GEsCHICHTE
L O G I K
A B E N D L A N D E.
VON
Dr. CARL PRANTL,
PROFESsoR AN DER UNiversitÄT UND MiTgLied der AkADEMiE zU MÜNch£N.
ZWEITER BAND,
LEIPZIG,
V E R L A G V O N §. H I B Z E L.
1861.
MEINEM LIEBEN FREUNDE UND C0LLEGEN
V 0 R W 0 R T.
Nach einem längeren Zwischenraume, als mir selbst lieb ist, folgt
hiemit eine Fortsetzung meiner mühevollen Arbeit, bezüglich derem ich
im Ganzen auf das Worwort des ersten Bandes verweisen könnte.
Doch wenm ich sehon dori es ausspraeh, dass für die „Geschichte
der Logik“ überall die Forschung erst von vorne habe beginnen müssen,
so knüpft sich hieram betreffs des Mittelalters eine doppelte Bemerkung.
Einerseits nemlich lagen hier in einigen einzelnen Theilen allerdings
höchst dankenswerthe Worarbeiten vor, und mamentlich sind es V. Cousin,
A. Jourdain und B. Hauréau, welche bekanntlich durch Veröffent
lichung oder Benützung handschriflicher Quellem sich die grössten Ver
dienste erworbem haben. Aber andrerseits handelte es sich noch um
kritische Untersuchung des gesammten zugänglichen Materiales, sowie
um Auffindung des wirklichen geschichtlichen Werlaufes. Und in letz
terer Beziehung zeigte sich bald, dass gerade die Geschichte der Logik
den Beruf haben könne, die Einsicht in die sog. Philosophie des Mittel
alters zu berichtigen oder zu ergänzen. Sowie nemlich bezüglich des
Streites über die Universalien eine bisher umbekannte Manigfaltigkeit
der Parteispaltung zu Tag trat, so konnte hinwiederum nicht bloss das
Maass der logisehen Litteratur-Kenntniss jener Jahrhunderte seine rich
tige Abgränzung findem, sonderm auch der umbestreitbare Nachweis
geliefert werden, dass im ganzen Mittelalter ohne alle Ausnahme kein
einziger Autor einem eigemen Gedanken aus sich selbst schöpfte, sondern
die gesammte Litteratur jener Zeit von dem Umfange eines dargebotenen
traditionellem Materiales abhängig und bedingt war. Indem ich mich
der unsäglichen Mühe unterzog, gleichsam bei jedem Satze die Frage
Vi V or w o r t.
aufzuwerfen und zu beantwortem , woher derselbe entnommen sei,
konnte ich dem objectiv richtigen Entwicklungsgang darlegem, musste
aber hiebei allerdings jene Illusionem zerstörem, in welchen man von
„Verdiensten* einzelner Autoren zu sprechen gewohnt ist, insoferne
man meint, Dieser oder Jener habe von sich aus eimen Fortschritt her
beigeführt. Auch wo ich einmal (bei Psellus) jene Frage des „Woher?“
micht mehr beantworten konnte, ist hiedurch die Richtigkeit meiner
allgemeinen Behauptung nicht alterirt, sondern in jenem speciellen Falle
gebricht es der Forschung nur an dem erforderlichen Materiale.
Erhält aber durch eine solche geschichtliche Betrachtungsweise die
sog. Philosophie des Mittelalters eime, wenn auch nicht schmeichelhafte,
doch neue Beleuchtung, so sage ich hiemit wahrlich nicht, dass etwa
Alles , was von Anderem, und insbesondere von B. Hauréau geleistet
wurde, verfehlt und unrichtig sei. Aber es sehien mir auch überflüssig,
bei jedeui Schritte der Entwicklung ausdrücklich anzugeben, wo und
worin ich von Anderen abweichen müsse. Daher zieht sicli auch ma
mentlich gegen Heinr. Ritter, dessen ebenso wortreiche als schiefe
Darslellung bei Wielen im grossem Ansehen zu stehem scheint, grossen
theils mur eine stillschweigende Polemik durch mein ganzes Buch hin
durch; denn hätte ich, — wozu fast überall Gelegenheit war —,
Ritter's Angaben berichtigen wollen, so wäre eine solche nachträgliche
Recension für den Leser woll ebenso langweilig gewesen wie für
mich selbst. -
Wenn ieh übrigens grundsätzlich mich auf jene Litteratur-Erzeug
misse beschränkte, welche gedruckt vorliegen, so gestehe ich gerne zu,
dass möglicher Weise aus mancher Bibliothek durch Benutzung hand
schriftlichen Materiales Berichtigungen oder Ergänzungen meiner For
schung zu Tage gefördert werden können, und an mehreren Stellem
habe ich auch ausdrücklich den Wunsch geäussert, dass Solches ge
schehen möge. Ich darf vielleicht annehmen, meine wissenschaftliche
Pflicht erfüllt zu haben, wenn ich den Anstoss und etwa die ricbtigem
Gesichtspunkte zu einer derartigen Durchforschung der vorhandenen
Handschriften gegeben habe. Doch in Einem Falle machte ich von
jenem meinem Grundsatze eine Ausnahme ; nemlich, — abgesehen da
von, dass ich die Schätze der Münchner Staatsbibliothek nicht unbe
W o r w o r t. vii
achtet liess —, benützte ich jene Andeutung , welche Hauréau in
seinem trefflichen Werke (De la philosophie scolastique. Paris 1850.
2 Bände) zuweilen über einige Pariser Handschriften gab, und machdem
dieselben aut Wermittlung des königl. Staatsministeriums mir hieher
übersandt worden waren, ersah ich zu meiner Freude die Pflicht, das
dort vorliegende Material beiziehen zu müssen; denn es ergab sich ein
ebenso neuer als interessanter Aufschluss über das Verhältniss des
Psellus zu Petrus Hispanus oder vielmelhr zu dem Vorgängern und Zeit
genossen des Letzteren, ein Aufschluss, welcher durch die gedruckte
Litteratur nie hätte gewonnen werden können.
Wenn die in den Anmerkungen reichlich angeführtem Quellen
Stellen häufig (namentlich in dem die Araber betreffenden Abschnitte)
noch mehr zu enthalten scheinen, als ich im Haupttexte darlegte, so
wird der Leser diess dadurch entschuldigen, dass ich durchweg nach
möglichster Kürze strebte und darum im Texte weder eine blosse Ueber
setzung noch auch ein Excerpt, sondern den innersten Kern der Origi
nal-Stellen zu geben versuchte. Dem gleichen Zwecke der Kürze dienen
auch die zahlreichen wechselseitigen Werweisungen, welche der Leser
nicht als eine müssige Werzierung oder Werunzierung, sondern als ein
compendiöses Mittel betrachten wird, in vielen Fällem einen weiteren
Zusammenhang im Auge zu behalten.
Nachdem die ersten Bogen dieses Bandes bereits gedruckt warem,
erschien nicht bloss das Werk meines Freundes und Collegen Dr. Joh.
Huber über Scotus Erigena (München 1861), sondern auch Hauréau's
Ausgabe des bisher unedirten Commentares des Scotus Erigena zum
Marcianus Capella (Notices et Eactraits des Manuscripts, Vol. XX, Abthlg.
2.), und ich bedauere, dass ich dieses neuaufgefundene Material, welches
einzelne Bestätigungen meiner Darstellung des Scotus darbietet, nicht
mehr bemützen konnte.
Der dritte und zugleich letzte Band meiner Arbeit wird dem gegen
wärtigen hoffentlich in Bälde nachfolgen.
Mü n c h e n, im 0ctober 1861.
0. Prantl.
ÜBERSICHT DES INHALTES.
XIII. Abschnitt. Das Mittelalter in um v ollstän
dig e r K e nntni s s der aristoteJisch en Logik
Die Werbreitung der späteren römischen Logik im den Schulem 2.
Beschränktheit dieser Tradition bezüglich der Uebersetzungen des
Boethius und Unkemntniss der logischem Hauptwerke des Aristote
les 4. Stellung der Orthodoxie zur Logik 6. Die Isagoge des
Porphyrius 7. Ueberwiegem eines platonischen Realismus 9.
