tion possint.
Inlellectus enim quandoquc rem simpliciter intuelur , «elut si hominem per se inltieatur,
— quandoque gradatim suis incedit passiltus, ut si hominem albere contemplelur,
et hie quidem dicitur esse compositus. Porro simplex rem interdiim inspicit , ut est,
ut si Platonem altendat, interdum alio modo; nunc enim componendo, quae non sunt
composita, nunc abslrahendo, :quae non possunt esse disiuneta p. 96. : Cetenim
componens qui disiuneta coniungit (das Beispiel ist lürcocmus), inanis est; abstrahens
vero ftdelis et quasi quaedam officina omnium arlium, El quidem rebus etristendi
unus est modus, quem scilicet nalura contulit , sed easdem inlelligendi aut
signißcandi non unus est modus; licet enim esse nequeal homo, qui non sit iste vel
alius homo , inlelligi tarnen potest et significari Ergo ad signiftcalionem incomplexorum
per abstrahentem intellectum genera concipiunlur et species, quae tarnen si
quis in rerum nalura diligenlius a sensibilibus remola quaerat, nihil aget et frustrn
laborabit, nihil enim tale natura peperit; ratio autem ea dcprehendit subslaiilialem
similitudinem rerum differentium perlractans apud se. Polycr. H, 18, p. 96.: Inlel
leclus — nunc quidem res ut sunt, nunc aliler inluetur nunc simpliciter nunc, romposite,
nunc disiuncla coniungit nunc coniuncta dislrahit et disiungit .... p. 97.:
Si abstrahentem tuleris intellectum, liberalium artium officina peribit .... Sie hominem
inlellectus attingit, ut ad neminem hominem aspectus illius descendat generaliter intuens,
quod nonnisi singulariter esse polest .... Dum itaquc rerum similitudines el
dissimilitudines colligit, dum differentium convenientias et convententium differenliaf
altius perscrutatur , .... mullos apud se rerum invenit Status, alias quidem univer
sales alias singulares.
XIV. Johannes v. Salesbury. 249
nicht von Gott trennen dürfe, sondern kraft deren „die Dinge vorerst
in ihre Wesenheit und sodann in das menschliche Denken eingiengen" 5<J3j.
In Folge dieser mystischen Kausalität desjenigen, was Gilbert substan
tielle Form genannt hatte, kann nun Johannes sagen, die Subslantialital
der Universalien gelte nur bezüglich des Erkenntnissgrundes (causa
cognitionis) und zugleich bezüglich des Entstehens der Dinge (>uitur<n,
denn jedes Wesen, welches in der Tabula logica auf einer je niedreren
Stufe stehe , bedürfe zu seinem Sein und zu seinem (iedachtwerden
eines anderen auf einer je höheren Stufe befindlichen Wesens; aber
ein Sein haben die Universalien weder als Körper noch als Geister noch
als Einzel-Dinge 594). So also glaubt der Anhänger Gilbert's ein Aristoteliker
sein zu können, und sowie er meint, er entgehe jener unnöthigen
Verdopplung der Wesenheilen (s. Abschn. III, Anm. 64), welche
eine Folge der platonischen Auffassung ist595), so sagt er auf das
Ausdrücklichste, dass die Universalien, welche den Dingen in ähnlicher
Weise zu Grunde liegen wie der unkörperliche Plan des Handelns den
sinnlich wahrnehmbaren Handlungen zu Grunde liegt, eben ausschliesslich
nur in den Einzel-Dingen gefunden werden, welch letztere als die
erscheinenden Exemplare (exempla) derselben sichtbar vorliegen, d. h.
Johannes vertritt — und er ist hierin der Erste , welcher diess ihut
— entschieden die Auffassung der „universalia in re" und bekämpft
sogar die platonische Ansicht der „universalia anle rem", da es ausserhalb
des Einzelnen kein Allgemeines gebe 5!}G). Da ihm aber dabei immer
593) Metal. 11, 20, p. 103.: Sed el nomina, quae praemisi , ,, incorporeum"
et ,,insensibile" universalibus convenire, privatim/a in eis dumtaxal sunt nee proprietales
aliquas, quibus nalura universalium discernalur, illis atlribuunl, siquidem nihil
incorporeum aul insensibile universale est Quid est aulem incorporeum, quud
non sit subslantia creata a deo vel ipsi cuncrclum ? .... Valeant aulcm , imo dispereant
universalia, si ei obnoxia non sunt. Omnia per ipsum facta sunt, utique tarn
subiecta formarum quam formae subieclorum Formae quoque tarn substanliales
quam accidentales habent ab ipso at sint et ut suos in subieclis operenlur effeclus;
quod itaque ei obnoxium non esl, omnino nihil est (hiezu niiluii Anm. 613.)
p. 104.: Ul enim ait Auguslinus , formatam crcavit deus materiam .... Eo spcclat
illud Boethii in primo de Trinitate ,,omnc esse ex formet est" (Anm. 37.) .... Cuilibel
ergo esse, quod est aut quäle aut quanlum est. a forma est p. 105.:
Fundamenta iecit deus , et in ipsa expressione rerum habita est menlio specierum,
non illarum dico, quas logici fmgunt non obnoxias creaturi, sed formarum, in qui
bus res prodierunt primo in- essentiam suam et in humanum intellectum demum, nam
hoc ipsum aliquid, quod coelum aul terra dicilur, formae e/fectus est.
594) Ebend. p. 97.: Quod aulcm universalia dicuntur esse subslanlialia singularibus
, ad causam cognitionis referendum est singulariumque naturam (in ähnlicher
Weise hatte Scotus Erigena von den Universalien die Ausdrücke causaliter und
effectualiter gebrauch!, Abschn. XIII, Anm. 129.); hoc enim in singulis patel, iiquidem
inferiora sine superioribus nee esse nee intelligi possunl Quia ergo
tale exigil tale et non exigilur a tali tarn ad cssenliam quam ad nolitiam , ideo
hoc illi substanliale dicitur esse ; idem esl in individuis , quae exigunt species et
genera , sed nequaquam exiguntur ab eis Universalia tarnen el res dicuntur
esse et plerumque simpliciler esse, sed non ob hoc aut mulci corporum aut subtüitas
spiriluum aut singularium discreta essenlia in eis attendenda esl.
595) Ebend. p. 98.: Itaque detur, ul sint universalia aut etiam ul res sint,
si hoc pertinacibus placet; non tarnen ob hoc verum ml, rerum numerum augeri vel
minui pro eo, quod ista non sunt in numero rerum.
596) Ebend.: Nihil autem universale est nisi quod in singularibus invenitur . . . .
250 XIV. Johannes v. Salesbury.
der Gilbert'sche Begriff der substantiellen Form vorschwebt, so ist es
erklärlich , dass er an jene aristotelischen Stellen sich hält, in welchen
Gattungs- und Art-Begriff als etwas Qualitatives bezeichnet werden597).
In diesen qualificirenden Formen erblickt er die „Hand der Natur",
welche die Dinge in die Formen einkleidete, damit der Mensch sie
leichter erfassen könne, und darum tritt nun die prima xubslanlia des
Aristoteles, d. h. das Individuum, in den Vordergrund, von wo aus das
Denken für sich allein zu dem Allgemeinen der Art- und der Gatlungs-
Begriife sich mittelst der Formgleichheit des Einzelnen (conformüas, s.
diesen Begriff bei Gilbert oben Anui. 474) in aufsteigender Linie er
hebt 598), und sowie Johannes hiebei wieder mit der Indifferenz-Lehre
zusammentrifft, so gehraucht er auch in dieser Beziehung selbst den
Ausdruck „con/örmis slalus" 5"). So wird die Formgleichheit der
Nee moneat, quod singularia et corporea exempla sunl universalium et incorporalium;
quum omnis ratio gerendi incorporea sit et insensibilis , illud tarnen quod geritur et
aclus quo geritur plerumque sensibilis sit (auch dieses erinnert an die Bedeutung,
welche Scotus Erigena in das Wort „agere" legt, s. Abschn. XIII, Anm. 131.).
p. 108.: Habita tarnen ralione aequinocationis , qua ens vel esse dislinguitur pro
diversitate subiectorum, species et genera ulrumque non sine ratione esse dicuntur.
Pcrsuadet enim ratio, ut ea dicanlur esse, quorum exempla conspiciunlur in singularibus
, quae nullus ambigit esse. JVon autem sie dicuntur genera et species exemplaria
singulorum, ut iuxta Plalonici dogmalis sensum formae sint exemplares, quae
in menle divina intelligiliiliter constilerint , anlequam prodirent in corpora (dicss ist
die Stelle Priscian's, s. Anm. 263.), sed quoniam, si quis eius , quod communiter
concipitur imdHp hoc nomine ,,homo" aut quod deßnilur, cum dicitur httmo esse animal
rationale mortale, quaerat exemplum, slatim ei tlato aliusve hominum singulorum
ostendilur, ut communiter signiftcantis aut definientis ratio solidetur.
597) Ebend. p. 100.: Item Aristoteles, genera, inquit, et species circa substantiam
qualilalem determinant (Cal. 5, s. Abschn. IV, Anm. 476.) — item in
Elenchis (c. 22, bei Boeth. p. 750. in etwas abweichender Uebersetzung , s. Anm.
34.) ,,homo et omne commune non hoc aliquid, sed quäle quid vel ad aliquid aliquo
modo vel huiusmodi quid signiftcal" et post pauca „manifestum, quoniam non dandum,
hoc aliquid esse, quod communiler praedicalur de omnibus, sed aut quäle aut
ad aliquid aut quantum aul talium quid significare". Profecto quod non est hoc ali
quid, siyni/icatione expressa non polest explanari quid sit.
598) Polycr. II, 18, p. 98.: Et primo substantiam , quae omnibus subest, acutius
inluetur (sc. inlcllectus) , in qua manus naturae probalur arliftcis , dum eam
variis' proprielatibus et formis quasi suis quibusdam vestibus induit et suis sensuum
perceptibilibus informal, quo aplius possit liumano ingenio comprehendi. Quod igilur
sensus percipit formisque subiectum est, singularis el prima substanlia est ; id vero,
sine quo illa nee esse nee intelligi polest , ei substanliale est el plerumque secunda
substantia nominatur — Universale, si, licet non natura, conformilate tarnen sit
commune multorum, quod forte facilius in intelleclu, quam in natura rerum, potent
inveniri, in quo genera et species, differcntias , propria et accidentia, quae utüversaliter
dicuntur, planum est inveniri, quum in actu rerum substantiam universalium
quaerere exiguus fruclus sit et labor infinitus , in mente vero uliliter et facillime
reperiuntur. Si enim solo rerum numero di/ferenlium substantialem simitiludinem
quis mente perlraclet, speciem lenet; si vero etiam specie differentium convenientia
menti occurrat, generis latitudo mente diffundilur; denique dum rerum, quas naltira
substantialiter vel accidenlaliter assimilavit, conformitatem percipit intellectus, uni
versalium comprehcnsione movetur p. 99.: Numquid abstrahens intellectus, dum
haec agil, otiosus est aut inutilis , per quem animus honestarum artium gradibus
ad thronum consummalae philosophiae conscendit?
599) Enthet. v. 849 ff. : Est Individuum, quidquid natura creavit , Conformisque
XIV. Johannes v. Salesbury. 251
Dinge mit der Gemeinschafllichkeit des Gedankens (intMeclus communitas,
communüer intelligi) in unmittelbare Verbindung gebracht600),
die Universalien selbst aber als solche lediglich in die Erkenntnissweise
(modus inlelligendi, was selbst mit der Lehre von der maneries über
einstimmt, s. Anm. 88) verlegt, wornach sie „figürliche" und nur der
„Doctrin" angehörende Worte (auch die Nominalisten hatten von figura
locutionis gesprochen, s. Anm. 81) oder kurzweg „Pigmente" genannt
werden, welche zu den Einzel-Dingen in dem Wechselverkehre des
Zeigens und Gezeigtwerdens stehen und darum von Aristoteles füglich
als „monslra" (— monslrare —) bezeichnet werden konnten601).
Diese Auffassung der (Jniversalien aber ist nun allerdings so dehn
bar, dass Johannes in den Begriff des Pigmentes auch das psychologi
sche Erfassen der Urbilder (exfmplaria) , welche in mystischer Weise
aus den Dingen (exempld) auf die Seele wirken , verlegen kann und
hieliei seinen eklektischen Synkretismus deutlich genug ausspricht, in
dem er neben jenem nominalistischen Anklänge die Universalien mit
einem an Scotus Erigena (s. unten Anm. 613) erinnernden Ausdrucke
als psychologische Erzeugnisse (phunlaslax) bezeichnet, hiemil aber zu
gleich die stoisch-ciceronische Auffassung verbindet, wornach dieselben
subjective Begriffe (JWotou, noliones, s. die oben Anm. 64 angeführte
Stelle) sind, und ausserdem noch sehr merklich an den Platonismus
hinüberstreift oder wenigstens mit Gilbert übereinstimmt, insoferne auch
ihm die (Jniversalien als die aus den Aehnlichkeiten der Einzel-Dinge
hervorleuchtenden Spiegelbilder einer ursprünglichen ideellen Reinheit
gelten, womit schliesslich noch der Aristotelismus sich vermischt, da
diese Phantasie -Gebilde eben keine von den Einzeldingen gelrennte
Existenz besitzen, sondern, wenn man sie so festhalten wollte, wie
Schatten oder Traumbilder entschwinden 602). Wenn es nun in der
est rationis opus; si quis Aristotelem primum non censet habendum, Non red-
Ail meritis praemia digna suis.
600) Metnl. II, 20, p. 98.': Ergo quod mens communiler intelligit et ad singularia
mulla aeque perlinft, quod vox communiler significul et aeque de mullis verum
est, indubilanter universale est. p. 107.: Secundum intellectum illum deliberari polest
de re subiecta, i. e. aclualiter exemplificari ob inlellectus communitatem , et res,
jtiae sie intelligi polest, elsi a nullo intelligatur, dicilur esse communis; rcs enim
sibi conformes sunt , ipsamque conformilalem deducla rerum cogitatione perpendit
mtellectus.
601) Ebend. p. 107.: Ergo dwnlaxat intelliguntur secundum Aristotelem unitersalia,
sed in aclu rerum nihil est, quod sit universale; a modo enim inlelligendi
ßswalia haec et licenler quidem et doctrinaliter nomina indita sunt. p. 108.: Ergo
ex sententia Aristotelis genera et species non omnino quid sit, sed quält quid quodammodo
concipiuntur et quasi quaedam sunt ßgmenla rationis se ipsam in rerum
inqttisitione et doctrina subtilius exenenlis Possunt et monstra dici (in Bezug
auf die bekannte antiplatonische Stelle des Aristoteles, s. dieselbe oben Anm. 31.),
jwtniam invicem res singulas monslrant et monstranlur ab eis. III, 3, p. 127.:
Ea uero, quae intelligunlur a singularibus abstracto, .... animi figmenta sunt, ....
quae ex conformilalc singularium intellectu non casso concipiuntur.
602) Ebend. H, 20, p. 96.: Sunt itaque genera et species non cfuidem res a
singularibus actu et naluraliler alienae, sed quaedam naluralium et aclualium phanfcsiae
(anch dieses Wort findet sich gleichfalls — vgl. Anm. 594. u. 596. —
bei Scotus Erigena, s. Abschn. XIII, Anm. 125.) renitentes intellectui de similitu
252 XIV. Johannes v. Salesbury.
Thal kaum möglich scheint, mehr Widersprüche aufeinander zu häufen,
als hier sich zusammenfinden, so müssen wir uns freilich daran erin
nern, dass Johannes Akademiker zn sein behauptete, und ihm der Vorzug
der aristotelischen Speculationsweise nicht so fast in der Wahrheil der
selben, sondern nur in einer gewissen Angemessenheit zu liegen schien
(Anm. 589). Keiuenfalls aber darf es uns wundern, wenn nun auch
die oben (Anm. 598) sehr betonte „individuelle Substanz" des Aristo
teles neben aller Berufung auf den Grundsatz, dass das der Natur nach
Spätere für den erkennenden Menschen das Frühere ist, dennoch unter
den Händen des Johannes in eine sehr unaristotelische Wendung hinfibergelenkl
wird ; denn derselbe denkt auch hiebei nur an jenen Creations-
Process , welchen Gilbert bis zur Individualität (nicht bis zum In
dividuum) fortgesetzt hatte (Anm. 462), und in solchem Sinne stellt er
den Begriff des Individuums den Gatlungs- und' Art- Begriffen völlig
gleich603), — eine Auffassung, welche uns daran erinnert, dass schon
Abälard das „Individuum" gewissermaassen zu den Universalien zählen
wollte (s. Anm. 278). Ja, während Johannes gesagt hatte, in der
Logik sei Aristoteles der Führer, stumpft er vermöge seiner rhetorischstoischen
Auffassung der Universalien sogar jenes Partei-Schibolet ab,
welches stets die Aristoteliker den Platonikern entgegenhielten, neulich
den Satz „res de re non praedicalur" (s. Anm. 132 u. 287), denn er
meint, wenn auch nicht das Ding selbst als solches in den Urlheilen
sich befinde, so werde doch in dem Prädicate das Ding bezeichnet,
und auf solche Weise hebe die obige duldsame Auslegung, d. h. die
Methode des Indifferentismus (Anm. 574. ff.) auch über diese Schwierig
keil hinweg °04). Zuletzt ja erklärt er sich in Erwägung der Vieldeutl/
in: Hrliiiilium tanqutan in speculo nalivae purilatis ipsius animae , quas graeci
fvvoCas sive flxoi'oifrti lag appeüant , h. c. rerum imagines in mcnle apparentes
(s. Abschn. Vlll, Anm. 3.7. u. in Bezug auf Gilberl ob. Anm. 482., die Hauptstelle
aber des Boethius ob. Anm. 64.); itnima enim quasi reverberata acie contemplationis suae
in se ipsa reperit, quod diffinit, nam et eius cxcmplar in ipsa esl, exemplum vero in
actualibus p. 97.: lila ilaque exemplaria cugitabilia quidem sunl et quasi phantasiae
et umbrae cxistentium secundum Arütotetem, quas si quis apprehendere nititur
per existentiam, quam habenl a singularibus separatam, velut somnia elabuntur.
603) Ebend. p. 109.: Quae autem communiora sunl, et priora quidem simpliciter,
nam et in aliis inlelliguntur ; quae vero singularia, posteriora; sed plerumque,
quae naturaliter priora sunt, et nolitia simpliciter ignotiora sunt nobis, namque
solida magis familiariora sunt sensibus , quae vero subtiliora, longius abstmt (Arisf.
Anal. post. I, 2, s. Abschn. IV, Anm. 74.) ... Sunt itaque yenera et species exem
plaria singulorum, sed hoc quidem magis ad ratianem doclrinae, si Aristoteles verus
est, quam ad causam essentiae. Procedit et haec monstruosa, ut licentius loquar,
figmentitrum speculalio usque ad ventilationem 'singulariam Quum enim Plaio
esse non possit informis et expers loci aut temporis, eum ratio quasi nitilum deducto
respeclu qtianlltatis et qualitatis aliommque accidentium simpliciter inluetur et
Individuum nominal; sed et hoc ulique doctrinalis instanliae et subtilioris agitaiionis
figmentum est; nihil enim tale in rebus occurrit,- täte quid tarnen /ideliter inteUigitur.
604) Ebend. p. 111 f.: Hoc ipsum ergo quod dicitur „praedicari", ab adiunctis
plures significandi contrahit modos Nam quum sermo de sermone iungibilitatem
quandam terminorum verac affirmationis innuit, quum de re sermo dicitur
praedicari, ostendilur, quod et talis nuncupalio aptalnr. Kern vero de re praedicari
XIV. Johannes v. Salesbury. 253
ligkeit der Worte auch noch damit einverstanden, dass man die Univer
salien selbst Dinge nennen könne605), wobei wir allerdings aus dieser
äussersten wissenschaftlichen Gleichgültigkeit den Eindruck empfangen,
als sei es überhaupt nicht der Mühe werth gewesen , uns um die Ein
sicht in die Meinung des Johannes bezüglich der Universalien so sehr
zu bekümmern.
Nach dem Bisherigen, was über den allgemeinen logischen Stand
punkt des Johannes sowie über seine Stellung zu der hauptsächlichsten
Parlei-Conlroverse anzugeben war, ist von vorneherein nicht zu erwarten,
dass er in den übrigen Haupltheilen der Logik, obwohl ihm auch die
Kemilniss der Analytiken zu Gebot stand, eigentlich einen förderlichen
Einfluss ausgeübt habe; und es sind auch im Ganzen nur wenige ein
zelne Punkte, welche wir hervorheben müssen.
Was hiemil zunächst die Kategorien betrifft., so tritt erklärlicher
Weise hier wieder mehr die Auffassung des Gilbert in den Vordergrund,
und es stimmt völlig mit demselben überein, wenn Johannes diesen
Zweig der logischen Erörterungen, welchen er als „praedicamentalis
inspeclio" bezeichnet, hauptsächlich in die Erwägung des Was (quid)
und der qualitativen Bestimmtheit (praprietales, vgl. Anm. 459) und der
Gegensätzlichkeit verlegt, wobei er die Beschränkung auf das Natürliche,
d. h. auf dasjenige , was Gilbert (Anm. 464) nutirum genannt hatte,
einhält 606). Hiemil aber verbindet sich ihm der Standpunkt Abälard's
(s. Anm. 272), dass in den Kategorien es sich um die einfachen unverbundenen
Sprachausdrücke handle, insoferne dieselben an sich „be
zeichnend" sind601). Die Erörterungen über univocum, aequivocum
u. dgl. nennt er, hierin dem Isidorus folgend, Werkzeuge der Katego
rien608), und es liegen ihm dieselben wegen seiner steten Berücknterdvm
nolat , quoniam hoc eil hoc , ul puta Plato homo , aHardvm quoniam hoc
parlicipat hoc, utpote subieclum accidente. Nee erubesco con/ileri, quod res de re
praedicetur in propositione , elsi res in proposilione ton sit , quum hoc in mente
miki tersetur, quod res signi/icelur praedicalo termino verae afßrmalionis, euius subitcto
aliqua de re agitur aut res aliqua significalur. Itaque non adversandum tillerae
arbiträr, sed amicandvm eique mos gerendus est in admittenda licentioris verbi in-
<ü/ferentia.
605) Ebend. p. 112.: Sed et rei nomen latius pateal , ul possil universalibus
convenire, quae sie auclore Arislotele intelliguntur abstracta a singularibus, ut (amen
esse non habeant deduclis singularibus. So erklärt sich dann freilich der aben
teuerliche Ausdruck „res praedicamentalis", Anm. 574.
606) Ebend. IV, 30, p. 187.: Esl aulem praedicamentalis inspeclio el prima
fere philosophandi via, de qualibet re proposita quid sil attendere , itemque quibus
proprietalibus ab aliis differal el quomodo aliis conformelur, deinde an sil ei quid
wnlrarium el an ipsum susceplibile contrariorum ; quae quum innotuerunl, res familiarius
assignala in noliliam. Iransil. Polycr. IV, frei. p. 218.: Est ergo primus
fkilosophandi gradus, genera rerum proprietalesque disculere, ul quidquid in singulis
eerum sit, prudenler agnoscal. Ebend. II, 22, p. 121.: Denique apud philosophos
i au! HUI est, talia manere praedicata, qualia subiecla permiserinl , omniumque praedicamentalium
rim et proprietatem naturalium ftnibus limitari.
607) Metal. III, 2, p. 119.: Categoriarum liber Aristolelis elementarius est el
accedentis ad logicam quodammodo infantiam excipit; traclal enim de sermonibus incomplexis
in eo, quod rerum signi/icalivi sunt, quo nihil prius est apud dialecticum.
Vgl. hingegen Anm. 578.
608) Ebend.: Univocorum quoque et denominativorum adeo necetsaria est cogni
254 XIV. Johannes v. Salesbury.
sichtigung der Vieldeutigkeit der Worte ganz besonders am Herzen,
obwohl er wie wir sahen (Anm. 577), durch seinen Indifl'erentisnaus
gerade auch diese Begriffe abschwächte oder verwischte ; das mullivocwm
und diversivocum will er überhaupt lieber der Grammatik zu
weisen B09). Jene „Bezeichnung des Unverbundenen" (significatio incomplexorum)
soll durch zwölf Fragen zur Erkenntniss gelangen, deren
erste das „Ob" ist, worauf zehn Fragen entsprechend den Kategorien
folgen, und als zwölfte das „Warum" den Schluss macht; letztere je
doch fällt in ihrer Beantwortung dem göttlichen Wissen anlieim und
geht somit über die Philosophie hinaus, welche sich mit den ersten
elf begnügt, wovon die erste wieder nicht zur Logik gehört; indem
aber die Logik den Umkreis des Gewordenen (d. h. Gilbert's nativum)
durchforscht, findet sie für ihre zehn Fragen die zehn Kategorien vor,
welche als Sprachausdrücke für das in den concreten Dingen Verfloch
tene (Anm. 469) „aasgedacht" sind, und so haben die zehn „genera
praediculiilium" völlig gleichmässig in den Aussagen und in den Dingen
(sive in sermonibut sive in rebus) ihren Umkreis 6 ' °). Während so
die Hauptfrage dein Johannes auch hier wieder gleichgültig ist, legt er
ein grösseres Gewicht auf jenen Einen Beispiel-Salz, in welchen Alcuin
alle zehn Kategorien gebracht hatte611), und entscheidet sich auch darin
für Gilberl's Auffassung (Anm. 481 f.), dass er selbst einer aristoteli
schen Stelle gegenüber die Behauptung festhält, dass sämmtliche Kate
gorien nur zur Erkenntniss des Wesens, d. h. des „Was", dienen612);
tio, ut ttaec tria, scilicet aequivoca, univoca et denominativa, asserat Isidorvs
calegoriarum inslrumenta (s. Abscbn. XIII, Anm. 32.).
609) Ebend. 3, p. 123.: Multivoca et diversivoca, quae Boethius ailiir.it (s.
Abscbn. XII, Anm. 88.), magis ad grammalicam pertinent.
610) Ebend.: Incomplexorum significatio innotescit Primo quidem nosje
de aliquo, an sil, deinde , quid, quäle, quantum, ad quill, übt, quando sit, quomodo
silum, quid habeat, faciat, patialur; novissima speculatio est in singulis,
quare iit , et quae iam non modo ad angelicam perfectionem, sed ad divinae maiestatis
praerogativam accedit .... (p. 124.) Cumulus itaque scientiae in hoc duodenario
solidatur; investigatio philosophica undenarü sobrietate contenta est; porro
logicus dccem instilutionis suae elemenla cognoscit Sed quia naturalium prima
est inquisilio , in ipsa primo dccem praedicamenta formata sunt excogitatique sermones
, quibus de his, quae primo occurrunl sensui aut intellectui, qualia sint Corpora
aut Spiritus, quid, quantum el quäle esset, aut secundum ceteras quaestioncs naturaliler
procedentes , dcclaretur unumquodque eorum; unde et praedicamenla dictn
sunt, sive in sermonibus sive in rebus, decem genera praedicabilium , quae sie ad
singulares individuasque substantias applicantur.
611) Ebend. p. 126 f.: Isidorus , Alcuinus et quidam alii sapienlum
sententiam plenissimam praedicamcntorum absttiutione perßciunt, ut in hoc eorum
patet exemplo, s. Abschn. XIII, Anm. 57.
612) Ebend. p. 126.: Omnia ergo genera speciesque subslantiarum et qualitalum
aliorumque primo ingerunt praedicamento , quoniam appositione generts speciei
primae satisftt quaestioni, i. e. declaratur de aliquo, quid ipsum sit Hoc quidem
ab Aristotele videtur alienum; ait enim: nun folgt die oben Abscbn. IV, Anm.
324. angeführte Stelle Top. I, 9 in einer von Boethius (p. 666.) etwas abweichen
den Uebersetznng (s. Anm. 34.); hierauf: Equidem non hie videtur auctor exprimere
, quod in eodem praedicamento, ctsi eundem modum habeant pracdicandi, sint
omnia genera, aul quod novem genera accidenlalium rerum non praedicenlur de sttbslanliis,
aut quod eodem modo praedicenlur de subicclis et de conlenlis suia.
XIV. Johannes v. Salesbury. 255
ja für die Gilberfsche Annahme (Aniu. 462 u. bes. 479), dass die in
dividuellen Bestimmtheiten die Totalität der Substanz betreffen, beruft
er sich sogar auf den Üionysius v. Areopag, d. h. auf Scotus Erigena613).
Indem er aber, wie gesagt, die ontologische und die logi
sche Seite völlig naiv parallelisirt, bringt er jene Verflechtung der concreten
Dinge, gleichfalls wie Gilbert (Anni. 472), in eine Verbindung
mit der Grammatik, indem die Substanz dem Substantivum, die übrigen
Kategorien aber als Ingredienzen der Eigentümlichkeiten dem Adjectivum
entsprechen sollen , und wegen der auf alle concreten Wesen
sich erstreckenden Kategorie des Thuns und Leidens oder der Bewegung
(Anm. 464 u. 489 f.) sieh notwendiger Weise das Verbum ein
stellt614).
In der Lehre vom Urtheile, für welche Gilberl's Ontologie Nichts
darbot, schliesst sich Johannes offenbar theilweise an Abälard an, denn
er spricht nicht bloss wie Jener (Anm. 314 ff.) von dem wechselsei
tigen Erwecken der Gedanken durch die RedeC15), sondern insbeson
dere gilt auch ihm (vgl. bei Abälard Anm. 330 u. bes. 382) das Wahr
sein und Falsch-sein als eine blosse Modalität, welche bei den Dingen,
bei den Gedanken, und bei den Aussagen eintrete1'16). Hingegen he-
613) Ebend. II, 20, p. 106. : .Sie el quodlibel aecidens in lato sui subiecto est
totaliler, scd totius partialitcr , si pro parle, et quodlibet subiectum accidentis sui
IMtibus coaequatur; hoc idem de generibus et speciebus protestari non vereor; quin
mundo reclamante dicam, quoniam a deo sunt aul omnino nihil sunl (s. Anm. 593.) ;
rliuii'il mecum el Dionysius Areopagila et numerum, quo disccrnuntur , pondus quo
staluunlur, mensuram qua diffiniuntur omnia, dei dicil imaginem (vgl. Abschn. XIII,
AI»«. 139 f.). Andere Anklänge aus Scotus Erigena s. oben Anm. 602.
614) Ebend. I, 14, p. 36.: Subslantiis omnibus sua quasi impressa sunt nomina;
sed quuniam ipsarum multae sunt di/ferentiae, aliae quidem a quantitate, aliae
a qualitale, aliae a variis accidentium formis , item aliae ab Ins quae familiariora
sml et ad esse conducunt; idcirco quibus hoc designaretur, nomina sunl invenla,
quae possent adiici subslantivis et eorum mm el naluram quodammodo depingerent.
Sicut enim accidenlia subslantiam vestiunt et informanl, sie qttadam proportime
ralionis ab adieclivis subslanliva informanlur .... Pro eo, quod substantia, quae
sensui aul rationi obiicitur , sine motu, quo agendo vel patiendn aliquid temporaliter
movetur, esse non potesl, idco ad designandos motus corporales agenlis aul patientis
excogitala sunl verba.
615) Enthel. v. 497 ff.: 4er subtilis, quem guttur formal et oris Organa, qui
sonitu possit ab aure capi, Vox est, quae reseral uni , quid cogitet alter, Inque
ticem reddii pervia corda sibi. Melal. I, 19, p. 49.: Sermo inslilulus est, ul exflicet
inlellectum.
616) Melal. IV, 33, p. 190.: l.ocutio, quae vera dicilur, a modo, quem innuit,
mtidalis appcllatur; item opinio vera a modo percipiendi et ratio vera a qualitale
examinis sui; res quoque singulae verae dicunlur, dum in his taliler percipiendis
nullius imaginis phantasmate circumvenialur opinio. Ebend. 36, p. 196.: S«
enim rem sie esse ul est, aul non esse ul non est, comprehendil (sc. intfllectus)
iudicio cerlo et ßdeli usus est; sin autem vel non esse quod est, vel esse quod non
est, opinatur, procul dubio fallitur et errat; idem quoque est in sermonibus ; res
aulem, quae se ipsatn , proul est, inlellectui subiicit , vera est; quae aliter, vana
et falsa. Ergo a modo percipiendi .... convincitur veritas aut falsilas turn opinionum
SMOTO rerum, sermonum vero o modo signiftcandi. Enthet. v. 405 ff. : Hinc aliud
verum rerum connexio monstrat , Quam sine compositis nemo videre potesl; Est inleUeclus
verus, quia concipit ipsam; Sicque triplex veri diclio rebus inest; Est sermo
verus, quoliens designat eandem, Si se res habeant, nt dato verba ferunt.
256 XIV. Johannes v. Salesbury.
züglich des sug. unbestimmten Urtheiles (vgl. Amn. 351) nimmt er den
Standpunkt ein, dass dasselbe für das Erkennen untauglich sei6.1").
Jene Urlheilsformen, welche der Grammatik angehören und uns oben
lAimi. 207) unter dem Namen „malerialiter imposila" begegneten, be
zeichnet er als „secunda imposüio" 6 ' 8) , und er warnt bei dieser Ge
legenheil vor dem logischen Missbrauche, welcher mit solchen Urtheilen
durch sophistische Witze gemacht werden kann, dabei die Probe eines
absichtlich gebildeten unsinnigen Satzes gebend"19). Bemerkenswert!!
ist, dass er ebendorl die „Syncalegoreumata" (s. Anm. 174, 206, 348)
erwähnt, jedoch in einer Weise, wornach er nicht geneigt scheint,
denselben für die Logik eine Bedeutung zuzugestehen, da er sie eben
jenen grammatischen Bezeichnungen gleichstellt, welche als blosse se
cunda imposilio nicht leicht wieder auf den primären dinglichen Si.un
zurückangewendet werden können Ü2°).
Aus dem Gebiete der Topik mag etwa erwähnf werden, dass Jo
hannes in den Erörterungen des Aristoteles über den Gattungsbegriff
eine Ergänzung und Berichtigung der Angaben des Porphyrius erblickt021),
sowie dass er im Hinblicke auf die maximae praposüiones (s. Abschn.
XII, Anm. 138) ähnlich wie Boethius die Festigkeit des mathematischen
Beweis- Verfahrens hervorhebt 622).
In der ersten Analytik findet er nicht bloss bei den Formen des
kategorischen Schlusses eine Unvollsländigkeit , welche durch Spätere
gehoben worden sei (Abschn. XII, Anm. 136), sondern sagt auch be
züglich jener Schlüsse, welche aus Combitialionen kategorischer Urlheile
617) Melal. II, 20, p. 101.: Omnis itaque dictio, quae non satis proprie
ponitur aut cerlo et iua ratione definito innititur subiecto; alioquin suo privabilur
ofßcio, quum ratio cognitionis ci'rtitudinis finem quaerat aut teneat.
618) Ebend. l, 15, p. 37.: Procedat ralio ad secundae impositionis originem.
Rebus itaque qunm nomina primitus essen! imposila, reversus ad se unnnu* imponentis
ipsis nominibus vocabula indidit, per quae sermonum Ergo diclum est nomen substmtivum , adiectivum, .... vdeorcbtruimn.a procederet.
619) Ebend. p. 40.: Al/usio est, si quis dicat ,,equus desinil in S" et similia;
item ,,Cato sedens inter Janiculum et calendas Martias (es erinnert diess un
willkürlich an den Volkswitz der Augsburger: „Zwischen Pfingsten und dem Klinker-
Thor") vesles populi Romani quaternario aut senione resarcit" aut sermo non est aut
quot'is sermone nugatorio corruptior.
620) Ebend. 16, p. 43.: Et qtiidem, quae u rebus sumpta sunl, ad res redire
possunt, sed quae inrenta sunl , ut rerborum indicent qualitatem, non eadem commoditate
rel usu devocantur, ul rerum indicent qualilnlem; videntur enim aliquid haben
iimile mm his generibui verbofum, quae graece syncategoremata appellantur, eo quod
sicut Muni m ab adiunctis aut est aut perpenditur signißcatio, sie ista originis stiae
sociata sermonibus suum commodc cxcitanl inlellectum , alio vero traducta retut natitnili
viyore destiluta evanescunt vel absona sunt.
621) Ebend. III, 7, p. 140.: Hoc tarnen ab Arislolele (Top. IV, l—6.), quoniam
Porphynus, quem parvuli sequuntur, aliud docitit, adiiciendum pnto , quoniam
sicut genus univoce et non denominatne , sie nee secundum quid praedicalur; und«
constal, corpus non esse genus animalis Sed minutiores philosophi cttm Porphyrio
vulgi sequunlur opinionem, qui fere id solum consuevil approbare , quoii senitbus
palet.
622) Polycr. VII, 7, p. 103.: Sie et geomelriae prima petitiones quasdam quasi
totius artis iaciunt fundamenta, deinde communes animi conceptiönes adiiciunt, et
sie quasi aeie ordinata ad ea, quae sibi sunt demonstranda, pfocedunt.
XIV. Johannes v. Salesbury. 257
mit Nolhwendigkeils- und Möglichkeits-Urtheilen bestehen (Absehn. IV,
Aum. 558 ff.), dass dieselben von Aristoteles nicht erschöpfend darge
stellt seien , und hiemit noch für Andere hier eine Thätigkeit übrig
bleibe, welche jedoch für das bestehende praktische Bedürfniss der
artiger Schlussweisen praktisch Bequemeres liefern solle623), — ein
Gerede, welches auch seinerseits selbst auf obige benigna inlerpretalio
Anspruch machen zu müssen scheint. Aehnlich spricht er sich über
die hypothetischen Schlüsse aus, welche vielleicht Aristoteles wegen
ihrer Schwierigkeit absichtlich weggelassen habe; doch sei neben einer
Hinweisung auf diese Syllogismen, welche schon in der Topik vorliege,
insbesondere Eine Stelle der Analytik die Veranlassung gewesen , dass
Boelhius und Andere die Lücke ergänzten, obwohl auch durch diese
noch nicht die wahre Vollständigkeit erreicht worden sei 624). Dass
Jobannes auch bei der Analytik nur den praktischen Zweck der Argu
mentation im Auge hatte, zeigt sich bei seiner Erwähnung der petillo
principii 625), sowie einiger anderer technischer Momente, unter welchen
er für das Verfahren des Gegenbeweises die Terminologie „catasyllogismus"
wählt e2ti). Aus der zweiten Analytik konnte er die Kennlniss
623) Metal. IV, 4, p. 160.: Trium figurarum subneclit raliones (sc. Aristoteles)
... el qui modi in singulis fiyuris ex complexione extremitalum proveniant, docet,
daltt qmdem semente rationis eorum, quos sicul Boethius asserit (die Stelle ist oben
Alisclm. V, Anm. 46. angeführt) Theophrastus et Eudemus addiderunt. Deinde habila
modalium ralione transit ad commixtiones , quae de necessario sunl aut contingenti,
mm his quae sunl de tnesse Nee tarnen dico , ipsum Arislolelem alicubi,
quod legerim, nisi forle quod ad proposüum, de modalibus sufficienler egisse , sei,
procedendi de omnibus fidelissimam scienliam tradidil; expositores vero divinae pajinoe
rationem modorum pernecessariam esse dicunt .... Et profecto licet iiullus
modos omnes, unde modales dicuntur , singulatim enumerare sufficial , quod quidem
nee ars exigit, tarnen magislri scholarum inde eommodissime dispulant et, ul pace
multiludinis loquar, Aristotele ipso commodius. Vgl. Anm. 220.
624) Ebend. 21, p. 177.: Dialecticam et apodicticam ... . praecedcntia docent.
In iis tarnen de hypotheticis syllogiimis nihü aut parum est actitatum, seminartum
tarnen datum esl ab Aristotele, ut ei istuc per induslriam aliorum possit esse proetstus:
Quum enim tarn probabilium quam necessariorum loci monstrati sint, osten-
•*("« est, quid ex quo sequalur probabiliter aut necessario , quod quidem ad hypotheticorum
iudicium maxime spectat Praelerea Boelhms (De syll. hyp. p. 609.)
hoc pro seminario inveniendorum dicit acceptum, quod Aristoteles ait in Analylicis
(s. oben Anm. 522.) ,,idem quum sit et non sit, non necesse est idem esse." Ergo
ipse el alii (s. Abschn. XII, Anm. 139.) aliqualenus suppleverunt imperfectum Aristotelem
in hac parte, sed quidem ul mihi visum eit, imperfecte. (Inwieweit Letz
teres richtig sei, s. ebend. Anm. 155. n. 163.) .... Sed fürte ab Aristotele de industria
reliclus est hie labor, eo quod plus difficultatis quam ntililatis videtur haben
liber illius, qui diligentissime scripsit; profecto si hunc Aristoteles more suo exseqvetelur,
verisimile est, tantae difficullatis fore librum, ul praeter Sibyllam intelligat
«emo. Nee tarnen hie de hypolheticis satis arbiträr expeditum, supplementa vero
scholarum perutilia et necessaria sunl.
625) Ebend. 5, p. 161.: Adiicil (Anal. pr. II, 16., s. Abschn. IV, Anm. 628.)
ft regulam petitionis principii, quae speculalio tarn demonstratori quam dialeclico
satis accommodata est, licet hie probabililale gaudeal, üle veritatem dumtaxat ampleetatur.
626) Ebend. p. 162.: Sequitur de causa falsa eonclusionis , ut catasyllogismi
(so ist auch wirklich in der Ueberselznng dos Boetbius p. 516. das betreffende
Capitel überschrieben, Anal. pr. H, 19., s. Abschn. IV, Anm. 631.) et elenchi (ebend.
Anm. 632.) et de fallacia secundum opinionem (ebend. Anm. 634 f.) et de conver-
PBANTL, Gesch. II. 17
258 XIV. Johannes v. Salesbury. Alauns v. Lilie.
der sog. vier aristotelischen Principien schöpfen627), und ausserdem
wurde auch er auf die erkenntniss-theoretischen Fragen geführt, welche
er jedoch weit schlechter erörtert als der Verfasser De inlelleclibu*
(Anin. 418 II'.), denn auf einen noch ziemlich aristotelisch klingenden
Anfang, weicher die Siimeswahrnehuiung, die Einbildungskraft und ilie
Meinung betrifft, folgt sofort der ciceronische Begriff der praktischen
Klugheit, worauf sich Plato's Auffassung der Vernunft (rah'o) anreiht,
um zuletzt zu der theologisch verstandenen Weisheit (saptenlia) als
endlichem Ziele zu führen"28).
Auch aus den Soph. Elenchi, welche Johannes an den Schluss des
aristotelischen Organous stellte, dürfte höchstens die Terminologie ,,nluclalorius
Syllogismus'1 erwähnenswerlh sein629), sowie aus dem Um
kreise der Schriften des Boelhius die Erwähnung der fünfzehn Arten
der Definition (s. Abschn. XII, Anm. 107), wobei die oberflächliche
Lectüre des boelhianischen Buches den Johannes auf die Meinung brachte,
auch Cicero habe eine Schrift De definitione verfasst Ü3°).
Einige Verwandtschaft mit Johannes von Salesbury zeigt bezüglich
der theologischen Onlologie der ebenso geschmacklose als affeclirte
Alanus von Lilie (gest. um 1200), insoferne Beiden die Auffassung
des Gilbert Porretanus in solchen Fragen als gemeinschaftlicher Aus
stone mi'ilii et extremorum (ebend. Anm. 636 f.), ruhis tarnen tola utilitas lange
commodius tradi polest.
627) Enlhet. v. 375 ff. : Quatuor isla solcnt laudem praeslare crealis, Subieclum,
species , arlißcisque manus , Finis item cunctis qui nomina rebus adaptal. Arist.
Anal. post. II, 11., s. Abscbn. IV, Anm. 696. Es war demnach völlig unoötbig,
wenn man die Vermutbung aufstellte, Johannes habe die Bücher der Metaphysik
gekannt.
628) Metal. IV, 9, p. 165.: Quum sensus secundum Arislotelem {Anal. poil. II,
19, Abschn. IV, Anm. 51.) sit natmalls potentia indicativa rerum, aut omnino non
est aul vix est cognitio deficiente sensu — p. 166.: Aristoteles autem sensum potius
vim animae asseril, quam corporis passionem, 10, p. 167.: Imaginatio itaque a
radice sensj»wm. per memoriae fomitem orilur. 11, p. 168.: Primum enim iudicium
viget in sensu, .... secundum vcro imaginalionis est, ul quum aliquid perceptorwn
retenta imagine täte vel tale asserit de futuro iudicans vel remolo ; hoc autem alterulrius
iudicium opinio appellatur (so ist äö^it bei Boethius übersetzt, s. oben Anm.
19.; hingegen existimatio s. Anm. 423.). 12, p. 169.: Prudeiitia autem est, ut
ail Cicero, virlus animae, quae in inquisitionc et perspicientia solerttaque veri versatur.
13, p. 169.: Inde est, quod maiores prudentiam vel scienliam ad lemporalium
et scnsibilium noliliam relulerint, ad spiritualium vero inlellectum et sapientiam,
nam de humanis scienlia, de divinis sapienlia dici solet. 16, p. 172.: Ergo et po
tentia et potentiae molus ralio appellatur; hunc autem motum asserit Plalo in Politia
vim esse deliberativam animae etc. 19, p. 175.: Sapientia vero sequilur intellectum,
eo quod divina de his rebus, quas ralio disculit, intellectus excerpsil,
suavem habent yuslum et in amorem suum animas intelligentes accendunt.
629) Ebend. IV, 23, p. 180.: Sicut cnim dialeclicus elencho, quem nos reluclatorium
dicimus syllogismum , eo quod contradiclionis esl, utilur etc. Vgl. Polycr.
II, 27, p. 145., woselbst unter dem Namen „cornutus" ein Dilemma angewen
det wird.
630) Melal. Hl, 8, p. 141.: Swnptenmt hinc (A. h. aus Arisl. Top. VI.) doctrinae
suae primordia Marius Victorinus el Boethius cum Cicerone, qui singuii libros
deßnitionum ediderunt ; illi quidem definiendi nomen usque ad quindecim species
dilataverunt , describendi modos definitionis vocabulo supponenles, huic vero de svbstanliali
praecipue cura esl (die Quelle dieses Irrthumes s. Abschn. XII, Anm. 103.
o. 106.).
XIV. Alanus v. Lilie. 259
gangspunkt dient. Jedoch hat Alanus den logischen Gehalt dieser Onlologie,
deren Beurtheilung oder Werthschätzung den Theologen überlassen
bleiben inuss, nicht einmal in jener Weise, welche bei Gilbert
oder etwa auch hei Johannes hervortritt, ins Auge zu fassen der Mühe
werth gefunden, sondern sich in seinem schwülstigen Gedichte „Anlidaudianus"
bezüglich der Logik auf den Standpunkt der allergewöholichsteu
Schuldoctrin gestellt, welche auch er nur als ein Mittel der
Argumentation behufs der Bekämpfung der Ketzer anerkennt 631). Indem
er die sieben Künste in ähnlicher Weise wie Marcianus Gapella als
symbolische Figuren auftreten lässi, schildert er, nachdem zuerst die
Grammatik vorgeführt war, an zweiter Stelle die Logik als eine äusserst
fleissige und strebsame Jungfrau, an deren gebleichtem Antlitze nur
Haut und Knochen zu bemerken seien, so dass man die Folgen der im
Studium durchwachten Nächte erkenne632); sodann zählt er ihre Gaben
auf, welche sie zum Kampfe für die Wahrheil mit sich bringe, und
zwar nennt er dabei vor Allem die Topik mit ihren maximae proposüiones,
in dieselbe die Syllogistik, sowie Induction und Exemplum ver
flechtend, dann folgt die Definition mit Einschluss der Beschreibung
(vgl. Abschn. XII, Anm. 9) und die Eintheilung der Gattung in die Arten
sowie des Ganzen in die Theile, und ausserdem die Wiederverbindung
des so Unterschiedenen, durch welch sämmtliche Functionen die Logik
als Werkzeug oder Schlüssel der Weisheit, sowie als Waffe für alle
übrigen Künste wirke 633). Endlich die Aufzählung der Autoren der
Logik preist den Porphyrius als einen zweiten Oedipus, tadelt die Worlverwirrung
des Aristoteles, durch welche die LogiR wieder verdunkelt
631) Anticlaud. VII, 6 (A/am Opp. ed. C. de Visch, Antw. 1654, fol. p. 394.):
Sttccedit logicae virtus arguta, tta.ec, docet argutum Hartem rationis inire , Adversae
parti concludere, frangere vires Opposilas partemque säum ratione tuen, Vestigare
fuyam veri falsumquc fugare , Schismaticos logice falsosque retundere fratres,
Et pseudologicos et denudare sophistas.
632) Ebend. III, l, p. 345.: Latius intendens sollers studiosa laborans Virgo
-secunda sludet, inirat penetralia mentis, Sollicitatque manum, menlem manus excilat,
•»ftjei Ingenium Et decor et species afflasset mrginis arlus , Sicul praesignis
membrorum disserit ordo, Ni fades quadam macie respersa iaceret; Vallal eam macies,
macie vallala profunde Subsidet, et nudis cutis ossibus arida nubit; Haec habitu
gestu macie pallore figural Insomnes animi motus vigilemque Minervam Praedical, et
secum vigiles vigilasse lucernas.
633) Ebend. p. 345 f.: Monstrat elcnchorum pugnas logicaeque duellum , Qu/tliter
ancipiti gladii mucrone coruscans Vis logicae veri fade tunicata recidit Falsa,
negans falsum veri latitare sub umbra Quid locus in logica dicatur quidve localis
Congruilas , quid causa loci, quid maxima, Quid sit vis argumenti manans a
fönte locali, Cur argumentum ßrmet locus, armel elenchum Maxima, qnae vires
proprias largilur eleneho , C«r ligel exlremos medius mediator eorum Terminus
et firmo conftbulel omnia nexu...., Qualiter usurpans vires et robur elenchi Singula
percurrit inductio, colligit omne ...., Qualiter exemplum de se paril Quomodo
deßnil, partitur, colligit, unit Singula, quae gremio cumplectitur illa capaci, Quo
modo res pingens descriptio claudü easdem Nee sinit in varios descriptum currere
i'ul/ns, Quid genus in species divisum separat, aut quid Dividit in partes totum
rursumque renodat, Quae sunt sparsa prius , divisaque cogit in unum, Qualiler ars
logicae lanquam via, ianua, clavis, Ostendil reserat aperit secrela sophiae, Qualiter
arma gerü et in omni militat arte.
17*
260 XIV. Rückblick.
und verhüllt worden sei, worauf Boethius wieder Lichl und Ordnung
in das Ganze gebracht habe 634).
Hiemit sind wir an der Gränzscheide des zwölften und des drei
zehnten Jahrhundertes angekommen, welche auch dadurch sich kenn
zeichnet , dass gerade zu jener Zeit von verschiedener Seite her dem
lateinischen Abendlande neuer Stoff zugeführt wurde, dessen Betrachtung
der Gegenstand der zwei folgenden Abschnitte sein soll, um hernach die
ausgedehnten Wirkungen des neu hinzukommenden Materiales entwickeln
zu können. Erfreuliche Gesichtspunkte bezüglich des cullurgeschichtlichen
Fortschrittes hat uns die bisher geführte Untersuchung allerdings
wahrlich nicht dargeboten. Wir haben wohl multa, aber sicher nicht
mullum an uns vorübergehen lassen. Hat ja sogar die allmälig er
wachende Kenntnis« der aristotelischen Hauptwerke kaum nennenswerthe
Früchte getragen, und an Stelle einer wahrhaft philosophischen Auf
fassung der Logik, zu welcher das Studium des Aristoteles hätte ver
anlassen können, schien zuletzt selbst lieber noch der Drang nach
praktischer Rhetorik sich geltend machen zu wollen. Und selbst die
folgenden späteren Abschnitte werden uns auch zu jener Zeit, in welcher
ein neuer Geist die Fesseln der Tradition und der äusserlichen Auclorität
durchbricht, auf dem Gebiete der Logik nur eine gesteigerte Wie
derholung dieses Spieles der Geschichte zeigen, wornach die Logik
unter sehr verschiedenen Auffassungen stets wieder aus einer innerlich
philosophischen Basis hinausgedrängt wird.
634) Ebend. p. 347.: Auctores logicae, quos dünnt fama perenni Vita, ....
recolens defunctos suscitat orbi. Illic Porphyrius arcana resohit, ut alter Oedipodes
noslri solvent aenigmala sphingos; Verborum turbator adest et tmbine mullos Turbat
Aristoteles nosler gaudetque latere. Sie logica tractat, quod non tractasse videtur,
Non quod aberrel in hoc, sed quod velamine verbi Omnia sie velat, quod vix labor
isla remlet In lucem tenebrosa refert, nova ducit in usum Excusatque tropos,
in normam Schema reducit , Exserit ambiguum Severinus, quo duce linquens Natalem
linguam noslri peregrinat in usum Sermonis logicae virtus dicatque iatinum.
XV. ABSCHNITT.
EINFL;USS DER BYZANTINER.
Hatte der Betrieb der Logik schon in der zweiten Hälfte des 12.
Jahrhundertes einen höchst ansehnlichen Zuwachs des Materiales da
durch gefunden, dass man die früher unhekannten hauptsächlichsten
Bestandteile des aristotelischen Organons kennen lernte, — wenn auch,
wie wir sahen, die Wirkung hievon zunächst nicht so bedeutend war,
als man hätte erwarten können — , so trat nun mit dem Beginne des
13. Jahrhunderies gleichzeitig von drei Seiten her eine neue Vermehrung
des Stoffes ein, nemlich durch Benützung byzantinischer Litteralur-Erzeugnisse,
durch Beiziehung der Leistungen der Araber, und durch das
Bekanntwerden der übrigen Werke des Aristoteles, unter welchen selbst
verständlicher Weise vor Allem die Bücher der Metaphysik, sodann
aber auch die Schrift de anima auf die Logik einen Einfluss ausüben
mussten. Und so wird uns denn auch neuerdings unsere schon wie
derholt ausgesprochene Ansicht, dass das ganze Mitlelalter lediglich von
der äusseren Zufuhr des Materiales abhängig war, durch den geschicht
lichen Verlauf ihre ihatsächliche Bestätigung erhalten.
Dass durch die dritte der genannten Erweiterungen des Stoffes
ein Umschwung in der Stellung der Logik eintreten jnusste, ist klar;
denn nachdem bis dahin, abgesehen von platonischer Physik, die Logik
allein den Umkreis der eigentlichen Philosophie rcpräsentirt hatte, kam
dieselbe nun seit dem Betriebe aristotelischer Metaphysik und aristoteli
scher Psychologie in das Verhältniss einer Coordination oder auch einer
Subordination zu anderen Zweigen der Philosophie. Doch wie sich
diess gestaltet habe, wird erst unten im XVII. Abschnitte dargestellt
werden können, wo der chronologische Faden an dem Punkte, an wel
chem wir ihn so eben verliessen , wieder aufzunehmen sein wird. In
gleicher Weise muss es jenem nemlichen späteren Abschnitte vorbe
halten bleiben, die Wirkungen selbst vor Augen zu fähren, welche aus
den beiden anderen neuen Ingredienzien, nemlich aus der byzantinischen
und aus der arabischen Litteratur, sich ergaben.
Hingegen ist es nun unsere nächste Aufgabe (— denn die Dar
stellung der ächten und vollständigen Lehre des Aristoteles liegt längst
hinter uns —), eben jenes doppelte fremdländische Material, welches
in die Sprache des lateinischen Abendlandes übertragen wurde, vorerst
für sich allein kennen zu lernen. Sowie aber dort der byzantinische
262 XV. Berührung mit den Byzantinern.
und der arabische Einfluss im 13. Jahrhunderte zur nemlichen Zeit zu
Tag treten, so ist es für die Geschichte der abendländischen Logik an
sich völlig gleichgültig, welchen von beiden wir zuerst betrachten, und
es mag etwa der erstere nur darum vorangestellt werden, weil er mehr
eine unmittelbare Anknüpfung an Erscheinungen darbietet, welche bereits
früher Gegenstand unserer Erörterungen gewesen waren.
Wohl aber dürfen wir schon hier zur Orientirung die weitgreifende
Bemerkung vorausschicken, dass die Logik, soweit sie im 13. Jahr
hunderte neben der äusserlich eingelernten aristotelischen Philosophie
eine selbstständige Stellung erhielt, nun durch Uebertragung eines by
zantinischen Compendiums und byzantinischer Technik eine veränderte
Gestalt annahm und einen folgenreichen Zuwachs an Inhalt erfuhr, so
dass nicht ohne Berechtigung in den Schulen für diese „neue Logik"
die Bezeichnung „via moderna" üblich wurde. Sowie man den gesammten
Zeitabschnitt von Isidorus an bis zum Beginne des 13. Jahrhundertes
füglich die Periode des Boethius nennen kann, wenn auch in
den letzleren Jahrzehenten derselben einige Kennlniss des Aristoteles
mitspielte, ebenso darf man bezüglich der eigentlichen Schul-Logik fast
die ganzen nächstfolgenden drei Jahrhunderte als die Periode des l'scllus
bezeichnen, wenn auch die ältere boethianische Tradition als „via
anliqua" nebenherlief, oder Erneuerungen früherer Partei-Controversen
sich einstellten.
Im XI. Abschnitte wurde die vielfach unbedeutende und sterile
Reihe der griechischen Commentare zur aristotelischen Logik und der
griechischen Schulcompendien bis in das 14. Jahrhundert hinabgeführt;
und indem schon dort (zw. Anm. 82 u. 83) bemerkt wurde, dass vom
5. Jahrhunderte an diese Lilteratur spurlos an dem lateinischen Abend
lande vorübergieng und gleichsam seitab lag, wohl aber (ebend. Anm.
176) bei Petrus Hispanus (13. Jahrh.) eine Einwirkung sich zeige, welche
mit Psellus begann, so müssen wir nun hier, nicht etwa zur Fort
setzung der dort schon angegebenen litterär-geschichtlichen Entwicklung,
sondern lediglich um jener lateinischen Schul-Logik willen, welche vom
13. Jahrhunderte an betrieben wurde, alles dasjenige vorführen, was
als neues Ingrediens wirkte. Denn Susserliches Aufraffen und äusserliches
Ueberlragen des sich darbietenden Stoffes war ja überhaupt die
methodische Thal des traditions-süchligen Mittelalters, und so kann auch
die Geschichte der Logik gleichsam nur registriren, welcherlei Bausteine
zugesrhleppt worden seien.
Itass nun ein thalsächlicher Einfluss byzantinischer Lilteratur auf die
lateinische Logik bestand, wird im Folgenden selbstredend dargestellt
werden. Die Frage aber, wie derselbe überhaupt ermöglicht wurde, gehört
theils der allgemeinen Kulturgeschichte an, theils liegt ihre Beantwortung
in so allbekannten Thatsachen und Verhältnissen, dass wir den Leser zu
beleidigen fürchten, wenn wir an die Kreuzzüge und die Entstehung des
lateinischen Kaisertumes (Einnahme Konstantinopel's durch die Kreuz
fahrer i. J. 1204), an das endlose Gezanke der Theologen beider zum
Schisma treibenden Kirchen, an die juristische Gelehrsamkeit, welche in
Erklärung der Basiliken niedergelegt wurde, erst noch ausdrücklich er
innern wollten. Einzelne Momente, welche unserem speciellen Gegen
XV. Berührung mit den Byzantinern. 263
stände näher liegen, trafen wir bereits im 12. Jahrh. (s. vor. Abschn.
Aiini. 25 u. 32 f.); eine völlig entscheidende Wirkung aber musste es
für die ersten Jahrzehente des 13. Jahrhundertes haben, riass der all
gewaltige Papst Innocenz III., welcher das durch seine Intrigue in die
Welt gesetzte lateinische Kaiserthum vortrefflich für seine Zwecke aus
zunützen wusste, im J. 1205 den Wunsch Balduins bei den französi
schen Prälaten befürwortete , dass „zur Ehre Gottes" Geistliche aus
Frankreich nach Konslanlinopel sich begeben und dort de« Samen
christlicher Bildung ausstreuen sollten '), — ein Wunsch, welchen der
Papst gleichzeitig auch an die Universität Paris richtete, dabei nicht
vergessend, die Bereitwilligkeit der Missionäre auch durch Hinweisung
auf irdische Schätze und Genüsse anzuspornen 2). Und wenn nun auch
hiebei Förderung der Wissenschaft wahrlich ebenso wenig der Zweck
war, als bei dem Collegium Conslantinopolüanwm, welches in der nemlichen
Zeit der winkelzi'rgige König Philipp August in politischer und
papst-freundlicher Tendenz zu Paris einrichtete 3), so war es Sache des
mittelbaren äusseren Erfolges, dass nun Vertreter oder Schüler der bis
dahin hauptsächlich in Frankreich blühenden Logik in Berührung mit
einer fremden (literarischen Entwicklungsstufe kommen konnten, welche
wohl in den Augen eines Papstes einer Maassreglung zu bedürfen
scheinen mochte, an sich aber in der glänzenden LiUeralur-Epoche der
Anna Comnena äusserst manigfallig und reichhaltig emporgeblüht war
und bezüglich der Logik wenigstens nicht in höherem Grude, als die
bisherige lateinische Litteratur, unphilosophisch und schulmässig auftrat,
1) Diplomata, Chartae , Epislolae elc. Receuil de Brequigny et La Porte du
Theil. Paris. 1791. II, p. 712.: Universitalem vestram rogamus atlente et horlamur
per aposlolica vobis scripta mandantes, qualenus pium eius (sc. Balduini) desiderium,
quantum in voliii fuerit, promoiientes de singulii ordinibus viros moribus et scientia
commendandos ac in religione ferventes ad parles illas de&tinare euretis, per quos
novella Hin planlatio in disciplina domini erudita fructum reddat suis temporibus
opportunum ad laudem et gloriam redemptoris .... et orientalis ecclesia in divinis
laudibus ab occidentali non ilissonet. <
2) Ebend. p. 713.: Marßstris et scliolaribus Parisiensibus — supplicavit (je.
Baldumus), ut vos inducere ac monere apostolicis lüteris dignaremur, quatenus in
Graeciam accedentes ibi studeretis litlerarum Studium reformare Universitäten
vestram rogamus, quatenus diligentius attendentes, quanto maiores vestri aiffimltates
et gravamina sunl perpessi, ut adolcscentiae suae primitias imbuerent litteralibus
disciplinis, non laedeal plerosque reslrum ad terram argenta et auro gemmisque
refertam , frumento , vino et oieo stabilitam et bonorum omnium copiis affluenlem
aceedere , vl ad illius honorem et gloriam, a quo eil omnis scientiac donum, sibi et
aliis ibidem proficiant, praeter temporales divitias et honores aeternae gloriae praemia
recepturi. S. lomdain, Recherche* crit. (2. Aufl. 18431, p. 47 f.
3) Bulaeus, Hisl. univ. Paris. III, p. 10. (aus Filesams , de statutis tkeol.):
Post expuijnalam Constantinopolim a Francis et Venetis saero foedere iunctis Phi
lippe Augusto rege Lutetiae condilum est collegium Constanlinopolilanum ad ripam
Sequanae prope forum Malberlinum, nescio in arcano imperii consilio , ut Graccorum
liberi Lutetium venientes una cum lingua latina pavllalim velus illud et patrium in
Latinoi odium deponerent eorumque humanitatem et benignitatem experli ad suos
reversi non sine magno' Latini nominis incremento virtutes illas passim praedicarent,
ac velut obsides habili, qui, si quid parentes et affines graeca levitale adversus
Lalinos molirentur , ipsi adolescenles Lutetia conclusi fuerint. S. lomdain a. a. 0.
p. 49 f.
264 XV. Berührung mit den Byzantinern. Psellus.
wohl jedoch vor derselben den Einen Vorzug hesass, dass in ununter
brochener Succession stets auch die Hauptschriften des aristotelischen
Organons erörtert und benutzt worden waren. Dass ausserdem in Un
teritalien die Kennlniss der griechischen Sprache (wenn auch nicht der
griechischen Litteratur) und der Verkehr mit Griechen nie völlig ausgestorben
waren, sowie dass Venedig in lebhafter Wechselbeziehung
mit dem griechischen Oriente war, ist hinreichend bekannt, und so
mochte neben denjenigen Erscheinungen, welche wir schon früher trafen
(vor. Abschn. AIIIII. 3, 25 u. 33), wohl im Laufe der Zeit noch in ge
steigerter Weise durch Ueberselzungen eine Vermittlung byzantinischer
Schriften bewerkstelligt worden sein, wenn wir auch nicht mehr im
Stande sind , einzelne Fäden einer solchen Thätigkeit auf dem Gebiete
der Logik nachzuweisen oder zu verfolgen 4).
Bei Weitem das einflussreichste Erzeugniss der byzantinischen Litleratur
war das Compendium des Psellus (s-, oben Abschn. XI, Aiiui.
173 ff.), welches unter dem Titel Svvotyig tl$ rr)v 'AQiawi&ovg Aoytm\
v «iHjTtjfMjv die gesanimte aristotelische Logik enthielt. Dasselbe
üble die weitgreifendste Wirkung auf das lateinische Abendland dadurch
aus, dass es sofort bei seinem dortigen Bekanntwerden zur Grundlage
der Compendien-Lilteratur gemacht wurde. Neinlich es lag in dieser
Beziehung allerdings wohl das entscheidendste Faclum darin, dass Petrus
Hispanus die Synopsis des Psellus wörtlich übersetzte , aber aus Hand
schriften der Pariser Bibliothek machte ich die überraschende Entdeckung,
dass Petrus Hispanus durchaus nicht der erste Ueberselzer des Psellus
war, sondern dass bereits einige Jahrzehnte vor demselben durch An
dere, wie namentlich durch Wilhelm Shyreswood, das Compendium
des Psellus in die lateinische Schul-Logik eingeführt und sogar mit
einer weil grösseren Selbstsländigkeil verarbeilel worden war. Und
nur durch die Aucloriläl , welche Pelrus Hispanus als Papst in dem
römisch-kalholischen Abendlande genoss, konnte es geschehen, dass jene
Bestrebungen anderer Schriftsteller des 13. Jahrhundertes, welche gleich
falls auf byzantinischer Litteratur fussten, allmälig bei Seile geschoben
wurden und mit einer gewissen Monolonie sich ausschliesslich das geist
losere Elaborat des Petrus Hispanus auf lange Zeit hin einbürgerte.
Während aber all diese Verhällnisse, wie sich von selbsl versieht,
ihre genügende Darlegung im XVII. Abschnitle finden werden, wenden
wir uns nun zu der Synopsis des Psellus seihst, um hiedurch die Ori
ginal-Quelle jener lateinischen Litleralur-l'rodukle kennen zu lernen 5).
4) Giangiml. Gradenigo, Kagionamento istorico-crilico inlorno alla lelteratwa
greco-italiana. Rrescia 1759. 8. enthält, ohne irgend neue Spuren der Forschung
zu eröffnen, ein ziemlich unkritisches Register von Italienern, welche des Griechi
schen kundig waren. Die Abhandlung von Friedr. Gramer (Dissertalio de graecis
medii aevi sludiis. Vars prior et allem. Sundiae 1849 u. 1853. 4.) bricht an eben
jenem Punkte ab, welcher uns hier zumeist interessirt, nemlich bei dem Eintritte
der Kreuzzüge.
5) Ich halte es für unerlässlich, mehrere einzelne Abschnitte des Psellus
gleichsam als Probe wörtlich im Originaltexte mitzutheilen, um sodann entsprechend
im XVII. Abschnitte das Gleiche zu thun; denn nur hiedurch kann der Leser die
eigene Ueberzeugung schöpfen, in wieweit z. B. Wilhelm Shyreswood selbststäaXV.
Psellus. 265
I'sellus beginnt mit der Notiz, dass die Dialektik die Kunst der
Künste (ar.v arlium) sei , um dann sogleich von der Etymologie ihres
Namens aus auf den Begriff der Sprache und hiemit auf jenen des
Wortes (rpuvrj) und des Schalles (t^oqpog) zu gelangen 6), wodurch sich
sofort als erster Hauptlheil des Compendiums der Inhalt des Buches
De inlerpr. einstellt und sonach die Lehre vom Urtlieile voraustritt.
Es wird nemlich zunächst in der üblichen Schulmanier ausführlicher
über den Schall und über die menschliche Ausdrucksweise gehandelt,
welch letztere entweder nicht bezeichnend oder bezeichnend (qpwvjj
ffjjftai/rijM;) sein könne; der bezeichnende Ausdruck wird in den ver
bundenen (avfunsiticy^vrj) , d. h. den Satz, und in den unverbundenen
) , d. h. die einzelnen Worte, eingetheilt 7), worauf in der
diger den neuen Stoti" benützt, hingegen Petrus Hispanus nur wörtlich übersetzt
habe; und ich hege das Vertrauen, dass dann der Leser meine Angaben über die
übrigen, nicht ausführlich abgedruckten, Theile der sich entsprechenden Compendien
mir auf mein Wort glauben werde. Uebrigens ist auch zu bemerken , dass
die Suiiimuta des Petrus Hispanus gleichsam als eine zweite Handschrift, und zwar
häufig in der Thal als eine bessere Recension, zur Textes-Kritik des Psellus be
nützt werden muss: jene Augsburger Handschrift, aus welcher Ehinger die Synopsis
herausgab (Augsb. 1597. 8.), — jetzt in der Münchner Staatsbibliothek befindlich
(Cod. graec. Hon. 548.) —, enthält auch noch (fol. 33 IT.) ein Excerpt der Synopsis
TOD sehr später Hand.
6) Hielt. Pselli Synopsis Org. Arist. I, l, p. 1. (ed. Ehinger): dialixTixy lati
ityvrj Ttyviöv xal f^iiar^firi iTuairj/täv nybg ras änaaiöv Tiav fj.i&ö<fiov
og^ä? bobv e%ovaa, xal cfiä TOVTO iv rfj XTr\ati TIÖV tni<SiTi\fiäv ngiÖTijV
elvai TTJV <SialiXTixi]v XQ"n- ~4£ytTcti dt r) äiuiexiixrj anb rijs äicilffztog,
rj Ji ATIO Tijg „Siä" TTJS arj/j.ciivovo'ris TÖ „[teral-v" xnl TOV „A^j/co", iv' y
o Svolv /^era^v Tovldxio'Tov iöyos , roß- nQoßüiioviog ä^ovöri xctl TOV
aTioxoivofifvov' r\ anb TOV Siait^/^ai xul äittxiXQia&tu, xa&' rjv ärjlovoti
öfytt ritig yviüfiKig SIIUQUVVTKI öl äiaifyöftfvoi. MV Infl ij rftct/lflts
oü dvvttTai ytvfa&ai tl /j,ij uearjTevovros iöyov, oiid' av 6 loyo; et firj
fitariituovarjs tfiovi}; , n&aa oi (fiovrj ipoy-os rig ton, Jia TOVTO tog &nb
TiQoifQov TOV ipöqou ttQxifov. Es ist wahrlich nicht nöthig, bei jedem einzel
nen Paragraphen des Psellus auf die Quellen, aus denen sie geschöpft sind, zu
rückzuweisen, soweit das Ganze uns nur den Inhalt der am Schlüsse des Alterthumes
recipirten Schul-Logik zeigt, welcher aus dem im XI. Abschnitte Erörterteu
hinreichend ersichtlich sein dürfte. Wohl hingegen werde ich sorgfältig alle die
jenigen Punkte hervorheben ,. für welche jene Schultradition nicht zureichend ist,
und namentlich macht in dieser Beziehung der Schluss des Compendiums eine
bedeutsame Ausnahme, woselbst uns die Frage über die Quellen des Psellus sehr
fühlbar werden wird.
7) Ebend. p. 3.; l'ötfog TOIVVV tarlv, ov av xvQltag )j ctxot) avnlaftßiivrjTcti,
ifyto dl TÖ xvQltag, äiön tl xn.1 6 &v&Q<anog xctl 6 xiödiov äxove-
Tai, TOVTO ovx i-GTiv fl fj.fj äici ipö(fov. Tiov ifiö(ficav 6 (j,£v IOTI ifxavrj 6
o*i oii ifiovr,; xul ipiavri (OTt ijtöipog toi aiö/tcriog TOV £ipov nQotvex&tlg Toig
(fvatxotg doydvoig fAefiOQip<o/,i{vos ' (fvaixa ä( oQyitvu, oig ij <f(ovr] ftoo^ov-
TCII, i.fyoVTKt xcä tlalyflli), oäovifg , yitSaacc, ovQttvCaxog, iägvyZ , xctl
&ioQa%- ipöif.of cf£ 6 ovx (uv (ftavri ianv 6 yiyvöfttvog fx rijs avyxQovaetug
TiSv aijjv)(tuv (HafAttTtov, log *l &(>ctv<iig TIOV dtvdQtov xctl ö TIOV noSiöv XTVnog
xitl TU Sftoia. TiSv if'iovßv at ptv etat arjfiavTixitl KI rf^ ov' otipav-
Tixff yiavri lanv fj jtKijiiiritxiü TI xal Sriionoiovda Tg äxoij, oiov av&oioTios'
ov arjf^KVTixri iaTiv ff (iriötv Trj «xoj naQi,dT(Saa, oiov ßä , ßov. TtSv dt)-
HttVTixoöv ^ipwvüiv at /j,£v tidi ayfiavTixal (pvoei, at de &£oti' tfiovi) tpvaei
arj/*avTixri lanv r\ naqa, näai TÖ ctvTÖ TittQiOTiöaa, (Ss^-SQ ö aievieyfiös
räv Aö&tvovVTiDV ödvvrjV (SrjläJv scheint ausgefallen zu sein) xctl % Ttöv xv
266 XV. Psellus.
üblichen Weise die Angaben über das Substanlivum 8) und über das
Verbum folgen, woran sich die Bemerkung knüpft, dass nur diese bei
den für die Dialektik wirklich als Redetheile gellen können , hingegen
die übrigen Arten der Worte blosse syncategoremala (s. vor. Abschn.
Amn. 174, 206, 348) seien9). Die übliche Aufzählung der Arten des
Salzes (Xo'yog) erscheint hier in der Terminologie der Grammatik (Indicaliv-,
Imperativ-, Optativ-, Conjunctiv-Salz), daher auch der Indicativ-
Satz als das eigentlich logische Urtheil bezeichnet wird 10).
Das letztere (ngöraaig) wird nun vorläufig in das kategorische und
das hypothetische eingelheilt, hierauf aber sogleich bezüglich des kate
gorischen die Angabe der wesenllichen Beslandlheile angereiht, wobei
mit völliger Entschiedenheit die Dreizahl derselben, nemlich Subject,
Prädicat und „Copula" '(vg'- vor- Abschn. Anm. 370) ausgesprochen
wird n). Indem sodann die Erörterung der Verhältnisse der Quantität
(allgemein, particular, singulär, unbestimmt) und der Qualität folgt, ist
zu beachten, dass nicht bloss neben speciellen Definitionen des allge
meinen und des individuellen Subjects-Begrifles (OQOS KOLVÖS und b'pog
cvixög) ein besonderes Gewicht auf die grammalischen Zeichen (öJjft£ta)
der Quantität gelegt wird , sondern auch acht schulmässig drei Fragen
V(Sv ilaxr) OQyrjV ij %"(><*?' ({.lavy 9-tati Oijftovrixri tanv 7; xa-rn TTJV TOU
S-e/teMov ^irjOiv OTIOVV TiaQtariäaa, oiov av&(>tü7iog. T(äv atj/uavTixäv
tftoviäv f) p.tv lariv anlrj xal acfv/ATiiexTos, oiov TÖ ovofia x«! TÖ (>>j|"«j n
oi aüv&tTog xal avftneTiieyfttvri , oiov ö i.6yo(.
8) I, 2.
9) I, 3. Der Schluss des Capitels lautet (p. 9.) : 'larfov de 011 % ätttlexitxr)
fivü fiova ilSr\Gi pifyij TOV Aöyov, 10 ovofitt ärjiaSri xcu TÖ ^>j/^cc' rä
ät ii.U.K jU^p») xaiei TiQosxaTrjyoQij/tttTtt (aus Petrus Hispanus sowie aus Wil
helm Shyreswood, verglichen mit der oben, vor. Abschn. Anm. 174. angeführten
Stelle Priscian's, ist auch hier sicher ovyxai'ri'yoQrjftnta zu schreiben) rffow
10) I, 4, p. 9.: jtöyog fort ifiavr] ai)fiavrixri xaict aw&rixi)V ,
ri Xttfr' aiiTK Ori^trtivti xtxtoQiafttva ..... Tüv löyiov öl pfv elat
öl rf' äieicie ..... Tüv <$l TtkiCiav ).6yoiv öl [i£v fiaiv ogianxol, oiov av~
•S-Q(Ü710S Tflfyll , Ol (ft 7t()00"T<tXTtXol, OlOV ttTlTl 71VQ , Öl (Tf CVXTlXol, QJf TÖ
ytvoiro xctiös xlrjQtxös, 01 tf^ vnoTaXTixoi, oiov «v W>*j)s TiQog ftt , ätöaia
aot Innov. TovTtov o*£ TIVLVIIOV o OQiarixog ftövos ioyos tail rtQÖiaat;,
fnti ftövo; aitf&eiav >j ipevöos ai]f:ict(vei..
11) I, 5, p. 13.: riyöraale taii ioyog ai^tiuv r} i^eHäo; or\(ntttv<ov . . . .
Ttäv ngoräatiav f\ piv xaiijyo(>ixfi i] fit iino&iTixy. KarriyoQixi) nfiörrtafs
laii iöyog xaTCHfctTixös fj nnoffctrixös nvos xara nvos T\ iivbg ano itvoe.
Karr)yoQixr/ nqinttaCg fariv ff fyovau vTioxeC/aevov xai xarr,yo(>ovf4evov xcu
avvfitv (dass diese zwei Worte im Texte ausgefallen waren, zeigt sowohl Petrus
Hispanus als auch das sogleich Folgende) $v , oiov „ar&Q(onos TQfyet"' tv
ry ngoTÜaii ro „av&Qianog" failv V7ioxel/j,tvov xal rö
avfrvyvvai xa&änep iig avvdfapog ro ¥v /j.ticc TOV ST£QOV. Sowie ans
dieser Stelle mittelst der lateinischen Logik des 13. Jahrh. der noch heutzutage
recipirle Sprachgebrauch floss, so möchte ich auch die Möglichkeit nicht geradezu
verneinen, dass jene obige Stelle Abälard's (vor. Abschn. Anm. 370.) gleichfalls
auf einer versprengten Notiz byzantinischer Schuldoclrin (s. ebend. Anm. 33 f.)
beruht haben könne.
XV. Psellus. 267
lümmln i werden, welche sich anf die Substanz des Urtheiles (ovala,
A. h. ob kategorisch oder hypothetisch) sowie auf die Qualität und die
Quantität desselben beziehen ").
In gleicher Weise wie bei Boethius (Abschn. XII, Anm. 125) knüpft
sich dann an die Bemerkung, dass zwei Urtheile entweder ihre beiden
Begriffe oder Einen der beiden oder keinen gemeinschaftlich haben
können , sogleich die gewöhnliche Angabe bezüglich der vier Urlheils
formen (allg. bej., allg. vern., pari, bej., pari, vern.), wann dieselben
conträr oder conlradictorisch oder subaltern oder subconlrär seien 13),
und die hierauf bezüglichen Regeln werden durch die Einlheilung ein
geleitet, dass der Stoff (v).rj) der Urtheile entweder eine Notliwendigkeit
oder eine Möglichkeit oder eine Unmöglichkeil (avctyxctict , £vde%o-
(nfvrj , aSwctrog) enlhalle 14).
Sodann wird gleichfalls an die Gemeinschalilichkeil der beiden
Termini die Lehre von der Umkehrung (avtiGrp.o<pr\) geknüpft, und zwar
zeigt uns auch diese hier die nemliche Dreitlieilung (uTtiij, xctTa ut-u-
12) Ebend. p. 15.: Tiäv xarqyoQixtov HQoraaitav »; (*iv xattoiov rj rf£
fteQixfj rj dt «TrpofcTidpiffrof fj ef£ ivixrj. Kai xa&öliov fifv fanv, (v % 6
xoivbg öpo? VTioxiirai arjfisty xa&öiov Jiuogäifuaia/*{vof ____ xoivog öl 6'po?
iarlv ö xarä nltiöviav Myia#ai nfyvxüs (eine weitere Verwendung des opo?
xoivös s. unten Anm. 69.) ... ari/teta <f£ xa#<Uou eial ravra' nas, oväe(sf
ixaaros, fxccreoog xal rä '6/j.oia. (p. 17.) Ilijöiadie ficQixri fariv, (v % o
xoivbg SQOS vnoxfirui aijfASltp (J.t(>ix<p •nijogäitoQiaf4fvog' OrjutJa ät nnjixü
eiai- Ttivra' ilg, ereftog, «üoj, ioinog xal TU oftoict. ^noosaioQiarö; lariv,
iv y vnöxeiTat ö xotvög OQUS «ftu ar\[*iCov . . . 'Evixrj <!' fariv, (v f/ vnöxnrai
ÖQOS SuoQiafitvog rjyovv tvixbg fj xoivö? /terä äetxitxij; nvTta'vvfila;.
.... "Opof fvixos (anv ö x«#' ivos p.6vov ).fyea&cii neifvxoi;.... "Kn rtav
XKTtjyooixiäv nyoiaaeiav rl fitv fan xctTaffctnxfi ij rf{ cmoifctuxri ...... Tijs
TipoTäaetos rpi^eä? dtaiQovfjifviig latfov (OT(V , Sri xal TÖ Tregl TUVT^S &-
Tov/*tvov TQmloiiv 'tanv , oiov' T($; noCa; nöarj ; To ftiv ovv ,,T(S" ZyTti
ntgl /j.övrjf irj; ova(«s, *i> „wo/a" negi irjs Troiörijroy, TÖ „noai)" ritql
rfis TioaÖTrjros' o&ev xal ngbg rrfv f^tärrjaiv ti\v fitv Siit rov ,,T(S" yevo-
(tfvrjv &noxqi.T(ov , ort xctTTjyoQixi] f) vno&tTixrf ngbg dl rrjv äia TOV
„7io(a", 011 xaiaifanxr] fj anoifatixri' ngog äl rijv rf/ä rov „Ttöarj", ort
xa&olov fj ittnixt] (ausgefallen ist fj evixf) r\ «Tipojrftoyiffrof).
13) l, 6, p. 19.: "En riäv xarriyoQixäv ngorädttov al /ulv xoiviavovatv
tt^aforfgiav räv OQIOV , jovrtati rov vnoxti^vov xal rov xarriyoo
oiov ö iiy&Qtonög tan fyov, 6 iiv&Qconog oiix farl £$ov eil äf
oiov iivS--goinog TQfyti, Kv&Qtono; fteiifytttu, ij civ&oionog
tivS-Qionog xivtTTrrccttii'' aiiai dt ovdevof, oiov 6 nn^^ääriav äinxal
iTT-rcog xivefrai ..... (p. 2l.) "Ert rtav nQoruauav riäv xoivtovovaiüv
itft<fO\fyuv riäv S(>tav xnl rfj aiirfj rägei nl pfv etaiv Ivavrlai «l ök
vnivavrlai, al fj.iv avriifarixai cd Sf {inäi^ioi u. s. w. ; auch die übliche
Figur (s. z. B. Abschn. XI, Anm. 157.) fehlt nicht.
14) Ebend. p. 25.: Täv ngoräaeoiv rQiirlrj Ittriv 17 Sir], $i]).ovöri &vctyxttla,
lvde%ofitvri xal aivvctrog. jlvayxula vit] larlv, iv g rö xarriyo-
Qoiipfvöv lariv (x^ rf^g ovaCag rov ii7ioxtifj.(vov fj idiov avrov' oiov äv9-(>tanog
(an f«j(3ov, äv&Qtonog tan ytiaanxös. 'Eva ejfofitvri vir) lariv, fv y
TO xariiyoQov/uevov dvvarui Ivefvat xal untivttt, rov vnoxHufvov aviv rfj;
TOV vnoxsipi-vov q&oQae, oiov 6 avS-goinög lan Itvxog, rj 6 xöp«f tarl
ftfias. Mvvarog vir; larlv, Iv | TÖ xarijyo(>ovfj.evov ov Svvarui awtlSelv
r^» ünuxuutvM, oiov av&Qionös lartv ovog. Nö/to; r<3v fvavrttav tariv
n. s. w. Die Quelle der Itreitheilung s. Abschn. XI, Anm. 157.
268 XV. Psellus.
/?£/}»jJto'ff , Km ctVTidiGiv). welche wir bei Boelhius (Ahschn. XII, Anm.
129 f.) trafen 15).
Hierauf folgt in einer völlig verrückten Anordnung, deren Unrich
tigkeit die lateinischen Bearbeiter gar nicht bemerkten "'), zunächst das
hypothetische Unheil, hierauf wieder die Aecfuipollenz der kategorischen
Urlheile, und dann die Lehre von den modalen Urtheilen (während,
wie man auf den ersten Blick sieht, nach der Conversion die Aequipollenz
folgen musste, und hierauf die Lehre vom hypothetischen ("rtheile
und dann jene über die Modalität sich anschloss). Was hiernach
vorerst das hypothetische Urtheil betrifl't, so wird dasselbe nach stoi
scher Weise in das conditionale (£| ctxoi.ov&la$) , das copulative (ev(t.-
jiAttmxT)), und das disjunctive (dicffwmxi;) eingelheill (— bei Boethius
war von dem „copulaliven" Urtheile keine Rede, s. Abschn. XII,
Anm. 141 —), und jede dieser drei Arten nach formalen Regeln be
züglich ihrer Wahrheit oder Falschheit näher untersucht11).
Ueber die Aequipolleuz kategorischer Urtheile (leoSwu^ovoai ngoraGEig)
gibt Psellus sofort ohne alle weitere Begründung in lediglich
schulmässiger Weise vier Regeln (xavoveg) y deren jede er mit einem
Beispiele belegt 1S).
15) l, 7, p. 29.: "Eri Ttäv nQoiKOtwv , ai ftftfyovaiv äfKfioj ty<ov ttäv
ooaiv , «t>Ttai(>a[j.fi,{vri Ty T «ff/ TOi/ä; lanv rj avnaTQoqy • äniäf, xarä
avftßtßrixös , xai XUT' aVTi&taiv. Auch die Regeln entsprechen genau den bei
Boetbius angegebenen, so dass, indem die Lehre von der Umkehrung sich in dieser
Form bei den Commentatoren nicht findet, bei den Byzantinern jener Zeit eine
Kenntniss der Schriften des Boethius vorausgesetzt werden muss; dass Psellus
selbst denselben cilirt, s. Anm. 28.
16) Sowohl Wilhelm Shyreswood als auch Petrus Hispanus folgen dieser
verkehrten Reihenfolge; nur Lambert von Auxerre lassl das an eine falsche Stelle
gekommene Capilel über das hypothetische Unheil hinweg.
17) I, 8, p. 33.: rfQÖraaif vno#trtxri ttjTiv, f/s äjj^oftrfjj [I£QJI fial ävo
xairjyofiixat "Ett TIOV vno&tnxtov nQuiäaitov ij fifv tanv It; axoiov-
&(ct$ T] äe avfj,niixTixri rj äl diafcvxnxq. 'E| «xoÄou?i'«ff (tlv ovv tauv,
tv $ avvÜTTTOVTtu at diio xarrjyoQixitl cf'iä TOV auvdtauov TOÜ ,,tl1'
(p. 35.) avfj.7iltXTiXT) ä£ faiiv (f y awctniovrui at ovo xctTrjyoQixai ziji
„xu(" awdtafjy öiafevxrixri ä' lativ, (v 5 awaniovrac al ävo xait]-
yoQtxKi äia TOV „?)'" avvd{a/Aov (die stoische Quelle dieser Dreitheilung s.
Abschn. VI, Anm. 125 ff.) .... ÜQÖS tijv aiq&etctv TTJ$ ^| äxnioviHas £i]Tfiicti
ro Trjv 7i^oriyovfj:^rrjV /J.TI dvvaa&ai ali)&ij civev rrjg f7iofj,£vr)s ngog dt
TO ifjfüdot; ctvfrj-,' «7ro££>7/ TÖ TrjV TiQorjyovfAfrrjv dvVttG&tti dirj&ri xai cci'tv
rijs «TTOjU^j'jjs (s. ebend. Anm. 146.) Ifgos rijv rijs avfj.nli.exTixijs «A>j-
&eiav fjjr£ir«( TÖ txäieQov cwrrjg iiav [ttQÜiv älri&es flvai .... HQOS rft TO
ipeväos ainfis äpxet TÖ üäreQov iiav /j.f(><iiv avrrjs tlvm i//futf/s (s. ebeod.
Anm. 155.) UQOS dt rr^v akrjä-eictv rijs fltttfcvxTixrjs anö^Q'H ib dÜTtgov
avTrjt fi^Qog elvai äir)S-fs TIQOS ät TÖ tytvdos ctvrijs frjTtiTai uti</ v> T«
ptyri aiirfis tlvcu vpeväij (ebend. Anm. 156.). So bezeugt uns Psellus, dass
stoische Schul-Logik in der Tradition bei den Byzantinern fortgelebt haben muss,
wenn auch die uns erhaltene Litteratur der Commentaloreu uns hierüber keine
nähereu Aufschlüsse gibt.
18) I, 9, p. 39.: 'ETTO/J.IVOV mgi r<Sv laoövva/Aovaöiv n^oräattai' ätt
öetogriaai , ne(il <uv TOIOVTO( TIVSS äCSoviai xavovtf. 'Eäv TLVOS atj/j.e(ov
^ xu&6i.ov OVTOS rj ij.toizvi/ TipoTf-'/g TÖ aQvrjTixov jj.o(>(ov, laoovvcifj.tr ry
oixe(y aVTKfajixy .... Ztrürtqos xav<i>v tanv OVTOS' luv nvos Ot]/j.tfuv xa-
&oiov varfgov Tt&rj TO ccovrjjixov fj.oglov , laodvvafttl T(!> fvaVTfy eaoTov.
— TQ(TOS XttViäv'fan roioüro;- l«v nvog xaS-olov y [jLegixov
XV. Psellus. 269
Hierauf wird die Modalität der Urlheile (T^O'JIO?, s. Abschn. XI,
Anm. 159) definirl und unter den adjeclivischen Redelheilen, welche
als Ausdruck des Modus dienen sollen, insbesondere (mit Verweisung
auf Priscianus) das Adverbiuni gleichsam als Adjectivum des Verbums
hervorgehoben ; unier den Adverbien selbst aber erhalten diejenigen eine
speciellere logische Bedeutung, welche das Verbum bezüglich der Urtheils-
Bildung (ßw<&eai$) näher bestimmen, und es werden als solche
die sechs Adverbien «vayxaiwg, Ivfojjoft^ixaff, övvaTiog, äSwuTtog, äi?;-
i>«£, tytv&ms aufgezählt, durch welche allein die Entstehung modaler
Urlheile (i^omnal ngorüßsis) möglich sei 19). Nach der Bemerkung,
ilass es für jene sechs Bestimmungen auch substantivische Ausdrücke
gebe, wird nun das Charakteristische der modalen Urlheile in den Um
stand gelegt, dass in denselben eigentlich das Verbuui das Subject und
der Modus das Prädicat sei, was bei allen übrigen Urtheilen der blossen
Inhärenz nie stattfinde; sodann aber wird die Besprechung der beiden
Adverbien ttir)&(5s und tysvdäs als überflüssig erklärt , weil bei diesen
beiden Modalitäten die Verhältnisse des Gegensalzes und der Aequipollcnz
u. dgl. völlig die nemlichen seien wie bei dem einfachen lnliiirenz-
Urlheile 20). Nachdem hiemit nur die vier Modi der Notwendigkeit,
TiQoie&rj x«l vaTeQOTe&fj r 6 äyvriTixöv fioqlov , laodvvaftiZ Tip Idtip vnu).-
Itjito.... 'Ex TovTtav itöv xavoviav lis TOIOVTOS äxolov&et xaviav fav ävo
nrjfjtiu xaS-öiov anoifttTixa Tt&äaiv (v Tip icinia ioyif ovTiag tugre TO tv
Iv Tip vnoxttfj.(v(f td ät loinöv fv T «p xaTTiyoQovutvy tlvat, <f/ä TOV TIQIÖ-
TOV laoävvajttl T$ IvttVTlip eavrov, oicc rf£ TOV otvrfyov ty iäfy änotfaiixip.
Es entsprechen diese* vier Regeln den Angaben des Boethius , s. Abschn.
XII, Anm. 117.
19) Ebend. p. 41.: Toonos lorl Tuwrexeiftevtis ly ngäy/Aait nftogSioijififjiis
äi' tTii&trov ywofttvos' ccii.' lud ro fnl&tTov tan &m).ovv, l-ari
yttQ Inlü-fiov öröftaroe , olov iivxös uihtty xal ouoia, xai tativ tnl&eiov
p^,u«TOff, olov TÖ tn(QQtifi.a, xctia yao TOV üfiiaxiavdv (Prise. Inst. gr. XV,
], 1; übrigens hat diese Citirung Priscians durchaus Nichts auffallendes, da der
selbe bekanntlich in Konstantinopel lehrte und wirkte) IntQQrmä £OTIV Int&eTov
p^jU«roj, fiä TOVTO xai ö TQÖTIOS äinlovg iOTi (p. 43.) "Eti TIUV tmy-
QtlfiÜKüV r« ulv «(poot&vai TO $rjfia iöyif avvdtatto;, oiov Tavta i« tS '
.ctvayxattoi , (väij(Ofifv<a; , ävvartSs, txdvvÜTtos , äA»;#ft)£ xai ifisvöäs' fä
<fi a<fO(>C£ov(5i, TÖ (>fi[ict %ü(>iv TOV 7if>üy/4aros Ta rfi aifOQi^ovai TO
$rjun iöytfi XQÖVOV Ji/Jl« rove all.ov; euffvTts TIÜVTU; neqi TiSv TYJV
aiiv&totv atpoQi&Viiav tgouf^iv , oiöv elaiv OVTOI- ävayxaftos, tväexoptvus
xai TU iomü (p. 45.) fjtovos Ixelvo; ö Tr)V avv&ioiv ayogl^iov Toönos
Tioiti TftomxTjV nQÖTtxatv, xai Jieol Ttäv TOIOVTOIV fiövov tvTav&ot Oxonov/
a €f.
20) I, 10, p. 45.: 'IOT^OV ät, OTI OVTOI öl ?f TQÖnoi TIOT^ f*.lv la/ußävoVTCtt
tntQojinaTixia;, oiov avayxnCtag, tväi%o[t£v<as, noTk St övofictTixtäs,
oiov ovvaiöv , aifvvctTov , avayxawv, ivSfjföfitvov , cd.ri&(s, ipfvätS'
(p. 47.) "ETI larfov, OTI fv Talg ftera Toönov ngoTÜaeai TO [tcv (tripa
ätl vrtoxtia&ai , TOV <f£ TQÖTIOV xctTr)yo(>tia&ai • -nftani dt al «Hai ngoriioetg
MyoVTtti ntol TOV noogflvai, äia TO Tiav fitTa TQÖnov ngoTÜaeiav xctl
TÖ nag tlvui ärj).ova(äv avTas ät fiövov neo\ TOV ngogeTvftt T(p vnoxeiftfviji
TO xctTriyoQovfiiVov ärjlovactg' u&ev xai r] Tr^s ngoTÜaeios 6<ptikofi£vri äiattf^
A»), OTI SrjlovoTi TIÖV ngotaaiiov fj fA.lv TQonixr) T\ Sk neol TOV
ai. 'AIX (xelvai [itv at nQOTaaeig, alg TO ülyd-ts xai TO Tpeväos
Tai, las TQÖnog nuQtla&iaaav äiit TO TOV KVTOV TQÖTTOV iv aiiTais
ytvta&ai Trjv HVTC&taiv xai r« MI n a, ov Si] xav Talg äHais TitTg mal
TOV
270 XV. Psellus.
Slallhafligkeit, Möglichkeit und Unmöglichkeit übrig bleiben, folgt die
Angabe, dass für ein Urtbeil sich hiedurch sechzehn Formen ergeben,
denn hei jedem Modus sind vier Formen möglich, da derselbe entweder
ohne alle Negation ausgesprochen sein kann, oder die Negation ent
weder beim Verbuin oder beim Modus oder bei beiden stehen kann21).
Und somit werden nun bezüglich dieser möglichen Formen weit aus
führlicher als bei Boethius (Abschn. XII, Anm. 122) die Verhältnisse
des Contradiclorischen, Conlrären, Subconlrären und Subalternen unter
sucht22), und das Ganze nach üblicher Schulmanier in eine Figur ge
bracht23), worauf noch speciell die Regeln der Aequipollenz dieser
21) Ebend. p. 49.: 'lartov äe Sri fxaaros luv TOVTIOV TQÖntov noiti
TiQOTiiaetg ryonixctg rfaaufifts, xcti ovTia TÖ>V TQOHIOV OVT<OV Ttaaaqiuv at
UQOTttaeig elol reTQaxts rfaaaQtg riyovv 8exct£%' il yan Iriif&flij o nodÜTo;
Xtoplg af>vyae<os, noiei filav nf/ÖTaaiv rgonix^v ei t-rnfS-tlt) fj.fi* äpvrjatiag
nQogxtip.t'vrig ry ffi/uaTi (die letztern drei Worte sind im Texte ausge
fallen), noiei iTfQttv rrjv TolTijv noiti ngöiaaiv, et lii]((9-e(i) .fttr' «gvrjOttog
nQugxti^vrjs Tip TQÖTiy *i\v TtTayrriv noief, et ir^S-tCrj ui-ia
ävoTv «Qvriaefav, rfjs /"'«f /*tv nQosxnfifvrjs ry §r)[*crft rijs rfi erfgas noogxeiptviis
Tip TQÖn<p — Kai TOVTOV TOV rgönov tifi' txdaiov rtäv reaaaQtav
TQOTHUV «t rporBfffif, la/tßävoVTat. Wahrscheinlich konnte dieser Abschnitt
der Schul-Doctrin aus Syrianus entnommen werden; wenigstens scheinl derselbe,
soweit wir ihn früher (Abschn. XI, Anm. 98. u. Abschn. XII, Anm. 118.) kennen
lernten , völlig der Mann zu solchen Combinaüons-Spielereien gewesen zu sein.
22) Ebend. p. 51 : lloiaiog xccvtöv, i'm m av xari«/ IITIXH'X; eli>iifitt'«>
TO dvvmbv, TOVIKI anoSläorai xai id fvoejfö/^tvov öfioltag,
i rff aiiTov TO ääüvarov, xai ttVTKfanxtäs TiQoeVTjvey/Ae'vov ärro-
(fäaxeiai xai 16 ävayxKiav.^
zfevrfQOs xavtov , Sri <t> av uno<f>aTtxi3g tlQi\f*t'v<t> anoSiSäitti TÖ Svvarov,
TcivTip ctvrä anooföoTcti, TO h'ä exoftevov , omotfäaxtTKi, äl cevrov
TÖ äävvaTov, xai ävTKfarixdif n^oevrjvey/ue'vov äTtoffädxtTai, TÖ avttyxaTov.
Tglrog xuvtüv, Sri. ov av xarayaTixiüg ei^rj^vov antxfäaxriTai tö
ävvaTÖv , anb rov aiirov änoif,äaxerai tö i"vöe%6f4evov, anoätdoTcu (fi
«ür$ TO uävvuTov , xai Ty TOVTOV uVTiymixiäg £vaVTCif> anoSlSorcti TO
ävayxawv.
TfrctQTog xaviov , OTI ov av anoffUTixtüg elQrjf*.{vov äno<paaxr)Tat 10
dvvuTov, TOVTOV &no(fiäaxtrai rö tvöfxöfj.i vov , KnodläoTai Sk avry TO
aävvctTov, xai TOV «VTiifaTixiäg TOVTW ävTtxeifie'vov xaTaffaßXfTKi TO ävay-
V.KIOV.
23) Ebeod. p. 53.: "O rfijAov Tavry Ty tx»taer
XV. Psellus. 271
•&
* P" *8
V sr * p/
W^ k» I t-
?/ -a X;
• P» 3, \y* *S^
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IlaQ-va-at-ov
272 XV. Psellus.
modalen Urlheile, jedoch mit Hinweglassung des IvösjjdfiEvov , hervor
gehoben werden - '). Dabei aber ist uns im Hinblicke auf die latei
nische SchuI-Logik von grösstem Interesse, dass hier bei Psellus zum
ersten Male technische Memorial-Worte erscheinen (ähnlich den in der
Syllogistik angewendeten, s. sogleich unten Anni. 45 ff.); es erhalten
nemlich die vier Vokale A, E, I, OT eine symbolische Bedeutung
für die viel1 Formen, welche bei jedwedem Modus möglich sind, indem
A das modale Urtheil bezeichnet, in welchem keine Negation ist,
E jenes, in welchem die Negation beim Verbuni steht,
I jenes, in welchem die Negation beim Modus steht, und
OT jenes, in welchem die Negation beim Verbum und beim
Modus steht25);
und aus diesen Vocalen sind nun für die übliche Figur Worte gebildet,
welche nicht bloss für sich 'wenigstens wirkliche Worte sind , sondern
auch bei ihrer Zusammenstellung in Einen Satz einen verständlichen
Sinn geben, nemlich : „Jovkovntvcu 'Ihäötg IlaQvaaiov lxr(>e%ov<iiv".
Nachdem auf diese Weise die Lehre vom Urtheile erledigt ist, folgt
der Inhalt der Isagoge, wobei die quinquc voces als "
(— praedicabilia —) bezeichnet werden, und bezüglich ihrer Gellung
die Auffassung sich zeigt, dass das eigentliche Prädicabile und das Uni
versale an sich das Nemliche seien (vgl. Abschn. XI, Anm. 130 ff.) und
nur dadurch sich unterscheiden, dass ersteres durch den Sprachaus
druck und letzteres durch das objeclive Sein bestimmt sei -(i). Die
24) I, 11, p. 57.: 'Imfov, STI näaai cd nyoTÜaiis al iv Ttj>
xe(ftfvai atiiälai laodwctfAoiiai rf«ä TOV ngiöiov xctvovos xal uVTiaTg
(v eavTcifs, KI <f£ £v ry devT^py äia TOV äsvifpov, xal OVTIO xant iwv
äiitov u. s. w (p. 59.) Tarfov <f£, Sri fv ry nQoeiprj/ufry oii yfyovs
ttvrjftri nf(il TOV tväexoufvov äia TÖ avTiOTQ^nv avTÖ Ty ävvary (über
diese Gleichsiellung des ivöt%6ufvov und des ävvaiöv vgl. Abschn. XII, Anm.
119. u. Abschn. XIV, Anm. 216.).
25) Ebend. p. 59., woselbst Psellus die Erklärung der Vocale obiger Memo
rial-Worte (4ovlovfj.evai, 'Iliääes u. s. f.) gibt; allerdings aber zeigt uns der
gedruckte Text in sinnloser Weise die vier Buchstaben A., B, F, A; hingegen
enthielt die oben (Anm. 5.) erwähnte Handschrift (fol. 7 a) ursprünglich das völlig
Richtige, wofür eine spätere Hand mit schwärzerer Tinte das Falsche hioeincorrigirte.
Es lautete nemlich die Stelle in der früheren, noch deutlich erkennbaren
Lesart folgendermaassen : 'lartov rfi, ÖT< äia r oii „A" voclrui ij XK&Ö/.OU
(x TOV fi^Qove TOV pij^unro? tiftutiac, xal TOV TOÖTIOV, öiä TOV
l><o&tv aTioif'KTixrj 'ix TI TOV Qy/uttToe xal TOV TQÖTIOV.
26) II, Prooem. p. 61.: Tö xctTrjyoyixöv nort fifv iaußävtTai xvolats
xal ovTia fiovov xttTrjyoQixov ItytTtti , 5 Inl nlewvtov MyfTou-, TIOTS <Se
ia/^ßävctni xoiväs, xal ovTia leytTai, xaTijyoQixov, oiifQ fj xa&' tvo; fj.ovov
rj xaTa -nitiüviav xaTTjyooeTTCti. 'O\>ev TÖ XVQ(IOS iaußavö/uivov xaTi)yo(>ixöv
TavTÖv IOTI tfti xci&ölov' ätcuffyei rfi «VTOV öutas T<j> TÖ u.fv XUTTJyoqixbv
6()C£ea&ai Ty ifyeaS-ai, TÖ ffi xaüölov Ttp etvcci' Ion <fi TÖ xairfyoQixdv
TÖ nfifvxöf XUTU 7iieiöv<ov xaTijyoqfTa&ai, xa&ölov tff TÖ neyvxds
fv niiloaiv elviu (wahrlich eine bequeme Verbindung des Platonismus und des
Aristotelismus). Tb Sk xaTrfyoqixbv fjyovv xa&öi.ov d'iatottiui yfvti ,
xtil ßvfißtßyxÖTi' o&fv Tifgl TQVTIOV IVTUV&OI
XV. Psellus. 273
Besprechung der einzelnen i'ünf Worle und ihrer gegenseitigen Verhält
nisse 2") enthält durchaus Nichts bemerkenswerthes, weder an sich noch
bezüglich der Schul-Logik der Lateiner. Höchstens das Eine mag er
wähnt werden, dass Psellus einmal ausdrücklich den Boelhius citirt28).
Die hierauf folgende Lehre von den Kategorien wird durch
mehrere Erörterungen, welche in einem äusserst losen Zusammenhange
stehen , eingeleitet (die lateinische Schul-Logik nennt diesen Complex
An/F.praeilicamt'nla} ; neinlich zunächst werden die Verhältnisse des Ho
monymen , Synonymen und Paronymen als Arten der Aussage (TQOJIOI
TOV xarriyoQtiv) vorgeführt 29) , sodann als ein höchst notwendiger
Gegenstand die neun Arten des Iv iivi elvai (s. dieselben bei Porphyrius
, Abschn. XI, Anm. 66, und bei Boethius, Abschn. XII, Anm. 92)
aufgezählt 30), worauf die Erklärung des na&' vnox£ifi,£vov und des Iv
vnoxf.if.iivm sich anreiht31), und zuletzt noch drei Regeln gegeben
werden, deren erste namentlich den Grundsatz (die sog. regwla de quocunque)
einprägt, dass alle Prädicate eines Prädicales auch vom Subjeele
gellen"). Die Kategorien selbst werden, wie wir diess schon früher
sahen (Abschn. XI, Anm. 68. und Abschn. XII, Anm. 90), auf das Schrofl'ste
in Substanz und Accidens getheilt33), von den einzelnen Kategorien aber
, 27) II, 1—7, p. 63—95.
28) II, 4, p. 79.: 'latfov il, OTI ifrjdlv 6 Bor/Tiog (Boeth. de Üivis. p.
644., s. Abschn. XII, Anm. 99.) [tövov TO fläog ögC&a&ai- 6 fifv yag öfiiauog
fx ytvovg xai ßvararixäv flvat öytttti dictifogtöv, [iovov dt TO eldog t%et
•yfvog xai fiaifOQÜ;.
29) III, l , p. 95.: JlQog TIJV tnCyviaOtv TIOV xarriyo^itäv ävayxaiä
Tiva noovnoTifKj^evoi TIQIÖTOV elra In' avTag ßafliovfie&a' xttl Srj ngärov
lorfov, OTI 6 TOV xatfiyoQtlv TOÖTIOS rgtniovs iaTi' Tiav yäo xuTrfyoftovfitvtav
TO p£v ttdiv 6fA.tavvfj.ct TU äe avvtövvfiK TU äf n«(>(övvfj.tt. 'O/ua>-
vvfia eiaiv n. s. w.
30) III, 2, p. 99.: T<Sv liyopfviav T« fj.fv elai avjj.nen).ty[j.fvtt, oiov
„KV&Qionos T^^ffi", rä dt avtv avfinioxij;, oior „avftQwnog" ft „Tofyei".
Mia naiv rj TO eTtgov jU^()o? Trj; SittiQ^atiag vnoäiaiQifUjvai <?ef äiaartilaa&
tti Toits £wta TQÖnovg TOV %v TIVI flvai , itvctyxaCovg oVTttg TTQÖS TTJV
f.noufvrjv diatgtaiv xai n<)6g aiia nävTtt T« fj.tTa TBÜTK ätoQta&ijaö/^evct.
Im Folgenden jedoch werden nur sieben Arten aufgeführt, indem das tag eldos
fv ly yfvti und das (og ytvog tv Ty tlSti fehlen; die Reihenfolge der übrigen
ist: log fifQog iv Ty oi(a — , tag oiov fv ToTg {ut(>eat - , tag däog (v viy
—, tag avftßfßrixÖTtt Iv vnoxeifJLevip —, «5? ff noiijTixy — , tag (v rAUt — ,
las tv ayyeCtp.
31) Ebend. p. 103.: Ttäv OVTIOV T« fitv eiat xa&' vJioxetftfvov, fv VTIÜxei/
Atvip St oiiSfvC tiat TO ģyea&ai xtt&' vnoxeiufvov, mg IvTcev&ct
iafjtßavetai, lUTl TÖ TOV iinoxätia XKTtiyoQtitt&ai TO <f' elvm iv vnnxtifAtvii},
(Ag li/Tav&a ).afißäveTai, XKTÖ TO avfi߀ßrjxög ZuTiv $v vnoxttfitry
T« <Te ifyfTcti xn&' vxoxfiutvov xai eiolv (v v7iox£t[j.(v<p Ta
<f^ tialv Iv vnoxtiftfvta xcti xaS- vnoxtijjifrov oiiSivog ifyovTtti Eine
versinnlichende Figur hierüber, wie sie Boethins gah (Abschn. XII, Anm. 92.),
findet sich hier nicht.
32) III, 3, p. 105.: "OTKV tTfoov ertgov xctTijyoQiJTai, Sau xaia TOÜ
XKTriyoQovfj.(vov ifyovTai, xttl xtiTu TOV V7ioxfift(vov Taina nävTa ifytTai.
Tiäv äiutfogiov ytviSv xcil ftr) vn^ nii-rjia TtTayfifviav 3iä(toQ« flai
TU tWi) xal al äicuf.oQal Tiüv ff£ ye vTräil'qJt.a yevtov ovdtv xtoivfi
rag avTag <Fi«<fopnf etvai ....
33) III, 4, p. 109.: Ttäv St XKT« urjöefifav av/j.n)(.oxi)V lfyo/j.tv<ov sxafj
ovolav arifiatvti fj avf*ßeßr)xog- xni el Ovfißtßrjxög, fj TTOOOTJ;?« rj
PRANTL, Gesch. II. 18
274 XV. Psellus.
nur Substanz, Quantität, Relation und Qualität in ausführlicher Erör
terung34) und ganz kurz noch Thun und Leiden35) besprochen; die
übrigen fehlen. Bemerkenswerthes bietet auch dieser Theil des (Jörnpendiums
nicht dar. Der Anhang zu den Kategorien , welcher bei den
Lateinern Poslpraedicamenla heisst, enthält hier zunächst die übliche
Lehre von den vier Arten der Gegensätze '"'), hierauf Angaben über die
verschiedenen Bedeutungen des ngöfegov 37), sowie des afta 38), ferner
über die sechs Arien der xivijöig3'-'), und endlich hinkt hier Doch die
Besprechung der Kategorie des Ijjsiv in einer Aufzählung der mehrfachen
Wortbedeutungen nach40).- Die Quelle aber all dieser letzteren Capitel
scheint Themistius zu sein41).
Indem nun unmittelbar hierauf die Lehre vom Syllogismus folgt,
wird ohne alle weitere Anknüpfung an Früheres sofort mit der Definition
des Urtheiles (jrjjöißöig) und jener des Begriffes (0905) begonnen, woran
sich die Erklärung des wnot nonnös und . xarct nrjSevöf (diclum de
omni und d'u-lum de nullo, vgl. Abschn. XII, Anm. L32) anknüpft42),
worauf die aristotelische Definition des Syllogismus angegeben wird und
die Dreizahl der Termini die nölhige nähere Erörterung findet43). An
jioiörrjTct fj TIQÖS TI ijyovv uVKifoqttv fj nov rj nork rj xeia&at fj
noielv T/ 7iäa%tiv.
34) 111, 5-9, p. 111—143.
35) III, 9, p. 143.
36) III, 10, p. 145.: Atynai dt hf(>öv TI ävnxeia&ai, tTtg
TÜV y«Q üvTixeijj.tv<av T« pfv etaiv avaifoQixäs aVTixtCfjitva — T«
are^rfiixa . ... ict oV elaiv (vavrCa ..... i« o t eiaiv ävii-tfuTixäg ävnxe(~
ptva ____ Näher erörtert aber werden nur die letzteren drei, denn bezüglich des
Gegensalzes der relativen Begriffe wird auf die Kategorie der Relation verwiesen
(p. 147. : TieQt /J.iv ovv T<ÖV ävcHfiopixäv etpTjrcu TTQOTIQOV).
37) III, 11, p. 151.: Tb rfi TiQortQov MytTat Ttigaj(<og ..... Tipoiepov
xmä Xßövov ..... TiQÖTeyov TÖ /J.TJ AvitOTj/fipov xara ir)V TOV elvat äxoiov-
&rjaiv, iSg7ii(i TÖ ¥v iiyfitti nQÖitQov räv ävo ..... ngÖTegov rfj n't^n
.... TiQQTSyov lö ßfinov ..... IJatia St IOVTOVS roits slQrjfifvovi TfaaciQas
roönovs lariv alias rgönog TOV jiQorfyov rtäv yüt> uvTiarQKfovtiav xara
TIJV TOV tlvai äxolov&riaiv TÖ niTiov oirwfovv &ctT((i(p TOV fh'cet Tiporf^ov
etxÖT(U( (fvaii ItyoiT* uv.
38) III, 12, p. 155.: 'Äfjia. ät Uyejcti XKTK TQCIS TQOTIOVS' .... üv i]
is $v ry cti>Ty %;>6vq) .... TK ävTtaigttfovia, uv fiffTM ovätTegöv fat>
ov KITIOV, ägntQ TU avfupoyixü ...... TB Ix TOV ctvTov ytvovg
39) III, 13, p. 157.: Kivyaew; <?£ fiärj etaiv ?f, öyiovöu yfriais, <p&o(>ü,
av'friais, [tttiaaig, atäoltoaig XKI rj XUTH lönov /tfictßolq u. s. w.
40) III, 14, p. 159.: Tb äe I/ftf noiioig TQOHOIS ifyeTai — fyftv Tl*'«
noioTr/Ta .... fjfetv /tfyeO-os .... 'tytiv TU 7ie$i TÖ ata/j.a .... las fv utgti.
..... (üf £v ayyiiot .... %%iiv XT^ctTa .... <-%eiv yvvalxa ..... ' Ia<as ovv xai
a).).oi TOV tyeiv TOÖTIOI (fiaveffv KV öl öt elat&ÖTe? Ifyea&cti a/tSov nävie;
41) Wenigstens wenn wir diese Postprädicamente mit dem Schlüsse des pseudo-
augustinischen Compendiums (s. Abschn. XII, Antn. 50.) vergleichen und den
Charakter des letzteren (s. ebend. Anm. 42.) erwägen, wird es uns höchst wahr
scheinlich, ibss Psellus hierin ebenso wie in der Topik (s. unten Anm. 64.) die
Schriften des Themistins zu Grund gelegt habe.
42) IV, l, p. 163.
43) IV, 2, p. 165.
XV. Psellus. 275
die Definition der Figur (a^rj^ci , — wobei, wie sich von selbst ver
sieht, nur von drei Figuren die Rede ist —), sowie des Modus (TJ>O'-
nog) schliessen sich dann fünf allgemeine Regeln an, welche auf süinmiliche
kategorischen Syllogismen sich beziehen44). Bei Angabe der
siimnitlichen Schlussmodi der drei Figuren finden wip auch hier in der
ersten Figur ebenso wie bei Porphyrius und Boethius (Abschn. XI,
Anm. 82. u. Abschn. XII, Anm. 136) die Beifügung jener fünf theophrastischen
Schlussmodi, welche auf einer bloss mechanischen Ausbeulung
der vier aristotelischen Modi beruhen (s. Abschn. V, Anm. 46); hin
gegen in der dritten Figur bleibt der von Porphyrius und Boelhius
hinzugefügt siebenle Modus hier hinweg. Die schulmässige Erörterung
sämmtlicher Modi riebst den üblichen Beispielen45) bietel an sich weder
Neues noch überhaupt Bemerkenswerthes dar. Wohl hingegen Irefl'en
wir hier bezüglich eines rein formellen Momentes der Schuldoctrin die
Quelle einer bekanntlich weilverbreilelen technischen Manipulation ; Psel
lus ist nemlich der erste Aulor, bei welchem sich Memorial-Worle
(vgl. Anm. 25) für die einzelnen Schlussmodi finden46). Die vier ersten
aristotelischen Modi der ersten Figur erhallen die Bezeichnung
* '
) ;
44) Ebend. p. 167. u. 3, p. 169., woselbst jene Regeln (xavovts
f exaarov räv ax^ftäcaiv xcd i&v TQoniav) lauten : HQäjog xctviäv (anv,
Sri Ix xa&ct(itöv ftepixiöv f] cmoogSioQlarwv rj ivtxäv ov ävvarai
-
ös, Sf>-tv Sti TTJV (rtyctv ftvai xct&ölov. ^tevTCQÖs (0Tiv, Sri tx
x«9ctQiö( anotfKTixäv ov ävrarai yfvtallai av\\oyiGfi.bg , fi&ev (feT rrjV
eTfyai' TOVTWV flvcti xarttcf ttiixrjv. TQ(TOS löriv, Sri Trjs fTfytis Tföv nQi>~
laattuv ovarjg /LteQixrjs aväyxrj ro 0v/j.7i£o{ta/Aa /ttQtxov flvcfl , ttii' ov TÖ
avÜTictiiv, TtragTos IOTIV, OTI rfjs frto«; TOVTWV ovar/s anoqajixijs
avayxrj TÖ ovun^QaOfta ctTioffterixäv flycti. TK^inrog larlv, OTI TÖ ftfa«v
nvSiiiOTf nnög TO avun^Qctautt ?p/fT«(.
45) IV, 3, p. 169 — IV, 5, p. 193.
46) Allerdings bietet die gedruckte Ausgabe diese Memorial-Worte nicht dar,
sie linden sich jedoch vollständig in der oben erwähnten Aiigsburger Handschrift
(fol. 17 ff.) am Rande eingetragen, und zwar von der nemliclien Hand, welche
den Test geschrieben hat, so dass nicht abzusehen ist, warum Ehinger dieselben
nicht abdruckte. Wollte man aber das Alter der Handschrift (14. bis 15. Jahrb.)
zu dem Einwände benützen, dass der Abschreiber diese Dinge aus dem Compendium
des Nicephorus Blemmides (s. unten Anm. 113.) habe eintragen können, so
fällt dieses Bedenken sofort wieder dadurch hinweg, dass Blemmides bei der
ersten Figur überhaupt nur vier Schlussweisen aufzählt, hier aber sämmtliche neun
ihre technischen Worte bekommen ; ausserdem auch waren die oben Anm. 25.
angeführten Memorial-Worte durch ihre ausdrückliche Motivirung in den Text selbst
verflochten, und wir müssten schon darum den schwer zu bestreitenden Schluss
ziehen, dass wenn Psellus einmal bei irgend einem anderen Punkte eine derartige
Technik anwendete , er gewiss bei dem formalsten Capilel der Schuldoctrin das
Gleiche gelhan bähe; ja zuverlässig waren die Memorial- Worte der Syllogislik die
früheren, und jene obigen wurden denselben erst nachgebildet.
47) Auch hier demnach wie oben (Anm. 24.) sind die technischen Worte so
gewählt, dass der aus ihnen gebildete Satz als solcher einen Sinn gibt, nemlich
„Buchstaben schrieb mit dem Griffel der Gelehrte". (Bei den Lateinern Wilhelm
18*
276 XV. Psellus.
die fünf theophrastischen Modi der ersten Figur heissen :
jtta&f
fäfjldl
die vier Modi der zweiten Figur:
(ÜCTQIOV
49);
die sechs Modi der dritten Figur:
n *
Anadi
lamug
50).
Der Schlüssel dieser Memorial- Worte liegt, wie man auf den ersten
Blick sieht, darin, dass auch hier wie oben die Vokale als Symbole
gelten, nemlich
A bedeutet ein allgemein bejahendes Urlheil,
E ein allgemein verneinendes,
l ein particular bejahendes, und
0 ein particular verneinendes.
Es lässt sich aber auch der Ursprung dieser abkürzenden Symbolik
mit ziemlicher Gewissheit nachweisen; denn für die so eben angegebene
Viertheilung der Urtheile war längst bei den Commentatoren die kurze
Bezeichnung „nag, ovScig (wofür aber sehr häufig ovätv steht), tlg,
ov nag" recipirt51), und man bediente sich derselben bei bestimmten
Shyreswood, Lamberl v. Auxerre und Pelnis Hispanus holen die Worte Barbara,
Celarenl, Darii, Ferio).
48) Diese fünf Worte, welchen den Sinn geben „Durch Buchstaben errichtele
den Grazien eine Jungfrau ein Weibgeschenk", waren bisher gänzlich unbekannt,
da sie bei Blemmides fehlen und nur in jener Handschrift des Psellus sich finden.
(Bei den genannten Lateinern, welche diese Schlussweisen gleichfalls zur erslen
Figur zählen, sind die recipirten Worte Baralipton , Celantes, Dabitis, Fapesmo,
Frisesmorum oder Friseiomorum.) Dass aber diese fünf Modi durch Galenus zu
einer eigenen vierten Schlussflgur umgeslallet wurden, s. oben Abschn. IX, Aum.
98 ff.
49) D. h. „Er schrieb (oder sie schrieb, nemlich die Jungfrau): Erlrage
einen gemässigten Mann, welcher ohne Zorn isl". (Cesare, Campestres , Feslino,
Baroco.)
50) D. h. „In Allem isl der Starke, welcher in gleichem Maasse einem Schilde
vergleichbar ist, der Tüchtigsie". (Darapli, Felaplon, Disamis, Oolisi , Bocardo,
Ferison.)
51) S. dieselbe z. B. Abschn. XI, Anm. 156., in einer Stelle, welche bereite
dem Amnnmiiis (Ende des 5. Jahrh.) angehört. Es mag hervorgehoben werden,
dass bei allen Commentaloren das particular verneinende Urlheil nichl elwa durch
„iivis oii", sondern stets durch ,,ov nag" abgekürzt bezeichnel wird.
XV. Psellus. 277
traditionellen Figuren zur Versinnlicliung der einzelnen Schlussweisen 52).
Und nun mochte sehr leicht es sich als abermalige Vereinfachung dieser
Abkürzung einstellen , dass man nur die prägnanten Hauptvokale jener
vier Worte heraushob, wobei „Trag" und ,,rl$" sofort von selbst auf
A und I führten, bei „ovdelg" oder noch mehr bei „ovSev" das accentuirte
E hervortreten konnte, und dann bei „ov TCCÜJ" das O entweder
wegen des „ov" 'oder etwa auch darum gewählt wurde, weil es der
übrigbleibende vierte Hauptvocal ist.
Nach der Angabe der neunzehn Schlussmodi folgt bei Psellus ein
Corollarium über die syllogistische Tragweile der drei Figuren, sowie
eine Erörterung über die zum Schliessen untauglichen Combinationen
(efyjMjffroi avgvylai) der Urlheile 53). Hierauf wird in aller Kürze über
jene Syllogismen gehandelt, welche aus Verbindungen von Urtheilen des
Statlfindens, Möglichkeits-Urlheilen und Nothwendigkeits-Urlheilen be-
52) Neinlich z. B. bei Pbiloponus (Comment. in Priora Analyl. Venet. 1536,
fol. XX ff.) wird in der ersten Figur der erste Modus dargestellt:
na; na;
nag
oder z. B. der vierte Modus:
ov nag
Für die zweite Figur sind aufwärts stehende Dreiecke gewählt, und z. B. der
dritte Modus ist:
Tij
Für die dritte Figur aber aßwärtsstehende Dreiecke, und dort ist z. B. der
zweite Modus:
• ov n«s
oväfv
53) IV, 5, p. 193. u. IV, 6, p. 195.
na i
278 XV. Psellus.
stehen '' '), sodann aber ausführlicher über die hypothetischen Schlüsse 55).
Die Lateiner fanden für gut, diese beiden letzteren Capilel sofort weg
zulassen. Hingegen fehlt bei Psellus .ein die Syllogistik abschliessendes
Capitel, welches bei Petrus Hispanus sich findet und unter der Ueberschrifl
De potestatiuus syüogismorwm noch einige Punkte enthält, welche
bei Aristoteles im zweiten Buche der ersten Analytik besprochen sind 56).
Auf die Lehre vom Schlüsse folgt nun unmittelbar die Topik,
und es ist zu beachten, dass dem lateinischen Schul-Betriebe der Logik
durch Psellus das .eigentlich logisch-philosophische Werk des Aristoteles,
nemlich die zweite Analytik, nicht zugänglich gemacht wurde.
Die Topik beginnt mit einer ziemlich ausführlichen Erörterung
über TtojHöfiog TOJV JtpotaOfwv (inventio proposüionum) , d. h. über die
Frage, wie der Dialektiker den nölhigen Mittelbegriff einer Beweisführung
finden könne97), ein Capitel, welches die Lateiner übergiengeu. Hier
auf wird Ao'yog nach seinen verschiedenen Wortbedeutungen erklärt,
und unter denselben für die Topik jene als die entscheidende hervor
gehoben, wornach Ä.6yog den MiUelbegrill1 eines Schlusses bezeichnet58);
diess bildet den Uebergang zur Definition des im%tiQriiJUt (argumentum)
und der rtnööeikis (argumenlalio) , woran sich die gewöhnlichen An
gaben über IjMfyojy»? , Iv'JHfftj/fia und nK^äStiy(ia anschliessen , um so
dann zur Definition und Einlheilung des rönog öictfaxTixus zu führen •"''•'>.
Die Anordnung der einzelnen Topen ist folgende: Vorerst die rönoi
loomjMHOi , und zwar zunächst jene Ix rfjs ovßiag, nemlich Ix TOV
oQiGfiov , Ix TJJJ vnoyQaqrijg , Ix Tfjs fQ^vcictg TOV ovofiorog00); so
dann jene Ix TÖV xotvfovovvrfov rrj ovaia, nemlicli ano TOV öKov xul
roii filooug, ano rjjg akiag xal TOV änoTdfGfjittTos , ano ysveaicag, Ix
54) IV, 7, p. 197.
55) IV, 8, p. 201 IT. Die Lehre von den hypothetischen Schlüssen ist hier
jene nemliche, welche wir Abschn. XI, Anm. 166. trafen.
56) Nemlich das nitlia avlioyC&aSui (s. Abschn. IV, Anm. 608.), fx ipeväiäv
alr]9ij avlioy(£ta&ai (ebend. Anm. 610.), xvxlqt ätCxwaS-ai (eb. Anm.
615.), aviiaifftyiiv av).ioyia/*öv (eb. Anm. 619.), und 6 äiä TOV ütfuväTov
aviioyia/^ös (eb. Anm. 623.). Es bleibt hiebei immerhin die Frage, ob nicht
die Hinweglassung dieses Capitels bei Psellus lediglich auf Rechnung der hand
schriftlichen Ueberliefernng zu setzen sei, und ich möchte diess sogar für das
Wahrscheinlichste hallen.
57) V, l, p. 206 ff. _
58) V, 2, p. 218.: 'O loyog TioiUa^ßif IfyeTai. /ZpaJrov [ttv yäg TQÖnov
b /.o-yoe 6 avrös (an ry ÖQiajAy fj rjj vnoygcKpfj äs fv ry ,,0vviö-
Wfiä eiaiv tav rovvofia xoivöv xal 6 xtira rovvofiä ioyog i^f ovatas o
avTOs". divjeyov ä$ TQÖTIOV ioyo; tt> aiiro tanv oneQ ioyoe ättxvvs fi,
{!>snt(> ot ).öyoi ijyovv ul avili.oyiai.ioi räv äialtyo/ttvtov. "ÄMov rf£ rpÖTiov
ö ioyof fariv ontQ 10 fiifo; rije V^g , tagneQ iv ry fia^aiQ((fi 6 ftlv altanv
virj, TJ öl nposSTiayd-eiaa r<i> aiä^Qy äiä&tals iffnv eläos.
V $1 TQÖTIOV iöyo; iaTiv dney fj ovatct TOV xoivöv TOV xaTtjyogovxttTtt
irlfiöviov, ägneti jj ovata TOV ytvovg rj TOV eliovg. Haoa
ToiiTovg <St Toii; TQÖnovg köyog iailv onig TO p.(aov , oV ov tnäytTai TO
aCfpa , xal XCITK TOVTOV TOV TQÖTIOV IttfißüvCTai ö iöyoe (v Ttji
TOV fni)[tiQrifiaTog.
59) V, 3, p. 220 — 4, p. 234.
60) V, 5, p. 234 — 7, p. 246. (Loci intrinseci a substantia, und zwar a definilione
a descriptione , ab interprelatione).
XV. Psellus.
Üs, i» T&V %(tr'iGtm', Ix TÜV noivy av^ßißjjxönov 6 ') ; hierauf die
t l^mTf.(fixoi , nemlich i'£ ävTtxtifafviov , wobei die «j'ttöii/yjjftf'vn:
einzureihen waren, ano fici^ovog KOI ilatrovos, ttcp' dfiot'ov, i't, avaivyictg,
ano ^mvA»ji/>£o>£. 1 1 «gno.ttcvroff "-); zuletzt die, TOTIOI fw'öoi,
nemlich Ix TCÖV (nxrToijraw, ämo jrrtoötwi', &j»6 dta^ÄKwg03). Die
hauptsächliche Quelle des Ganzen dürfte hei Themistius zu suchen
sein 64).
Die Sophislici Elenchi fehlen bei Psetlus, jedoch, wie es scheint,
sieher nur durch Schuld der handschriftlichen Tradition °5).
Hingegen schliesst sich unmittelbar an das letzte Capitel der Topik
ein Bruchstück einer ebenso eigentümlichen als ausgedehnten Erör
terung an , welche bei den Lateinern unter der Bezeichnung „De terminorum
proprielalibus" und theilweise unter dem Titel „Syncategoreumrtla"
(s. unten Anm. 92) ihre höchst einflussreiche Aufnahme fand.
Es wird nemlich zunächst mit einer Bemerkung, welche aus dem Ab
schnitte über die Kategorien wiederholt ist (s. Anm. 30), sogleich auf
ilie Definition der „Bedeutung" (ör^tKöüv, — significalio) übergegangen,
und letztere wegen ihres dinglichen Gehaltes auf jene Worte beschränkt,
welche in sich einen allgemeinen oder particularen Inhalt darstellen,
so dass die blossen Zeichen der Quantität nicht zu den eine Bedeutung
darbietenden Begriffen (o'^o«) gehören sollen06). Die Bedeutungen wer
den sodann in substantielle (ovauadeig) und attributive (tntisaxToi) der
artig gelheilt, dass den ersteren die Substantiva und den letzleren so-
61) V, 8, p. 246 — 13, p. 280. (Loci intrinseci a concomitantibus subslantiam,
und zwar a loto et parle, a causa et e/fectu, a generatione , a corruplione, ab ttsibns
, a communiter accidentibus).
62) V, 14, p. 282 — 20, p. 302. (Loci extrinseci, und zwar ab oppositis,
disparata, a maiori et minori, a simili, u proportione, a transsumptione, ab auetoritate).
Im Texte des Psellus jedoch besteht eine Verwirrung, iusoferne das Capitel
über die avti3iyQrm(vn (disparata) von den avTixetftivct (npposila) losgerissen
und an das Ende (c. 20 ) gestellt worden war.
63) V, 21, p. 302 — 24, p. 308. (Loci medii, und zwar a coniutjalis, a casibus
. a divifione).
64) Es stimmt nemlich die Reihenfolge der Topen im Allgemeinen mit dem
jenigen überein , was wir von der Topik des Themistius wissen (Abschn. XI, Anm.
96.); einzelne Abweichungen können immerhin von dem allmäligen Verlaufe der
Schultradition herrühren.
65) Denn es wäre schwer einzusehen, wie ausserdem Wilhelm Shyreswood
und Lambert von Auxerre und Petrus Hispanus gleichmässig auf den nemlichcn
Gedanken verfallen wären, diesen Abschnitt aus Aristoteles oder aus der Uebersetzung
des Boethius zu erganzen. Wohl hingegen kann noch die Frage offen
bleiben, an welcher Stelle die Sophislici Elenchi ursprünglich bei Psellus gestanden
sein mögen, s. unten Anm. 91.
66) V, 25, p. 310.: Täv ityofitviov TU /tiv lutTÜ av^Trioxfig ityirai,
oiav „ZiaXQUTrig rp^fet" r; „av&Qianos itvxös", TU rf^ avtv avfjnioxijs,
oiav „K^ö-pouiof" ' txadrog ät riäv aOvfA.ni.fxriav ogtav fi oiialav ar\fialvti
rj nowirjTa (diese beiden Worte sind im Texte ausgefallen) tj noaÖTrjia TI avcirj
noitfv »; naa%fiv, oviia <f£ xitiu täv tttätav. 2rjfA.aoCa öi, lös
i i.(i/ußdvficit, iarl ngäyfjiftiog äict <f(avrjs xctta avv&yxrjV naQu-
S 1611, tnsiSrj näv TTpay^u« ^ xudulov larlv % ficgixöv, ä(l ras
(ftovfte TKS fifi (fehlt im Texte) arjfian'ovaae x«#oAot> ^ ftepixöy py ar)[*a(vetv
Tt, xul uviios ovx üaovtKi ö'yoi , (os ivTav&n i.itfiß('.vmn 6 OQOS' 8&IV TB
' rj tu (ttgtxa ay/titu ov Myopev
280 XV. Psellus.
wohl die Adjecüva als auch die Verba angehören sollen, woran sich
die Bemerkung knüpft, dass die Substantivität (oveimSorrfs •, — „subslanlivatio")
und Adjectivität (&it#mxoTi)g, -- „adiectivatio") weder
Dinge, noch auch Modificalionen der Bedeutung, sondern Modificationen
der Dinge seien, indem die Substantive eine „Unterstellung" (vnon&evai)
und die Attribute eine Verknüpfung (avfiMlfmiv) hervorrufen67).
Es sei nemlich die Unterstellung (vnö&taig, — „suppositio") die An
nahme eines substantivischen Begriffes anstatt eines anderen, namentlich
eines particulareren , und sie fliesse erst als eine abgeleitete aus der
„Bedeutung", insoferne letztere bloss Sache der Sprache sei, die Unter
stellung aber auf der bereits bestehenden Verbindung der Sprache mit
der Bedeutung beruhe; das Nemliche aber, was die Unterstellung bei
Substantiven , sei die Verknüpfung (ßvpnKomi) bei attributiven Wor
ten 68).
Und nun wird die „Supposition" (— ich will mich fortan dieses
bei den Lateinern recipirten Wortes bedienen —) auf das Ausführ
lichste erörtert. Zunächst nemlich folgt die Eintheilung derselben, in
soferne sie entweder allgemein (J«HV»J, — „communü") oder bestimmt
(SiwQianEvri, — „diticrela" ) sein kann, je nachdem ein allgemeiner Be
griff (oqog xoivo'g, vgl. oben Anm. 12) oder ein individueller Begriff,
welcher auch durch Demonstrativ-Pronomina ausgedrückt werden kann,
angewendet wird; die allgemeine Supposition wird dann wieder eingetlieilt
in eine natürliche (qpuaixt?, — „naturaHs") und eine aecidentelle
(jcara öiiftjSeßijjcog, — „oceidenlafo"), indem erstere auf den gesammten
Umfang eines sog. Allgemein-Begrifl'es sich beziehe, letztere aber eine
Beschränkung auf specielle Determinationen, welche an dem Allgemein-
Begriffe sich finden können, enthalte fi9). Ferner aber zerfällt die acci-
67) Ebend. p. 312.: Tüv ayfiaaiiav rj ptv lauv ovaiääovs 3ipäy/j.ctTo>
xctl tyti 16 ylvia&m dV ov6[4aiof ovaiaidavi, oiov „avO-puinos", t\ d£ iüTtv
IntifäxTov xal i-%ei, TO ylvta&ai fj dV ovöfictTog fai&frov fj rft« py/j.«Tog,
oiov ,,/tuxds" »/ „Tp^ft"' äioii xvQCiat oiix tarl ariftctafa (nt&ttoe xal
ailä XL atjfiaivSTai ovOiiodäs xa( n OrjfiaiveTßi '
'
fj iTii&tTixö-iris xccl oiiaioidoTi)! ovx ftal npäyfiaTa, «ü' dal
Qayuäiüiv, a arjtaivovrui , Ttav nQayuäiüiv, arjftaivovrui xal ov rrje ddrru^^aaaalluuss'' öö&&€v id
ovö/j.ara ifyovrcti vnoTiS-fyai, T« de fnt&tTa avfinKxnv.
68) Ebend. : 'YnöS-eais yaQ loTi noös^^fiis ögov ovduuöovs KVTI rtvog •
äiaytoei rf£ vno&taig xal arj/taaCct, 011 r\ /j,£v ari/j.ctn(a lail <ft' fmd-taetos
ifiavijs TIQOS TO ar][A.cuvä[ievov nQÜey/jia, imo&iaig ö£ lari nQosirjipis öpov
ijdr) arj/talvovTos TÖ ngäyfj.u avil {legixov iivos, lös orav MyijTai ,,av-
&t>tanog jiqtyti", ovro; 6 OQOS 6 „av&Qionos" iinojC&fTai «fii 2a>XQ«iovg
xal märcavoi xal TÜJV a).t.(av. Kitl äiä i( f] ar][*aa(a nyoifga lajl ri)S
vito&^aeios xal ov ar)/4atvovai TO ai/TÖ; äiÖTi TÖ ar)/j.aCvtiv tarl TJJJ <ftavfts,
TO (ft vHOTl#ta&ai opov riäy a^fiafvoVTOS, TovTttfTi avv&frov Ix (ffovfis
xal Oriuaatag- tj imö&eaig itoa ovx laTl ai)[taata. 2vfj
7rpdsA7)i/«ff opov Im&tTov ijyovv inovaiiöSovg ävTl Tivog.
69) V, 26, p. 314.: Täv iino&tatiov q fj,£v ZOTI xoivrj fj ät
'Yjiö&eaig xoivq IOTIV i\ Si SQOV yivo/j,£vr) xotvov, oiov „av&paiJios" ' vnö-
&taig SiaiQiaftl-vri lo"Tlv 17 äi' SQOV ytvou.tvi\ äuopia/Afrov, oiov ,,2.(oxQÜ-
(aus Petrus Hispanus geht hervor, dass hier folgende Worte ausgefallen
sind: yivoufvrf t)V opov xoivov ueT« aVT<avvfi(as ZnidtixTixrjg TOV TIQIOTOTUTTOV
etoovg, oiov) „OVTOS 6 uv&qtonog". "ETI Täv xoiväv vnofKaeaiv ij
XV. Psellus. 281
dentelle Supposilion abermals in eine einfache (ankij , — „simplex")
und eine persönliche (W^OSOMTWM/ , — „personalis") ; die erslere der
selben bestehe in der Annahme eines Allgemein-Begriffes an Stelle des
von ihm allgemein bezeichneten Dinges, d. h. ohne specielle Beiziehung
jener Dinge, welche als zu seinem Umfange gehörig unter ihn fallen
( TK KcrccÖTtQu, T.K TcmswäTf.yct) ; und zwar bestehe bei dieser „einfachen
Supposition" wieder ein Unterschied, je nachdem der Allgemein-Begriff
im Subjecte oder im Prädikate stehe, und man müsse hievon jene Fälle
streng ausscheiden , in welchen der Allgemein-Begriff durch einen Zu
satz (A«|iff jwvyaö^ftaojrm/) eine nähere Bestimmung, z. B. namentlich
durch restriclive Ausdrücke eine Beschränkung erfährt, denn alle der
gleichen Supposition gehe bereits in die „persönliche" über; dass aber
auch dann, wenn der Allgemein-Begriff im Prädicate steht, es eben
eine einfache Supposilion sei, wird ausdrücklich an einem traditionellen
Beispiele gezeigt l0).
fttv. (fvaixr) ij rfi xarcc avußtßnxög. 'Yfiö&eatg <fvaixr\ IOTI
opou xoivov ävTi nävrtav , vtf>' tav fttTfyia&ai nfyvxev, oiov o
xaS-' ttiiTov £tit}[*.[j.£vog (in den Worten xa&' avröv liegt ein Gegensatz im
Vergleiche mit HQÖS 11, s. unten Anm. 82.) Ix Trjg Iotas tfüaitog vnoi C^aiv
ävTl naVTiov av^üiäniav Tav ytvo/ntviav xal ovTiav xal lao/te'vtuv' xata
avfißtßrjxog <Ji vTioS-iafg fdri nftoglijipig ÜQÜV xoivov CCVT* Ixttviav , a ro
awn\(tfafvav airairei, oiov „KV^QUITIOS fariv" ovros 6 OQOS ö „av&(>canos"
vnoil&i)ai (vTctv&a avrl TIÖV (vearioKov, Srnv d£ teyrjicii „nj/*pw7rof ij»»",
vnoiC&ijai ntgl läv naQsl&övruv, xal oiav „av&(><anüg fCTT«i", iiTioTCS-rjai
neiii TIÖV ftei.it.6vi tav' xal ouiia äiatfOQOvs vno&eaeis $Xli xaTu T"S äiu-
</ tiiiets i(äv avrov OrifiaivoVTfav.
70) Ebend. p. 316.: Tiäv (fi xara av^ißißrixo; vnofKatuv q fttv fanv
ani.fi ij äi it(>o$<oiiixri' ÜTilij vizöfrfalg tan npäflippts ogov xoivov avil
ngäyfiaTog xa&öiov armai.vofj.fvov äi' «vrov, (äs orav IfynTcti „o iiv&Qtonde
toitv £»doff" rj „ro £yöv (OTI ytvo;", ovro; ö opof 6 „av&Qionog" iino-
Ttörjaiv ctvil iov av&Qtönov £v T(I> XMVÜ , a/U' oiix BVT' äiiov iivos läv
xar toi tqtav, ö[to(<os xal oi<Tog 6 öoof „TÖ ftjioj'" vftorühjatv avrl TOV £(pov
(v TOÜ xoivy xal oiix ÜVT' akkov iivog TIÖV raTiiivoTfyfov' tag d" avriag
xal tv ixaT(Qip (zu lesen fxätJTtp) opcu xoivy , tag „TÖ yiiadTixöv (OTIV
läiov" r) „TÖ ioyixov taii öt.ayo(>ä" rj „TÖ kfvxöv f(STi avfj.ßißrjxös". "Eli
T(Sv änitov vno9-(at(ov f) u£v tariv SQOV xoivov Iv vnoxsiptvtp
oiov „6 av&Qtonög tonv fW'off". r} d£ itSTiv OQOV xoivov Tt&Jvrog iv
yo(tovfj.£vip xaTa<f.aTixip, oiov „nag av&otanög tOTi, £yov", oviog o opoj „lö
föior" £v TI!> xaTi}yo(>ov/4,£v(i> Tt&clg anirjv Z/ei vTiö&eaiv, SIOTI fiövov iinoavTl
Trjs ifvaitog TOV yfvovg' ällr) <f^ IGTI.V opou xoivov
£tjiov naga TOVTOV TOV uv&Qtonöv faTiv cikoyov", äii' lortv txet
Tr)g Mt-fiog Ttfi nqotfvai (!; änirjs vnofrtaitag ei; ngogianixr]V fs
ov' ofj.oliog xavtav&tt „ö av&Qtonög (OTIV eläos" (ausgefallen: Tig
«p« civ&ownög (ÜTI.V efrfos) xal näiiv „n&g Kv&QtoTiög (OTI £<jiov, n&g
«p« civ&Qionög laiiv (ausgefallen TOÜTO TÖ f^Jov)"' tv näai ycig ylvaui
-ngöoäog ti; &nlr]g -ijno&fattog tlg nQogtamxrjV. 'ÖTI dk ö xoivog^oQog tv
T<p xaTijyo(jov[j.£vt!> Tt-frelg äniäg ^etogtiTai, örjlov. Ix TOV i£yeiv,^ OTI nav-
TIOV Tiav avTixfi[j.tviov r\ avTr] iaTiv tniOT-l\fiiT\' et fj.r> yug OVTOS 6 6'pof „i;
lniGT-i\pr)" änirjv f?/ev vnoft-taiv, ijjevSkg äv r\v' oiioepla y«p ptQixrj fni-
(tT-qftr] änaVTtav TIÜV IvuvrCfav tßTlv ' r] ycty taTQixr] ovx iml^ ncivTcav
fvaviCiav, tti.lit. fiövov TOV vyiaCvovros xal voaovvTog, xal r
TOV TiQpioa/ttvov x«l ttvagnotSTov, xul (nl Twv ailfov 6f*oC<og.
282 XV. Psellus.
Und es folgt nun die zweite Species der accidentellen Supposition,
neinlich die „persönliche"; das Wesen derselben liege im Gegensatze
gegen die einfache gerade darin, dass ein Allgemeinbegrifl' an Stelle
der unter ihn fallenden Dinge, welche seinen Umfang ausmachen, ange
nommen werde; durch eine abermalige Eintheilung aber wird sodann
innerhalb dieser persönlichen Substitution wieder unterschieden eine
feststehende (ditoQiO^ev^, — „delerminata") und eine verworrene (evy-
»tyvpiwi, — „confusa") ; die. erstere finde Statt, wenn die .Quantität
des Allgemein-Begriffes entweder gar nicht oder particular ausgedrückt
sei, und eine feststehende werde diese Supposition darum genannt, weil
ein auf derselben beruhendes Urlheil, wenn auch zu allgemein ausge
sprochen , dennoch jedenfalls von Einem unter den Allgemein-Begriff
fallenden Individuum wahr sei; zur Erläuterung aber wird hier zum
ersten Male (wir werden sehen, dass im weiteren Verlaufe diess zum
wesentlichen Bestandlheile dieser Erörterungen sich umgestaltet) ein
Sophisma beigezogen , welches zu den SK TOV GyrjficiTOS «Jg ke&tag
genannten gehört71).
Die Besprechung aber der zweiten Unterart, nemlich der „ver
worrenen" Supposition führt zu noch ausführlicheren Untersuchungen
und zur Schlichtung einer Conlroverse. Eine verworrene Supposition
liege dann vor, wenn ein Allgemein-Begriff durch Vermittlung des Zei
chens der Allgemeinheit (d. h. des Wortes „Alle") an Stelle mehrerer
unter ihn fallenden Dinge angenommen werde; dabei aber sei wieder
ein Unterschied, je nachdem diese Unterstellung aus der zwingenden
Notwendigkeit jenes Quantitäts-Zeichens oder aus der zwingenden Not
wendigkeit des Sachverhaltes selbst hervorgehe, und zwar betreffe der
erstere Fall das Subject, der letztere aber sowohl die Copula als auch
das Prädicat r'~). Aus Letzterem aber folgt nun die abermalige Unter-
71) Ebend. p. 322.: IlQogainix^ tanv vjiö&catg lijipis xoivov SQOV avrl
itäv lähov XttTWTfyatv , oiov „avU-Qionog Tp^f«"' ovrog yao ö opo? 6 „av-
&Q(o7iog" xtiTtti aVTi TIÜV iäliav xaTiorfQiav. "£TI T(ov TiQogtonixäjv iinaftl-
oetov i\ fjtfv tan- SiioQiantvri ij äe avyxe%v[t(vri. dtiotjta/jtvi) ptv ifytr
«t rv %£t OQOS xoivös aSioglatias tlir)fj,f^(vo{ 1j ftera nf)ogöioQi(S[t.oii TJIOI
[iiQtxov, oiov „UV&QÜITIOS rp^ffi" ^ „äv&()(a7ioe xivetrcti" ij „TIS
jj^et"' x«i IfytTKi. exaifga lovitav Siotfiiafifvi) , äion, ei *«i
TOVTOIV ovTog 6 opof 6 „&v#()(onos" vTioift^rjaiv avti ncnros
av&Q(onov TQ^/OVTÖS rs ofiotiag xul /urj, oftiag evös rp^oviof «i>;öij? ianv'
yÜQ lari ro vnoji&tvai xal aiio TOV iöyov ttÄrj&fj KTiodiäovesi avil
g' £v yct(> tois nQotigru^fvoig , tag eiQi]TKi , oitirog 6 ogo; 6 „av>oTios"
tjaiv ävrl nctvrög avS-(t<onov, togneg TOV r^fjfoviog ovria xal roij
^ovrof, a).).' «TioSCäiaai röv äiijS-fj iöyov ftövov avrl TOV Tp^oviof.
dt Exurtga TOVTIOV iaii äiai(>ia^vi] , örjlov tvrcvdev o-iav yag XiyrjTtti
„£({>6v (an JStaxyriTtjs. £tj>6v tan KixtQtav, xal tnl icüv aiitov lagavtiag,
aga £tf>6v lari nag äv&QioTiog", IvTuv&a TO o%jj/*a i^e Mfetos lanv
ano Ttieiöviov änoQiafifviov £nl fj.Cav äiiaQiO/u^vrjV , xal ovrwg 6 xotvog
opof uäioQ(aT(ag iyy&flg fy*' vito&eoiv öifoi>ia/u.fvi)V' <ägavi<ag xttl fit r et
TOV fttQixov n(fog3ioQiafj:Ov.
72) Ebend. p. 324.: Svyxtxvufvri vnö&eaCs IOTI lytyts ogov xoivoü
&VTI ninoviov [teaiTEvovTos xa&ölov noogdioota/uov, nag STUV ifytjTat „nag
av&gianog taTi fftjov", ovTog ö 8(>og 6 „av&(?<anog" fifOtTevoVTog TOV x«-
arjfielov xQuinTiat ävil nitiöviav tag txäaruv TQVTiav OVTOS lä(ov
XV. Psellus. 283
scheidung, dass bei dieser Slipposition der Subjectsbegrilf in beweg
licher Weise (xivijrwg, — „mobililer") und in verteilender Weise
(diavs^rfCMäs , — „distributive") verworren supponirl werde, ncmlicli
ersteres darum, weil durch alle UnterbegrifTe herabgestiegen werden
kann, und letzteres darum, weil er von jedem Einzel-Individuum gilt,
hingegen dass der Prädicatsbegriff nur auf unbewegliche Weise (axivertag
, — „immoMlüer") supponirt werden könne, weil hier ein Herab
steigen auf die niedreren Theile des Umfanges unstatthaft ist, wenn
man nicht in Sophismen verfallen soll; eben hieran aber knüpft sich
das Bedenken, ob diese Behauptung einer verworrenen Supposition des
Prädicatsbegriffes nicht im Widerspruche stehe mit obiger Angabe (Anm.
70), woselbst die Supposition des Allgemein-Begriffes, auch wenn der
selbe im Prädicate stehe, zur einfachen (ardij) Supposition gerechnet
worden war 73>. Und indem nun Psellus die Lösung dieses Wider
spruches vorerst nach der Ansicht Anderer angibt, welche darauf hinaus
lief, dass einerseits die Gattung als solche durch eine einfache Suppo
sition substituirt werde und andrerseits zugleich die in den Individuen
vervielfältigte Galtung zu einer unbeweglichen verworrenen Supposition
verwendet werden könne , und hiernach kein Widerspruch zwischen
jenen beiden Angaben bestehe, spricht er nun seine eigene Meinung
aus, welche dahin lautet, dass der allgemeine Prädicatsbegriff überhaupt
zu keiner verworrenen Supposition, weder in beweglicher noch in un
beweglicher Weise, tauglich sei, sobald beim Subjecte das allgemeine
"ETI Ttov avyxe/v/ttviav vno&fattov rj fj.tv IOTI au)
T!J avayxrj TOV nQogSioQiOf^ov % TOV TQonov, r] ä( IOTI. avyxf%v//{vri ijj
aväyxy TOV ngäyfiatos' tag OTUV ifytjTai „nas äv>anos fij}dj' £<m", oviög
ö ooog ö „äv&p<u7ios" Trj aväyxy TOV xa&oiov ai)[ie(ov avy%efTai rj dtctvtitfuti
vneQ fxäaTov tStov iinoxti [*(vov , xal tnfl sxaOTog av&Qianog tyei
TTJV täiuv vnaofiv, äia TOVTO TO (typta TOVTO TO „fo"T(" XQaTtiTai ig
aväyxij rov nyayuaTog avrl ToaoiiTiav i/Trafigeiav, av&' oatav av&Qianwi',
xal (nel txcinroj av&Q(onü>v ivtGTiv rj iäla ^ifiÖTrjg, äia TOVTO xoaTeiTiti
TTJ äväyxij TOV ngäy/AUTog ävTl TOOOVTIOV £<p<ov TO £<pov , av&y Sotov
avStgianiov 6 av&Q(onog xal «v.9-* oaotv vna(>£ttav xal TOVTO TO „laTl"
TO {lijUif..
73) Ebend. p. 326.: "OS-iV OVTOS ö oQog o „«j^pcuTios" ifynai iinoti-
&£vai auyxexvfifrug xivr\Täg (dass dieses Wort ausgefallen sei, zeigt sowohl
das Folgende als auch Petrus Hispanns) xal $iavtfj.rjTixtäg' ät.).u avyxe%vfj.£v<og
ulv xal äiave,u.riTixäg iinoTlüriai , rftön xQUTtiTai avtl nuvTÖs äv&qtanov,
xivrjTtas öe , äiÖTi eSco~Ti yCvta&ai xaTaifaaiv (zu lesen xaiaßuoiv) vneo
IXUOTOV iilov vTioxe ifitvov , oiov „nag Jtv&y<onos £tj>oi', £toXQairjs «p«'
nag av&gwnog fijJoj', IliuTtav np«" ' OVTOS <ft ö ofios „TO fijiov" MyeTat
avyxsxva&at axiv^Tiag, SIÖTI oiix SftdTi y(vta&ai xaTiißaaiv vn' avTÖ,
oiov „nag av&Qionos I<ITI (ausgefallen £ßov, nag äpa rivdyianög IOTI) TOVTO
TO (ifiov", aiV iariv Ixti fj n^öoSog anb Tijg an't,fig eis TIJV ngogtomxnv
, tag ivTav&a „6 av&Qtonög IOTI. Ti(j.iiÜTaToy TtSv xTiaptÜTOiV , «p«
OVTOS ö av&gfanög (OTI TifiioiTaTov Tiäv XTiOftaTcav" xal „TO qoäov TÜV
av&fiav Tifi.iiaia.TOv IOTI, xal TI «p« qööov"' aiia xal TOVTO äiatffyti,
xa&ö iv TovToig iüTiv q iinoS-tOig anb TOV fi^Qovg TOV vnoxtifitvüv , txii
<f« and TOV [tfyovs TOV xaTtiyoQovptt'vov , st xal ToiivavTtov ooxil OVTICQ
\TCU nQÖTtqov, OTI iv TavTrj ry „nag av&Qainög lau £iöov" ot/Tog ö
; „TO fyov" iv r<p xaTTiyoQOV/Afry Tf&tlg aniriv £%£i vnö&taiv , xal
...-.«>-. 1^ tytiv avyxej(v/j,e'vriv (die letzten fünf Worte fehlen im Texte).
284 XV. Psellus.
Quantitätszeichen bejahend stehe, denn der Prädicatsbegriff repräsentire
(im Hinblicke auf eine Stelle des Porphyrius) dann stets einen Gattungs
begriff, die Gattung aber höre durch jene Vervielfältigung, sei es durch
bewegliche oder durch unbewegliche, jedenfalls auf, Gattung zu sein 74),
was auch seine Bestätigung durch eine aristotelische Stelle finde "'•'}.
Nun aber wird diese Erörterung noch in weiteren Unterscheidungen
fortgesponnen; zunächst nemlich sei zu erwägen, dass der Begriff des
Ganzen (i'tlov) ein anderer sei, insoferne er den Gattungsbegriff betreffe,
und ein anderer, wenn er quantitativ verstanden werde; eben letzterer
aber komme bei der verworrenen Supposition in Betracht, und zwar
als der des vollständigen Ganzen bei der beweglichen, und als der des
74) Ebend. p. 328.: ÜQog TOVTO iexrfov xttTci Tivag (diese Worte fehlen
im Texte), <f«m, xa&6 yfvog xaiifi'OQeiiai ixet XKTU TOV ttSovg , OVTIO xctl
oviog ö oyug ,,TO £<pov" ctVTl xoivoii ctvTfjg XQctTMcti, onect lart TÖ ye"vo(,
xctl oiJTtog 6 ociog ankriv i/ei vnoS-eOiv' xa&b St TJ xoivrj ctvTri cfvaig (der
Text gibt xnS-6 txtCvr) r) ülrj&rjg) ixelvov TOV yfvovg nollKnlaaiü&Tcti cttä
Tf]i vnofKaeuig TOV ttV&Qianov, oviia Äe'yeTctt tyeiv avyxe/v/nfvrjV, oii xivrjiclts
ctili' axiVTJTtos' rj ycty avyxi%uft£vr) xtvrjTiäg iinoO-tOis ov ävvarcti afta
th'iti pierä tfjs üniijs ovre xara 10 HVTO ovie xartt dtä(fO(>a, «ü* ij axtvrjTiut;
csvyxtxvutvri vjiö&iais ävvarKi ci/ta ilvai fifia rrjs aniffg ov xarä
10 itim'i, it/.iit xaitt fittttfoyu, <ä; tiQrjTai (letzteren Satz gibt Petrus Hispanus
bei gleichem Sinne in abweichender Form) • xat OVTID äff Iveir TTJV Ivttvitöitira,
ttfttlveto TOIS Tipofipijjit^voif, Sri 6 xoivos OQog Iv Tip xatr]yo(>ovpi£v<i>
is ett «?r>l^v vnöD-taiv xctl avy%tiiai axivrjitos xa&6).ov xctrttqaTixoi
övros (v ry vTioxet/j.i'Vy , oiov ,,nS; av&qtanös (an (ijiov"
(dieser Satz fehlt bei P. Hispanus)- niuui äi iyo> (diese Worte übersetzt P. Hispa
nus ganz gemüthlich mit „serf ego crerfo") aSvvatov ilvcti, xoivöv OQOV Tt&tvra
tv T<j> xKTrjyoQovufvia awyxfia&al xivt\i<äq % (die beiden letzteren Worte fehlen
im Texte) axivr^ioti x«&6ii.ov arj/^tfuv Iv vrroxei/utvy xaTcti^arixäg (fehlt im
Texte) it&fvros, oinv „näf av&Qtanög tau fqiot> , i'juoCiag äk xaTil Tiäv
(c. 27, p. 332.; Ehinger nemlich beginnt sinnlos hier ein neues Capitel),
ägnfQ xai o IIoQy.vQiog ßovie rat., n&v xctrr]yoQüvfj.evov ij ftttfov ij
V r\ avreaTHct/Afitvia; ifyerai xai TifQl xctTrjyoyCas TÖ xafr' avrd
axonft (s. Abschn. XII, Anm. 124.)' Ivittv&ct « ,,i«? avS-Qtonös lau frjjov''
xanjyoQta xa&' avTÖ (OTI xcil ,ur/ ävTtaTQce/uf^fv(as xairiyoQfiTKi, fielfov
«p« (letztere zwei Worte fehlen), xctl ftii <og avftßeßqxö; , aga tos ovauäfes'
itQci fj yfvog fj äiaqoQa' (diese fünf Worte fehlen hinwiederum bei P. Hispanus).