Isidorus Hispalensis 10. Alcuin 14. Fredegisus 17. Hraba
mus Maurus 19. Pseudo-Boethius De trinitate 20. Johannes Sco
tus Erigena 20, seine logisch-formelle Gewandtheit 21, sein theo
logischer Realismus neben Werlhschätzung der voae 25, hiednrch
nominalistische Anschauungen 30, und ein gewisser Intellectualis
mus 32. Die Quellen der logischen Parteispaltung machweisbar
in zwei Stellen des Boethius vorliegendº 35. Stellung des Scotus
Erigena 37. Steigerung der nominalistischen Wendung des Scotus
bei Pseudo-Hrabanus 38, und noch mehr, hei Eric von Auxerre
41. Mathematisirender Aristotelismus des Pseudo-Eric oder Jepa (?)
43. Platonismus des Remigius v. Auxerre 44, und des 0tto v.
Clugny 45. Thätigkeit in St. Gallem 46, das Glossarium Salo
monis 47. Unfruchtbarkeit des zehnten Jahrhundertes 48, Poppo
in Fulda, Reinhard in Würzburg, Johann von Gorz 49, bewusste
Parteistellung des Gunzo Italus 50; Wolfgang in Regensburg, Abbo
v. Orleans, Bernward in Hildesheim 51, Walther v. Speier 52.
Gerbert 53, äusserste Unbedeutendheit desselben 57. Adalbero
v. Laon 58, Fulbert v. Chartres 59. Anonymus sec. 11 mit nomi
nalistischer Färbung 60. Reiche Thätigkeit in St. Gallen, Notker
Labeo 61 ; dorfiger Nominalismus 63, Bedeutsamkeit des Anonymus
De syllogismis 64. Franco in Lüttich 67, 0thlo in Regensburg,
Petrus Damiani 68.
Frischere Bewegung in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhundertes.
Rechtswissenschaft, Papias 69; Lanfrancus, Irnerius, die Formel
bücher 71. Theologie, Berengarius als Nominalist in der Abend
mahls-Frage und der Ketzer-Richter Lanfrancus 72. Partei-Gegen
satz 75. Albericus v. Monte Casino 76. - Die Lehre des Scotus
Seite
1—97
X. Uebersicht des lnhaltes.
Seite
Erigena und Robert v. Paris und Arnulph von Laon 77, und Ros
cellinus als Wertreter einer „neuen“ Logik 78; die gehässigen
Berichte über Letzteren seitens seiner orthodoxen Gegner 79.
Raimbert in Lille und die „alte“ Logik des 0tto v. Cambray 82.
Wilhelm v. Hirscham und Konstantin der Karthager 83. Ansel
mus v. Canterbury 85, der ontologische Beweis und Gaunilo 86,
der unwissenschaftliche Realismus des Anselmus 88, und der
kläglich niedrige Standpunkt seines Dialogus de grammatico 89.
Honorius v. Autun 97.
XIV. Abschnitt. Allmälige We rv o Ilständigung der
Kenn t m is s de r a ristotelis c h e n Logik . . 98—260
Bekanntwerdei der heiden Analytiken und der Topik nebst den
Soph. Elenchi 98. Jacobus v. Wenedig 99. Wahrend der Text
jener aristotelischen Bücher zwar selbst nicht vorliegt, transspiriren
anderswoher sporadische, Notizen 100; Adam v. Petit-Pont bear
beitet die erste Analytik 104. 0tto. v. Freising bringt (nicht aus
Italien, sondern aus Frankreich) jene Bücher nach Deutschland
105. Zur Zeit des Johannes v. Salesbury ist das ganze 0rganon
- bekannt 106; Drogo in Troyes bearbeitet, die Topik 107. Neue
Uebersetzungen des , 0rganons entstehen in Unteritalien und iim
byzantinischen Reiche 107.
Gesteigerter Betrieb der Logik 108. Theologie, Pseudo-Boe
thius De trinitate 109. Gegensatz der Logik und des Dogma's
110. Petrus Lombardus, Hugo v. St. Victor 111. Grosse Aus
dehnung und zugleich Einseitigkeit der logischen Litteratur 114;
eigenthümlicher Gegensatz zwischen „alter“ und „neuer“ Logik
116. Der Streit über die Universalien, Spaltung in wenigstens
dreizehn nachweisbare Partei-Ansichten 118. -
Nominalismus an sensualistische Ansichten streifend 122, Abstu
fungen desselben (Garmnnd) 123. Die Lehre, dass die Univer
salien ,,maneries“ seien, — Huguccio — 125. `Die Platoniker,
Bernhard v. Chartres 125, und Wilhelm v. Conches 127. Der
Realismus des Wilhelm v. Champeaux 128; die Schwierigkeiten
und Abstufungen des Realismus 131, Controversen üher Definition
und Theilbegriff 134. Wermittlungsversuch durch die Lehre von
,,status“, Walter v. Mortagne 137. Die Lehre von der ,,lndiffe
renz“ 138; platonische Wendung derselben durch Adelard v.
Bath 140. Die Ansicht des Gauslenus oder Joscellinus v. Sois
sons bezüglich des ,,colligere“ 142. Die Ansicht des Werfassers
der Schrift De generibus et speciebus 143, seine Auffassung des
Urtheiles und Hinneigung zum Platonismus 148. Controversen
über die Kategorien 152, und über die Lehre vom Urtheile 154;
Syllogistik 158, Topik 159.
Abalard 160; seine Begabung 161, seine logischen Schriften.
162; theologische Auffassmng und inmerer Zwiespalt seiner Lehre
164; er ist Aristoteliker 166, und zugleich Plaloniker 167, und
- Uebersicht des Inhaltes. XI
-* Seite
zuletzt keimes vom beidem, somdern Rhetoriker 168. Gliederumg
seines Hauptwerkes 169. Die Isagoge oder ,,Antepraedicamenta**
nach seinem ,,Glossae** und besonders nach den ,,Glossulae** 172;
Auffassung des ,,sermo praedicabilis“ 175; das Universale als das
jenige, quod natum est de pluribus praedicari, in platonischer 177,
und zugleich ' in aristotelischer Werwendung 181; aus letzterer
folgt seine, Betonung des Urtheiles (praedicari) 182, und sein an
geblicher Intellectualismus 185. Sein Rhetorismus 187. Die
Kategoriem 188. Die Postpraedicamenta 190. Die Lehre voh der
Definition und dem Theilbegriffe naeh seinem Liber Divisionum 192.
Die Lehre vom Urtheile 195. Die Syllogistik 199. Die Topik
200. Die hypothetischen Syllogismen 202. -
Steigerung der aristotelischen Seite Abälard's bei einem Ano
nymus De interpr. 204, sowie * bei dem scharfsinnigen Pseudo
Abälard De intellectibus 205. Ueberwiegen der Lehre vom Ur
theile bei Adam v. Petit-Pont 211. Logischer Skepticismus des
Robert Pulleyn 213, und theologische Reaction durch Petrus v.
Poitiers und Robert v. Melum 214.
Gilbertus Porretanus umd seine Lehre von den formae nativae
215, die Stümperhaftigkeit seimer Schrift 'De seae principiis 223.
0tto v. Freising eim Anhänger Gilbert's 227. Pseudo-Boethius de
unitate et uno • 228. Alberich in Paris, Williram v. Soissons
229, und mehrere andere, bei Walter Mapes angeführte Autorem
230; der sog. Cornificius des Joh. v. Salesbury 231. * ;
Johannes v. Salesbury 232, sein ciceronianiseher Utilismus 233, .
und Rhetorismus 235; Verwandtschaft mit Abâlard 239, Beurthei- p.
lung des Aristoteles 241 ; seine „ratio indifferentiae* als unwissen
schaftlicher Indifferentismus 243; sein gröblicher Eklecticismus
bezüglich der Universalien 246, und der unbestimmte Begriff der
,,notio“ 251 ; seine Erörterumgen über die Kategorien 253, über
das Urtheil. 255, über die Syllogistik 256. Eine unbedeutende
Schrift des Alanus v. Lille 259. - • • * •
s** * , - * * * • •
XV. Abschnitt. Ein fIus s der Byzan tim e r .'. . . 261—296
Berührung des Abendlandes mit dem Byzantinern 262; reiche Lit-,
teratur zur Zeit der Anna Commena 263. Die Synopsis des Psel
lus, welche durch Wilhelm Shyreswood, Petrus Hispanus und
Andere dem lateinischen Abendlande zugänglich wurde 264; die
dort entwickelte Lehre vom, Urtheile 265, mit Benützung techni
scher Memorial- Worte und - Werse 272, die Isagoge 272, die
Kategorien 273; die Lehre vom Syllogismus, gleichfalls unter
Anwendung technischer Worte, in welchen die Entstehung des
logischen Schulgebrauches der vier Wokale (A, E, I, 0) sich
kundgibt und zugleich das 0riginal der bekannten lateinischen
Nomenclatur vorliegt 275; die Topik; der Abschnitt „De termi
norum proprietatibus“ oder „Syncategoreumata“, welcher die Lehre
von der significatio in ausführlichster Gliederung der „suppositio*
Uebersicht des Inhaltes.