«JUa (A.ri iimfogä' ctQa yfvof Sfteai fttvrot ij tpvaig TOV ytvovs Tioiilct
ataif&elaa xtvr]T<ä( fj axivrjTiog ovx lOTl yfvog' ovxovv oictv ifyrjTni
ävfr(xaii6( (an f^iov", Ti&tfttvov £vTetv&a yfvovg ovx IOTI äwctTov ,
TOV xotvbv noiianittdia&aftai xivr\T<äg rj axivrinog, ogTig arjftttivci TTJY
ifvoiv TOV ytvovg, öiüii rjdrj ovx äv f\v yivog , ügntQ fl ö „av^toTTos"
avyxtoiio xivrjTäs ^ axivrfitos, oiix tarlv rjär\ itdog. •
75) Ebend. c. 27, p. 334.: "ETI tö ctiiTÖ äoxft (x TOV 'AQiaroT^iovg iv
icji TrpaiTfti T<3v ToTTtxwv (Top. l, 8, 103 b. 8.)' ifytTai yÜQ' „äväyxi\ näv
TO xarrjyoQovftevov xetTa Ttvog fj «VTfaT(>af4fi(v<ag Ixiivov xaTt]yopfia9-ai
y JATI' ei ttev aVTt aTQu/A/j.£vtog , ogta/iös fanv rj iStov, fl äi [ty cmt-
OT(>aftfj.{vto$ , rj nCniti ilg TOV oQiOfiov rj ovSufj.<äg' ei (jtr\ ntniet, teil
av/Aßeßrjxög' ei nliiTet, rj yCvo; taTlv fj Sitttponä." ' xai axontl o ^atarorfijj
», Sniag av eTrj rj xctTriyoQ(a op^i}, xctl vnöxeiTcti 16 tläog xa&' avTÖ
nol.iK7i}t.aaitta&£v. '411' (v TavTrj rjj „nag «vd-iiiortog" ?Oit xariiyogi« xai
„BVtfpcuTToj" vTioxMcti xctl firj aVTt cjTQUfifjLfvtog xctl riyoQMtti fj av/ußeßitxös '
«p« yfvog rj dictifood' otiia [*r) iitofQfjä' OCQCC yfvog' xctl ovTtog nrpo? «ÜTO
ägneg xctl nQÜTov. lAdvvatov ovv , TOV xotvbv OQOV fv Ttf
' TtS-fvra xivrjTcSg rj uxivrlrcag avyxeta&ai.
XV. Psellus.
unvollständigen bei der unbeweglichen Supposilion, und aus eben diesem
Grunde könne bei dem Prädicatsbegrifle, welcher slets Gattung sei, von
einer verworrenen Supposition keine Rede sein "6). Ferner sei die
aufsteigende Beziehung des dem Umfange nach Niedrigeren (TK HUTIÖ-
TfQct) auf das Höhere (TÖ avonegu) gerade entgegengesetzt dem Herab
steigen, nur die erstere aber finde bei dem Allgemein-BegrifTe als einem
wirklichen umfassenden Gattungsbegriffe statt, letzteres hingegen enthalte
allerdings jenen Process der Vervielfältigung, habe aber eben darum
mit der Gattung als solcher Nichts zu schaden 7"). Der Grund des
Zweifels aber, zu dessen Lösung diese Bemerkungen dienen sollen, sei
darin gelegen, dass man eben bei Urlheilen , deren Prädicat ein Gat
tungsbegriff ist, die Supposition völlig in gleichem Maasse für den Subjects-
wie für den Prädirats-Begrilf annahm, weil da letzterer in jedem
unter den Subjects-Begriff fallenden Individuum sein individuelles Dasein
habe; hingegen bei Ürtheilen, deren Prädicat nur eine accidentelle
Eigenschaft ausspreche, habe man sofort bemerken müssen, dass jene
Eigenschaft je nach ihrem Vorkommen an ihren Trägern eine Verviel
fältigung erfahre, und dass dabei im Subjects-ßegriffe nicht eine Individualisirung
einer im Prädicate liegenden Gattung bestehe78); daher
76) Ebend. p. 336.: "Eit O)LOV xu#ölov, onty ytvtis, xal öiov iv noaoTtjji
avit&eatv tyovaiv. ^Aüit fit)V 10 oiov (v noaoTrjTi äij(iSs ifyfrai '
ian tutv yttQ oi,ov TI £v no<sÖTi\Ti avftnenir]oiafifvov , orav 6 xotvös OQOS
xivrjTios avy/fiTtti, xal i-ari TI oiov fv noaöiijTi äavfj.ni^()ioTOV, orav äxivr\
To>s ö xotvös fiäiiov avy^eiTai. Ei «p« ö xotvos 8(tog äitidis xai nfj
auy%tiT«i, OVTM xai TÖ iv nooÖTr/u biov iQonov nva xnl ctniiäg xal JTJ/
yfvtrai (dieser Salz fehlt bei Petrus Hispanus). Ovxovv üävvaröv fort TÖ f'v
noaörijTi olov ilvai yfvog, o#iv aävvcnov tan TÖV xoivöv OQOV fv -lüi
x(tTr/yo(>oufA£v<{> Tf&fVTct avy%fiatitii , tag HJuyov.
77) Ebend. p. 338.: 'Eri rj nagtt&tais Ixdvr], xaft-' ijv avfyfyov TÖ xct-
T<oTet>ov tis TÖ avtoieqov «incOi', avnxeififvri (aiiv £xe(vy rj nuqa&tati,
XC<&' TjV ttVfKfifytTttl TÖ «VIOTfQOV fl$ T(> XttTlÜTtQOV dÜK XKTa TTJV 71(10)-
rrjv iit/^ßccvtrat TÖ xoivöv (v ry /öyti) TOV xotvov' ovria yitQ ttvrö TÖ xoi
vöv lv £ttvT(ji TitQifyti TiävTtt TCC im' avrö övia" ali.it xaTa trjv ir^Qav
ittftßavtTcu TÖ xoivöv^ noit-Knlctaiaa^tv rj (die letzleren drei Worte fehlen im
Texte) avyxexvftfvov yyovv TÖ xivriTäs xoivöv «VTI iravTiov r/yovv (offenbar
fehlt SifiVf/^riTixtög, s. Anm. 73.) av-ft' SXUOTIOV. Üp« (zu lesen 2fp' ei) TÖ
y£vo$ !'(TTßT«i xa&' KVTÖ (v TtS TOÜ xoivöv ioyy, oiix IOTI ävvtnöv itvTÖ
78) Ebend.: Xui TKVTCC [tiv auyxuyiS (bei P. Hispanus: Et tinee quatuor
argumenla sunt conceilenda) ' r) öt TOV xiveia&cti nlT(ov (zu lesen KVTOVS ctiTta,
P. Hispanus: Causa autem, proptcr quam movebanlur isli qui fuerunt huiusmodi
opinionis) yuältog Iv&rjrtfTai. ^Kyovai y«p, (äs, OTKV ifyrjTai „n&s av9-Q<a-
TIÖS fOTi £ijiov", exaaTov av&Qwnov tyfiv TT\V ISluv vnctggiv xal fffiörj/i«,
xct&ö aävvuTov äv&Qtanov ilvcti xal firj tlvoci £(jiov , ovitog 6 OQO; ,,£yov"
aVTl ToaovTiav £<f>iov xoaTfiTai av&' Saiav av&otÖ7i(ov civ&oianos (letzteres
Wort fehlt im Texte)' Ifyofiev yao (v Tavry TTJ nooTadti /j.r]ölv elvai Mag
(dieser Satz fehlt bei P. Hispanus, sowie überhaupt auch im Folgenden manche
Abweichungen sich zeigen, und jedenfalls beide Texte, sowohl der uns erhaltene
voi ia&ai , oooi av&(>io7iol elo'iv , «v*' oatav
x(j«i£jT«(. sttiiltt (.trjv uTo-nov Myeiv, TÖ nltj&os fxelvo TIOV
286 XV. Psellus.
zeige sich bei richtiger Erwägung dieser Verhältnisse, dass der Gattungs
begriff eines allgemeinen Prädicates zu keiner verworrenen Supposition,
weder in beweglicher noch in unbeweglicher Weise verwendet werden
könne 7<J). Hierauf aber wird in ähnlicher Weise gezeigt, dass auch
die Copula keiner verworrenen Supposition fähig sei, indem der Gattungs
begriff, welcher im Prädicate liegt, von Anbeginn an im Subjectsbegriffe
vorhanden sei; und hiemit wird obige Angabe (Anm. 72), dass
die eine Species der verworrenen Supposition auf zwingender Nothwendigkeit
des dinglichen Bestandes beruhe und sowohl im Prädicate
als auch in der Copula auftreten könne , jetzt direct dahin berichtigt,
dass eine verworrene Supposition überhaupt nur durch die Nothwendigkeit
des Quantitätszeichens erfolge , da jene in der Individualisirung
liegende Vervielfältigung des Gattungsbegriffes nur dem natürlichen Ge
biete anheimfalle, hingegen für das logische Verfahren der Gattungs
begriff als solcher von der verwirrenden Vervielfältigung unberührt
bleibe, wornach die einzige Veranlassung der verworrenen Supposition
nur in der Allgemeinheit des Quantitätszeichens liegen könne so).
TrJTiuv Sia TO Tiif^ug Trjg xtcTrjyooCKg £V elvai , ort fxeT ifvxov xai fit'iav
TioiiaTiiaaiK^erai. "Orctv ityta, röv av'hQianuv avyxtloO-ai xitTa rrjr rtov
ipvaixäiv ödöv (richtiger P. Hispanus : logice loguendo, non naturaliter) Ix TOV
fiäov xai ioyixov, Sia TOVTO Iv ictvTy £yov f/ei, o#ev av&otaTiog nollu-
79) Ebend. p. 342.: 'Oftoiia; tarl xav TO) ngoe it>rj/u.tvo> , ÖTav XKTr\yo
oiiTui TÖ yfvog, oiov ,,nag civ&giorrög IOTI (wov"' Iv TKVT/J yäo TJJ noo
TaOti iijiöxfiTtti o avfrgionog, tv <p voeiTai rö nlrj&os txetvo TIOV " '
riov, lag £?pj)T«i , xai xaTyyogiiTat TOVTO TO yfvos TÖ föjov' dioTi
igonov avy%eiTai xivyTiug fj äxivriTios, «>Uä xiviirai (zn lesen xgi
lxsf> ÄVTI Tf]g ffvaeiog avTrjs TOV yiivovg TOV xoivy xuTityo^ixov XUTÜ 7il.novarv
o&ev xai £<fiov xaTtjyogetTKi xai fyoi' votiTai £v Tip vnoxeiutvoi,
disnfQ h'rav&a „nav (yov ioyixov &vr\iöv lan £yov".
80) Ebend. : 'O/uo((us äf ifyoftsv, OTI TOVTO TÖ Qrj/<ia TÖ „laTtv" ov avy-
%IITKI xivrifwg ij uxivrjTtag, £nfl TÖ £yov tv Tip uv&Qiöntp tl%fv CCVTÖ vnuxe(
uevov nolv vnoxtTa&ai tv rji TtQOTÜaei xaiijyooovfi£vii> XCIT' oiiatav rj
AKT« aufißsßtixog (Petrus Hispanus hatte einen etwas atiweichenden Text vor sich).
Kai äiä TOVTO Tyv JiQoäyovactv äö^av (d. h. das oben Anm. 72. Gesagte;
schlechter ist die Lesart, welche P Hispanus übersetzt: quandam divisionem fatltn)
avaaxfvä£oftfv, ärjiovÖTi OTI T<ÖV avyxe^v/^fvtuv vnoS-fafiav fj [*£v avy%iTTai
Tjj KVayxrf TOV nQogöiogia/j.ov ij dt TTJ aväyxrj TOV TioäyftiiTos. jt£-
yofiev yao , TI\V ovy/vaiv elvai Tfj aväyxy TOV Troogäiooia/^ov , togntg xai
fvTavS-ä taiiv „nnv f«5oi> ioyixov fh>i]TÖv (OTI £<jiov"' ovTog o ogog ö
„f^ov" aVTi naVTog £(pov xgaTeiTai o fo"Tiv civffjjwno;, (ogntQ xai tv
Tavry Ty TiyoTttafi „nag avS-gtonö; taTi Zyov" ovTog ö opo? ö „civ&gfonos"
uVTl nttvTÖg &v&Qianov xgaTeTTai xai otvil navTÖs fojof oTTfp civ&ga>-
nog' xttl IÜT^OV, Toaaviag fxel elvai av&nomÖTrjTus, öaaiJTai £a>ÖTriTtg,
xai ävccTiniiv XKTK Ti]v Trjg (fvaetog öSöv , xaTa 3l tr\v T<äv ioyixäv oSöv
(auch hier gibt P. Hispanus einen anderen Text, wie oben Anm. 78.) (v {xiumaiöfta)
loü avS-Qi<>nov, iSgnfg ö civ&Qionog (v T(j5 xoiv<j> (OTI TÖ aiiTÖ, o*t»
TÖ TavTrjt' ityia&cu irjv ttv&gainÖTrjTK ff txe(vt]V nana TOV ioyov t<ST\ rijs
"" £1' ^ r5 °^y T^s foOeus y nv&giüTioTri; r] tfirj äiiri taTl naget T^v
orfv , digniQ xai ij i/'i'/)), tft' fjg IOTIV rj av&gionÖTiig ij tfti) fv £/*ot. Kai
äiu TOVIO TÖ arjjtiiov avy%£ov TOV «vO-gionov ov avyyti xai TO (tjiov (ausXV.
Psellus.
Ilieiml aber bricht unser griechischer Text des Psellus ab81)> und
wenn auch der Leser vielleicht den Eindruck empfand, dass hier' die*
Logik wirklich toll geworden sei, so wollen wir einerseits diesem rich
tigen Gefühle durchaus nicht widersprechen , müssen aber bemerken,
dass es sich hiebei erstens uru eine Logik handelt, welche ein paar
Jahrhunderte das lateinische Abendland beherrschte , und zweitens dass
wir eigentlich mit diesen Erörterungen noch lange nicht zu Ende sind.
Nemlich nur ein Fragment ist es , — wie wir schon oben sagten —,
von welchem uns die einzige bisher benutzbare Handschrift des Psellus
eine Kunde gibt. Schon bei aufmerksamer Betrachtung des Bisherigen
konnte man nicht bloss aus einer obigen Stelle schliessen, dass nach
der Supposilion xa^' amo gewiss noch die Supposition xctra TO HQÖS
n oder, wie die Bezeichnung bei den Grammatikern lautete, TWV avatpoQixwv
folgen müsse "-), sondern noch deutlicher springt in die Augen,
dass die oben bereits erwähnte avfimKoxri S3) eine der vnö&eatg parallel
gehende specielle Erörterung gefunden haben muss. Und in der That
linden wir auch diese beiden Capitel bei den auf Psellus beruhenden
Lateinern, indem dort sowohl die supposilio relalivorum. ausführlich (in
einer Zweitheilung nach relaliva subslanliae und relaliva accidentis)
besprochen wird 84j , als auch die copulatio (d. h. aufutAowj) ihre
nähere Darlegung findet So).
Aber auch hiemit war die Theorie betreffs derjenigen Gesichts
punkte, welche sich an ati^ueici (nigni/imtio, s. oben Anin. 66 f.)
knüpfen, noch nicht abgeschlossen, sondern so gewiss die Lateiner
(nicht bloss Petrus Hispanus, sondern auch Wilhelm Shyreswood und
Lambert von Auxerre) für die Srhul-Logik in allem Uebrigen, was wir
bisher vorführen musslen, vollständig und fast ausschliesslich das Compendium
des Psellus zu Grunde legten, ebenso gewiss ist es, dass sie
auch bezüglich jenes ziemlich umfangreichen Restes, welchen uns .die
fragmentarische Handschrift des Psellus leider vorenthält, nur das Nemliche
thaten, d. li. dass die Synopsis des Psellus auch noch Alles Fol
gende, welches ich hier nur kurz berühren werde S(i), ursprünglich
gefallen ist Iv xoiv<i>), ä/Ua TO £<j>ov TU avvelxve&iv ets TOV av&Qionov äict
itäv ISCiav ätat/oiJtav, oftiv näan avy/va(s ißii ry äväyxrj TOV Or)jj.£iov
ff TOV TQÖnov.
81) Anstatt einer weiteren Fortsetzung folgt nur noch (p. 348.) eine an diesem
Orte völlig unpassende Tabelle der einzelnen Topen.
82) S. in Anm. 69. die von mir dort besonders betonten Worte xaft' uviov
83) S. Aura. 68., hauptsächlich den Schluss derselben, sowie den Schluss der
Anm. 67.
84) Bei Petrus Hispanus unmittelbar nach dem Obigen (Anm. 80.) folgend.
85) Allerdings fehlt dieses Capitel bei Petrus Hispauus , hingegen fand ich es
in jeoer Pariser Handschrift, welche die Dialektik des Wilhelm Shyreswood ent
hält , unmittelbar nach der Lehre von der Supposition eingereiht.
86) Es versteht sich von selbst, dass das Nähere im XVII. Abschnitte ent
wickelt werden wird, woselbst ich bei jenen Partien der lateinischen Schul-Logik,
welche bereits hier aus Psellus vorgeführt sind, mich kürzer fassen und Manches
durch blosse Verweisung auf das hier Gesagte erledigen kann, hingegen jenen
Rest, dessen griechisches Original wir nicht mehr besitzen, ausführlicher dar
stellen muss.
288 XV. Psellus.
gleichfalls enthalten haben inuss 8"). Ja ich habe allerdings auch an
'die Tast abstruse Möglichkeit gedacht, dass der uns erhaltene Text der
Synopsis nur talschlich den Namen des Psellus trage und zuletzt nichts
Anderes sei, als eine von einem Griechen (ungefähr um d. J. 1400)
angefertigte Uebersetzung der Stimmula des Petrus Hispanus ; und wer
dieses Hirngespinnst weiter zu verfolgen Lust hätte, könnte allenfalls
darauf hinweisen, dass in der Synopsis Priscianus erwähnt wird (Anm.
19) und an zwei Stellen in Beispiel-Sätzen der Name Cicero's vor
kömmt S8). Während jedoch Letzteres wahrlich nichts Auffallendes hat,
sobald wir uns erinnern, dass die griechische Schul-Logik den Boethius
gekannt haben muss (Anm. 15 u. 28), und auch ausserdem bezüglich
des Uebersetzens gerade aus Petrus Hispanus der directe Gegenbeweis
geliefert werden kann vl , so liegt sicher das Hauptgewicht darauf, dass
es ein unerklärbares Wunder wäre, wie denn mehrere Pariser Logiker
in gleicher Behandlungsweise auf einen so ausgedehnten und -vordem
unbekannten Zweig der Dialektik hätten verfallen können, wenn sie
nicht gleichmässig durch ein neu aufkommendes Material hiezu veranlasst
worden wären; ja eine schon oben (Anm. 16) erwähnte Einzel
heit wäre noch wunderbarer, dass nemlich zwei Autoren unabhängig
von einander bei den nemlichen Capiteln die nemliche verkehrte Reihen
folge eingeschlagen hätten. Doch wir wollen eine blosse Halluzination
nicht weiter erörtern, sondern in der unverrückbaren wissenschaftlichen
lieberzeugung, dass jene mehreren Lateiner nur aus Psellus schöpften,
behaupten wir , dass in der Synopsis auch noch Folgendes enthalten
gewesen sein muss.
Zunächst nemlich mussle sich an Obiges dasjenige anreihen , was
bei den Lateinern bezüglich der amplialio (wohl „at!|j;«tff" oder „Inav-
£»;o"ig") und der appellalio (doch wohl „irpogr/yopta") und restrictio
(wahrscheinlich „pdaßig", schwerlich „CvöToAij") besprochen wird 90).
87) Freuen würde es mich, wenn ich biednrcb die gelehrte Mitwelt oder
allenfalls auch Nachwelt auffordern könnte, in den Bihliotheken Nachforschungen
über Handschriften der Synopsis anzustellen; meine Ansicht könnte durch neue
Entdeckungen ja nur bestätig! werden, indem eine Widerlegung derselben auch
dann nicht einträte, wenn die Verstümmlung des Textes noch an mehreren anderen
fragmentarischen Handschriften sich zeigte.
88) S. Anm. 71. und ausserdem V, 8, p. 256.: Tönoe anö fityovs fv noaö-
Trfn ..... oiov „2ioz(iäTr)s rofyu xctl ilkartav iQ^X11 Xttl Kixtytov "
xal nfgl T<Sv ai.itnv tösaiiTiag.
89)(Bei Psellus nemlich lautet eine Stelle CV, 3, p. 226.): ffceQaättyfia ät
faitv, orav IV ftCQtxov nTroätixvvrjTcu 3i' aiiov /ufQixov, Iv ols Sfiotöv
•ti ivQCaxtiKi, tos .,TÖ TOVS €>Tißa(ovg Mtyctgevat noif/jeJv xctxöv (an, xnl
TÖ TOVS KoyivfHovf «p« ^iQytloig TioAtitTv TioAtfitTv xaxov tan". Und wenn hiefür
bei Petrus Hispanus (Summul. V, 2, fol. 36 a.) steht: Exempliim es«, quando unvm
particulare protiatur per aliud propler aliquod similc reperlum in ipsis, ut „Leodienses
pugnan contra Ton/jerenses malum est, ergo Mechelinienses pugnare contra Lotanienses
malum est", so ist klar, dass derjenige der Uebersetzer ist, welcher ein
traditionelles Sehn l-Beispiel dnrch Anspielungen auf Zeitereignisse (Kämpfe zwischen
den Städten l.ullicli. Tondern, Mecheln und Löwen l umschreibt.
90; Die vernünftigere Anordnung dieses Stoffes im Vergleiche mit jener des
Petrus Hispanus erscheint allerdings bei Wilhelm Shyreswood und Lambert von
Anxerre, insoferne diese Beiden in der appellatio die Hauptsache erblicken und
erst mittelbar mit derselben die nmplialio und rcstriclio verbinden.
XV. Psellus. . 289
Und nachdem auch schon hier sowie im Obigen (Anm. 71) zur Erläulening
Sophismen beigezogen waren, erscheint es immerhin als möglich,
dass Alles bis hieher von der signißcalio (ffr/fiaöia) Gesagte nur als
Einleitung zu den Sophistici Elenchi betrachtet wurde, und demnach
dieser letztere Abschnitt aus Aristoteles hei Psellus nicht schon weiter
oben (s. Anm. 65), sondern ersl hier eingereiht war91). Mochte je
doch dem sein, wie es wolle, so musste jedenfalls in der Synopsis
noch eine ausgedehnle Gruppe anderweitiger Erörterungen gefolgl sein.
Während neinlich das Bisherige überwiegend nur die Suhjecls- und
Prädicats-Begrilfe der Urlheile betroffea halte, war noch übrig, nun
auch die logischen Functionen jener übrigen Redelheile zu betrachten,
welche wir schon oben (Anm. 9) unier dem Namen avyxccvtfyoQtviutTa
vorläufig erwähnt fanden 92). Und die Compendien der Lateiner zeigen
uns, dass in diesem Theile der Dialektik zuerst von der dislribulio
(wahrscheinlich wohl „dtovofiij" oder etwa „rar (JiavEjMjTijta") die Rede
war, woselbst es sich um die Worte omnis, nullus, nihü , ulerque,
neuler, non, Mus, qualislibel, quantuscunque, inßnüus (also um «Trag,
OvSsls , OvSeV , £XKT£()Og , OvStTCQOg , 0V , diog , OnOlOGOVV , OnOGOGOVV
SatsiQog') handelte und Sophismen, welche durch dieselben entstehen,
zu lösen waren 93). Hierauf mussten jene Redelheile gefolgl sein,
welche zur völligen Verdeutlichung des Sinnes eine nähere Auseinander
setzung bedürfen, d. h. die exponibilia (wohl offenbar „Ijc^ETticä"),
wozu die exdusiva (etwa „äjtoxAEiötHta"?), die excepliva (wohl „liai-
(imjta") , die reduplicaliva (sicher „avadtTtAamxa") , sowie die Worte
incipü et desinü („ctQ%frai xal \r\yti" ?) , abermals infinilus, sodann die
uomparativa et superlaliva (sicher „ovyKQirixa xal vneQ&eTixä"), sowie
differenlia (etwa „diaqooyiJtK") und noch einmal lolus (oAoj) gehörten 94).
Endlich aber scheinen auch noch die übrigen Conjuncliönen (ßvvSsG(noi),
soweit sie nichl schon in dem Vorigen _erörtert worden, noch speciell
in die Dialektik beigezogeu worden zu sein 95). Auch mag bemerkt
91) Wenigstens ist zu beachten, dass Wilhelm Shyreswood in der Thal erst,
von der appellatio aus auf die Soph. Elenchi übergebt. Auch wäre das Hinweg
fallen dieses Abschnilles bei Psellus dann leichter erklärlich, wenn die Sophistik
erst in jenem Theile besprochen gewesen wäre, welcher für uns überhaupt verloren
ist. Petrus Hispanns aber und Lamberl v. Auxerre hätten eben dann aus eignem
Gutdünken in diesem Punkte die aristotelische Reihenfolge hergestellt, indem sie
die Soph. Elenchi aus jenem Verbände mit der Oi^iaata herausnahmen und un
mittelbar nach der Topik folgen Hessen.
92) Wahrscheinlich bietet Wilhelm Shyreswood das Richtige dar, indem in
der Handschrift der Dialektik desselben der ganze das Folgende umfassende Ab
schnitt unter dem Titel Syncalegoreumata eingeführt ist.
93) Die Reibenfolge in der Besprechung dieser Worte ist bei Wilhelm Shyres
wood und Petrus Hispanus allerdings nicht die gleiche, jedoch Ersterer bat über
haupt das ganze Material weit selbstständiger verarbeitet, und wir dürfen mit Sicher
heit schliessen, dass der Letztere als getreuer Uebersetzer uns die Anordnung
überlieferte, welche bei Psellus selbst sich fand.
94) Auch hier arrangirt Wilhelm Shyreswood mit Uebergehung einiger der
genannten Worte die übrigen nach eigentümlichen Gesichtspunkten.
95) Bei Petrus Hispanus findet sich allerdings kein eigenes den Conjunctionen
bestimmtes Capitel, hingegen Wilhelm Shyreswood bespricht die Worte st, nisi,
guin , vel, an, sive.
PRANTL, Gesch. II. 19
290 • XV. Psellus.
werden, dass in diesen Erörterungen theilweise die Lösung von So
phismen versucht wurde, bei fast sflmmtlichen aher für die logische
Praxis mehrere sehulmässig formulirte regulae („Kavövtg" , wie wir
solche schon oben, z. B. Anm. 18, 22, 44, trafen) aufgestellt waren,
so dass die Synopsis jedenfalls von Anfang bis zu Ende in diesem
äusserlich formellen Punkte sich getreu blieb 96).
Billiger Weise aher drängt sich uns die Frage auf, wie denn wohl
alle diese Dinge , welche wir von Anm. 66 an erwähnen mussten , in
das Compendium des Psellus gekommen seien, und es wird sich dieser
Frage auch Derjenige nicht entziehen können, welcher etwa die Unter
suchung bloss auf den uns* überlieferten griechischen Text beschränken
wollte und es in Zweifel zöge, dass auch all jenes Uebrige ursprünglich
gleichfalls in der Synopsis enthalten gewesen sein müsse. Was aber
die Beantwortung betrifft, so sind wir in Folge des Materiales, welches
bis zum heutigen Tage der geschichtlichen Forschung zu Gebole steht,
leider nicht in der Lage, jenes „Woher '$", dessen Ergründung wir uns
wahrlich stets bisher zur Aufgabe gemacht haben, hier mit Bestimmtheit
angeben zu können.
Im Allgemeinen wohl steht fest, ilass stoische Schuldoctrin, d. h.
Grammatik und Rhetorik, in den Betrieb der Dialektik sich reichlich
verflochten haben müssen (vgl. oben Anm. 17), um zu solch einer
Theorie der öijfiaöta und der logischen Function derselben zu führen;
aber die einzelnen Fäden der Entwicklung oder etwa gar die einzelnen
Autoren, durch welche diess geschah, nachzuweisen, ist uns nicht mehr
möglich. Ja wir sehen uns bei den bisher zugänglichen griechischen
Grammalikern und Rhetoren vergeblich selbst um mehrere der oben
erwähnten Worle oder Begriffe um, und auch die uns erhaltene Gram
matik des Psellus selbst 97), — allerdings ein äusserst kurzer und arm
seliger Abriss — , enthält bezüglich der uns interessirenden Frage
schlechlhin Nichts. Höchstens einzelne Bausteine, welche dann später
allmälig mit anderen zu einem Ganzen verbunden worden sein müssen,
können wir sowohl bei Grammatikern als auch bei Rheloren wiederer
kennen. So ist z. B. nicht hloss der Begriff der u>^i,aain selbst ein
bei vielen Grammatikern vorkommender98), sondern wir finden auch
bei Dionysius Thrax eine Aufzählung der Unterarten des Suhslanlivums
(ovofic) , welche mit einzelnen der oben erwJHmten Punkte sich be
rührt, insoferne die Begriffe des n^ogniyoQiKÖv , des Igonjpcmxov (rtg,
96) Eben dieser gleichbleibende Charakter des Ganzen, wornach die zum
Auswendiglernen bestimmten xavövss überall ein Uebergewicht behaupten, würde,
wenn es noch nöthig wäre, einen wesentlichen Beweis darbieten, dass auch jener
Rest, welchen wir ausschliesslich nur aus den Lateinern kennen, ursprünglich
ebenfalls bei Psellus sich gefunden haben muss.
97) Tüii fj.axtt(tiiaTÜiov vneQjfftov TiQu^äguv TIOV <piloaö(f.<ov XVQOV
Mi/ari'i. TOV l'eliov ar(}(oi. noiiTixoi nyos TOV ßaOiMa xiiqov Xtävaiav-
TIVOV TOV fj.ovofj.axm> 7it(il i% yoctfi/^aTixije. Gedruckt bei Boissonade, Anecd.
graeca HI, p. 200 ff.
, 98) Es scheint unuötliig, für diesen allgemein rccipirten Begriff die einzelnen
Belegstellen aufzuhäufen.
XV. Psellus. 291
jtoiog, jio'ffog), des avcapoQixöv (roßowos , roiovroe) , des imfisQi^ofisvov
(STIQOS, IxuTtQOs, HxttßTOs), des äoaißrov (ößng, onolog, onößog)
erscheinen99); ebendaselbst treffen wir auch eine Einteilung der Conjunctionen
, welche zu dem traditionellen Umkreise der Schulgrammatik
gehört und offenbar in späterer Zeit noch entschiedener als schon früher
bei den Stoikern (s. Abschn. VI, Aura. 122 ff.) eine Aufnahme in die
Logik fand 10°). Während aber unseres Erachten« allerdings es haupt
sächlich die grammatischen Anschauungen waren, welche einen Einfluss
auf diesen Zweig der Dialektik ausübten, finden wir doch hinwiederum
auch in der Rhetorik manche Einzelheilen, welche um so eher in die
Dialektik hinübergenommen werden konnten , je mehr von Anbeginn an
die Topik (mit Einschluss der Sophislik) ohnediess dem rhetorischen
Gebiete näher gelegen war, und wenn wir bedenken, dass die-Erörle-
99) Bekker Anecd. II, p. 636 f.: 'Ynojitmtaxe dt iy ovöftan lavra, a
xai avTa eldi) nQogayoQtveicti' XVQIOV, npogtjyoQixov , Intöttov , TIQÖS n
tyov, täs iiQÖg TI i/ov, 6fA.iovv[iov , avv(ovvfj.ov, (ftotärvftov , dtiüvvftov,
tnaivvfiov, f&vixöv, fytairj/jctTixöv, aöoiarov, in'cufoqtxcv , ... ntQilr\nrixöv,
inijj.tftii^ö^tvüv , TztQtexnxöv , ntnoirf^vov , yevixöv, eldixöv, raxnxöv,
aQiS-fjirftixöv , pitTovaiaaiixöv, a7io\siv/^fvov IlQosrjyoQixov ö£
tan TO xoivriv ovalav arjfiaivov ^EgiaTijfiaiixbv ä£ lanv, o xai nivotixov
xaleiTai , TO xar' tgtaT^aiv iiyojj.evov, olov r(s, noiog, noagg,
7irj).lxog. 'AÖQiGtov Si IGTIV TÖ ro; fyoiTrj/jciTixy Ivctvrfios Tt&fptvov, otov
ooiig, onolos, öijoaos, onrjitxog. ^4vci(fO(>ixöv ö£ taiiv, S xnl öfioiioftartxbv
xai ätixrixov xctl avtanoSoiixbv xtttettai , tö ofjioi(aaiv atj/^atvov,
oior Toaovros, irjlixovrog, TOIOVTOS. Hiezu mag z. B. auch beigezogen werden,
was sich bei Planudes negl awrakeiag (Bac.limann, Anecd. graeca U, p. 137.)
atfO()i.
rov „drjnori" awTl&tTcti, oluv jig, oarigoSv, .... önoiogovv
100) Ebend. p. 642 f.: 2vvfi<Jfi6s fan Mgig awäfovaa Siävoiav
r a^ftag xai TO rfjg ei>/*r]Vtias xe%rjviis nirjQovßa. Ttäv dl avviJ£a/j.iov
avfAnkexTixol f*(v etoiv, oaoi ifjv eg/Aijrtlar £71' antiftuv txiftQopfvrp avvötovatv,
tial öt oWe' fttv , <F^, T(, xa(, äiiä ..... äitt&vxTixtii dV elaiv,
oGui IT]V ftlv iffiiiair avväfovaiv, anb 3l nfiäy/uaTog fie TTQ&y/Aa äiiatöiaiv,
tlai dt ol'rf«' tf, »JTOI — avvanTixul äii ftoir, otiot vna^iv /uiv ov
ärjA.ovat, ari/iiaivovai, dl äxoiovfKav, fiol dl ol'de' cl , eiir((> .... naitaauvamixol
ö£ elaiv, oaoi jUf^' v7idc>!;f<og xai ia£iv drjiovßiv , flal dt o'jde'
Inet, (nttneg ..... alTioioyixol dl! etaiv, Saoi ITT" anoäöafi alrlag Tiayte-
Haftßävovrai , elal dt ol'dt' l'va, otfQa, ontog , tvtxct, ovvexcc , Sri, diört
.... äiro(tr)ftaTi)tol dt ftatv, oaois tnaTioQovvTtg elaiftaftev %(>ria9ai, tial de
o'ide' a(3a, xurtt — avh).oyiarixol d( elaiv, oaoi TiQog rag iTinfOQag TF xai
(Ti'/^jji//«? TIÖV euiodtfi-ttav ev diaxeivrai, flal dt o'ide' Sott, itih'i, aMa
[irfV ...... nanunkriQionKiixoi St elotv, oaoi /J.I'TQOV fj xöa/tov 'ivexev naoa-
Infißavoviat , elal dl oide' Sri, (>ä, rij, nov, lol ..... rivee dl ngosuftfctai
xai £vctVTna/J.aTixovg , oiov lf^nr\g , ouiag. Eine Vervollständigung oder weitere
Ausführung dieser Lehre von den Conjnnctionen , welche für die byzantinische
Schnl-Logik bezüglich der avyxarriyoQevfj.aTa sicher von grosser Wichtigkeit war,
suchen wir vergebens bei den übrigen späteren Grammatikern; auch die armenische
Uebersetzung des üionysius Thrax selbst (s. Memoires et dissertations sur les antiquilds
nationales el etrangeres, pulllies par la societe royale des antiquaires de France,
Vol. VI, p. l ff.), welche übrigens manche Zusätze enthalt, bietet hier Nichts dar.
19*
292 XV. Psellus.
rung und Lösung einzelner Sophismen mit mehreren Capiteln der Lehre
von den proprietates terminorum verbunden wurde (— ganz abzusehen
davon , ob unsere Vermuthung über die den Soptel««' Elenchi ange
wiesene Stelle , Anm. 91, wirklich berechtigt sei —), so muss es uns
immerhin sehr wahrscheinlich dünken, dass auch die Rhetorik ihrer
seits ihren Beitrag zu jenem neuen Bestandteile der Schul- Logik ge
liefert habe. Vor Allem ist es die reiche Saat der TQÖTCOI, welchen
zuweilen eine logische Seite abgewonnen werden konnte, und unter
diesen dürfen wir wenigstens die cn5£jjöt£ 101) um der amplialio willen
nicht unerwähnt lassen. Es mag aber auch beachtet werden, dass
Hermogenes, an dessen Technik sich bekanntlich eine Menge von Commentatoren
anschloss, bei der rhetorischen Theorie bezüglich der UQÖGwna
(worin eine Brücke zur supposüio personalis liegen könnte) neben
anderen Momenten namentlich auch ia «{Höftlwx , TU ngos n, ra xara
Gv[i7t\oxriv und t« 7iQogr)yo(>mä erwähnt 102), sowie dass derselbe ge
legentlich der ntQißokrj, welche das Gegentheil der Ka&aQÖrrjs ist,
gleichfalls in dem Begriffe des jrpogÄafijSm/at' einen Gegenstand berührt,
welcher mit der Lehre von der Supposition verwandt ist103). Endlich
noch scheint der Begriff der tx&eTiKa (exponibüia) auf einem Momente
zu beruhen, welches zwischen Grammatik und Rhetorik schwankt oder
vielmehr jener stoischen Verquickung der Dialektik mit jenen beiden
anderen Disciplinen angehört; denn in solchem Sinne trafen wir schon
früher die (nßtrixit ä£jro(itm>! als eine eigene Species des Urlhei
les 104).
All das eben Erwähnte jedoch besieht nur in Einzelheiten, and
101) Longin, de subl. 12. (Rhetores graeci, ed. Spengel, I, p. 260.), Longin,
rhetor. (ebend. p. 301. u. 326.), Anon. rhet. (ebend. p. 440. u. 457.) und sonst
noch häutig.
102) Hermog. de orie rhet. \. (bei Spengel II, p. 133 f.): Täv ovv TIQOOiö
ii 10 f TU ftfv fanv oiu xal dvvaad-m £££i«fe<r#at, TU (fi ov , TÖTIOV <fl
üllias tnfy*' itQoatö-nov TIÜV ä' KV
oiov yeaiQyol, Ifyvoi xal ia o/4otct' nf/j.nrrjV ra xctTa avf*7i).oxi]V
ovo 7iQo;riyo(>ii3v, oiov vfog nlovaiog 'ixTi\v ra XKTU avftTcloxfjv ngoaiä-
TIOV xal noäy/AaTos , oiov fiiiQÖxiov xali.li(o7ii£ö/Aevov <pevyti nogvefaf eß-
3opov T« tt7ii.S nQogriyoQixa , oiov argaTriyös, pj/Ttup.
^103) Hermog. n. lätüv I, 11. (p. 316. Speng.): rtveiai loCvvv ntQißoirj
xar' tvvoiav ptv, oictv r/'roj tgtoötv n nQogiafißdvy? rmirip , nsQt ov 6
löyo; , oiov yfvoq eMei — rj aöoiarov tofitapfrq 'rj oiov ftfyei
(p. 318.) rj orav fty \piiu ifyy r« Tigäy/uara firiöt xa&' tuvta, äliä (jLtra
T<Sv naoaxolov&ovyTiov, oiov' TÖTIOV, /oövov , airCas, ngoaiönov, xcd tii
yvüfMjs joij TiQoatonov, uniios is nttviiav ttöv toiovrtav. Aehnlich Aristitlex
de arte rhet. h. Spengel II, p. 472.
104) S. Abschn. VI, Anm. 115. Mil dem aristotelischen oder theophrastischen
Begriffe der ixöiats im kategorischen Syllogismus (Abschn. IV, Anm. 554. und
Abschn. V, Anm. 50.) haben die ixd-frixu dieser späteren Logik keinenfalls etwas
zu schaffen. Hingegen bildet die $x»eats als eine „Verdeutlichung" wieder ein
stehendes Capitel in der Rhetorik, z. B. Aphthon. Progymn. 5 f. b. Spengel II,
p. 28 ff.
XV. Johannes Italus. 293
es wäre thöricht, zu glauben, dass hiemit die Entstellung jener ausge
dehnten und völlig schulmässig fonmilirten Lehre bezüglich der Grj(iaeia
etwa nachgewiesen sei. Zwischen der grammatischen und rhetorischen
Litleralur, welche uns noch zugänglich ist, und dem Compendium des
Psellus inuss eine reiche Entfaltung der Schul-Logik stattgefunden haben,
deren geschichtlicher Verlauf uns bis jetzt — vielleicht auch für immer
— verschlossen ist 105). Indem es jedoch wahrscheinlich ist, dass
die schulmässige Gonsolidirung dieses neuen Zweiges der Dialektik auf
Einen relativ älteren Kern zurückweise, an welchen als an die ursprüng
liche Grundlage das Spätere anschoss, so darf ich vielleicht die Vermulhung
aussprechen, dass wir möglicher Weise den Themistius (s.
Abschn. XI, Anm. 92 (l1.) für diese logische Behandlungsweise gramma
tisch-rhetorischer Momente verantwortlich machen miissten; denn der
selbe ist unter den älteren Commenlaloren wohl derjenige, welcher am
meisten das Studium und die Praxis der Rhetorik mit der Thätigkeit
eines sogenannten Philosophen verband, und falls unsere obige Annahme
(Anm. 41 u. 64) richtig ist, dass in der Synopsis des Psellus für di«
Kategorien ebensosehr wie für die Topik Themislius der ursprüngliche
Führer war, so scheint derselbe für die Schul-Logik überhaupt ein
gewisses Ansehen genossen zu haben, wornach es jedenfalls sehr er
klärlich wäre , wenn man die Lehre von der Gr^iaGia und von den
Gvyxarr)yoQ£Vfii:ceTa gleichfalls aus ihm entnommen hätte; ja wenn das
letztere dieser beiden Worte sich auch bei Averroßs findet106), so
könnten wir auch diess zu Gunsten unserer Vermuthung benützen, indem
eb«n Themistius es ist, welchen gerade für die Topik Averroes einlässlidi
benützte. Doch bei dem gänzlichen Mangel aller präciseren
Anknüpfungspunkte ist jede derartige Vermuthung von geringer Bedeu
tung 107).
Neben Psellus aber kann auch noch sein jüngerer Zeitgenosse und
Nebenbuhler Johannes Italus (s. Abschn. XI, Anm. 111) erwähnt
werden, dessen Schriften möglicher Weise einen Einfluss auf das latei
nische Abendland ausgeübt haben können. Anna Comnena spricht aus
führlich über ihn, deutet aber dabei — was für uns beachtenswert!]
105) Durch allmälige Benützung und Veröffentlichung alles desjenigen, was
in dieser Beziehung noch handschriftlich in den Bibliotheken vorliegt, könnte viel
leicht einiges Licht in die Sache gebracht werden; denn wenn auch die griechi
schen Litteratur-Erzeugnisse der späteren Jahrhunderte meistens in der That noch
so unbedeutend und jämmerlich sind, so bleibt ja immer noch die Möglichkeit
offen, dass aus der Masse dieses Schundes irgend ein Compendium der Grammatik
oder der Rhetorik sich erhalten hätte und irgendwo versteckt wäre, aus welchem
mit grösserer Deutlichkeit die zur Beantwortung unserer Frage dienenden geschicht
lichen Fäden erkannt werden könnten.
106) Averroes ad Arist. Top. l, 2. (b. Arislot. Opp. laline, Vcnet. 1552, fol.
Vol. I, f. 256 a.): Front facil Aristoteles in libro Perihermenias distingucndo ras
ratione dictionwn , quando illas distinguit in nomen, verbum et dictionem synealegorenaticam
etc. Vgl. folg. Abschn. , Anm. 309.
107) Fände sich in einer Bibliothek eine Handschrift jenes Commentares, wel
chen Themistius zur aristotelischen Topik verfasste, so müsste meine Vermuthung
sofort sich entweder bestätigen oder sich widerlegen.
294 XV. Johannes Italus.
ist — zugleich an, dass Grammatik und Rhetorik nicht die starke Seile
desselben gewesen seien, sondern er sich mehr auf die reine peripatelische
Dialektik beschränkte 108), woraus wir jedenfalls schliessen
müssen, dass, wenn seine litterarischen Erzeugnisse von den Lateinern
benutzt wurden , sicher nicht eine Wirkung derselben anzunehmen ist,
welche jener des Psellus gleichkäme. Indem von der ausgedehnten
schriftstellerischen Thätigkeit des llalus durchaus noch Nichts durch den
Druck veröffentlicht ist, darf ich wohl erwähnen, dass eine in der
Münchner Staatsbibliothek befindliche Handschrift mehrere logische Schrif
ten desselben enthält 109). Es zeigen uns dieselben in schlichter an
spruchloser Form den ganz gewöhnlichen Inhalt der Schul-Logik oder
108) Anna Comnena, Alexias V, 8, p. 257. (ed. Schopen): OvTog dl 6 'I
16s .... UQfjirjTO plv (S 'fTaltag xal (v ijj £ixtt.Cu tip* Ixavbv
..... *Extlthtv ik OVTOS 6 '[ralös, oiix ol6" 'on<og , TTJV KovaTavTivovnoliv
änaarjg natdiCag Xal Tf/vr/g loyixfjg oiix h'ättäg tyovdav
(p. 258.) OvTiag ovv Tovg tvrav&a H%ovTag 6 'fralöf iv(>r)X(ug xal avÖQä-
Oiv öfiilijaas a^oladTixotg .... natättag -lotvw, loyixfjs £| ixeCviav fifraaxuv
xal Mirarjl Ixtlvip ry 1'elly Iv var^gy irooga>fi(li]aev ..... Tovry
yovv ö 'iTaldg 7rpo?OjUtA)i<r«ff tv anttiätvrto 7J9fi xal ßaQßagixtß ovx rfdvvaio
ifi).oaoyCas ilg ßados fi<v, äiöaa'xäliov oitos firi<5' tv ifji fiav-
&aveir avtxopi vos , ^pnffouf tav fitatds xal anovotas ßaQßaQixij; näviiav
ie xu&vniQiiQtiv xal TTQÖ tov fAa&slv olöfievos, xal ngds aiirov rbv Vti-
).bv (x nQiörrjs cKpiirjQtas aVitraZuTO , t/jßa&vvas rf^ rj} diuiexTixfj ^ut^ijfifQivoits
9-o(>vßovs £v navärjfioig avvektvaißiv fnoifiio aoffiarixae Ovvtlfttav
iQtoxiUas , xal n&v el n IOIOVTOV TIQOTI&II; xal av&ig vnfyiov ioyov
loioviöigonov ..... (p. 260.) "Ev&tt xal TOV 1'eiiov uiia}(tüi>riaavros Bvfaviö&
tv .... aiiros (piloao<f(as anaarjs n^ofair) diSaaxaiog , VTIUTOS räv
(f'ti.oaö<f tav ^pjj^KfjOKf , xal r«f rt jtoiaroTt).ixag ßCßlovg xal r«» tliaitavixäg
fanoväafcv' xal TJV [*lv Tip oö^cti nolvfia&taraios , äftvos <f£
jU«/Aov tf/ifp rif äiios cf/*()£i;V(j<T«a#«i Ttäv aii(av T-ijV äfivoTaTtjv TIIQInarrjTixrjr
xal ravTtis nMov ir\v äiaitxrixrjV TTQÖS rfi r«f alias i^fVßf
Twi' löytov ov ndvv 11 ev<fv<5s tfyev, ällä nfQl te jr\v ygafiuai txr\v tx<ölivt
ifyvrjv xal TOV QrjToQixov vtxTaqog ovx iytvaaro, oiifä (xet&iv 6 16-
yos IOVTM ?(fi]f>/uocno xal eis xallog airdittfio. Hiezu Annae Comn. Supplementa
ed. Th. Fr. Tafel (Tübing. 1832. 4.) p. 1.: Meiä y«Q TOV navv Wellov
TOV us tiTTy TIS änäarjs aoq.lag xaftrjyeftovu xal -navToCag IÖQIV loyixijs
Tiaiäfvaeus oviog (sc. o 'lialös) tnl Tafs ^iQidTOTeiixaTs Tf%t'oloytais
fifyag tSo'frv tlvai, o&tv xal näaav qilopa&ij vfolafav lii frtvi&v fnfanäaaTo.
109) Nemlich Codex graecus Monacensis 99. fol. enthält zunächst (fol. 279—
386.) 'laiävvuv aoifiuTärov iinaTov xal Siäaaxa).ov iiov <fiioaö<f(ov, TOV
VrnioC, l-xdoaig tlg äiätfOQ« fyTrj/jaia cTi« TÖ xal äicufOQuvg Toiig turn:
HQoßallofitvovg (ein ähnliches Werk wie die navioäanri äiSuaxalla des
Psellus), woselbst auch eine grosse Menge logischer Fragen sich erörtert Qndel;
jedoch muss bemerkt werden, dass dieses Werk wenigstens nicht aus erster Hand
von Johannes Italus herstammen kann, denn fol. 314. v. lesen wir: ,.'/«,•; r r >.. ö
(filöaoifog ö 'tralbs, 6 qfifreijos äidaaxalos , OVTUS' ahCav, tfqalv , ö
JipiffTor/Ajjf tnäyit, u. s. f." Sodann folgt in der Handschrift (fol. 386—423.)
Tov aiiTov txäoaig ei; TO B, T, d TÜV Tonixüv, hierauf (fol. 423—431.)
ToC avTOV n(tö( TUV ßaaiMa xvy. XVO'QÖVIXUV ly(uT>ja«VT« Tiffil dialfxuxtjs
(ein kurzer Abriss der gesammteu Logik), hernach (fol. 431 — 440.) Tov
ttvrov ixdonig TKQI rijtf Ttav avlloyiflftiäv vlrjs xul Trjs avOTaaitog avTiav,
und endlich noch (fol. 440—447.) Tov UVTOV fit&oäos (>i]To(>ix>js fx<fo»ciaa
XV. Nicephorus Blemmides. 295
die «blichen Controvcrsen der Coinmentatoren. Bemerkenswcrlh ist,
dass Ita(us hei Besprechung der Syllogistik die oben angerührten Me
morial-Worte des Psellus anzuführen verschmäht110); hingegen hätte
nicht bloss allenfalls eine Lücke, welche wir bei Psellus trafen (Anm.
56), aus llalus ergänzt werden können111), sondern es wäre auch
wenigstens möglich gewesen, aus Letzterem die Kunde davon zu schöpfen,
das Galenus nicht drei, sondern vier Schlussfiguren annahm112).
Endlich haben wir noch anzuführen, dass in dem Compemlium
des Nicephorus ßlemmides (s. Abschn. XI, Anm. 177 ff.), wo
derselbe von den Syllogismen handelt, sich jene nemlichen Memorial-
Worte finden, welche wir oben (Anm. 47 ff.) in der Synopsis des
Psellus trafen , jedoch mit Ausnahme der letzten fünf Schlussweisen
der ersten Figur, indem bei dieser sich Blemmides auf die Aufzählung
der vier aristotelischen Modi beschränkt 113). Uebrigens ist es selbst
chronologisch nicht wahrscheinlich, dass die Lateiner die Memorial-
Worte aus ßlemmides geschöpft hätten (denn die literarische Thätigkeit
desselben dürfte fast in eine etwas spätere Zeit fallen, als jene des
Wilhelm Shyreswood), abgesehen davon, dass bei Psellus- diese Dinge,
auf welche von den Lateinern ein übergrosses Gewicht gelegt wurde,
in erwünschter Vollständigkeit vorlagen.
Ueberhuupt concentrirt sich, wie es scheint, der byzantinische Einfluss
ziemlich ausschließlich auf Psellus, in dessen Synopsis das latei
nische Abendland wie durch Zufall ein ihm vortrefflich dankendes Compendium
erhielt. Und wir können diesen Abschnitt nur mit dem Wunsche
schliessen, dass der gelehrten Forschung dereinst gelingen möge, worauf
wir verzichten musslen , nemlich auch noch jene Fäden nachzuweisen,
avvotyiv. Einen Nachweis anderweitiger Handschriften, in welchen Werke
des Italus enthalten sind, gibt M. Hase in Nolices el Extraiis des manuscrits de la
bM. imperiale, Vol. IX, Abthlg. 2, p. 149 ff.
110) Italus hätte wenigstens häufig genug (in den /ItüifOQa u, /»,'/"<'" fol.
318 f. und fol. 329 ff., woselbst von den Sjllogismen die Rede ist, sodann wieder
in dem an Andronikus gerichteten Buche fol. 428., und ebenso in der ganzen
Monographie aber, die Syllogismen) Gelegenheit gehabt, seine kürzeren oder längeren
Erörterungen aber die Schlussweisen mit jenem mnemotechnischen Schmucke aus
zustatten, wenn er hiezu geneigt gewesen wäre.
111) Nemlich in jenem an Andronikus gerichteten Compendium bespricht lla
lus (fol. 429 f.) jene aus der Analytik entnommenen Momente, welche bei den La
teinern unter der Bezeichnung de polestalibus syllogismorum vorkommen, jedoch
allerdings in einer Weise, dass nicht angenommen werden kann, die Lateiner hätten
hier ebenso lediglich nur übersetzt, wie sie mit Psellus verfuhren.
112) In den diaqtoQ« fTjriJjUßT« fol. 330. v. steht folgende Stelle: Tu 6*i
OxrjfiaTa räv aviloyiafjiijv rat/T«' 6 Fnkrivos rf£ xai r^rcefirov £711 roi/roij
eifaaxev tlvai, tvavittog ngös TÖV 2iaytiQltiiv <fi(>öfitvo(, oe ia^jigö-
TtQov ävaqiavijvai oiö/ttvos Ttäv iriv loyixijv -n^ayfiontCav ffrf^ov^fvmv
nakttitäv ta; noggtararov tvdtios txntmiaxe. Es kömmt demnach diese Stelle,
welche ich im Jahre 1855 noch nicht kannte, aus der griechischen Litteratur als
zweite zu derjenigen hinzu, welche ich Abschn. IX, Anm. 100. bezüglich der soge
nannten Galenischen Schlnssflgur anführen konnte.
113) Nicephori Blemmidae Epilome loyica ed. Wegelin (Augsburg 1605, 8.),
p. 229 ff.
296 XV. Nicephorus Blemraides.
welche in den letzten Hauptabschnitt der Synopsis zusammenliefen;
denn vorläufig bleibt uns (abgesehen von Psellus selbst) die wahrhaft
ursprüngliche Herkunft jenes einen Theiles der lateinischen Logik noch
dunkel, welcher bis zum Sturze des Mittelalters den Unterschied zwi
schen „neuer" und „alter" Logik begründete und , nachdem er eine
lange und wichtige Rolle gespielt hatte, noch weit hinab seinen Einfluss
erstreckt.
XVI. ABSCHNITT.
EINFLUSS DER ARABER.
Sowohl über die geschichtliche Thatsache selbst, dass die Lilteratur
der Araber auf das Abendland eine ausgedehnte Einwirkung ausübte,
als auch über die Ereignisse und Zustände, durch welche jene Be
rührung zwischen Orient und Occidenl bedingt war, können wir jede
weitere Erörterung hier füglich bei Seite lassen, da all Solches Iheils
allgemein bekannt ist, Iheils ausserhalh unserer hiesigen Aufgabe liegt.
Hingegen darf wohl schon hier — mit dem Vorbehalte der näheren
Erörterung im folgenden Abschnitte — die allgemeine Bemerkung
vorausgeschickt werden , dass der Einfluss , welchen die logischen Lei
stungen der Araber auf das lateinische Abendland seit dem Beginne des
13. Jahrhundertes äusserten, völlig verschieden war von der Wirkung
der byzantinischen Lilteratur; denn während die letzlere für die latei
nische Schul-Logik und die Gestaltung der Compendien maassgebend
wurde, brachten die ersteren mehr einen gelehrten Betrieb der Exegese
des aristotelischen Organons in Aufschwung, und mit der hieraus er
wachsenden Litleratur der Controversen slelllcn sich nun erklärlicher
Weise wieder die Streitigkeiten über die Geltung der Universalien ein,
jedoch mit dem wesentlichen Unterschiede, dass für diese Erörterungen
jetzt durch die Benützung arabischer Schriften eine weil umfassendere
und tiefer einschneidende Basis dargeboten war.
Während aber die arabische Litteratur in Erklärung des Aristoteles
ebensosehr wie auf anderen Gebieten sich unendlich reichhaltig und
manigfaltig entwickelte, so dass sie nach dein Stadium einer hohen
Blüthe wahrlich gleichsam in ihrem eigenen Felle erslickle, war es nur
ein Bruchlheil derselben, welcher dem lateinischen Abendlande durch
Ueberselzung zugänglich wurde und in solcher Form den genannten
Einfluss ausübte. Und hiedurch sind wir hier an dem Punkte ange
kommen, wo sich der Titel, welchen ich von vorneherein meiner Arbeit
gab, rechtfertigen muss. Denn indem ich eine „Geschichte der Logik
im Abendlande" schreiben wollte und will, habe ich aus dem weiten
Umkreise arabischer oder arabisch-jüdischer Logik nur dasjenige beizuziehen,
was in die damalige Sprache des Abendlandes übertragen wurde.
Alles Uebrige sowie zulelzt auch die richtige historische Würdigung
der in das Lateinische übersetzten arabischen Erzeugnisse muss ich
jenen Gelehrten überlassen, welche diesen Zweig der Kunde des Orientes
298 XVI. Die lateinisch-arabische Logik.
zu ihrer speciellen und dankenswerten Lebensaufgabe gemacht haben.
Ja selbst die blosse Kenntniss der arabischen Sprache — wenn ich
sie besässe — würde weder ausreichen noch mich dazu berechtigen,
in fremde Wissensgebiete überzugreifen; denn wenn ein hervorragender
Kenner jener Litteralur sagt, eine wahrhaft genügende Geschichte der
arabischen Philosophie müsse erst noch in Zukunft einmal geschrieben
werden1), so leuchtet dieser Ausspruch darum sofort' ein, weil Alles
erst noch von der Ausbeutung handschriftlicher, bisher unvollständig
oder gar nicht benutzter, Quellen abhängt; eine derartige Aufgabe aber,
welche wohl mehr als Ein gelehrtes Menschenleben in Anspruch nimmt,
kann Niemand nebenbei neben einem anderweitigen Werke erledigen.
Somit also verzichte ich, ohne darum die einschlägigen Leistungen der
Fachmänner2) ignorirt zu haben, vollständig darauf, die arabische Logik
als arabische besprechen oder darstellen zu wollen, und indem ich mir
nur die arabisch-lateinische Logik zum Gegenstände mache, verfahre
ich eigentlich nach dem „Relata refero", d. h. während ich wohl ge
ahnt zu haben glaube, dass die Berichte und die Auffassungen der La
teiner häufig auf unkritischem Boden beruhen, habe ich nur zu be
richten, welcherlei Doctrin als arabische aufgegriffen und entweder
beifällig aufgenommen oder aber auch bekämpft worden sei. Ja auch
jene Ueberselzungen arabischer Werke, welche im 13. Jahrhunderte
angefertigt wurden , zeigen , soweit sie in vollständigen Drucken oder
vereinzelten Anführungen vorliegen, einen Text, vor welchem wir häufig
schlechthin rathlos dastehen und auf Erreichung eines Verständnisses
verzichten müssen ; aber auch in dieser Beziehung müssen wir be
denken, dass( die Lateiner jener Zeit eben auf jenen nemlicben Ueber
selzungen fussten, und wir kommen biemit auch hierin auf den Stand
punkt zurück, dass wir das Arabische nur in jener Form und jener
Beleuchtung darstellen, in welcher die Lateiner es besassen.
Dürfte nun diese Beschränkung auf die secundäre lateinische Lilteratur
wohl von dem Leser gebilligt werden, so weiss ich hingegen
nicht, ob das Gleiche auch bezüglich einer abermaligen Abgränzung
des hier zu behandelnden Stoffes der Fall sein werde. Nemlich es
wird allerdings unbestritten zugegeben werden müssen, dass all jene
Einflüsse der arabischen Denkweise, welche einer Emanationslchre oder
einem panlheislischen Grutidzuge näher liegen und durch jüdische Lilleratur
sich theilweise bis zu Spinoza hinab erstrecken , ausserhalb der
Aufgabe einer Geschichte der Logik stehen. Hingegen mag als zweifel-
1) Munck, Dictionnairc des sciences philos. l, p. 180.
2) S. in dem so eben genannten Didionnaire (Paris. 1844— 1852, 6 Bände)
die von Munck verfassten Artikel: Arabes , Kendi, Farabi , Gazali, Ibn-Badja, Ibn-
Rosclid, Ibn-Sina, Juifs, Maimonide. Ferner: Flügel, Üisscrt. de arabicis scriptorum
graecorum interprelibus. Meinen 1841. 4. Wenrich, De awtorum graecorum versionibus
sy riaeis , arabicis, armeniacis persicisqtte. Lips. 1842. 8. Schmölders, Documenta
pltilosophiae Arabum. Bonn. 1836. 8. und desselben Essai sur /es ecoles
philosophiques chez les Arabes. Paris 1842. 8. (Uebrigens scheint das Ansehen,
welches Schmölders theilweise genoss, durch Munck a. a. 0. I, p. 179 f. u. u,
p. 506 S. mit guten Gründen wankend gemacht worden zu sein; vgl. auch unten
Anm. 68.) Anderes wird am geeigneten Orte noch besonders anzuführen sein.
XVI. Die lateinisch-arabische Logik. 299
haft erscheinen , wie es hier mit der Erkenntnisslehre zu halten sei.
Und in dieser Beziehung muss ich selbst auf die Gefahr hin, hierüber
Tadel zu erfahren, meinen Standpunkt dahin aussprechen, dass ich nach
reiflichster Erwägung aller Gründe und Gegengründe zur Ueberzeugung
gelangle, die Erkenntnisstheorie hier ausschliessen zu müssen. Die
Araber hatten durch Porphyrius sämmtlich einen neuplatonischen Kern
eingesaugt, zugleich aber waren sie durch Alexander Aphrodisiensis 3)
veranlasst , sich mit den Schwierigkeiten zu beschäftigen, welche die
Psychologie des Aristoteles darbot. Und so enlstanden jene zahlreichen
Erörterungen der Araber über den intellecius (voü?), an welchen wir
durchaus nicht rühmen können , dass sie eine glückliche Versöhnung
des Platonismus und Aristolelismus beigcbracht hätten; denn der pla
tonisch ontologische Objeclivismus wird mit dem aristotelischen subjecliven
Verwirklichungs-Processe des Denkens nur äusserlich amalgamirt.
Das Ganze läuft auf eine Stufenfolge hinaus , in welcher die aristoteli
sche Unterscheidung des vovg «oribjTweo'g und vovg noirjrixög mit pla
tonischer Ideenlehre verquickt wird, und innerhalb der mancherlei
Wandlungen, welche diese Lehre besonders bei Alfarabi, Avempace und
Averroes 4) erfuhr, liegt der Grundion der Erkenntnisslehre im Folgen-,
den : Während im Gebiete des Ohjecliven die ewigen Wesenheilen der
Himmelskörper das Princip der Formen des Seienden enthalten , wirkt
im Menschen der inlelleclus aclivus auf den inlelleclus passivus oder
intellectus materialis, und im letzteren liegen als ein Potenzielles die
intelligibüia materialia (auch formae intelligibües genannt), welche eben
durch den inlelleclus aclivus zur Entelechie geführt werden; hiezu aber
wirken als Mittelglied die Einbildungskraft und das Gedächlniss , d. h.
die sogenannten formae spiriluales individuales , um in höchster und
letzter Stufe zu den inlelligibUia speculaliva zu führen , in welchen
der intelleclus acquisüus jene res ipsissima besitzt, welche ihre reine
Entelechie in sich selbst hat. Und nun versteht es sich von selbst,
dass nicht etwa der Werlh oder Unwerth solcher Erörterungen für uns
der Bestimmungsgrund sei, dieselben hier aufzunehmen oder nicht auf
zunehmen; sondern das Entscheidende liegt darin, dass all diese Dinge
hei den Arabern in der Thal neben der eigentlichen Logik nebenherlaufen
und auch bezüglich der Frage über die Universalien, welche wir
hier zugleich als anle rem und in re und posl rem treffen werden,
sich recht gul mit einem gewissen aristotelische?) Inlellectnalisnius ver
tragen , mochte jene Stufenfolge von den Einen so oder von Anderen
anders modificirl werden. Hiezu aber kömml auch noch, dass, wenn
ich überhaupt jene erkennlniss-lhcorelischen Fragen hier beiziehen würde,
ich nothwendiger Weise die gesammte folgerichtige Entwicklung der-
3) S. Abschn. XI, Anm. 21 , woselbst ich gleichfalls nicht die Aufgabe hatte,
die gesammte Psychologie Alexanders zu entwickeln.
4) Der Leser selbst wird es für irrelevant halten, welche Schreibweise der
arabischen Namen hier und im Folgenden gewählt sei; die Geschichte der mittel
alterlichen Logik darf sich vielleicht der im Miltelalter recipirten barbarisch-latei
nischen Wortformen bedienen , ohne hierdurch das bessere Wissen nber die rich
tige Schreibung verleugnen zu wollen.
300 XVI. Die lateinisch-arabische Logik.
selben darstellen müssle; die liefsic und richtigste Consequenz aber
liegt in dem aus der Schule des Averroes hervorgehenden Monopsychisnius,
welcher, wie jeder Kenner zugeben wird, sowohl an sich
als auch in seiner manigfalligen Bekämpfung wahrlich mit der Ge
schichte der Logik Nichts mehr zu schaffen hat. Somit lasse ich hier
diesen ganzen Zweig arabischer Speculation bei Seite und werde in
gleicher Weise auch bei den Lateinern verfahren, d. h. auch dorl den
Inhalt der zahlreichen Schriften De inlelleclu oder De inlelleclu el inlelligibili
(welche grösstentheils der Polemik gegen Averroes gewidmet
sind) nicht erörtern. An der Beschränkung auf meine specielle Aufgabe,
d. h. auf die eigentliche Logik, welche ja ohnediess bei den Lateinern
parallel neben andere Zweige der Philosophie tritt, gedenke ich fest
zuhalten. Wenn ich in dieser meiner Resignation nach dem Urtheile
des Lesers einen Irrlhum begehe, so habe ich wenigstens nicht unab
sichtlich gefehlt.
Die Araber, welche nur durch die Vermittlung der Syrer dazu
gelangt waren, sich mit den Erzeugnissen der griechischen Litteratur zu
beschäftigen 5), zeigen an innerer Unselbstsländigkeil des philosophischen
Impulses eine grosse Aehnlichkeit mit dem abendländischen Mittelaller;
auch sie verhielten sich weil mehr receptiv , als productiv, und im
Ganzen kann bei ihnen weniger von einer Weilerführung oder Fort
bildung der antiken Philosophie, als von einer commentirenden Thätigkeil
die Rede sein. Aber sie unterschieden sich von der analogen
Richlung des früheren lateinischen Millelalters nicht bloss durch eine
grössere Raschheil der Assimilalion, sondern vor Allem durch den Um
fang des von ihnen beni'Uzlen Maleriales. Nachdem nemlich bei den
Syrern in frappanlesler Aehnlichkeil mit der Dlteren Epoche des christ
lichen Abendlandes gleichfalls der Umkreis der Logik sich auf die Isagoge
des Porphyrius, die Kalegorien und das Buch De inlerprelalione
beschränkt halle, und unier den weniger beachlelen übrigen Theilen
des Organoris besonders die zweile Analytik fast gänzlich unbekannt
geblieben war6), überflügelten die Araber in Folge der einmal em
pfangenen Anregung alsbald die syrische Lilteralur und übersetzten nicht
bloss die sämmtlichen Schriften des Aristoteles, sondern auch die Commentare
des Porphyrius, des Alexander Aphrodisiensis, des Themistius,
und des Philoponus. Und während nun die Araber erklärlicher Weise
auf die nemliehen Controversen hingeführt waren, welche sich vom
Anfange an den Lateinern aus dem Porphyrius aufgedrängt hatten 7),
fanden hier die aufgeworfenen Fragen und Bedenken auf Grund einer
reicheren Lilleralur-Kennlniss eine Erörterung, welche an Inlension und
Extension die Leistungen des Abendlandes weit überlraf. Eben hierin
5) lieber diesen für die allgemeine Geschichte der geistigen Kultur höchst
wichtigen Punkt, dessen nähere Erörterung jedoch uns hier nicht berührt, s. E.
Renan, De philosophia peripaletica apud Syros. Paris. 1852. 8.
6) S. Renan, ebend p. 40 f.
7) Aussei' demjenigen, was aus dem Umkreise der lateinisch-arabischen Logik
im Folgenden anzuführen ist, s. hierüber auch Schmülders , Essai s. l. tfcolts
philos. p. 146 ff.
XVI. Alkencli. Alfarabi. 301
alier liegt der Grund davon, dass das Bekanntwerden arabischer Schriften
im Occidente für die Exegese des Organons epochemachend wirkte.
Versuchen wir nun, die Thätigkeil der Araber, soweit dieselbe
für die Logik einen Einfluss auf die lateinische Litteratur ausüble, näher
darzustellen, so zeigt sich nach wiederholter Erwägung doch noch jenes
Verfahren als das bessere, dass wir für die Einteilung dieses Stoffes
nicht die inhaltlichen Hauptgruppcn der Logik zu Grunde legen, sondern
lieber dem chronologischen Faden der einzelnen Autoren folgen (denn
die jedenfalls unvermeidlichen Ruckweise und Wiederholungen beschrän
ken sich hierdurch immerhin auf eine kleinere Zahl).
Der älteste unter deii arabischen Philosophen, nemlich Alkendi
(Abu-Jussuf-Jacub-Bcn-lsaac-al-Kendi, in der Mitte des 9. Jahrh. blühend),
berührt uns hier am wenigsten; denn die Nachwirkung, welche seine
Ansichten in den Schriften des Alexander Alesius, des Heinrich von
Gent und des Johann Fidanza (d. h. Bonaventuru) zeigen, liegt auf
dem Gebiete der speculaliven Theologie8), und sowie schon bei den
Arabern Alkendi's Commenlare zum Organen durch die umfassenderen
Leistungen Alfarabi's in Vergessenheit geralhcn zu sein scheinen9), so
finden wir auch nur ein einziges Mal bei Albertus Magnus bezüglich
eines logischen Punkte« eine Erwähnung Alkendi's 10).
Hingegen Alfaralhi (Abu-Nazar-Mohammed-Ben-Mohammed-Ben-
Tarkhan-al-Farabi, gest. i. J. 950) war im Allgemeinen der Begründer
jener Auffassungsweise und jener Conlroversen , welche hezüglich der
aristotelischen Logik durch Aviceuna, Algazeli und Averroes weitere
Erörterungen oder Modificationen fanden. Er bleibt, wie sich von
selbst versteht, im Ganzen dem aristotelischen Standpunkte getreu, wenn
er auch in manchen Einzelheiten auf Grundlage der griechischen Commentatoren
zuweilen Bedenken oder seihst abweichende Meinungen
äusserl, welch letzteres ihm hinwiederum von späteren Arahern sehr
verübelt wurde11)- Unter seinen Commentaren zum Organon (— denn
vom Inhalte der Schrift De intellectu sehe ich, wie gesagt, hier völlig
ab — ) hat entschieden jener zur zweiten Analytik (s. unten Anm. 50)
die ausgedehnteste Wirkung auf die Lateiner des 13. Jahrhundert»*
ausgeübt; doch sind wir auch üher seine Gesammtaul'fassung der Logik
sowie über seine Ansicht betreffs der hauptsächlichsten Controversen
8) Auch was Hawdau, fhü. scolast. l, p. 363 ff. aus dem handschriftlich vor
handenen Tractalus de errortbus philosophorum (13. Jahrb.) uiittheill, liegt ausserhalb
unserer hiesigen Aufgabe.
9) S. Mtmck, Dictionn. III, p. 443.
10) S. unten Anna. 30.
11) Ps.-Averr. (warum ich diesen Autor als Pscudo-Averroes bezeichne, s.
unten Anm. 289.) ßuaes. in Prior. Resolut., f. 366. r. A. (ich citire AU dieses
nach Arisl. Opp. Mine, Venel. J552): Non est (sc. Aristoteles) debilioris consideialiunis
inier liomines vel minoris scientiae , quam ille , qui dubitat contra ipstim et
in suo Iractatu respondet per id, qnod ei mdetur, et praecipue quando non est visum
illi, qui eum praecesseril, prout invenimus fecisse Avicentiam in omnibus suis librii.
et deterius, quod hie novus fccisset, est deviare a sua discipltna et progredi alio
itinere praeter suam vican, ut conlingit Alpharabio in SHU libro Loyicae et Avicennae
in scientiis naturalibus et divinis. Vgl. Anm. 49.
302 XVI. Alfarabi.
ziemlich hinreichend durch die häutigen Anführungen hei anderen Autoren
unterrichtet 12).
Alfarahi gibt der Logik eine Beziehung zur Ethik (vgl. Abschn. XI,
Anm. 121), indem die menschliche Vernunft, mag sie entweder bloss
innerlich in der Seele haften oder auch äusserlich im Wertausdrücke
zu Tag treten, jedenfalls ihre höhere und umfassende Funclion in der
Unterscheidung des Guten und Bösen habe , und hiemit die Wahrheit,
welche entweder in letzten unbeweisbaren Grundsätzen vorliegt oder
durch logische Erforschung erreicht wird, diesem Ziele dienstbar sei;
hierin auch erblickt er, insoweit die Logik auf den äusseren sprach
lichen Ausdruck eingehen müsse, einen Unterschied derselben von der
Grammatik, welch letztere ührigens ausserdem auch nur auf die Sprache
Eines Volkes sich erstrecken könne, während die Logik den Sprach
ausdruck der Vernunft aller Völker betreffe 13). Und während so Alfa
rahi den Streit, oh die Logik ein Theil oder ein Werkzeug der Philo
sophie sei (s. Abschn. IX, Anm. 5 ff.), als unnütz bezeichnet14), er-
12) Ich muss es allerdings sehr bedauern, dass ich des äusserst seltenen
Buches ,,Alpharabii, velustissimi Aristolelis interprelis, opera omnia, quae latina
lingua conscripta reperiri .potuerunt. Paris. 1638. 8." (dasselbe befand sich nicht
einmal in Quatremere's Bibliothek) trotz mancher Bemühungen nicht habhaft werden
konnte.
13) Vincent. Bellov. Spec. doclr. III, 2, f. 39. r. B. (ed. Venel. 1591. f. Vol.
I): Alpharabius in libro de divisione scientiarum: Logica intendit dare regulas, qtabus
orationis veril/Uem deprehendimus vel inlus vel apud alias vel alii apud nos:
non tarnen ad verificandum omncm orationem logicae regulis indigemus; eorum enim,
quibus ratiocinando utimur, quacdam sunt , quae probatione non egenl, in quibus
scilicel nullus error esse polest , ut „onrne lolum esl maius sua parte" (vgl. unten
Anm. 60.); nliu vero, quae probationc indigent, quia polest in eis homo decipi.
El ea quidem, de quibus fil probalio , duo sunl , scilicel sermo in voce, ratio in
menle; interprelatio vero fit utraque. Unde id, quod verificat sententiam apud se,
est logos fixa in menle, id autem, quod verifical eam apud alium, esl logos exterior
mm voce; logos autem, qua verificatur sentenlia, vocabanl anliqui syllogismum,
sive fixa sit in anima sive exterior cum voce. Interprelalio itaque logicae ,\umptt
esl a summa intentionis nominis , quae triplex esl; logos enim, i. e. ratio, alia est
exterior cum voce, alia fixa in animis , lertia vero est virtus creala i*
homine, quae discernit inter bonum et malum et scientias ac partes earum apprehendil
Quoniam igilur haec scientia dal regulas de logo exleriore et interiore,
quibus certificalur, utramque vero tertia logos regit et comprehendil id quod rectius
est, idcirco logica a logos secundum tres huius nominis inlenliones derivatur. Quamvii
autem plures scientiae denl regulas de logo exteriore, sicut grammalica, haec tarne«,
quae dirigit ad illud, quod omnino necessarium est, dignior est hoc nomine. Praelerea
grammatica non dal regulas nisi de diclionibus unius gentis tantum,
logica vero non dal regulas nisi secundum quod convcnerint in aictiones omnium genliinii.
üebrigens ist dieses die einzige Stelle, in welcher Vincenlius v. Beauvais
auf dem Gebiete der Logik ein Exccrpt aus Alfarabi mittheilt, während er in an
deren Theilen seiner Encyolopädie jenen Autor vielfältig benützt.
14) Albertus Magnus, De praedicab. I, 2, p. 3 A. (Opp. ed. Lugdun. 1651,
fol. Vol. I.) : Hanc autem contenlionem (d. h., ob die Logik Theil der Philosophie
sei oder nicht) Avicenna et Alfarabius dicunl esse frivolam et infrucluosam. Fritolum
quidem, quia in conlradicendo sibi inlenlionem ad idem eodem modo dictum no»
referunl; dicenles enim, logicam plülosopliiae partem non esse, realem et conlemplalivam
philosophiam vocanl; conlradiccnles autem his et dicentes, logicam partem
philosophiae esse, omnetn comprehensionem verilatis qualilercunque exislenlis, sive i*
se sive in nobis cognoscenlibus vel operanlibus, vocant philosophiam. Et sie frixolt
XVI. Alfarabi. 303
blickt er — und hierin folgen ihm alle Araher — die wesentliche
Aufgabe der Logik darin, dass man durch Anwendung derselben „von
Bekanntem aus zur Erkenntniss des Unbekannten" gelange, und dass
eben hiezu die Beweisführung (argumenlalio) das Werkzeug sei 15).
Indem aber das gesuchte Unbekannte entweder ein Einfaches (incomplexum,
d. h. ein Begrill') oder ein Zusammengesetztes (complexum,
A. h. ein Urlheil) sein könne, zerfalle die Logik eigentlich in zwei
Theile , nemlich in die Lehre der Begriffsbestimmung und die Lehre
der Bewahrheitung, wovon jedoch der erstere Tbeil bei den Griechen
fehle 10). D. h. Alfarabi nahm in Folge jenes bei den Commentatoren
ningeljürgerlen Molives, dass vom Einfachen zum Zusammengesetzten
aufzusteigen sei (Ahscliu. XI, Anm. 122), Alles dasjenige, was im Organon
betreffs der incomplexa enthalten ist, nur als unerlässliche Vor
bereitung zur Lehre von der Argumentation, welche sieb auf die complexa
bezieht, und innerhalb der traditionellen antiken Logik hat ihm
das Urtheil nur als Bestandteil des Syllogismus und der Begriff nur
als Bestandtheil des Urtheiles eine Bedeutung; nemlicb die Erwägung,
dass die Begriffe in dem Verhältnisse einer Unterordnung zum Urlbeile
zusammengefügt werden, führt ihn zunächst zu den Universalien (d. h.
zur Isagoge) und zu den Kategorien und zur Lehre von der Eintheilung,
um hierauf die Modalitäten der bejahenden und der verneinenden
Aussage zu untersuchen; und da nur in solcher Form (d. h. im imlicaliv)
der Salz die Möglichkeil des Wahrseins oder Falschseins enthält,
so wird er nun Gegenstand der Syllogistik, welche eben darum auf
die zweifache Urtheilsform, nemlich auf die kategorische und die hypo
thetische, hingewiesen ist und in entsprechender Weise auch zweierlei
Syllogismen zu entwickeln hat; indem aber zur Beweisführung zunächst
die Auffindung der erforderlichen Gesichtspunkte gehöre, ergebe sich
die Notwendigkeit der Topik (vgl. Abschn. XI, Anm. 128), und insoferne
hierauf zur Beurlhcilung das Gefundene nach Form und Inhalt in
seine feste Grundlage aufgelöst werden müsse, reibe sich die erste
Analytik und sodann die zweite Analylik an; endlich aber, um bei All
diesem vor Täuschung gesichert zu sein, folge die Kennlniss der Sophicontendunt
non ad idem suam referentes intentionem. Infrucluosa etiam huius conlentio,
quia de proposila nihil declarat inlenlione.
15) Albert. M. ebend. I, 4, p. 5 6.: Argumentatio igilur logici instrumentum
est , logica autem generalis et docens de hoc est ut de subiecto , per quod utens logicus
in scientiam venit ignoti per nolum; argumqntatio igilur logicae docentis proprium
subiectum est. El haec est trium philosophorum senlentia, Avicennae scilicel,
Alfarabii et Algazelis.
16) Albert. M. ebend. I, 5, p. 6 A.: Divisio autem logicae et quae sunt parles
ipsius, ut dicunt Avicenna et Alfarabius, accipienda sunt ex intenlione ipsius
Logica inlendit docere principia, per quae per id, quod nolum esl, deveniri potesl
in cognitioncm ignoti ; est autem aul incomplerum , de quo quaerilur , quid sit , aul
complexnm, de quo quaerilur, an verum vel falsum sit Istae ergo sunt duae
partes logicae; una quidem , ut doceanlur principia, per quae scialur diffinilio rei
et quidditas; altera vero, ut doceantur principia, qualiler per argumentationem
probetur orationis tieritas vel falsitas (vgl. Anm. 60.) Sed prima harum partium
vel ab antiquis non tradita est, vel ad nos non pervenit; hanc etiam parlem
dicunt Avicenna et Alfarabius ad Arabes non pervenisse.
304 XVI. Alfarabi.
stik 17). Doch knüpft sicli hieran auch noch die Berücksichtigung eines
cli-ni Beweisverfahren nachfolgenden Momentes; nemlich in ähnlicher
Weise, wie wir solches bei den griechischen Commentatoren trafen
(Abschn. XI, Anm. 122 f.), wird auch hier darauf hingewiesen, dass
die ganze Theorie der Argumentation sieb je nach dem Stoffe inoilificire,
indem sie in anderer Weise bei den erdichteten Begriffen der
Poesie und wieder in anderer Weise in der Rhetorik auftrete, was
seinerseits mit dem Gegensatze zwischen Wahrscheinlichkeit und Nothwendigkeit
zusammenhänge18). Ja, was diese Bezugnahme auf Rhetorik
und Poetik betrifft, so müssen wir bedenken, dass nur aus eben jenen
Auffassungen der Comraenlaloren der Umstand sich ergab, dass die
Araber (besonders Averroes) ihre Erklärung der aristotelischen Rhetorik
und Poetik enge an das Organon anknüpften (vgl. Anin. 51). Eine uns
17) Ebend. c. 7, p. 9. B ff. : Siml autem logicus docens quaerere scientiam
incomplexi docet instrumentum, quo accipiatur notitia illius secundum diffinitionem
et ea, quae ad difßnilionem faciunl, et quae diffinitionem circumslant, et quae diffinilionem
perftciunt, et quae difßnilionem mutanl , — sie docens accipere scienliam
complexi docel syllogismum, qui est illius proprimn instrumenlum, et docet alias
species argumenlationum et principia, syllogismi et ea, quae circumstant ipsvm, et
parles et materiam, in qua poni polest forma syllogismi, et aliarum argumenlationum
formas, et quae syllogismum immutant. Et ideo ea, de quibus habet tractare logicus,
secundum ista dividuntur et multiplicanlur. Eins complexi, cuius polest accipi scientia,
nun est di/ferentia , quia so/a indicativa oratio esl, cuius est esse verum t-el
falsum; et ideo tantum illius scienlia polest accipi Sed haec esl duplex, calegorica
scilicet et liypolhetica, sive, ut Arabes dicunl, enunlialio et coniunclio, propter
quod duas species docel constituere syllogismorum, quamvis hypothelicus ad
categoricum habeat reduci. Constmctio aulem syllogismi duplicüer fit, .... ad inveniendum
scilicet et iudicandum. Invcnlio aulem esse non polest nisi per habiludinem
noli ad ignolum, quae habiludo lopica est et in Topicorum scientia docelur.
Judicandi autem scientia per resolutionem invcnti est, quod resolritur aul in formalia
syllogismi principia aut malerialia , quae sunt principia cerlificantia rem per hoc,
quod sunt causae eins, quod sequitur .... Et duae sunt partes , Priorum scilicel
Analylicorum et Posterionim Analyticorum Ne autem fiat deceptio circa ea, quae
dicla sunt, invcnla esl scicnlia de sophislicis elenchis ; adhuc aulem ne fiat impedimenlum
ex parte eius, qui quaeril accipere, inventae sunt cautelae tentatoris
Quia vero Syllogismus non scitur , nisi sciatur, ex quibus et quol et qualibus est et
qualiter coniunctus, ideo habet agere logicus de enuntiatione et partibus et qualitatibus
et compositione enuntiationis ; non autem polest sie ex uno in aliud discurrere
ratio, nisi accipialur, unitm esse ordinatum ad aliud per se vel per accidens ;
ordo autem est prioris et posterioris secundum naluram vel esse, et sie arcipitur
universale el parliculare per se vel per accidens , et sie innenit modum praedicandi
unum de altem vel negandi. El quoad ordinem imienla est scientia unieersalium
et scienlia praedicamentorum , et quoad modum edicendi unum de alio imenta esl
scientia divisionum ; ralionis cnim opus est ordinäre, componere, colligere et retolvere
ea, quae collecta sunl, quo opere ulilur quasi instrumento in accipiendo scien
tiam , quando procedil a nolo ad ignolum Hae igilur sunt partes logicae , quae
generaliter habent docere modum accipiendi scientiam de quolibel scibili incomplexo
vel complexo ; el hoc iam ante nos determinavil Alfarabius.
IS) Ebend. p. 10 B. (fortgefahren) : Hie tarnen modus secundum materiam, in
qua ponilur , varialur secundum diversilatem maleriae, in qua quaeritur scienlia:
nam in sermocinalibus aliter est in grammatica ; aliter eliam est in poetica,
quae ex ßclis et imaginationibus movere intendit et aliler est in rlietoricis.
quae dicendi docent copiam ad persuadendum iudicem Etenim in realibus ideittiis
aliter est in probabilibus et aliter in necessariis et demonstrativis et aliter in
coniectanlibus.
XVI. Alfarabi. 305
anderweitig aus arabischer Quelle mitgetheilte kärgliche Inhalls-Uebersichl
der Logik nach der Auffassung des Alfarabi sieht von den auf
das Wahrscheinliche bezüglichen Theilen (Topik, Sophistik, Rhetorik),
sowie auch von der Isagoge völlig ab, stimmt hingegen im Uehrigen
mit dem so eben Angefiilirlen überein 19).
Folgen wir nun dieser Gliederung des Organons, so müssen wir
zunächst es als unzweifelhaft bezeichnen, dass Alfarabi sich auch mit
dem Inhalte der Isagoge beschäftigte, denn bei der bestehenden Mei
nungsverschiedenheit, ob dieselbe ein „Theil" der Logik sei, entschied
er sich für Bejahung dieser Frage 20). Insoferne mit den quinque vocrs
der Begriff der von significaliva (^(ptovfj ffijftavwxfj , s. Ahschn. XI,
Anm. 64) in Frage kam, unterschied Alfarabi auf Grundlage der grie
chischen Commentatoren eine fünffache Functiou der Bezeichnung der
Worte21). Was aber die bekannte Kernfrage über die Universalien
betrifft, so finden wir bereits hier jene Verbindung des Platonismus
mit dem Aristotelismus, welche bei den Lateinern durch arabischen
Einfluss eine bedeutsame Quelle neuef Conlroversen wurde; nemlich
schon Alfarabi erkennt an, dass das Singuläre nicht bloss in der sinn
lichen Wahrnehmung sich finde , sondern auch im Denken (intelleclus)
erfassl werde, und ebenso ist ihm das Universelle einerseits für die
sinnliche Sphäre ein den Einzeldiiigen Beigemischtes und andrerseits
ein Erzeugnis« der Denkkraft, welche es aus der Erfassung des gleich
artigen Vielen als den einheitlichen Grund heraushebt 22), Und wenn
19; Bei Schmülders, Docum. phü. arab. p. 24 f.: Ratiocinalio ex duabus relius
conslal, quarum ullera esl de praemiitis, quibus raliocinalio ef/icilur, attera vero de
figura, ad quam ratiocinulio componilur ; harum rerum doctrinam praecipil liber
^IvotlLvrixtüv. Praemissue conslant ex terminis et figuris (das Wort ßguris schein!
Schmölders in ungenauer Weise zur Uehersetzung gewählt zu haben , denn wir
erwarten eher formis) , quae ullimae sunl orationis partes. Rerum, quas nratio exponit
, simplicium decem sunl genera, .... quae ex Aristotelis libro De praedicamenlis
petenda sunl; praemissarum figurac exponunlur in libro Ut(>l e (ipr/vitaf ; praemissae
discendae sunl ex eius libro De demonslratione (d. h. aus der zweiten Ana
lytik). Hi libri, priusquam logicae opera navalur, legantur oporlel.
20) Aven: ad Porph. f. 10. v. A: Non video, hoc inlroductorium esse necessarium
pro inilio sumendo in hac arle ; nani non cst pars huius arlis ; Abunazar
vero videlur vclle, quud sil pars eius.
21) Albcrl. !H. De praedicab. l, 5, p. 6 B: Lvgica .... consideral de voce
signißcanle ad placilum, et quid et qualiter significel , quod anliquiores Peripaletici,
ul dicunl Alfarabius el Algazel in quinque modis distinxerunl. Primo qtiidem et
principaliler diclio significat id, ad quod prima inslilulione signiftcare est insliluta,
ul homo hominem Secundo modo...., quod ex cunseguenli supponilur in ipsa,
sicut domus siynißcul fundammtum et parietem Tertio modo, quando res comttatvr
significationem ip.mis , sicul si paries est , fundamcntum esse signißcal
Ouarto modo unum esl in intellectu allerius , sicul homo signiftcat animal
Ouiittu sicut opposilio significal opposilionem , sicul disgregatio albi signißcal
aggregationem nigri.
22) Ebend. Anal. post. I, l, 3, p. 518 B: Dicil enim Alfarabius: singvture
quoddam in sensu esl, quoddum in inlelleclu; singulare quidem in sensu est maleriale
accidenle propriu et incommutabili delemnnatum ; singulare aulem in intellecl-u
aicil lianc formam ab hoc singulari abstractam , quae esl in aninia accidens, quod
•i uiMlur Habitus vel dispositio Universale aulem in sensu dicit Alfarabius eo,
quod tn singulari est inixlum el con/usum, quo hie homu esl homo, universale
PBANTL, Gesch. H. 20
306 XVI. Alfarabi.
die Frage, ob das Universale in seinem Ansichsein das nemliche sei,
wie in seiner Vervielfältigung in der Erscheinung, dahin beanlworlel
wurde, dass es weder völlig das neinliche noch auch völlig verschieden
sei, sondern der Unterschied nur in der Form der Bestimmtheit (delerminalio)
liege23), so konnte nun ebenso im Sinne eines aristotelischen
Inlellectualismus gesagt werden, dass das Universale zugleich in mullis
und de mutlis sei24); und hiernach ist es nicht auffallend, wenn uns
berichtet wird, 'dass bereits Alfarabi jene dreifache Unterscheidung in
„anle rew", „in re", „posl rem" ausgesprochen habe, welche wir unten
(Anm. 177 fl'.) aus Avicenna anführen werden25). In der Erörterung
über die einzelnen fünf Worte hat Alfarabi offenbar den Grund zu jenen
zahlreichen Zweifeln und Conlroversen gelegt, welche wir bei anderen
Arabern (besonders bei Avicenna) anlrefleN, so z. B. was die Defi
nition der Gattung26), oder was einen Verwaudlschaflspunkt der
Gattung und des Unterschiedes betrifft27), oder in der Frage über
eine doppelte Bedeutung der Species, je nachdem man in derselben
die Unterordnung unter die Gattung oder das Moment der Sperialisirung
hervorhebe2*), oder insbesondere in den Untersuchungen über das
Aw.idens nicht bloss bezüglich der Feststellung der Wortbedeutung 2H),
autem in intellcclu dicit id, quod in universalitale ex singulis apprehensis agil
intelleclus ex hoc, quod unam rationem videt in omnibus singulariter apprehensis,
quae sunl unius generis et speciei. El hanc opinionem videnlur approbare Avicenna
et Alqazel et quidam alii.
23) Ebend. De praedicab. fl, 5, p. 20 B: Si autem quaeralur , ulntm ideni
esse sit, quod universale habet per se acceptum et quod habet determinatum el parliculuium
, dicendum, quod nee idem omnino nee diversum omnino; sed idem vel
unum dupliciler; in subslanlia enim idem est , duplex autem ut idem et unum mdeterminalum
et determinatum. El haec est solulio trium philosophorum , Avicennae
el Alfarabn el eiuidem Joannis Grammatici ajiud Arabes nominali.
24) Ebend. II, 5, p. 19 B: Idem probatur per difßnilionem universales tarn ex
Arislotelis verbis quam ex verbis Avicennae et Al/'arabii. Est enim universale unum
de mullis et in mullis; si aulem est in mullis, non habet esse separalum ab illis;
el ideo dicunl, quod universale est, quod est aptum esse in nmltis el in hoc differl
a singuluri.
25) Eliend. IX, 3, p. 93 A: Altendendum autem esl, quod omnia quinque Irifiliciler
cunsiderari possunt (p. 93 B) ut dicunl Avicenna el Alfarabius.
26) Averr. ad Porph. f. 2. r. B: Vera diffinilio yeneris est, quod ex duobus
universalibus ipstim sil illud, quod unirersalius est, per quod debel fieri responsio
ad intcrroijalionem factam de aliqua re, quid sit, ut diffinivil ipsum Alfarabius,
vel quod sit id, sub qua ordinata est species, ut difßnivil ipsemel paulo anle.
27) Divers. Arabum Quaesila, f. 380. r. B: Speculemur sermonem Al/'arabii
dicenlis, quod genus el differentia conveniant in eo, quod ulrumque eorum iiuti/icui
essenlium el substanliam speciei, nisi quod genus notificel substanliam speciei, t»
qua conveniunl alia , differenlia vero nolificat substanliam speciei, qua delcrminatur
ab aliis.
28) Albert. M. De praetlicab. IV, 2, p. 37 A: Alfarabius et Avicenna duas
liic inducunl quuestiones. Una quidem, quia nun duae sinl assignationes , una spe
ciei suballernae, allera speciei specialissimae, ad quam illarum nomen speciei prius
translalum sil ; allera aulem quaeslio esl , cum duae sinl speciei difftniliones,
secundum quam illarum specifs est universale unum de quinque universalibus.
29) Ebend. VII, l, p. 74 A: Avicenna dicit, anliquos, qui de quinque traclarerunl
universalibus, esse diminutos , qui descriptiones accidenlis posuerunt, onlequam
dislinyuci'cnt , in qua significalionc uccidens uccipitur, secundum quod esl
XVI. Alfarabi. 307
sondern auch in kritischen Zweifeln über die Angaben des Porpliyrius
30).
Was sodann die Kategorien betrifft, so scheinen hei Bespre
chung der Einleitungsworte über die Verhältnisse des Homonymen,
Synonymen u. dgl. die Araber überhaupt sich »n Porphyritis (s. Absrlin.
XI, Anni. 65) angeschlossen zu haben und hiedurcli dazu gelangt zu
sein, die „analogen" Begriffe als eigene Species zu zählen31). In dem
wichtigsten Theile aber, neinlich in der Erörterung der Kategorie der
Substanz und ihres Verhältnisses zu den übrigen Kategorien, waren ja
die Araber durch ihre Kennlniss der gesamtsten Schriften des Aristoteles
und insbesondere der Metaphysik wesentlich unterstützt und konnten
daher Erklärungen beibringen, welche dem tieferen Sinne des Aristotelisnins
treu blieben. So hat schon Alfarahi völlig richtig gegen die
Auffassung polemisirl, dass das „ens" über die Substanz hinaus als der
oberste Gattungsbegriff zu betrachten sei (Ahschn. VI, Anm. 76 ff. u.
Abschn. XII, Anm. 89), weil bei „ens" nicht von einer Auffassung einer
Galtung innerhalb einer Species, sondern von dem actuellen Dasein
überhaupt die^lede sei 32), und ebenso konnte in aristotelischer Weise
(s. Abschn. IV, Anm. 473 ff.) das eigentliche Wesen der Substanz in
jenes begriffliche Was (quid) verlegt werden, welches darin eine ge
wisse Aehnlichkeit mit dem Stolle besitzt, dass es in individueller Deter
mination erst das Ziel und die Verwirklichung seiner Bildsamkeit er
reicht33), womit sich dann desgleichen eine richtige Auffassung des
HIHIHI quinque uninersalium (p. 74 B.) Kestat ergo quaestio, quid sit accidens,
secundum quod est unum quinque universalium , semndum Avicennam et Alfarabium.
(p. 75 A.) Tale ergo universale praedicabile de multis per hoc, quod nnlio
luliitt. est sub esse accidcnltili liuius accidenlis, ut dicil Al/arabius, est universale
quinlum , quod vocalur uccidens Dicil Avicenna, quod uccittentale Ins accidens
vocalur, quando uccidens quinlum universale dicitur esse.
30) Ebend. VII, 2, p. 76 B: Assignationes accidenlis dalae a Porphyrio el ab
aliis Peripatcticis mullipliciter dicunlur esse viliosae el repreliensibiles et dicta de
accidenle, proul universale esl, ab Aviccnna et Algazele el Alfarabio el Jacob filio
Alchindi, minus veritatis habere et esse mulliplicilcr imperfeeta, in quibusdam non
vera el in quibusdam imperfecla el in quiliusdam ad rem non perlinenlia.
31) Ebend. l, 5, p. 7 B : Voci significalivae accidunl quinque, scilicel
quod sil univoca el quaedam diversivoca, quaedam aulem mullivoca, eliam quaedam
aequivota, quaedam vero analoga sive proporliona, quae apud Arabes vocalur convenientia.
32) Ebend. IV, 3, p. 41 A : St quis aulem instel et dicat , quod substantia
habet superius ; ens eiiim est anle subslantiam per inlelleclum, quia omnis substanlia
est ens, sed non omne ens est substanlia, ad praesens sufficiat, quod cum ens
praedicatur de substantia vel res vel unum vel aliquid) non praedicalur praedicalione
generis, cum non sil una ratione praedicalum de his, de quibus praedicatur, sed
per prius el poslerius; sed talia praedicanlur praedicatione principii, non generis.
El hoc probat Avicenna el Alfarabius el Algazel el omnes Arabes sie: Sequilur enim,
si homo est, um mal esl, el si animal est, Corpus vivum esl, et si vivum esl , corpus
esl, el si corpus esl , subslantia esl, propler inlelleclum gentns in specie. Sed
non sequilur , si subslantia esl, ens est, quia, sive sil aliquod sive non, semper
genus sequilur ad speciei positionem ; cum aulem dicilur ens absolute , non inlelligilur
nisi ens aclu existens, et ideo non sequilur, si subslanlia est, ens esl,
quia esse ens accidü omni ei, quod est.
33) Ebend. De praedicam. II, ], p. lüü A: l'rincipia aulem subslmliae pro
20*
308 XVI. Alfarabi.
Entblösstseins (privatio, s. Abschn. IV, Anm. 401 ff.) verbinden konnte,
insoferne dasselbe zwar nicht an sich schon als artmachender Unter
schied bezeichnet werden kann, wohl aber in Folge des sprachlichen
negativen Ausdruckes diese Funclion erbDlt 34). Folgerichtig ist es auch,
wenn bezüglich der Kategorie der Relation , welche am weitesten von
der Nalurbestimmlheit entfernt liegt (Abschn. IV, Anm. 313 u. 533),
der bloss subjective Standpunkt des vergleichenden Denkens hervorge
hoben wird 3ä). Hingegen entschied Alfarabi die bei den Commenlatoren
vielbesprochene Frage, unter welche Kategorie die Bewegung
falle (Abschn. XI, Anm. 150), auf Grundlage jener dortigen Controversen
dahin, dass sie zu den Kategorien der Substanz, des Wo, der
Qualität und der Quantität gehöre 36).
Auch in der Lehre vom Urlheile, d. h. dem Buche De inlerpr.,
werden wir den Alfarabi wohl nur als einen Commerilalor betrachten
dürfen. So unterwarf er z. B. die Definitionen des Nouien 37) und
des Verbum38) einer kritischen Exegese, oder besprach die Bedeutung
des I'rädicates als das Verhältniss einer begrifflichen Iiihäreuz im Subpria
sunt id , quod esl quid et formabile, quod eil non materia quidem, sed materiae
proportionem habens in eo , quod suslinel se formans, el in eo, quod formabile
est; ft secuhdum principium, quod esl dans esse Italiens proportionem ad actum formae
, qui est delerminare ad esse et ßnire et dislinguere, sicut dicunt Aricenna el
Alfarabius. Haec autem , quae dicla sunt, valde nolanda sunt, quia solvuntur per
ea multae quaestiones.
34) Ebend. De praedicab. V, 7, p. 66 A : Quamvis enim, sicut dicil Avicenna
et Alfarabius, irrationale et alia similia privative vel negative acceptu non dicanl
vero «offline differentias, co quod differentiu nonnisi positive polest signißcari, tarnen,
quia propria nomina differentiarum non habcmus , unam uotam differenliam ponimus,
el aliam per privalionem eiusdem significamus , quae est speciei suballernae , quuf
ponitur sub genere.
35) Ebend. De praedicam. IV, l, p. 141 A: Avicenna et Alfarabius dicunt,
quod nulla forma, quae sit ens , est fn re , quae non sit absoluta secundum esse,
quod habet in ipso; sed comparatio , quae ß rerum ad invicem secundum
formas quae sunl in relius , fit actu rationis; comparationis . ergo forma, quae
est in his , quae sunl ad aliquid, non est res , sed ratio, ut videtur.
36) Levi Gerson , Praedicam. (. 24. v. A: Sunl quoque aliqui, qui putant.
quod agere et pali dicantur de generibus motus tanhtm , videlicet de motu , qui esl
in stibstanliit et in ubi et qualitate et quantitate , el videtur esse sententiu Alfarabii
iudicio meo.
37) Divers. Arab. Quaes. f. 381. r. B: Difßnivil Aristoteles nomen in libro
l'erihermenias , quod sit diclio signißfans impositione abstracta a tcmpore , et
dixil Abunazar Alfarabius: omnes expositores convenerunl, quod adiectio dicti ,,imposilione"
sit superflua , ex quo dictio non signißcal nisi impositione, et iden dixerunl,
quod per dictionem hie ille inlellexerit vocem Almnasar vero dixil, quod
detuleril Hin HI, quia aliquando tiocanlur etiam multa, quae canit animal , dictiones
ob esse illorum expressionem proximam expressioni dictionum hominis.
38) Albert. M., Periherm. I, 3, 2, p. 255 A: Haec aulem dißnitio verbi ab
Alfarabio sie exponilur, quod consignißcare tempus dicit duo; unum ex intentiuni'
prineipali et alterum ex consequenti; ex principali intentione consignificare tempus
dicit , quod non est significare tempus vel significare rem, quae necessario ent in
tempore, sed per modum, quo cum tetnpore, li. e. per modum agere vel moteri
Ex conseqnenti dicitnr hoc , quod praesupponil , scilicel quoll verbum esl vox signißcaliva
ad placitum , quia, ut dicit Avicenna, verbum, quod hoc modo consignificat
cum tempore, non habet ex se, sed a placito imponentis.
XVI. Alfarabi. 309
jede39), wobei er sowohl auf jene nemliche Schwierigkeit sliess, mit
welcher schon die älteren Lateiner (s. Ahschn. XIV, Anm. 211) sich
bezüglich eines aristotelischen Beispieles beschäftigt hallen "'), als auch
auf jenen Abweg hinwies, welcher »ich öffnet, sobald das im Urtbeile
versteck! Enthaltene sSnimtlich ausgesprochen werden wolle 4 ')• An
dere Controverspunkte scheint er hauptsächlich hei Gelegenheil der Syllogislik
erörtert zu haben.
Insoferne er aber sudann die Top i k als die Lehre von der invenlio
noch vor den beiden Analytiken behandelte (s. Anin. 17), so mag
es genügen, zu bemerken, dass wir auch bezüglich dieses Zweiges der
Logik durch Gilate Anderer Notizen über eine cominenlirende Thätigkeit
Alfarabi's besitzen 42).
Was sodann die erste Analytik betrifft, so müssen wir zu
nächst ein äusseriiehes Moment erwähnen, welches zwar allerdings den
Alfarabi weder allein noch auch als Araber berührt, sondern in der
lateinischen Uebertragung arabischer Lilteralur überhaupt liegt; wir
linden nemliclf- in jenen Ueberselzungen bei Erörterung der Syllogismen
neben der üblichen Terminologie „proposilio" häufig auch das Wort
„praemissa" angewendet, welches sich in der ganzen vor-arabischen
Lilleratur der lateinischen Logik nicht findet*8). Der Inhalt hingegen
der ersten Analytik bot, sowie .bei den griechischen Cominenlatoreii,
so auch hier nur in wenigeren Punkten eine Gelegenheil zu Meinungs
verschiedenheiten dar. Solcher Art neinlich war zunächst die Frage
über das üiclum de omni und Diclum de nullo (Abschn. IV, Anin. 538),
welches Alfarabi in einheitlich gleichuiässiger Weise bei allen Urlheilst'ormen
, d. h. sowohl bei den Urlheilen des Stallfindens als auch bei
jenen der Möglichkeit und der Notwendigkeit, als den Kern der gesamuilen
Syllogistik betrachtet wissen wollte 44). Hieran aber schlössen
39) Ehend. De praedicab. VIII, 8, p. 86 B: Dicunt Avicenna et Alyasel, quod
haec semper vera est ,, Socrates est homo" et haec ,,homo est animal" .... et omnis
illa propositio, in qua praedicalum est de ralione subiecli et claudilur in intellectu
eins. Ebend. De praedicam. VII, 9, p. 184 A: El hoc manifetlum est per Avicennam
et Algazelem et Alfarabium dicenles, sicut vcrum est, quod quando praedicalum
condpitur in ratione subiecli, talis propositio vera est sive re existente sive non
existente.
40) Ps.-Averr. Quaes. in Periherm. f. 361. r. A: Exemplum illius , qnae neriftcalur
composüa et falsificalur dirisa, esl, proul dicimus „Moments esl poela",
quia res connexa non sü opposita rei , cui connectitur, nee in polcntia nee in
actu , sicut est opposilio nominis hominis ipsi morluo , et secundum hunc intelleclum
sermonis philosophi hoc loco convenerunt omnes exposilores , protit relulit Avicenna,
et haec ipsa est opinio Abunazar , sicut videlur de suo sermone in libro Elenchorum.
41) Albert. M., Periherm, II, l, 5, p. 276 A: Quodsi de composito componentia
dtvisim praediconlur , deducelur ad nugationem implicitam S« enim sie
liicalur ,,Socrales esl homo", per hoc quod dico ,,homo", ponilur et bipes, et bipes
elium addilur, ergo Socrates est homo bipes bipes; similiter .... Socrates est homo
homo, et sie in in/iniluin. El scias, quod hunc modum sie ponil Alfarabius.
42) Averr. Top. !. 266. r. A und f. 298. v. B, sowie fs.-Aterr. Epitomc f. 34S.
v. A u. f. 358. v. A (warum „Psendo-Averroes", s. unten Anm. 290).
43) Das Wort „prucmiaa" s. z. B. Anm. 48, 276, 365 u. s. f.
44) Ps.-Averr. , Quaes. in Prior. Resol. f. 367. v. A: Credidit Abunazar, prout
310 XVI. Alfarabi.
sich sodann auch Bedenken über das Verhältniss an, in welchem das
Urlheil des Stattfinden«, zu den beiden übrigen Arten siehe, ob die lelzleren
in erslerem bereiu versleckl enthalten seien u. dgl., wobei auch
die einschlägigen Stellen aus der Lehre vom Urlbeile (Ahschn. IV,
Anm. 278 f.) in Belrachl kamen 45). Ein fernerer Gegenstand der Coniroversen,
in welchen Alfarabi erwähnl wird, lag in der Umkehrung
der Möglichkeits-Urlheile und der Nolhweiidigkeits-Urlheile 4G), sowie
in der Enlwicklung jener Schlussformen, welche sich aus Comhinaliuneii
der drei Arien der Urllieile ergeben47). Wichtiger jedoch als diese
lelzteren bloss exegetischen Bedenken ist die Auffassung Alfarabi's be
züglich jener Stelle, in welcher Aristoteles von den Vorausselzungs-
Sciilüssen spricht (Ahschn. IV, Anm. 580 ff.), denn erklärlicher Weise
spielte hier die gesauimle Theorie des hypothetischen Syllogismus, wie
sich dieselbe seit Theophrastus und Eudemus entwickelt halte, mit
berein. Und so beansprucht denn auch Alfarabi eine gleichmässige
Gellung der arisloleliscben Definition des Syllogismus sowohl für die
kategorische als auch für die hypothetische Form desselben, indem in
beiden Formen die Stellung und Bedeutung des Untersatzes wechsel
seitig eine völlig proportionale sei; jedoch hält er dabei die Bestimmung
als wesentliche fest, dass die hypothetische Form nur dann wirklich
als Syllogismus zu bezeichnen sei, wenn der Untersalz (und biemil
auch die syllogislische Verknüpfung) nicht schon an sich selbsl bekannt
sei, sondern erst als neues Verbindungsglied hinzukomme48). Wenn
videtur ex eins sermone , guod conditio ipsius ,,dici de omni" communis huic libro
sil, quod A dicatur affirmative vel negative de inesse vel necessario out possibili de
omni eo, quod sil B in actu aut possibiliter aul necessario. Ebenü. f. 363. v. A.
Averr. Prior. Resolut. !. 65. v. B: El hoc est , in quo direxil Abunazar meutern
suam contra Aristolelem ; non esl conditio diel» de omni in omnibus tribus proposüionibus
, h. c. absolula el ncccssaria et possibili, una, veluli exislimavil Abunatar.
Gleichfalls über das dictum de omni ebend. f. 72. v. B. u. f. 106. r. A.
45) PS. Averr. a. a. 0. f. 364. r. A: Quae vero propositio sil proposilio de
inesse, exposilores quidem conlendunl in hoc. Quidam cnim ipsorum dicunt, quod
ille rnlurrit per „de inesse", quod pracdicalum insit nubiecto absolute, el quod liaec
contineat neccssarium et possibile el ens in actu, et hoc ftnxit Alfarabius, quod esset
opinio Themistii et Ammonii De Alexandra vero ßnxil Alfarabius, quod inlenderit
per enuntiationem de inesse itlum, quae inest in actu, quae est naturae <•<>»-
tingenlis, qua esl universales Icmpore sensalu, prout dicimus ,,omnis homo nunc esl
alttus", hoc enim non esl impossibile Alexander vero, prout concepit de eo
Alfarabius , dicit , quod inlcndat per absolutum ipsum (cl. h durch das Unheil , in
welchem. die Modalität nicht ausgedrückt ist) absolutum secundum diclionem et non
sccvntlum signum, sicul dicil ibi Alfarabius: absenlia modi esl indicium modi. Vgl.
ebend. f. 362. r. B u. f. 366. r. B. Was hierüber bei Averr. Prior. Resol. f. 68.
v. A u. f. 74. v. B sich findet, gehört zu jenen verzweifeilen Stellen, in wel
chen die Uebersotzung schlechthin sinnlos ist.
46) Ps.-Averr. Quaes. in Prior. Resol. f. 363. r. A (s. Abschn. IV, Aum
543 ff.).
47) Ebend. f. 365 r. B. u. f. 370. v. B.
48) Ps.-Averr. Quaes. in Prior. Resol., f. 368. r. A : Circa hoc aulem est
non parvum dubium, nam tarn putalur , quod difßnilio syllogismi simpliciler concludat
ambos syllogismos s'tnul , h. e. categoricum et condilionalem , quia sicut in
syllogismo categorico ponuntur duae praemissae el ex eis infertur alia res necessario,
tic etiam in syllogismo conditionali ponuntur duae praemissae, quarum una est con
XVI. Alfarabi. 311
aber sodann auch noch berichtet wird , dass Alfarahi manigfache Be
denken über die aristotelische Begründung der Indiiclion (Abschn. IV,
Anm. 642 IV.) geäussert habe4"), so dürfte auch hieraus hervorgehen,
dass derselbe in solch principiellen Fragen, zu welchen auch jene über
die Berechtigung der hypothetischen Syllogismen gehört, sich durch
den Standpunkt der Cnminentatoren (s. Abschn. XI, Anm. 166 und be
züglich der Induction ebend. Anm. 160) zuweilen zu unaristotelischen'
Annahmen verleiten liess (vgl. oben Anm. 11).
Seine cinflussreichsle Schrift aber war entschieden die Bearbeitung
der zweiten Analytik, auf welche unter dem Titel „De demonslralione"
häufig verwiesen wird, wenn auch Einige dieselbe für un
vollendet hielten 50). Den Anknüpfungspunkt der zweiten Analytik an
die erste fand Alfarabi darin, dass nach der Darlegung der Formen des
Scliliesseus nun auf den Stofl" übergegangen werden müsse; indem aber
dieser in den Urlheilen liege, sei zu erwägen, dass die Urlheile in
fünf Unterschieden — was in acht arabischer Weise durch Verglei
chung mit dem Golde klar gemacht wird — sich von dem schlechthin
Wahren zum schlechthin Falschen abstufen, und dass alle diejenigen
Urlheile, deren Wahrheit nicht bereits feststeht, sondern erst auf dem
Wege der Disputation gefunden werden soll, abermals eine Manigfalligkeil
von dreizehn Abstufungen zeigen, von welchen jedenfalls die fünf
höheren Grade in dem demonstrativen Wissen ihre Verwendung und
Formirung linden ; kurz die Wissenschaft der Beweisführung (s. oben
Anm. 15) müsse eben auf die verschiedenen Arten der Urlheile, welche
in den verschiedenen Zweigen des Wissens ausgesprochen werden , als
i/tlittiintis et repetita esl calegorica. Ac etiam in scientiis iam rcpcriunlur muH a
qunesita , quac ostendnnlur per syüoißsmum,ci>ndüionalem siinpliciter. El proinde
ail Abunazar, quod proporlio parlium illorum, qui contexunlur ex demonslrationibus
c ondilionalibus , sil proporlio partium illorum, ex quibus contexunlur categorici, el
dixit in libro Priorum Analyticorum , quod syllotjismi , qui componunlur per locum
iuferenliae connexionis , .... sinl conditionalcs , el oslendil, quod haec loca sint
dcmonslraliva, el sie de reliquis locis , ex quibus conlexuntur sylloijismi conditionales.
Totum ilaque hoc esl, quod dubilalur circa hunc scrmonem. Quod videlur
autem ex inlentione Abunazar 'et Avicennac, est, quod ipsi concedant, quod dif-
/initio syllogismi simpliciter conlineat ambos sylloyismos (f. 369. v. A)
Quidam sylloyismi sunt oraliones proccdentes processu cundilionis el illi sunl in rei
verilale syllogismi condilionules , quorum repelitum et coniunctio est ignota; sequitur
null' M Abunazar, quod non sil Syllogismus condilionalis ille , cuius repelitum
sil per ie nolum el coniunctio per syllogismum. Vgl. Averr. Prior. Resol. f. 83.
v. A.
49) Averr. Prior, Resol. !. 123. v. A: Semmdum hoc solvunlur omnes dubilationes
, quas esl asscculus Abunazar.
50) Averr. Posler. Resolul. f. 212 T. A: Quod aulem Abunazar non alligeril
locum islum (d. h. Arisl. Anal. posl. H, 8.), manifestum utique per verba sua in
libro ipsius De demonstrationibm et ex verbis suis in libro Elementorum. (Jedoch
slall Elemenlorum , welches allerdings in den hierauf folgenden Zeilen abermals
sich findet, scheint nach einem anderen Citate — s. dasselbe oben Anm. 40 —
wohl Elcnchorum gelesen werden z» müssen.) Ps.-At'err. Quaei. in Post. Resol. , (.
376 v. B: Totum aulem hoc significat, quod liber Abunazar De demonslratione nondum
fueril complelus, nain polius pulandum est hoc de Abunazar, quam quod sil
putandum, quod lalucrint eum hae res. Vgl. ebend. f. 374. v. B. Hiezu den
Schluss der Stelle ans Albertus Magnus in der folg. Anm.
312 . XVI. Alfarabi.
auf ihren Stoff eingehen, und darum folge auf die Syllogistik das demon
strative Verfahren51). Insoferne aber hiebei nicht bloss die Urtheile
als Stoff der Schlussform betrachtet werden, sondern aucli hinwiederum
der Inhalt der Urtheile selbst in Frage kömmt, scheint Alfarabi hier
über das eigentliche Wesen der aristotelischen Apodeiktik aus dem
Gesicht verloren zu haben ; denn er fasste die Urtheile nun nicht mehr
'bloss nach jener Seite auf, vermöge deren sie in ihren verschiedenen
Formen auf verschiedene Weise zur Ergrundung der Wahrheit benutzt
werden, sondern er zog auch den sachlichen Inhalt derselben bei, in
welchem sie zu den Einzel- Wissenschaften verarbeitet werden, so dass
Manche sogar glaubten, Aristoteles habe den Einen der beiden Gesichts
punkte übersehen; und insoferne die zweite Analytik nicht bloss das
Verfahren des wissenschaftlichen Beweises, sondern hauptsächlich auch
das Wesen der Definition bespricht, verfuhr Alfarabi allerdings folge
richtig in gleicher Weise auch bezüglich der Definition, indem er neben
einer allgemein formellen Seite derselben eine specielle und auf die ein
zelnen Zweige des Wissens abzielende Funclion des Definirens hervor
hob ; sonach also zerfiel ihm das bei Aristoteles zweigegliederte Ganze
in vier Gruppen 52). Sowie aber Alfarabi in solchem Sinne sogleich
51) Albert. H. Anal. fast. I, l, 2, p. 515 A: Quod autem iste Über immediate
sequatur librutn priorum secundum, sie probant Avicenna et Algazel et ante
kos Alfarabius. Scienlia enim syllogismorum formaliva in figura et ordine prima
est inier scientias, quae sunl de syllogismo. Propositiones enim, ex quibus fit Syllo
gismus, ut dicunt, ad syllogismum se habent in quinque ordinibits, ut quinque modis
se habet aurum ad artificiatum , quod fü ex auro; materia enim syllogismi propositiones
sunl Sunl quinque ordines in auro, quod quidem primo in ordine
obrizum examinalum et depuratum , u s. f. Simililer propositio habet quinque
ordines; in primo enim ordine est illat, quae est vere credibilis sine dubitatione et
deceplione ; in secundo ordine est propositio proxima veritati , Ha ut difficile
accidat fallacia opinionis . ; in lertio autem .... opinabilis opinione plurium non
sapientum ; in quarlo .... verisimilei , quae cum dolo et simulatione occulla
habent simililudinem verarum ; in quinto ordine esl proposilio quae scilur esse
falsa Dicamus igitur , quod omnis propositio, quae non esl veritatis Stabilität.
sed sumilur ab opponente, in quantum conceditur a respondenle, dividitur in tredecim
partes, seilicel primas , quae sunt insensibiles . ..." el in smsibiles et experimentales
....et in famosas quae conceduntur magis amore boni quam veri
el in propositiones mediatas et existimativas el maximas ab omnibus concessas
.... el syllogizatorias et receplibiles sua probabilitate et eas, quae
videntur esse maximae , non vero sunl et putabiles apud vulgus .... el imitatorias
verorum — et aperle falsas (p. 516 B.) £1 ex omnibus talium generum
propositionibus constituunlur argumentaliones diversarum facultatum, quae omnes
sunt sub logica in genere aecepta, propler quod etiam poclica secundum Aristotelem
sub logica generali conlinetur (s. oboa Anra. 18.); quinque aulem species hartem propositionum,
seilicel primae, sensibiles, experimentales , famosae el medialae , congruunl
demonstrationi in genere acceptae (p. 517 A.) Ex his omnibus pulet.
ad quid se exlendit logica in genere accepla, el quod immcdiate consequens scientia
ad scientiam de syllogismo simpliciler esl scienlia demonstrativa. Et haec, quae dicta
sunt, de scientüs Arabttm sunt excerpta. quorum commentum super hunc posterionm
librum ex sentenlia Alfarabi Arabis ad nos devenil. Näheres s. unten Anm. 276 ff.
52) Averr. , Poster. Resolut. (. 127. r. A: Intenlio libri est, speculari de demonslrationibus
alque de deftnitionibus Demonstraliones namque ex dtiobus consislunl,
quorum unum est proposiliones et hoc est, quod vicem obtinet maleriae,
alterum vero est ipsarum compositio et hoc est, quod vicem exhibel formae
XVI. Alfarabi. 313
die ersten Zeilen des aristotelischen Buches exegetisch erörterte53), so
bot sich ihm in jener Stelle, in welcher Aristoteles seihst zwischen
apodeiktischem Beweise und Syllogismus unterscheidet (Abschn. IV,
Anm. 651), die Gelegenheit dar, gleichsam eine Erweiterung und Er
gänzung der aristotelischen Lehre beizubriugen ; es seien nemlich jene
Erfordernisse, welche dort Aristoteles für das Zustandekommen des
apodeiktischen Wissens aufzählt, nur auf jener Betrachtungsweise be
gründet, nach welcher der Beweis bereits als die potenzielle Entwick
lungsstufe der Definition angesehen werden müsse und hierin allerdings
seine edelste Function besitze (demonstralio nobüitsima), denn nach
dieser Seite könne der wirklich apodeiktische Beweis an keine ander
weitigen Bedingungen ausser den von Aristoteles namhaft gemachten
geknüpft werden; hingegen aber enthalte ja der Beweis noch eine
zweite rein syllogistische Seite in sich, nach welcher er nicht Vor
stufe einer Definition sei, sondern lediglich die zwingende Nothwendigkeil
des Schliessens darbiete, und in dieser Beziehung nun sei zu er
wägen, wie der MiUelbegrifl", welr.her im Syllogismus die wahre Causalität
repräsentirt (Abschn. IV, Anin. 656— 665), in einer mehrfach
gegliederten formalen Stellung zum Oberbegriffe und Unterbegrill'e stehe,
indem hiebei in Anschlag kommen müsse, ob in den Prämissen die
Aussage das Verhällniss der Definition oder des Gattungsbegriffes oder
des artrnachenden Unterschiedes oder des eigenthümlichen Merkmales
oder des zufälligen Merkmales enthalte 54). Durch die nähere Aus-
Ideo incipil hoc in loco sermonem facere de materia Consideral autem in
istis propositionibus numerum ac dispositionem specierum ipsarum, ut eas assequanur,
quatenus possunt deducere hominem ad veritalem, non considerat aulem ipsas,
quatenus sunt una pars entium Differentiae rero ultimae, in qua$ dividuntur
species demonslrationum ex parle maleriae , sunl differe.ntiae , quae inveniuntur in
demonstralionibus , secundum quod sunt uliles ad acquirendam illorum verifcalionem,
non aulem differenliae , quae ipsis insunt, secundum quod sunl unum ex
mlibus , quemadmodum fecit Abunazar in libro suo. Et proplerea quaesiverunl homines
nostri lemporis circa speculationem de demonslrationibus et existimaverunt,
quod ülud, quod adduxit Abunazar hoc in loco, sit res, quam dimisil Aristoteles
hoc in loco In definilionibus non esl aliquid procedens modo formae , pula
ahquid commune, ncque aliquid procedens modo materiae, ita ut dividatur speculalio
ipsius duas in partes Qui ve.ro existimarit, quod in definitionibus invenitur
pars wtiversalis et communis, cuius specnlatio praecedal definitiones appropriatas
unicuique arti, is profccto erravil in hoc errore manifeste, quemadmodum existimatur
fecisse Abunazar JVow separaoit Aristoteles hoc in libro parlem appropriatam,
in qua compilelur qualitas faciendi arles , in demonstralione et de/inilione , quemad
modum fecit Abunazar El proplerea non 'dividilur speculalio in libro «<o qua-
Ivor in partes , quemadmodum fecit Abunazar.
53) Ebend. f. 128. r. B (s. Abschn. IV, Anm. 88).
54) Ps.-Averr. Epitomf, f 351. v. A If. : Sunt ergo conditiones huius speciet dcntmslralionis
absolute novem condiliones , quarum una cst , quod sit vera , secunda
et tcrtia, quod sit universalis et necessaria, quarta. quod pracdicatio sit per se,
gninta, quod eius praemissae sint causa ini'entionis concltisionis , .... sexta, quod
praedicatio in eis sil secundum cursum naluralem, septima, quod ctim hoc, quod
funt priores secundum esse ipsa conclusione, sinl etiam priores secundum cognitionem,
octava, quod praedicalum in eis sit pracdicatum prima praedicatione , nona
autem cst, quod sinl propriae Hae itaque sunl omnes conditiones, qaas Ari
stoteles apposuit, et adiecil Aas conditiones in eis, quia sunt definitiones pro
314 XVI. Alfarabi.
Führung al>er dieses Gesichtspunktes gelangte Alfarabi dazu, den demon
strativen Beweis nacli der syllogislisehen Seite desselben in acht Gat
tungen zu gliedern, vvelebc zusammen dreiunddreissig verscbiedcne For
men des Schliessens darbieten 55). Wenn aber sodann der aristotelische
priae in potenlia ei uniticrsaliler, ex quo sunl nobilissimae et perfeetissimae. Quando
vero capermlur acceplione , qua sunt demonstrationes tantum, nun apponeretur eis
conditio nisi quod sint res necessaria, qualenus sunt demonstrationes, non res, qua
sunt demonstrationes nobilissimae; et si intcnditur numerare tuas species, prout
fecil Abunazar Al/arabius, non adiicietur eis conditio praeter praemissas novem condiliones.
Re aulcm ita se habente et existente condilione necessaria , ex quo
sunl demonstraliones causarum et invenlionis simpliciter, non ex quo sunt deßnitiones
in potenlia, et termini medii in eis sunt causae, ßunl propria kämm specierum,
quod terminus medius in eis sit causa duantm exlremilatum simul .... aut uniut
ipsarum tantum Dum observavcris reliquas conditiones et praecipue conditionem,
qua est praedicalum secundum naturalem modum , sunl ergo termini medii deßniliu
ambarum exlremitalum aut allerius ipsarum, aul pars earum deßnitionis aut allerius
ipsarum. Quando autem inluebimur species combinalionum demonslralivarum, in quibus
est proportio mediorum terminorum duabus exlremitalibus , fiunt combinationes
demonslrativae simpliciler octo species relalae in libro Abunatar Nos autem
numerabimus ex islis combinationibus illas, quae possibilcs sunt combinari ex kis
quinque jiraedicatis , videliccl tx gcnerr et diffcrcnlia et pruprio et accidenle et deß
nitione et ex suis convertenlibus , in quibus eil proporlio medii lermini ad duas extremilales
Et ordinabimus eas secundum ordincm Abunazar Alfarabii
(nun folgen ausführlichst jene achl Arien in ihren möglichen Combinationsweisen,
s. dieselben in der folg. Anm.) f. 352. v. B: Hae ilaque sunl proporliones
demonslralionum simpliciter ad se invicem , et hae. sunt suae parles, sicul palet ex
sermone Abunazar. Vgl. Averr. Poster. Resolut, f. 13l. v. A.
55) Es mag genügen, dieselben aus dem Berichte eines Gegners Alfarabi's in
aller Kürze vorzuführen, nemlich : Ps.-Averr., Quaes. in Post. Resol., f. 372. v.
A ff. : Oportet , quod numcrentur (sc, species demonslratiomwi) non ex ea pari«,
unde /inxit eas numerare ipse Abunazar et deduxil posl se lioinincs in confusiones
el labores inuliles et ambiguitates infinilas ; totiits aulem huius causa fuil remolio
Imius viri a spcculatione Aristotelis circa Aas rcs et deviatio eius ab itinere
ipsins: et idtirco risiim est nobis expediens perscrulari de illis speciebus demonstrationum,
quarum meminerat Abunazar in suo libro, quae sinl demonslraliones sim
pliciler serundum opinionem Aristolelis et quae illarum non sil demonslratio. Dicimus
ilaque, quud prima species primi ycneris est, quod A sit definilio ipsius
B, el B sit deftniHo ipsius C; secunda i-ero species, quod A sil gtnus
ipsius ß, el B sil gcnus ipsius C; ..... lerlia est, A est differenlia ipsius B, et B
differcntia ipstus C; quarta vero species conlraria est primae el esl, quod iptius
A ipsum R sit dcftnilio, et ipsius R sil C deftnilio; quinta, quod in definitione
ipsius A sit genus ipsum B , el in deßnitione ipsius B sil genus ipsuni C i
sexla , quod A sit in deßnitione B, el B in deßnitione C Secundum vero ge
nus, quod comperimus in suis libris , procedil processu prologi seu petilionis pri»-
cipii, nam suppnnit ipsammel conclusionem, proul dicilur, A el B sunl duae deßnilioncs
ipsius C 7'er(ii vero gemris prima species esl: A esl definilio ipsius,
K, el B genus ipsius C; secunda, A esl definilio ipsius B, el B est differenlia
ipsius C; terlia, A est definitio ipsius B, el ipsius B deßnitio esl ipsum C;
quarta, A esl deßnitio ipsius B, el pars cius de/inilionis esl gcnus ipsius
C Quarlum aulem gcnus esl, cuius prima species esl, quando A esl genus
ipsius B, et B est defitiitio ipsius C; secunda, A est genus ipsius B, el B esl
differentia ipsius C; lerlia, A esl genus ipsius B, et B esl deßnitio ipsius
C; quarla, A esl genus ipsius B, el pars deßnilionis ipsius B esl C;
quinta, A esl genus ipsius B, el pars deftnilionis ipsius B esl genus ipsiui C
Quinfi aulem generis prima species esl, A esl differenlia ipsius B, et B est genus
ipsius C; secunda, A esl differenlia ipsius B, el definilio ipsius B esl ipsum
C; (erlia, A est differenlia ipsius B , el pars deßnilionis ipsius B esl ipsum
.
XVI. Alfarabi. 315
Begriff des wt9' am 6 nach einer dreifachen Abstufung des inneren
Nexus zwischen Suhjecl und Prädiral betrachlel wird56), und im An
schlüsse hieran bezüglich des xadd/Lov der Begriff des „primum praedieatum"
dahin festgestellt wird, dass es die wesentliche Gallungs-
Beslimmlheil ausspreche 57) , so hat dieses die gleiche Tendenz wie
Obiges ; denn Alfaruhi will auch hier die Angaben des Aristoteles nur
auf jene Betrachtungsweise beziehen, wornacli die Demonstration in
ihrer höheren und vollkuinmneren Funclion sich zur Definition gestaltet,
während daneben noch die Seite der syllogislischen Notwendigkeit im
praedicalum primum zur Berücksichtigung kommen müsse 58). Auf dem
C; et quarla species esl huic consimilis Sexli autem generis prima spceies
esl, ipsius A deßnilio est ipsum K, et K cst genas ipsius C; secunda,
deßnilio ipsius A esl K, et R esl differentia ipsius C; tertia , deßnitio
ipsius A est B, et in deßnitione ipsius B est C ; et similiter esl quarla species
Septimi aulem generis prima species esl, in ipsius A deßnitionc cst B, et K
est genus ipsiits C; secunda, in ipsius A dcfinilione est B, et B esl differentia
ipsius C; lertia , in dcfnitione A esl B, et definilio ipsius B esl C;
quarla, in definilione A esl B, et B esl in deßnitiont ipsius C; quinla esl,
ul in definitione B esl genus ipsius C Oclavi generis prima species esl, A
est pars definilionis generis ipsius ft, et B esl deßnilio ipsius C; secunda,
pars deßnitionis ipsius A est genus ipsius B, et K esl genus ipsius C; lertia,
pars deßnitionis ipsius A esl genus ipsius K, et K est di/ferentia ipsius C;
quarta, in deßnitione ipsius A esl genus ipsius Bt el deßnitio ipsius B est C
Reliquae vero species, quae pulanlur, quae ceciderinl ex ipsis gencrilius , quae numeravil
Abunazar, comprehendunlur ipsis generibus, et non est visum protrahere longius
sermonem circa ea, qvorum meminit hie.
56) Albert. M., Anal. posl. I, 2, 6, p. 541 A: Scias autem, quod Alfarabius
super to<; um istum (s. Abschn. IV, Anm. 132) in commenlo aliquanlulum sequens
forphyriurn et Alexandrum alitvr dicit ; dicil cnim quod Ires sunl modi dicendi per
se subieclmn de praedicalo el praedicalum de subicclo. El ponil primum modum,
qui potissimus esl, quando in nalura principii et principiantis esl, ul sit in natura
principiati, et Herum cum hoc. in natura subiecli esl, ul pracdicatum sil in eo, sicul
est in nalura principiati per essenliam , ul principians ipsum sit in ipso, sicut in
natura animalis est, quod sil in homine, el in natura hominis est, ul animal sil
in ipso Secundus aulcm modus esl, quando in nalura et diffinilione praedicati
quidem est, ul dicalur de subieclo, el non esl in nalura subiecli, ul pracdicatum
dicatur de eo , sicut se habenl ad invicem corpus et coloralum Tertius aulem
modus esl, ul sil quidem in nalura subiecli, ul praedicalum de co dicatur, et non
in natura praedicati, el ratione, ut ipsa sit in tali subieclo, sicul mors el decollatio
se habenl ad invicem Et haec sunl verba Alfarabii sine addilione el diminutione
el sine exposilione. Vgl. Averr. Posler. Kesol. t. 137. r. B. n. f. 138. r. B.
57) Ai'err. , Posler. Resolut, f. 138. v. B: Dir.ilur aulem universale (xaS-öiov,
s. Abscbn. IV, Anm. 132.), cum praedicalum inest omni subieclo el per se
Jam vero contenderunl de praedicalo primo in demonstralione, quid ipsum sil. Quod
aitlem invenilur in libro Abunazaris, est, quod praedicalum primo existens in demonslratione
esl, quod non praedicatur de f/enere subiecli. Et sunl qui dicunl , quod
praedicalum primo esl, quod non praedicatur de subieclo ex parte, qua inest rei.
Vgl. ebend. f. 141. v. B. Ps.-Averr. Quaes. in Post. Re.sol. f. 371. v. A: Dicimus
ilaque, quod id, quod reperiinus circa hacc apud Abunazar Alfarabium in libris De
demonslralione , sit, quod iam exposueril praedicatum primum, quod sit illud, quod
non praedicatur de generc sui subiecli, el secundum hoc genus eins cst praedicatum
primum, et similiter accidenlia , in quorum deßnitionibus est genus ipsius snliiecli.
Vgl. ebend. f. 375. r. A.
58) Averr., Posl. Resolut, f. 141. v. A: Erravit Abunazar, cum declaravil,
quod praedicalorum demonslrativorum alia sunt appropriala el alia sunl non appro
316 XVI. Alfarabi.
gleichen Standpunkte beruht auch, was über die Uebertragung der
demonstrativen Principien in andere Wissenschaften (Abschn. IV, Anm.
661) gesagt wird, indem Alfarabi auch hier dem sachlichen Stoffe der
einzelnen Wissenschaften eine neben der Beweisform herlaufende Be
rechtigung zuerkannte59); und es stimmt hiemit überein, dass er be
züglich der gemeinsamen Axiome (Abschn. IV, Anm. 162), welche hier
in der lateinischen Uebersetzung unter dem eigentümlichen Namen
„dignitales" auftreten, die Auffassung der Commentatoren (Abschn. XI,
Anm. 22 u. 161) Iheilt und in formaler Lostrennung gewisse unbe
streitbare Salze, wie z. B. namentlich das principium conlradictionis,
als oberste Principien der Demonstration betrachtet B0). Vieles Andere
hinwiederum kann nur als ein Erzeugniss comuientircnder Thäligkeit
priata et aliqtta ex ipsis sunt prima el aliqua. non prima; quodsi haec eondilio,
quam tradidit Aristoteles, sit propter melius el non eondilio necessaria , oportuisset
Abunazarem addere hanc dispositionem , h. e. quod condilionum aliquae sunl
conditiones necessariae , a quibus non effugit demonslratio omnino, et aliquae sunt
conditiones, per quas est demonslratio melior Quodsi esl rcs ilu , igitur perfeclio
sermonis de conditionibus demonslrativis erit per aggregalionem duarum viarwn,
h. e. viae Aristotelis ul viae Abunazaris , et scietttr haec via ex parte, quae est
Imnii , et ex parte, quae est neccssaria. Sed Abubecher Eliaigi (d h. Avempace)
in responsione ad hoc dixil, quod inlentio Aristolelis esl alia ab intentione Abuna
zaris, quoniam Aristoteles, cum intentio ipsius sit, quod demonslraliones sunl defnitiones
in polentia, ideo posuit in ipsis hanc conditionem; Abunazar vero, quonian
speculatus est de demonstratione ex parle , quae est demonstratio simpliciter, idto
divisus est ab Aristotele, et Aristoteles secundum opinionem Abubecheris Elzaigi
adduxil cundiliones , per quas fit demonstratio melior et perfectior, et tacuil de necessariis
, Abunazar vero e contrario docuit conditiones necessarias el tacuil eas,
per quas efficiunlur demonstrationes meliores. Propier hoc igitur oportet , ul sint
ambae, doetrinae deßcientes. Haec igitur res Intuil mutlos expositores et magnos.
Ebenso ebend. f. 212. v. B.
59) Ebend. f. 150. v. A: Sermo igitur Abunazaris in libro suo De demon
stratione ad finem, cum dixit de artibus el declaravit-, quomodo communicant scientiae
et in quo communicanl, et ex hoc declaravit, quomodo el quando Irans fern
possunt demonstrationes de arte in arlem et quomodo non possunt , serwo, inquan,
iste non esl verus, quoniam intellexit per translalionem ilhid , de quo dicitur nomtt
translationis , scilicel quod transferatur proposilio maior , et hoc, quoniam appartt
ex sermone Abunazaris, quod faleatur, esse quaesitum unum in duabus arlilHis, tt
tarnen non fateatur , quod lerminus medius est unus ; et hoc mirandum est de ser
mone illius.
60) Albert. M. Anal. posl. I, 3, 4, p. 559 A : Omnes scientiae demonstralmae
communieantes sunt sectindum commnnia principia, h. c. in hoc, quod principü\
communibus uluntur maximc in usu principiorum communium , quae dicunlur dignitales,
quae, sicut dicit Alfarabius , demonstrationes specialium scientiarum tubitaiitialiter
non ingredimitur, sed tantum per illa principia conjirrnanlur. Hiemit stimm!
auch üherein, was Alfarabi in seinen „ Fontes quaeslionum" (c. 2, bei SchmSlderf,
Docum. phil. ar. p. 44.) ansspricht: Ad noliones probandas omnia illa perlmtnl.
quae sine rebus aliis antea animo conceplis concipi nequeunt; quando e. g. intelligtrt
volumus , mundum esse factum , nobis primum probetur oportcl, mutidum esse co<*-
posilum Hoc iudicium denique ad ultimum iudicium progredialur oporlet, qvoA
nullum, sub quod ipsum Herum cadat, iudicium antecedit; haec sunt iudieia primana
inlellectui manifesla , v. g. ,,duarum enuntiationum conlradictorie sibi oppontanmi
semper allera est »era, aller«, falsa" et ,,totum maius est eins parte" (vgl. oben
Anm. 13). Doclrina has cogitandi vias nos edocens atque hat via el rerum noliones
et probaltones (die gleiche Zweilheilung s. oben Anm. 16.) nobis parans togict
nuncupalur.
XVI. Älfarabi. 317
Alfarabi's bezeichnet werden 61). Hingegen müssen wir noch um der
Lateiner willen besonders hervorheben, dass bei jener Stelle, in welcher
Aristoteles bezüglich des definitorischen Wissens das „Dass" und das
„Warum" bespricht (Abschn. IV, Anm. 688 f.), Alfarahi gleichfalls das
jenige distinguirend trennt, was bei Aristoteles innerlich tiefer verhunilen
gewesen war; er stellt neulich auf die Eine Seite die „demonslratio
quia", in welcher der Miltelbegriff in keinerlei Weise Causalitäl
sei, während andrerseits die „demonslralio propler quill" lediglich den
Causalnexus entwickle und hiehei sowohl die Ursache des Wesens des
Subjecles als auch die Ursache der Inhärenz des Prädicates im Subjecle
darlege , so dass in dieser Beziehung wieder wie oben (Anm. 54) die
verschiedene formale Stellung des MittelbegrilTes zu den beiden anderen
Regriffen in Betracht kommen müsse; eine dritte Art, in welcher die
beiden Seilen sich vereinigen , neinlich eine „demonslralio propler quid
el quia simul", welche bei späteren Arabern noch hinzugefügt wird,
scheint Alfarabi nicht anerkannt zu haben li2). Dass übrigens die Araber
zu dieser ganzen Dislinction möglicher Weise durch (ialenus veranlassl
worden waren, s. oben Abschn. IX, Anm. 101.
Was endlich die Sophist i k betrifft, welche Alfarabi in einem
61) Dahin gehört z. B. was die unmittelbaren Obersätze (Abschn. IV, Anm.
668.) betrifft, s. Averr. Post. Resol. l. 164. v. A, oder die Angaben über das
fjil 16 nolii (ebend. Anm. 131, 276, 660.), s. Albert. M. Anal. posl. I, 2, 17,
p. 551. A; über die im Mittelbegriffe liegende Causalitäl (eb. Anm. 676.), s.
Albert. M. a. a. 0. II, l, l, p. 610. A. n. Ps.-Averr. Quacs. in Post. Resol. f. 375.
v. A; über das Verhältniss zwischen Demonstration und Definition (eb. Anm. 683 ff.),
s. Averr. Post. Resol. f. 204. r. A, 206. v. A, Ps.-Averr. a. a. 0. f. 377. r. A,
380. y. B, Albert. H. a. a. 0. II, 2, 5, p. 624. A; über den l.oyixus avilo-
•yiafiög (eb. Anm. 688.), s. Averr. a. a. 0. I. 212. v. A; über die Praxis des
Definirens (eb. Anm. 697.), s. Averr. (. 223. v. B u. Ps.-Averr. f. 379. v. A.
62) Divers. Arabum Quacsita, f. 381. v. B ff. : Quia Beritt speculalores scienliae
logicae iam perplexi sunt circa cognitionem demonslrationum „propler quid" el
demunstralionum „quia", el non füll eis manifestalus ordo, quo discernuntur demouslraliones
„propler quid" el „quia" cum eo, quod tulit Abunazar circa hoc, pro
quo commendandus est. Causa aulem suae perplexionis circa id fuit id, quod accidit
in editione Demonstration»!» ex sermonibus [allenlibus corruptis , qui non sunt
de litlera Abunazar Et speculabimur id, quod ille retuleral in eius editione.
Sicque nunc reassumemus pro conformilale sermonis ipsius Abunazar el
dicamus, quod notitia inessendi praedicalum ipsi subieclo , i. e. „quia", sil una
indivisa: scifntia vero causae, i. e. „propter ..quid", dividitur in scientiam causae
essendi ipsum subiectum el in scientiam causae inessendi praedicalum ipsi subieclo
et in scientiam essendi praedicalum et subiectum simul, proul retulit Abunazar in
lil/ro Elemenlorum (Elenchorum? s. Anm. 40. u. 50.); sed ipse non iiicminil de
scientia causae essendi praedicalum el subiectum simul , el non est aliquis arguens
hoc Medii lermini demonslrationum causarum, i. e. „propler quid", aul sunt
Jefniliones vel parles definitionum duorum exlremorum ipsius syllogismi aut alterius
tpsorum, aul habenl communilalem cum ileßnilionibus amborum aliquo modo
El lotum hoc , quod videlur ex hoc , est sermo Abunazar ad litteram Demon
slralio ergo „quia" est, cuius medius terminas penilus non est causa Demonstralio
vero essendi el causae, i. e. „quia" et „propter quid" simul, est ipsamel
demonslralio „propler quid", sed dicitur demonslralio „propter quid" tantum una
comparalione El salis fuit ipsi Abunazar commemoratio demonslrationum „propter
quid" et demonslrationum „quia", el reliquil commemoralionem demonslrationum
,, propter quid" el „quia" simul. Vgl. Averr. Post. Resol. (. 161. l. B.
318 XVI. Avicenna.
besonderen Couirnentare erörtert zu haben scheint63), so finden wir!
hier die älteste Quelle jener Zweilheilung des aristotelischen Buches,'
welche von den Lateinern recipirl wurde und nachmals aucli in allen
älteren Druck-Ausgaben des Organons zur Anwendung kam. Man liess
ncinlich beim 16. Capilel (unserer jetzigen Numerirung) ein zweites
Buch der Sophislici Elenchi beginnen, und insofern« dorlselbsl aller
dings Aristoteles von den theoretischen Angaben auf praktische Maass
regeln bezüglich sophistischer Argumentationen übergeht, so hat Alfarahi
hieraus nicht bloss jene Zweitheilung motivirt, sondern auch die An
sicht ausgesprochen, dass das zweite Buch eigentlich als ein Mittelding
zwischen Topik und Sophislik zu betrachten sei '"''). Bei einigen Ein
zelheiten begegnen uns auch hier wieder Hinweisungen auf Alfarabt's
coimnentirende oder seihst ergänzende Thäligkeit 65).
Bei Weitem am ausführlichsten wären wir über die Leistungen des
Avicenna (Abu-Ali-al-Hosein-lbn-Abdallah-lhn-Sina, geb. 980, gest.
1037) unterrichtet, wenn nicht dasjenige, was unter dem Titel „Logica"
nach älterer lateinischer Uebersetzung (wohl hauptsächlich nach jener
des Juden Johannes Avemleath, s. Arnn. 163) gedruckt vorliegt cc),
schon sogleich mit dem Schlüsse der Isagoge abbräche. Jedenfalls isl
diese Schrift ein Bruchstück jener allumfassenden und breit angelegten
Encyclopädie Avicenna's °7), und während wir uns aus der Ausführlich
keit dieses ersten Theiles eine Vorstellung von der einlässlichen Be
handlung des L'ehrigcn machen können, besitzen wir in demselben
wenigstens jenen Complex von Controversen, welcher, insoferne er die
Isagoge betraf, slets für die Lateiner der einflussreichste war. Für die
übrigen Bestandteile der Logik sind wir theils auf die Melaphysica
und die sog. Suffieientia Avicenna's oder auf die Berichte Anderer ver
wiesen, iheils aber können wir auch den (Man des Ganzen aus zwei
anderweitigen kürzeren Bearbeitungen der Logik entnehmen, deren eine
von Vallier im 17. Jahrb. in das Französische übersetzt wurde68), und
63) S. AHOI. 40, 50. u. 62.
64) Aren. Elencli. f. 332. r. A: Quae autem relinquuntur (d. h. nach dem
15. Cap. d. Soph. El.), sunt duue res , quarutii una esl , quomudo respoHdeat respunilens
, secunda autem est, quomodo contradicalut , et utraque islantm rerum
iuvat sapienles per se , el ideo sermo de islis duabus rebus csl , ac si esset
pracler islam arlem , sed arlis Topicae , aut , statt dixil Ahunazar Al/arabivs, eil
artis mcdiae inter Topicam et Sophislicam.
65) So z. B. Ps.-Avcrr. Epilome, I. 357. r. A (betreffs der petitio principii) oder
Averr. Elencli. f. 326. v. A: Wo« aulem invenimus Abunazar Alfarabium in suo
ttbro, quvd iam addident istis lucis octuvum locum, qui est locus permutalionis et
trunslatiunis , h. e. quod loco rei accipialur eins simile, aul consequens ipsttm avl ei
annexum.
66) Auf dem Tilelblatle der in Venedig 1508 fol. gedruckten Ausgabe steht:
Avicennae perhypaletici philosophi ac medicerum fädle primi opera in lucein redacla,
ac nuper quanlum ars mit poluit per canonicos emendata. hogyca. Su/ftcienlia. De
coelo el mundo. De anima. De ummalibus. De inlelligentüs. AlpharaUns dt ntelliyenlüs.
Pliilnsophia prima.
' 67) S. Munck, Dictionn. phil. III, p. 174.
68) La Logique du lils de Sina, cornrnnmlment appelli! Avicennf, prince des pülosophes
et medecins Arabes, nouvellemcnt traduile d'Arabe en Francais par P.
Vallier. Paris 1658. 8. Wenn übrigens Sclimilders, Essai s. l. e'coles phil. p. 103.
XVI. Avicenna. 319
die andere metrisch abgefassle, welche sich als ein äusserst kurzes
Excerpt erweist, von Schmölders mit lateinischer Ueberselzung und
Commentar veröffentlicht wurde 0!')-
Wenn auch Avicenna's Thäligkeil bei einzelnen späteren Arabern
eine scharfe und selbst verwerfende Beurtbeilung fand7"), so müssen
wir demselben doch zugestehen, dass er mit seiner Ausführlichkeit ein
gewissenhaftes und fast ängstliches Bestrehen verbindet, durch lücken
lose und allseilige Entwicklung das Ganze, für welches ilim hauptsäch
lich Alfarahi der Leitstern ist, in sämmüichen Einzclpunkten so klar
als möglich darzulegen.
An die Spitze tritt, wie es bei den griechischen Comnientaloren
üblich gewesen war, die Frage über die Einlheilung der Philosopbie,
wobei er den Aristotelismus in dem Sinne versieht, dass einerseits die
theoretische Philosophie die nicht aus menschlichem Willen hervor
gehenden Dinge lediglich um des Wissens willen erörtert, und andrer
seits die praktische Philosophie das durch menschlichen Willen hervor
gerufene um des richtigen Handelns willen betrachtet, so dass die erslere
(—• und hierin liegt ein Gegensatz gegen Alfarahi's Auffassung, s. Anm.
13 —) in Folge ihrer Unabhängigkeit von praktischen Zwecken eine
höhere Stellung einnimmt71). Jene „Dinge" aber („m", worin für die
Logik der antike Objectivismus überhaupt hervortritt), welche den Gegen
stand der theoretischen Belrachtung ausmachen , sind entweder unbe
rührt von Veränderung und Bewegung, oder sie verfallen einer Ver
mischung mit der Bewegung; und Letzleres kann entweder darin liegen,
dass die Dinge ausserhalh dieser Vermischbarkeit auch keinerlei Sein
haben, mögen sie ohne diesen Beisatz zugleich auch undenkbar (die
Naturdinge) oder wenigstens ohne denselben denkbar sein (das Mathe
sagt „Les simplificalions et les perfectionncments qu'ils (A. h. die arabischen Arisloleliker)
ont appurtei, dans les diffiirentes parlies de la lugique, ont eli de'ja soigneus,
emenl mumdres pur Vallier, traducteur de la loyique d'Ibn-Sinu", so muss der
selbe diese Bemerkung niedergeschrieben haben, ohne Vatlier's Buch auch nur zu
kennen, denn dasselbe enthält ausser der Uebersetzung Nichts weiteres als etliche
Worterklärungen, geschweige denn eine sorgfältige Aufzählung der Leistungen der
Araber.
69) Schmülders, Documenta pli'd. arab. p. 26 ff.
70) Ps.-Averr., Quacs. in Prior. Resol., f. 3(59. v. B: Maior pars libri Suf/icienliae
Philosophiae Ituius viri est contexla ex talibits sermonibus perversis tarn i»
luyicis qtiam in aliis , et qui vult iniliari in liis artibus, expediet ei, quod /iti/iul
eius libros, nam Mi faciunl errare- liominem et exlrahunt ipsum a reclo polius, quam
ipsum dirigant et ordinent ad vcrilatem. Hiezu ob. Anm. 11.
71) Loyica (in obiger Veneüaner Ausgabe) f. 2. r. A: Prima pars Loijycae.
Incipit Lngyca Avicennae.. Capitulum de intrando aptid seienlias. Dicitmts, quod intrnlio
philosop/uae est fomprehcndere verilatem omnium rerum, quanlum possibile est
liomini comprehendere. Kcs autem quae sunt, aut habent esse non ex noslro arki-
Irio vel opere , aut habent esse c;r noslro arbilrio et opere. Cognitio autem remm
primi membri vocatur philosophia speculativa, sed cognitio rerum secundi membri
vocatur philosophia activa. finis vero philosophiae specutativae non est nisi perfeetio
atrimae , ut scial tantum , finis rero praclicae non esl, ul sriat tanlum, sed
ut scial, quid debeat ayere et ai/at. Finis ergo speculativae est apprehensio senlentiae
, quae non esl opus , practicae vero ßnis esl cognitio sentenliae, quae est in
upere ; unde speculativa dignior esl comparari scientiae.
320 XVI. Avicenna.
malische), oder darin, dass die Dinge, während sie jene Vermischung
erleiden, danehen ein hievon unahhängiges Sein besitzen72). D. h.
während hiernit sich die Dreitheilung in Theologie, Naturwissenschaft
und Mathematik von seihst ergiebt 13), ist es die zuletzt erwähnte Seile,
welche auf die Logik führt; nemlich diejenigen Dinge, welche wohl
in die Bewegung verwickelt werden, aber ihr Sein ohne dieselbe haben,
sind eben die intelligiblen Dinge, und so sagt Avicenna ausdrücklich,
dass die Wesenheiten (rssenliae), insoferne sie entweder in den Dingen
oder im Denken (inlelleclus) sind, in dreifacher Weise betrachtet werden
können, da man nach Einer Seite das Wesen in seinem Selbst-Sein
unabhängig von jeglicher Beziehung erfassen und nach einer zweiten
Seite dasselbe in der vielheitlichen Einzel-Erscheinung verfolgen und
endlich nach einer dritten Seile es im Denken selbst erörtern könne;
dann aber in diesem dritten Falle seien all jene Bestimmungen (dispo
siliones) in Betracht fa ziehen , welche dem Denken als solchem eigenthümtich
zukommen, und während ausserhalb des Denkens es keine
Allgemeinheit oder Particularität, keine Wesentlichkeil oder Zufällig
keit, kein Einfaches oder Zusammengesetztes u. s. f. gebe, verbinde
sich das Wesen im Denken mit diesen und allen derartigen Merkmalen,
deren Betrachtung zum Zustandekommen des Wissens unerlässlich iioiliwendig
sei 74). So erhält bei Avicenna der antike Objectivismus die
72) Ebend.: Res autem guae sunl, quarum esse non esl ex voluntale nostra
vel öftere secundum primum membrum , dividuntur in duo , in res guae commiscentvr
motui , et res guae non commiscentur motui. Res aulem , guae commiscenlur motui,
dividuntur in duo, aul in res, guae non habenl esse nisi guia possibile esl, eas
admisceri motui, .... aul in res, guae habent esse absque hoc. lila autem, guae
non habent esse, nisi guia possibile esl, eas admisceri motui, Herum dividuntur in
duo , quia nut sie sunt, guod nee esse nee inlelligi possunt absque materia propria,
sicut forma humana aul asinina, aul sie, quod possunl intelligi absque mulcria, sed
non esse, sicut guadratura Res aulem, quae commiscentur motui et habent esse
sine Mo , sunt sicut idenlilas et unitas et mullitudo et causalitas.
73) f. 2. r. B: Portes ergo scientiae sunl: aut speculatio de concipiendo ea,
guae sunl cum hoc, quod habenl in molu esse et exislenliam et pendenl ex maleriis
propriarum specicrum, aut speculatio, secundum quod sunt separata ab hii in intellectu
lunlum, aul secundum quod sunt separala ab his in esse et inlellectu. Prima
autem pars divisionis esl scienlia naturalis ; secunda esl disciplinaiis pura et scientia
de numero ; pars vero lertia est scientia divina.
74) Ebend.: Essentiae .vero rcrum aul sunl in ipsis rebus aul sunt in inletleclu,
unde habent tres respectus. Vnus respectus esscnliae est, secundum quod ipsa esl
non relata ad aliquod terlium esse nee ad id, quod sequitur etim secundum quod
ipsa est sie; alius respectus est, secundum guod est in his singularibus ; et alias,
sectmdum quod est in intelleclu, et tunc seguuntur eam accidenlia, quae sunt propria
islius sui esse , sicut esl supposilio et praeriicalio et universalitas et particularitas
in praedicando et essenlialitas et accidentalitas in praedicando et cetera eorum, quat
poslea scies. In eis autem, guae sunt extra, non est essenlialitas nee accidentalitas
umnino, nee est aliquod cotnplexum nee iticamplexum nee propositio nee argumentalio
....; cum auti'm volumus considerare ad hoc ut sciamus eas, necesse esl eas
colligere in intelleclu, et tunc necessario accident illis disposiliones , guae sunl propriae
titnlmn inleltecti/i. Hiemil stiniiiil überein Metapli. III, 10, f. 83. v. A:
Mullue disposiliones, guae comitanlur res, cum intelligunlur , non habenl esse nisi
postguam habentur in inlellectu; cum eniiu res intelligunlur, advenil eis in inlellectilius
aliguid, guod non eral eis extra; fiunt enim universale et essentiale et accidentale
et ftunt genus et di/ferenlia et fiunt praedicatum et subiectum el alia huiusmodi.
XVI. Avicenna. 321
specielle Färbung des aristotelischen Intelleclualismus. Indem nenilioh
das Nichtwissen oder beziehungsweise das Unbekannlsein der Dinge nur
suljjectiv im menschlichen Denken liege, so gehe jede jener Bestimmungen,
durch welche wir von Bekanntem auf unbekanntes geführt werden (ob.
Anm. 15), nur vom Denken aus auf die Dinge über, und eben hieraus
ergebe sich die Noth wendigkeit einer eigenen Wissenschaft, welche
diese Denkbestimmungen zum Gegenstände habe 75). Die ganze Frage
aber, ob dann diese Wissenschaft der Logik Tbeil oder Werkzeug der
Philosophie sei, bezeichnet Avicenna ebenso wie Alfarabi als unnütz,
da die Beantwortung derselben nur von der Enge 'oder Weile der Defi
nition der Philosophie abhänge 76).