Seite
darlegt 279. Der aus den Lateinern zu ergänzende verlorene Rest
der Synopsis 287. Die Frage über die Quellen oder Worbilder
des Psellus 290. Johannes Italus 293. Nicephorus Blemmides 295.
XVI. Abschnitt. Ein flu ss d e r A r ab er . . . . 297—396
Beschränkung auf die lateinisch-arabische Litteratur 298, und zwar
auf den Umkreis der eigentlichen Logik 299. Die arabische Logik
im Allgemeinen 300. Alkendi 301.
Alfarabi 301, ethische Beziehung der Logik 302, der doppelte
Weg von Bekanntem zum Unbekanntem, Argumentation 303, Rhe
torik und Poesie 304; die Universalien ante rem, in re, post
rem 306; die Kategorien und ens 307; das Urtheil 308; die
erste Analytik und die hypothetischem Schlüsse 310; Ergänzungs
versuche zur zweiten Analytik 312, demonslratio quia und propter
quid 317. -
Avicenna 318, sein Intellectualismus 320; Definition und Argu
mentation 322; die Universalien und die Quidditât 324, das Sub
stantielle und das Accidentelle 326; Erörterungen und Controversen
über die einzelnen fünf Worte 330, besonders über den Artbegriff
334, und über die Differenz 338; Berichtigungen und Zusätze zur
Isagoge 344; nähere Darlegung des lntellectualismus in Unter
scheidung der Universalien ante rem, in re , post rem 347; die
Kategorien 351 ; das Urtheil 356; die erste Analytik und die hy
pothetischen Schlüsse 357; die zweite Analytik 359; die Stellung
der Topik und Sophistik 360.
Algazeli 361, Tendenz seiner Logik 361; imaginatio und cre
dulitus 362; significatio dictionum 363; die Isagoge 363; die
Kategorien der Ontologie zugewiesen 365; das Urtheil 366; die
Argumentation, Combination der möglichen Schlussweisem 368,
die hypothetischen und disjunctiven Schlüsse 369; die Urtheile
als Stoff der Argumentation 370; fallaciae 371 ; die zweite Ana
lytik 372. Avempace 373. -
Averroes 374; sein strenger Aristotelismus 375, Methode des
Abtheilens 376; nothgedrungene Beiziehung der Isagoge 377; die
Kategoriem 378; das Urtheil 379; die erste Analytik, Polemik
gegen Galenus 380, die hypothetischem und disjunctiven Schlüsse
381, Praxis der Syllogistik 382; die zweite Analytik. 384; die
Topik und Sophistik.
Des Pseudo-Averroes Epitome 385, agens und dirigens 386, die
Universalien 386, Geltung der Kategorien 387, das Urtheil 388,
Argumentation 389, die Topik 390, die Definition 391. Die
Quaesita des Pseudo-Averroes und anderer Araber 392. Das Buch
De causis 394. Die Juden 394. Moses Maimonides 394. Levi
Ben Gerson 394.
XIII. ABSCHNITT.
DAS MITTELALTER IN UNWOLLSTÄNDIGER KENNTNISS DER
ARIST0TELISCHEN L0GIK.
In das Mitlelalter geht die Logik als blosser Schulgegenstand in
jener Form über, deren Darstellung der vorige Abschnitt enthält, und
die dort geschildertem Schriften des Marcianus Capella, Boethius, Cas
siodorus und theilweise auch des Augustinus und Pseudo - Augustinus
sind es, welche für den Schulbetrieb der Logik das ausschliessliche Ma
terial darbotem. Aller 0rten, wo im Zusammenhange mit der Werbreitung
des Christenthums entweder zahlreiche völlig neue Bildungsstätten ent
standem oder auch zuweilen eine Anknüpfung am antike Institute mög
lich war, findem wir bekanntlich den Studiengang des Triviums und
Quadriviums in grösserer oder geringerer Vollständigkeit eingebürgert,
und wenn auch die mathematischen Disciplinen (Arithmetik, Geometrie,
Astronomie und Musik) nicht sämmtlich überall die gleiche Pflege fan
den, so bestand doch zu allermeist eine Gleichmässigkeit im Betriebe
der Grammatik, Rhetorik und Dialektik, insoferne diese drei „Künste“
in keiner Schule fehlten. Es ist nicht Phrase oder Uebertreibung, wenn
wir bezüglich der Logik oder Dialektik den Ausspruch thun, dass der
ganze 0ccident, soweit ihn überhaupt die Kultur des Mitlelalters in ihrer
allmäligen Ausbreitung berührte, durch die Tradition der genannten
Autoren des späteren Römerthums geschult wurde, dass nemlich in Ita
lien, Deutschland, Frankreich, Spanien und Britanien man wirklich mit
einem gewissen Materiale logischer Lehren bekannt wurde, und zwar
ausschliesslich nur auf Grundlage jener Ueberlieferung. Eben in dieser
Beziehung jedoch seheint die Geschichte der Logik das ihr zukommende
Gebiet wohl nicht überschreiten zu dürfen. Insoferne memlich aus ein
zelnen_Nolizen über Schulen oder aus Bibliothekverzeichnissem u. dgl.
schleefthin niehts weiteres folgt, als dass da oder dort eine logische
Schrift des Marcianus Capella oder des Boethius u. s. f. bloss vorhan
den war oder in irgend einer Klosterschule eben nur gelesen wurde,
oder dass irgend Jemand durch solche Lectüre sich gebildet oder sie
Anderen empfohlen habe u. s. w., müssen wir derlei Nachrichten immer
hin, so kostbar sie gerade wegen ihrer Vereinzeltheit auch sind, der
allgemeinen Kulturgeschichte oder der Geschichte der Pädagogik über
lassem ; denn für die „Geschichte der Logik“ genügt das Factum einer
verbreiteten Uebung der sog. sieben freien Künste überhaupt als allge
Pa Antl, Gesch. II. 1
t.
|
2 XIll. Das traditionelle Material.
meine Grundlage für den Eintritt in das Mittelalter, und auf diesem
Boden haben wir hier dann demjenigen nachzuspüren, was durch eine
eigene, wenn auch noch so geringe, Thätigkeit einzelner Lehrer oder
Gebildeter geleistet wurde und hiedurch Momente eines geschichtlichem
Weiterschreitens darbietet; überdiess ja wird dann Solches, wobei auch
das anscheinend Geringfügige nicht übergangen werden soll, wieder
einen Rückschluss auf 0biges in sich enthalten, dass nemlich neben
vereinzelter individueller Thätigkeit auch ein massenhafter Betrieb, wel
cher bloss an dem Texte der Schulhücher-Tradition haften blieb, bestan
den haben muss ').
Aber Eine Bemerkung ist betreffs dieses Schul- Materiales gleich
hier in all ihrer Schärfe und ihrem ganzen Umfange nach vorauszu
schicken. Wir müssen nemlich die völlige Ausschliesslichkeit desselben
von vornherein im Auge behalten, d. h. erstens, dass lediglich nur diese
lateinischen Litteraturprodukte cursirtem, und hiemit ausser dem Mar
cianus Capélla, dem Boethius, dem Cassiodorus und dem ächten oder
dem unächten Augustinus das Mittelalter bis zum 12. Jahrhunderte für
die Logik überhaupt keine anderweitigen Quellen kannte oder benützen
konnte. Es war jenem ersteren Zeitraume über die griechische Grund
lage der Logik mur jene secundäre Kunde möglich, welche aus eben
diesen Autoren geschöpft werden konnte, und namentlich die aristoteli
schem Schriften (ja im Allgemeinen wohl auch nur der Name des Aristo
teles) waren ausschliesslich bloss in jener Form bekannt, in welcher
sie Boethius überliefert hatte. Man darf, wenn in Urkunden, welche
sich auf jene Jahrhunderte beziehen, aristotelische Schriften erwähnt
werden, durchaus an Nichts anderes denken als am ebem diese Ueber
setzungen des Boethius; so z. B. wenn unter den Büchern der Biblio
thek zu York im 8. Jahrh. auch ein „acer Aristoteles“ genamnt wird *),
oder wenn wir' im 10. Jahrh. in Tegernsee die Kategorien des Aristo
teles erwähnt finden *). Dass alle dergleichem Stellen nur in dieser
Weise zu erklärem seien, wird allerdings erst aus dem Folgenden, so
wie aus dem Uebergange in jene Periode, in welcher der 0riginaltext
des Aristoteles dem Mittelalter bekannt wurde, völlig deutlich gleichsam
durch eigenes Erlebniss erhellen, aber es schien nicht überflüssig, schon
1) Für dem hiesigen Zweck demnach muss ich ein nicht kärgliches und nicht
ohne Mühe errungenes Quellen- Material bei Seite lassen, welches entweder zu
einer Geschichte der mittelalterlichen Schulem anschwellen würde oder bei einer
(übrigens kaum durchführbarem) Beschränkung auf herausgerissene Auswahl des
Logischen doch nur dem Beleg der ohnediess allbekannten Thatsache enthije, dass
jene obigen Autorem den Inhalt der Schulwissenschaft ausmachten.
2) Die von Aelbert in York angelegte Bibliothek beschreibt dessem Schüler
Alcuin ausführlich in S. Gedichte De Pontificibus et Sanctis ecclesiae Eboracensis
(Alcuini 0pp. ed. Froben. II, p. 241 ff.); dort heisst es v. 1548 ff. (p. 257.): Quae
Victorinus 'scripsere , Boethius atque Historici veteres, Pompeius, Plinius, ipse Acer
Aristoteles, rhetor quoque Tullius ingens.
3) Ein Tegernseer Mönch schreibt in einem Briefe (b. Pez, Thes. Anecd. VI,
1, p. 131.): stultam fecit Deus sapientiam mundi huius (diese Worte simd aus Paul.
ad Corinth. I, 1, 20; s. untem Anm. 20 f.), postquam eaesiccavit fluvios Ethan ; prae
dulcedine enim decem chordarum Davidis .... paene oblitus sum, totidem categoria
rum Aristotelis.
XIII. Das traditionelle Material. 3
hier den Gesichtskreis richtig abzugränzen *). Nur eine scheinbare Aus
mahme liegt natürlich darim, wenm überliefert wird, dass im Anf. d. 10.
Jahrh. ein gewisser Simeon, ein Bulgare, in Constantinopel die Syllo
gislik des Aristoteles im 0riginale studirt habe *); denn dass im oströ
mischen Reiche die Griechen noch bis in späte Jahrhunderte sich mit
Derartigem besehäftigten, sahen wir hinreichend oben, Abschn. XI, Anm.
106—118. Aber Eine vereinzelte Notiz könnte unserem Ausspruche
entgegenzustehen scheinen; es schickte nemlich Papst Paul I. im J. 757
an Pipin den Kleinen mehrere griechische Schriftem, unter welchen
Ersterer selbst in dem betreffenden Briefe auch Bücher des Aristoteles
anführt °); ist jedoch die Urkunde ächt, woran zü zweifeln kein Grund
vorhandem seheint, so spricht sie weit eher für uns als gegen uns,
denn offenbar blieb dieses damals in jener Gegend einzige Exemplar
eines griechischen Textes des Aristoteles am fränkischen Hofe vergra
ben oder gieng verlorem, da wenigstens von einer Benützung desselben
mirgends die leiseste Spur sich zeigt; auch fällt ja für jene Länder die
erste sichere Kunde von einem Studium des Griechischem oder von
Uebersetzungen aus dem Griechischen überhaupt erst in fe Zeit Karls
des Grossen "), worauf dann noch im 9. Jahrh. die Arbeiten des Sco
tus Erigena folgten (Uebersetzung des Pseudo-Dionysius).
Zweitens jedoch ist selbst jenes lateinische Quellen-Material gerade
in der Hauptsache abermals ein beschränktes. Während nemlich die
logischen Schriften des Aristoteles insgesammt in den Uebersetzungen
des Boethius, welcher hiefür die einzige Quelle war, hätten gelesen
werden könnem, zeigt sich eben hierin eine scharfe Abgränzung ; denm
unter dem ohen (Abschn. XII, Anm. 72 f.) angeführten schriftstelleri
schen Erzeugnissem des Boethius benützte mam im Mittelalter vorerst aus
4) Schôn bier darf ich vorläufig anf die bekannte vortreffliche Arbeit Am.
Jourdain's (Recherches critiques sur l'age et l'origine des traductions latines d'Ari
stote. 2. Aufl. Par. 1843) verweisem, wenn auch mit dem Worbehalte, dieselben be
züglich des 12. Jahrhunderts mannigfach berichtigen und ergänzen zu müssen (s.
d. folg. Abschn. Anm. 2, 14 ff.).
5) Liutprand Antapod. III, 29. bei Pertz, Monum. V, p. 309.: hunc etenwm Si
meonem emiargon, id est semigraecum, esse aiebant, e0 quod a pueritia Byzantii
Demosthenis rhetoricam Aristotelisque syllogismos didicerit.
6) Der Brief ist gedruckt b. Cai. Cenni, Monum. dominat. pontif. sive Codeae
Carol. (Rom. 1760. 4.) I, p. 148, woselbst die Stelle: Direvimus etiam excellentiae
vestrae libros quantos reperire potuimus, Antiphonale et Responsale, insimul artem
grammaticam, Aristotelis, Dionysii Areopagitae libros (bei Cenni steht ohne Unter
scheidungszeichen artem grammaticam Aristotelis), Geometriam, 0rthographiam, Gram
maticam, omnes graeco eloquio scriptores. Die Worte graec0 eloquio, deren Be
deutung im damaligen Sprachgebrauche völlig feststeht, bezieheii sich wohl nur
erst auf die von Aristoteles an genannten Bücher, denn das' Antiphonale und Re
sponsale war natürlich lateinisch, nnd wahrscheinlich ebenso die erstere Grammatik,
die zweite hingegen griechisch. (Uebrigens findet sich diese Notiz bei Jourdain
nicht benützt.) -
7) Z. B. bei D. Chytraeus Chron. Saacon. (Lips. 1593. L. III, p. 83.: Instituit
autem Carolus 0snabrugae, ut in collegio assidui lectores graecae et latinae linguae
essent; vidi enim evemplum literarum fundationis, ut vocant, quas ecclesiae 0sma
brugensi Carolus dedit) und öfters, stets aber mit Beziehung auf die bekannte Ge
sandtschaft der Kaiserim Irene und den hiedurch hervorgerufenen diplomatischen
Werkehr.