Auch in der grundsätzlichen Haupteinlheilung der Logik stimmt er
mit Alfarabi (Anm. 16) übeiein, indem er auf den Unterschied zwischen
blossem Verslehen eines Wortes und beifälligem Ueberzetiglsein von der
Wahrheit eines Salzes hinweist "7) und an ersteres die Definition und
deren Nebenarien , sowie an letzleres di« Argumentation in ihren ver
schiedenen Formen anknüpft78), so dass hiemil der Zweck der Logik
Noch deutlicher aber spricht er das Verhältniss der Logik zu den übrigen Zweigen
der Philosophie aus Metaph. l, 2, f. 70. v. A: Subiectum scientiae naturalis est
corpus, non in quantvm est ens ncc in quanlum est subslantia, sed in ijuanlum
esl stibiectum motui et quieti Subieclum vero scientiae doctrinalis esl mensttra
sive intellecta absque maleria sh'e inlellecta in malen« Subiectum vero logicae,
sicut scisti, sunt intentiones inlellectae secundo , quae apponuntur intentionilms primo
inlellcclis , secundum quod per eas pervenilur de coijnilo ad incognilum, in quanlum
ipsae sunt inlellectae et habent esse inlelligibile , quod esse nullo modo p endet ex
materia, vel pendel ex maleria, sed non corporea.
75) Logica, (. 2. r. B: fies aulem non sunt incognitae nisi quanlum ad nos ;
dispositio vero et id, quod accidil rebus ex eo, quod invitumur per eas de cognitis
ad incognita, est disposilio et accidens, quod accidit eis in inlelleclu, quamvis ipsae
habeant esse praeter hoc. Ergo de nccessitate opus est scientia ad cognoscendum
illas disposiliones , quol sunt et quälen sunt et quomodo consequatur hoc accidens.
76) Ebend. : Sed tunc secundum quem fuerit pliilosophia tractans et dividens
et inquirens res , secundum quod habent esse et dividuntur in duo praedicla
esse, scienlia haec secundum eum non erit pars philosophiae , sed secundum quod
prodesl ad hoc, erit secundum eum instrumenlum in pliilosophia; secundum quem
vero philosophia fuerit tractans de omni inquisitione speculaliva et de omni modo,
haec scientia secundum eum est pars philosophiae et instrumenlum celerarum partium
philosophiae (f. 2. v. A.) El inde decepliones, quae sunt de huiusmodi quaestione,
frustra et sitperfluae sunl; frustra, quia non est opposilio in las diclionibus,
unusqitisque enim eorum intelligit de pliilosophia aliud, quam alius; super fluae vero,
quia solticiludo de huiusmodi non prodest. Hiezu ob. Anm. 14.
77) f. 2. v. A: fies scilur duobus modis: uno, ul intelligalur lanlum Ha,
ul , eum nomen habeal, quo appellelur, repraesenletur animo eius inlenlio, quamvis
non sit ibi verilas nee falsitas, sicul eum dicilur ,,homo" aul eum dicitur ,,fac
hoc" ......; altero, ut in inlellectu sit credulitas , sicut eum dicilur tibi , quod
omnis albedo sil accidens, ex quo non habebis intelligere huius diclionis intentionem
lanlum, sed etiam credere ila esse; eum vero dubilaveris ila esse vel non esse,
iam intellexisti quod tibi dictum est; non enim dubilas de hoc, quod non inlelligis,
nee de eo , quod ignoras ; nondum tarnen credidisti.
78) Ebend. : Esl ergo hie quoddam, quod solel prodesse ad sciendum id, cuius
intelleclus nescilur Unum enim eorum esl di/'finitio el aliud descriplio et aliud *
exemplum et aliud quod esl signum et aliud est nomen, sicul postea declarabilur,
sed illud in quo conveniunt, non habet nomen commune .... Deinde per illud cognoscilur
aliud ad modum credendi illud; qualecunque fueril, vocatur ralio ; ralio (das
PRANTL, Gesch. U. 21
322 XVI. Avicenna.
darin lioge, nach diesen beiden Seilen ein festes Wissen über die
grössere oder geringere Vorlrefl'lichkeil der menschlichen Rede beziiglich
der Auffindung der Wahrheit zu erwecken, da üherall der Ahweg zur
schwankenden blossen Wahrscheinlichkeit oder zum directen Irrlhume
möglich sei 79). Und indem Avicenna wohl daran denkt, dass bisweilen
auf bloss natürlichem Wege ohne weitere Technik eine richtige Defini
tion oder eine glaubhafte Argumentation gefunden werde, zugleich aber
Solches als lediglichen Zufall bezeichnet, wohingegen bei der Schwäche
der menschlichen Natur eine Garantie nur in längerer Uebung gefunden
werden könne , und sonach eine förmliche Technik erforderlich sei 80),
so sagt er, die Logik verhalte sich zum inneren Denken ebenso wie
die Grammatik zur Sprache oder wie Harmonie zum Metrum81)- Ehen
hieran aber knüpft sich die Bemerkung, dass jene heifällige Ueberzeugung
nicht durch Einen Gedanken allein, welcher aus Einem Worte
gefasst werden kann, sich erwecken lasse, sondern in den allermeisten
Fällen nur aus den zusammengesetzten Gedanken eines Urlheiles her
vorgehe, daher wie bei allem Zusammengesetzten es sich vorerst um
die Kenntniss der einfachen Bestandteile handle v-). Wenn aber hiemit
Eine Mal fehlt ralio im Texte) alia est Syllogismus et alia induclio et alia similitudo
et alia aliud.
79) f. 2. v. B: Finis autem scientiac logicae est prodesse omnino ad sciendum
haec duo tanlum, hoc est, ul homo sciat, qualiter dcbeal esse diclio dans intelleclum,
qui afferal scienlium i'eritalis essentiae rei, et qualis sit, qui etiam ostendit illam,
quamvis per eam non pervenialur ad veritatem essenliae ipsius, et qualis sit vitiosa,
quae videlur hoc facere et non facit; et etiam ul homo sciat, qualis sil dictio,
quae facit ßdem nccessariac veritalis ita , quod non fossil inßrmari, et qualis sil
fuciens fidem verisimilitudinis , et qualiler sit eiusmodi, ul pulelur esse aliqua duorum
modorum , cum ipsa non sil ila, sed sil falsa, el qualis sil ita, quod opinari
tl flectal animum el sufßciat absque ftde cerlissima, el qualis diclio opcrans in
anima, ad quod opcralur fides, scilicel negationcm el afftrmalionem et prohibilionem
el dilalationem el conslriclionem , non ex hoc, quod facit fidem, sed ex hoc, quod
facit rerisimililudincm. (Den gleichen Inhalt s. auch b. Valtier, p. 2 ff.)
80) Ebend.: Conlingil aulem homini, ut aliquando ' manifeslelur ei diffinilio
naturaliler dans ei inlelleclum et ralio faeiens fidem, el ex hoc esl res non doclrinalis
nee sie vera , quin aliquando fallal ; si aulem nalura cl inlelleclus sufficiunl
ad hoc sine doclrina, sicul fit in mullis, non conlingerel in senlenliis tanla diversilas
el conlradictio , ne.c unus homo contradiceret sibi ipsi aliquando el aliquando HÖH,
cum procederel secundum inlelleclum suum ; nalura autem Immana est insufftciens ad
hoc, quamdiu non acquiril doctrinam, sicut non est sufficiens in mullis aliis ratiombus
, quamvis saepe contingerel, ut faciat reclum, sicut recla iaculatio caeci
Sed quamvis ita sil inquirens scienliam, cum habueril eam el exercueril eam, Hon
lantum erroris accidet illi, quantum illis qui non habenl eam Per exercitia
enim doclrinalia pervenitur ad securilattm errorum. Albert. M., De praedicab. I, l,
p. 2. A: Ut enim dicit Avicenna, modus hie (sc. scientiae) omnibus hominibus per
hoc, quod intellecluales sunt quodammodo, per naluram inditus est; sed imperfectut
est, qui in nalura esl, pcrftcilur aulem per arlem adhibilum.
81) f. 3. r. A : Comparalio autem huius doclrinae ad inlelleclum interiorem,
qui vocalur locutio interior, est sicul comparatio urammalici ad manifestam significalionem,
quae vocalur loculio, el sicul comparatio melodiae ad melrum //...
aulem doclrina egel homo, qui acquiril scienliam considerando et cogilando, niii
'fue.nl homo divinitus inspiratus, cuius comparalio ad consideranles est sicul comparalio
ruslici arabici ad discenles arabicam.
82) Ebend.: Impossibile esl, animum moveri ab uno solo inlellectu ad credeudum
aliquid; hie enim inlelleclus non est iudicium faciendi fidem essendi rem tel
XVf. Avicenna. 323
auch zugestanden sei, dass die Logik durch den Zwang einer Nothwendigkeit
auf die Berücksichtigung des Worlausdruckes hingeführt
werde83), so dürfe dennoch weder, wie von Einigen geschehen sei
(— hieraus sehen wir, dass die Araber zu analogen Conlroverseii wie
die Lateiner durch Ahälard veranlassl wurden —), die Logik sofort als
Sache des hlossen Sprachausdruckes (sermocinalis) angesehen werden,
da ja der Denkact das Entscheidende sei M ), noch aber auch solle man
hinwieder darum, wie Andere lliaten, behaupten, dass die Logik die
Sprachausdrücke insoferne betrachte, afc> durch dieselben Gedanken be
zeichnet werden (inleUecta significunlur) ; denn jenes Sein, welches
die Dinge allerdings im Denken haben, sei noch als ein doppeltes zu
unterscheiden, indem einerseits eben Woss die aus der Aussenwelt
aul'gefassten Dinge im Denken gestallet werden, andrerseits aber Be
stimmtheiten, welche in der Aussenwell nicht vorliegen, den gedachten
Dingen durch das Denken selbst zukommen (Anm. 74), und sowie nicht
diess Beides Sache Einer Wissenschaft sein könne, so falle der Logik
nur die letztere dieser beiden Seiten anheim Vl).
Nachdem nun Avicenna durch solche Betrachtungen hei der Isanon
essendi .... Intelleclus autcm saepe habetur ex nun solo verbo; si autem unum
non sii//icii ad intelligendum illud esse vel non esse in essentia sua aut disposüione,
nee faciet fidem de alio Hoc autem, seilicet ex uno verbo inlelligere, in paucis
contingit, et propler hoc in plerisque est diminulio el malum. Quod autem in ple
risque dal inlelligere, sunt inlellecius composili senlenliae ; compositum auleni componitur
ex mullis et inier muH a sunt ima; ergo in omni cotnposito sunl aliquauna;
unum autem in omni composilo vocatur Simplex, et quia eius , quod componitur ex
mullis, impossibile est sciri naturam ignoratis eius simplicibus , ideo convenientius
eil, prius cognoscere simplices quam compositas.
83) f. 3. r. B: Ad consideralionem autem diclionum ducil nos necessitas; logicvs
enim ex hoc, quod est loijicus , non habet ex hoc primo occupari circa verba
prima nisi quantum ad loqvendum el ugendum ; non enim possibile esset, loyicum
dieere solo intellectu Sed quia necessilas ducit nos ad agendum cum verbis
praecipue , sequilur, ul verba liabeanl dicersas disposiliones , per quas di/ferant
disposiliones intenlionum , quae comilanlur esse in anima ita, quod fiant eius
indicia, quae non haberentur nisi per verba, et ideo necessarium esl in doclrina
logica, ut una pars eius esset consideratio de dispositionibus verborum.
84) Albert. M. , De praedicab. l, 4, p. 5. A : Sunt eliam , qui logicam interpretanlur
idem quod sermocinalcm scientiam Quam opinionem impugnat Avicenna
in primo logicue suae diccns , quod sermo de se nihil siynificat; si enim aliquid de
se significaret, semper el apud omnes illud signiftcarel , quod falsum esl; .... non
ergo significal nisi secundum quod conceptus est in intelleclu inslituenlis.
85) Log. t. 3. r. B: /•,'/ propler hoc non valel, quod ille dixit, seilicet quod
logica instilula est ad considerandum dictionem secundum hoc, quod sirjnificat intellecta,
el quod doclrina logicac esl loqui de verbis, secundum quod significant intellecla
Ille aulem non deliravit sie, nisi quia non apprehendit certissime
subiectum loyicae et modum essendi eius proprium; invenit enim esse, quod habenl
res in intelleclu, et ideo posuit , quod considerare esse, qund est extra, spectal ad
doctrinas physicas, considerai'e vero esse, quod est in intelleclu et quomodo intelligilur
in eo, speclut ad doclrinam aliam vel partem doclrinae , non distingitens et
nesciens , quod ea , quae sunt in intelleclu, aul sunt res formalae in intellectu apprehensae
exlrinsecus, aul sunt res accidentes eis, secundum quod sunt in intelleclu,
quae non fuerunt repraesentalae in aliquo extrinseco; cognitio aulem horum duornm
speclat (wie Jedermann sieht, ist zu lesen non spectat) ad doclrinam unam, quorum
unum est subiectum doctrinae logicae secundum accidens. quod accidit ei.
21*
324 XVI. Avicenna.
goge angekommen ist, erörtert er zunächst den Unterschied zwischen
verbundenen (complexa) und unverbundenen (incomplexa) Sprachausdrücken,
indem bei ersteren, d. h. den Urtheilen, der bezeichnende
Gedanke der Bestandteile selbst ein Theil des Total-Gedankens des
Ganzen sein müsse sfi), bei letzleren aber lediglich das Gegentheil hievon
stattfinde, und sonach ergänzende Bestimmungen, welche von An
deren zur Definition des incomplexum beigebracht wurden, sich als
überflüssig erweisen 81). Die innere Bedeutsamkeit (inlentio) der un
verbundenen einfachen Worte unterscheidet er nun sofort als eine zwei
fache, je nachdem in derselben entweder kein Hinderniss liege, den
Gedanken auf eine Vielheit von Dingen, welche in ihm zusammentreffen,
zu beziehen , oder je nachdem durch die Bedeutung des Wortes eine
solche vielheitliche Beziehung ausgeschlossen sei, und in erslerem Falle,
welcher der häufigere sei, müsse man das Wort als universale, im
letzteren hingegen als parliculare bezeichnen ss), und zwar komme es
hei dieser Definition des Universale nicht darauf an, oh es wirklich
von thatsächlich vorkommenden Dingen oder von bloss denkbaren aus
gesagt werde, oder auch ob die Mehrheit selbst nur Sache der Denk
barkeit sei (wie z. B. dass es mehrere Sonnen gebe), sondern das Ent
scheidende sei nur, dass die universelle Aussage keine Unmöglichkeit
sei 89). Nach der aus Porphyrius (Abschn. XI, Anm. 39) wiederholten
86) Ebend.: Capilulum dicendi verbum comfdexum et incomplexum et dieendi
universale et particulare et dicendi esscntiale et accidentale et id quod respondelttr
ad quid et quod non respondehtr. Poslquam in docendo et discendo necessario indigemus
verbis, dicemus, quod verbum aul est incomplexum aut complexum. Com
plexum aulem cst, in quo invenilur pars significativa intellectus , quae esl pars intelleetus
signißcati a tola significatione essenlialt, sicut esl hoc quod dicimus „homo
est scriptor" ; hoc enim verbum „homo" signiftcal unum inlelleclum, et hoc verbum
„scriplor" signiftcat alium, quorum unumquodque est pars huivs , quod dicimus
.,,homo est scriptor" signißcalione requisila ex verbo. Incomplexum autem est,
cuius pars non signiftcat partem inlclleclus totius significatione essentiali, sicut hoc
quod dicimus ,,homo", quia „ho" et ,,mo" non significant parles inlentionis, quam
signiftcat ,,homo".
87) f. 3. v. A: Quod aulem invenitur in doclrina anliquorum de descripliune
verborum incomplexorum , hoc est: scilicel quod incomplexa sunt , quorum parles
non significant aliquid; quam descriplionem multi reprehendunt dicentes, debere addi
ei, scüicet incomplexa esse, quorum parles non signißcanl aliquid de inlelleclu totius,
quia contingit aliquando, partes incomplexorum significare uliquos inlellectus, sed non
sunt parles intellectus totius. Ego aulem teneo, quod haec reprehensio error fuil,
et quod haec additio non fuil necessaria ad supplendum, sed ad exponendum.
88) Ebend.: Deinde inlcnlio incomplexi aul talis erit, quod non prohibelur, in
inlellectu ex hoc, quod intelligitur , mulla cunvenire in ea aequaliler , ut unumquod
que eorum dicatur ipsum esse aequaliter , sicut hoc quod dicimus ,,homo" habet intenlionem
in anima , quae comitatur Socratem et flatonem et reliquos uno modo
; aul eius inlentio est una sie, quod prohibelur, in inlellectu mulla convenire
in ea, scilicel in eo uno, quod intelligitur de ea, sicut in hoc quod dicimus „Socrates"
Prima autem pars divisionis vocatur universalis, secunda vero particularis.
Tu scis autem, mulla esse in verbis ad modum parlis primae et haec
est inlentio, de qua id, quod intelligitur in anima, non prohibetur habere comparationem
simililudinis ad mulla.
89) Metaph. V, l, f. 86. v. A: Universale dicilur tribus modis; dicitur enim
universale sccundum hoc, quod praedicatur in aclu de mullis, sicut homo; et diciliar
universale inlentio, quam possibile est praedicari de multis, etsi nullum eorum habeat
XVI. Avicenna. 325
Bemerkung, dass der Logiker auf die tieferen Fragen über das Univer
sale nicht einzugehen brauche90), folgt nun eine ebenso ausgedehnte
uls spily-lindige Erörterung, durch welche die Angaben über die ein
zelnen fünf Universalien vorbereitet werden sollen. Zunächst wird die
Abgränzung vorausgeschickt, dass es sich hier nicht um die denominative
Aussage (welche bei Adjectiven stattfindet), sondern um dasjenige
handle, was univoce, d. h. nach innerer Wesensbestimmtbeit, ausgesagt
werde91). Die Wesenheit sonach (essentia) eines jeden Seienden sei
dasjenige, wodurch dasselbe mit Notwendigkeit ist, was es ist; die
Einheit aber der Wesenheil sei nur bei Uebersinnlichem eine absolute,'
d. h. unzusammengesetzte, hingegen bei den sinnfälligen Dingen beruhe
sie auf einer Einigung mehrerer VVesensbestimmungen 92); während
nemlicb in jener VVesens-Einheit die Wahrheil der Einzeldinge beruhe,
seien auch die mehreren Eigenthünilichkeiten zu erwägen, in welchen
die gleicharligen Dinge ebensosehr wie in der Wesenheil selbst zu
sammentreffen, und zwar können diese mehreren Bestimmtheiten ent
weder derartig sein, dass eben aus ihrer Verbindung die Wesenheit
selbst besteht, oder derartig, dass sie nolhwendige Merkmale der be
reits verbundenen Wesenheil sind, kurz die Universalien sagen entweder
die Quiddilät („quiddilas", ein Worl , von welchem allgemein bekannl
ist, dass es erst durch die Uebcrsetzung arabischer Litleratur in die
mittelalterliche Latiniläl eingeführt wurde) oder ein dieselbe Begleiten
des (comilans) aus 93). Nemlich die universellen WorUe seien enlweder
esse in e/fectu, sicut intentio domus septangulae; dicitur etiam universale inlenlio
, quam nihil prohibet opinari, quin praedicetur de multis, sicul sol et
lerra ; hacc enim ex hoc , quod intelliguntur sol et lerra , non est prohibitum quanttim
ad ititellcctiim, passe intenlionem corum inreniri in multis Possuni autem
haec omnia convenire in hoc, quod universale est id, quod in intellectu non est impossibile
praedicari de mullis, et oportet, ut universale logicum et quidquid est simile
ei sit hoc. Vgl. Anm. 150.
90) Log. f. 3. v. B: Non cures autem secundum hoc, quod es logicus, qualiler
sit haec comparatio , et an intelleclus ex hoc, quod est unus in quo mulla
conveniunt, habeat esse in ipsis rebus, quae in ipso conveniunt, vel esse separatum
extra per se praeler esse, quod habet in uno intellectu; consideratio autem liorum
alterius (wohl zu lesen altioris) doctrinae est aut doctrinarum duarum. S. jedoch
unten Anm. 176 ff.
91) Ehend.: Praedicatio autem fit duobus modis, quia aut univoce, sicut hoc
quod dicimus, quod Socrales est homo , „homo" enim praedicatur de Socrale vere et
univoce ; aut denominative , ul alhedo de homine, dicitur enim homo albus et habens
albedinem , ncc dicitur esse albedo Nostra antem intentio non est hie nisi de
eo, quod praedicalur univoce. Diess ist principiell benützt bei Albert. M., De pracdicam.
I, 3, p. 99. A: Vt dicunt Avicenna et Algasel , omne , quod ut univer
sale de multis et de sibi subiectis praedicatur, univoce dicilur
92) Log. f. 3. v. B: Enumerabimus ergo partes universalis , secundum quod
comparatur ad parlicularia univoce et dal eis nomen et diffinitionem Dicemus,
quod omne quod esl essenliam habet, qua est id quod est et qua est eius necessilas
et qua esl eius esse. Essentia autem uniuscuiusque rei una est; sed quod esl unum
absolutum , non est id quod esl ex multis intellectibus , ex quibus coniunctis proveniat
una essentia (exemptum aulcm huius non invenitnr in rebus sensibilibus, debes
ergo nunc crcdere eius esse); aliquando aulem eril unum aliquid non absolutum,
cuius esse et vcritas • composita est ex rebus et intenlionibus , ex quibus coniunctis
prorenit essentia rei, cuius exemplum est homo.
93) f. 4. r. A : Veritas autem sui esse non est nisi humanitas ; ergo id quod
326 XVI. Avicenna.
die einfache Antwort auf die Frage „was?", oder sie geben diese Ant
wort mittelst der Bestimmungen, welche dein einheitlichen Verbände
der Wesenheit nnerlässlich vorausgehen müssen, oder endlich sie ent
halten jene Eigenthiimlichkeiten, welche ausserhalh dieser beiden Mo
mente liegen, und sowie sie im letzten Falle accidentalia heissen, so
werden sie im ersten significanlia esse und im zweiten essenlialia oder
noch hesser nulmltuttiatiti genannt '"). Die vergleichende Beziehung
aber, welche das subslanliale auf die betreifenden Einzeldinye habe,
liege für die Logik darin, dass es eben nur als der Wesensgrund des
'Particularen betrachtet werden kann, da durch dessen Aufhebung auch
das Parliculare aufgehoben wird 95). Indem aber Letzteres auch von
Einigen so aufgefassl wurde, dass man das Substantiale kurzweg als
constituens bezeichnete und in die Unaufhebbarkeit desselben den Unter
schied gegenüber dem acridenlale verlegte96), so erhebt Avicenna hiegegen
Bedenken, da der Begriff des consliluens, welcher stets den
eines Anderweitigen in sich involvire, nicht vom eigentlichen Substan
tiale, sondern nur von dem das esse Bezeichnenden gelten könne und
ausserdem bei willkürlicher Identificirung mit dem eigentlichen Substanest
unumquodque singulare, est ex eius humanilate, sed speciale acquiritur ex quanlüate
et qualitate et celeris. El habet etiam alias proprielales praeter humanilatem,
in quibus conveniunl hominei Sunt verae proprielales hominis communis , sicut
hoc, quod eU rationalis seu Itabens animam rationalem, et sicul hoc, quod esl risibilis
naturaliler. Sed hoc, quod esl rationalis, est nimm eorum, ex quibus coniunctis
conflatus eit homo ; quod untern risibilis esl naturaliter , est quoddam quod , cum
humanitas conflata est ex his ex quibus conslal , fuit necesse accidere et comilari.
Melaph. V, 6, f. 90. r. B: Praedicabile aliud est praedicabile conslituens quidditalem
subiecli et aliud est praedicabile comitans quiddilalem eius , non consli
luens illiul.
94) Log. f. 4. r. A : Jam ergo palet ex hoc, quod haec est vera, essentia rei
et sunl hie proprielates, ex quibusdam quaruin et ex aliis constat verilas rei, quaedam
vero (der Text gibt ergo) ex his sunl accidentia, quae nun comilantur in esse
eius. Et verba universalia, quae signißcant esse unius rei aut multorum, illa signiftcanl
ea, qune respondenlur ad quid, non alio modo; si aulem significant ea, quae
necesse esl praecedere in esse ad essentiam rei ita, quod ex coniunctione eorum
proveniat esse rei , debent vocari verbum cssenliale, quia respondentur ad quid;
quod aulem significal proprietalem , quae esl praeler illa duo, sive sit communitas
sive non, ipsum voces accidcntale, et eius intenlio vocatur inlt'nlio accidentalit
Quod pulalur verbum subslanliale, convenientius est ul conlineat intenliones constiluentes
esse rei, et ut verbum significans esse rei non sil Substantiale, ul ,,homo"
non est subslantiale homini, sed „animal" et „rationale" sunl substantialia homini.
95) f. 4. r. B: Hoc autem quod dicimus substanliale , quamvis secundum naluram
locutionis singularis habeat inlentionem comparabilcm, tarnen serundum placitum
logicorum signißcat aliam inlenlionem; et hoc esl, quod verbum universale
esl, quod signißcat inlentionem, cuius comparalio ad singularia lalis est, quod cum
putabilur non esse subslanlia illorum parlicularium , non habebit esse, non quia
horum subslanlia particularium debebat primum destrui, ul sie possit pulari illa
destrui, sed quia ex Mius dcstruclione sequitur deslruclio illorum.
96) Ebend. : De disciiliendo quod diclum est de subslanliali et accidentali. Jam
dixerunt in distinguendo subslanliale ab accidentali, quod sul>stantiale est constilueiu,
ticcidenlale vero non est constituens. Sed non discernunt, qualiler est constituens el
qualiter non constituens. Dixerunt etiam, quod Substantiale impossibile est putari
deslruclum, ul remaneat subiectum, accidenlale vero possibile es( pulari deslructun,
ul remaneat subieclum.
XVI. Ävicenna. 327
liale uns in den über Letzteres entstehenden Schwierigkeiten um keinen
Schritt weiter bringe ; und in ähnlicher Weise sei , was die Unaufliehbarkeit
des Substanliale betreffe, doch noch erst der Unterschied zwi
schen den wesentlichen Eigentümlichkeiten (d. h. proprium, z. B. risibile
bei homo) und den zufälligen Merkmalen zu erwägen, denn erslere
seien in gleicher Weise wie die Suhstantialia unaufhebbar, woferne nicht
ihr Träger zugleich mitaufgehoben werden soll, und der wesentliche
Unterschied des Substantiale könne dalier nicht in jener Unaufliebbarkeit
liegen 97); auch sei es allerdings richtig, dass bei denkender Betrachtung
der Substantialien das conslituens vom c.onslüutum nicht losgetrennt
werden könne, aber bei den Accidenzen könne eine Lostrennung von
ihrem Träger gleichfalls eine fälschliche sein, sobald neinlich ein Accidens
unmittelbar ohne Mitwirkung eines anderen Accidens den Träger
ursprünglich begleite, und gerechtfertigt sei es nur dann, ein Accidens
ohne seinen Träger zu denken, wenn dasselbe erst mittelbar durch ein
Anderes mit ihm verbunden ist98); ja Ävicenna dehnt die Dislinction
noch weiter aus, indem er von der nothwendig zu denkenden Eigen-
97) f. 4. v. A : Polest autcm aliquis discutere verilalem et falsitatem in his.
Dicemus ergo, quia hoc quod dixerunt, quod substantiale esl constituens , non continet
de subslantialis natura , quod esl non significans esse; constituens enim est
continens aliud a se Si attlem vohint conslituens intelligere, quod non intelligilur
ex signißcatione sui nominis , sed volunt intelligere idem quod de substantiali,
contingit eos inducere nomen multivocum, quod alistiilenmt ab eo, cui primum imposuerunt
, nee siynant inlcnlioncm eins, ad quod Iranslulerunl , el erit labor idem
de conslituente et de substanti&H, quorum untimquodque tanla egebil expvsitione
quanta et alterum. Contra hoc aulem, quod niluntur de deslructione , in opinione
liebes meminissc, quod praediclum est, scilicet quod inlentio universales habet proprielales
, quae sunt primo necessariac, quilius postea efßcitur , et habet alias proprielates,
quae concomitanlur et sequunlur eam, cum ipsa inlentio fueril habila,
uihil aulem polest intelligi esse remotis illis proprietatibtis ab eo , quae necessariae
sunt ei ad hoc, ul habeat esse El quandoquidcm sie esl, tunc proprietates,
quae dicuntur subslanliales , ex inlenlionibus intclligibilibus debenl necessariae in
telligi ad subieclum hoc modo; esse enim non inlelligilur in inlellectu nisi praecedal
prius eorum intellectus. Accidentia vero alia intelligere non est prius quam inlelligere
ipsum esse, sed sunt concomitanlia el consequenlia, quae non sunl constiluentia
esse ergo esse slatuitur sine illis; poslquam aulem staluihtr sine illis, tunc
non est lange, qttin intelligatur ipsum esse, quamvis non praecesserint ipsa vel non
acciderint inlelligi.
98) Ebend.: Jam aulem scis, quod hoc inlelligere non volo dicere hoc, scüicel
ut cum inlellexeris aliquid el consideraveris in e/feclu, quod intelligas cliam partes
suorum conslituentium in e/feclu, forlassis enim non considerabis partes in luo inteUectu;
sed dico, quod si consideraveris conslituens el constilulum , non eril Mi
possibile removere constitutum a consliluente se taliter , ut verum sit constitutum
habere esse in intelleclu non habenle esse constituens se; et quando quidem ita est,
esse debel impossibile ea removeri ab eo , imo debel habere ista sine dubio. Acci
dentia autem non nego , quin vere slatuanlur esse in intelleclu, cum non intclligalur
habens t/Ja, sed intellectus removet ista ab eo falso; lioc aulem non a/'ßrmo de Omni
bus accidentibus ; accidentium enim quaedam concomilantur esse principaliter el
manifeste non mediante alio accidcnte, el lunc impossibile esl ea removeri ab esse
rcmanenle esse, sicul hoc, quod triangulus est huiusmodi, quod aliquod lalerum
eius potesl prolrahi in direclum in opinione ; poisibile esl autem, quod esse
accidenlis sit alio medianle, quod si non attendelur , polerit removeri a subieclo,
sicul hoc, quod omnes duo anguli Irianguli sunl minores duobus reclis.
328 XVI. Avicenna.
thümlichkeit die nicht-nolhwendige in vier Abstufungen unterscheidet").
Hieran alier reiht sich nun noch ein anderer Gegenstand der Discussion,
welcher für das Folgende grossen Nutzen hahe; nemlich es handelt
sich um die Frage, ob das Universale als significans esse (Anm. 94)
wirklich nach dem gewöhnlichen Sinne das neinliche sei wie dasjenige,
was im Subslanliale bezeichnet wird 10°). lliebei jedoch bleibe es un
erklärlich, warum man dann das Subslanliale dennoch nicht mit dem
artmachenden Unterschiede identificire ; denn das esse in jener secundären
Bedeutung, in welcher es das Substanliale ist, werde eben doch
in solchen Wesensbestimmtheiten ausgesprochen, welche von den Logi
kern stets als die in einer Gattung auftretenden Unterschiede bezeichnet
wurden ; nach jener Ansicht aber komme das Substantiale in keine Be
ziehung zur Galtung, welche man doch als ein eine Manigfaltigkeil Ent
haltendes bezeichne, sondern indem man das Substantiale auf das blosse
quid beschranke und von dem quäle quid lostrenne, wolle man gar
nicht zugeben, dass eine und die neinliche Bestimmtheit als esse auf
trete, insoferne Mehreres in ihr zusammentreffe, und zugleich auch als
quäle esse, insoferne jenes Mehrere sich von Anderem unterscheide;
hingegen klettere man unbekümmert um diese Fragen lediglich von der
Gattung abwärts zu den Arten und dann zu den Unterarien ""). Das
99) f. 4. v. B: Pate t ergo ex hoc, quod proprietalum quaedam est, quam
possibile est negari in actu , et quaedam est, quam possibile est in intellectu negari
habere esse, et quaedam, quam possibile est negari in intelleclu absolute, et quae
dam, quam impossibile (zu lesen possibile) est negari esse aliquo modo, cum sit
accidens , et quaedam, quam impossibile est negari, cum sil substantielle.
100) Ebcnd.: Id quod sianiftcat esse, dixerunt esse significalivum substantiell
communis quanlumcunque fuerit; et non pervenit ad nos de hoc plus discussionis.
jVos ergo perquiramus, an id, quod intelligitur de hoc verbo, secundum sensum rulgarem
sit haec intentio annon, et an, quod sciunl minores et consentiunt in eo
tanquam in authenlico, signißcet illttd. Cum enim feccrimus hoc, ostendetur nobis
magna utililas. Idem autcm intelligitur secundum sensum vulgärem nunc significandum.
SigniKcalivum enim esse rei est id, quod signiftcat inlenlinnem , qua res est
id quod est ; res aulem non fit id quod est, nisi cum omnes suas habet proprietatet
substantialiter tarn communes quam proprias.
101) l. 5. r. A: Hinan aulem est de multis , qui tenent, quod subslantiale
et quod signiftcat esse sunt unum, et non ponunl, quod Subslanliale sit proprium
signißcativum esse eius, cui est subslantiale, scilicct id quod vocabimus postea di/ferentiam.
Hoc aulem stultum est. Cognitio autem dispositionis eius. quod signißcat
esse secundum positionem sccundam et sensus maiorum hoc est, scilicel quod invenimus
animal et sensibile praedicari de homine et equo et bove; deinde invenimus
auclores arlix dicentes, quod sensibile et omnino quidquid est huiusmodi ex his,
vocantur di/ferentiae eorum, quae dicunlur genera, et ponuntur substantialia. Et
non ponunl ea esse aliquid illius totius, quod vocatur genus, et mime, quod esl
significatmum esse et conlinet multa divcrsa, ponunt genus Quod enim dicitur
signißcare quäle quid subslantiale commune, ponunl ditiersum ab eo, quod significat
esse substanliale commune. Ergo non tenent congruum esse, ut unum aliquid comparationc
multorum sil esse el quäle esse, ita ut ex eo , quod conveniunt in eo itla
multa, sit eorum esse, et in hoc, quod per illud di/ferunl ab aliis multis, sit eorum
quäle esse Sed cum inveniunt genus, quaerunt aliud, quod sil di/ferentia, quae
constiluat genus, si est quod habet differentiam constitulivam ; similiter cum inveniunt
species, quaerunl alia extra carum essentiam, quae sunt earum di/ferentiae. Si
autem id nun esset significativurn esse, nisi cum esset genus aul species, lunc, cum
XVI. Avicenna. 329
Richtige hingegen liege in jener obigen Unterscheidung (Anm. 94-), und
es sei nur zu bedenken, dass das significans esse entweder auf eine
Mehrheit von Dingen sich beziehe, welche in ihrem Substantiellen sich
nicht unterscheiden, wie man z. B. von Sokrates und von Hippokrates
„Mensch" aussagt, oder auf eine Mehrheit, welche innerhalb ihrer noch
substantielle Unterschiede enthalte, wie z. B. „Thier" vom Pferde und
vom Esel gilt102); neinlich im ersleren Falle enthalte das significans
esse das substantielle Wesen des Einzelnen und lasse nur noch accidenteile
Eigentümlichkeiten offen, im letzleren hingegen sei mit jenem
esse das substantielle Wesen noch lange nicht erschöpft, sondern gerade
die Substantialien , welche in den artmachemlen Unterschieden liegen,
seien noch im Resle 103). Bei der Bezeichnung aber (significatio} sei
nicht zu vergessen, dass die primäre immer die wesentliche bleibe 104),
und so stehe die Bezeichnung der parililas, d. h. der Wesensgleichheit,
an der Spitze, und andere, wie jene der conlinenlia und der comilantia,
seien erst abgeleitete 105). Und was nun die Frage betreffe,
ob nicht das Substanliale zugleich auf das quid und auf das quäle qnid
gehen könne, und sonach eine Zweilheilung unhaltbar sei, so löse sich
dieses Bedenken dadurch, dass das quid Eines Dinges zugleich das
quäle anderer Dinge involvire, jedoch nie das Suhstantiale eine accidenlelle
Qualität desjenigen sein könne, dessen Substantiale es eben ist,
est significativum subslantialis in quo convenitmt , iudicium eius esset diversum ab
hoc. Stint autem haec quaedam prohibentia verum esse quod dixerunt a. s. (.
102) f. 5. r. B: Dicemus, nunc iatn ostensutn esse, quod vcrbwn incomplexum
universale aut est substanliale aut accidentale , et quod est substantiale alictii , aut
est aptum signiftcare esse aliquo modo aut non est aptum. Significans autem esse
est aut quod significat esse multorum, quae non differunt subsltmtialiler , aut significat
esse multorum, quorum essenliae differunl subslantialiler. Exemplum autem
primi est nomen solis — aut nomen hominis, quando vocalur homo Socralcs et
Hypocras; exemplum aulem secundi est significalio huius nominis ,,animal", quum
de equo et asino simul alicui inlerroganli, quid sunt, respondebitur, quod sunl animalia.
•
103) f. 5. v. A: Differentia aulem duorum modorum haec est, quia primus
modus eil significans esse collectionis, et lunc uniuscuiusque nomen eum nominis
significat et integre veritalem substantialem , quam habcnt Socrates et Hypocras, nee
excedit eam nee relinquilur ab ea, nisi quod proprium est uniuscuiusque de proprietalibus
accidenlalibus, sicul iam nosti ex praediclis. De modo vero secundo tu scis,
quod animalitas sola est (zu lesen non cs<) significativa esse hominis et equi unius
cuiusque per se, ex ea enim sola non est unumquodque eorum id quod est; nee
excedunt istam accidentalibus differentiis , sed substantialibus ; quidquid aulem liabent
commune de esse, nomen animalis significat; scnsibile vero significat parlcm totius,
quod complectilur significalio huius nominis ,,animal"; est igilur pars perfectionis
verüatis eorum, in qua eonvcniunl non integre; similis est disposilio ralionalis comparationc
hominis.
104) Ebend.: Sensus enim de significatione nominis esl, ul nomen sit illius
intcntionis, quae est ex prima impositione, undc etiamsi fuerit alia inlentio adiuncta
primae extrinsecus, quam percipit intellectus, quando percipit jirimam, non ideo nomen
eril significalivum eius secundum imposilionem primam.
105) f. 5. v. B: Si autem volumus hoc lotum complecti et acquirere, diccmus,
quod significalio diclionum est tribus modis, quia est siynificalio parilitatis , ut hoc
quod est animal, significat corpus habens animam sensibilem; et significatio continentiae,
ul significatio corporis ab animali ; et significalio comilanliae, ul ex tccti
significatione fundamentum. Alfarabi hatte noch ausführlicher distinguirt, s. Anm. 21.
XVI. Avicenna. ,
und ebenso sei auch hinwiederum das quäle quid befähigt, nach einer
anderen Seite zugleich ein quid in sich zu schliessen 106). Kurz das
jenige Universale, welches Suhstantiale ist, kann nach Seite des quid
je nach der Grosse des Uiufanges als Gattung oder als Art auftreten,
aber nach Seite des quäle ist es die Differenz, und jenes Universale,
welches Accidenlale ist, zerfällt in die eigentümlichen und in die ge
meinsamen Merkmale; sämmlliche fünf aber sind nicht in absolutem
unabhängigen Sinne zu verstehen, sondern beziehen sich stets auf einen
bestimmten ihnen angehörigen Umkreis 107).
Indem nun Avicenna nach solch ausgedehnten Erörterungen, aus
welchen ich nur das Hauptsächlichste und für die Lateiner Einflussreiche
hervorgehoben habe, endlich sich an die Besprechung der einzelnen
fünf Universalien macht108), hebt er zunächst, was genus belrifl't, die
Seile der Wortbedeutung hervor, indem die Auffassung des Gattungs
begriffes ursprünglich von dem Begriffe eines Geschlechtes und auch
von genealogischen Traditionen in den menschlichen Künsten und Be
schäftigungen ausgegangen und erst hernach auf die logische Bedeutung
im Sinne der Definition des Porphyrius übertragen worden sei 109).
106) Ebend.: 5t quis autem dtxerit, quod apttim est ad quäle quid, ipsum
etiam aplum esl ad quid; sensibile enim, quamvis negatur signi/icare esse hominis
et equi et bovis ad moduin generis vel speciei, non tarnen negatur signiftcare esse
commune audienti et videnti et tangenli; unde non oporlel substanliale dividi in id
quod responietur ad quid et in id quod respondctur ad quäle quid, ita ut altenan
non continfalur in altero ; non enim conslal, ut quidquid significaverit quid est, non
significel quäle quid; unde compellunl concedere , quod dixistis, debere alias dicere.
Respondemus ad illud , quod prima quaestio solvelur , cum sdelur, nos non negare,
quod illud, quod signißcal quid sunt aliqua, significel quäle quid sunt alia, quia
concedimus hoc ; non enim negamus , nisi quia verbi gralia sensibile est signifcans
esse speciale et per hoc non debet esse contcntio in hoc quod dicimus , qw>A
substanliale non est accidens; nostra enim inlentio esl, quod non est accidentale ei,
cui esl substanliale. Quaeslio autem seeunda solvilur per hoc, quod non intelligimvs
signißcans quäle quid aplum tantum ad quäle quid absque quid, ita ut eius signi/icatio
non sil nisi intentio intrinseca ei in nonrine significanle esse generale aul spe
ciale, sed intentio constitutiva qua differunt ; cum aulem dicimus significans quäle
quid, inlelligimus hanc intenlionem.
107) f. 6. r. A: Unde esse substanliale universale aut signifcul (offenbar ausgefalllen
im Texte ist esse magis commune et vocatur genus, aul significat) esse
minus commune et vocatur species , aul notat quäle esse et vocalur differenlia ; sie
universale accidenlale aut est proprium it vocatur proprietas , aul conveniunt in ipso
multa et vocatur accidens commune; hoc autem quod est genus, non est genus in se
nee in comparalione omnium, sed est genus corum, quae conveniunl in eo; simulier
species non est species in se ipsa nee in comparalione omnium rerum, sed in comparatione
eius, quod est aliquid in ipsa: praeter hoc etiam di/ferentia non est differentia
nisi comparatione eius , quod ditidilur in sua essenlia per illam ; similiter
etiam proprietas non est proprietas nisi comparalione eius, cuius naturae accidit
tanlum; similiter accidens commune non est accidens nisi comparatione eius, cui accidil,
et non aliter. (Aehnlich bei Schmölders , Doc. p. 29., u. vgl. unten Anm.
172.)
108) Ebend.: Nunc ergo lequamur de unoquoque eorum per se , et deinde loquemur
de eorum communilatibus et differentiis, sicut habet usus, incedentes seeundum
viam aliorum.
109) Ebeud.: Dicemus , quod vcrbum signiftcans intenlionem generis prius apud
eos secundum primam impositioHem significabal aliud et deinde per imposüionem se
XVI. Avicenna. 331
Indem er aber durchaus von dem Standpunkte der griechischen Commentaloren
(Abschn. XI, Aniu. 51 u. 133 II'.) inficirl ist, fühlt er sich ge
drungen, sofort vor der näheren Erörterung des Gattungsbegrill'es gleich
hier auf die Lehre von der Definition hinzuweisen (wenn auch mit dem
Vorbehalte einer späteren Auseinandersetzung), und er wiederholt die
schulmässige Notiz, dass hei schlechthin einfachen Wesen die blosse
Namensbezeichnung an Stelle der Definition treten müsse, bei jenen
Wesenheiten aber, welche aus einer Mehrheit von Suhslantialien ver
flochten sind, die Definition in Angabe des genus und der di/ferenlia
bestehe no), während die Beschreibung (Abschn. XI, Anm. 138) sich
nur in den äusserlichen Anzeichen des Gegenstandes bewege U1).
Hierauf nun folgen Controversen über den Gattungsbegriff, indem zuerst
das Bedenken, dass in dem Inhalte eines Gattungsbegrill'es wieder andere
Gattungen liegen können, und hiediirch möglicher Weise eine Gattung
von einer ober ihr selbst liegenden Gattung ausgesagt werde, dadurch
seine Erledigung findet, dass eine solche Aussage eine accidentelle sei,
indem der Gattungsbegriff seinem Wesen nach eben ein collecliver
cundam translatum est ad signiftcandum intentionem, quae apud logicos vocatur genut
(vgl. Abschn. XI, Anm. 40.). ///; aulem intenlionem, in qua multi conveniebant,
vocabant genus veluli genlem (der Text gibt genus) eorum, ul „Caesares", aut
palriam, ul ,,Aegyplii" Videlur eliam mihi , quod ofßcia et artes vocabanlur
genus. El quoniam haec inlentio , quae nunc vocatur apud logicos genus, fuit unum
in inlelleclu, quod habet comparationem ad multa , quae conveniunt in eo , quia in
lingua sua non erat ei nomen, quo appellarentur ea, quae sunl inier se similia,
transtulerunl ad hoc et rocaverunl genus hoc , sciliccl de quo loquuntur dialeclici et
describunt dicenles, quod est id, quod praedicatur de pluribus differenlibus specie in
eo quod quid est. Jener Beisatz betreffs der Künste, welcher bei Boothins sich
nicht findet, ist hervorgehoben bei Albert. M. De praedicab. HI, l, p. 27. B: Est
autem atlendendum, "quod Avicenna in primo libro logicae suae dicit, quod isli ambo
modi extenduntur eliam ad artißcialia; aliquando cnim fabri dicuntur Tubalcailae
a Tubalcaim, qui arlem fabrorum invenil.
HO) f. 6. r. B: Prius autem quam incipiamus exponere hanc descriptionem,
involvamus fädle sensum difßnitionis et descriptionis, sed differemus exposilionem
earum usque ad locum, quo ostendemus , quid sit Syllogismus demonstralivus (s.
unten Anm. 226 ff.). Dicamus ergo, quodprimum, quod praedicatur et quaeritur
in difpniendo hoc est, scilicel ul nomen signißcet esse rei. Si autem inlentio rei
fuerit inlentio incomplexa non composita ex multis intcnlionibus , tunc non debet
signißcari eius subslanlia nisi nomine , quod tantum significat ipsam substantiam , et
hoc erit nomen eius tantum nee erit aliquid, quo potius signißcelur esse rei, quam
proprium nomen eius; quod ergo est huiusmodi, non habet difßnilionem , sed
habet nomen, quo oslendentur ei extra et accidenlia et comilantia. Si aulem inlentio
substanliae fueril composita ex inlenlionibus , ex quibus esl eius esse ila , quod hae
denl ei esse, quia de subslantialibus magis propria sunl ei genus el differentia,
differentiam aulem differentiae et genus generis et quod componitur ex illis, habet
mediante alio , quae continenlur in genere vel differenlia, oporlet ideo, ut difßnitio
sit composita ex genere et di/ferentia; cum autem dederinl genus propinquum et diffe
rentiam, quae est post ipsum, conßcietur ex eis difßnitio, sicut hoc quod dicitur de
difßnitione hominis , quod est animal rationale.
111) Ebend. : In descriptione vero non quaeritur nisi ul componatur oralio ex
consequentibus rem, quae sunl ei paria, quae habebil quidquid continelur sub ea el
nihil aliud, ila ut significel eam signißcatione signi; cunvenientius est autem, ul
prius ordinetur in ea genus aut proximum aul longinquum, el deinde apponantur
accidenlia aut propriclates ; quod si ila non fuerit, erit tunc descriptio vitiosa.
332 XVI. Avicenna.
sei 112), d. h. das bezüglich des Inhaltes auftauchende Bedenken wird
sogleich durch jene bei den griechischen Cominciilaloren allein herr
schende Auffassung (Abselin. XI, Anm. 43) beschwichtigt , wornach die
ganze Lehre vom Begriffe um der Tabula logica willen ausschliesslich
den Umfang im Auge hatte, und so trafen für die Lateiner in dieser
Corruption der Logik die Araber nachbarlichst mit der Tradition des
Boethius zusammen. Noch einlässlicher alier beschäftigt sich Avicenna
mit der Frage, ob denn die Definition des genus und jene der species
sich nicht gegenseitig im Kreise drehen, da genus mittelbar durch species
und species mittelbar durch genus delinirt werde, was ein unwissen
schaftliches Verfahren sei; über die Lösung aber, welche von Anderen
auf Grund der Annahme beigebracht wurde, dass genus und species
relative Begriffe seien, welche eben darum wechselseitig durch sich
selbst erkannt werden müssen, gerät!) er völlig in Entrüstung, da ab
gesehen von der Verwirrung bezüglich des Begriffes der Relation der
Kernpunkt der Frage (ob nemlich 'wirklich in jenen beiden Definitionen
Unbekanntes durch Unbekanntes demonsirirt werde) übergangen sei lt3);
denn man müsse doch vor Allem unterscheiden zwischen jenem, ex
quo aliud scilur, und demjenigen, cum quo aliud scilur, indem nur
bei crslerein eine Priorität in der Demonstration bestehe114). Und so
ll 2) f. 6. v. A: Conlingunt autem circa hoc quacstioncs multae , quarum una
est, quod si genus habet aliquid, quod sil ei quasi genus et hoc est praedicalum
de in n U h, tunc genus praedicabitur de genere, quod est stipra se. Ad quod respondemus:
quod praedicalur de mullis , praedicatur de genere ut genus, sed genus de
eo non ut genus, sed ut accidens; non enim dicitur, quod omni praedicato de multis
accidit genus nisi aliquo respectu, sicut animali accidit generalilas aliquo respectu,
scilicet respeclu communilatis .
113) Ebend.: Jlem quaerilur äe hoc, quod accipimus nomen speciei in diffinitione
generis. Cum enim volueris diffinire speciem, videtur necessario apponendum
nomen generis, sicut poslea oslendetur, cum dicitur, quod species est id quod ponitur
sub genere. Sed inlerroganli videtur esse ignolum; ostendere enim ignotum per
ignotum non est oslendere nee declarare ; omnis autem dif/initio ni descriptio eil
declaratio. Ad hoc autem tarn responderunl quidam dicentes, quod quia duorum relativorum
unum non intelligitur esse nisi comparatione alterius, genus autem et species
relaliva sunt, idco debet unusquisque eorum accipi in descriptione alterius necessario;
unumquodque enim eorum non est id quod est nisi ex eomparatioiic alterius. Bote
aulem descriptio äuget dubitationem in aliis , quae sunt praeler genus et speciem, in
quibus est implicalum, quod in genere et specie; augmentum vero implicationis non
est explicatio. Indagator etiam dicet libi: adapta difßnilionem rclutivorum cum difftnitione
generis et speciei et fac scire, quomodo , cum sint simul incognita, scilur
alterum per allerum. Item in solulione solenl considerari propositiones quaeslionis
et destrui allera vel ulraquc ; in hac autem solutione , quam hie inducil , non consideravil
propositiones; non enim dixit , quod genus et species utraque non sunl
incognita apud introducendum , nee dixit, cum scialur alterum ex allero, quum ipsum
sil ignotum, „non est hoc dicere ignolum per ignotum"; hoc enim negare impossibile
erat eum, nee polerit etiam negare, quod docere ignolum per ignotum non esl decla
rare, nee dixit, quod ex ordine harum propositionum non provenit, quod quaeritur
ex eis; quare hie non consideravil proposiliones ijuae&tionts ncc suvm syllogismum
in hoc fecil. Et eliam accidit ei maximus error ex hoc, quod non poluit invcnire
di/fercnliam, quae est inter id quod scitur cum aliquo et id ex quo scitur aliud.
114) f. 6. v. B: Id enim ex quo aliud scilur esl id quod per se scitur et ßt
pari ostendendi aliud, cui quum adiuncla fueril alia pars, pervcnielur ad cognitionem
alterius , quod tarn cognilum fueral nunqtiam anlc illud. Quod aulem scitur cum
XVI. Avicenna.
nach löse sich dieses ganze Bedenken dadurch, dass die übliche Defi
nition des genus vollsiändlg richtig sich verhalle, wenn auch nicht die
species als solche ausdrücklich heigezogen werde, denn die Function
der Form und des artmachenden Unterschiedes, welche im Arlbegriffe
zur Erkenntniss komme, sei kein Correlalives für den Gattungsbegriff,
und die Definition des letzteren könne daher füglich dahin lauten, dass
derselbe von Mehreren), was unter sich substantielle Unterschiede ent
hält, ausgesagt wird, ohne dass hiemit die Erwähnung des Artbegrifl'es
nothwendig wäre115). Eben darum aber musste Avicenna in den Gat
tungsbegriff auch die Formfähigkeit und Bestimmbarkeil verlegen, welche
in ihrer Verwirklichung abwärts bis zu jenen Gestaltungen treibt, welche
nicht mehr Gattungen sein können, und so gilt ihm die Galtung als die
primitive Grundlage für Erfassung des Was oder der quiddilas, denn
der Gattungsbegriff kann nur dadurch „in eo, quod quid esl" ausgesagt
werden, dass das actuelle und inlellecluelle Sein der Gallung die Mög
lichkeil einer Formbildung durch substanlielle Unterschiede involvirt 11(i).
Wenn übrigens diese Auffassung durch das traditionelle Beispiel des
aliquo est id quod, mm perfecta fuerit cognitio rei ex convenlu oslendentium rcm,
simul sicut res etiam scietur Cum autem sciunlur alia ex aliis , sequüur , ul
cognitio unius sit prior cognitione allerius el non cum cogniliune alterius ; et ideo
id quod scitur cum aliquo aliud est ab eo ex quo scitur aliud .... Unde dicimus,
quod relativa non difßniuntur secundum Itanc imperitiam, quam inveneral ille, qui
pulat per eam solvere huiusmodi quaestionem; sed in difßnitione relalivorum est
quidam modus collationis, per quem removebilur haec perplexitas, cuius declarationis
atius est locus.
115) Ebend.: Po>tquam vero iam ostcndimus , illum nihil determinasie, redibimus
ad id, a quo digressi sumus, dicenles , quod difßnilio geiieris perfecta est,
licet non accipiatur in ea species secundum hoc quod species est et refertur ad ipsum,
sed secundum hoc quod est essentia. Cum enim inielligilur ex specie esse et veritas
rci el forma , non eril tunc species ad genus ; cum enim intelligitur .... differentia
inesse et forma, iam perfecta esl difftnitio yeneris. Cum enim dixeris, quod
yenus praedicatum de multis diversis in se ipsis esse et formis et substanlialibus
ad inlerrogationem per quid sunl, iam perfecta est difßnitio generis , et non est necesse,
speciem ex hoc, quod relala est, poni in eins diffinitione, quamvis relalio
aliquo modo haec inlelligalur. Sed non est sie, ut propler hoc sil diffinitio , quae
est eorum, quorum unum di/fmitur ex allero , sed relatio, quae est hie, inlelliyitur
esse haec, quod quum dixeris, quod est praedicutum de mullis diversis in esse, iam
posuisli diversa in esse praedicari de ipso, et hoc est, quod innuit de relalione,
quae libi accidil.
116) Albert. M. Top. l, 2, 4, p. 672. B: Genus enim eil pi-imum suliieclum in
quolibet, ut dicit Avicenna, formabile et determinabile di/fcrenliis , usque quo formetur
in specialissimas , quae differentiis non sunt formabiles , et ideo nullo modo
possunt esse yenus Quia vero genus est piimum subiectum eius} in quo cst,
ideo oporlel, quod in eo quod quid esl praedicetur. Ad hoc aulem, ut dicunt
Avicenna el Algazel, tria exiguntur. Unum quidem , quod genus aclu et inlelleclu
sit , ut quid eins de quo praedicelur ; secundum aulem , quod sie sit per ali
quant polenliam, sed non de necessilale nalurae et substanliae , ila quod sie insit
vel ponatur sie inesse, sive sil sie sive non ; lerlium esl, quod posito genere
stalim potentia formali induta ponilur inferius et in quod formabile esl genus.
Ebend. De praedicab. IV, l, p. 34. B: Aviccnna enim dicil, quod yenus uniuscuiusque
primum essentiale et informe subieclum e&l, quod primum dirilur, quia in eo
est prima polenlia el prima inchoatio ad esse rei secundum subslanliam et quiddilatem.
334 XVI. Avicenna.
Porphyrius klar gemacht wurde, so erholten sich hiegegen bei den
Lateinern theilweise theologische Bedenken117).
Mit den spitzfindigsten Distinctionen schlägt sich Avicenna bei Be
sprechung der spi'des herum, welche in der Reihenfolge der fünf Worte
darum den Vortritt vor dem artmachenden Unterschiede hekömmt, weil
in ihr die Wesenheit der Gattung die Grundlage hilde, auf welcher
erst die Thätigkeit der Form ihre Wirksamkeit beginnen könne 118).
Den hauptsächlichsten Gegenstand der controvertirenden Erklärung bietet
eine Unterscheidung dar, welche wir bereits bei Alfarahi (Anm. 28)
wenigstens in) Keime vorfanden. Neinlich das Wort „species", welches
ursprünglich in gewöhnlichem Sinne zunächst jede Form überhaupt
bezeichnete, sei dann darum, weil das unter eine Galtung Fallende ver
schiedene eigentümliche Wesensformen zeigt, in technisch logischem
Sinne angewendet worden ; hier aber seien sofort zwei Auffassungen
auseinandergetreten, indem man einerseits in allgemeinerem und weiterem
Sinne die Species in Beziehung zur Gattung hringe und sie als dasjenige
defmire, von welchem die Galtung ausgesagt wird, oder andrerseits im
eigentlicheren Sinne die species specialissima ins Auge fasse als das
jenige, was von mehreren nur numerär verschiedenen Dingen wesent
lich ausgesagt wird 119). Welche von beiden Auffassungen, deren keine
weitab hergeholl sei, da beiderseits der Begriff der specialilas sich
leicht einslellen konnte, eine geschichtliche Priorität in Anspruch nehmen
dürfe, lasse sich kaum entscheiden, doch spreche die Wahrscheinlich
keit für die zweite120). Soll aber nun erörtert werden, in welcher
117) Albert. M. De praetticab. IV, 4, p. 42. A: Avicenna el Arabes dicunt, quod
animal rationale est ut genus ad liomincm et ad angclos; quod falsum esl , quia
angelus nullo modo proprie csl animal, sed dicilur animal aliquando propler virerc
secundum intellectum. S. unten Anm. 134.
118) Ebend. IV, l, p. 34. A: Traclaluri de specie tanquam secundo universal)
cogimur di/ferre traclatum de di/ferenlia el terlio Inco tnter uninersalia ponere
Cuius tarnen aliam rationem dicil esse Avicenna hanc , quia di/ferenlia no» esl, m
qua est genus per essentiam, cum differenliu, sit aclus sive forma simplex, in specie
aulem per essentiam est genus.
119) Log. f. 7. r. A: Species aulem apud graecos diceliatur secundum aliam
intentionem praelcr speciem logicam; numen enim. quod transluleruft graeei philosophi
ad intenlionem speciei logicae, prius imposueranl secundum primam mstitutiontm
formae uniuscuiusuue , el quia postea invenerunt, quod ea quae sunt sub eodem
yenere liabenl formas et esse, quae sunt propria unicuique eorum, ideo vocaverunt
ea ex hoc quod sunt üa species , el sicul nomen generis conlinebat intentionem vul
gärem et logicam, ita nomen speciei absolute conlinet intentionem vulgärem et logi
cam. Et sie nomen speciei logicae conlinet secundum logicos duas inlenliones, quarum
una esl communior et alia magis propria. Communior aulem inlenlio haec esl,
quam dicunl re/'erri ad genus et di/'ßniunl dicenles, quod esl posila sub genere auf
de qua praedicatur genus subslanlialiter el alia liuiusmodi. Inlenlio vero magif
propria esl, quam aliquando describunt secundum aliquem respeclum dicentes, quod
est species specialissima el hacc est, quae signißcal esse, quod est commune pluribus
non differentilms substanlialiter Scd inter hos duos aclus esl di/ferentia,
quum tanlum secundum primam inlenlionem re/'eratur ad genus, sed secundum seeundam
inlenlionem non referalur ad ipsum; ad hoc enim, ul pracdicelur de pluribus
differenlibus numero in quid, non esl necesse, ut sil aliud quid communius quam
ipsa, quod praedicatur de ipsa.
120) Ebead.: Deinde cerlissime nescio, uter eorum modorum secundum logictt
XVI. Avicenna. 335
der beiden Bedeutungen species in der Lehre von den fünf Universalien
zu nehmen sei , so könne die Einlheilung der letzteren allerdings so
gestellt werden, d;iss nur die Eine Bedeutung der Species zulässig ist;
denn Iheile man die universelle Bezeichnung des esse nach dem tlcsidilspunkte,
dass das Einzelne entweder der Art nach oder der Zahl nach
verschieden ist, so sei die 'auf die Gattung bezogene Definition der
Species ohnediess ausgeschlossen, und theile man den ersleren Gesichts
punkt abermals nach der Möglichkeit einer Zulassung oder Nicht-zulassung
eines allgemeineren Gattungg-Prädicates, so liege darin die blosse
Potenz einer Beziehung der eigentlich stricteren Species auf die Gat
tung121); Iheile man hingegen die Universalien ohne Berücksichtigung
jener Verhältnisse , in welchen sie durch Vergleichung mit dem Ein
zelnen stehen, so gelange man ausschliesslich auf jene Definition der
Species, welche die relative Bezugnahme auf die Gattung enthält122).
Aber hinwiederum könne ja eine Eintheilung unmöglich alle fraglichen
Gesichtspunkte zugleich berücksichtigen , und so ergebe sich auch hier
erst als eine Folge der Eintheilung die Erwägung,- dass die Universalien
fuerit prior; nun est enim lange, quod id ad quod primum Iranslulrrunt nomen speciei,
sil id quod est supra singularia; et deinde projiter hoc, quod accidil ei habere
supra se aliam communiorem, vocaverunt , quod est sttb communi humsmodi, specialitalem;
nee- etiam esl lange, quod alia intenlio anliquorum sit , scilicet (der Text
gibt sed) quiü hanc intentionem eomitabalur , ut esset species specialissima, et propter
suum relalionem reslrinycnlem specialitaltm lanlum absquc generalitate posuerunt
digniorem tunc nomine specialilalis, et quia est staüm post singularia, vocala est
species. Hoc aulem esl quod eyo nequeo discirnere , quamvis magis foveam, quod
nomen non fuerit prius irnposilum speciei secundum respectum quo rcferlur ad genus.
121) f. 7. r. B: Debcmus aulem scire de specie, quae una esl de quinque in
divisione prima, secundum quem islorum modorum est species. Dicamus ergo passe
esse, ut haec quinquememtiris divisio fiat taliter , ut includal unum lanlum duorum
modorum et non alium. Cum enim dicitur, quod nomen commune subslanliale aut
dicitur significare esse aul non, si est significans esse, aut est signißcans esse com
mune differentibut (ausgefallen ist: specie, aut est signißcans esse commune differenlibus)
mimero non specie, lunc membrum significans esse conlinebal genus et
speciem, quae est statim pasl singularia, et excludil respeclum speciei secundum
inlenlionem , quae est in relatione generis secundum membrum primum. El poslea
praedicalum de multis differenlibus specie in quid dividilur in id, quod esl sie de
quo non praedicalur aliquid huiusmodi , et hoc erit quod vocalur genus lanlum, et
in id, quod praedicatur de mullis, de qua praedicatur aliquid huiusmodi, et secun
dum hunc respectum erit species. Sed haec divisio non allribuil numerum specialilalis
secundum intentionem relatam absolute, sed oslendil nobis poteslalem humsmodi specialitalis
secundum hunc respectum, scilicel quod esl genus et habet specialilulem,
et oslendil nobis naluram speciei secundum respeclum proprium salvam et inlegram.
122) Ebend.: Et possibüe esl aulem dividi lauter, ut del nobis speciem, quae
esl secundum inlenlionem communem, et species secundum inlenlionem propriam sil
in secundo membro Cum aulem diriditur universale secundum quod est univer
sale, communicatior consideralio de illo est, ut dividalur divisinne, quam habet
comparalione inferiorum suorum, quibus est universale, et lunc removebitur species
secundum intentionem communem et non habebilur poslea nisi ex alio respectu, et
tunc species , quae primo percipilur, erit species secundum intenlionem propriam. Si
i'uti'tii non curaverit de hoc nee de disposilionibus universalium et de accidenlibus
eorum, quae sunt inter illa ex hoc quod sunt unioersalia, sicut hoc, quod im UM est
communius vel magis propiium comparatione allerius et non compuratione singularium,
tunc proveniel libi species relativa.
336 XVI. Avicenna.
je nach ihrer relativen Allgemeinheit miteinander verglichen werden
können 123); wenn man daher sich auf diesen letzteren Standpunkt
stelle und sage, dass die quidditaliven Prädicate nach grösserer oder
geringerer Allgemeinheit sicli unterscheiden und hiernach entweder Gattung
oder Species sind, letzlere aber ihrerseits entweder abermals als
Galtung anderer Unterarten oder nicht mehr als Gattung auftreten kann,
so sei eine Einteilung gewonnen, in welcher die relative Definition
der Species enthalten und zugleich die strictere nicht ausgeschlossen
sei 124). Werfe man sich aber auf die gewöhnliche Eintheilung der
Universalien, wornach in dem von ihnen umfassten gleichartigen Vielen
entweder Art-Unterschiede oder nur numeräre Unterschiede bestehen,
und im ersteren Falle entweder das Substantiale sowohl nach Seite
des quid (genus) als auch nach Seite des quäle (differeniia), oder aber
das Accidentale (accidens) vertreten sein kann, und ebenso im letzteren
Falle entweder das quid (species) oder das quäle (proprium) bezeichnet
sein kann 125), so gewinne man allerdings die slrictere Definition der
Species im Sinne der species specialissima , gerathe aber in Schwierig
keiten betreffs der Differenz und der zu enge gefassten proprielas m).
123) Ebene!.: Non debet autem quis credere, ut haec quinquemembris divisio
sit includens mme id, in quo dividitm universale; aliquando enim aliquid dividitur
in aliqua, et exeluduntur ab eo alia, quac non includunlur nisi in alia divisione;
animal mim cum dividitur in loquens et in non loquens, excluditur volatile et
gressibile JVo» debes aulem persislere in dicendo, quod haec divisio quinquemem
bris debeat includere omnem inlentionem cuiuscunque universalis et respectum eins,
sed debes scire, quod nun ducil nos ad hoc implicilum nisi quia duo mcmbra discreta
conveniunl in uno nonrine , quod esl species. Convenicntius esl aulem dicere,
quod cum haec quinque habila fnerint, provenit ex comparatione, quae est inier illa,
aliquid aliud, sciiicet dispositio eiws, quod est magis propriufii inier ea, quae praedicantur
in quid comparatione magis cummunis, ila quod sil specialilas magis
propria.
124) Ebend.: Si autem voluerit facere divisionem, ex' qua detur nobis species
secundum inlenlionem relalam, quae est communior, lunc convenit dici, quod nomen
substantiale aut praedicalur in quid aut non; id aulem quod praedicalur in quid,
inlelligilur commune id, quod convenil responderi ad inlcrrogalionem faclam de mullis
, quid sinl. Deindc dicemus , quod ea quae praedicantur in quid differanl in
communitale et proprielatc; quaedam enim eorum sunl cornmunia et quaedam commoniora;
ex praedicabilibus aulem in quid id , quod esl communius, est gcnus minus
communis, et minus commune est species communioris. Inventa aulem ipecie dividemus
aliler dicenles necesse esse , ut aut species ftal genus alii speciei avl non.
Et haec divisio oslendil nobis quinque manifeste, et nalura speciei secundum inlenlionem
communem continelur in ea; species vero secundum inlenlionem secundam
includetur in ea aliquo modo; scd in divisione prima non fuil ila.
125) f. 7. v. A : Vulgata autem divisio horum quinque affinior est primae divisioni;
dividilur enim sie: omne nomen incomplexum aut significal unum aut mulla;
signißcans autem unum esl nomen singulare ; signiftcans aulem mulla aut significat
'mulla differenlia specie aut numero; signißcans vero mulla differenlin specit aut esl
subslanliale aul esl accidenlale; si aulem esl substanliale , aut praedicalur in quid
aut in quäle quid; siynificans aulem multa difjerentia specie in quid ponilur genus;
significans quäle quid esl diffenntia ; accidenlale vero esl accidens commune; deinde
dicitur , quod id , quod significal multa differenlia numero, aul praedicatttr in qttid
et est species, aut praedicalur in quäle quid el sie esl proprielas.
126) Ebend.: Haec aulem eorum divisio non includil speciem secundum inlen
tionem relativam nee differenliam secundum quod est differentia Si aulem consi
XVI. Avicenna. 337
Jedenfalls aber liege für die Species das Entscheidende darin, dass die
von ihr umfasste Vielheit nur numeräre Unterschiede innerhalb ihrer
selbst zulasse, denn hindurch unterscheide sich die Species von Galtung
und von Accidens , und man müsse darum die numerären Unterschiede
in strengem Sinne auch nur von dem Numerären verstehen 12"J; andrer
seits aber unterscheide sich die Species von der Differenz und von
dem eigentümlichen Merkmale durch den quidditaliven Charakter, und
somit besiehe die strictere Definition zu Recht 12S). Hingegen habe jene
andere weitere Definition ihre Bedenken, sowohl wenn das Verhällniss
der Subordination unier die Gallung zur Hauptsache gemacht wird, da
dann eine Vieldeutigkeit der Subordination möglich bleibt129), als auch
wenn man das Verhällniss der Aussage hervorhobt, da dann die übliche
derarent, quod tu postea scies, non possenl reprehendi; sed scies, eos nee considerasse
nee percepisse, et ideo non possumus eos excusare ; forlassis autem doclorum
primus (doch wohl Alfarabi ?) consideravit • el in hac divisione non distinxerunt
inier proprietatem el differenliam , quam nun habet nisi species, et cxcluserunl proprietatem
, quae es/ proprietas speciei mediae (s. unten Aum. 151.) el compar eius ;
non enim assignaverunt proprietatem secundum quod esl proprietas speciei, sed secundum
quod est proprielas ipeciei speciaiissimae, sicul non assignaverunt speciem nisi
specialissimam.
127) Ebend.: Certiftcemus nunc vulgatas descriptiones speciei dicentes , quod
speciei, secundum quod species non referlur ad genus, perspicilur dif/inilio lalis,
quod ipso, esl quae praedicaltir de pluribus numero differenlibus in quid; in qua
non convenit cum ea nee genus nee accidens commune ; nnumquodque enim eorum
praedicalur de mttltis differentibus specie, non aulem de multis differentibus numero.
Hoc aulem quod dicitur de multis differentibus numeto debel inleltigi de numero lanlum.
Nisi enim sie intelligatur , ex hoc, quod praedicatur de mullis differentibus
numero, non prohiberetur praedicari de multis differentibus specie; praedicatur enim
de mullis differentibus specie aliquando , quod pracdicalur de mullis di/fercnlibiis
numero; quare proprielas huius nominis non esl speciei, sed lantum eius quod prae
dicatur , nisi sie excludalur id , quod praedicalur de multis differentibus specie , ab
eo , quod inlelligitur de hoc. El hoc est, per quod differunl a specie genus el acci
dens, aul per quod discernilur, ab ea differre, quae praedicantur de mullis differen
tibus specie.
128) f. 7. v. B: Sed non discernitur per hoc species a differentia, quae est
propria speciei, sicut esl rationale Aliqui autem »erbost possunt excludere
ab hac diffinitione secundum hunc modum discernendi speciem a differenlia. Modus
vero hie esl, ut dicalur: ex nalura speciei secundum Itanc inlenlionem debel non
praedicari nisi de multis differentibus numero ; sed nalurae differenliac non debelur
koe. Et hie modus est exceptus. Sed per hoc, quod praedicalur in quid, species
a di/ferenlia absohilur et etiam differt a proprietale , proprielas enim non praedica
lur in quid. Ergo haec descriptio esl rede assignala, quae non comilalur nisi in
lenlionem, quae dicilur species specialissima.
129) Ebend. : 'Species vero, secundum quod refertur ad genus, habet duas de
scriptiones, quarum una esl haec, qua dicitur, quod est posila sub genere, altera
vero, quod est id de quo praedicalur yenus in quid. Debemus aulem hoc considerare
dicenles, quod si ,,posita sub genere" inlelligitur, quod sil magis propria quam
ipsum in praedicatione , st vero inlclligalur de eo, quod universale est tanlum
et non singvlare, si vero intelligalur , quod esl propinquius sibi coniunclum in
illo sine medio st vero intelligalur, quod est sibi coniunclum non in ordine
communitalis lantum, sed in ordine inlenlionis, .... si vero inlelligatur , quod esl in
ii'iii.s natura est commune Hoc autem nomen „posilum sub genere" non significat
hanc inlenlionem exposilam tot modis nee secundum impasitionem nee secundum
tisum ; non enim memini , me aliquo loco librorum auclorum huius arlis invenisse,
hoc nomen sie debere intcUigi.
PHANIL, Gesch. 11. 22
338 XVI. Avicenna.
Formulirung der Definition mangelhaft ist130), — einer drillen un
wissenschaftlichen Deiinilion der Speeies gar nicht 7.u gedenken131).
Auf solcher Grundlage nun lenkt Avicenna zur Tabula logica des Porphyrius
ein (s. Abschn. XI, Anm. 41), in welcher zwischen genus generalissimum
und species specialissima die Stufenfolge der Mittelglieder
sich bewegt 132), und er glaubl hicdurch die Verschiedenheit der Auf
fassungen des Arlhegriffes in das richtige Licht gestellt zu haben 133).
Die nähere Verdeutlichung der Tabelle des Porphynus führt ihn auch
hier wieder auf jenen obigen (Anm. 117) für die Lateiner bedenklichen
Punkt 134).
Indem sodann die Erörterung über differenlia folgen muss, eröffnel
Avicenna auch diese mit der Frage über den Surachgebrauch, welcher
nicht (wie bei </>-iini und species) ursprünglich populär entstanden,
sondern von vorneherein ein Erzeugniss der Logik sei, indem man zu
nächst jeden substantiellen Unterschied mit jenem Worte bezeichnete
130) Klirml.: Descriplio vero secunda, haec est, quod species est, de qua praedicatur
genus eius in quid, aul sie dicitur, quod est id, de quo praedicalur genus
eins in quid. Contra luu<- , si intelligitur praedicari in quid, quod iam ostendimvs,
oportet aliquid .addi, quod est, de quo et aliud praedicalur genus eius in quid, el
eril hoc proprium speciei Si aulem ex hoc, quod intelligitur, inier eam el differentiam
et proprielatem et accidens di/ferenlia inlelligilur, inter eam et singul&re
non esl di/ferenlia, nisi continealur in ea, quod sil universale huiusmodi.
131) f. 8. r. A: Qui aulem diffinil dicens, quod species est id, quod est mayis
proprium de duobus universalibus pracdicabilibus in quid, nescil diffinire speciem.
132) Ebend. : Dicemus autem nunc, quod genus aliud est genus, quod impossiliile
est ßeri speciem, quum supra illud non est aliud communius genus, et aliud
esl, quod secundum all um respectum polest fieri species, quia habet supra se genus
communius quam sit ipsum. Et similiter species , quia alia esl species , quam impossiliile
est fieri genus, nam non esl species minus communis quam ipsa, et alia
est, quae alio respeclu polest fieri genus, nam sub ipsa est alia species minus com
munis quam ipsa. Ordinabitur ergo genus multis modis, quia aliud esl supremum
genus, quod nun esl species ullo modo ; et genus medium, quod est species el genus.
sub quo est species el supra quod esl aliud genus; et genus infimum, quod esl
species et genus, sub quo non est genus. Similiter et species, quia alia est infima,
sub qua non esl species ullo modo, nee esl genus aliquo modo; et esl species suprema
sub gtneralissimo ycnere , el supra eam non est species aliquo modo; el esl
species media, quae esl species el yenus , sed non unius esl genus et species.
Vulgalum autem exemplum huius est categoria sulislantiae (d. h. die arbor Porphyriana).
133) Ebend.: Respeclu inferiorum esl duobus modis, scilicel in respeclu eorum,
quod sunt sub ipsa, secundum hoc quod non sunt species, el eliam secundum quod
de illis praedicalur. Kespectus vero, qucm habet ad id, quod est sub ipsa secvndu*
praedicationem , atlribuil ei inlentionem specialitalis non rclative,ad genus, et hatc
esl inlenlio secunda eius, quod diclum est. Alius vero respeclus atlribuil ei, quoi
est species el non genus el quod esl species specialissima, el esl species eo modo,
quo diximus. Intelleclus aulem eorum Irium , quamvis sinl comilunles se , su*l
tarnen diversi; si autem species dicitur unaquacque islarum inlenlionum , dicelur
de his Iribus sola participalione nominis, sed diffinilionis ipsarum inlelleclu eriml
dinersae.
134) T, 8. r. 6: ///'/ aulem di/ferenlia, quam allribuerunl substantiae, perreniens
usque ad hominem, non esl recla,' quamvis non impedial inlelligi id, quod
intendilur. Corpus enim habens animam, cum complectilur vegetabilia cum sensibi-
Hbus, non complectitur angelos nisi sola parlkipatione nominis; ergo corpus haben*
animam non erit conlinen.i angelos u. s. w.
XVI. Avicenna.
und hernach eine dreifache Abstufung bemerkte135), insoferne die
Differenz bald im weiteren Sinne136), bald in engerem137) und bald
in engstem Sinne, d. h. als artmachender Unterschied, betrachtet werden
könne, in welch letzterer Bedeutung die primäre wesentliche Function
der Differenz liege, da das Auftreten der (ihrigen Differenzen von dem
Dasein dieser ersten schlechthin bedingt sei 138). Hieraus fliesse die
Distinction in trennbare und untrennbare Differenzen , welch letztere
entweder die Substanz oder die Merkmale betreffen können, sowie die
Unterscheidung (s. Abschn. XI, Anm. 44) in die bloss alterirende und
in die artuiacbende essentielle Differenz 139). Insoferne aber die Diffe
renz als eines der fünf Universalien in Betracht komme, müsse daran
festgehalten werden , dass sie von der Species nach Seite einer quali
tativen Bestimmung (in quäle quid) der ihr entsprechenden Gattung
ausgesagt wird, wobei zwar jenes qualitative Moment verschiedentlich
gefasst werden könne 14Ü), aber nie die substantielle Function desselben
135) Ebend.: Differentiae nomcn secundum logicos intenlionem primam signiftcal
et secundam; hae aulem inlentiones nun sunt sicut inlentiones generis et speciei;
prima enim posilio generis non fuil nisi a vulyo, translalio vero fuü a maioribus;
sed di/ferenltae nomen primum logici imposuerunl et deinde Iranslulerunl.
Cuius prima positio esl haec, cum dicilur, quod differenlia csl, qua differl aliquid
ab aliquo subilantialiler • postquam iyüur sie fuclum esl , dabei differenlia praedicari
de tribus secundum prius ei posterius , ita scilicet ul differenlia alia esset communis
et alia propria et alia magis propria. Dieses wiederholt Albert. M. De praedicab.
V, l, p. 50. A.
136) Ebend.: Communis aulem differentia est id, per quod polest aliquid differre
ab aliquo , quod Herum polest differre per illud ab ipso , et per quam aliquid
polest differre a se ipso in duobus tcmporibus , cuius exemplum sunl accidenlia
separabilia.
137) Ebend.: Propria vero differentia esl id, quod accidenlibns est praedicabile
comilans ; cum enim dicüur aliquid differre accidenle inseparabili ab eo, quod per
ipsum differt, stmper erit differenlia propria, ul differenlia hominis ab equo hoc,
quod est camis nilidae.