1*
4 - XIII. Das traditionelle Material.
schliesslich mur jene Uebersetzungen, welehe derselbe durch Commentare
erläutert und schulmässig zugerichtet hatte, d. h. ausser der doppelten
Bearbeitung der Isagoge des Porphyrius nur jene der Kategorien und
die beidem Ausgaben des Buches d. interpr., wozu dann allmälig noch
die eigenen Compendien des Boethius hinzukommem. Hingegen die
Uebersetzungen der beiden Analytiken, sowie der aristotelischen Topik
und der Sophist. elenchi, welehe sämmtlich Boethius ohne Commentar
belassen hatte, blieben aus eben diesem Grunde unbeachtet und entzo
gen sich hiedurch der Kunde des Mittelalters so sehr, dass mam lange
Zeit hindurch überhaupt nicht einmal mehr um das Vorhandensein dersel
ben wusste. Darum liegt aber in dem allmäligen Bekanntwerden jener
Hauptwerke des Aristoteles ein entscheidender Wendepunkt für die mit
telalterliche Logik. Und während ich alle Versuche, die sogenannte
„Philosophie“ des Mittelalters aus inneren Motivem in Abschnitte einzu
theilen, für verfehlt halte, scheint mir für das gesammte Mittelalter (bis
zum Ende des 15. Jahrh.), in welchem ich, abgesehen von Alchemie
oder Astrologie, mur Theologie und Logik, aber durchaus keine Philo
sophie, findem kann, der Eintheilungsgrund lediglich in dem äusserlichen
Befunde der Masse des* traditionellen Schul- Materiales zu liegen. So
könnte ich aueh den Unterschied zwischen diesem gegenwärtigen und
dem folgendem Abschnitte dadurch seharf bezeichnen, dass in ersterem
eine fragmentarische Kenntniss des Boethius obwaltet, in letzterem hin
gegen theils ein allmäliges Bekanntwerdem des ganzen Boethius und
theils die Anfertigung neuer Uebersetzungen der bis dahin unbenützten
Werke eine deutlich ersichtliche Wirkung äussert, worauf dann für die
späterem Abschnitte wieder analoge Bereicherungen des Materials ein
treten. — Der Nachweis hievon wird im Folgenden selbstredénd vorge
führt werden. -
Kurz also, — um die Abgränzung so entschiedem und deutlich als
möglich zu wiederholen —, es besteht für diesen ersten Abschnitt des
Mittelalters das traditionelle Material der Logik ausschliesslich aus Fol
gendem: Marc. Capella, Augustin, Pseudo-Augustin, Cassiodorus, Boe
thius ad Porph. a Vict. transl., ad Porph. a se transl., ad Arist. Categ.,
ad Arist. d. interpr. ed. 1 u. II, ad Cic. Top., Introd. ad cat. syii.,
D. syll. cat., D. syll. hyp., D. div., D. defin., D. diff. top. Hingegen
fehlt die Kenntniss der beiden Analytiken, der Topik und der Soph. El.
des Aristoteles.
Die eigene Thätigkeit aber, welche die Lehrer oder Gelehrlen die
ser ganzen Periode an diesem ausschliesslichen Materiale der Schultra
dition übten, war eine doppelte. Entweder nemlieh handelte es sieh
um Herstellung von Compendien, wobei meist ein planloses Zusammen
raffen verschiedener Quellen in ganz ähnlicher Weise waltele, wie wir
es schon im vorigen Abschnitte besonders bei- der Schrift des Cassio
dorus bemerklich machen musstem, oder man beschäftigte sich mit einer
mehr oder weniger einlässlichen Erklärung der schon im Gebrauche
stehenden Bücher, unter welchen vor Allem des Boethius Bearbeitung
(Uel)ersetzung und Commentar) der Isagoge und der Kategorien in den
Vordergrund treten. Dabei aber spielten sowohl Fragen der christlichen
Theologie in die logischen Erörterungen hinein , als auch wirkten die
XIII. Dir kirchliche Auffassung. 5
Controversen der Logik mächtig auf die Kämpfe der Dogmatik hinüber,
und überhaupt ja waltete in dieser Beziehung Anfangs ein sehr eigen
thümliches Werhältniss, welches micht ausser Acht gelassen werden darf.
Nemlich die christliche Lehre an sich — ganz abgesehen von der
Entstehung der christlichen Ideen überhaupt — trat wohl in völlig
schlichter Unmittelbarkeit auf und sprach zum religiös erregbaren Ge
müthe, zugleich aber fand sie sich bei ihrer weiterem Werbreitung an
eine Bevölkerung hingewiesen, welche theilweise durch den Schulbe
trieh des späteren Alterthums gebildet worden war und so eine formale
Seite des Antikem mit dem neuen Inhalte christlicher Lehre und christ
lichen Lebens verbinden konnte. Wie aus dieser Wermischung religiö
ser Unmittelbarkeit und geschulter Lehrfähigkeit sich raseh der Gegen
satz zwischen Laien und Klerus entfaltete, d. h. eine ecclesia docens
entstand, und wie die Kirche desshalb, weil sie docens war, ganz na
türlich zu Schuleinrichtungen griff und hiebei der Form nach sich an
Worhandenes anlehnte, gehört eben so wenig hieher als die mit Waffen
der Dialektik geführten Kämpfe, in welchen die Dogmenbildung vor sich
gieng. Wohl hingegen ist für uns der Umstand von Interesse, dass
überhaupt eime doppelte Richtung vorlag ; ja wir mussten im Werlaufe
der Geschichte der Logik selbst schon oben (Absch. XII.) von zwei
hervorragenden Wertretern der christlichen Theologie, nemlich von Hie
ronymus und besonders von Augustinus sprechem, unter welchen nament.
lich der Letztere das Nebeneinandertretem der zwei Richtungen sehr
deutlich zèigt (s. ebend. Anm. 17—22). Je stärker aber hiebei dér
specifisch christliche Standpunkt betont wurde, desto mehr Gewicht
musste auf jene innere Unmittelbarkeit fallem, welehe Auguslinus als
luae interior bezeichnete, und es ist nicht bloss erklärlich, sondern so
gar principiell gefordert, dass gerade die Strengerem unter den ersten
christlichen Theologen neben der gebotenen Polemik gegen den Inhalt
antiker Philosophie sich auch spröde gegen die Formen des Wissens '
verhielten, durch welches der Glaube nicht nur nicht ersetzt, sondern
selbst häufig gestört werde. -
So bestand also allerdings zunächst eine grundsätzliche Abneigung
gegen Logik oder Dialektik, und wenn wir bedenken, dass in den
Kämpfen der Dogmenbildung gerade die Arianer und Pelagianer an dia
lektischer Bildung und Gewandtheit wirklich im Wortheile waren, so
können wir es uns erklärem, dass jene Abneigung sich zu gereizter
Feindschaft steigerte. Es liesse sich nicht bloss aus lrenäus (2. Jahrh.)
und Tertullianus (3. Jahrh.), sondern mamentlich im 4. u. 5. Jahrh. (der
Zeit des hauptsächlichsten Dogmen-Kampfes) aus Basilius d. Gr., Grego
rius v. Nazianz, Epiphanius, Hieronymus Presbyter, Faustinus, Mansue
tus, Eusebius, Sokrates, Theodoretus u. A. eine übergrosse Menge von
Stellen anführen, in welchen die Dialektik als überflüssig *) oder als
ein. nichtiges sich selbst zerstörendes Thun *) und ein zweckloser ver
8) Basil. M. adv. Eunom. I. (0pp. ed. Paris. 1518 fol. II, p. 10.): iì vóv
24Quotor€λους άντως ήμίν xcä Xgvot/t7tov συλλογισμόν ἐσει τιQὸς τὸ μα
9êîv δτι ό άyéyvnros où yεyévymtcru ; (vergl. Anm. 16).
9) Tertuli. Praescript. é. 7. (0pp. ed. Venet. 1701. fol. p. 119 b.): Miserum
Aristotelem qui illis diaiecticam instituit artificem struendi et destruendi versipellem
6 XIII. Die kirchliehe Auffassung.
künstelter Wortkram 1°) bezeichnet wird, welcher vermöge seines welt
lich bunten Charaklers untauglich für die reine einfache Wahrheit 11)
und überhaupt umehristlich 1°) sei, daher alle Syllogistik, sowie sie vor
den schlichten Worlen der Apostel zerstieben müsse '°), ihrerseits hin
wiederum nur zur Bekämpfung und Verfälschung des Glaubens diene 1*),
was sich insbesondere bei den Arianern zeige '°), u. dgl. m. War aber
so die Dialektik, für welche meistens Aristoteles, und zwar namentlich
wegen der in den Kategorien liegenden Sophistik, verantwortlich ge
macht wurde '°), fast zu einem Gegenstande des Abscheues gewordem,
in sententiis coaetam, in coniecturis duram, in argumenlis operariam contentionem,
molestam etiam sibi ipsi, omnia, retractantem, ne quid omnino tractaverit.
10) Greg. Naz. Orat. 26. (0pp. ed. Colon. 1690. I, p. 458.): oùx olds ìóyov
grgoq άς δήσεις τε σοφ όν xaì criytyutxta xtxi τάς IIIvQQtovog èyotgo sic j
£φάέις ή άντι8€σεις χαι τῶν XQvoitnrvov συλλογισμόν τάς διαλύσεις ή
τῶν Ἀggτοτελους τεχνῦν την xgxovsyvtav. 0rat, 33. (p, 529): yetQovrsg
ταῖς βελήλοις x£voq óvtouç xaì àvvv8€σεσι τῆς ψευδωνύμον yvóσεός xaì
ταῖς εἰς οὐδèv xQijotuov q)eQovata ς λoyoμαχέαις.
11) Epiphan. ádv. haeres. II, 69, 69. (0pp. ed. Petav. Col. 1682. I, p. 795.):
6εινότητι μάλλον ἐαντοὺς ἐχω εὸajxaotv £v6votíuévov AQuo tot£λην τε και
τούς άλλονς τοῦ κόσμον διαλεκτιxoῦς όν xaì ìoùs xxxQ7τούς μετάααι um
6évc- xcgztóv όιχαιοσύνης είδάτες. Ebend. III, praef. (p. 809.) : ' £x ανλλόγι
σμόν yàg xgi Aguotorêàvxóv xc.) y&touετQuxóv τὸν θεὸν 7ταQuot äv ßoölov
ται. Ebend. III, 76, 20. (p. 964.): ταύτα %? άφαιg&ίτιαι πᾶσαν σου τῶν λό
yων συλλογιστιxijv uv9o\oytav xoù oùx èyδόχεται ημάς πQotQ&pag9trt
μαθητάς γενεα9αι Σigro roréâovs τοῦ σοῦ ἐμιστέrov .... où yàg èv λόγφ
qvâÄoyιστιxú î 8ccotíetc. τόν οὐgccvtjv xaì èv λόγφ xou/twotvxj, άλλ' ἐν
dvvdjuev xaì &λη9 stg (s. Anm. 20). Ebend. 76, 24. (p. 971.): προςελαβε τὸ
$&ίου φός xat& ròv oöv λόγον εἰς τὴν czύτοῦ πάστιν τὴν συλλογιστιxijv
ταύτην σον τήν τεχνολοytoiv. (Ausserdem kömmt Aehnliches gerade bei Epi
phanius höchst häufig vor.) ' Vgl. Hieron. adv. Helvid. (0pp. ed. Par. 1706. IV, 2,
p. 130.): non campum rhetorici eloquii desideramus , non dialecticorum tendiculas
nec Aristotelis spineta conquirimus ; ipsa scripturarum verba ponenda sunt.
12) Faustin. d. trin. adv. Arian. I, 10. (Bibl. Patr. Galland. Ven. 1770, VII, p.
444.): Noli infeliae adversus Christum dominum totius creaturae Aristotelis artificiosa
argumenta colligere qui te Christianum qualitercunque profiteris, quasi eae discipli
nae terrenae supputationis circumscriptor advenias.
13) Theodoret. serm. 5 d. nat. hom. (0pp. ed. Sirmond. Par. 1642. IV, p.
555.): jueic δέ αὐτόν τὴν ἐμτληάtwv όλοφvgóu$$a, δτι δή δgόντες ßag
ßaQoqojvovg άνθαρόπους τὴν ἐλληνιxijv εὐγλωττίαν vsvuxnzóτας xai τοὺς
zεκομιμενuévovs μύθους παντελῶς §§εληλαuévovs xtzì toùc àìusvtuxoùς σο
λοιxio uoùç τους άττιχούς xcctc.) elvxóτας συλλογισμούς. (Diese Anspielung auf
die schlichte Rede der Fischer findet sich auch sonst noch öfters.)
14) Iren. adv. haer. II, 14, 5. (0pp. ed. Venet. 1734. I, p. 134 b.): minutilo
quium autem et sublimitatem circa quaestiones, cum sit Aristotelicum, inferre fidei
conantur. Euseb. hist. eccl. V, 27. (0pp. ed. Paris. 1591. II, p. 108): Christum
ignorant, .... sed quaenam syllogismi figura ad suam impietatem confirmandam re
periretur, studiose indagarunt; quod si quisquam forte illis aliquod divini eloquii
teslimonium proferat, quderunt, ulrum coniunctam an disiunctam syllogismi figuram
possit efficere ...... sollerti impiorum astutia et subtilitate simplicem ac sinceram
divinarum scripturarum fidem adulterant. -
15) Hieron. adv. Lucifer. (ob. Ausg. IV, 2, p. 296.): Ariana haeresis magis
cum sapientia seculi facit et argumentationum rivos de fontibus Aristotelis mutuatur.
16) Socr., hist. eccl. II, 35. (ed. Vales. Turin. 1747, p. 114.): εῦ}ύς ούν ἐe
νοφῶνει (nemlich Aëtius) τοῦς ἐντυγχάνοντας, τοῦτο όε ἐπότει ταῖς κατηγο
gftct c X{Quotor&λονς πιστεύων Αιβλέον δε ούτως ἐστιν BriyeyQguuévov αὐτό'
>
èç aùróv τε διαλεγόμενος xαι ἐαντφ σόφισμα ποιῶν οὐκ ἐάδειο ..... τοῖς
XIII. Die kirchliche Auffassung. Die Behandlungsweise. 7
so stellte sich doch. zugleich von selbst das Gefühl der Nothwendigkeit
ein, mit gleichen Waffen sich gegen die Feinde der orthodoxen Lehre
vertheidigen zu können, und erklärlicher Weise musste dieses Motiv,
dass die Dialektik dem Kampfe gegen die Ketzer diene, das Ueberge
wicht erlangen. ' Also auf die Gesinnung und die Absicht, in welcher
man Logik betrieb, kam es num an 47), und in solcher Weise durfte
man sich sogar logischer Kenntnisse rühmen '*); sehr wohl aber konnte
hiemit die Anschauung verbunden sein, dass die dogmatische Theologie
eben doch mur aus äusserem Gründen in der Dialektik das Gebiet eines
bloss äusserlichen Wortkrames betreten , habe, und es wird ums dem
mach nicht befremden, wenn wir weiter untem wiederholt eine offene
Feindschaft gegen alle Dialektik überhaupt antreffen werden.
Jedenfalls aber war, wie gesagt, die ecclesia docens schon in dem
ersten Jahrhundertem auf diese Weise : dazu gelangt, dass sie eine ge
wisse Summe logischer Lehren in den Umkreis ihres Betriebes aufnahm,
und waren einmal irgend welche Compendiem, — wenn auch mit Wor
behalt der Gesinnung und Absicht —, für den Gebrauch der Kleriker
recipirt, so konnte und musste wohl auch der Fall eintreten, dass Ein
zelne jenes Material, welches anderweitig als Mittel zum Zweeke dienen
sollte, zu einem speciellen und selbstständigen Gegenstande ihrer Be
schäftigung machten. Und hiebei waren es vor Allem die Kategorien;
welche von der spät- antiken Schultradition her eine reichliche Wer
wendung in den theologischen Hauptfragem , und zwar gerade zumeist
bei Augustinus (betreffs der Trinität und der sog. Eigenschaften Gottes)
gefumden hatten ; ja es ist selbst möglich, dass man schon ziemlich
frühe die pseudo-augustinische Schrift über die Kategorien (s. Abschn.
XII, Anm. 40—50) für ein ächtes Werk hielt und so durch die Aucto
rität des Augustinus selbst sich in dem Studium dieses Gegenstandes
bestärkt fühlte. Hatten aber die Kategorien jedenfalls eine bedeutende
Geltung für die Theologie, so lag ja in der Schrift des Porphyrius,
d. h. in den Quinque voces, eine in der Schule für unerlässlich gehal
tene Einleitung zu dem Kategorien vor, und es verstand sich von selbst,
dass man für dem Unterricht sowie für das Studium stets den Anfang
mit der Isagoge maehte." Beide aber, nemlich sowohl das Buch über
£x τῶν xcrtnyoQuóν σοφto uczov ovvs7v$ueuvs, διό ούτε vojo ot δεδύνηται,
τύς ἐστιν άyévvmtos yévvnoius (vgl. Anmi. 8). •
17) Theódoret. hist. eccl. IV, 26. (0pp. ed. Sirm. III, p. 707.): *aì τόν $.
otoréλονς συλλογισμόν xccì τῆς IIλάτωνος εὐελιδας διὰ τόν,άxoöv 8i sed é
§ατο (se. 4tdvuòς)'τὰ μαθήματα οὐχ ός άλη9ειαν ἐκπαιδεύοντα, ἀλλ' ἀς
όπλα της άλη&εttis xatà toù psêêovç ytyvóusvt.