138) f. 8. v. A: Differentia vero quae vocalur magis propria, est conslituliva
speciei, quae cum adiungitur nalurae generis, efficil illud speciem et deinde comilatur
et accidit, quidquid comilalur et accidil; et haec est subslanliulis nalurae
generis, quod constituüur in esse speciei, et haec dal esse et dislinguit et designal ;
sicut est rationulitas homini, quae differt a ceteiis, quae conveniunl cum ea; propria
enim primum concurril naturae generis el accurril et perßcil, celcrae vero non adveniunl
nalurae communi, nisi poslquam advenil haec el adaplal el praeparal ad
omnia, quae accidunl el comitanlur; haec enim non adveniunl nee accidunt nisi posl
hanc proprielalem , quae esl sicul ralionalilas homini Debes aulem scire cerlissime,
quia differentia inter differentiam magis propriam et illas differentias haec esl.
139) Ebend.: Unde polest die», quod differenliarum aliae sunl separabiles aliae
inseparabiles ; inseparalnlium vero alia esl subslanlialis et alia est accidentalis. Item
pulest dici, quod differentiarum alia facil aliud alia alleralum; aliud vero est id,
cuius natura esl alia, ullcralum vero communius esl quam illud Differentia
ergo, quae est magis propria, est causa esscnlialis differenliae facienlis aliud secun
dum placitum auctorum huius arlis imponentium hoc nomen.
140) Ebend.: fioslra aulem intentio hie esl, cvnsiderare hanc differentiam
lanlum, quae est una ex quinque, el non alias ; cuis certa descriplio esl haec, quod
csl universale simplex pracdicalum de specie in quäle quid el secundum essentiam
generis sui. El hoc eliam, quod praedicalur de specie. in quäle quid, habet eliam
mullas descriptiones divulyalas, sicul koc quod dicilur, quod differenlia est, qua
differt a genere species, et eliam, qua abundal species a yenere , et eliam, qua
22*
340 XVI. Avicenna.
zu vergessen sei141), sowie andrerseits die Species in ihrer Gellung
als Universale , d. h. in ihrer Anssagbarkeit von Mehreren) , bewahrt
werden müsse 142), wenn auch die nähere Bestimmung dieses Verhält
nisses Iheilweise über die Aufgabe der Isagoge hinausgehe 143). Hieran
knüpft sich dann an der Hand des Porphyrius (Abschn. XI. a. a. 0.) die
Unterscheidung einer die Gattung theilenden und einer die Arten constituirenden
Wirkung der Differenz 144), wobei sich die Erwägung ein
stellt, dass manchen Differenzen nur die erstere dieser beiden ohne die
zweite zugeschrieben werden müsse, da das Entblösstsein (s. oben Anm.
34) nicht als constituirende Differenz zu betrachten sei 145); irrig hindifferunt
quae convtniunt in genere, el, quae praedicalur de pluribus di/ferentibus
specie in quäle quid. Ebenso ans Avicenna Albert. M. De praedieab. V, l, p. 52. A.
141) Ebend. : liebemus autem diligcnler considerare käs descriptiones et certificare
eas. Dicemus ergo, quod cum addiderint unicuique harum descriptionum aliquid,
erit par; hoc aulem est , ul dicalur subslanlialis , et hoc subslanltale est id,
per quod differl substanlialiler species a genere; proprietas enim, quamvis per eam
species differat, non esl talium substantialium,
142) f. 8. v. B : Descriptiones vero tres priores , quamvis sint parcs cum differenlia,
non lamen includunt id quod est in differenlia ut genus eius, quo scilieet
completur difßnilio , quamvis sine eo fossil haberi significalio substanlialis aequalis,
sicut si aliquis diceret, quod homo est rationale mortale Quod autem est quasi
genus differenliae, hoc est universale ; debel ergo addi illi. In descriplione vero iam
nominatur universale, cum dicilur praedicari de mullis, praedicari enim de multis
est descnplio universalis , ergo iam atlribuitur ei descriplio aliqua, quae est quasi
yenus, quamvis non designctur ex nomine.
143) Ebend.: Hoc autem, quod dicilur de pluribus differenlibus specie, habet
tres intellectus: nimm, qaem non percipit, qui vult legere hunc librum , quem poslfa
ostendemus in suo loco (s. Anm. 228.); celeri vero duo prope manifesti sunl,
quorum unus est, ut natura differenliae conlineal praedicalionc plures species sine
dubio praeler illam unam speciem, a qua di/fertur; alius vero est, quod nalura
differenliae debel praedicari, quäle quid esl unumquodque mullorum differenliwn
specie inier se.
144) Ebend.: Deinde differenliae duas habenl comparationes , unam ad id.
quod dividtml, sc. genus, el aliam ad id, in quod dividunl; rationale etenim
est divisivum generis el constitulivum speciei; si autem genus fuerit gencralissimum,
non habebil di/ferentias nisi dirisivas, si vero fuerit sub generalissimo , habebit differenlias
divisivas et conslilutivas ; el differenliae divisivae constitutivae sunt, quae
dividunl genus eius el conslituunl speciem ex eo Divisivae vero sunt, quae
dividunt islud et consliluunt speciem sub eo ; conslilulivae vero generis non sant
minus communes quam ipsum, sed eius divisivae sunt minus communes quam ipsum
Nulla aulem conslituliva esl nisi divisiva; divisivarum autem, secundum quod
videtur, aliqua est non conslituliva ; hoc aulem non esl nisi in differentiis negalivis
sive privalorüs, quae vere non sunt differenliae. In einer etwas abweichenden Form
berichtet hierüber Albert. M. De praedieab. V, 6, p. 65 A: Dicendum cum Avicenna,
quod differenlia in se Iria habet, scilieet quod est simplex divisiva et per hoc est
di/ferenlia; et quod est simpliciler conslituliva el hoc habet eo quod esl divisma;
habet et lerlio , quod esl ad cerlam specitm determinaliva, el hoc non habet ex eo
quod est divisiva nee ex eo quod est constüutiva, sed hoc habet ex hoc, quod esl
certa rei specialis nalura et forma propria et essentialis.
145) f. 9. r. A: Privativae enim comilantes sunt rerum comparalione intenlionum
, quibus carenl; irrationale enim non intelligilur nisi respectu rationalit
Aliquando aulem cogimur, nomen priralorium ponere pro intentione, quam habet res
in sua essentia-, cum non fuerit eius nomen; propter hoc autem non oportet, quod
negatio haec sit proprium eius nomen, s»d est nomen coniilans illam, quod transfertur
ab eo, cui inditum est, ad hoc Privaliones vero, ex hoc quod sunt
XVI. Avicenna. 341
gegen sei es, zu glauben, dass, wenn zwei Differenzen nacheinander
zur Constituirung eines Wesens wirken müssen, die erstcre derselben
bloss eine theilende und hernach die zweite eine constituirende sei 14B),
sondern im Gegentheile besiehe überall eine Gleichzeitigkeit jener beiden
Functionen 147). Indem aber die Differenz in dieser ihrer artmachenden
Wirksamkeit Wesen erzeuge, welche als solche eine Gradabstufung nicht
zulassen 148), könne ein solches Mehr oder Minder allerdings bei allen
übrigen Differenzen staltfinden, denn sowie bei blossen Qualitäten sich
eine Gradabstufung durch Beimischung der Gegensätze ergebe, so sei
auch bei dem artmachenden Unterschiede die äussere Erscheinung in
hindernde Einflüsse verwickelt, wodurch sich eine Manigfaltigkeit der
Intension der wirkenden Formen ergehe, während die artmachende Form
an sich hievon unberührt und einheitlich bleibe 14U). Endlich was die
privationes, non sunt inlenliones constitutivae rerwn, sed sunt accidentes et comilantes
respective , postquam tat» sunt essentiae eorum; lunc irrationale non est vera
differentia, in qua comeniunt bruta, et quae sit constitutiva eorum, Si autem aliquis
voluerit iiiiiilinii , qui halietur verissime, non eranl islae differenliae; quomodo
enim essent differentiac , turn non consliluanl aliquant specierum? Vgl. Anm.1 198.
146) Ebend. : De hoc autem, quod quidam putant, quod differentiarum quaedam
sunt conferenles esse, quae dividunlur, et deinde exsptctanl, donec alia vcniat dif
ferentia et conslituat simul, sieut rationale, quod forlasse putatur animal dividere,
sed exspeclat ad constiluendam speciem, donec ei adiungatitr mortale, haec opinio
falsa est; differentia enim, quae non dividit et provenit ex ea constitutio speciei,
non est necesse omnino , ul sit eonstiluens speciem specialissimam; interesl enim,
an dicamus , quod speciem conslituttnl, aut dicamus , quod constituunt speciem spe
cialissimam. Hierauf bezieht sich Albert. M. De praedicab. VIII, 8, p. 87 B: Um!
Avicenna, quod differentiae non eiusdem ordinis conveniunt ad speciei constittitioncm,
quarum una esl prior et altera posterior, sicut rationale, quod est communius quam
homo, et mortale, quod posterius in eadem rationali natura acceplnm est delcrminans
ad speciem liominis.
147) Log. f. 9. r. A: Animal rationale esl, cuitts iunctura habet inlentionem intellectivam,
quae est minus quam animal; cl non est differentia, sed diffcrenlia est
pars eins, sc. rationale, nee est proprium ; ergo sine dubio est specics eins; simililer
oslenditur, quod sit genus hominis , sicul manifestavit auctor Isagogarum alias
(Porph Isag. 12, s. Abschn. XI, Anm. 54.); rationale igitur iam constituit speciem,
ad quam erat genus; turn ergo dividit, constituit sine dubio.
148) Ebend.: Dicemus autem nunc, quod essentia uniuscuiusque rei una esl;
oportet ergo, ul essenlia rei nee augeatur nee minuatur.
149) f. 9. r. B: Alias vero differenlias , quae advcniunl post essentiam, nihil
prohibel recipere magis et minus, sive sint separalnles .... sive sint inseparabales ....
Et quamvis hominum alius sit subtilior -alius vero Itebetior, non (amen mrtus rationalis
recipil magis et minus, licet etiam aliquis esset, qui omnino nihil intelligent
sicul infans; hoc enim accidens non esset eius differentia; eius enim differentia est,
quod in sua subslantia est virtus, quae, quum nihil prohibuerit, operabitur ratio
nales operaliones, et haec virtus est una. Hiezu Albert. M. De praedicab. V, 2, p.
54 A: Respondet Avicenna ad primum quidem dicens, quod duplex est inlensio et
duplex est intensionis causa. Una quidem per contrarii maiorem vel minorem admixtionem,
sicut est in qualitatibus quae dicuntur sctisibilcs, verum enim
album est, cuius albedo nihil contrarii habet admixlum Secundus modus- est in
his , quae permixtibilia non sunl, sed causantur a subiectis, in quibus sunt; haec
igitur, quia sunt esse subiecti consequenlia , necesse esl accidenlia esse, et
ideo illis habitudinibus magis et minus exislentibus necesse est etiam tales formas
inlendi vel remitti, propter quod habilior ad mirandum risibilior est .... Ad hoc
autem, quod de differenliii essentialibus et substantialibus obiicitur, sohit Avicenna
342 XVI. Avicenna.
Wortform beireffe, in welcher die Differenz ausgedrückt wird, müsse
der gleiche Standpunkt wie bei allen Universalien eingehalten werden,
d. h. die Differenz müsse von dem unier sie Fallenden als Prädicat,
welches Namen und Begriffsbestimmung enthält, ausgesagt werden können,
und so sei z. B. nicht „Vernünftigkeil", sondern „Vernünftig" als consliluirende
Differenz der Species „Mensch" zu bezeichnen 15°).
Das proprium oder die proprielas wird gleichfalls zunächst nach
seiner Wortbedeutung untersucht, wobei Avicenna sowohl den unbe
stimmt allgemeinen Sinn als auch eine allzu enge Abgränzung dieses
Worles abweist; nemlich für die Lehre von den fünf Universalien komme
nur jenes eigeutlnmiliche Merkmal in Betracht, welches von den Indi
viduen Einer Species nach Seite der Qualität ausgesagt werde, und
wolle man diess auf diejenigen eigentümlichen Merkmale beschränken,
welche allen Individuen slels gleichmässig zukommen, so müsste dieses
proprium im engsten Sinne als sechstes Universale betrachtet werden 151).
Tritt aber hiemil das eigentümliche Merkmal näher an die Differenz
heran162), so bleibt es auch in einer gewissen Verbindung mit den
übrigen Merkmalen, welche als begleitende Folgen durch die Substansie,
quod forma subslanlialis , a qua sumitur di/ferenlia, tripliciter consideralur,
scilicet ul forma esse conferens, et nt differentia, quia una species comparatur ad
aliud alterius speciei, et ul actionis naturalis sive subslanlialis^ principium, u. s. w.
..... (f. 55 A) Declaratum est igitur , quod dicendum est , difterentiarum alias
quidem esse separabiles , alias autem inseparabiles.
•150) Log. !. 9. r. B: Debes autem scire, quod differenlia, quae est una de
quinque, est sicut rationale, quod praedicatur de specie absolute; rationalttas aulem
praedicatur de specie denominalive. Haec quinque sunl unum quoddam, scilicet hoc
nomen ,, universale", cuius forma nominis in illis ornnibus est, ut praedicetur de
omnilius suis singularibus , quae conveniunl in eo , sie ut altribual ei nomen suvm
et diffiniHonem suam; rationalitas autem non dal alicui nomen suum vel difftnitiotiem
suam; hoc aulem si rocatur di/ferentia , sit differenlia, sed allerius inlentionis ab
ea intentionc , de qua loquimur. Simililer intellige proprielatem et accidens ; haet
enim quinque debenl pracdicari ad modum praedicalionis generis et speciei secundum
hoc quod est praedicatio. Polemisch erwähnt bei Albert. M. De praedicab. V, 6,
p. 64 B : Dicunt alii, quod cum dicitur, universale est, quod praedicalur de pluribus
sibi subiec.tis , hoc dictum est, non quod actu praedicetur de multis, sed quod aptiludinem
habet, quod sil in mullis Unde cum species subiectum sit , de quo
praedicari habet hoc universale differentia, dicunt, quod aplitudine praedicalur Ae
pluribus, quamvis aliqua differentia actu non sit nisi in una sola specie. Et hanc
opinionem recital Avicenna, et esl omnino falsa. Vgl. obige Anm. 89.
151) Log. f. 9. r. B: Proprietas autem dicitur secundum logicos duobus modis;
uno modo , quia dicitur de omni intentione , quae est propria alicui sive absolute
sive comparatione alicuius; alio modo, quia dicitur de aliquo, quod est proprium
alicuius speciei per se et non -allen; aliquando etiam proprium dicitur, quod est
speciei omnis et semper. Proprium aulem, quod est hie unum de quinque secundum
logicos , ut puta id quod est medium ipsorum , est quod praedicatur de individttis
unius speciei in quäle quid non substantialilcr, sive sit commitnc semper sive non;
quod enim est commune semper, sive sit species specialissima sive media, magis
proprium esl quam hoc; si autem hoc esset proprietas, quae esset una de quinque,
tunc maior esset divisio quam in quinque (s. Abschn. XI, Anm 134).
152) f. 9. v. A: Usus autem fuit, proprium accipi id, quod est proprium spe
ciei et dans differentiam. Albert. M. de praedicab. VI, l, p. 71 B: Cuius exemplum
dal Avicenna satis conveniens; ex hoc enim, quod homo esl animal rationale vel
intellecluale per principia homini essentialia, seqnitur, quod sit admiralivus,
est igitur aplus natus ad ridendum , etiamsi aclu non rideal.
XVI. Avicenna. 343
tialität bedingt sind (s. Anm. 97 f.), und es darf sonach in dieser Be
ziehung kein schroffer Gegensatz zwischen proprium und avcidens com
mune aul'gestelll werden153), sowie die bei Porphyrius (Abschn. XI,
Anm. 46) gegebene Vierlheilung des proprium, nicht mehr in Anschlag
kömmt 154). Bezüglich des Sprachausdruckes kehrt hier die neinliche
Bemerkung wie bei der Species (Anm. 150) wieder, dass nemlich z.
B. nicht „risibilüas", sondern „risibüe" das eigentliche Universale
sei 155).
In gleicher Weise beruht auf Obigem (Anm. 97 f.) auch dasjenige,
was über das acridens bemerkt wird t56), und sowie schon gelegentlich
des proprium die Auctoritäl des Porphyrius etwas zurückgetreten war,
so steigert sich diess hier zur directen Polemik. Nemlich wenn accidens
commune dasjenige ist, was von mehreren in ihfer Art verschie
denen Dingen qualitativ ausgesagt wird, so sei hiehei nicht sofort eine
Gegensätzlichkeit gegen die Substanz gedacht, denn wenn das accidens
commune zu den fünf Universalien gehören solle, so handle es sich
darum, dass es in gleicher Weise wie die übrigen Universalien aus
sagbar sei , d. h. z. B. in dein Urtheile „Sokrates ist weiss" werde
von Sokrates ausgesagt, dass er ein die Weisse an sich tragendes Ding
sei, eben diese Aussage aber enthalte nicht einen Gegensatz gegen die
Substanz 1B1). Denn „accidens''' sei hier gleichbedeutend mit „accidentale",
welch letzteres dem „subslanliale" gegenüberstehe , und sowie
1 53) Log. f. 9. v. A : Quidam aulem voluerunl omnia alia praeter proprium
ponere inier accidcntia comtnunia, ita ul non sit nisi vnius speeiei tantum, sed .non
omni auf alicui eins parti, et sit possibile illam parlem illud non habere Scd
haec diclio est viliosa non significans rcm vel communilatcm eins et proprietatem eins
et umtatem eins, sed secundum aliud; nomen enim accidentis communis ponunt opponi
proprio.
154) Ebend. : Accei>tio communior facit proprietales 'dividi in quatuor, seiltest
in proprietatem, quae convenit alicui speeiei, sed non soli, et in eam, quae
contingit omni speeiei, et in eam, quae convenil soli speeiei, sed vel cuique vel non
omni, .... et in eam, quae convenit omni et semper Proprietas aulem, quae
dignior esl esse una de quinque , esl illa quam diximus.
155) Ebend.: Debes aulem scire, quod proprietas quae esl una de quinquc,
est risibile, non risibilitas , et navigabile, non navigabililas, et alia huiusmodi, sicul
diximus in differentia; aliquando tarnen concedimus in verbis et accipimus risibilitatem
toco risibilis. Diess ist wiederholt bei Albert. M. De praedicab. VI, 2, p.
73 B.
156) Albert. M. De praedicam. IV, l, p. 141 B: Tarn Porphyrius quam etiam
Aristoteles et Avicenna dicunt, quod accidens duobus modis praedicatur; ....quoddam
enim est forma absoluta et non per aliquid est accidens , .... et sie quantitas est
accidens et qualüas et huiusmodi; quoddam autem est accidens, non quia sequatur
esse rei perfeclum , sed ex aliquo , quod est extrinsecus se habens ad rei substantialia.
157) log. f. 9. v. A: Accidens vero commune esl id , quod esl praedicabile
de pluribus differenlibus specie non stibslantialiter , ut aümm, non ut albedo. JVon
est aulem hoc accidens illud, quod est oppositum subslanliae, sicut mufft putant;
ipsum enim non praedicatur de suo subiecto sie, ut sit ipsum, sed denominalur ab
(o nomen; haec autem quinque praedicantur uno modo, sicul iam saepe diximus;
accidens autem commune, quod est hie, est sicut album et sicut unum et alia huius
modi; dicitur enim ,,Socrales esl albus", i e. Socrales eil aliquid et albedo; res
aulem habens albedinem esl id, quod praedicalur de Socrate praedicalione vera, sed
res habens albedinem non esl accidens eo modo, quo esl opposilum subslanliae.
344 XVI. Avicenna.
umgekehrt ein essenliale zuweilen Accidens sein könne (z. B. das essenliale
des Farbe-Seins überhaupt), ebenso könne «in accidenlale zuweilen
Substanz (d. h. allerdings nicht substantielle) sein ; bezüglich dieser
ganzen Unterscheidung aber habe Porphyrius unbedachtsam geredel158).
Und in der That müssen wir dem Avicenna zugestehen, dass er in
diesen Fragen die Hohlheit der Angaben des Porphyrius (Abschn. XI,
Anm. 44 ff.) sowohl betreffs der Trennung in accidens separabile und
accidens inseparatile 159), als auch in der ganzen Einzel-Entwicklung
durchschaute 16°).
Hiemit schliessl der erste Theil161). und es beginnt nun entspre
chend dem Porphyrius (a. a. 0. Anm. 49 ff.) die übliche Erörterung über
die Berührungspunkte und Unterschiede der fünf Universalien unter
sich162), wobei wir beachten müssen, dass die Lateiner ein beson
deres Gewicht auf Avicenna's Berichtigungen und Zusätze legten 163);
ja hierin allein liegt auch in der That für uns die Nöthigung, jene Controversen,
welche für das Abendland einflussreich waren, in möglichster
Kürze anzuführen. Avicenna tadelt zunächst bezüglich des zwischen
158) f. 9. v. B: Accidens autem intelligitur hie pro accidentali, quamvis non
tit accidens secundum veram inlentionem; accidenlale autem aliud est proprium dliud
commune; accidentale aulem est oppositum substantiali et essentiali, accidens vero
opposilum est substantiae. Essenliale vero aliquando est accidens, ut genus acci~
dentis, sicut color albedini, aliquando est substantia; accidentale similiter aliquando
est accidens, aliquando est substantia. Hie aulem accidens non intelligitur nisi acci
dentale , quamvis nondum oslendimus dispositionem accidentis , quod esl oppositum
substantiae. Et hoc est, quod primum non consideravit, qui proposuit assignationem
quinque horum ante logicam. Albert. M. De praedicab. VII, l, p. 76 B: Avicenna
Porphyrium redarguit, quod omissa determinatione accidenlis, cuius intentio nota non
erat, statim processit ad descriptiones ipsius.' Hiezu obige Anm. 29.
159) Albert. M. De praedicab. VII, 2, p. 76 B: Dicü etiam Avicenna, vitium
esse in hoc, quod .... ditidunt accidens in accidens separabile et inseparabile, dicenles,
quod dormire vel sedere est separabile accidens, nigrum vero esse conto et Aethiopi
inseparabiliter accidit.
160) Log, f. 9. v. B: Deinde accidens commune habet descriptiones divulgatas,
sicut haec, quae dicit , quod accidens est, quod adest et abest praeter subiecti corruptionem,
et quod polest idem habere et non habere, et, quod esl nee genus
nee species nee di/ferentia nee proprium, semper autem in subieclo subsistens. Consideremus
ergo has descriptiones divulgatas. Prima autem multis modis vitiosa eit
u. s. w. In descriplione autem per negalionem tertia — si addiderinl ei, quod est
universale, huiusmudi appropriabitur accidenti communi, ....hie autem non addidit,
nisi quia putavit -ex hoc, accidens, quod est hie unum de quinque, esse accidens,
quod est oppositum substanliae. Hiezu obige Anm. 30.
161) Ebend. : Expleta est pars prima libri colleclionis primae, et deo, cui nikil
est similii, sint gratiae inßnitae.
162) Ebend.: Cognitio eius, quod diel um est de divisione horum quinque, tuffu'il
ad agendum de communitatibus et differenlüs , quae sunl inier haec quinque.
Usus autem fuit in libris introductionum agere de his; faciemus ergo, sicut e(.tUi
considerantas dixerunt.
163) Albert. M. De praedicab. IX, l, p. 91. A: Quamvis in anlehabitis tarn
determinatum sit id, quod de quinque universalibus tradidit Porphyrius, tarnen adhuc
sunt quaedam , quae ulile est scire de his , quae ex logicis doctrinis Arabum in
lalinum translulit Avendat Israelila philosophus et maxime de logica Avicennae.
Primum eapitulum huius doclriaae est de comparalione islorum quinque inier se , et
haec ad perfectionem doctrinae ponimus.
XVI. Avicenna. 345
Gattung und Differenz bestehenden Berührungspunktes das von Porphyrius
gewählte Beispiel164), sodann findet er Gelegenheil, im Hinhlicke
auf die Differenz die qualitative Aussage derartig zu distinguiren, dass
es auch ein praedicari quasi in quid gehe, welches bei jedem inner
halb der essentiellen Quiddität Enthaltenen stattfinde und somit auch
von der Differenz gellen müsse 165) ; ferner verwahrt er sich einmal
ausdrücklich dagegen, dass die Gattung direct als Stoff und die Diffe
renz als Form bezeichnet werde, da eine solche Auffassung immerhin
nur gleichnissweise gemeint sein könne 16ß). Und sowie er hmwiederum
von einem Berührungspunkte zwischen Gattung und proprium bemerkt,
dass derselbe bei Porphyrius an unrechter Stelle besprochen sei 167),
so tadelt er auch, dass die Eine jener Verschiedenheiten, welche zwi
schen Differenz und Species bestehen, nur auf Species im engsten Sinne
sich beziehe, sowie dass bei einer anderen ein schiefes Beispiel ge
wählt sei168); ebenso muss er (vgl. Anm. 159) den Unterschied, wel
chen Porphyrius zwischen Differenz und untrennbarem Merkmale auf-
164) f. 10. r. A: Genus autem et differentia conveniunt in vulgato: natura
enim generis debel praedicari de speciebus Exemplum aulem huius posuerunt
rationale, quod contineat multäs species , et tu nosti, quid sit in hoc; quare, sicut
nosti, non bene fecerunt in ponendo hoc exemplum rationale; quamvis enim conti
neat plures species , non tarnen ülae species propinqttae sunt illius , sed sunt species
tinius speciei, quam constituit rationale, quum adümgitur animali.
165) f. 10. r. B: Modus autem, secundum qucm processimus in oslendendo
id, quod esl praedicabüe in quid et praedicabile in quäle quid, ostendet tibi, quod
praedicabile in quid non est praedicabile in quäle quid Polest autem aliquis
dicere nobis: vos iam saepe aperle dixislis , quod differentia aliquando praedicatur
in quid, et praecipue in libro demonstrationis . Contra quem dicemus , quoniam inlerest
inter hoc, quod dicimus aliquid praedicari in quid et aliquid praedicari quasi
in quid, sicul interest inier hoc, quod dicimus esse, el hoc, quod dicimus contineri
in esse; praedicabile enim quasi in quid est omne id, quod continetur in intentione
facta de esse, et illud solum non significat esse; praedicabile in quid est id solum,
quod respondetur ad quid; differentia vero continetur in esse et quasi in quid, quo
niam est pars cius , quod respondetur ad quid.
166) f. 10. v. A: Sunt autem hie aliae differenliac , quae nunc differuntur
alias dicendae; quandoquidem genus non est materia nee differentia esl forma, sed
est sicut maleria eo, quod natura eius in intellectu est recipiens di/ferentiam , cui
quum advenit differentia, fit ipsum aliquid existens in aclu, qualis est dispositio
maleriae et formae. Vgl. Anm. 193.
167) f. 10. v. B: Item alia communilas (d. h. generis et proprii) est, quod
natura generis praedicatur de speciebus sub se contentis aequaliter Haec aulem
communitas si designaretur in communilate , quae esl inier genus el speciem et dif
ferenliam , melius essel; sed ibi praetermissum ponil hie.
168) f. 11. r. A: Difjerentia secunda (d. h. differentiae el speciei) est, quod
species non praerticalur nisi de pluribus differenlibus numero tanlum, differentia vero
plurimum aul frequnnter praedicalur de pluribus differenlibus specie ; quae discrepantia
est inier differenliam el speciem specialissimam , non inter differenliam et
speciem absolute (dieses wiederholt Albert. M. De praedicab. VIII, 8, p. 87. A).
Tertia vero discrepantia est, quod differentia est prior specie, et posuit exemplum
huius secundum deslructionem dicens , quod rationale sublalum removet homincm ;
sed non removelur sublato homine , angclus enim rationale ; nee posuit differenliam
et speciem, quae sunt simul, sed accepit differenliam generis hominis et comparavil
homini ; sed si aliquis diceret, quod species est prior differentia, quae est rationale,
esset devius a verilate.
346 XVI. Avicenna.
stellt, nach Form und Inhalt bekämpfen 169) und bezüglich des Unter
schiedes zwischen Differenz und eigentümlichem Merkmale auf die
Nothwendigkeit hinweisen , dass der Begriff der Differenz genau und
gleichmässig eingehalten werde 17°). Sodann aber folgt die sehr rich
tige Bemerkung (vgl. Abschn. XI, Anm. 53), dass, wenn man überhaupt
die fünf Universalien in ihren wechselseitigen Verhältnissen betrachten
wolle, ein weit planmässigeres Verfahren, als jenes des Porphyrius ist,
eingeschlagen werden müsse 171), und nach wiederholter Hinweisung
(vgl. oben ' Anm. 107) darauf, dass die Universalien wechselseitig in
einem engeren substantiellen Nexus stehen 112) und gerade hierin sich
die richtige Auffassung des artmachenden Unterschiedes ergebe 173),
fügt Avicenna noch eine neue erläuternde Betrachtung hinzu, in welcher
an einzelnen Beispielen gezeigt wird, dass manche Begrill'e zwei Univer
salien zugleich (z. B. Gattung und Differenz oder Gattung und Accidens
169) f. 11. r. B: Differentia et accidcns inseparabile differunt in hoc,
quod differentia semper continet id , cuius esl differentia, sed non continetur ab eo.
Oblilus autem fuil huius quod dixerat , scilieet quod unum suhiectum aliquando
multas habet differentias , quae conreniunt in Mo. Nomen atttem continendi
esl nomcn ambiguum, non doctrinalc, nee oportet agere de illo; quo'd autem intelligitur
de modo conlinendi, qui attribuitur accidcnti et gencri, diversum est a.
modo, qui negatur ab eis. Eral autem alias modus , qucm dicere melius fueral,
scilieet quod accidens aliquando continelur et aliquando continel; subiectum enim setundum
aliquid est communius et secundum aliquid minus commune.
170) f. 11. v. A: Differunt autem (sc. species et proprium) in hoc, quod id,
quod est species alicüius. fit genus allerius, proprium vero non ßt proprium alteritis.
Haec aulem differentia r/imis dissoluta est. Primum quidem in praemis'sis non consideravil
di ffcrentiam , quae. esl inier speciem, quae esl sub gencre, et aliud, sed
semper intendil de specie specialissima , nunc autem praetermiltit illud et intendil de
specie , quae est sub genere .... Sed si diceret , quod species alicüius aliquando ßt
proprium alterius, proprium vero non fit species, conveniens esset differentia, sed
iudicium de specie esset falsum Alia differentia est, quod species est prior
in esse, proprielas vero posterior, et hoc esl intelligibile et concedendum; deinde
subiunxit aliam differentiam , scilieet quod species semper est in aclu, proprium ali
quando , sed hie est contrarielas.
171) f. 11. v. B: Si enim recte incessisset, debuerat assignare communitales,
quae sunl inter quinque, et deinde quae sunt inter quaterna et quuterna, et deinde
inier lerna et lerna, et deinde inter bina et bina; simililer debuernt prius assignare
differenlias uniuscuiusque ad reliqua qualuor, et deinde duorum ad tria , el deinde
uniuscuiusque ad aliud proprie; el si diligenter ivissel, ut debuit, non esset ibi
communitas vel differentia inier aliqua duo, quas praetermitlerel indifßnite el non
assignaret eas inter alia duo, quasi fonasse assignari , ubi prmtermisil , convenicnlius
esset.
172) Ebend.: Postquam iam ostendimus haec quinque universalia, debemus scire,
quoniam id, quod ex illis est genus, non est genus uniuscuiusque rei, sed solius
suae speciei; similiter et differentia non est differentia uniuscuiusque rei, sed secun
dum hoc, quod esl divisiva unius generis. Debes etiam scire, quod unumquodque
istorum polest esse genus vel quasi genus et differentia et species et proprium el
accidens.
173) Ebend.: Genus aulem non esl genus differentiae ullo modo, nee differentia
est species generis; si enim ita esset, lunc differentiae esset alia differentia; diffe
rentia enim est inlenlio extra naturam generis ; rationale etenim non est animal
habens ralionem, sed quandam habens ralionem, quamvis comiletur illud esse ani
mal, animal enim habens ralionem homo est.
XVI. Avicenna. 347
oder Gattung und eigenlhiimliclies Merkmal u. s. w.) in sich repräsentiren
können 174).
Hiemil schliesst der /weite Theil 175), und es folgt nun noch eine
Discussion , welche unter Allem die bedeutendste Wichtigkeit für das
lateinische Aliendland in sich trägt. Neinlicli obwohl Avicenna zu An
fang (Anm. 90) die lieferen Fragen über die Gellung der Universalien
abgelehnt halle, beruft er sich nun hier auf den allgemeinen Gehrauch,
wornach zumeist im Anschlüsse an die Besprechung des Gatlungs- und
Art-Begriffes die Frage erörterl wurde, inwieferne die Universalien inlellecluell
und inwieferne natürlich und inwieferne logisch seien "*).
Die Beantwortung nun, welche Avicenna gibt, zeigt uns die Durch
führung jenes Intelleclualisnius, welchen wir bereits bei Alfarabi (Anm.
23 IV.) trafen177), und welcher von Avicenna schon in den Angaben
über die Stellung der Logik (s. bes. Anm. 74) zu Grund gelegt war.
Er wählt hier zur näheren Darlegung seiner Ansicht den Gattungsbegriff
als Beispiel an Stelle aller einzelnen Universalien und beginnt mit der
Bemerkung, dass z. B. „Tbier an sich" unabhängig von sinnlicher Wahr
nehmung und von psychisch-inlellectueller Auffassung und ebenso unab
hängig von Universalität und Singularität zu verstehen sei, denn wäre
es an sich universell, so gäbe es kein einzelnes Thier, und wäre es
an sich singulär, so gäbe es nur Eines, und so werde auch im Denken
„Thier" eben nur kurzweg als Tliier gedacht, während dieser Begriff
durch Universalität oder Singularität im Denken neue Zusätze erhalle178),
174) f. 1 2.' r. A: Debet eliam sciri, quod haec quinque aliquando commiscenlur
inter se mullis modis. ßenus enim turn differenlia; ,,ni<prchendens" enim est quasi
genus differentiae hominis , qitae e 4f rationale Aliquando aulem commiscelur
genus cum accidenle, sicul ,,color", qui est genus accidentium hominis. Pcrmixtio
autem generis cum proprietale est, sicut ,,admirans in acht" quod est ut genus
ridentis in aclu Differentia etiam aliquando miscelur cum genere, sicut „sensibile",
quod esl differcntia et genus hominis Proprielas aliquando miscetur
cum genere, ,,gressibile" enim est proprielas communis hominis Aliquando
aulem miscelur cum accidentc communi , .,visibile" etrnim esl proprietas coloroti.
Accidens aulem aliquando miscelur cum genere.
175) Ebend.: Complela est secunda pars libri primi, et ei, qui dedit scire,
sint graliae inßnilae.
176) Ebend.: Usus fuil, ul , cum quinque haec distingucrenlnr, diceretur semndum
hoc, quod uno respectu sunl naluralia et alio respectu logicalia el alio intelleclnalia
, el forlassis etiam diceretur, quod uno respectu stml absque multiplicilale
et alio cum mulliplicitate ;• et fuil usus, ul Iractatus de Ais ponerelur continuus
cum tractalu generis el speciei , quamvis hoc communc sil quinque universalibus.
177) Die in Anm. 23, 24. u. 25. angefiihrlen Stellen aus Albertus Magnus
erhalten biemit hier, insoweit sie neben dem Alfarabi auch den Avicenna betreffen,
von selbst ihre Verwendung.
178) f. 12. r. A: Dicemus ergo imilanles priores, quod unumquodque eorum,
quae ponuntur exempla pro aliquo istortim quinque, esl in se aliquid aliud
Ponamus aulem in hoc exemplum generis diccntes, quod animal est in se quoddam
et idem est, utrum sil sensibilc aut sit inlellcctum in anima, in se autem huius nee
est universale nee esl singularc. Si enim esstt universale ila, quod animalitas ex
hoc, quod est animalitas, esl universales , operieret, nullum animal esse singulüre,
sed omne animal esscl universale; si aulem animal ex hoc, quod est animal, esset
singtilare, impossibile esset, esse plus quam untim singulare, scilicel ipsum singulare.
cui debelur animal ilas , el esset impossibile, aliud signiftcare esst animaj. Animai
348 XVI. Avicenria.
denn lediglich im Denken, nicht aber von Aussen her, werde die Ver
gleichung einer einheitlichen Form mit dem unter sich ähnlichen Vielen
vollzogen1"9). So sei „Tliier" ein intellecluelles Etwas, aber etwas
Anderes wieder sei seine Allgemeinheit, und abermals etwas Anderes
dasjenige, was das allgemeine Thier ist, neinlich die Allgemeinheit sei
der logische Gattungsbegriff, und andrerseits liege die natürliche Gattung
darin, dass „Thier" von Natur aus befähigt ist, dass mit ihm jenes
intellecluelle Etwas nach dem Gesichtspunkte der Allgemeinheit vergli
chen werde 18°), und somit sei bei dem logischen Gattungsbegriffe trotz
seiner inlcllectuollen Quelle das intellectuell Erfasste durchaus nicht
identisch mit dem an ihm logisch Erfasslen, denn das Denken bethälige
erst die Allgemeinheit in der Denkform — „inlelleclus agit universalitatem
in formis" — 181)i ebens° aber unterscheide sich die logische
Gattung von der natürlichen, denn während erslere dem unter sie Fal
lenden ihren Namen und ihre Definition aufpräge, verleihe letztere dem
selben nur die naturgemässe Fähigkeil Inr/u l82), und man könne somit
allerdings „Thierheil" (animalUas) einerseits als Gattungs-Form und
in se esl quoddam intellectum, quod sit animal, et secundum hoc, guod intelligitur
esse animal, non est nisi animal tantum; si autem praeter hoc intelligitur
esse universale aul singulare aut aliquid aliud, iam intelligilur praeter hoc quod
dam , scilicet id, quod esl animal, quod accidit animalilati.
179) f. 12. r. -B: Non fit singvlaris, nisi addiderit inlellectus aliquid, per
quod ßat singularit, Non accidit extrinsecus , ul sil universale ila, ut sit «na
essentia verissime, quae esl animal, cui accidil in universalibus exlrinsecus, ut ipsa
eadem habcat esse in multis, sed in mente accidil huic formae animalilati intellectae,
ul ponatur comparalio ad mulla, et ut ipsius unius formae sil comparatio certa ad
/n a 1 1 a 'quac similanlur in illa.
180) Ebend.: Animal in inlellectu quoddam est, et eius, universalUas sine generalitas
aliud quoddam, el hoc, quod est animal generate, aliud quoddam. Et generalitas
vocalur genus logicum, de qua inlelligitur , quod praedicetur de multis differentibus
specie ad interrogationem factam per quid Nalurale autem genus est
animal, secundum quod est aptum ad hoc, ut ei, quod inlelligitur, de illo ponatur
comparalio generalilatis.
18t) Ebend.: Cum autem generale est in intelleclu, hoc est, quod intelligitur
de genere nalurali, scilicet compositum • generalitas autem inlellecla per se secundum
hoc, quod est per se sola in inlellectu el esl genus inlelleclum, est genus lo
gicum ; hoc n n l r in genus logicum , quamvis non habeat esse nisi in intellectu , non
tarnen oportet, ut id, quod intelligitur ex hoc quod est intellectuale , sit id , quod
intelligitur ex hoc quod esl logicum; et non est idem , cum ostensa sit diversitas
utriusque respectus. Albert. M. De praedicab. H, 3, p. 15. B: lllud A'iicennae dicium,
quod intellectus in formis agil Universalitäten!. Ebend. c. 6, p. '21. B: Adhuc aulem
Averroes el Avicenna dicunl, quod intellectus in formis agit universalilateni (s. Aterr.
De anima I, 8).
Ib2) Ebend.: Item infra genus logicum duo sunl: unum species eins ex hoc
quod est genus , alterum subiecla sua , quibus accidit Ergo ipsum attribuit
unicuique eorum generum delerminalorum , quae sunt sub ipso, diffinilionem luam
et nomen, et' unumquodque eorum dicitur esse genus et diffinilur difßnitione generis.
speciebus vero subieclorum eins non atlribuil diffinitionem suam nee nomen ;
hämmern enim non oportet fieri genus nee nomine nee diffinitione secundum hoc, quod
praedicatur de eo animalitas Et omnino cum dicitur, quod genus naturale dal
ei, quod est sub se , nomen suum et diffinilionem, hoc non esl salis verum , nisi
accidentaliter ; non enim dal ex hoc, quod esl genus naturale, sicut ctiam non dedit
ei hoc, quod est genus logicum, quia non dedit nisi naturam, quae est apta este
genus naturale.
XVI. Avicenna. 349
andrerseits als Denk-Form bezeichnen, aber Gattungsbegriff selbst werde
sie erst durch einen vergleichenden Beisalz, sei es dass derselbe im
Natürlichen oder im Denken liege 183). Indem aber alles Seiende nach
Analogre des Kunstwerkes in eine Beziehung zu dem künstlerischen
Urheber gesetzt werde, habe das Seiende ein Sein vor aller Verviel
fältigung (anle multüudinem) in der Weisheit des Schöpfers, welches
Sein jedoch nicht mehr Gegenstand der Logik (sondern der Metaphysik)
»ei , und zweitens sodann werde das Sein des Seienden innerhalb der
Vielheit der Erscheinung (in mulliplirilale) erfasst, worauf drittens nach
dieser Particularilät (posl muUipiicilalcm) das Sein als ein im Denkacte
festgehaltenes folgt184), und in diesem Sinne müsse man nun nicht
bloss den bisher beispielsweise (Anm. 177) gebrauchten Gattungsbegriff,
sondern sämmlliche fünf Universalien verstehen 185). In dieser üreitheilung
aber, welche als solche auch von dem lateinischen Abendlande
aufgenommen wurde1*10), wirkt das Motiv des Intellectualismus auch
dahin, dass die ontologische Auffassung einer Subordination, in welcher
nach der Tabula logica Individuum und Art und Galtung stehen, in
den Hintergrund tritt, und der Unterschied dieser drei Stufen nicht in
183) f. 12. v. A: Convenienlius autem est, ut animalitas in se aliquando vocelur
formd generalis et aliquando forma intelligibilis ; sed ex hoc, quod est ani
malitas, non est yenus ullo modo nee in intelleclu nee extra inlelleclum, quia non
fit genus nisi cum adiungilur ei aliquis respectus aul in intelleclu aut extra.
184) Ebend. : Sed quia omnium quae sunt comparatio ad deum et ad angelos
est, sicul comparatio arlificialium, quae sunt »pud nos , ad animam arlificem, ideo
id quod est in sapientia crealoris et angelorum el de verilate cognili et comprehcnsi
ex rebus nuturalibus , habet esse anle multitudinem ; quidquid autem inlelligilur de
eis, e$t aliqua intentio, el deinde acquirilur esse eis, quod est in mulliplicilale, et
cum sunt in mulliplicitate, non .sunt unum ullo modo, in sensibilibus enim forinsecus
non est aliquid commune nisi tantum discretio et disposilio; deinde Herum habentur
inlelligentiae apud nos, postquam fucrinl in mulliplicitate. Hoc autem, quod sunt
anle mulliplicilatem , nosler Iraclalus non sufßcit ad hoc, quia ad alium Iractatum
sapientiae perlinet. Metaph. V, l, f. 87. r. B: Animal ergo acceplum cum accidenlibus
suis esl res naturalis , acceplum vero per se est natura , de qua dicitur,
quod esse eius prius est quam esse naturale, sicut Simplex prius esl composito, et
iiof est, cuius esse propiie • dicitur ditiinum esse, quum causa sui esse .... esl dei
intenlio. Ipsum vero esse cum maleria el accidenlibus el ipsum esse hoc Individuum,
quamvis sil divina intenlio, allribuilur tarnen naturae parliculari. Unde sicul animal
in esse habet plures modos, sie etiam in intellectu; in intelleclu etenim est forma
animalis abstrticla .... el dicilur ipsum hoc modo forma inlelligibilis ; in intellectu
autem forma animalis lauter esl, quod in intelleclu convenil ex una et eadem dif/inilione
mullis parlicularibus, quippe una forma apud intellectum erit retala ad mulliludinem
, et secundum hunc respectum est universale (c. 2, f. 87. v. A)
Manifestum esl, quid sil universale in eis, quae sunt, scilicet haec natura, cui accidit
unus de intelleclibufi , quem appellamits universale, qui inlellectus non habet esse
per se sohan in sensibilibus ullo modo.
185) Log. (. 12. v. A: Debes autem scire , quia hoc, quod dicimus de genere,
exemplum esl speeiei el differentiae el propriclatis el accidentis , quod deducet te ad
viam comprehendendi, qualiter haec sunt intellectualia el logica et naluralia, et quod
ex eis est in mulliplicitate et ante multiplicitatem et post multiplicitatem.
186) Albert. M. De praedicab. l, 2, p. 3. B: Horum autem, quae dicta sunt,
ralionem ponil Avicenna dicens , res omnes tripliciter esse accipicndas , scilicet quod
primo accipiantur in essentiae suae principiis , secundo in esse, quod habent in siriyularibus
propriis , lerlio aulem secundum quod acceplae sunt in inlelleclu.
350 XVI. Avicenna.
die objectiven Dinge, sondern in die subjeclive Denkauffassung (respectus)
verlegt wird 1S7); ja Avicenna scheint diesen seinen aristotelischen Stand
punkt, wornadi das Universale in muUis et de multis ist, auch seinen
platonischen Gegnern gegenüber durch specielle Beweise gerechtfertigt
zu haben 188).
Es bietet ein eigentümliches Interesse dar, wenn wir aus dieser
Auffassung der Universalien ersehen, dass die Araber hei ihrer voll
ständigen Kenntniss des Aristoteles auf Erwägungen und Ausdrucks
weisen geriethen, welche sich sehr nahe mit demjenigen berühren,
was das frühere lateinische Mitlelalter auf beschränkterer Grundlage in
einer bunt sich kreuzenden Parleispaltung ausgesprochen hatte ; denn
sowie uns der Ausdruck „quae similanlur" (Anm. 179) au die Indiffe
renz-Lehre (Absclm. XIV, Anm. 132) und das Wort „respeclus" (Anm.
181 u. 187) insbesondere an Adelard von Bath (ebend. Anm. 141)
erinnert, so dürfen wir hei jenem „aptum esse" (Anm. 182) an Abälard
(ebend. Anra. 286) und bei „nalura" (Anm. 184) an Gilberl (ebend.
Anm. 461) vergleichsweise denken. Aber dass die Araber über solchen
verschiedenen Wendungen nicht jene höhere Einheit aus dem Auge ver
loren , welche in dem aristotelischen Intelleciualismus liegt, und dass
sie trotz alledem den platonischen Realismus des Porphyrius hiemil
amalgamirten, d. h. dass sie den Universalien eine metaphysische Exi
stenz im Geiste Gottes (ante rem) und zugleich eine inlellectuelle Existenz
im menschlichen Denken zutlieillen, welch letztere aus der vielheitlicheo
Erscheinung (in re) zum Begriffe (posl rem) sich erhebt, darin liegt
der entscheidende Einlluss der Araber auf die Lateiner des 13. Jalirhunderles.
Denn diese dreifache Betrachtungsweise der Universalien,
187) Log. f. 12. v. B: Ergo Individualität est de dispositionibus , quae accidunt
naluris subieclis generalitati el speciulitali , sicut accidil ei generalilas el specialitas.
Differentia autem, quae est inter hominem, qui eil species, el individuum
hominis , quod est commune non lanlum nomine sed el pracdicalione de multis, haec
est: dicimus enim, quod inlellectus du komme, qui est species, esl, quod sil animal
rationale; quod aulem dicimus de homine individuo , est, quod haec nulura accepla
cum accidenle, quod accidit ei, coniuncla est alicui maleriae designatae Generaütas
ergo et speeialitas el individualilas non sunl subiectorum particularium , quorum
nimm sit sub aller o , sed sunl respectus , qui conlingunt ei.
188) Albert. M. a. a. 0. II, 3, p. 13. B: Hi qui dicunl, in solis nudis purisque
inlelleclibus posila esse (sc. universalia) seplem pro se fortiores inducunl raliones.
Dicunt enim, quod Boelhius et Aristoteles el Avicenna dicunl, quod omne, quod
separalum in natura est, ideo esl, quia unum numero esl; universale autem, quod
est genug et species, non unum numero est, eo quod universale esl unum in multis
el de m a l li s Secundam adducunl ralionem ; dicunl enim, quod omne, quod
separalum a nalura esl separatum Habens esse extra inlelligenliam, hoc aliquid esl.
Et hoc quidem diclum esl Aristolelis et Avicennae el probalur per inductionem
(p. 14. A) Quinlo opponunt dicenles , quae Avicenna dixil et Algazel, quod univer
sale, quod est genus vel species, si extra inlelleclum est, aut coepü esse aul non
coepil esse; si dicatur , quud non coepil esse, sequilur, quod aeternum sit, quod
esse non polest, cum causam habeal inlelligenliae lumen, quod facit el dal omnes
formas; si aulem coepit esse, aul coepil esse a se ipso aul ab alio; non autem
coepil esse a se ipso, quia nihil incipil a se ; si aulem ab alio coepit, per
aclum agentis coepil, nihil autem fit per aclum agenlis nisi parliculare el individuum,
quia omnis aclus circa parlimlaria est.
XVI. Avicenna. 35t
aus welcher erneuerte Streitigkeiten sich erheben, haben die Lateiner
aus keiner anderweitigen Quelle, sondern nur aus arabischer Litterulur
geschöpft, und, um von dem überhaupt bornirlen Albertus Magnus ab
zusehen, auch Thomas von Aquin hat in diesen Fragen keinen einzigen
Gedanken selbststfuulig aus sich erfassl.
lieber die Isagoge aber erstreckt sich der uns überlieferte latei
nische Text der Logik Avicenna's nicht hinaus, und während wir aus
dem Bisherigen wohl entnehmen können, mit welch ängstlicher Ausführ
lichkeit wahrscheinlich sämmlliche im ganzen Gebiete der Logik auf
tauchende Fragen behandeft gewesen seien, sind wir für alles Uebrige
entweder auf gelegentliche Angaben in Avicenna's Metaphysik oder auf
secundäre Berichte angewiesen.
Was hiemit zunächst die Kategorien betrifft, so 'könnte sieh
uns allerdings darüber ein Bedenken erheben, welche Stelle denselben
Avicenna innerhalb der Logik angewiesen habe, da er in Einer Bear
beitung erst gegen den Scbluss des Ganzen die Kategorien mit der
Lehre von der Definition verflicht 189). Doch spricht jenes zweite me
trische Compendium (Au m. 69) für die gewöhnlich übliche Ordnung 19°),
welche Avicenna auch jedenfalls in seiner commentirenden Thäligkeil
eingehallen haben ruuss. Die Begriffe des Synonymen u. dgl. scheint
er ziemlich als Beiwerk der Kategorienlehre betrachtet zu haben, indem
ihm wohl die hauptsächliche Bedeutung der prädicamenlalen Aussage in
einer näheren Beziehung auf den in der Isagoge besprochenen Verwirklichungs-
Process des Galtiingsbegrifl'es liegen mochte191), daher er auch
den Grundsalz, dass das Prädicat des PrSdicates vom Subjecte gelle
(die sog. regula de quocunque, vgl. vor. Abschn. Anm. 32) in umfassen
dem Sinne sowohl für bejahende als auch für verneinende Urtheile ver
standen wissen jvollle19'2). Dass er bezüglich der Kategorie der Sub
stanz die aristotelische Auffassung vertrat, erhellt schon theils aus
Obigem (Anm. 32 f.), wo ihn in dieser Beziehung der Bericht des
Albertus dem Alfarabi gleichstellt, theils besitzen wir hierüber auch
einzelne nähere Notizen. So hal er namentlich den Gallimgsbegriff als
ein potenzielles Sein gefassf, aus welchem der artmachende Unterschied
zur Aclualiläl heraustrete (vgl. Anm. 116 u. 166), bediente sich aber
dabei noch einer feineren Dislinclion, indem er hie'fiir lielier das Wort
„poteslas", als „polenlia", wählen wollte 193). Und indem ihm allerdings
189) Bei Vallier (s. oben Anm. 68.), p. 232 ff.
190) Bei Sehmülders. Datum, p. 30.
191) Albert. M.' De praedicam. l, 3, p. 99. B: Quamvis multivoca sine synunyma
et diversivoca non sunt de Ins, quibus praedicabile urdinalur in linea generit,
tarnen, quia Avicenna et Algazel et Joannes JJumascenus in suis praedicamenlis
ponunl islu, et nos ea hie ponemus.
192) Ebend. l, 6, p. 102. A: Quaecunque de eo , quod praedicatur , dicuntur
reclo ordine et substunliali, omnia etiam dici de subieclo necesse est (p. 102. B)
Et sicut Avicenna et Algazel dicunt, in negalione esl similiter, dummodo negentur ea
de praedicato, quaecunque sunl secundum fortnam speciei aut generis praedicato
opposita.
193) Euend. De praedicab. V, 4, p. 60. B: Et haec esl Avicennae delerminalio,
sicut colligi putest in prima philosophia ipstus, propter quod dicitw ymus potestate
XVI. Avicenna.
die Substanz als das Substrat aller übrigen Bestimmungen galt, welche
in dieser Beziehung dann Accidentien seien194), so konnte er doch
hierüber seinen obigen BegriÜ" des substanliale (Anm. 94 ff.) nicht ver
gessen, sondern er erblickt in dem bleibenden Einheitlichen z. B. der
Qualitäten ein Midieres zwischen Substanz und Nicht-Substanz 195), und
ebenso gründet er auf das Substanliale den Umstand, dass die Substanz
als solche keiner Gradabslufuug fähig ist 196). Ebenso mussle auch bei
Avicenna (vgl. Anm. 34) die aristotelische Auflassung des Enlblösslseins
zu Tage treten, und sowie er die verschiedenen Wortbedeutungen dieses
Begriffes aus Aristoteles (Abschn. IV, Anm. 404) erörtert 197), so suchte
er so sehr als möglich eine Idenlifidrung des Entblösstseins mit dem
artmacbenden Unterschiede zu vermeiden 198). Ganz besonders aber
beschäftigte ihn die durch Andere hervorgerufene Frage, ob die Quan
tität und die Qualität — denn bei den übrigen Kategorien sei diess
selbstverständlich •— zu den Accidentien gerechnet werden können 199),
habere di/ferentias potius, quam potenlia; quia potentia ad esse et non esse indifferens
esl, potestas aulem est polentia stans per actus inchoationem.
194) Ebend. V, 4, p. 58. A: Dicü Avicenna, quod subieclum est ens in se
complelum, quod est occasio alk'ri, h. e. accidenlt cxistenli in eo. Ebenso Anal,
post. I, 4, 11, p. 583. A.
195) Ebend. Top. l, 2, 5, p. 674. B : Cum dicilur „album est coloralum disgregalivum
visus", hoc est quidem subslantiale, non est substantia; dicit enim Avi
cenna, quod subslanlialc mcdium esl inter substantiam el non subslanliam , et neque
esl »ccidens neque subslantia pruprie.
196) Ebend. De praedicam. II, 10, p. 117. B: Subslantia non polest suscipere
magis et minus, quia, sicut probat Avicenna, si magis suseiperet, sequeretur
quod ipsum esse subslantiale plus /ormae subslanliali appropinquarel per ipsius formae
adeplionem; quod falsum esl, cum nihil mcdium habeal,* inter esse enim el
non esse niliil esl medium; et ideo secundum esse subslanliale non potest esse
intensio neque remissio in aliquo.
197) Melaph. VII, l, f. 95. v. A: Oporlet aulem, ul scias, quod privatio dici
lur mullis modis. Dicilur enim privatio id, quod debel esse in aliquo nee est in
eo, non quod non sil illius modi, ul sit in eo , quamvis sil illius nalurae , ut sil
in aliquo. El dicitur privatio id, cuius natura csi esse in genere alicuius rei nee
esl in ipsa re, quia non esl illius modi, ul sil in ea, sive illud sil genus proximum
sive lotiginquum. Kl dicitur privatio id. cuius natura est esse rei non absolute,
sed in sua hora, quae praeteriil, sicut senex edentulus. Prior vero modus nimium
convenil negulioni, alii modi di/ferunt ab ea. Et dicitur privatio amissio per violentiam.
El dicilur privatio id, per quod amisil res inlegritatem suam, monoculus
enim non dicilur caecus nee eliam videns absolute Deinde de privalione pratdicatur
negalio, sed non converlilur; privalio vero non praedicalur de contrario
Privalio enim aliquando est in maleria , aliquanüo esl comes esscnliae. Vgl. Suffic.
l, 2, f. 14. v. B.
198) Albert. M. J)e praedicab. V, 3, p. 56. B: Avicenna ' eliam hanc differentiam,
quam „mortale" diximus , impugnure videlur dicens , quod a privalione non
lanlum secundum nomen, sed eliam sucundum rem numen accipit; privatio autem
non est forma; cum igilur omnis differcnlia a /orma aliqua sumpta sit, videtur mor
tale differenlia non esse. Vgl. Anm. 145.
199) Melaptt. III, l, f. 78. r. A: Vico igilur, quod in principio logicae tarn
cognovisti, quiddilalcm decem praedicamentorum ; el ideo non dubilas, quia id, quod
ex eis esl ad aliquid , in quanlum esl ad aliquid , esl res accidens alicui ; simililer
comparaliones , quae sunt in ubi et quando el in situ el in agere et pati el in ha
bere; sunt enim dispositiones accidenles aliquibus , in quibus sunt, sicut id, quod
est in subiecto. Si quis aulem dixerit, quod agere non est sie, eo quod esse actionis
XVI. Avicenna. 353
und gegen jene pythagoreisch- platonischen Annahmen, wornach die
Quantität entweder als conlinuirliche (in letzter Instanz der Punkt) oder
als discrete (zuletzt die Eins) zu constiluiremlen Wesensheits-Principien
gemacht werden wollten 20°), setzt er in ausführlicher Begründung
auseinander, dass die Quantität Accidens sei, da die Einheit, welche
der Substanz sicher zukomme , von derselben weder als Galtung noch
als Differenz , sondern nur als ein sie Begleitendes ausgesagt werde,
bei Accidentien aber überhaupt nur die Namen-ljleichheit in ihr liege,
und dass sonach jedenfalls die Zahlen als von der Einheit abgeleitete
gleichfalls nur Accidentien seien201), sowie in gleicher Weise die
null esl in agente, sed in palienle, elsi hoc dixeril et concesserimus , Mi tarnen non
nocebit ad lim, quod modo inlendimus, icüicet quod actio habet esse in aliquo sicul
in subieclo , quamt'is non sit in agente. De praedicamentis igitur, de quibus est
quaeslio, an sint accidenlia- an non, duo remanent, scilicel praedicamenlum quanlilalis
et praedicamenlum qualitatis.
200) Ebeud.: Sed de praedicammto quanlitatis multis visum fuil, lineam superßciem
et mensuram corporalem ponere esse in praedicamenlo subslantiae, nee suffecit
eis hoc, sed etiam posuerunt haec esse principia substuntiae. Quibusdam vero ex
eis Visum est, hoc senlire de quantitalibus discrelis , scilicet numeris , et posuerunl
eas principia xubslantiarum Sed ex his , qui lenenl subslantialitatem quanlilatis
, itli qui dicunt, quod continuae quantilales sunl substantiae et principia substanliarum,
tarn dixerunl , quod hae sunt dimensiones conslituentes substantiam corpuream
el posuerunt punctum ex tribus dignius subslanlialilate. Qui vero tencnl
sentenliam de numero, posuerunl hunc- principium subslantiae, ipsum vero posuerunt
composilum ex unitatilius ita, quod, fecerunt unitales principia principiurum ; deinde
dixerunt, quod unitas est nalura non pcndens in sua essentia ex aliqua rerum,
scilicet quia unilas est in omni re, et quod unilas in ipsa re est ipsa quidditas
ipsius rei.
201) Ebend. c. 2, f. 78. r. B: Dicam^ igitur, quod unum dicilur ambigue (die
betreffenden Angaben des Aristoteles über das ev s. Abschn. IV, Anm. 451 ff.)
f. 78. v. B: nimm Herum, quod, postquam unitas dicilur de rebus, quae sunl
multae numero, el dicitur de re una numero, iam autem ostendimus divisiones eius,
quod est unum numero, procedemus nunc ad aliam parlem ; dicam iyilur, quod ea,
quae sunl mulla numero, non dicunlur una alio modo nisi propter contenienliam,
quam habtnt in inlenlione aliqua; convenienlia enim eorum vel est compuralionis tiel
esl praedicati praeter comparationem vel est in subiecto, praedicatum vero vel est
genus vel species vel di/ferenlia vel accidens c. 3, f. 79. r. A: Dico igilur,
quod unilas vel dicilur de accidentibus vel dicitur de substantia; cum autem dicitur
de accidentibus, non esl substanlia , el hoc non esl dubium; cum vero dicitur de
substantiis, non dicilur de eis sicut genus nee sicul di/ferenlia ullo modo ; non enim
recipilur in cerlificatione quidditulis alicuius substantiarum, sed est quoddam comilans
substantiam; ergo dicitur de eis .... sicul accidens. Unde unum est sub
stanlia, unilas vero esl inlenlio, quae esl accidens (f. 79. r. B) Sed unilas
substanlialiter est ipsum esse, quod non dividitur, eo quod illud esse constitttilur
esse non in subiecto St aulem accidentibus fueril unitas, profecto eorum unitas
erit praeler unitatem subslanliae, el illa unilas dicelnr de eis communione nominis.
Igilur contingil eliam, quod ex numeris alii ordinabunlur ex unilate accidentium et
"l i i ordinabunlur ex unüale subslanliarum Manifeslum esl, quod cerlitudo unilalis
esl Menlio accidenlis el esl de universilate eorum, quae comituntur res
(f. 79. v. A) iam enim ostendimus, quod unitas non est inIrans in diffinilione sub
slantiae nee accidentis, sed fortasse esl comilans eam Cum igitur cerlum
fueril, quod non esl sei>arala, cerlißcabilur, quia id. quod praedicalur de intenlione
comitanle communi nomine derivato a nornine simplicis inlenlioms, ipsum- esl inlenlio,
quae est unitalis ; ipsum vero simplex esl accidens. Postquam igitur unitas est acci
dens, tunc numerus , qui accidens esl, necessario provenil ex unilate.
P RAN T L, Gesch. U. 23
354 XVI. Avicenna.
Maassverhältnisse der conlinuirlichen Quantität an den Stoff der Sub
stanzen gebunden seien und nur durch subjective Schätzung, nicht aber
als objeclive Wesen von demselben getrennt werden können 202). Und
wenn hinwiederum bezüglich der Qualitäten von Einigen behauptet wurde,
dass sie selbständige Substanzen seien, welche nicht etwa an den
substantiellen Wesen entstehen und verschwinden, sondern nur mit
ihnen gemischt und wieder von ihnen getrennt werden (wie z. B. Wasser .
verdunste), und dass sie in solcher Weise die conslituirenden Substanzen
der sinnfälligen Dinge seien'203), so weist Avicenna die Unrichtigkeit
dieser Annahme durch ihre eigenen Consequcnzen nach204); und indem
ihm hiedurch feststeht, dass die Qualitäten nur Accidentien sein können,
hehl er noch besonders jene Qualitäten , welche im Gebiete des Quan-
202) Ebcnd. c. 4, f. 79. v. A: Qunnlilales conlinuae sunl mensurae continuonuit
Si'il lianc mensuram tarn mani/eslum est esse in materia, et quod ipta
augmentatur et minuilur substanlia permanente eadem, igilur est accidens sine duliio.
Sed esl de accidentibus , quae pendent ex maleria et ex re, quae est in maleria;
haec i'iiim mcnsura non separater a materia nisi aestimalione , nee separater a
forma, quae esl materiae, eo quod ipsa est mensura rei, quae reeipit dimensiones
huiusmodi.
203) Ebend. c. l, f. 78. r. A: De qualitate aulem quibusdam ex naturalibus
visum esl, quod non subsislunl in aliquo ullo modo, .icd quod color per se est sub
stantia et odor alia substantia, et quod lunc sunl coustiliientia substanlias sensibiles;
et ptures ex his, qui tenenl scnlenliam, de occullo inlendunt hoc. Ebend. c. 7, f.
81. v. A: Loquamur iyilur ntmc de qualilulibus ; sed qualilales sensibiles et corporales
esse, non est dubium fiunc autem non dubilatur de eis nisi an sint accidenles
an non. Quibusdam cnim tit'sum /'ml. quod ipsae sint sulistantiae, quae commiscenlur
corporibus cl diffundunlur per eas; color ilaque per se substantia est et
calor et similiter unumquodque aliorum. Igitur apud cos qualitalcs sunl huius diynilalis
, nee .su/'/icit ?is, quod hae habenl esse, ipsi enim dicunl, quod non annihilantur
islae res , sed paulutim separanlur, sicul aqua, qua kumecletur pannus el
paulo post non invenilur aqua in panno ijisu kubenle esse secundum modum suum,
tarnen ob hoc non fit aqua accidens , quia aqua subslantia esl , quae separalur ab
alia substantia, cui coniuncla fuit Dicunl aulem alii, quod occultantur.
204) Ebend. c. 7, f. 81. v. B: Dico igilur , quod si haec sunl subslantiae,
necessario vel sunt subslanliae , quae sunl corpora, vel sunl subslanliae, quae non
sunt corpora. Si autem sunt substanliae non corporeae , lunc vel sunt huiuimodi,
quod potent ex eis componi corpus , el hoc esl absurdum, quum ex eo, quod non
parlitur in spatia corporca, non polest corpus componi, vel non potesl ex eis corpus
componi, sed earum esse non est nisi propler coniunctionem sui cum corporibus et
propler infusionem sui in illa. l'rimum autem de hoc est, quod hac substanliae ha
bebunt situm, sed omnis substanlia habcns silum divi.iibilis esl. Secundum esl, quod
unaquaeque harum substantiarum necessario ex nalura sua vt'l polcsl separari a cor
pore, in quo est, vel non polest. Si aulem fuerit sie, ul non fossil separari,
nee habel ipsa de subslanlialitute nisi nomen tnntum. Si aulem possunl separari a
suis corporibus, lunc separalio vel lalis crit, quod per eam muvenlur de hoc corpore
üd aliud corpus, et sequelur ex hoc, quod, cum unum corpus calefacil aliud
corpus, Irans feral calorem a se in illud, unde infrigidabitur , quod calefaciebal
aliud; si autem — considcratur passe transferri ad aliud subicctum sie, ul
non exspolielur a.b illo, profeclo haec consideratio non esl nisi post rxistentiam in
subiecto (f. 82. r. A) Si quis autem posuerit, quod albedo esl vere at se
aliquid habens mensuram, tuitc habebit duo esse, scilicet quod est albedo et esse,
quod esl habens mensuram ; si aulem albedo cius fueril alia numero a mensura corporis
, in quo e.it , lunc spalium inlrabit in spalium; sed si ipsa fuerit ipsum
corpus per se, lunc ratio redibit ad id, quod albedo esl corpus el habet albedintm
el ita albedo esl in albo corpore inseparabiliter.
XVI. Avicenna. 355
titativen auftreten können , z. B. Gleichheit oder Ungleichheit u. dgl.,
hervor205). Die Kategorie der Relation, deren verschiedene Arten des
Auftretens er angilil, betrachtet er vorerst bezüglich der Frage, ob sie
innerhalb der beiden Relativa einheitlich sei oder jedes der beiden durch
sie seine eigene Bestimmtheit erhalle, wobei er sich für Letzleres ent
scheidet; sodann aber hebt er insbesondere an der Relation, wie wir
es schon bei Alfarabi sahen (Anm. 35) , die Subjectivität der Denkauf
fassung hervor, da in der Definition des Relativen selbst bereits die
Rücksichtnahme {respeclus) auf ein Anderes enthalten sei , und auch
dann, wenn noch ein anderweitiges wesentliches Sein des Relativen
angenommen werde, jedenfalls es sich doch um das Verständniss jener
Rücksichtnahme handle200); in der concrelen Erscheinung aber musste
er, wie sich von selbst versteht, das Relative als zeillich coexislirend
anerkennen207). Bezüglich der Frage, zu welcher Kategorie die Be-
205) Ebend. c. 9, f. 82. v. A: Remansit unum genus qualitatum, et oportel
stabilirc suum esse et assiynare, quod esl qualitas; et hae sunt qualilales, quae
sunt in quanlitatibus . scilicet quae sunt in numero, ul partlas et imparitas et cetera
huiusmodi; tarn autcm notum esl esse quorundam ex eis, et in arithmelica stabilitum
est esse remanenlium ; sunl enim accidentes ex eo, quod pendent ex numero, et sunt
proprielales eins; .... eorum autem quae accidunt mensuris, esse non est adeo notum;
circulus enim et linea curva et sfihaera et pyramis et colunma lalia sunt, quod nullius
eorum esse manifeslum est. et impossibile est geometrae, proltare esse eorum.
206) Ebend. c. 10', f. 83. r. B: Oportet loqui de ad aliquid et oslendere,
quomodo debeat certificari quiddilas relati el relationis et eorum diffinilio ; sed quod
praemisimus in logica, passet suffcere inlelligenti. Si autem posueris , relationem
esse, profecto erit accidens , et hoc non est dubium, quia est res , quae non inlelligilur
per se, sed intelligitur semper alicuius ad aliud Rcluln-a vero non possunt
comprehendi uno modo; alia enim sunl relativa, quae non eyenl aliquo ex his,
quae soltnl slabilire relationem, sicut dextrum et sinistrum , in dextro enim non est
qualitas nee aliquid aliud certum, per quod jial relalum comparalione , nisi ipsa
dextrarietas ; et alia sunt relaliva, quorum unumquodque opus habet aliquo, pei'
quod referalur ad aliud, sicut amator et amatum Quod aulem remansit de
relalione , hoc est, scilicet ul sciamus , an telatio una numero el subiecto sil inier
duo Habens duos respeclus, sicut quidam et plures ex Itominibus pulaverunl, quod
(zu lesfn auf) in relalione uminuiuodquc relalivorum liabeal proprictatem. Dicum
igilur, quod unumquodque relativorum in sc habet inlenlionem respeclu allerius, quae
non est Ma intenlio, quam habet in se aliud respectu illius ; el hoc est manifestum
in rebus diversis, secundum quod pulet per diversitatem nominum (f. 83. v. A)
Quod autem diliijenter considerandum est, hoc est, scilicel ul cognoscamus, si relatio
in se habet esse in singularibus rel est aliquid, quod non formatur nisi in intellectu.
Ex hominibus aulem quidam fuerunt, qui tenuemnt, quod certiludo relalivorum
non est nisi in anima , cum inlelliguntur res ; et alii dixerunt , non, imo relalio est
quoddam, quod est in singularibus Id autem, per quod solvuntur islae duae
viae , hoc est, ut redeamus ad difßniendum ad aliquid absolute. Dico igilur , quod
ad aliqnid esl, cuius quidditas dicilur respcclu allerius, et quidquid fueril in signatis
hoc modo , ut secundum quiddilatem suarn non dicatur nisi respectu allerius,
illud est ad aliquid. Si autem ad aliquid habuerit aliam quidditalem , luve reslat,
ul determmemus , quod habeat de inlenlione inlellecta respeclu altcriui ; illa enim
inlenlio cerlissime esl de inlenlione intellecla respectu altcrius, alterum enim non
inlel/igilur nisi respeclu allerius causa huius intenlionis.
207) Albert. M. De praedicam. IV, 7, p. 149 A: Simul sunl (sc. relativa) natura
in hoc, quod secundum quod rclala sunt, in esse el non esse sicut in ortu et
occasu , ut dicit Avicenna, simul sunl ita, quod posito uno in esse, secundum quod
relalivum est, et positum est aliud, secundum quod referlur ad illud.
23*
356 XVJ. Avicenna.
wegung gehöre, äussert sich Avjcenna al>weichend von Alfarabi (Anm.
36), indem er den Begrifl' des Ueberganges von Möglichkeit zu Wirk
lichkeil nicht mit jenem der Bewegung verwechselt wissen will und es
sonach verneint, dass die Bewegung in der Kategorie der Suhstaiiz auf
trete, wohingegen er zu den auch schon hei Alfarahi heigezogeueu
Kalegorien der Quantität und der Qualität und des Ortes auch noch die
Kategorie der Lage hinzufügt 20S), unter welch letztere (nicht unier die
des Ortes) er die Bewegung der Himmelskörper subsumirte 209).
In der Lehre vom U r t h eile begegnen wir auch bei Avicenna
den üblichen exegetischen Erörterungen über die Definitionen der vox 21U)
oder des nomen 2 ' l) , wobei bemerkt werden mag, dass er bezüglich
des nomen iii/iitiliiiii, die sog. Infinilalion (d. h. Hinzufügung des nort)
hei den allgemeinsten Worten nicht mehr für zulässig hielt, da ober
halb derselben es keine allgemeineren Begriffe gibt212). Die Inhärenz
des Prädicntes im Suhjecte scheint er wie Alfarabi (Anm. 39) gefassl
208) Sufßc. U, l, f. 23. r. A: Nulla enim caleuoria eil, quae non habeat exitt/
ut de polentia sua ad suum e/fcclum, aut in subslanlia , sicut exilus hominis ad
e/feclum, poslguam fueril in polenlia, aut in quulitute, aut in ad illiquid ,
auf in iilii , sicut elevatio sursum in e/feclu post potenliam , aut in quando , sicut
exilus antiqui ad e/fec.lum de potcntia, aul in situ, simulier in nähere, simililer
in agere et palt. Sed intelleclus, in quo cnnveneruttl antiqui in 10,11, uppellandi motum,
non est Me , in quo eonveniunl omnes isli modi exeundi de polenliu ad effectum,
sed Me , qui est molus exeundi non subito, sed gradatim, et hie non convenit
nisi certis categoriis et nos declarabimus poslea, quae sunt calegoriae, in
quibus possibile est cadcre hunc exitum (c. 2, f. 24. v. B) Jam dissenserunt
in collalione motus ad categorias.; quidam enim dixerunt, quod molus est praedicamenlum
patiendi ; alii vero dixerunt , quod hoc nomen molus cadit super mnneries
(über dieses Wort s. Abschn. XIV, Anm. 87.), quae sunl in illo sola casuali participatione
nominis; quidam elenim dixerunl, quod hoc nomen molus est nomen commune,
sicut verbum esse et accidenlis Maneriae vero, quae continentur sub
nomine molus , sunl . species aul maneriae praedicanientorum , quia de übt .... est
molus in loco , el de quält est motus alleralionis , et de quanlo .... est molus
augmenli et diminulionis ; et forlassc atiquis eorum perdurabil in senlentia sua ila,
ut dical, quod est molus in subslanlia , scilicet yeneratio et corruptio
(f. 25. r. A) l'ossumus autem declarare falsitalem utriusque senlenliae
(c. 3, f. 27. r. A) Jam enim ex praemissis patuil, quod motus non cadil nisi in
quatuor praedicamenlis , quac sunl quantilas et qualitas el übt et situs. Jam aulem
cognovislis collationem molus ad praedicamenla.
209) Levi Gvrson , l'racdicam. !. 30. v. A : II 1.1:1.1 Avicenna , quod motus corporum
coelcxtium est in praedicamento situs.
210) Albert. M. Ptriherm. l, 2, l, p. 242. A: Prupler quod dicit Avicenna,
quod vox lilterala sine placito instiluenlis nilül siijniftcal penilus; quia tarnen allen
non facit sii/num de re nisi sub ilelcrminala fiyura vocis cerlificaliva , ideo oporlel
lalem vocem esse lilteralam, quia nonnisi sub elemenlis lillerarum liabenl figurae
certiludinem, sine quu certituäine non polest esse rei certum signum.
211) Mlirml. 2, 4, p. 247. B: Quod autem dicitur ,,cuius nulla pars esl significaliva
separata", .... huec causa est, ut dicit Avicenna, quia inslilutio esl causa
significationis in nomine, non esl autem inslilulum , ul pars aliquid significet separala,
sed ul tolum significel lolum, et ideo pars nihil significal.
212) Ebeod. 2, 5, p. 251. A: Cum nomen infinitum privet inferiorem formam
ftnitam et relinquat superiorem infinitam, el hoc nomen ,,ens" superius nihil habeat,
proprie infinilari non polest; similiter aulem est de aliis nominibus ,,unum, res,
aliquid", ul dicit Avicenna.
XVI. Avicenna. 357
und ebenso betreffs eines controversen aristotelischen Beispiel-Salzes
sich an denselben (Anm. 40) angeschlossen zu haben. Die sog. logi
sche Qualität der Urlheilu besprach er im Hinblicke auf den faelischen
Bestand des Ausgesagten in einer Viertheilung213), bei der Quantität,
aber kam er zu der gleichen Auffassung, welche wir schon liei Aba'lard
(Abschn. XIV, Anro. 318 u. 327) in allgemeinerer Anwendung trafen;
nemlich Avicenna bezeichnet die Worte „otnntV und „nullus" ent
schieden als hlosse Zeichen (signa) einer Art und Weise des Ausspre
chens, wornach dieselben nur ausdrücken, dass irgend l'articulares
universell verslanden sei214). Von noch grösserer Wichtigkeit für die
Lateiner war es , dass Avicenna hei der Frage über die Einheit des
Urlheiles die Unterscheidung aufstellte, dass sowohl im hypothetischen
als auch im disjuncliven Urtheile ein einheitlicher Gedanken-Nexus be
siehe, hingegen das copiilnlive Urlheil nichl als Eines, sondern als
blosses Aggregat bezeichnet werden dürfe215).
Was den Inhalt der ersten Analytik betrifft, so äussert er sich
einmal gelegentlich darüber, dass im Syllogismus nicht die Prämissen
für den Stoff des Schlusssatzcs oder lelzterer für die Form der ersteren
gehalten werden dürfe, sondern die Prämissen nur der Sloft" des ganzen
einheitlichen Syllogismus seien216). Sodann aher begegnen wir bei
ihm jenen nemlichen exegetischen Controversen, welche wir hei Alfarabi
(Anm. 45 f.) trafen , neinlich sowohl über das Verhällniss der Urtheile
des Slallfmdens y,u den modalen 217) als auch über die Umkehriing der
Möglichkeils- und Nolhwendigkeils-Urlheile 2 18). Bei Erklärung der' be
treuenden aristolelischen Slelle über die hypothetischen Schlüsse gieng
213) Klii'inl. 5, l, p. 26Ü. A: Dicit enim Avicenna, qnod isla qualuor sie diversißcantur
, quia contingil , quod esl, enunttare esse, in affirmaliva cnunlialione ;
et conlingil, quod esl, non esse enunliare , in eiusdem negativa; et contingit enuntiare,
quod non esl, esse, in afßrmatii'a negative npposila ; el conlingit enuntiarc,
quod non est, non esse, in negalione negalioni opposita.
214) Ebcnd. p. 261. A: Hoc enim signum dislribulivum , quod est ,,omnis",
non esl universale proprie loquendo, sed esl signum, per quod slat pro particularibus
universalster universale, cui lale signum esl adiunclum el ideo ,,omnis" el
„nullus" el huiusmodi signa universalia non sunl, sed sunt siynn designanlia, ulrum
universale sil acceptum universalster vel parliculariter secundum sua supposila. El
kaec sunl verba Avicennae.
215) Ebend. 4, 2, p. 258. B: Coniunelione aulem unae sunl (sc. enunliationes),
in quibus consequenlia , quam notal coniunclio, fatit umtalem, el hoc non est nisi
in conditionali el disiuncliva, el secundum Iloclhium el Avicennam el Alyazelem
istae duae solae coniunctiones faciunl unum coniunclione enunlialioncm, el non copulaliva,
quia in eopulalis nulla esl unilas nisi aggregalionis , quae simpliciler ett
pluralitas et non unilas.