18) Cyrili. Aleae. Thesaur. d. trin. 11. (0pp. ed. Aubert Par. 1638. V, 1, p.
87.): ἐκ άα&ημάτων ήμίν τῶν Ἀριστοτελους δρμαίμενοι xg τύ δεινότητι
rijç èv xöαμφ σοφίας άποxsygnúévot xtùTovs' èyétgovot ,&nudtoyv xsvóv
oùx siöözs£ άτι κά πQός τgύτην άμαθῶς άχοντες ἐλεγχόησονται* 9«vgé
og yàg àytos àxóìov8ov, övv öh iòv 7tsgì to§ get;ουρς και ἐλάττονας ἐe
τέοντες λόγον ἐπι , τὸν πεgì roü öuotov xαι άνομ9tov, μεταπεπτῶκασιν
oùx stégres'&τι κατά την 24go rot£ìoùs réxvnv, £p* j u&λιστα μεγαλρφgo
veiv είσά$ασιν αύτοι, οὐκ ἐis vorù ròv xótoztóv τὸντάι ' yévos τό τε δμοῖον
xt.) τὸ ἀνόμοιον δς και τὸ μεῖζον xaì rò ἐλαττον. (S. Abschm. IV, Anm.
522 u. 531. -
8 XIII. Die Behandlungsweise.
die Kategorien als auch das Schriftchen des Porphyrius, lagen für die
lateinische Kirche in der Uebersetzung des Boethius, noch dazu mit
Erläuterungen versehen, vor, und so wurden sie die hauptsächlichen lo
gischen Schulbücher des Mittelalters.
Der geschichtliche Werlauf wird uns zeigen, dass lediglich aus der
unausgesetzten Beschäftigung mit Porphyrius und Boethius jener Streit
über die Geltung. der sog. Universalien entstand, welcher naeh der bis
her gewöhnlichen Annahme in dem Gegensatze des Realismus und des
Nominalismus sich entspann 1°), in Wahrheit aber eine bunte Menge
gar vieler Partei-Ansichten zu Tage kommen liess. Es war nicht etwa
ein eigener, individuell selbstständiger Gedanke eines hervorragenden
Mammes, dureh welchen diese logischen. Kämpfe wären hervorgerufen
worden, sondern ein überkommener Stoff, schulmässig fortgeerbte Ge
danken aus dem Alterthume waren es, welche man nur allmälig etwas
genauer ins Auge fasste und erst hiedurch zu einer bestimmten Partei
stellung veranlasst wurde, deren Wurzeln in der Tradition selbst schon
vorlagen. Von einem innerlich selbstständigen Schaffen eines neuen
Momentes kann im Mittelalter keine Rede sein, selbst bei Scotus Erigena
nicht, und auch bei Abälard nicht. Jene ganze Zeit klebte wesentlichst
moch an der blossem Tradition und konnte so höchstens durch . einem
hingebenden, vielleicht auch durch einen minutiösen Fleiss sich imner
halb ihrer engen gegebenem Gränzen in einzelne Punkte fester verren
nem, nie aber frei mit dem Stoffe walten. Wohl trifft die Scholastiker
nicht der Vorwurf leichtfertiger Zuversicht oder hohler Eitelkeit, wo
mit sie etwa fertige Systeme in die Welt geschleudert hätten, noch er
regen sie durch bodemloses Geschwätz jenen wissensehaftlichen Unwil
len, wie wir ihn z. B. bei der Lectüre Cicero's empfinden; aber weit
eher beschleicht uns ein Gefühl des Mitleides, wenn wir sehem, wie bei
einem äusserst beschränkten Gesichtskreise die innerhalb desselben mög
lichen Einseiligkeitem nil ungenialer Emsigkeit getreulichst bis zur Er
schöpfung ausgebentet werden, oder wenn in soleher Weise Jahrhum
derte auf das vergebliche Bemühen verschwendet werden, Methode in
dem Unsinn zu bringen. Solch webmüthige Gedanken über verlorene
Zeit werden in uns zumeist gerade (la rege, wo die verschiedenen
Meinungen betreffs der Universalien in ihren ausgebildetsten Consequen
19) V. Cousin (0uvrages inedits d'Abélard. Paris 1836. 4, mit einigen Wer
besserungen und Zusätzen wiederholt in Fragments de philosophie du moyen-äge.
Par. 1840 u. 1850. 8.) hat das grosse Werdienst, zuerst diese wahre Quelle des
Nominalismus und Realismus gezeigt zu haben, und auf Grundlage der Nachweise
desselben gab B. Hauréau (De la philosophie scolastique. Par. 1850. 8. 2 Bände)
noch manches, schätzbare Material aus Handschriften, welcher überhaupt die Wis
senschaft mit einer ebenso reichhaltigen als genauem Darstellung des Scholasticis
mus bis z. 14. Jahrh. beschenkte. Auch M. X. Rousselot, Etudes sur la philos,
dans le moyen-äge. Par. 1840 f. 2 Bdde. ist zu erwähnem. Abgesehen von álterer
nnd veralteter Litteratur, wie z. B. von dem ziemlich armseligen, Buche des Ad.
Tribbechovius, De doctoribus scholasticis (2. Aufl. v. Heumann, Jena 1719. 8.)
werden wir Einzelnes noch untem am geeigneten 0rte anzuführen haben. In neue
ster Zeit erschien eine werthlose Compilation von H. 0. - Köhler, Realismus u. No
minalismus etc. Gotha 1858. 8. -
XilI. Die Behandlungsweise. Hang zum Platonismus. 9
zen sich am heftigstem befehden, während das erste Auftauchen des
Streites uns eher noch als befruchtend und anregend erscheint.
Doch dürfen wir hiebei micht die Gränzen unseres hier gesteckten
Zweckes aus dem Auge verlieren ; denn nicht in seiner ganzen Aus
dehnung gehört jener Kampf der Geschichte der Logik. an, und wir
haben hier nicht die Aufgabe, ihn mach allem seinem Seiten zu entwickeln,
sondern wir werden lediglich den logischen Gesichtspunkt festhalten
und daher sofort alles Theologische, was sich daran knüpft, ausscheiden
müssen und hiemit auch die 0ntologie, je mehr sie sich Schritt für
Schritt von der Logik losschält, bei Seite lassen, ja selbst von der Er
kenntnisstheorie nur jene Momente beiziehen, welche innerhalb der lo
gischen Lehren bis zu einem späteren Umschwunge der Logik selbst
fortglimmtem.
Auf Grundlage dieser gebotenen Abgränzung versuchen wir nun,
die Erscheinungen auf dem Gebiete der Logik des früherem Mittelalters
nach ihrer Zeitfolge darzustellen, sei es dass sie als Compendien oder
dass sie als commentirende Erläuterumgen auftretem.
Aber Ein höchst entscheidender Gesichtspunkt steht uns hiebei aus
0bigem bereits fest. Wenn nemlich die gesammte Dialektik als eim lee
res und formales Wortgeklimper • betrachtet wurde (Anm. 8—16), so
musstem diejenigen Kleriker, welche demnoch aus dem angegebenem
Grunde sich mit diesem Gebiete beschäftigten, nothwendiger Weise
béstrebt seim, dem Ganzen eine reale Grundlage zu gebem, und zwar
konnte, wie sich von selbst versteht, hiebei keime andere Realität mass
gebend wirken, als diejenige, welche in den christlichen ldeen sich
fand. Auch ist es wohl möglich, dass wie in anderen Beziehungen, so
auch betreffs der Logik Aussprüche, welche in den Briefen des Paulus
vorlagen *"), als entscheidende Auctorität mitwirkten. Wenigstens finden
wir bei Theodorus Raithuensis (Mitte des 7. Jahrh.) mit directer Bezug
nahme auf Paulus die Ansicht ausgesprochen, dass mam sich in einem
Widerspruche gegen den Apostel befinde, wenn man das Studium der
Kategorien als einen entscheidendem Vorzug des Theologen bezeichne
und hiemit die christlich fromme Stimmung in blosse Worte oder Wort
klänge verlege **). Und wenn wir auch eben diese Stelle nicht gera
20) Z. B. ad Corinth. I, 1, 17.: εὐαγγελέεα9αι οὐx èv σοφὸς λόyov. ib.