216) Melaph. VI, 4, f. 93. v. A: Jam aulem posuerunl iiuidam proposiliones
simulier maleriam condusioni. El esl error; immo proposiliones sunl maleria fiendi
syllogismi , conclusio vero non esl forma proposilionum , sed quoddam, quod comequitur
ex illis, quae proposiliones efficiunl in n in um.
217) Ps.-Axerr. Quaes. in Prior. Rcsol. f. 362. r. A n. 364. r. A.
218) Ebend. f. 363. r. A: Avicenna dubilal contra jihilosoplmm , qnatido dixit,
quod parlicularis afßrmaliva conlingens converlalur conlingens , et quod neccsxaria
particularis afftrmativa convertalur necessaria u. s. f et conlradicil suo sermoni
per materias.
358 XVI. Avicenna.
Avicenna noch viel weiter als Alfarabi (Anna. 48) , mit welchem er in
diesem Punkte auch nicht übereinstimmte; .er warf sich neinlich mit
höchst spitzfindiger Einseitigkeit auf eine Erklärung der Urtheilsform,
wornach er nur das einfache Diclum de omni als kategorisches , hin
gegen die Form „Alles, was B ist, ist A" als ein zusammengesetztes
und hypothetisches Urtheil betrachtete, sowie entsprechend beim Diclum
de null» eine disjunctive Urlheilsform sich einstelle, und indem er auf
solche Weise die kategorischen Urtheile in hypothetischer Form aus
drückte , ordnete er dieselben nach den drei Schlussfiguren , wobei er
auch Mischungen aus kategorischen und hypothetischen Prämissen zuliess,
so dass diese unnatürlichen Schlussweisen, welche er „combinationes"
nannte, sowohl von ihm selbst als auch von Anderen für eine
bedeutsame neue Ergänzung der aristotelischen Syllogislik gehalten
wurden219). Wirklich angewendet finden wir diese Neuerung in dem
einen ausführlicheren Compendiuui Avicenna's 22°), während er in dem
kürzeren nur die bei den Commentatoren (Abschn. XI, Anm. 166) üb
lichen hypothetischen Schlüsse aufzählt221). — In einer völlig verein
zelten Notiz ist uns berichtet, dass Avicenna die logische Bedeutsamkeit
219) Ebend. f. 363. v. B: Dicere enim A de omni B esl praemissa una categorica
, dicere vero ,,omne quod est B, est A" est praemissa condilionalis et
secundum vcritatem composita ex duabus calegoricis El hine erravit Aricenna
el opinalus est, quod inveniantur alii syllogismi praeler syllogismos categoricos et
praeler conditionales et vocavil illos combinaliones el posuil numerum illorum secun
dum numerum calegoricorum aut prope caleyoricos; ille enim consideravil propositiones
categoricas et eas expressit expressione condilionalium et composuit ex illis
oraliones ad composilionem trium figurarum et immiscuil etiam categoricas cum Ais,
scilicet cum conditionalibus el conslituil illud compositione quodam modo, quo opi
nalus est ipse et omnes, qui eum imitali sunl, quod supcraddidcril Aristoteli mullas
species syllogismorum. Hos aulem syllogismos non invenil noviler Avicenna, cum
illi inveniantur apud quosdam Christianos philosop/tos , non apud aliquem peripateticum
(möglicher Weise könnte der unkritische Berichterstatter aus dritter Hand
Einiges über Boi'thius gehört haben und somit fälschlich hier die oben Abschn.
XII, Anm. 155 ff. , angeführten Schlusswcisen meinen). Ebend. f. 369. v. A :
Avicenna vero consenlit huic rei, seil non admillit exposilionem ipsius Abimazar -
(ß) Conslituto aulem hoc de proposilionibus condilionalibus , videlicel quod quaedam
ipsarum sit Simplex el est illa , cuius vis est vis unius propositionis calegoricae, et
quaedam esl composita et est, cuius vis es( vis syllogismi categorici, propinquum est
intelligere, quod id, quod Avicenna putat, quod hie sit lerlia species tyllogismonim
non calegoricorum nee condilionalium, non sil scrmo vcrus (f. 370. r. B)
Jiirum aulem esl de Avicenna, quod ipse posueril arnbas res, scilicet quod ipse conftteatur
, quod omnis proposilio conditionalis possil reddi categorica et simililer omne
quaesitum conditionale jiossil reddi calegoricum, et Herum ponit , quod sint quidam
syllogismi, qui companuntur ex congruenlia syllogismorum, qui sunt ex calegoricis.
Et mora circa hoc est supervacanea, prout fecil Avicenna Devenil in confusionem
circa hoc capitulum, nam induxil in ipsum syllogismos praeter naturam,
h. e. quibus non ulilur humana cogitalio naluraliler et similiter hie vir numeral
inter species condilionalium coniunctarum quasdam proposiliones praeter naturam,
quas vocat althaphkias , i. e. connexas , prout dicilur ,,ditm homo esl, equus est",
et ait, quod hae sint verae conlingentes el sie eliam numeral inter propositiones
contradiclorias lales proposiliones, proul esl oralio dicenlis ,,aut homo esl
aut vacuum".
220) Bei Vatlier p. 129 ff.
221) Bei SchmOlders, Doc. p. 35.
XVI. Avieenna. 359
des bei Aristoteles besprochenen Indiciums (an](iclov, s. Abschn. IV,
Anra. 649) bestritt222).
Für den Umkreis der zweiten Analytik besass er sicher eine
umfassende Vorarbeit in der oben erwähnten Schrift Alfarabi's, scheint
sich jedoch derselben gegenüber auch die Freiheit eigener Ueberzeugung
bewahrt zu haben. Während er sieh betreffs des Zusammenhanges
der zweiten Analytik mit der ersten (s. Ainii. 51), sowie in comuientirenden
Erörterungen über die im Mitlelbegrifl'c liegende Causalität 223)
und über das sog. praediralum primum224) an Alfarabi (Anni. 54 u.
57 f.) anschloss und mit demselben (Anm. 60) auch die Auffassung
oberster Principicn der Demonstration theilte225), stand er in einer
ziemlich principiellen Frage (vgl. Anm. 62) ganz allein, insoferne er die
Gültigkeit der „demonslralio quia" von vornehnrein darum bestritl, weil
in derselben der Mittelbegrill' nur Accidens des Unterbegrifl'es sei, und
hiernach ausschliesslich die „demonslralio propler quid" als alleiniges
demonstratives Verfahren gelten liess 226). In den Erörterungen über
die Definition selbst, welche er in seinen Gompendien an den Schluss
des Ganzen stellte 221), musste er wieder auf seine Auffassung der
Universalien zurückkommen, und dass er das definitorische Wissen in
aristotelischem Sinne verstand, ersehen wir aus seinen hierauf bezüg
lichen Aeussernngen in der Metaphysik, denn er bekämpft dort die
Annahme, dass die Definition das Product einer hlossen Zusammensetzung
aus Gattungsbegriff und artmachendem Unterschiede sei 228), und ebenso
222) Averr. Poster. Resolut, f. 146. r. B: Negavil Aben Sina hanc sjieciem demonslralionum,
h. e. signa.
223) Averr. a. a. 0. f. 131. v. A. Ps.-Averr. Quaes. in Post. Resol. !. 375. v.
A u. f. 380. r. A.
224) Ps.-Averr. a. a. 0. f. 373. r. B.
225) Albert. M. Top. l, l, 2, p. 663. B: Fides enim esl assensus in ipsum
respondentis, propler quod lalia principia prima communes animi concepliones vocanlur,
ul dicil Avicenna, quod slalim assentit eis animus audienlis , propler quod
etiam indemonslrabilia talia dicunlur; haec igitur sunl principia. demonslrationis, ex
quibus demonslrativus fit Syllogismus. Vgl. bei Sc/imöl/lers p. 37. und bei Vallier
f. 198.
226) Averr. Poster. Resolut, f. 158. v. B: Et haec divisio demonslralionum esl
res per se nota ; hanc enim posuerunt omnes homines istius artis praelerquam ipse
Aben Sena, qui mentionem fecit de demonslralione existentiae et cxistimavit, quod
est demonslratio nun vera, et voluit hoc, cum dixit, quod posteriora composita ex
rebus prioribus non constant esse essentialia rebus prioribus, nisi cum consliteril
causa, propter quam constat postertus ex priori. Ps.-Averr. Quaes. in Post. Res. f.
377. v. B: Avicenna non mcminit de demonstralionibus „quia", et haec est, dian
subiectum ipsarum fuerit composilum , non simplex ; nam ijise putavit , quod demonstrationis
,,quia" medii termini sint accidentia minoris exlremi (f. 378. r. A)
Smno aulem Avicennae dicens , quod, cuiuscunque necessitas esl ob aliquum cuusarum,
illa necessilas sit illius , dum noverimus illam causam, esl propositio, quam
nos concedimus Avicenna itaque , ex qw> miplicila esl apud ipsum in demonstratione
,,quia" scientia per causam, pulavil, quod ibi rton occurral ei nomen verae
scientiae. Vgl. bei Vallier p. 228.
227) Bei Vallier (p. 232 IT.) folgt nur noch die Sophistik nach der Lehre von
der Definition, hingegen bei Schmölders (p. 41.) bildet letztere, nach der Sophistik
folgend, den Schluss.
228) Metaph. V, 5, f. 89. r. B: Polest aliquis dicere, quod diffinilio secundum
360 XVI. Avicenna.
wiederholt er die Angaben des Aristoteles (Abschn. IV, Anm. 496 ff.)
in der Frage über Hie Tlieile der begrifflichen Form und die Theile
des Stoffes229).
Was endlich dieTopik und Sophistik betrifft, so ist zu beach
ten , dass Avicenna , obwohl er bezüglich des wechselseitigen Verhält
nisses zwischen der ersten und der zweiten Analytik mit Alfarabi über
einstimmte (Anm. 223), dennoch zwischen beide das ganze Gebiet der
Dialektik darum einschieben wollte, weil auch in der praktischen An
wendung des logischen Denkens das demonstrative Verfahren erst nach
dem Dialektischen den Schlussstein bilde 23°). Auch mag etwa noch
erwähnt werden, dass er unter dem Vorbehalte der traditionellen Ge
sichtspunkte der blossen Wahrscheinlichkeit oder beziehungsweise der
Unsittlichkeit der beiden üisciplinen , nemlieh der Topik und Sophistik,
eine Universalität der Gegenstände, welche in sie beigezogen werden
können, zugesteht 231), sowie dass er ähnlich wie Alfarabi bei einzelnen
hoc, quod consenliunl auctores artis, composita esl ex gcnere el differentia , quorum
unumquodque discretum est ab alio, et iitraeque partes sint diffinitionis , diffinitio
aulem non esl nisi quiddilas difftniti ; ergo intenliones, quae signißcantur per genus
et differenliam, taliter se habent ad naluram speciei, qualiter ipsa ad diffinilionem,
unde cum ila sil, non eril verum, praedicari naturam generis de natura speciei,
quoniam pars eius est. Ad quod dicimus, quia cum nos difftnimus dicentes verbi
gratia ,,komo est animal rationale", non volumus in hoc, quod sit roniunclio ex
animali el rational! , sed volumus in hoc, quod ipse esl animal, quod est rationale;
quasi enim animal in se quoddam esl , cuius esse non esl delerminatum , nisi cum
ipsum animal fuerit rationale.
229) Ebend. c. 7, f. 90. v. B : Dicemus , quod plerumque in difftnitione sunl
partes diffinili ; cum autem dicimus , quod genus el di/ferentia non sunt duae parles
speciei in quiddilale , non esl hoc, quasi dicamus , quod species non habet partes;
species enim partes habet, cum fueril ex aliquo modorum rerum , scilicet vel ex
accidenlibus secundum quanlilales vel ex subslantiis secundum composita. Unde,
secundum quod uide.lur , parles diffinitionis sunl priores difßnilo; conlingit autem
alicubi ficri e contrario; cum enim voluerim difßnire portionem circuli, diffiniemus
eam per circulum , el t.um voluerim difftnire digilum hominis , difßniemus per hominem
Haer, igitur omnia non sunl parles rei secundum quiddilalem eius , sed
secundum materiam el subiectum eius.
230) Aren. Posler. Resolut, f. 127. v. A: Exislimaverunt autem nonhulli, quod
quemadmodum melius esl, ut primo inquiramus de aliquo intelligibili el investigemus
per viam dialectices, poslea sequatur inquisilio demonstrativa, ita melius sit in
doclrina, ut incipiamus a libro dialeclices post partem communem, deinde sequatur
über de demonstralione. Srd quod exislimaverunl, non se habet ita, ut praecedat
cognilio modorum proposilionum probabilium cognitionem modorum proposilionum
verarum, quoniam condilioncs, quibus proposiliones verae ordinanlur, sunt aliae a.
conditionibus, quibus proposiliones probabiles ordinanlur, quoniam ordines probabilium
sunt secundum consueludinem cinlatum et populorum (vgl. Anm. 13.), ordines autem
verarum sunt secundum condilionem unam, ut videliccl sinl cssenliales; el proplerea
consimililer cognitio ordinum propositionum probabilium non esl universalis (s.
Anm. 318.) respectu ordinum proposilionum verarum Et ideo erravil Ali Sena
errore manifesto, quod exislimavil , quod dialectica praecedal artem dcmonstralionis,
eo quod accidit, proposiliones primas intelligibiles esse eliam probabiles. Dass eine
solche Anordnung des Stoffes schon bei den griechischen Commentatoren in Vor
schlag kam, s. Abschn. XI, Anm. 128.; jedoch dürfen wir auch nicht unerwähnt
lassen , dass Avicenna wenigstens in jenen beiden Compendien , welche uns vor
liegen (bei Vatlier und hei Schmölders) sich an die gewöhnliche Reihenfolge hielt.
231) Melaph. I, 2, f. 71. r. A: Haec aulem scientia (d. h. prima philosophia)
XVI. Algazeli. 361
Punkten wegen seiner commentirenden Thätigkeil von Anderen erwälmt
wird 232).
Die Leistungen Alfarabi's und Avicenna's scheint Algazeli (Abu-
Hamed-Mohainmed-llm-Moliiiinmed-el-Gazali, geb. 1058, gest. 1111) le
diglich nur herübergenommen und benutzt zu haben, denn seine Ten
denz lag in einem Skepticismus , welcher als Mittel zum Mysticismus
dienen sollte, und in dinsem Sinne bearbeitete er auch die üblichen
Zweige der theoretischen Philosophie nur als eine Vorstufe seiner „Deslruciio
philosophorum" 233). Somit werden wir in demjenigen , was
von Algazeli dem Mitlelalter bekannt war und auch uns in lateinischer
Ueberselzung vorliegt234), nur eine Wiederholung und Bestätigung der
bisher betrachteten arabischen Auffassungen finden, und selbst da, wo
scheinbar Neues sich zeigt, dürfen wir wohl nur Ergänzungen jener
Berichte erblicken , welche über Alfarabi oder Avicenna uns theilweise
unvollständig zur Hand sind.
So stimmt Algazeli nicht bloss in der Frage über die Eintheilung
der Wissenschaften vollständig mit Avicenna (Anm. 71 ff.) überein235),
sondern folgt auch seinen Vorgängern in der princLpiellen Zweilheilung
der Logik (Anm. 16 u. 77); indem nemlich auch er das unmittelbar
sinnliche Verständniss (imaginalio) auf d;is ein/.elne Wort und ent
sprechend das beifällige Ufberzetigtsein (credulilas) auf die Satz-Ver
bindung bezieht236) und bei beiden die doppelte Möglichkeit berückcommunicat
cum topica et sophislica simul in aliquilus et differt ab eis simul in
aliquibus Communical enim cum eis in hoc, qttod de eo, quod hie inquiritur,
iin/liix actor singularum scientiarum tractat nisi topicus et sophislicus. Differt vero
ab eis. simul in hoc, quod philosophus primus, in quatilum esl philosophus primus,
non loquilur de quaeslionibus singularum scientiarum, isti vero loquunlur. Differt
etiam a topico per se in forliludine vel polenlia co , quod verbis lopici acquirunt
opinionem, non cerlitudinem , sicut nosti ex magislerio logicae, Di/fert eliam a sophistico
in volunlate eo, quod hie quaeril ipsam verilatem, iUe vero quaerit putari
sapiens in diclione vcritatis , quamvis non sil sapiens. S. Anm. 380.
232) Z. B. Averr. Top. f. 298. v. B und fs.-Averr. Epilome f. 357. r. A.
233) S. Munck, Diclimn. H, p. 506 ff., woselbst nicht -bloss schlimme Irrthümcr,
welche Schmölliers (Essai sur l. ecol. phil. p. 220.) begierig, nachge
wiesen werden, sondern auch die Annahme Heinr. Bittcr's, dass Algazeli bei Ab
fassung seiner Logik noch nicht auf seinem späteren ekstatisch-mystischen Stand
punkte gestanden sei, ihre Berichtigung findet; denn Munck thcilt aus dem arabischen
Originale des Makdcid (d. h. der Logik) die Eingangs- und die Schluss-Worte
mit, aus welchen hervorgeht, dass Algazeli auch in der Logik nur Referent sein
wolle, um hernach alle theoretische Philosophie zu bekämpfen; dieselben lauten
nach Munck's Uebersetzung: H m'a donc paru necessaire, avanl d'abordar la rtfutation
des philosophei, de composer un traue' oü j'exposerai Its tendances ge'ne'rales
de leurs sciences , savoir de la Loyique, de la Physique et de la Melaphysique, sans
pourtant distinguer ce qui est vrai de ce qui est faux , car man but esl uniquement
de faire connaitre /es resultats de leurs paroles, und am Schlüsse: Nous commencerons
apres ce.la le livre de la „Destruflion des p/iilosoplies", d fin de montrer clairemenl
tout ce que ces doclrines renferment de faux. Die „Deslruclio philosophorum"
selbst jedoch behandelt keine logischen, sondern nur sechzehn metaphysische
und vier physikalische Fragen.
234) Logica et Philosophie*. Algazelis Arabis. Venet. 1506. 4 (übersetzt von
Liechtenstein).
235) De divisione scientiarum als Cap. 1. der ,,Philosophia".
236) Logica, Cap. 1. (das Buch ist nicht paginirl): Incipit Logica Algazelis
362 XVI. Algazeli.
sichtigt, ilass sie entweder an siel) selbst schon Klarheit und Gewissheit
enthalten oder erst noch einer weiteren Begründung bedürfen 237), so
führt ihn der letztere dieser beiden Fälle auf die Notwendigkeit des
Definirens für das Versländniss und des Argumentteils für das Ueberzeugtsein
238), wornach für diese beiden Functionen eine specielle
Wissenschaft, welche allen übrigen vorausgehe, auf Grundlage der Natur
dfes menschlichen Denkens erforderlich sei 239). Neinlich wenn vom
Bekannten zum Unbekannten fortgeschritten werden solle (vgl. Anm. 15
u. 80), und hiebei jedwedes gesuchte Unbekannte aus dem ihm ver
wandten und eigentümlichen Bekannten zu erörtern sei, so gebe es
für das Zustandekommen des Wissens zwei Wege, deren Einer zur
Definition und Beschreibung und der andere zu Syllogismus, Induction
und Exemplification führe240), und für beide werde in der Logik die
Begelrichtigkeit dargelegt241), so dass, wenn der Zweck aller Wissen
schaft in Vervollkommnung der Seele und biemit in ewiger Glückselig*
keil liege (vgl. Anm. 13), aucli die Logik mittelbar diesem höchsten
Zwecke diene 242).
Indem aber unter jenen beiden Aufgaben der Logik die zweite,
de his , quae debenl praeponi ad intelligentiam logicae et ad oslendendtmi utililales
eius et parles eius. Capitulum primum. Quamvis scientiarum multi sint rami, duae
tarnen sunt proprielutes , imayinalio et credulilas ; imaginalio est apprehensio rerum,
quas significant singulae dicliones ad intelligenditm eas et ad cerlißcandum ;
credulilas vero est sicul quod dicitur ,,mundus cepit" Necesse est aulem, omnem
credulitatem praecedant ad minus duae imaginationes.
237) Ebend.: Quod aulem imaginatur statim sine inquisitione, est sicul ,,ens",
„aliquid", ,,res" et similia; quod vero non imaginatur sine inquisilione, est
imaginatio rerum , qtiarum essenliae sunt occultae. Credulitas vero , quae statim
apprehendit sine inquisitione, est velul scienlia haec, quod duo sunl plus quam
unum, i'l multa alia de sententiis, in quibus retinendis omnes conveniunt sine
praecedenle inquisitione , quae comprehendunlur in tredecim speciebus , de quibus
postea loquemur (Anm. 276 ff.) ; credulilas autem, quae non apprehenditur sine in
quisilione, est velul haec, quod muridus cepit.
238) Ebend. : Quidquid autem non polest imaginari sine inquisitione, non polest
apprehendi sine difftnitione , et quidquid non polest credi sine inquisitione, non po
lest apprehendi sine argumentatione.
239) Ebend.: Manifeslum est igitur ex hoc, quod omnis scienlia non acquiritur
nisi per aliquant scienliam, quae praecedit, et hoc non lendil ad infinilum.
num nccesse est, ul haec perveniant ad prima, quae sunt stabilia in nattira intellectus.
240) C. 2.: Postquam autem manifeslum est, quod ignolum non polest sciri
nisi per nolum , et conslal, quod per unum aliquid nolum non polest sciri quodlibet
ignolum, sed quodlibel ignolum habet aliquid proprium notum sibi conveniens , quod
eil via pcrveniendi ad aliud , .... tunc quod inducit ad cognoscendas scienlias imaginalivas,
vocalur diffinitio et descriplio, quod tero inducit ad scientias credulitatis,
dicitur argumenlatio , argumentalio autem alia est Syllogismus alia inductio alia
exemplum.
241) Ebend. : Scienlia vero logicae dal regulam , qua discernilur , an difßnitio
et Syllogismus sint vitiosa annon ad hoc, ul discernatur scientia tera a non vera.
242) Ebend. : Dicemus, quod omnis ulililas vilis est in comparatione felicilatis
aelernae, quae esl felicilas alterius vitae, haec aulem felicitas pendet ex perfeclione
animae Non est aulem via devcniendi in scienliam nisi per logicam ; ergo
utililas logicae esl appreliensio scientiae, ulililas scientiae est acquisitio felicilalis
aeternae.
XVI. Algazeli. 363
nemlich die Argumentation, die hauptsächlichere sei, alle Beweisführung
aber auf einer Zusammensetzung von Urtheilen beruhe, so ergebe sich
die Gliederung der Logik nach dem Motive des Aufsteigen* vom Ein
fachen zum Zusammengesetzten 243). Somit bezeichnet Algazeli als
maleria prima der Logik die significalio diclionum, welche er
nach fünffacher Einteilung (vgl. Anm. 21) in grosser Ausführlichkeit
erörtert, indem er als ersten Gesichtspunkt das von Avicenna Anm.
105) hierüber Gesagte vorführt244), sodann die Unterscheidung in ein
fache und zusammengesetzte diclio folgen lässt245), hierauf aber als
dritte die Tbeilung in das Universale und das Singuläre anreiht, wobei
er bezüglich der Definition des ersteren sich wörtlich an Avicenna anschliesst
24ti); der vierte Gesichtspunkt beruht auf der grammatischen
Einlbeilung der Worte 24'), der fünfte aber belrill't die Begrill'e des
Synonymen u. dgl. 248), auf welche er für die Kategorienlehre wohl
ebenso wenig Gewicht legte wie Avicenna (s. Anm. 191); hingegen
mochte er durch dieselben den Uebergang zur Isagoge angebahnt linden,
insoferne er in gleicher Weise wie Avicenna daran festhielt, dass die
fünf Universalien nur nach innerer Wesensbestimmlheil, d. h. univoce,
ausgesagt werden 249).
Jedenfalls liess er als maleria secunda hierauf den Inhalt der
Isagoge folgen, wobei er wieder an Avicenna nicht bloss in der ver
gleichenden Bezugsclzung der Universalien auf das Particuläre (vgl. Anm.
107), sondern auch in der principiellen Unterscheidung zwischen essentiale
und accidenlale (Anm. 92 ff.) sich ansohloss, jedoch in letzterer
Beziehung einige Momente hervorhob, deren Erörterung bei seinen Vor
gängern sicher gleichfalls sich gefunden haben rauss, wenn auch unsere
243) C 3. : Partes logicae et ordo eitrum cognoscuntur ex ostensione suae intentionis;
intenlio vero est diffinire et probare et discernere vitiosa a non viliosis
sive vera a falsis. Ex his autem quod est magis necessarium, probatio est, quae
quidem composita est Inquisitor scienliae compositi dicitur primum apprehendere
scientiam partium. Unde sequitur, ut primum luquitlur de dictiunibus et quomodo
significant inlellectus, deinde de inlellectibus el eorum divisionibus , deinde de enunliatione
eomposila, scilicel de praedicalo et stibieclo el de eins speciebus, ud ullimum
de probatione , quae fit ex dualius enunlialionibus.
244) Ebend. : Maleria prima est de siiinißcatione diclionum , quae cerlificalur
quinqtif divisionibus. Divisio prima est, quod dicliunes sirjnißcanl intelleclum Iribus
modis. Uno secundum parilitatem .... alio sccundum consequentiam terlio secundum
concomilanUam.
245) Ebend.: Divisio secunda est, quod dictio dividitur in complexum et incomplexum.
246) Ebend.: Divisio tertia: dictio dividilur in sinyulare el universale; singulare
est, cuius signißcalio prohibet illud a multis participari ; universale est,
cuius significalio non prohibel illud a multis participari (auch die Soane wird wie
bei Avicenna, Anm. 89., als Beispiel eines möglichen Universale angeführt).
247) Ebend.: Divisio quarla est: dictio dividilur in actionem, nomen et coniunctionem
, logici autem actionem verbum vocanl ; unumquodque aulem nomen et
verbum di/ferunl a coniunctione , eo quod signißcalio cuiusqui: eorum plana esl per
se, quod non habet per se coniunctio.
248) Ebend. : Divisio quinta esl , quod dicliones in esse rationum sunt quinque
modis, sunl enim univoca, mu/tii'oca, diversivoca, aequivoca, convenientia .
249) S. die in Anm. 91. angeführte Stelle.
364 XVI. Algazeli.
lückenhaften Quellen hierüber schweigen; nemlich das essentiale sei
dasjenige, was nolhwemlig gedacht werden müsse, während die Existenz
das gleichgültige Zufällige sei, und ferner nehme das Universale eine
Priorität des Gedachtwerdens für si<;h in Anspruch, sowie auch andrer
seits das Essentielle einen Gegensatz gegen die concrete Position des
Daseins in sich schliesse 25°). Indem sodann die nähere Eintheilung
des essentiale und des accidenlale folgt, lässt sich hinwiederum Algazeli
bezüglich des Letzteren durch die wolilbegründeten Bedenken Avicenna's
i Aiini. 156 ff.) nicht beirren, sondern hält sich an die Angaben des
Porphyrius 2äl), hingegen was das essenliale betrifft, stellt er das bei
Avicenna Entwickelle als zwei Einthcilungs-Gesichlspunkte nebeneinander,
indem er zuerst die relative Abstufung der Gemeinsamkeit, welche in
der Tabula logica liegt (Anm. 132), hervorhebt282), und sodann den
Unterschied der Fragen quid und quäle (Anm. 101 ff.) zum Eintheilungsgrunde
macht253), woran sich ihm ebenso wie bei Avicenna (Anm.
110) die Besprechung der Definition anreiht, bezüglich deren er sogar
250) Ebend. : Materia secunda esl de inlentione univcrsalium et de diversitatf
suarum composilionum vel comparalionum inter se et divisionum suarum Dicimus
ergo , quod omnis inlentio universales , mm comparalur ad partifulare contentum
sub eo, fei est essentialis vel accidentalis. Intenlio vero non esl essentialis
nisi ul conveniant sibi tria. Primum esl (folgen völlig unverständliche Worte)
, mm enim intelligis, quid est homo et quid est animal , non potes intelligere
hominem sine inlelleclu animaüs ; cum intellexeris , quid est homo, non est
necesse te intelligere, eum esse — et manifestaliitur libi, quia esse accidentale est
Omnibus Secundum est, ut possit intelligi, universale necessario esse prius,
posterius vero particulare contentum . sub eo vel in esse vel in intellectu; non
polest autein dici, quod ner.rsse est, prius esse risibile, deinde homo; ex hat
autem priorilate non intelligilur ordo tempnralis , sed ordo intellectualis , quamvis
sint paria in tempore. Tertium esl, quia possibile non esl, essentiale esse positi
vem; homo enim essenlialiler esl animal non propler positionern alicuius; si
enim propler posilionem alicuius homo esset animal, tunc possibile esset, iniaginari
nos passe, ponere illum hominem et non animal; clenim (der Text gibt et non)
risibile accidentale posilivum est, nam polest dici ,,quae res posuit hominem habere
esse risibile?", et haec interrogalio vero esl, sed non esl vera inlerrogatio , qua
quaerilur ,,quae res posuit hominem esse animal?" dicemus ergo, quod homo
est homo essenlialiler et homo esl animal essentialiter.
251) Ebend.: Alia divisio solius accidentalis ; accidenlale enim dividitur in
communicans separabile et in communicans omnino inseparabile Separabile vero
dividitur in larde separabile, ut pueritia ...., et in cito separabile, ut rubor
Inseparabile vero dividitur in inseparabile in aeslimatione non in esse, ut nigredo
aethiopi, et inseparabile in esse, ut parilas quaternario et indivisibililas puncto
Item accidenlale dividilur in id , quod est proprium subieclo, ....et in id, quod est
commune multis.
252) Ebend.: Ilem essentiale secundum consideralionem magis universalis et
minus universalis dividilur in illud , quod .... dicitur genus, et in id-, quod ....
dicitur species , et in id, quod esl medium ,....; id autem , sub quo non est minus
commune, dicilur species specialissima. et id, super quod non csl communitis, dicitur
ffenus generalissimum Substantia ergo genus esl generalissimum (folgt die arbor
Porphyriana).
253) Ebend.: Item essenliale secundum aliam consideralionem dividitur in id,
quod respondelur ad „quid est?", cum interrogans inlendit certi/icari de cssentia
rei, et in id, quod respondelur ad ,, quäle quid esl?"; primum autem tlur genus
vel species , secundum differentia.
XVI. Algaaeli. 365
gleich hier die üblichen praktischen Regeln zur Vermeidung von Feh
lern einfügt254). Sodann schliesst ef mit kurzer Nennung der fünf
Universalien diesen Stoff ab255); dass er aher dennoch anderweitig
auch die controversen Erörterungen üher die einzelnen Universalien
berücksichtigt haben imiss, ersehen wir aus obigen Quellenslell^n, wo
er sowohl bezüglich des Gallungsbegrifl'es neben Avicenna (Anm. 116)
als auch in den Fragen üher das Accidens neben seinen beiden Vor
gängern (Anm. 30 u. 160) angeführt wird. Was aber die Kernfrage
über die Universalien betrifft, so sind wir, wenn auch das uns erhaltene
logische Compendium Algazeli's hierüber schweigt, dennoch darüber
unierrichtet, dass derselbe trotz und neben aller mystischen Tendenz
die Universalien auf Grundlage eines Intelleclualismus auffassle; denn
es ist uns diess nicht bloss durch obige anderweitige Anführungen
(Anm. 22 u. 188), sondern auch durch eine Stelle seiner Metaphysik
bezeugt, in welcher er ähnlich wie Avicenna die Annahme bekämpft,
dass das Universale als Eines im Singulären exislire, denn als Univer
sale habe dasselbe nur im Denken seine Existenz 256).
Wenn uns ater bezüglich der Kategorien schon bei Avicenna
(Anui. 189) sich ein leises Bedenken aufdrang, wo dieselben in der
Logik einzureihen seien, so finden wir nun bei Algazeli die beachtens
werte Erscheinung, dass in dem ganzen Compendium seiner Logik die
Kategorien nicht mit Einem Worte erwähnt sind, wohl aber ihre Be
sprechung in der Ontologie, d. h. in der Metaphysik finden. Und so
dürfen auch wir uns auf die Miltheilung beschränken, dass Algazeli
sowohl mit seinen Vorgängern die Auffassung des ens Iheille (Anm. 32)
254) Ebend. : Diffinitio est id, quod facit imaginari quidditatem rei in anima
interrogantis ; diffinüione vero acquiritur verilas essentiae rei , unde nee polest
ßeri difftnilio nisi ex diffcrenliis substantialibus lantum. Descriptio vero sequilur,'
poslquam aliquando sil upposita una differentia; sed ueritas rei certissime non cognoscilur
nisi mullis differenliis Poslquam autem facta est cognilio diffmilionis,
faciam te cognoscere, quot inodis sil error in illa Haec sunt, quae in difßnilionibus
caveri debenl.
255) Ehend.: Palet aulem ex praedictis, quod essenliale dividilur in tria, quae
sunt genas, species et differenlio ; accidens vero dividilur in duo, proprium accidens
et commune accidens. Manifeslum est igüur , quod universale dioidilur in quinque,
quae dicuntur incomplexa quinque.
256) De divis. entis , c. 7. : Ens dividilur in universale el parliculare
Primum est quidem intenlio, quae dicilur universales. Suum esse est in inlelligibilibus,
non in singularibus. Quidam vero audientes hoc, quod dicimus , quod omnes
homines unus sunt in Immimilate, putaverunt, quod Itomo universalis sil
aliquid ens,unum numero existens in singularibus Hie autem primus error esl ;
• intellectus enim recipil formum hominis-, singuli enim homines non differunl
in humanitate ullo modo Id vero, quod concipitur de indinduo Petra, est
forma singularis in intellectu; secundum quod ipsa inlelligitur , universalis est ex
hoc , scilicel quod eius comparalio ad omne individuum , quod est et fuit et erit,
vinnii est Universale igitur, secundum hoc quod est universale, existit in inlellectibus
, non in singularibus ; . ... verilas enim humanitalis est in singularibus et
est in inlelligibilibus utrisque Universale non> polest habere plura singularia,
nisi unumquodque eorum discernatur ab alio differenlia vel accidente; si enim accipiatur
universalitas per se nuda sine aliquo superaddilo, quod adiungatur ei, non
polest imaginari in ea numeralio et singularitas.
366 XVI. Algazeli.
als auch an Avicenna (Anm. 199 ff.) in der Erörterung der Accidentalilät
der übrigen neun Kategorien sich anschloss 257).
Somit reiht er an die Isagoge unmittelbar als maferia lerlia der
Logik die Lehre vom Urtheile an, wobei er zunächst in der üblichen
Weise von den übrigen Satzarten das indicalive , d. h. logische, Urtheil
heraushebt268), in welchem er ebenso wie Alfarabi (Anm. 39) das
Verhällniss der Inhärenz des Priidicates besonders beachtet zu haben
scheint. Sodann aber wirft er sicfi für die nähere Darlegung sogleich
wieder auf das Motiv des Einlheilens, welches überhaupt bei ihm das
überwiegende ist. Zunächst theilt er die Urtheile in kategorische und
hypothetische, welch letztere in das verbundene (d. h. conditionale) und
in das getrennte (d. h. disjunclive) zerfallen sollen, und zwar bestehe
zwischen sämmtlichen drei Formen eine Analogie (vgl. Anm. 219), in
dem das Verhältniss zwischen Subject und Prädicat demjenigen zwischen
den zwei Gliedern des conditionalen und tlisjunctiven Urlheiles ent
spreche 259). Dass auch Algazeli wie Avicenna das copulalive Urtheil
ausschied, s. oben Anm. 215. Eine zweite Einteilung beruhe auf dem
inneren Gehalte des Prädicates, nemlich jene in bejahende und ver
neinende Urtheile, wobei jedoch nicht bloss bezüglich des kategorischen
das scheinbar negative Urtheil (privaliva) positiven Gehaltes zu beachten
sei, welches durch privative Sylben ausgedrückt werde, sondern auch
daran festgehalten werden müsse, dass bei dem conditionalen und disjunctiven
Urtheile die Negation zur Aufhebung der Verknüpfung diene260).
257) Ebend. c. 5.: Necessarium dividere accidcnlia Primum aulem dividitur
in duo, quoniam quaedam corum sunl, quorum essentia nullo modo per se polest
intelligi, nisi aliquid aliud exlrinsecus inlelligatur, et quaedam eomm sunl, quae
per se intelligi possunt; et haec dividunlur in duas species, qttanlilalem sdlicel el
qualitatem Ea vero, quae non possunl inlelliyi nisi respeclu aliorum, septem
sunl, scüicet relatio , ubi, quando, siltts, haberc , agere el pati. Hierauf folgt c. 6.
der Nachweis, dass sämmtliche neun Kategorien, namentlich Quantität und Qualität,
wirklich Accidentien seien.
258) Log. c. 3.: Malcria lerlia esl de coniunctione incomplexorum el de parttbus
enunlialionis . Intentiones incomplexac cum componunlur , proveniunl ex lis
multae species, de quibus omnibus non inlcndimus nisi de ea solo, quae esl enuntiatio,
quae vocatur indicativa vfl dir/ in difßnitira, et haec est, in qua contmgil
veritas vel crcdulilas vel contradictio vel falsilas.
259) Ebend.: Divisio prima est, quod enunlialiva alia esl categorica ,
alia hypothetica, hypothelica alia coniuncta, ul haec „cum sol esl super terram,
dies est", alia hypothetica disiuncla, ut haec ,,aut mundus coepit aul esl aeternus" ;
. rategorica constal ex duabus parlibu/, , quarum una dicilur subiectum,
secnnda dicilur praedicalum ; simililer liypothelica coniuncta constal ex duabvi
parlibus , quarum tmaquaeque esl cnuntiatitia ; prima aulem pars .... dicilur antecedens
, pars secunda dicitur consequens ; disiuncla ctiam constal ex
duabus parlibus , quarum, una quaeque est enunliativa, cum ablata ftierit cont'unclto
disiuneliva, quae esl ,,aut", partes aulem eins non habenl ordinem nisi so/o probalione.
260) Ebend.: Secunda divisio esl, quod enunlialiva dh'idüur secundum tnlffllionem
praedicati in afßrmativam — et in ncgalivam Negalio vero hypolheliea
coniuncta fit, ul negalio apponalur coniunctioni sie „non, cum sol est super terraa,
slellae occullantur" • negatio vero disiuneliva ß, ul negetur coniunctio disiunclin
sie ,,non est asinus nel masculus vel niger" Errant in calegorica et putanl.
quod haec ,, Petrus est insipiens" sit negaliva ; est autem afßrmativa, eius tnim
XVI. Algazeli. 367
Entsprechend beruhe die Einteilung nach der Quantität auf dem' inneren
Gehalte des Subjecles; indem aber das singuläre Urllieit keine Anwen
dung finde und von dem unbestimmten entweder das Gleiche gelte
oder dasselbe als ^tarticulares genommen werde, bleiben durch Comliinalion
mit der Qualität nur die vier allbekannten Urlheilslbrmen übrig;
hingegen seien auch die conditionalen und disjuncliven Urlheile je nach
Kraft und Umfang ihrer Geltung in allgemeine und parliculare zu unter
scheiden 2GI). Sodann führe noch das zwischen Subject und Prädicat
bestehende Vcrliältniss zu einer vierten Einlheilung, nemlich zu jener
in Möglichkeils- und Unmöglichkeits-IJrlheile, wozu bei engerer Begränzung
des Begriffes des Möglichen noch als drittes das Nothwendigkeits-
Urtheil hinzukomme 2ß2). llierauf folgt noch die Erörterung des contradictorischen
Gegensatzes zweier Urlheile mit Angabe der Bedingungen,
unter welchen ein solcher stalliinden kann 26S), und die Aufzählung
der gewöhnlichen Regeln der Umkelnung 2ti4); jedoch bei letzleren
beiden ist inconsequenler Weise nur mehr von dem kategorischen Ur-
Iheile die Rede.
/ n 1 1' a t in est , significare , eum esse stultum ; .. .. et haec propositio privaliva dicitur,
mm re vera sil affirmaliva.
261) Ebend.: Item alia proposilionis divisio, quod secundum intenlionem subiecli
dividitur in singularem .... el in non singularem; non singularis autem diviililur
in nitlfjniiiiuii et definitam; definita est, quae determinalur aliquo signo
universalilulis vel particularilatis; quae esl quadruplex, scilicel affirmativa universalis
el a/ßrmalira parlicularis, .... negaliva universalis .... et negatita parlicularis
.... Secundum hoc igitur fiunl proposiliones octo cum his quatuor, quae
sequuntur: singularis affirmativa et singularis negaliva, inücfinila affirmaliva el inde/
inilu negaliva; his aulem qualuor non mulium utinmr in scientiis; inde/inilae
vtro accipiuntur in sensu particularium , quoniam sine dubio de parte significant.
Hypothelica vero coniuncta dividitur in universalem, ut ,,si semper sol esl
super lerram, semper est dies", et particularem , ut ,,si aliquando sol es» super,
lerram, erit dies". Disiuncta vero fit universalis, cum dicitur ,,omne corpus aut
movetur aut quiescil", parlicularis etiam, cum dicitur ,,quidam homo aul est in
navi' aul est mersus."
262) Ebeod. : Item propositio secundum intentionem compositionis sive habiludinis
praedicati ad subieclum dividitur in possiliile . . . . el in impossibile Possibile
n n/' in il iinln:. modis intelligitur ; inlelligilm enim possibile, quod non est im
possibile, sub quo compreliendilur eliam necessarium, el secundum hoc res dividilur
in duo, in possibile scilicel el in impossibile; intelligitur eliam possibile id, quod
polest esse et non esse, et hie est eins usus proprius; secundum lianc igitur consideraliunem
erunt tria gencra rerum, scilicet necessarium, possibile et impossibile.
263) Ebend.: Item omnis proposilio videtur haben conlradicluriam diversam a
se in afßrmalione el negatione; sed si diversa est ab ea veritale vel fahilale, revera
dicilur conlradicloria Vera autem contradiclio esse non polest nisi adsint isla
sex: quorum primum esl, ut subieclum ulriusqne sit unum sicut voce sie el signiftcalione
; secundum est, ut praedicalum ulriusque sil unum et idem ;
lertium est vero, ubi non diffcnml in parle el lolo, sicut cum dicis ,,oeulus Petri
est niger", intelliyes de pupilla ; quartum est, ubi non differanl polenlia et
effectu ; quinlum esl, ubi non sinl diversae relaliones ; sexta condilio,
ut non disccrnantur quantilale.
264) Ebend.: Omnis propositio esl convcrtibilis secundum quod videtur, sed
conversio dividitur in comitanlem suae veritalis et in non cnnutantem Nega
liva universalis converlitur in neyaliram universalem; negaliva aulcm parlicularis
non converlilur ; affirmaliva universalis converlilur in alteram particularem
; affinhativa aulem particularis converlitur in similem sibi.
368 XVI. Algazeli.
Nun kann sich als materia quarla die Lehre von der Argumen
tation anreihen, bezüglich deren Algazeli noch einmal an seine principielle
Einllieilung der Logik erinnert, zugleich aher eine Unterscheidung
zwischen Form und Stoff der Argumentation an <li? Spitze stellt265).
Der Form nach ist die erste Species der eigentliche Syllogismus , wel
cher sofort in den kategorischen und den hypothetischen Schluss geilicilt
wird, woran sich unter Angahe der ühlichen Terminologie und
der Dreizahl der Schlussfiguren abermals (vgl. Anm. 259) eine Parallelisirung
der kategorischen und hypothetischen Urlheilsform anknüpft266).
Sodann werden die gewöhnlichen Regeln üher die für alle kategorischen
Syllogismen gültigen Bedingungen sowie über die Tragweile der drei Fi
guren vorausgesckickt 267), um sodann die Entwicklung der sämmllichen
Modi der lelzleren folgen /u lassen, wobei wir nur zu bemerken haben,
dass Algazeli in der ersten Figur die fünf theophrastischen Schluss
weisen nicht erwähnt, sowie dass er überhaupt von den mathematisch
möglichen sechzehn Conibinationen der vier kategorischen Urlheilsformen
ausgeht, und hiernach im Hinblicke auf die für die Schlussfigur geltende
Regel die unzulässigen Conibinationen ausscheidet 26s). Während er aber
hierauf die aristotelische Entwicklung jener Modi, welche auf Verbin
dungen der Urtheile des Staltfindens und der Möglichkeil und der Not
wendigkeit beruhen, gänzlich ignorirt, bildet ihm einen wichtigen Gegen-
265) C. 4.: Materia quarta est de coniunclione propositionum ad faciendam
argumenlalionem, et haec est nostra intenlio Consideralio vero haec est circa
duo, quorum unum esl forma et allerum est materia. Primvm quidem est forma
argumentalionis. Supra diximus autem (s. Anm. 235 ff.) , quod scienlia aut est
imaginationis aut credulitatis, et quod imaginalionc non comprehendttur nisi in difßnitione,
credulilas vero nonnisi argumenlatione. Argumentalio esl vel Syllogismus
vel exemplum vel inductio.
206) Ebend.: Syllogismus dividitur in categoricum et hypolheticum Ex
coniunctione partium ulriusque proposilionis proveniunl Ires partes, quae vocanlur
termini Eiiuntialio aulem, cum fuerit pars syllogismi, vocalur propositio
Disposilio vero duarum propositionum vocalur complexio; qualilas duarum proposi
tionum ad mcdium vocalur fujura. Ex hac ergo proposilionum dispositione ftunl Ires
figurae Judicium aulem anlecedentis et conseqwnlis in hypothelicis coniunclis
simile est iudicio subiecti et praedicati sfcundum ordinalionem eorum in his tribus
figuris. Vgl. Abschn. V, Anm. 56 ff.
267) Ebend.: Conveniunl etiam in hoc tres figurae, quod in nulla earum co*-
cluditur aliquid ex duabus negativis nee ex duabus particularibus nee ex muune
negaliva el niaiure particuluri Figura aulem prima .... concludil qualuor finitas
ßgura vero secunda nullo modo concludil affirmalivum ; tertia figura nullo modo
concludil universalem.
268) Ebend.: Posl lios qualuor (sc. modos primae ftgurae) sequunlur duodecim
commixliones, quae non concludunt. Eo quod in unaquaque figura possunt- fieri sexdecim
connexiones; minor enim polest esse affirmativa universalis vel parlicularis oel
negativa univei'salis vel parlicularis, et sie fiunt qualuor, quarum unieuique etiam
possunl adiungi qualuor maiores Cum autem posuerimui, ut minor sit negaliva
unhiersalis vel parlicularis non concluditur aliquid, et per hoc excluduntur
octo connexiones Et remanebunt duae affirmativae; affrmalivae vero unitersttU
minori possunt adiungi qualuur maiores ; duae. illarum non concludunt eo quod
in hac ßgura posuimus, ut maior sit unieersalis. Remanent ergo in hac figura sex.
A/firmativae vero particulari minori nunquam adiungilur parlicularis maior nee affirmaliva
nee negaliva Excluduntur ergo de scx remanentibus aliae duae. Et sie
remanent qualuor tanlum. '
XVI. Algazeli.
stand die Lehre vom hypothetischen Syllogismus, welcher nach Obigem
(Anin. 259) in einen conditionalen und einen disjuncliven zerrallen muss.
Bezüglich des ersleren giht «r allerdings die gewöhnliche Regel, dass
durch Annahme des Vordersatzes der Nachsalz angenommen und durch
Aufhebung des Nachsalzes der Vordersatz aufgehoben sei, aber er fügt
noch den höchst läppischen Einfalt hinzu, dass, wenn der Umfang des
Vordersatzes und jener des Nachsatzes einander völlig gleich seien, auch
umgekehrt geschlossen werden könne und es dann hiemit vier eoridilionale
Schlussweisen gebe269); in ähnlicher Weise denkt er auch bei
dem disjunctiven Schlüsse, welcher in der Regel in vier Weisen sich
gestaltet, an die Möglichkeit, dass nicht eine dichotomische Alternative,
sondern eine Mehrgliederung von Fällen im Obersatze vorliege270). In
dem er aber hierauf die Entwicklung der Formen der Argumentation
noch vervollständigen will271), bespricht er zunächst noch den indireclen
Beweis 272), sodann die Induclioti unter dem üblichen Vorbehalte be
treffs ihrer Tragweite273), und zuletzt die Exemplification, bei welcher
er völlig in das Gebiet der Rhetorik hinüherstreift, während er Momente,
welche eben dort ihre geeignete Stelle haben, als logische Stützen der
Exemplification betrachtet274). In solcher Weise ist bei Algazeli an
269) Ebend. : AI modo de syllogismis liypolheticis , quorum duae sunt species:
hypotheticus coniunctus el ttisiunctus Hypothelici vero coniuncli hoc est exemplum
,,si mundus est factus , faclorem habet"; haec est propositio, cuius si posueris
antecedens, sequitur consequens; si vero posueris negalivam consequenlis, sequilur
negatoria antecedenlis Ad positionem vero consequentis vel ad destruclionem
anlecedenlis non fit conclusio nisi in paribus lantum, in quibus consequens non est
communius antecedente , et lunc possunt concludi quatuur hypolheticae , ut ,,si hoc
est corpus, hoc est composititm, sed esl corpus, ergo est compositum", vel ,,est
compositum, ergo est corpus", vel „non esl corpus, ergo non est compositum", vel
,,non est compositum, ergo non est corpus". Si vero consequens fuerit communius
anlecedenle, tunc nd remolionem communioris removetur minus commune ,
sed ad remotionem minus communis non removetur magis commune ; sed ad
positionem minus communis ponilur magis commune et non e contrario.
270) Ebend.: Species secunda est de hypothetica disiuncla, ul hie „auf mundus
coepit auf mundus esl aeternus", hie concludunlur quatuor hypotheticae hoc modo:
,,sed mundus coepit, ergo non est aeternus", vel ,,non coepil, ergo esl aelcrnus",
vel ,,est aeternus, ergo non coepil", vel ,,non est aeternus, ergo coepil" Hoc
aulem non fit nisi in contrariis immedialis; sed in medialis , si fuerinl tria, ad
poiitionem unius eorum removenlur reliqua duo ; si vero enuntialio fuerit plurium
partium, ad posilionem unius eorum removenlur ceteri.
271) Ebend.: Haec sunt principia syllogismorum. Sed ad complendum hunc
Iractatum adiicimus eliam qualuor (zu lesen tria), quae sunl ratiocinatio indirecta
el induclio el exemplum.
272) Ebend.: Ratiocinatio composila ratiocinalionis indirectae forma est, probare
propositionem deslruendo conlrarium, dicendo illud ad inconveniens , scilicet adiungere
illi aliam propositionem manifeste veram el concludere ex eis manifeste falsum.
273) Ebend. : Induclio est oralio , in qua ex mullis parlimlaribus infert uni
versale iüorum Inductio aulem non valel nisi in auclorilalibus logicis non
necessarii.i, in quibus, quo magis fueril inductio diligentius composita el plenior,
faciet maiorem ftdem.
274) Ebend.: Exemplum esl illud, quod doclores legis argumenlationem vocanl,
scilicet iudicium de uno singulari in aliud propter aliquam similitudinem Postquam
aulem dialectici apprelienderunl debililatem huius argumentationis, adinvenerunt
PBANTL, Gesch. II. 24
370 XVI. Algazeli.
Stelle einer getreuen Auffassung der aristotelischen Logik bereits ein
sehr steriler Ahhub griechisch-arabischer Schul-Logik getreten, welcher
allerdings für seine skeplisch-deslructive Tendenz ein geeignelerer Gegen
stand sein mochte, als wenn er die ächte Lehre des Aristoteles ent
wickelt hätte.
Indem aber hierauf noch der Stoff der Argumentation seine nähere
Erörterung findet, so hat Algazeli hierin nicht bloss wie seine Vor
gänger (Anm. 51 u. 223) die Anknüpfung der zweiten Analytik an die
erste erblickt275), sondern er folgte hiebei auch völlig dem Alfarabi,
offenbar in der Ueberzeugung, dass die aristotelische Lehre einer we
sentlichen Ergänzung bedürfe (s. Anm. 52), und zwar in einer Weise,
dass wir je nach Befund unserer Quellen erst durch Algazeli eine
genauere Einsicht in jene arabische Znlhat erlangen. Neinlich indem
derselbe Alfarabi's Gleichniss mit dem Golde (Anm. 51) wiederholt,
bringt er mit jenen dortigen fünf Abstufungen der Urlheile zunächst
den Unterschied zwischen dem demonstrativen, dialektischen, rhetori
schen, sophistischen und poetischen Verfahren (vgl. Abschn. XI, Anm.
122 f.) in Verbindung, und zählt hierauf jene nemlichen dreizehn Arten
von Urtheilen, welche den Stoff der Beweisführung bilden können,
auf276), um sodann dieselben höchst ausführlich in Beispielen zu er
läutern — ihre Namen sind: primae, sensibiles, experimenlales, famosae,
quae naluraliter secwn habent, probalionem , aestimalivae , maximae,
receplibües, concessae, simulaloriae , maximae in apparentia, pulabiles,
immutaloriae — 277>, worauf noch die Zurückführung derselben auf
iilium viam el in stabiliendo hoc processerunt duabus viis, quarum una dicitur
,,simile el contrarium" Alia via ,,coniectalio" esl.
275) Albert. M. Anal. post. I, l, l, p. 514. B: Mulla aulem sunt propositionum
genera, ut Ami Algazel, in quitius nihil proximius est syllogismo, quam necessitas
in materia proposilionum • et ideo haec scientia (sc. demonstraliva) immediale fast
scienliam de syllogismo est ordinanda.
276) Log. c. 5.: Materia syllogismi sunl propositiones , quae si fuerint credibiles
el verae, erunl conclusiones credibücs el verae Sicut aurum esl materia
nummi et rotunditas forma eius , simililer Syllogismus esl vitiosus aliquando
vitio formae , scilicct mm non fuerit secundum aliquam figuram praemissarum, ali
quando est i'ttio maleriae , quamms forma sil recla Sed sicul aurum habet
quinque ordines, similiter proposüio habet quinque ordines ; primtun oräinem
habet illa, quae esl vera et credibiUs sine dubielale sive deceptione, et argumenlalio
ex talibus composila diciltir demonslraliva proxima verilali, «t difftcile possit
falsilas esse in illa , et argumcntalio ex ca vocatur dialectica; lertium habet ea,
quae opinabilis , rhelorica ; quarlum habet proposilio formala ad modum verarm*
cum similalione et dolo, et Syllogismus, qui fit ex ea , dicitur deceptivus et
sophisticus; quinlum habet propvsitio, quae scilur esse faha Opus autem,
de las propositionibus latius disseram. Omnis igilur proposilio, ex qua componitur
argumentatio, quae proposilio nondum slabilila esl ratione , dividilur in tredecim
partes , scilicel in primas , sensibiles , experimentales , famosas, proposilionem,
quarum mediitm terminum el probfilionem inleltigere in promptu est, et in aestimativas,
maximas, receptibiles , concessas , simulatorias, eas quae mdentur maximae, el pvtabiles
et immutatorias.
277) Ebend.: Primae sunt, quas per se necesse est naturaliler inlelleclui credere,
ut haec „duo sunl plus, quam unum" Sensibiles sunl, ut haec „sol
est lucidus" Experimentales sunt proposiliones , quas acquirimus in sensu et
intellectu, ut haec, quod scimus, quod ignis adurit Famosae sunt, sicut quas
XVI. Algazeli. 371
obige fünf Verfahrungsweisen (facullales) folgt, insoferne die ersten
fünf der Demonstration, die 7. und 9. der Dialektik, die 6., 8. und 11.
der Rhetorik, die 10. und 12. der Sophistik, und die 13. der Poetik
zugewiesen werden 278). Wenn aber hierauf unter der Uebersclirifl
„De fallaciis" sich eine Aufzählung möglicher Fehler der Beweisführung
anreiht , so ist hiedurch ebensowenig der Inhalt der .Sop/». Elenchi be
rührt, als etwa in das Vorhergehende die Topik verflochten wäre, son
dern das Ganze enthält nur in der Angabe von zehn Punkten eine zer
splitterte Wiederholung dessen, was Aristoteles noch in der ersten
Analytik bezüglich der Wahrheit des Erschliessbaren (Abschn. IV, Anm.
611—614), sowie über das Erschleichen des Ausgangspunktes (ebend.
vulgo dicente didicimus , sicut haec, quod Aegyptus est, quamvis nunquam vidimus.
Propotiliones vero, quae seqttunlur, habetit probalionem suam naluraliler, sunl
Mae, quibus non acquiescil animus nisi per medium termimm Opinabiles
sunt propositiones falsae , quae Ha fixe adhaeserunt in animo, ut nemo pussit dubitare
, de his , quae contingunt ex actione aeslimationis in ea , quae sunt praeler
sensibilia Hanifeslae sunt propositiones , quae non recipiunlur nisi in quantum
sunt manifestae , et putat vulgus et simplices doctores, esse primas comitanles in~
lellectus naturam , ul haec „mendacium esl Ivrpe" (demnach ist, was oben aestimaliva
genannt war, hier in opinabilis und manifesla zerlegt) Maximae
uutem differunt secundum maiorem et minorem cvidenliam sui et secundum diversitates
usus et modorum et lerrarum et artificttm Receptibiles sunt illae, quae
hubenlur a sanciis hominibus vel a maioribus sapieutum Concessae sunt, qtias
concessil adversarius fei sunt manifestae inier ambos tantum Simulators ae sunt,
qtias studet Homo assimilare priinis vel experimenlalibus vel maximis Maximae
in apparentia sunl . quas qui audit slalim recipit in principio , sed mm diligenler
atlendit, audit, non esse recipiendas l'ulabiles sunl, quae fatiunt putare aliqtiid,
quamvis animus percipiat, passe esse eins ojiposüum, sicut ,,qui nocte ambulat,
malefactor esl" Imaginariae vel Irans /örmatoriac vel immulatoriae sunl,
quas scimus esse faisas , sed imprimunlur in animo vel itppelcnda vel respuenda,
sicul ,,mel videlur esse stercus".
278) C. 6.: De acceplione proposilionum in facu/tatibus. (Juinque primae species,
scilicct primae, sensibilcs, experimenlales, famosae et quae secum habenl nalu
raliler probalionem (der Text gibt propotitiunem) suam, congruunl argumentalionibus
demonslralii'is ; ulililas aulem demonstralionis est mani/'cstatio veritalis el acquistlio
cerlitudinis. Maximae vero et concessae aplae sunl argumenlationibus dialeclieis;
ulililas autem dialecticae multiplex est; prima est, convincere praestimpluosum
et iactantem se scire, quae nescit ; secunda est, ul cum votiierimus docere illum
aliquam scientiam vcram , .... nee sil contenlus oraiione rhetorica , ... . ncc tarnen
ascendil adhuc ad yradum superiorem perilatis ; lertia esl, quod inlroducendi
in singulis artibut . . . . non possunt prius addiscere principia arlis ; quarta est,
quod natura dialecticae argumentationis est, passe concludere duas extremilates contradictionis
in quaestione, quod cum feceril et consideraveril locum erroris, aliquando
manifestabitur ei veritas l'utabües autem el simulaloriae propositiones sunl
aptae argumentationi soplaslicae, nee prosunl alio modo nisi ul scianlur ad cavendum
eas , .... et aliquundo lentamus per eas inlelleclum el i'ocaliitur argumentalio
lentativa, aliquando vero inducemus eas ad inferendum sibi vcrccundiam, qui simulat
vulgo se sapientem esse .... et lunc vocabitur argumentatio decepliva Maximae
vero in apparenlia el pulabiles (wie sich von selbst versteht, ist hiefür opinabiles
oder aeslimalivae zu lesen) el receplibiles aplae sunl fteri argumenlationis proposi
tiones rhetoricae et legalis ; ulililas aulem rheloricae manifesla est, fleclere scilicel
animos Transformatoriae autem sunt propositiones argumentationis poeticae
Ex his autem omnibus negoliis nihil esl opus cognoscere nisi demonslrativum
ad inquirendum et sophisticum ad cavendum; intenlio noslra erit admodo loqui de
his duobus.
24*
372 XVI. Algazeli.
AUDI. 628), über den Cirkel-Beweis (ebend. Anm. 615), und über die
Stufe des blossen Meinens (ebend. Anm. 634) entwickelt halte279).
Erst nun aber nach dieser ganzen Digression betreffs des Stoffes,
welche offenbar aus Alfarabi entnommen ist, kömmt Algazeli auf die
materia quinta der Logik, d. h. auf die aristotelische zweite Ana-
'lytik selbst, wobei er vorerst die Frage des „Ob" betreffs der Exi
stenz selbst oder eines blossen Zustandes, und die Frage des „Was"
nach Seite der Namenserklärung und der Wesens-Definition, und die Frage
des „Wie beschaffen" bezüglich des artmachenden Unterschiedes, und
die Frage des „Warum" im Sinne des Realgrundes und auch des Er
kenntnissgrundes bespricht280), und sodann in seiner Manier des Abtheilens
als zweiten Punkt den Unterschied der „demonslralio quia"
und der „demonslralio quare" (vgl. Anm. 62 u. 226) erörtert281); hier
auf folgt als dritter Gesichtspunkt ein Excerpt aus den Angaben des
Aristoteles über das Zustandekommen des apodeiktisr.hen Wissens (s.
Abschn. IV, Anm. 134 ff.) bezüglich der den Einzel-Wissenschaften eigenthümlichen
Gegenstände und desjenigen, was denselben wesentlich zu
kömmt, sowie der wissenschaftlichen Fragen und der obersten Principien,
welch letztere auch Algazeli im Sinne mathematischer Axiome
279) C. 7. : De fallaciis. Nunc autem ostendemus species erroris ad cavendum
eas, quae sunt decem Prima est, quod disputationes saepe ftunt confusae
unde oportet, .... ut scias, si esl Syllogismus annon et cuius ftgurae et cuius
modi Secunda, ul diligenter observes meditim terminum Tertia est, vi
diligenter observes , ne inter utrumque terminum , maiorem scilicet et minorem , et
exlremilales conclusionis sit aliqua diversilas Quarta est, ut observes duos vel
tres lerminos et duas extremitales conclusionis , ne sit in eis aequivocum
Quinta esl, ut observes copulationem et nomina Sexta est, ut non recipias
indeßnitas Seplima est, quia aliquando credes propositionem in syllogismo eo,
quod, quodcunque quaetivera», eius conlradiclorium in inlellectu tuo non invenis,
sed hoc non facil necessilatem credendi Ucluru est, ut quaeslio non fiat propositio
in syllogismo JVona est , ut non probelur aliquid per id , quod non probatur
nisi per ipsum Decima est, ut fugias propositiones pulabiles maiimas
et simulatorias , nee credas nisi primas et sensibiles et alias, quae cum eis sunt.
280) C. 8.: U <i demonslratione . Materia quinta est de his, quae sequunlur
librum argumentalionis de Analecticis (vgl. Abschn. XIII, Aum. 288. u. Abschn. XIV,
Anm. 23) posterioribus , in qua est ulililas demonstralioni.i . Haec dividitur in
quatuor species. Prima species est de quaestionibus disciplinabilibus et eorum parlibui,
scilicel de quatuor quaestionibus, quae versanlur in scienliis , quarum prima
est ,,an eil", secunda esl ,,quid esl", tertia est ,, quäle est", qinirln
esl ,, quare esl". Interrogatio vero „an est" fit duubus modis, uno quo quaerilur,
an res habeat esse, secundo, cum quaerilur disposilio rei, ut an mttndus
coepit. Inlerrogalio vero ,,quid tst" similiter duobus modis fit, uno cum quaeritur
de interpretatione nominis , alio modo quaerilur verilas rei in se: intenogatio
vero ,,quid esl" secundum primum modum praecedil interrogationem „an esl".
Inlerrogalio vero ,, quäle" quaeril de di/ferentia vel de proprio. Interrogatio
vero ,, quare est" fit duobus modis, uno quaeritur causa esse rei, alio quaeritur
causa scientiae Inlerrogatio vero „quid est" et „quäle esl" perlinet ad imaginalionem,
sed interrogalio ,,an est" et ,,quare esl" pertinel ad credulilatem.
281) Ebend.: Secunda eius species est de syllogismo demonslralivo ; Syllogismus
demonslrativus dividitur in eum, quo acquiritur causa esse conclusionis, et in eum,
quo acquirilur ßdes eius, quod est esse; primus vocalur , ,demonstratio quare esl",
secundus vocatur „demonslratio quia est" Demonslralio esl de „quare", quando
medius lerminus causa est inveniendi minorem et maiorem terminum.
XVI. Avempace. 373
(vgl. Anm. 60) aufgefasst zu haben scheint282). Endlich als vierter
und letzter Punkt begegnet uns hier die Erörterung über das aristote
lische xa&ökov und xct9 avrö, welche bei Alfarain und Avicenna (vgl.
Anm. 57 u. 224) zu den Untersuchungen über das praedicalum primwn
geführt halte, hier aber in ziemlich schulmässiger Formulirung und mit
starker Betonung der Bedeutung des Prädicales auftritt2").
So beschränkt sich Algazeli wenigstens in seinem uns zugänglichen
Gompendium auf den Umkreis der Apodeiktik , ohne die Topik oder
Sophislik beizuziehen ; es dürfte aber auch dieses mit seiner skeptischen
Tendenz übereinstimmen , da er bei Bekämpfung des eigentlich wissen
schaftlichen Verfahrens das dialektische Gebiet der blossen Probabilität
völlig ignoriren konnte.
Ueber Avempace (Abu- Bekr- Mohammed -Ben- Jahya-lbn- Badscha,
gest. 1138) können wir hier nur äussersl Weniges berichten. Sein
Einduss auf das Mittelalter liegt hauptsächlich in seinen Bearbeitungen
der physikalischen Schriften des Aristoteles oder mittelbar durch Averroes
in der Entwicklung der Erkeniitni.sslehre, welch beiderseitige Thäligkeit
uns hier nicht berührt. Und wenn derselbe sich auch mit dem
Umkreise der Logik im engeren Sinne beschäftigte284), so scheinen
von dergleichen Schril'len desselben dem Miitelalter durchaus keine
Ueberselzungeri vorgelegen zu sein, und auch wir linden ihn nur ein
paar Mal gelegentlich erwähnt, nemlich in der oben, Anm. 58, ange
führten Stelle bezüglich jener principiellen Frage über die doppelte
282) Ebend.: Tertia species est de his, in quibus poliits r.ontinenlur scientiae
demonslrativae , et haec sunt quatuor, scilicel suliiecla , aeddenlia essenlialia, quaeitiones
, principia. Per /.i /intim quidem , quod est subieclum, intelligitur, quod omnis
scientia subieclum habet sine duhio, de quo tractal , speculalor ergo cuiuslibet
scientiae non debet probare in sua scientia suum subieclum Per secundum
autem, quod est aeddenlia essentialia, inlelligunlur proprielates accidenlales illi subiecto
tantum et non alii; necesse est autem in principiis cuiuslibet scientiae
inlelligere haec aceidenlia essenlialia cum suis diffinilionibus secundum imaginationem,
sed hoc exislere in suis suliieclis non cognoscilur, nist ex comprehensione vel comptexione
tolius scienliae Per tertium autem , quod est quaesliones , inquirimui
cohaerentiam ipsorum accidentium essentialium cum suis subiectis ; et hoc, quod es(,
petilur in omni scientia; .... secundum vero quod intenogatur de eis in ca, nominantur
in ea quaesliones huius vel illius scientiae, sed secundum quod peluntur,
dicuntur pelitiones, secundum vero quod concludunlnr in demonstrationibus , dicuntur
conclusiones ; in quibus omnibus nominatum eil unum, sed variantur nomina
Ipsa vero principia non probantur in ipsa arte, sed vel sunt prima et vocantur per
se nola, ut hoc, quod dicitur in principio Euclidis, vel non sunt prima, sed
sunt recipienda u magi&lro.
283) Ebend.: Species quarla est de omnibus conditionibus proposilionum demonslrationis,
quae qualuor sunt, scilicet quod sunt verae et necessariae et propriae
et essentialcs Essenliale enim hie accipitur duobus modis , uno ut praedicatum
intret diffinitionem subiecti , . ... secundo ul subiectum intret diffinitionem praedicali.
Essentiale autem secundum primum modum supervacuum esl Prior esl
cognitio praedicali cognilione subiecti Quisquis enim intelligit triangulum cum
diffinilione sua secundum imaginationem , non inquiret ea, quae praedicantur de eo ;
postea aulem polest quaerere , si omnes eins anguli sunt aequales duobus reciis;
quaerere autem, an sit figura vel non, supenacuum esl.
284) Munck, Dictionn. III, p. 154. berichtet, dass logische Traclate des Avem
pace sich im Escurial befinden.
874 ' XVI. Averroes.
Funclion der Demonstration, sodann wieder bei den Erörterungen über
praedicatwn primum 285), und einmal in der Sophislik 286), — ledigliche
Einzelheilen, aus welchen wir, wie sich von selbst versieht, nichts
Näheres enlnehmen können.
Einen gewissen Abschluss aber erhielt die arabische Philosophie
Überhaupi, wie bekannt, durch Averroes (Ahul-Walid-Mohamnied-
Ibn-Achmed-Ibn-Roschd, gesl. 1198), dessen commentirende Thäligkeit
die särnmtlichen Werke des Aristoteles umfasste 287). Er stand hiehei
allerdings nur auf dem Boden seiner arabischen Vorgänger, denn er
selbsl verstand weder griechisch noch syrisch, aber mit peniblem, ja
fast bornirtem Fleisse nahm er in stets wiederholten Uelierarheitungen
den gleichen (iegenstand vor, und so verfasste er auch zu jenem Zweige
der Philosophie, welchen wir hier zu besprechen haben, neinlich zum
Organon , dreierlei Commentare , unter welchen die einfachsten blosse
Paraphrasen waren, zu welchen ebendeshalb noch sog. „miniere" und
zulelzl sog. „grosse" Commentare kamen. Indem wir unserer Aufgabe
gemäss von anderen Schriften des Averroes, welche dem Millelalter
bekannt waren, absehen, wie namentlich von der „Deslruclio destructianis"
(gegen Algazeli) und von seiner Darstellung der Erkenntnisslehre
(Epist. de connex. inlelleclus abslr. cum homine, worauf der Monopsychismus
der Averroisten in Oberitalien wurzelt), müssen wir erwähnen,
dass die Scholastiker särnmtliche drei Arten der Commentare zur zweiten
Analytik, zu den übrigen Büchern des Organons aber (mit Einschluss
der Rhetorik und Poelik, vgl. oben Anm. 18) nur die Paraphrasen und
die mittleren Commentare kannten, wozu noch eine „Epilome" des
Organons und „Quaesita in iibros log. Arial." kommen288); die beiden
letztgenannten Schriften jedoch scheinen sicher mit Unrecht für Werke
des Averroes gehalten worden zu sein, denn sowie die Quaesita durch
formelle Momente einen sehr gegründeten Verdacht erregen289), so
liegt die Epitome im Inhalte in Widerspruch mit den ächten Schriften
des Averroes 2Ö°).
285) Ps.-Averr. Quaes. in Poster. Resolut. L 373. r. B (vgl. Anm. 57. u. 224.).
286) Ps.-Averr. Epitome, !. 352. r. B.
287) S. über denselben Munck, Diclionn. III, p. 157 ff. und vor Allem E.
Renan, Averroes et l' Averroisme. Paris 1852. 8.
288) Die dem Mittelalter zugänglichen Schriften des Averroes sind in mehreren
älteren Ausgaben der lateinischen Uebersetzung des Aristoteles gedruckt; ich citire,
wie bemerkt" (Anm. 11.), nach der Venetianer v. 1552, fol.
289) Es mag allerdings als misslich erscheinen, wenn ich ohne weitere Kenntniss
der arabischen Originale lediglich aus den lateinischen Uebersetzungen ein
derartiges Urlheil fälle , und ich darf aus diesem Grunde wohl kein grosses Ge
wicht auf jenen Unterschied des Stiles und der Behandlungsweise legen, welcher
zwischen den Quaesila und anderen unzweifelhaften Schriften des Averroes zu be
stehen scheint, obwohl ich überzeugt bin, dass jeder aufmerksame Leser sofort
den gleichen Eindruck empfangen würde. Hingegen von entscheidenderem Belange
dürfte es sein, dass der Verfasser der Quaesila seinen Tadel gegen Andere in sehr
verallgemeinerten und fast schmähenden Ausdrücken ausspricht, ein Ton, welchen
Averroes bei aller Meinungsverschiedenheit nie einschlägt. Belege hiefür finden
sich in obigen Anm. 11. 55. u. 70.
290) Nemlich abgesehen von einer abweichenden Terminologie, für welche
XVI. Averroes. 375
Die Leistungen des Averroes auf dein hieher gehörigen Gebiete ent
halten an sich durchaus Nichts, was ihm selbst eigentümlich wäre,
sondern er ist lediglich Comnientalor des Aristoteles, dessen richtiges
und klares Verständniss er dem Leser ohne irgend welche Abweichungen
zugänglich machen will. Daher wir gerade nach jener Seite hin, in
welcher sein verdienstlicher Einfluss auf das lateinische Abendland liegt,
uns über ihn am kürzesten fassen können und müssen; denn es dürfte
in der That fast genügen, wenn wir kuroveg im Allgemeinen über ihn
sagen, dass er ein fleissiger und getreuer Erklärer des Aristoteles war,
und es gilt dieses vollständig auch bezüglich der Metaphysik , welche
die Lateiner gleichzeitig im aristotelischen Texte und in der erläuternden
Darstellung des Averroes erhielten, so dass es eine unnölhige Verdopp
lung wäre , wenn wir hei jenen Erörterungen der Metaphysik , welche
(z. B. betreffs des Verwirklichungs-Processes des Artbegriffes oder der
individuellen Substanz) in die Logik hinüberspielen, die Angaben des
Averroes besonders anführen wollten, da ja dieselben nur in exegeti
scher Form das Neinliche darbieten, was zugleich aus Aristoteles selbst
zu schöpfen war. Ein äusserliches Moment aber fällt dem Leser der
Commentare des Averroes sofort in die Augen, nemlich das fortgesetzte
Bemühen , jeden Stoff zur leichteren Uebersicht in Abiheilungen und
Unter-Abtheilungen mit ausdrücklicher Numerirung zu gliedern291), und
wir können auch bemerken, dass hierin Averroes einen äusseren Ein
fluss auf die Leclüre der aristotelischen Schriften ausüble, welcher sich
bis in das 16. Jahrhundert erstreckt292).
Indem sich Averroes bezüglich der Frage, wie sich die Logik zu
den übrigen Wissenschaften verhalte, an eine vielbesprochene aristote
lische Stelle (Abschn. IV, Anm. 177) anschliesst, wornach die logische
Disciplinirung des Denkens vorantreten soll293), sucht er, wie gesagt,
sicher nicht der Uebersetzer verantwortlich gemacht werden kann (Anm. 346.),
widerstreitet den ausdrücklichen Angaben des Averroes nicht bloss die ganze Eintheilung
des Stoffes (Anm. 348.), sondern auch im Einzelnen die Beurtheilung der
Isagoge (Anm. 350 f.), sowie insbesondere die der Dialektik angewiesene Stelle
(Anm. 372). Hiernach miiss unsere UebiTzeugung auch dahin gehen, dass wir
die von Levi Gerson (f. 7. r. B, s. unten Anm. 413.) erwähnte Summula logicalis
des Averroes in jener Epitome nicht besitzen. Dass aber hinwiederum auch nicht
die Quaesita und die Epilome Produkte Eines und des oemlichen Autors sein
können, zeigt die Vergleichung ohiger Anm. 54. u. 55., woselbst uns beide unbe
kannte Verfasser als Berichterstatter über den neinlichen Gegenstand dienten.
291) So werden z. B. (f. 15. r. A) die Kategorien in 6 parles , und dann
die Substanz in 14 parliculas, die Quantität (f. 17. T. B) in 7 , die Relation (f.
20. r. A) in 8, die Qualität (f. 22. v. B) in 11, die Gegensätze (f. 22. r. A) in
H particulas abgelheilt, und jedesmal geht die vorläufige Aufzahlung dieser Ab
theilungen dem Delail-Commenlare voraus, welcher dann wieder die Numerirung
stets im Auge behält.
292) Nemlich nicht bloss durch Franc. Patricias, Discuss. Pcripat. I, f. 98,
ist uns bezeugt, dass die Aristoteliker in Überitalien jene von Averroes durchge
führten Abtheilungen recipirten, sondern es weist auch die in den älteren Drucken
der aristotelischen Werke (auch Metaph. u. De anima) übliche Eintheilung in Capitel
und Paragraphen auf die nemliche Quelle zurück.
293) Alberl. M. De praedicab. l, l, p. 1. B: Et Aristoteles et similiter
Averroes dicunt, omnis scientiae modum esse ipsam scienliam, quae esl et vocatur
376 XVI. Averroes.
das Verständniss des Organons durch seine Commentare zu erleichtern.
Aber schon bei dem ersten recipirlen Theile desselben, neinlich bei der
Isagoge des Porphyrius, zeigt er sich uns als jenen strengen und reinen
Aristoteliker, welcher er überall ist; denn er will das Büchlein des
Porphyrius lediglich darum bespreche!), weil er hiezu im Hinblicke auf
die einmal bestehende Gewohnheit von wissenschaftlichen Freunden
gedrängt worden war, während er selbst die entschiedene Ueberze.uguog
hegt, dass die Isagoge gar nicht zum Organon gehöre, indem ihr auf
die Definition bezüglicher Inhalt weder unter das demonstrative noch
unter das rhetorisch-topische Verfahren untergebracht werden könne,
sondern nur den Sprach-Ausdruck der fünf Worte betreffe, abgesehen
davon, dass sie überhaupt keiner weiteren Verdeutlichung bedürfe294).
Und da somit Averroes gleichsam widerwillig an diesen Theil seines
Commenlares -geht, so beschränkt er sich auch auf das bei Porphyrius
Angegebene und lässt jede anderweitige oder tiefere Frage bei Seite.
So gibl er sowohl über den Gattungsbegriff295) als auch bezüglich der
Relativität der Definitionen des Gattungs- und des Art-Begriffes (vgl.
Anna. 113) und über die doppelte Definition des letzteren (Anm. 119)
nur karge Referate, ohne in die dargebotene Polemik einzugehen290),
während er allerdings bei Erklärung der Metaphysik sich für die engere
Definition der species specialissima entschied 29T). Er lenkt daher schnell
auf die Tabula logica des Porphyrius ein298), wobei er die Definition
logica, et quod non simul addisci polest scientia et scientiae modus, sed oportet
prius discere modum et deinde per modum iafn perfecte apprehensum addiseere tenlarf.
scicntiam.
294) Ad Porph. f. 1. r. A: Propositum huius Iraclatus est, exponere ea, quae
in introductorio ad scientiam logicam libro Porphyrii continenlur , propterea quia
iam adolevit consueludo , ut inilium librorum logicalium ab ipso sumatur. Ebend.
am Schlüsse f. 10. r. B: Et hie expliciunl ea, quae in hoc inlroductorio conlinentur
; instigatus autem a quibusdam sociis nostris eruditis ac de hoc negolio diligenlibus
de secta Murgilana, quorum deus misereatur, ut ea exponerem, ea exposui;
alias enim ego abslinuissem ab huiusmodi expositione propter duo; primum quidem,
quoniam non eideo , hoc introductorium esse necessarium pro initio sumendo in hoc
arte , nam id , quod in eo dicitur , non polest esse sub ratione Mius partis , quae
est communis hüte arti, ut aliqui samt opinali ; nam id, quod in eo dicilur de defnilionibus
harum rerum, si esset demonstrativi generis , tunc esset pars libri Demonstrationis
, et st esset generis probabilis , tunc esset pars libri Topicorum; sed Por
phyrius fecit mentionem de his rebus, prout sunt expositiones eorum, quae significanl
illa nomina; secunda vero causa erat, quia verba huius viri sunt per se
manifesta in hoc introduclorio.
295) Ebend. f. 2. r. B.
296) Ebend. f. 3. v. B.
297) Albert. M. De praedicab. V, 6, p. 63. B : Aristoteles in septimo pritnae
philosophiae et ibidem Averroes in commeutario (f. 92. v. A) expresse dicunt et
probant, quod ullima differentia cuiuslibet speciei constitutiva convertibilis est cum
ea ita, quod non convenit eam nisi de illa specie praedicari , .... non ergo praedicalur
de pluribus di/ferentibus specie , ut videtur Hoc aulem dicit Averroes
dicens, quod omnia inlermedia inter genus et ultimam differentiam circumlocutio sunt
proximi generis, qua circumlocutione non opus esset, si nomina proximorum generum
haberemus.
298) Ad Porph. f. 4. r. A, woselbst sowohl die Angaben über ,,ens" (s.
Anm. 32.) als auch (f. 4. r. B) die sog. regula de quocunque (Anm. 192.) sich
XVI. Averroes. 377
des Individuums etwas stärker hervorhebt 2"), aber dann wieder völlig
in der üblichen Weise die Einteilung der Differenz anwendet300),
wobei ihn jedoch sein ächter Arisiotelismus ebensosehr wie den Avicenna
(Anm. 166) daran hindert, Gattungs- und Art-Begriff direct mit
Stoff und Form zu identificiren 301). Bezüglich des eigenlhümlichen
Merkmales 302) verfährt er ebenso wie beim Accidens schlechthin nur
referirend 303), und das Gleiche gilt betreffs der üblichen Zusammen
stellung der Verwandtschafts- und Unlerschieds-Punkte der fünf Univer
salien304); ja ganz gelegentlich lässt er ebendort seine principielle Auf
fassung der Universalien durchblicken, insoferne er sich, ohne auf die
Frage näher einzugehen, bei einem einzelnen Punkte gegen die Plaloniker
erklärt305).
Der Commentar zu den Kategorien, welcher sich durchweg nur
als eine eintheilende Paraphrase zeigt, bietet nichts Bemerkenswerthes
dar; höchstens mag erwähnt werden, dass hei Erklärung der Stelle
über „de subieclo" und „in subieclo" durch Averroes eine versinnlichende
linden; auch der schon oben (Anm. 117. u. 134.) erwähnte Gegenstand theologi
scher Bedenken fehlt nicht.
299) Ebend. f. 4. r. B: Hoc autem, quod Porp/iyrius dicit, esl ventm de individuis
accidentium, nam individua substunliae de nulla praedicanlur re secundum
usum nalurae , et ideo vera descriptio individuorum est, quod individuum est id,
quod non praedicatur de pluribus , non id quod praedicatur de uno , ut ipse descripsit.
300) Ebend. f. 5. v. B : Genus supremum habet differenlias dividenles ipsum,
sed non habet differenliam, quae ipsum constiluat Species vero ultima habet
diffcrenliam conslitutivam, sed non divisivam.
301) Ebend. f. 6. r. A und Alben. M. a. a. 0. V, 4, p. 60. A: Ut dicit Aver
roes in commento primae philosophiae (Melaph. I, 17, f. 7. v. B), genus non est
materia , sed forma generalis et confusa et indislincla et di/fusa in materia non
determinala per formam, quam diffusam formam et confusam vocanl quidam forrttae
inchoationem.
302) Ebend. f. 6. v. B.
303) Ebend. f. 7. r. A: Deftniunt insuper ipsum accidens sie: acciflens est,
quod polest inesse uni et eidem rei et non inesse, vel : quod non esl genus nee
di/ferentia nee species nee proprium et quod semper sil in subieclo. Prima ergo definitio
amplectilur accidens separabile et inseparabile , semnda vero separabile lantum
conlinet accidens. Eine anderweitige Notiz jedoch s. unten Anm. 413.
304) Ebend. f. 9 f.
305) Ebend. f. 9. v. B: El hoc quod dicit Porphyrms , esl verum iuxla sentenliam
ponentium ideas , hoc eit, si dantur genera el species extra intellectum.
378 XVI. Averroes.
Figur üblich wurde306), denn in allein Uebrigen finden wir nur die
allgemein recipirten Angaben; selbst bei Besprechung der Bewegung
lässt Averroes die Frage, unter welche Kategorie dieselbe falle, bei
Seite liegen 307). Auch die Erörterung ühcr die vier Arten des Gegen
satzes verweilt in einer Messen Paraphrase, und nur hei anderen Ge
legenheilen spricht er seine Ansicht aus, dass alle Gegensätzlichkeit
ursprünglich auf Anschauungen des örtlichen Abslandes beruhe 30S).
Bezüglich der Lehre vom Urtheile kann hervorgehoben werden,
dass den Lateinern aus einer anderweitigen Stelle des Averroes die
Einlheilung der Redelheile in Subslanlivuni, Verbuin und syncalegoreumala
(s. Abschn. XIV, Anm. 174, 206, 348 und Abschn. XV, Anm. 9
u. bes. Anui. 106) vorgeführl wurde 30!l), sowie dass aus dem Commentare
zum Buche De inlerpr. sich eine Bemerkung über das arabische
Verbum einbürgerle 31°). Auch hielt Averroes ebenso wie Avicenna
(Anm. 215) das conditionale Urlheil für ein durch den inneren Nexus
einheitliches, fügte aber, ohne das disjunctive oder das cupulative Ur-
306) Pracdicam. t. 12. v. B, woselbst die betreffenden Lehrsätze folgendermaassen
in eine Figur zusammengestellt sind:
Substanlia inconsistens Accidens
\^
>
%
tf
Universale inconsislens Particulare
307) Ebend. f. 30. r. B.
308) Albert. M. I)e praedicam. III, 12, p. 138. A: Averroes in duobus lotii,
scilicel super p/iysicam (V, 99.) et super primam filiilosophiam (Melaph. I, 45, f. 12.
v. B) dicit, ad conlrariorum diffinüionem ab Ais, quae in loco swit conlraria, distantiam
esse transsumptam.
309) Topic. f. 256. r. A : Aristoteles in libro Perihermenias distinguit res ralioiu
dictionum, quando illas dislinfiuit in nomcn, verbum el dictionem st/ncalcgoremalican.
D. 1). der Gebrauch dieses technischen Ausdruckes fällt auf Rechnung des jüdischen
Uebersclzers Abraham (s. Renan, Averr. et. V Averroisme , p. 150.), welcher irgend
woher die hiezu erforderliche Kenntniss besessen haben muss; hingegen Mantini
wählt in seiner Ueberselzung das Wort , ,consignificantia" .
310) De interpr. f. 36. r. B: Apud Arabes praesens et futurum tempus confwduntur;
.... in lini/ua Arabica non dafür propria nota temporis praesentis , sed «l
communis nota tarn praesenti guam /'uluro.
XVI. Averroes. 379
theil zu erwähnen, die Bemerkung hinzu, dass zwei kategorische Urtheile
durch die syllogistisehe Verknüpfung zu Einem Urtheile werden311).
Bei der näheren Erörterung des kategorischen Uiiheiles linden wir die
Bezeichnung „duales" und „lernales", je nachdem ein Urlheil bloss aus
Substantivum und Verhum oder aus Suliject, Prädicat und Copula be
stehe312), sowie die Wiederholung einer von Alfarabi (Anm. 41) ge
machten Bemerkung313) und abermals (vgl. Anm. 40) die Besprechung
jenes aristotelischen Beispieles, in welchem der Satz ein nicht existirendes
Subject betrifft314). Die Bemerkungen über das modale Urlheil
und insbesondere ober die Stellung der Negation in demselben gehen
nicht über den Wortlaut des aristotelischen Textes hinaus315), und die
Erörterung über die Schwierigkeilen , welche das letzte Gapitel des
Buches darbietet (Abschn. IV, Anm. 286 ff.), müssen wir sogar direct
als schwach und ungenügend bezeichnen316).
Am Eingange der ersten Analytik stellt Averroes bereits jene Zwei
theilung nach Form und Stoff an die Spitze, welche wir bei Alfarabi
(Anm. 5l) und bei Algazeli (Anm. 265) bezüglich des Verhältnisses
beider Analytiken Irafen, und es knüpft sich ihm hieran die Unter
scheidung des demonstrativen und des dialektischen Urtheiles 3n), sowie
die Bemerkung, dass das im Syllogismus liegende Motiv der Form im
Vergleiche mit dem Inhalte der Beweisführung das allgemeinere sei318).
Abgesehen von der durch die Uebersetzung dargebotenen Terminologie
„proposilio oftsoiuto" für das übliche „proposilio de inesse" 319) ist zu
erwähnen, dass Averroes bei den kategorischen Syllogismen sich gleich
falls (wie Algazeli, Anm. 268) auf den Standpunkt der möglichen Com-
311) Ebend. f. 37. r. B: Conditionales sunt una ex coniunclione , quae est
signum conditionis, ut cum dicimus ,,si est supra tetram so/, dies est"; praedicalivae
vero orationes sunt quidem una per coniunctioncm , quae est terntinus me~
dius , ut cum dicimus ,,homo esl animal et animal est corpus".
312) Ebend. f. 43. r. B: Vocantur aulem illae, quarum praedicalum est verbum,
duales , quia constanl sulriecto et praedicato tanlum, et illae, quarum praedicatum
est nomen, dicunlur ternales , quia constant subiecto et verbo copulante et
praedicato.
313) Ebend. f. 46. v. B: Constat ergo, qnod nun omne id, quod verificatur
divisim, oporteat ipsum verißcari coniunctim.
314) Ebend. f. 47. r. A.
315) Ebend. f. 48. v. B.
316) Ebend. f. 52. r. A.
317) Prior. Resolut, f. 54. r. A: H*c divisiones (d. h. in allg. bej., allg.
vern. n. s. f. Urtheile) stmt proposiliones ex parle formae , h. e. divisiones uliles
ad cognitionem syllogismi simpliciter. Divisiones vero ex parte materiae sunt, quoniam
ipsius alia est demonstraliva alia dialeclica ac reliquae, in quas parlitur secundum
arliitm sermocinalium malerias Ac proposilio quidem demonstraliva
et dialeclica re a se invicf.m di/ferunt, .... quod dcmonslrativa proposilio altera est
conlradiclionis pars et ea quidem wera, dialeclica vero esse polest ulralibet ex parlibtts
conlradictionii, Eril ilaque proposilio syllogistica veluli genus demonslralivae
ac dialccticae.
318) Ebend. f. 56. v. B: Oportel scrmonem de syllogismo prai'tcdere sermonem
de demonslratione ; Syllogismus namque universalior est demonslratione , omnis enim
demonstrativ Syllogismus et non est omnis Syllogismus dcmonslratio. Vgl. Anm. 333.
319) Ebend.' f. 54. v. A ff.
380 XVI. Averroes.
binationen der Urtheile stellt, um dann die syllogistisch untauglichen
auszuscheiden, dabei aber durch ein anderes Verfahren auf 36 Combinationen
kömmt320), sowie dass er völlig richtig und in acht aristote
lischem Sinne die fünf theoplirastischen Schlussweisen der ersten Figur
als unnatürliche abweist321). Und sowie er dieselben durchaus sachgemSss
mit der sog. Galenischen vierten Schlussfigur in Verbindung
bringt, so müssen wir hier daran erinnern, dass er hetrefl's dieser an
geblichen Erfindung des Galenus uns schon oben (Ahscbn. IX, Anm. 99)
als hauptsächliche Quelle diente, und es bleibt uns nur die Bemerkung
übrig, dass Averroes in sehr vernünftiger Weise und in aristotelischem
Geiste die Berechtigung der vierten Figur überhaupt bestreilet 322). Mit
320) Ebend. f. 56. v. B: Quonium igilur omnes dunr propositiones aut sie se
half »l, quod ambae sunl universale!,, aut particulares aut iiiflefinitae, aul una ipsa
rum universales et altera in parte, aut una ipsarum universalis et altera indefinita,
aut una ipsarum indefinita et altera in parte, et unaquaeque harum Irium specierum
bifariam variatnr, velut sit universalis maior et partieularis minor vel e converso,
et similitcr universalis cum (der Text gibt non) indefinita ac partieularis cum inde
finita, et unaquaeque harum novem specierum ilu se habet secundum compositionem,
aut ul ambae simul afßrmativae sinl aut negativae simul, .aut una ipsarum afftrmaliva
et altera negaliva, et hoc duobus modis , uno quod sit minor negaliva et maior
affirmativa, seeundo in contrarium huius , ex quo planum , si mulliplicatae fuerinl
illae quatuor in has novem, efficientur hac in figura (sc. prima) sex ac triginta coniugaliones.
Et Aristoteles exponit, quae concludat quaeve non concludat.
321) Ebend. 57. r. B: 7s, qui ex Unis negalivis construitur in hac figura,
nihil penitus concludit Si vero minor in ipso exstilerit negativa , iam exislimalur,
quod concluttat neyativam in parte, posteaquam proposiliones conversae fue
rinl ; atqui haec species conclusionis non esl ex iyltogismo , super quem cogitatio
naturaliter cadil: nimirum concluderel , si in quarta figura Syllogismus naturaliter
construerelur. Ebenso im Folgende» bei den übrigen theopbraslischen Scblussweisen,
nemlich insbesondere belrefls der durch Umkehrung des Schlusssatzes
gewonnenen (f. 58. r. A) : Quod vero priores rxcogitaverunl, quod tres modi figurae
istius binas conclusiones colligunl, hoc esl mortus concludens universalem negativam
concludit eliam contierlentem , et concludens particularem affirmativam consimililcr,
et concludens item universalem affirmalivam , quod videlicet isti eliam convertentes
suas concludunt , It. e. af/irmativam in parle , hoc, inquam, ilti asserunl, quia inlenlionem
ignoranl Arislolelicam; Aristoteles namque hoc loco intendil connumerare
conclusionum species, quae per se et primn in syllogismis inveniuntur naturalibus,
non autem qui sunt secundum inlentionem secundam et non secundum cursum syllogismi.
322) Ebend. f. 83. r. A: Quod aulem non invenitilur figura quarta, planum
ex medio termino, qui accipilur communicare cum amuabus extremitalibus ; quemadmodum
si accipiatur C communicare cum K et A , quae sunt exlremitates quaesiti,
ex necessüate sequetur unum ex tribus , vel ut subieclum maioris extremitatis sil
praedicalum minoris, qttemadmodum si A pracdicelur de C et C de B, et haec figura
prima, aut praedicelur de utrixque simul, et haec figura secunda, aul ipsis subiicialur,
et haec figura tertia. Si vrro accipiatur praedicatum maioris Subiici minori,
non conveniet, propterea quod praedicatum maioris praedicatur de minore , quoniam
maior praedicalur in quaesito secundum nalnram de minore , et ila erit idem praedi
catum de se ipso , quod fieri non polest , si inlerpretelur tcrminus medius secundum
quaesitum posilum; quod si ezponatur Sfcundum participationem , concludet aliui a
quaesito, puta conversum suum, et hoc secundum modum, qui numeratur complicalio
figurae quarlae , quam posnit Galenus; atqui erit Syllogismus super alio a quaesito
posito, sed in hoc non cadit cogitatio secundum naluram, neque accipitur in seraone
syllogistico neque demonstrative neque existimativo. Gelegentlich der Erklärung der
XVI. Averroes. 381
der gleichen Strenge liält er sich auch in anderen Fragen gegenüber
seinen Vorgängern an die Angaben des Aristoteles, und so bek9mpft er
den Alfarabi (Anui. 44) bezüglich der syllogistischcm Bedeutung der
Möglichkeit»- und Nothwendigkeits-Uriheile 323), sowie er auch den Be
griff des Möglichen nur nach aristotelischer Lehre fasst 324); ja in
gleicher Weise verfährt er selbst dem Thcophrastus gegenüber, insoferne
derselbe (s. Abschn. V, Anm. 51) bei den aus modalen Urlheilen comhinirten
Syllogismen, den Grundsatz aufgestellt halte, dass der Schluss
salz der schwächeren Prämisse folge325). Und sogar da, wo er be
züglich der aristotelischen Angaben über die Voraussetzungsschlüsse
(Ahschn. IV, Anm. 580 IT.) sich durch die Comroentatoren und den conslanten
Schulgebrauch dazu verleiten liess, in ähnlicher Weise wie
Algazeli (Anm. 269 f.) die condilionalen Schlüsse in zwei Formen und
die disjunctiven in vier Formen anzuführen3'26), lenkt er ziemlich be
sonnen auf den aristotelischen Standpunkt zurück, insoferne er den
wesentlichen inneren Unterschied zwischen diesen hypothetischen und
den kategorischen Syllogismen anerkennt, dass in ersteren der Schluss
satz nicht eine eigentliche Errungenschaft des Schliessens sei, sondern
gerade der Obersalz zu seiner eigenen Begründung noch eines kategori
schen Schlusses bedürfe327). Zu jener aristotelischen Stelle aber
aristotelischen Stelle, welche in der Topik (l, 9.) das problema dialecticum be
trifft, führt Averrots diese Frage über die Zahl der Schlussfiguren als ein Bei
spiel der nützlichen Probleme an (Topic. f. 260. v. A): iuvans logicam est, ut, an
figurae categoricae sinl Ires auf qualnor, et ati ileßnilio acquiratur dicisione aul
compositione aut demonslratione .
323) Prior. Resol. S. 65. v. B u. f. 72. v. B.
324) Ehend. f. 68. v. A.
325) Ebend. f. 65. r. B : Theophrastus vero alque Eudcmus ex anliquis Peripateticis
et inter posteriores Themislius , gut eos seculus est, exislimaverunt , quod
modus conclusionis scqualur viliorem ex duobus modis, h. e. ut semper in luli complicutione
sequalur proposilionem absolulam , quoniam ausoluta Sed in hoc sermone est confusio manifestit ..., quoniaesmt viliormondecuesssacroina.
dusionis sequelur modum proposilionis maioris, secundum quod existimavil Ari
stoteles.
326) Ebend. f. 83. r. A: Syllogismorum conditionalium duo sunt gvnera primu.
l'ni'iii esl Syllogismus coniunclus , is videlicct , qui eoiu/ionilur ex conscquentibus et
coaplalur per notas condilionis facienles coniunclionem ; istius vero sunt binae
species , n«a, ut ponatur ipsius antecedens per se et concludatur con.tequens ,
nllera vero, r um ponilur in ipso oppositum consequenlis et concluditur oppuiitum
antecedentis Sed genus secundum est condilionalis divisus; hie autem componilur
ex contradicloriis perfeclae contradictionis , et coaplanlur Uli tiotac conditionis
signißcantes partitiontm; huini autem sunt quatvur species, et hoc, quia ponitur
antecedens et conctuditttr oppositum conscquentis, et ponilur consequens et concluditur
opposilum antccedcnlis , et ponitur oppositum antecedentis et concluditw
consequens, et ponitur oppositum consequenlis et concludilur antecedens.
327) Ebend.: Si perscrulaliimur ipsorum disposilionem, planum noliis ftet, quod
quaesitum in ipsis id est, quod monslralur per modum condilionis, sed positum esl
illud, quod oportet monslrare per syllogismum praedicativum in conditionali diviso
et coniunclo, posteaquam fuerit coniunclio et contradictio per se manifestit, et hoc,
quoniam, si fuerit coniunctio in ipsis manifesla per se et posilum manifeslum per
se , erit etiam consequens manifestum per se Nee dici polest, quod, quemndmodum
sunt proposiliones in syllogismo praedicalivo per se notae et conclusio ignota,
382 XVI. Averroes.
(Al)schn. IV, Anm. 588 f.), welche sich auf die Praxis der Syllogistik
und liirmii auf die Auffindung eines passenden Mitlelbegriffes bezieht,
wurde durch Averroes dem lateinischen Miltelalter eine neue veran
schaulichende Figur an die Hand gegeben328). Eine ebenso sorgfaltige
als hreile Erklärung widmet er dein zweiten Bliche der ersten Analytik,
hält sich aber dabei durchaus so strenge an Aristoteles — z. B. auch
consimiliter accidat , ut res sil in sylloaismo conditionali, h. e. ut sint antbae propositiones
per se nolae , i. e. conditionali s et posila, et sie conclusio ignola,
sed propositiones in syllogismo condilionali non requiruntur ad compositionem, ut ex
ipsis sequalur id , quod sequitur.
328) Ebend. f. 87. r. (wobei ich nur der Kürze wegen die Bezeichnung der
Schlussmodi wie in Abschn. IV, Anm. 588 (. wähle):
XVI. Averroes. 383
l SS
Figura methodi pro medio in sinqulis coniugationibas inveniendo.
Inconsislens in U ex duobus affirm. 7/1
Inconsislens ex A duabus negattvis
Particul. af/irm. in Iß \, lll 3, III 4 et in l 3 per conversionem \\ S
384 XVI. Averroes.
bezüglich der Induction 329) — dass es völlig unnöthig ist, Einzelnes
besonders anzuführen.
Ebenso können wir, was die zweite Analytik betrifft, vor Allem
von dem sog. minieren Commcnlare 33°) Umgang nehmen, indem derselhe
als ein Mittelding zwischen Paraphrase und Commentar allerdings
das Ganze recht klar und mit guter Betonung des Hauptsächlichen dar
legt, aber nirgend Eigentümliches bielel. Auch der sog. grosse Com
mentar hält sich überwiegend an den Text, und während in demselben
wohl zuweilen Themislius , seltener aber Alexander Aphrodisiensis er
wähnt ist, finden wir auffallender Weise nur sehr selten andere Schrif
ten des Aristoteles zur Erklärung beigezogen 331). Somit ist es nur
Weniges, was wir hervorheben müssen. Zunächst begegnet uns, was
das Verhällniss der zweiten 7,ur ersten Analytik betrifft, auch hier
wieder die bei allen Arabern übliche Auffassung, dass es sich um den
Unterschied von Form und Stoff der Schlüsse handle332), und indem
Averroes den unmittelbaren Anschluss der zweiten Analytik au die erste
dadurch begründet, dass dann auf das allgemeinere und wesentlichere
Element der Form der Inhalt ohne lästige Wiederholungen folgen
könne333), bekämpft er ausdrücklich die Ansicht Avicenna's, welcher
zwischen beide Analytiken das Gebiet der Dialektik einschaltete 334).
Und sowie er gegen obige Auffassung Alfarabi's (Anm. 52) polemisirl 33S),
so verfährt er ebenso bei allen jenen Controversen über die im Mittel
begriffe liegende Causalitäl336), über xct9' ctmo und xa&öiov 337),
über praedicalum pnmum338), indem er überall jede Abweichung vom
329) Ebeud. f. 124. r. B.
330) f. 240—255.
331) So z. B. ist nicht einmal bei Erörterung der Stelle über die vier Priocipien
(f. 217.) die Metaphysik cilirt.
332) Poster. Resolut, f. 127. r. A: Inlentio libri ist, speculari de demonstrationilms
atque de deßnilionibus. De demonstrationibus vero tractal quoad. ea, quae
vicem exhibent materiae ipsarum et haec in summa sunt proposilioncs verae, demonslraliones
namque ex duolius constanl, quorum unum o»J iproposilioncs el hoc est,
quod viccm obtinet materiae, allerum vero est ipsarum compositio et hoc est. quod
i'icem exhibet /ormae, quae cum iam monstruta füll in libro syllogisini, ideo incipit
hoc in loco sermonem j'acere de eo , quod supereral ex cognilione syllogisini demonstralivi,
It. e. de maleria, ex qua componilur, et propterca rocavit ambos libros
unico nomine.
333) Ebend.: Ordo aulem ipsius est post librum de syllogismo procul dubio
Iribus de causis, quarum una esl, quoniam universale nolius est particulari el oporlet
praecedere in ordine doctrinae mqgis nolum , quemadmodum oporlel etiam in deduclione
quuesili procedere Causa autem secunda rst, quoniam specvlalio estentialis
esl, cum speculamur de aliquo universali, secundum quod inest subiecto universali,
non autem subieclo particulari Causa autem lerlia esl,' quia sie non
conlingit itcralio in doclrina , propterea quod , qui facü doctrinam per liunc modum,
monstrare puterit per se ex proposilionibus veris seorsim el probabilibus seorsim el
reliquis eliam speciebus propositionum.
334) Die Stelle ist oben, Anm. 230., angeführt.
335) Posler. Resol. f. 127. r. A.
336) Ebend. f. 131. v. B.
337) f. 137. r. B.
338) f. 138. v. B u. f. 141. v. A.
XVI. Pseudo-Averroes. 385
aristotelischen Texte, welche bei Alfarabi oder bei Avicenna zu Tag
kam, zurückweist. Ebenso strenge hält er an der ächten aristoteli
schen Lehre bei Erklärung der Stelle (Abschn. IV, Anno. 655 f.), welche
die syllogislische Nothwendigkcil betrifft339), bei der Krage über das
Beweisen der Principien in einer Wissenschaft340), bei der vielbe
sprochenen Stelle (Abschn. IV, Anm. 162), aus welcher man das principium
idenlilalis herausgelesen halle341), hei der „demonslralio quia"
und der „demonslralio propler quid" 342), und insbesondere hei den
Erörterungen über das Vcrhältniss zwischen Demonslration und Defini
tion343).
Endlich der Commentar zur Topik isl gleichfalls nur als eine eint
heilend« und numerirende Exegese des aristotelischen Textes zu be
zeichnen, und das einzig Bemerkenswerlhe dürfte sein, dass hiebei sich
Averroes häufig auf den uns verlorenen Coniinentar des Themislius
(Abschn. XI, Anm. 95) stützte 344). Ebenso bleibt die Erörterung der
Saph. Elenchi, welche auch er nach dem Vorgange Alfarabi's (Anm. 64)
in zwei Bücher theilte 345), innerhalb der hloss exegetischen Aufgabe.
Lassen wir hiernach zunächst jene Epilome folgen, welche von
den Lateinern für eine Schrift des Averroes gehalten wurde (s. Anm.
290), so kann man über dieselbe im Allgemeinen kein ungünstiges
Urtheil fällen, denn der Verfasser versteht es, in einer klaren und über
sichtlichen Darstellung, welche zuweilen nur durch den Ueberselzer
verdorben zu sein scheint, den Hauptinhalt des Organons (mit Einschluss
der Rhetorik und Poetik) zu entwickeln. Manche Eigentümlichkeiten
aber dieses Buches machen es nothwendig, dasselbe etwas näher zu
betrachten. Die Aufgabe der Logik, welche die Geltung einer Hilfs
wissenschaft habe (s. unten Anm. 380) , wird in der bei den Arabern
üblichen Weise, aber mit neuer Terminologie, darein gelegt, dass sie
die Regeln über formalio und verificalio , d. h. über Definition und Ar
gumentation, zusammenstelle346). Und indem für diese beiden Zweige
339) f. 143. r. A.
340) f. 151. r. A.
341) f. 154. v. B.
342) f. 159. r. A.
343) f. 199 ff.
344) Z. B. Top. f. 266. r. A u. B, f. 274. v. B, f. 275. v. A, f. 291. r. A,
u. s. f.
345) f. 332. r. A.
346) Epitome, f. 341. r. A: Intenlio in hoc sermone est , colligere sermones
nccessarios in hac arte logicae ad cognitionem regularum parlium formalionis et verificalionis,
quae fiunl in tot a arte logicae (diese Terminologie ,, formalio" und ,,verificalio",
für welche wir bisher stets „definilio" und „demonslralio" trafen, scheint
der späteren arabisch-jüdischen Litteratur anzugehören; s. unten Anm. 419.)
Dicamus itaque, quod, ex quo fuerunl omnes quaestiones, quarum cognilio appelitur
in omnibus arlibus speculalivis , duarum specierum esl, videlicel formalio et verificatio;
el fuil formalio id, quod esl intelleclus rei per id, quod constiluit substanliam
suam, vel per id, quod existimalur, quod comlilual subslantiam suam, el eril
id, de quo quaeritur ul plurimum diclione „quid"; et verificalio esl inlelleclus rei
per id, quod dicilur ipsius disposilio quaedam, et esl id, de quo quaeritur ut plu
rimum diclione „utrum" .... el cum diclione ,,an".
PRANTL, Gesch. II. 25
386 XVI. Pseudo-Averroes.
ein doppeltes Moment in Betracht komme, deren eines die Richtung
bezeichne (dirigens), während das andere (agens) die Verwirklichung
mit sich bringe34'), so ergibt sich zunächst eine Vierlheilung des
Stoffes, insoferne in der Worlbezeichnung (significatio diclionum) die
Richtung und in der Isagoge nebst den Kategorien die Belhälifjung der
Definition liege, sowie entsprechend das Urtheil mit seiner Gegensätz
lichkeit des Wahr- und Falsch-Seins die Richtung und der Syllogismus
die Bethätigung der Argumentation euthulle, und erst nach dieser vier
fachen Erwägung folge die Betrachtung desjenigen, wodurch die ein
zelnen Definitionen und Argumentationen je nach ihrem topischen oder
apodeiktischen oder rhetorischen udor sophistischen oder poetischen
Charakter bestimmt seien 348).
Der erste die blosse significalio als solche betreuende Abschnitt
bespricht die Begnll'e des Synonymen u. dgl. in grösster Vollständigkeit,
indem nicht bloss neben den üblichen auch das disparalum, das n-aimlalum,
das acuommodalum, erwähnt werden, sondern unter der Bezeich
nung commune et speciale auch die fünf Universalien ihre formelle Be
rücksichtigung finden 349).
Die materielle Geltung aber der Universalien, welche von Averroes
als unnölhiges Beiwerk des Organons bezeichnet worden waren (Ainii.
294), bildet den ersten Theil des Abschnittes, welcher sieb auf das
agens der Definition bezieht, und auf eine Begriffsbestimmung des Uni
versale und des Singulare, welche genau mit jener des Avicenna (Anni.
88) übereinstimmt 35°), folgt die nähere Angabe der fünf Worte, wobei
z. B. erwähnt werden mag, dass jene bestritlene Relativität der Defini
tionen des Gattungs- und Art-Begriffes (Anin. 113 u. 296) hier ohne
347) Ebend. : Et oportuit, quod praecedat quamlibet istarum diseiplinanun (der
Text gibt discipulo) duae parles nntitiae, aut agens aut dirigens. Dirigens quidem
ad formationem est, quae significatur per diclionem separatem; agens vero est ex
rebus, quibus sibi constat res, et illae sunt partes deßnitionum et definitiones. Verificationis
vero diric/ens est detcntio veritatis apud quaestionem duarum parlium oppositionis;
sed agens ipsam esl Syllogismus.
348) Ebend. : Sicque dividemus perscrutalionem huius artis necessario ad has
quatuor partes. Et incipiemus a traclatu significationis diclionuii in universali;
deinde procedemus ad sermonem de rebus simplicibus (ausgefallen ist et compositis)
agentibus formationem. Ullerius procedemus ad sermonem de rebus , quibus opposita
sunt opposita adeo, quod veritas Iranseal in unam earum- postea loqnetnur de syllogismo
et specicbus eius simpliciler. Rursus progrediemur ad id, quo proprie terminantur
singulae formatiertes et veriftcationes simpliciter , et illa est disciplina
propria, quae fit in singulis quinque artium, dico demonstrativ am et topicam et
ceteras.
349) Ebend. f. 341. r. B: Sermo de significutione dictionum. Nomina quaedam
sunt aequivoca; et eorum sunt nomina Synonyma, univoca,
disparala, translata, accommodala, et eorum sunt, quae dicuntur secundum
commune et speciale, et eorum sunt nomina denominativa. Vgl. Antn. 91.
350) f. 341. v. A: Sermo de rebus agentibus formationem. Et res incomplexae
vel sunt universales vel particulares. Et universale esl res, cui possibile est ex
substanlia formationis eius in intellectu solo, quod praedicelur de pluribus, quam
de una re Verumtamen singulare est id, quod impossibile est ex substantia
formationis eius, quod praedicetur de plus quam singulari uno.
XVI. Pseudo-Averroes.
allen Argwohn zu Grunde gelegt wird351)- Der zweite Theil dieses
Abschnittes enthält (im Gegensatze gegen die Einfachheit der Univer
salien) bereits Zusammengesetztes, aber nicht dasjenige, welches im
Urtheile eine wahre oder falsche Verbindung darbietet, sondern jenes
Zusammengesetzte, welches in den verschiedenen Formen der Definition
ausgesprochen werde, indem dieselbe entweder als eigentliche Definition
das gesammte substantielle Sein eines Gegenstandes darlege oder als
Beschreibung denselben nur aus einzelnen Wesenshestimmungen erkläre,
oder endlich keines von beiden thue, sondern nur ein Accidenlelles an
dem Gegenstände heraushebe352). Nur ein Behelf aber zur Definition
seien die Kategorien, deren Kenntniss an sich nicht zur Logik gehöre
(vgl. Algazeli, Anni. 257), und nachdem der Verfasser in einer an Avicenna
(Anm. 93) erinnernden Weise den Unterschied zwischen dem
quidditaliven Sein und den einzelnen Wesensbestimmungen sowohl für
das Universale als auch für das Singuläre als güllig bezeichnet und
somit die Kategorien an den Begriff des Universale knüpft, um dieselben
dann in üblicher Weise kurz zu erörtern353), schliesst er diesen Ab
schnitt mit der Bemerkung ab, dass die Kategorien zugleich eine logische
und eine reale Bedeutung haben, jedoch nach der ersteren, in welcher
sie Erzeugnisse der denkenden Seele sind, ein Moment enthalten, wel
ches gemeinschaftlich sowohl der Definition als auch der Argumentation
angehöre 354).
351) Ebend.: Et universalia incomplexa sunt quinque: genus, species , differenlia,
proprium el accüleus. Genus quidem et species dicilur ulrumque eorum in
ordine ad allerulrum u. s. w Accidens esl .... duarum specierum, separabile
et inseparatiile u. s. f.
352) f. 342. r. A: Sermo de rebus compositis. Res quidem composüae ex istis
incomplexis sunl duarum specierum. Una est, cuius composilio est compositio enuntialionis,
et ipsa esl, cuius viae est, quod verificetur et falsificetur , et sermo iste
esl ex appropriatis (über diesen Ausdruck vgl. Anm. 52.) sermonibus veris. Et
species secunda compositionis esl compositio condilionis el copulalionis , el ipsa esl
cumposilio, quae non verißcatur neque falsificalur, scd ulimur ea in formalione. Et
esl Irium specierum, videlicel definitiv et descriptio et sermo, qui non esl definilio
neque descriplio. Sicque -deftnilio est sermo, cuius compositio esl condilionis el copu
lalionis ad inlellectionem definili per res substanlialcs, quibus esl sui consistenlia, et
ipsa componilur ex genere et differentia. El descriptio esl sermo, cuius compositio
esl condilionis el declarationis declarantis rem, super quam significat , non per omne
id, quod consliluil subslantiam sui /'.'/ sermo, qui non est definilio neque de
scriptio, componilur ex specie et accidente, sicut est dictum nostrum de Socrate,
quod ipse sil homo albus.
353) Ebend.: El quoniam decem praedicamerila adiuvanl formationem , decel,
quod loquamur et reminiicamur de eis quidquam, Ucet non sil notilia eorum necessaria
isti inlenlioni, quam inlendimus. L 342. r. B: El universalia sunt duarum
specierum: praedicatum, quod praedicat de eis praedicalione nalurali subslantiam
suam et quiddilatem suam El alia species nolifical de subiectis aliquibus ....
res exeuntes a quiddilale eorum Et singularia etiam sunt duarum specierum:
singulare, quod praedicalur de aliquo omnino praedicalione secundum viam naturalem
el ipsum est singulare subslanliae; et singulare, quod non nolißcal in praedicalione
aliquid de aliquo quiddilalis suae, sed rem exeunlem a quiddilale sua, el ipsum esl
singulare accidenlis El genera islorum universalium suprema ipsa sunt, quae
vocanlur praedicamenta, et secundum quod numeraverunt ea antiqui , sunl decem:
subslanliae el neuem accidentium.
354) f. 343. r. A: Sermo de rebus communibus formationi et verißcationi sim-
25*
388 XVI. Pseudo-Averroes.
Der drille Abschnill, dessen Gegensland das ilirigens der Beweis
führung, nemlich das der Gegensätzlichkeit des Wahren und Falschen
fähige Urlheil ist355), bewegt sich überwiegend in dem forlgesetzten
Gesichtspunkte des Einlheilens; nemlich vorerst werden die Urlheile
wie bei Averroes (Anm. 312) unter Wiederholung einer dortigen Be
merkung über das arabische Verbum (Anm. 310) in binar ia und ternaria
eingetheilt 35ß), worauf die Unterscheidung nach der Qualitäl in
bejahende (simplices), verneinende (remotivae) und privalive (vgl. Anm.
260) folgt357), um hierauf die Eintheilung nach der Modalität (mit der
Terminologie „invenliva" für „de inesse") anzureihen 358), und all diese
sich kreuzenden Einteilungen abermals durch den Gesichtspunkt der
Quantität zu durchkreuze;!, wobei beachtet werden mag, dass auch hier
(vgl. Anm. 214) die Bestimmungen der Quantilät als „signa" bezeichnet
werden359). Sodann folgt die Erörterung der Gegensätzlichkeit, je nach
dem die Urlheile singulär, conträr, conlradictorisch, subconlrär oder
unbestimmt sind 36°), und es wird die Untersuchung hierüber sowohl
pliciler. Isla ilaque sunl genera mayis universalia rebus smsalis, et species islorum
et genera eorum sunl subiecla in sciciuiii. Sed islud esl duobus modis distinclis,
quia .... ex eo, quod contingunl eis, in inlelleclu secunda, quorum invenlio est certe
in inlelleclu , solum erunl logiculia , quia ars lugicae certe tribuet regulas de islis
generibus ab inlelleclis , et isla omnia sunl res inlellectae , quarum inventio
non est extra animam Verumlamen dum accipiuntur ex eo, quod sunt intellecta
rerum sensalarum extra animam , erunl realia , vel mathematica vel alia ab islis.
El hie perßciam sermonem de rebus communibus /'ormalioni e't verificationi simpliciter
et procedemus ad id , quod limital proprie verißcutionem.
355) f. 343. r. B: De dirigentibus ad tierißcalionem. Formae autem , quae
limilant verißcationum , sunt duorum generum: genus verificationis quaestionis et
distinclionis ipsius in duo opposila adeo , quod detineatur veritas alterius Hierum ;
et genus secundum esl veriftculionis sermonis composili agentis verificalionem , et est,
quod nominaler Syllogismus. Et incipiemus in genere primo, quia ipsum est primum,
quod verificabilur anle omnem rem in quaeslione et est notitia praesupposita verißcationi;.
deinde procedemus ad verißcandum per syltoyismum.
356) Ebend.: Enunliationum quaedam est binaria et quaedam est trinaria;
binaria autem est, cuius praedicatum (der Text gibt praelerilum) est verbum , et
isla est trium speciertim , vel quod /'uerit eins verbum praelerilum vel futurum vel
praesens, sed non invcnilur in lingua Arabum impositio significans super significalttm
praesens ; ternaria autem est , cuius praedicalum est nomen.
357) Ebend.: El utrarumquc istarum, et binariarum et trinariarum, quaedam
sunt simplices, et earum sunl remolivae, quarurn praedicatum est nomen vel
verbum imperfectum , sicut si dixerimus „Socrales non esl sanus", et quaedam
sunl privativae, privalio autem uniuersaliter est, quod deficiat habitus, cuius
consuetndo esl.
358) f. 343. v. A: El cuiuslibel speciei istarum enuntiationum .... quaedam sunl
non habenies modum et quaedam habentes modum Et modi primi sunl tres:
l'ossibile .... et necessarium et inventiva.
359) Ebend. : El unuquaeque istarum enunlialionum vel cril kabens signum vel
non hüben s signum, el sunl enunliationes , quarum subiecla sunt res universales, et
signa sunt quatuor: ,,0mne" et „Nullum", „Aliquod" el „Nun aliquod" et ipsum
esl in gradu dicti noslri „Non omne". "•
360) Ebend.: Omnes autem species enunliafionurn, quarum consueludo esl,
quod opponanlur, aliquando sunt oppositae secundum afftrmationem et negalionem
adeo, quod secernant veritalem et falsitalem, et aliquando non sunt oppositae secun
dum affirmulionem el negalionem Orationum aulriii oppositarum sunl quinque
XVI. Pseudo-Averroes. 389
bezüglich der modalen Arien361) als auch nach Her Qualität der Urtheile
in Verbindung mit der Modalil.1t derselben geführt 362).
Indem sodann als vierler Gegensiand, neinlich als agens der Argu
mentation, der Syllogismus sich anreibt3113), kann bemerkt werden,
dass der Verfasser ebenso wie Averroes (Anm. 320) 36 mögliche Combinationen
der Urtheile annimmt 3(i4) und auch in der Polemik gegen
die vierte Galenische Schlussligur sich an denselben (Anm. 322) anschliesst,
ja noch ein tieferes Moliv hinzufügt, indem er hervorhebt,
dass die feste Bestimmtheit des Mitlelhegrifles be/üglieh des im Syllo
gismus beabsichtigten Beweises das Entscheidende sei 3B5). Jene Syllo
gismen, wi'lche auf Verbindung der Uitheile des Slallfindens mit modalen
beruhen, bleiben hier ebenso wie bei Algazeli (Anm. 269) weg, hin
gegen eine ausführliche Erörterung finden auch hier die hypothetischen
Schlüsse, deren Vorhandensein bereits in der arisloleliscben Definilion
des Syllogismus liege380); und mil der üblichen Zweilheilung in conditionale
und disjunclive finden wir hier, was die ersleren betrifft, eine
Wiederholung der Theorie AlgazelL's (a. a. 0.), womil sich jedoch auch
eine Berücksichtigung der logischen Qualität des Vordersatzes und Nach
satzes verbindet, so dass biediirch die Zahl der conditionalen Schlüsse
auf 24 steigt367); in ähnlicher Weise wird hei den disjunc.tiven auf
species; quaedam sunl singulares ei quaedam sunl conlrariae et quaedam
xn i/l contradicloriae et quaedam sunl subcontrariae et quaedam sinn, cum
quibus non coniungitur signum omnino .... et ipsae sunt indeßnilae.
361) f. 343. v. B: Et expedil, considerare, qtialiter secernant species islarum
oppositarum verilatem et fatsilatem in omnibus tribus maleriis, quae sunt possibilis
et inventi et necessarii.
362) Ebend.: Quoniam autem enunlialiones simplices et remolivae et privativae
sunl etiam opposilae, poslquam simplices significant super dispositioncm et liabilum
et remotivae et privalivae super privalionem, iam convenil, quod comparetur inier
eas el inier oppositionem a//irmalivae et negativae et considerelur, an ipsarum discrelio
veritalis et falsitatis sit secundum tmum exemplum nee ne. Natürlich wird lelztere
Frage verneinend entschieden, und zwar in einer höchst ausführlichen Darlegung
(f. 344. r.), welche bei jeder Species des Gegensatzes wieder die drei Arten der
Modalität berücksichtigt.
363) f. 344. v. A — 346. r. B.
364) f. 345. r. A.
365) Ebend.: ,Y<.w evenirel necessilas conclusionis , quando accepla fuerit illa
habiludo, quae est inier duas praemissas ad quaesitum indeterminalum , et qualitercunque
contigerit, mßceret huit, quod sit una earum , quaecunquc fuerit, affirmalii'it,
qualiscunque fuerit secundum quanlitatem suam, el allera universalis , qualiscunque
fuerit secundum qualilalem suam. Verumlamen dum accipietur ista habiludo,
quae esl inter duas praemissas in respcclu ad quaesitum delcrminalum, quod esl inlentum
in hoc libro, maior necessario eril universalis el minor afftrmativa; el ideo
reliquit Aristoleles ßguram quarlam, quam posuit Galenus.
366) f. 346. v. A: Quoniam aulem iam acceplum esl in definilione syllogismi,
quod ipse sit oratio , in qua positae sunl res plus, quam una, el fuil modus posilionis
duplex, quorum unus esl modus praedicalionis el aller esl modus condilionis,
iam utique decel, quod sermonem transferamus in hoc Syllogismi quidem conditionales
dividuntur secundum parles dictionum conditionis in coniunctum et disiunclum.
367) Ebend.: Quoniam consequenlia quaedam sunl perfecta conseculione
et quaedam sunl, quae non sunl perfecla conseculione, illa quidem, quae
390 XVI. Pseudo-Averroes.
die vier Arten des Gegensatzes hingewiesen und auch eine Dreitheilung
der Disjunclion aufgestellt, je nachdem dieselbe hloss dichotomisch oder
in begränzler oder unbegränzler Zahl der möglichen Mittelstufen polytomisch
ist 368). Von dem (ihrigen Inhalte der ersten Analytik wird
nur noch die deduclio ad absurdum 3li9) und die Verflechtung mehrerer
Syllogismen zu Einer Beweisführung erwähnt310), hingegen die Lehre
von der Induclinn, sowie von der logischen Geltung des Beispieles und
des Indiciums ausdrücklich abgewiesen 371).
Soll aber nun dasjenige, was die übrigen Araber den Stoff der
Argumentation genannt hatten, folgen, so stellt sich der Verfasser auf
den Standpunkt, dass es sich nach Erörterung des Bisherigen noch um
die praktische Verwirklichung handle, und da in dieser Beziehung für
die unvollkommneren Stufen der Wissenschaften die Argumentation»-
Weise der Topik ebenso zweckdienlich sei, wie für die vollkommnen
das apodeiktische Verfahren, so stellt er im Gegensatze gegen Averroes
(Anm. 334) niit aller Entschiedenheit die Topik zwischen die erste und
zweite Analytik372), und entwickelt- hiemit sofort jene Topen, welche
componunlur ex duabus imperfeclis (der Text gibt perfectis) concludenlibus , stml
duarum specierum , quarum una est repetens antecedens per se et condudens consequens
per se, in secunda autetn specie repetilur oppositum consequentis et concluditur
oppositum antecedenlis (f. 346. v. B) Verumtamen species, quae com
ponuntur ex composilis, quae sunt perfcctae eonseculionis, sunt quatuor omnes species
concludcnles Quoniam coniunclionis quaedam esl coniunctio afftrmalionis cum
a/fmualione, et quaedam negationis cum afftrmalione , .... et quaedam affirmationis
cum negalione , et quaedam negationis cum negatione, dum multiplicabuntur
per divisionem primam sei species , erunt species concludentcs viginti
quatuor.
368) f. 347. r. A:' Syllogismi quidem conditionales disiuncti sunt, qui compo
nuntur ex contradictoriis , et contradictoria sunl, quae impossibile est quod coniunganlur
simul in uno subieclo et ex una parte et in uno lempore ; sicque in summa
species oppositorum in eis sunt afßrmatio et negatio, privatio et kabilus, et contrario
et relataa. Istarum autem quatuor specierum quaedam sunt perfeclae contradictionis
et quaedam sunt imperfectae /•.'/ i stumm quaedam sunt, quae opponuntur duobus
solum, et illa est secunda species, in qua componuntur conlraria, inter quae
esl medium dclerminali numeri, qui vero componuntur ex opposilis, quae sunt
imperfeclae cuntradictionis , est species terlia ipsius speciei syllogismi; illi ut plurimum
componuntur ex conlrariis, inier quae est medium indelerminati numeri.
369) f. 347. r. B (s. Abschn. IV, Anm. 623.).
370) f. 347. v. A (Abschn. IV, Anm. 586 f.).
371) f. 348. r. A: Sed sermo de iiiductione et exemplo et signo est ex his,
quae propria sunt unicuique arti et unicuique verificationi.
372) Eb«nd : El dicemus , quoniam normae exhibitae in hac arte sunt duarum
specierum, species agens et species notificans; sicque iam praecessit sermo de rebus,
quibus sciuntur species sylloyismorum et modi eorum; iam itaque contienil , quod
loquamur de normis, quibus poterunl fteri syllogismi, quia iam semita scientiae formae
rei est alia a scientia operationis eius (f. 348. r. B) Et propter hanc
eandem rem non faciemus menlionem de his sermonibus nisi de illis, quorum consuetudo
est, ut veniant in usum demonstrationis Normarum vero, quibus funl
syllogismi lopici , certe opus est apud perscrutalionem arlium , quae nondum sunt
perfectae; sed ad Mas, quae perfeclae sunt, iam non est opus eis nisi ex parle
illius , quod melius esl. Verumtamen alia intentio, qua visum est nobis, quod referamus
istas normas, est, ex quo demonstratio est ea, quae est pracslantissima
rerwn, quas intendimus, sicque visi sumus nobis, ne abbreviemus in normis suis rei
XVI. Pseudo-Averroes. 391
sich auf die Definition und auf die Gegensätze beziehen373). Erst hier
auf geht er mit der Bemerkung, dass dieses Letztere gemeinschaftlich
der Definition und der Argumentation diene, auf den Inhalt der zweiten
Analytik und auf die dortigen Begriffe des Allgemeinen und Nothwendigen
über3'4). Eigentümlich ist ihm die Einteilung des demonstra
tiven Verfahrens in drei Arten, deren erste den ohjectiven Realgrund
und zugleich den subjectiven Erkenntnissgrund enthalte, während eine
zweite nur den ersteren und eine dritte nur den letzteren Causal-Zusammenliang
darbiete, wobei es sieb von selbst versieht, dass bezüglich
der ersten Art alles Gewicht auf den Mitlelbegrill' lallt375); bei dem
zweiten Verfahren , welches nur auf den objectiven Realgrund geht,
drängt sich eine Verwahrung gegen das „pont hoc, ergo propler Aoe"
auf, und in dieser Beziehung werden vier Modalitäten des Zusammen
hanges zwischen Früherem und Späterem unterschieden, wovon nur die
Eine vollständig syllogislisch genügt, in welcher eine Umkehrharkeit der
Abfolge stattfindet376); die dritte jener Arten gehört dem Gebiete an,
welches Aristoteles (Abschn. IV, Ainn. 272 ff. u. 546) als das „Meistentheils"
bezeichnet hatte377). Nachdem hierauf die Erörterung des defiad
atlingendum ipsam, immo cum eis meminerimus de rebus, quibus erit
comprehensio melior el nobilior, et non est dubium, quod Optimum in cognilione, demonslrationis
sit, quod secernamus ipsam el meditemur super operationem eius. Haec
ergo esl ulilitas, quam intendimus in hac parle logicae, et manifesla est ex his,
ijuae ili.i inii/x , inlf n l /n iua et ordo suus et proportio sua, et hoc est, quia li wi
est pars sermonit sy llo gismorum , et quae conveniut, quod legalur posl cognitionem
syllogismi et specierum eius et suorum modorum et ante librum Demonstralionis.
373) f. 348. v. A — 350. T. B , neinlich f. 349. r. B De locis compositionis,
f. 349. v. A De locis deßmtioni s , f. 350. r. A De locis oppositorum.
374) f. 350. v. B: Postquam autem »am locuti sumus de rebus communibus
speciebus formationis et verificalionis , dicemus itaque ea, quae propria sunt itnicuique
illarum, et incipiemus a veri/icatione vera et formatione perfecla. De demontlratione.
Dicimus, quod demonstratio universaliter sit Syllogismus compositus ex
duabus praemissis veris. universalibus necessariis per se.
375) f. 351. r. B: Oportel, quod dividalur Syllogismus demonstrativus in tres
species ; prima itaque species scitur per demonslralionem simpliciter et est de
monstratio causae et invenlionis simul, el secunda scilur per demonslralionem causae,
et tertia per demonstrationem inventionis el signi. Inchoabimus ilaque primo a demonslratione
causae el invenlionis, quia ipsa est nobilissima hanim specierum. Et
dicimus, quod oporlet necessario in hac specie syllogismi cum hoc, quod esl utilis
scientiis veris, quod tradal cum hoc causam adeo , quod medius terminus in ea sil
causa duarum rcrum simul, i. e. cognitionis rei et causae rei.
376) f. 352. v. B: Species vero demonslrationis causae sunt quaedam specierum
demonstrationis essendi et causae simul, et illarum condttiones sunt islae eaedem
condiliones et sua proprietas f»( haec proprietas , sed differentia inter eas est, quoniam
in hac esse est notum apud nos per primam notiliam aul per syllogismum,
sed per illam quaerilur nolitia causae tanlum Quoniam autem non conlingit
ostendere per quodvis posterius , quod conligerit, quodlibet prius , quod contigerit,
convenit cxponere hoc quadam explicatione. Dicimus itaque, quod prius et posterius
sunl secundum qualuor partes, quarum una esl, quod ex essendo ulrumlibet eorum
sequalur alterutrum, el haec sunt, quae sunt praedicatione convertibilia ; se
cunda autem pars est, q«od prius sequatur ad esse ipsum poslerius et non converlulvr
; tertia pars est, quod sequalur posterius ad esse prius et non sequalur
prius ad esse posterius ; quarta pars esl , quod non sequatur ad asse unum
eorum allerulrum.
377) f. 353. r. B: Demonstratio vero euidenliae pro maiori parle eveniet in hac
392 XVI. Spätere Araber.
nilorischen Wissens379) und der Praxis des Defmirens 379) gefolgt ist,
reiht sich an einer hier unerwarteten Stelle durch Anknüpfung an die
Theorie über das Zustandekommen der Wissenschaften eine Notiz über
die Einlheilung der Wissenschaft an, wobei neben den praktischen und
den theoretischen Disciplinen die Logik den Beruf erhält, das Denken
zur Erforschung jener anderen beiden Wissensgebiete zu unterstützen,
und zugleich jene obige Bemerkung aus Avicenna (Anm. 231) sich
wiederholt, dass Metaphysik und Topik und Sophislik in der Allgemein
heit des Gegenstandes zusammentreffen , während sie sich nach den
ihnen eigentümlichen Aufgaben unterscheiden 38°).
Hernacb folgt die Erwähnung des rhetorischen Verfahrens der
Argumentation381), woran sich die Sophistik knüpft382), bezüglich
deren erwähnt werden kann, dass eine von Alfarabi (Anm. 65) einge
führte Ergänzung, welche die „Iranslalio" zum Gegenstände hat, hier
als vollständig recipirt ausführlich besprochen wird383).
Endlich nach der Hinweisung darauf, dass nun Wahrheit und Täu
schung bezüglich der Definition und Argumentation hinreichend erörtert
seien, folgt noch eine Darlegung des topischen Beweisverfahrens384),
und eine Inhalts-Uebersicht der Rhetorik 385) sowie der Poetik 386) bildet
den Schluss des Ganzen.
Sehr kurz hingegen dürfen wir uns über die dem Averroes zuge
schriebenen Quaesila fassen, und insoferne wir von der Unächlbeit
derselben überzeugt sind (s. Anm. 289), stehen sie uns jenen „Divermateria
in accidenlibus , quae esse scquitur rem conseculione pro maiore parte , ul
werkt gratia, quando homini patienti torturam oris accidil apoplexia.
378) f. 353. r. B: Formationum aulem perfeclissima est, quae intelligitur per
deßnilionem , et deßnilifi tandcm est , cuius composilio csl composilio f.lausulae con~
dilionis et nexus explicans significatum deßnili per res essentialcs.
379) f. 353. v. B : Ordo vero partium definilionum in composilione est , quod
praeponamus universale et id, cuius modus est modus materiae , et poslponamus
parliculare et id, cuius modus esl modus formae.
380) f. 354. r. B : Arles .... dividuntur in tres parles, scilicel in arles, quarum
finis est solum operatio , et in arte s , quarum finis esl solum scientia,
et in arles adiuvantes islas , quae sunt artes , quae dirigunt intellectum ad perscrutationem
liarum duarum artium, et est ars logicac aul ei proportionales Quaedam
sunt artes universales et illae sunt trhim partium, ars primae philosophiae,
ars topica, et ars sophistica Modus vero considerandi in prima philosophia
est intellectio entis secundum disposilionem , qua est secundum esse Artis vero
topicae considerationis de cnte exemplum est consideratio vulgali , quo quaeritur 'rei
confirmalio aut ipsius confulatio Ars vero sophislica habet sua principia,
quae sunt ea, de quibus aeslimatur , quod sinl vera, cum non sunt vera, et de
quibus aeslimatur, quod sinl divulgala, cum non sunt divulgala,
381) f. 355. r. A.
382) f. 355. v. A.
383) f. 357. v. A: Translatio vero et permulatio est, quod translatio semper
sit ad id, quod polest capi vice rei et pulalur , quod sil ipsa res, et fallil,
n. s. w.
384) f. 357. v. B : Poslquam autem iam locuti sumus de rebus , ex quibus
cognoscitur verificatio vera et formalio perfecta , et postea loculi sumus de rebus.
quae fallunl in eis, loquemur ilaque de verificalionibus lopicis.
385) f.- 358. v. B.
386) f. 360. v. B.
XVI. Spätere Araber. 393
sorum Arabum Quaesita"3^1) völlig gleich, welche ebenfalls den Latei
nern kund geworden waren. Beide gehören der oonlrovertirenden Exe
gese des ürganons an, und indem wir auch hier nicht die Absicht
haben können, in die Litleratur- Geschichte der späteren arabischen
Epoche einzugreifen, müssen wir uns bei der Bemerkung begnügen,
dass durch jene verschiedenen Quaesita, welche uns oben häufig als
Quelle gedient hallen, das lateinische Abendland manche einlässlichere
Besprechungen jener hauptsächlichen Controversen empfieng, welche uns
bereits bisher fast hei allen arabischen Logikern begegnet waren. So
handelt es sich um die Definitionen des Galtungs- und Art-Begriffes 3S8)
oder um das Verhällniss der Namenserklärung zur Definition 389), sowie
in der Lehre vom Urtheile um jene schon von Anderen (Anm. 40 f. u.
313 f.) besprochenen Schwierigkeiten bei Häufung der Prädicate und
bei Urlheilen über nicht-exislirende Suhjeele 39°), oder um die Stellung
der Negation bei Möglichkeits- oder Nothwendigkeits-Urtheilen 391). Aus
dem Umkreise der ersten Analytik begegnen wir hier wieder den Fragen
über das Verhällniss der Urtheile des Stattfindens zu den modalen 392),
über die Umkehrung393), über die aus Urtheilen verschiedener Moda
lität gemischten Syllogismen 394), und über die Berechtigung der hypo
thetischen Schlüsse395). In der zweiten Analytik war es hauptsächlich
die Controverse über Alfarabi's (Anm. 51 ff.) Auffassung des demonstra
tiven Verfahrens396), woran sich dann die Erörterung über praedicalum
pn'mum397) und über die syllogislische Nothwendigkeit anschliessen
musste 398), und ebendahin gehörte selbstverständlicher Weise die Frage
über die im Mittelbegriffe liegende Causalität 3"). Auss,er dem Grund
satze (Anm. 340), dass die Priricipien einer Wissenschaft nicht in eine
andere zu übertragen sind400), war ein gebotenes Thema von Conlro-
387) f. 380 ff.
388) Divers. Ar. Quaes. f. 380. r. A.
389) Ebend. f. 381. r. B.
390) Ps.-Averr. Quaes. f. 361. r. A.
391) Div. Ar. Quaes. f. 383. r. A.
392) Ps.-Averr. Quaes. f. 362. r. A.
393) Ebend. f. 363. r. A.
394) Ebend. f. 363. v. A, f. 364. r. A, f. 370. v. B. Diners. Ar. Quaes. (.
381. v. A.
395) Ps.-Averr. Quaes. f. 368. r. A.
396) Ebend. f. 371 ff. Div. Ar. Quaes. f. 382. v. B.
397) Ps.-Averr. Quaes. (. 380. r. A.
398) Ebend. f. 375. r. A.
399) Ebend. f. 375. v. A. Div. Ar. Quaes. f. 383. r. B. Albert. M. Saph. El.
I, l, l, p. 840. A: Diät enim Isaac , quod ratio esl virlus collectiva faciens coire
causam in causalum, secundum quod causa sunritur in communi pro causa coruequentiae
et non pro causa consequcntis, sicut causa esl, quae causal decursum syllogisticum
per dici de omni et dici de nullo: sie enim logica est scientia de ratione
argumenlativa. Ebend. De praedicab. I, I, p. 1. B: Et hie modus (sc. scientiae)
esl per actum ralionis, qui raliocinatio sive argumentatio est, de cognüione cognili
procedens in scienliam eius , quod erat incognilum (s. Anm. 15.) , secundum quod
Isaac in libro de difftnitionibus rationem diffiniens dic.il, quod ralio esl animae intellectualis
virlus faciens currere causam in causalum.
400) Ps.-Averr. Quaes. f. 376. r. A.
394 XVI. Moses Maimonides. Levi Gerson.
versen der Unterschied der „demortslralio quia" und der „demonstralio
propter gutd" 401), sowie das VerhSItniss zwischen Demonstration und
Definition 402) und die näheren Bestimmungen über die Definition
selbst403).
Auch das fast berüchtigte Buch De causis , welches jedenfalls auf
arabische Litteratur als seine letzte Quelle zurückweist (s. d. folg.
Abschn.), konnte in der logischen Controverse über die Universalien als
Auctorität für eine bestimmte Parteistellung benutzt werden404).
Die Leistungen der Araber und namentlich des Averroes wurden,
wie bekannt, hauptsächlich in Spanien durch die Juden dem abend
ländischen Betriebe der Philosophie vermittelt 405). Sowie aber dieselben
überhaupt in völliger Abhängigkeit von ihren arabischen Vorgängern
lilterarisch thätig waren, so ist es auch auf dem speciellen Gebiete der
Logik nur Weniges, was wir hier über sie berichten müssen.
Wenn auch Moses Maimonides (geb. 1135, gest. 1204), wel
cher fälschlich für einen Schüler des Averroes oiler des Avempace ge
halten wurde 406), auf jüdische und christliche Theologie einen ziemlich
bedeutenden Einfluss ausübte , so ist seine hieber gehörige Schrift
„Vocabularium logicae" 407) in der That kaum erwähnenswerth, da sie
lediglich ein Excerpt der gewöhnlichsten Schuldoctrin enthält 40S).
Einigermaassen bedeutender ist Levi-Ben-Gerson (genannt Ma
gister Leon, in der Mitte des 14. Jahrb. blühend), dessen Commentare
zur Isagoge, zu den Kategorien, und zu De interpr. bereits von den
ihm gleichzeitigen Lateinern benützt wurden 409). Er folgt bei seiner
Exegese allerdings Satz für Satz und Zeile für Zeile dem Averroes,
ohne jedoch die Auffassung desselben stets zu seiner eigenen zu machen.
Mit Entschiedenheit vertritt er die Ansicht, dass die Logik Nichts wei-
401) Ebend. f. 377. v. B. Div. Ar. Quaes. f. 381. v. B.
402) Ps.-Averr. Quaes. f. 377. r. A u. f. 379. v. A.
403) Ehend. f. 378. r. B u. v. A.
404) Albert. M. De praedicab. II, 3, p. 14. A: Etiam per hoc confirmanl hoc,
quod dicunt , quod in Libro de causis multipliciler probatum est, quod res in causa
non est nisi per modum et mrtutem effecli per causam E/feclus aulem individuus
et singularis est; ergo forma, sive substanlialis sive accidcntalis , in effeclu
procedens ab intelligentia individua est et singularis. Universale autem nee indii'iduum
nee singulare est; universale ergo in e/fectu nalurae extra intelligentiam pro
cedens non est; in solis ergo et nudis purisque intellectibus posilttm esl.
405) Ueber diese Verdienste der Juden s. Renan, Averr. et l'Averroisme , p.
148 ff. und Munck, Dictionn. III, p. 362 f. Munck's Artikel „luifs" hat B. Beer
unter dem Titel „Philosophie und philos. Schriftsteller der Juden etc." Lpzg.
1852. 8. besonders herausgegeben.
406) S. über ihn Munck, Dictionn. IV, p. 21 ff.
407) Gedruckt Venet. 1550. 4.
408) Auch wenn z. B. Albert. M. De praedicam. III, 1. p. 122. A sagt: Inter
praedicabilia, quae sunt de natura accidentium subslantiae, primum occurrit praedicabile,
quod est quantitas , eo quod hoc immediale sequitur. ut dicit Rabbi Moyses,
so lohnte es sich nicht der Mühe, sich hiefür eigens auf Moses zu berufen (vgl.
Anm. 205).
409) S. über ihn Munck a. a. 0. IH, p. 364. Gedruckt sind die genannten
Commentare zusammen mit jenen des Averroes in den Ausgaben des Aristoteles
(Anm. 11. u. 288).
XVI. Levi Gerson. 395
teres als blosses Werkzeug der Wissenschaften sei410), und er bietet
den Lateinern die von denselben reichlich befolgte gute Lehre dar, dass
der Logiker von aller übrigen Wissenschaft sich fern halten könne, so
dass auch diejenigen sich hierauf berufen durften , welche den Streit
über die Universalien für die Logik bei Seite liessen 411). Bezüglich
der Aufnahme der Isagoge in das Organon bestreitet er direct obige
(Anm. 294) Ansicht des Averroes und schliessl sich an die übliche
Weise der Commentatoren an412); die Erörterung der gewöhnlichen
Controversen über die fünf Universalien bietet ausser einem Citate aus
Averroes Nichts hemerkenswertlies dar413). Die drei zunächst nach
der Isagoge folgenden Bücher» nemlich Kategorien, Lehre vom Urtheile
und erste Analytik, bezeichnete er ebenso wie der Verfasser der Epitome
(Anm. 348) als Erörterungen, welche allen fünf nachfolgenden
Verfahrungsweisen gemeinschaftlich seien, so dass das den letzleren
Eigenlhümliche den zweiten Haufdtheil der Logik bilden muss414).
Bei den Kategorien selbst, welche er ausschliesslich nur in realistischem
Sinne verslanden wissen will415), beschäftigt ihn unter Anderem haupt
sachlich die Einlheilung in Subslanz und neun Accidentien, sowie die
Frage über die Priorilät der Quantität vor der Qualität416); auch mag
410) Ad Porph. f. 1. r. B: Dicamus itaque , quod haec ars dirigit intellectum,
ut diiudicel inier verum el falsum, ....et sie hanc artem non esse scienliam, sed
organum ad scientias, est perspicuum.
411) Ebend. f. 1. v. A: Haec ars est principium ad omnes scientias, et ideo
non oporlet professorem huius scienliae habere noliliam de aliis scientiis, el idcirco
non debet considerare in hoc libro de his nominibus nisi quatenus sunl logicalia;
nam circa esse ipsorum universalium variae exstant opiniones apud sapienles.
412) Ebend.: Sed apud nos est quidem necessarium, ut sumatur initium ab
ipso (sc. introductorio) in hac arte, quoniam, turn initium huius arlis sit de significalione
simplicis locutionis el denlur in ea quaedum nomina, quae univoce dicunlur,
hac ralione nomina entium possunt reduci in exiguum numerum Adde
etiam, quod quicunque aliquem librum ediderit, profecto debet praeponere unnersalia
parlimlaribus .
413) Nemlich gelegentlich der verschiedenen Definitionen des Accidens sagt
Levi (f. 7. r. B): Tertia deßnilio esl, quae dicit, quod non est genui neque species
neque differenlia neque proprium et semper exislil in subiecto , et haec definitio est
data in arte lopica vel dialeclica, ul dixit Averroes in summula sua logicali; et re
vera est descriptio et non definitio. Jedenfalls suchen wir diese Notiz in der Epitome
(s. Anm. 290.) vergeblich.
414) Ad Praedicam. f. 12. v. A: Aristoteles praeposuit in hac arte logica tres
libros, qui sunt communes quinque artibus (s. Anm. 275.), quarum sententias declaravit
in reliquis quinque libris , el illi tres libri, qui sunt communes cunctis artibus,
sunt liber Praedicamenlorum et Perihermenias et Priorum.
415) Ebend. f. 13. v. B: Aristoteles vull Iraclare de his (sc. categoriis)
in hoc loco, quatenus existunt extra animam. non quatenus signißcant afßrmationem
vel negationem, quae est in anima.
416) Ebend.: Hie tarnen passet quis dubitare, cur Aristoteles non divisil enlia
in duo genera suprema tantum, nempe in suuslantiam et accidens , cum videatur
accidens univoce dici de omnibus praedicamentis accidentis quod hoc nomen ens dicilur secundum prius et posteri;usaddequocudnctdiiscepnrdauemdiecsat,
mentis, nam per prius dicilur de substantia el per poslerius de eorum ordine, ut si
dixeris , quantitatem esse primum accidens, quod recipial ipsum corpus et per ipsam
recipiat qualitatem Diynum praelerea invesligalione vidctur, quodnam accidentium
sit prius in substantia, utrum scilicet quantitas vel qualitas Si-il veritas
XVI. Levi Gerson.
noch erwähnt werden, dass er ähnlich wie Gilhertus Porretanus (Abschn.
XIV, Anm. 491) die Kategorie des far.ere durch alle übrigen Kategorien
hindurchführt417) und sehr ausführlich iiher quando, ubi und situs
spricht 41S). Bei Erklärung des Buches De inlerpr. , woselbst er ge
legentlich die übliche arabische Einlheilung der Logik in der Termino
logie „formalio" und „verificalio" (vgl. Anm. 346) vorbring»*19), be
zeichnet auch er (vgl. Anm. 260 u. 357) das privative Urtheil als eine
eigene Species420), schliesst sich aber, sowie er die das arabische
Verbum betreffende Bemerkung (Anm. 310 u. 356) erklärlicher Weise
auch für das Hebräische wiederhol!4'21), in allein Einzelnen völlig an
Averroes an.
Somit liegen nun sämmtliche Ingredienzien jenes logischen Betriebes
vor uns, welcher mit dem Eintritte des 13. Jahrhundertes im Abend
lande beginnt, und der erste Abschnitt des folgenden Bandes wird dar
legen müssen , wie die hoelhianische Tradition des früheren Miltelallers
und die erwachende Lectüre sämmtlicher Schriften des Aristoteles und
die Aufnahme byzantinischer Lilteratur und die Kenntniss der Leistungen
der Araber uianigfach nebeneinander treten oder sich vermischen, und
hiedurch eine neue Epoche, und zwar die üppigste und extensivste,
für die mittelalterliche Logik eintritt.
negolii est, quod qualilas individua est prior in ipso subieclo ipsa quantitate
propria, sed absolute et simpliciter loquendo quanlitas ipsa absolula est prior
in ipso subiecto qualitate absoluta.
417) Ebend. f. 24. v. A.
418) Ebcnd. f. 25 f.
419) De interpr. f. 35. v. A: Scienlia vel liabctur per coticcptum simplicem el
nominalur apud Arates formalio , vel per noliliam complcxorum et nominatur apud
Arabes uerificatio; Simplex igitur conceptus est notilia rei per dictionem simplicem
significatae , i. e. quidditalis unius rei etc.
420) Ebend. f. 36. r. A.
421) Ebend. f. 36. v. A.
REGISTER.
A, E, r, O 275.
Abälard 160 ff.
Abbo v. Orleans 51. *
abstractio 209, 248.
Abiinazar 301 ff.
acciiientale 326, 343.
Adulbero 58.
Adam v. Petil-Pont 104, 211 f.
Adelard v. Bath 140 f.
adiacenler 130.
adiacentia 179.
aequipollentia 197, 268.
agens 386.
Alanus v. Lilie 258 f.
Alberich 229.
Albericns v. Casino 76.
Alcnin 14 ff.
Alexander Aphrodisiensis 299.
Alfarabi 301 ff.
Algazeli 361 ff.
Alkendi 301.
ampliatio 288.
Anna Cornnena 263, 293.
Anonymus De gener, et specieb. 143 ff.
De inlelleetibus 205.
De inlerpret. 204.
De unit. et uno 228.
Sangall. De pari, loicae 63 f.
De syllog. 64 ff.
sec. XI 59 f.
Anseimus v. Canlerbury 85 ff.
Antepraedicamenta 76, 169, 273.
anliqui 229.
und modemi 116.
appellatio 288.
Araber 297 ff.
Aristoteles, neue Uebersetzungen des
106 ff.
Arnulph v. Laon 77.
Avempace 373.
Averroes 374 ff.
Avicenna 318 ff.
Barthulomäus 230.
Berengarius 72 ff.
Bernhard v. Chartres 125 f.
T. Clairvaux 111.
Bernward v. Hildesbeim 51.
Burgundio v. Pisa 106.
Byzantiner 261 ff.
catasylluyismus 257.
Cüllegium Constantinopolilanum 263.
colligere 140 ff., 219.
ruMllilHllitlllCS 358.
conceplio 205.
conceptus communis 26.
conformitas 22Q, 250.
consimilitudo 179.
Constantin der Karthager 83.
contimjcns u. possibile 198.
copula. 196, 266.
copulatives Urtheil 357, 366.
Cornißcius 231 f.
credulitai. 361.
Damiani 68.
David v. Hirschau 230.
Definition 134 ff, 192.
demonstratio nobilissima 313.
ijuia n. propter quid 317,
359, 372, 394.
Differenz s. Porphyrius.
dignitates 316.
Dionysius Thrax 290.
dirigens 386.
disjunctive Schlüsse 369, 381.
disparatum 386.
distributin 289.
398 Register.
dividentia 197.
dividuum 221.
Drogo v. Troyes 107.
dualis 379.
235 ff.
peripatelica 168.
ens 307.
Eric v. Auxerre 41 f.
Esels-Beweis 210.
essenliale 364 f.
expoaibüia 289.
fucullales 371.
fallaciae 371.
Farabi 301 ff.
forma substantialis 217.
foimae nativae 218.
formatio 396.
Formelbücher 71.
Franco v. Liittich 67.
Fredegisus 17 f.
Fulbert v. Chartres 59.
Galenische Schlussflgur 295, 380, 389
Garmund 123.
Gattungsbegriff s. UniVersalien.
Gaunilo 86.
Gauslenns v. Soissons 142.
Gazali 361 ff.
Gerbert 53 ff.
Gerson 394.
Gilbertus Porretanus 215 ff.
Gislbert v. Rheims 53.
Gunzo Italus 49 I.
Honorius v. Aulun 97.
Hrabanus Maurus 19 ff.
Hugo v. St. Victor 111.
Huguccio 125.
V7io»fais 280 ff.
hypothetische Schlüsse 310, 358, 381.
u. disjunct. Schlüsse 369,
381, 389.
Jacohus v. Venedig 99. '
Ibn-Badscha 373.
-Roschd 374 ff.
-Sina 318 ff.
identilas 220.
Jepa (?) 43 f.
imaginalio 361.
indifferentia 243. "•
Indifferenz-Lehre 138 f.
individualiter 129 f.
inesse 189.
informare 129.
Intellectualismus 205, 347 f., 365.
intellectus 182 ff.
b. d. Arabern 299.
conceptus 182.
coniungens el dividens 208,248.
Johannes v. Gorz 49.
Italus 293 f.
v. Salesbury 232 ff.
Johannes Scotus Erigena 20 ff.
Serlo 230.
Joscellinus v. Soissons 142.
Irnerius 71.
Isidorus Hispalcusis 10 ff.
Juden 394.
Jurisprudenz 69.
Kategorien 152, 188, 223, 307, 351, 365.
Kundi 301.
Lanfrancus 70 ff.
Levi Ben Gerson 394 ff.
Logik, alte u. neue 116.
maneries 124, 356.
Manerius 230.
Mapes 230.
materialiter imposüa 156.
muterialum 145, 177.
Memorial-Worte 272, 275.
iiiiniiiHs 157.
moderna via 262.
moderni 82, 195, 241.
u. anliqui 116.
monstra 251.
Nicephorus Blemmides 295
Nominalismus 122.
u. Realismus 35 ff., 118.
nominatiter 30.
notio 251.
Nolker Labeo 61 ff.
Othlo v. Regensburg 68.
Otto v. Cambrai 82 f.
v. Clugny 45.
v. Freising 105, 227.
Papias 69.
parililas 329.
Parteispaltung betr. d. Universalien 118 ff.
perihermeniae 12.
Petrus Hispanus 264 ff.
Lombardus 110.
v. Poitiers 213 f.
Platoniker 125.
Poppo 48.
Porphyrius, Isagogedes 7 f., 117 ff., 324,
330 ff.
possibile und cniiliiii)i'iis 198.
post hoc, ergo propter hoc 391.
Poslpraedicamenla 169, 274.
potentia u. poleslas 351.
praedicabilia 272.
praedicamentalis 243.
praedicari 181 ff.
in quid 147.
quasi in quid 345.
praedicalum primum 315.
praemissa 309.
privatio 352.
propoiitio absoluta 379.
proprium s. Universalien.
Psellus 264 ff.
Pseudo-Abälard 204 ff.
Register. 399
Pseudo-Averroes 385 ff.
-Boelhius De Irin. 20, 108 f.
De unit. et uno 228.
-Eric 43 f.
-Hrabanus 37 ff.
Quaesila Arabum 392.
q-uiddilas 325.
'Raimbert v. Lilie 82 f.
rationale 13, 55.
Realismus 128 f.
u. Nominalismus 35 ff , 118.
Rechtswissenschaft 69.
Reginaldus 230.
regula de quocunque 273, 351.
Reinhard v. Würzburg 49.
Remigius v. Auxerre 41.
res de re non praedicatur 175, 252.
Rhabanns Maurus 19 ff.
Rhetorik 292.
Robert Amiclas 230.
v. Melun 214.
v. Paris 77.
Pulleyn 213.
Roscellinus 77 ff., 122 f.
Salomonis Glossarium 47.
Sanct Gallen 46 f., 61 ff.
Scotus Erigena 20 ff.
atifiaate 279 ff.
Sensualismus 123.
sermo 66, 174 ff., 236.
sermocinalis 112, 323.
Serlorius 230.
.11' j; principia 223 ff.
significatio 279 ff.
dictionum 363.
significatum 123.
Simeon 3.
Sophist. Elenchi 318.
species s. Universalien.
Status 137 f.
substanliale 326 ff.
Mimplum 184.
supposilio 280 ff.
Syllogismen, Lehre von den 158, 199 ff.,
256, 275 f., 310 ff., 357 ff.,
368 ff., 380 ff.
hypothetische 203, 310, 358,
" 381 u. disjunet. 361, 389.
syllogismi imperfecti 199.
Sylvester II. 53 (f.
syncategoreumata 148, 191, 256, 266,
279, 289, 378.
Syrer 300.
terminorum proprietates 279 ff.
ternalis 379.
Theilbegriff 135, 193.
Theraistius 293, 385.
Theologie 72 ff., 108.
tbeophrastische Schlussmodi 380.
Topik 159, 200 f.
universale intelligitur, singulare sentitur 29.
Universalien, Streit über die 118 f.
ante rem, in re, posl rem
306, 349 f.
in re 249.
Urtheil 148, 154, 182, 195, 308, 356,
366, 379.
verbaliler 30.
veriftcatio 396.
«i'o moderna 262.
vocalis 31.
tiuces signalivae 60.
vocis flatus 79.
tionm» impositio 166, 181.
Walter Mapes 230.
v. Mortaigne 137 f.
Walther v. St. Victor 221.
v. Speier 52.
Wilhelm v. Champeaux 128 ff.
v. Conches 127 f.
v. Hirschau 83.
v. Shyreswood 264 ff.
Williram v. Soissons 229.
Wolfgang v. Regensburg 51.
Druck von C. P. Heizer in Leipzig.