2, 4.: xccì δ λόγος uov xaì rò, ??? μov oùx èv πειδοῖς σοφίας λόχοις,
άλλ' ἐν ἀποδεάει τνεύματος ' zò ôùvέμεως, ἐνα ή πόστις ύμόν μῦ j èv
goqtg &v9gt;j7tov, άλλ' ἐν δυνάμει $εοῦ. ad Thessal. I, 1, 5.: τὸ εὐαγγάιον
iiujv oùx èysyvij$m Tigòς υμάς ἐν λόγφ uóvov, άλλά xaì èv dvvdjusu, xaì
èv τνεύματί άγέφ. ad Timoth. I, 6, 3.: ét tt s §v§QoJvJrroxczâsî...., ie τύφω
ται μηδέν ἐπιστάμενος, ἀλλὰ νοσῶν πεgì ìntìosus xxxî Àoyoμαytoc. Vgl.
oben Anm. 3 u. 11.
21) Theod. Raith. Praepar. d. incarn. (Bibl. Patr. Galland. XIII, p. 29.): ἐπειδή
δέ ό Σεvjgos pulcris πgoxa£}t€stat φωναῖς, èv άήμασι τε μόνοις και ίίχοις
τήν εὐσερειαν ύττοτύετὰι , xcxt τοιγε τού άποστόλον λεγοντος ,,οὐ γάρ ἐν
λόγφ ii. 8σσιλετὰ τοῦ δεοῦ, ἐλλ' ἐν δυνάμει xccì άλη9εά** (ad Corinth. I, 4,
20)* ούτος δέ παρ' αὐτφ xsvijg® xgáτίστας 9εόλογος yvtoQt£stat , δς ἐν
τάς xccrnyoQtag XQiotoréâovç xàì tà àou7t& τῶν ?£; quàóσόφων κομψὰ
ijσκημενος tvyydvrj. Uebrigens sind dergleichen allgemeinere Motive, welcfie in
der damaligen Zeit überhaupt lagen, weder bei Cousin noch bei Hauréau in Be
tracht gezogen. , , - -
10 XIII. . Isidorus.
dezu für das Mittelalter als die älteste -und erste Kundgebung des Gegen.
salzes zwischen Nominalismus und Realismus anführen wollen, so ist
doch jedenfalls so viel klar, dass der bei weitem , überwiegende Zug
der Logik für die ersten Jahrhunderte grundsätzlich auf Seite des Rea
lisfmus liegen muss. Ein längerer Werlauf daher ist erforderlich, bis
endlich die Auffassung zu einiger Geltung durchdringen kann, dass auch
die Worte etwas Reales sind und dass die Worte in ihrem realen Sein
das Allgemeine in sich enthalten.
Auf solche Weise ist es uns nun völlig verständlich, wie schon
der erste Schriftsteller des Mittelalters, welcher der Geschichte der
Logik angehört, nemlich I s i d o r u s. His p a le n s i s (gest. 636) einen
entschieden theologischen Standpunkt einnimmt, während er zugleich
die logische Schultradition von Cassiodorus und Boethius ausgehendi
fortführt. Nemlich nicht etwa bloss dass er heidnische Leetüre den
Mönchen untersagt wissen will oder dass er die Dialektik und Rhetorik
als ledigliches Wortgepränge dem Inhalte des Christenthums, ganz wie
wir oben sahem, gegenüberstellt **), sondern er substituirt auch aus
drücklichst die Theologie an Stelle der Logik ; d. h. während er die
üblichen Eintheilungen der Philosophie und zugleich die Aufzählungem
der sieben Künste in den von ihm benützten Quellen vorfindet 28), hat
er in seinem bekanntem eneyclopädisehen Werke „Origines“ oder „Ety
mologiae“, dessen zweites Buch die Rhetorik und Dialektik enthält, noch
besonders Gelegenheit, auf diese Fragen einzugehen, und dort fügt èr
demjenigen, was er aus Cassiodorus abzuschreiben findet (Abschn. XII,
Anm. 172), noch die Bemerkung hinzu, dass in den drei Zweigen der Phi
losophie (Physik, Ethik, Logik) sich auch die heilige Sehrift bewege, und
zwar namentlich die Evangelien sich auf die logische Wissenschaft
beziehen, an deren Stelle man jetzt die Theologie betreibe **). Dabei'
aber verbindet sich mit diesem Standpunkte eine für das Mittelalter
weit fortwirkende Unterscheidung zwischen ars und disciplina, welche
Isidor wahrscheinlieh dem Victorinus (Abschn. XII, Anm. 1 ff.) ent
nahm 2°); wenn nemlich ars dem Gebiete des Weränderlichen und Wahr
22) Isid. Hisp. 0pp. ed. du Breul. Paris. 1601. fol. — Regula monach. c. 8. (p.
702 a.): Gentilium: libros vel haereticorum volumina monachus legere caveat. Sen
tent. III, 13. (p. 670 b.): Ideo libri sancti simplici sermone conscripti sunt, ut non
in sapientia verbi, sed in ostensione spiritus homines ad fidem perducerentur; nam
si dialectici acuminis versutia aut rhetoricae artis eloquentia editi essent, nequa
quam putaretur fides Christi in dei virtute sed in eloquentiae humanae argumentis
consistere, nec quemquam crederemus ad fidem divino inspiramine provocari, sed
potius verborum calliditate seduci. 0mnis secularis doctrina spumantibus verbis re
sonans ac se per eloquentiae tumorem attollens per doctrinam simplicem et humilem
christianam evacuata est, sicut scriptum est : nonne stultam fecit deus sapientiam
« huius mundi.
23) D. diff. spirit. c. 34. (p. 302.) u. 0rig. I, 2. (p. 1.) u. II, 24. (p. 29 a.).
24) 0rig. II, 23. (p. 29 a.): In his quippe tribus generibus philosophiae etiam
eloquia divina consistunt ; nam aut de natura disputare solent ut in Genesi et Ec
clesiaste, aut de moribus ut in Proverbiis et in omnibus sparsim libris , aut de lo
gica, pro qua nostri theologiam sibi vindicant, ut in Cantico canticorum et Evangeliis.
25) Wenigstens stimmt sie dem Sinne nach ganz mit demjenigen überein, was
in der Einleitung der mns erhaltenen Schrift des Wictorinus Evpos. in Cic. Rhet.
(p. 102 ed. Capper.) sich findet. Vgl. auch Marc. Cap. II, 138.
XIII. Isidorus. 11
seheinlichen, disciplina aber jenem des Ewigen und Wahren angehört 3°),
so konnten nicht bloss das Rhetorische und das Speculative als zwei
gesonderte Zweige auseinandergehalten werdem, sondern es durfte auch
letzteres nach seiner äusseren technischen Seite eine besondere Behand
lungsweise finden.
So theilt Isidorus das Gesammtgebiet der „Logik“ (auch im Hin
blicke auf dictio und sermo) in Rhetorik und Dialektik 37), und sowie:
er sich bezüglich der schulmässigen Unterscheidung beider wörtlich an
Cassiodorus (s. Abschn. VIII, Anm. 25) anschliesst, so ist es überhaupt
des Letzteren oben (Absehn. XII, Anm. 172—184) geschildertes monströ
ses Compendium, welches durch- Isidorus mit einigen Abweichungen
oder Zusätzen den folgenden Jahrhunderten überliefert wurde. Nach
dem er memlich den Uebergang von der Eintheilung der Philosophie
zur lsagoge in der nemlichen dürren Weise gemacht, welche wir bei
Cassiodorus- sahen **), gibt er eine Aufzählung und Erklärung der quin
que voces, wobei er die Werdienste des Porphyrius gegenüber dem
Aristoteles und Cicero hervorhebt *°) und offenbar nur aus der von
Boethius commentirten Uebersetzung des Wietorinus gesehöpft hat, auf
welch letzteren er auch am Schlusse des Cap. selbst verweist 80);
eigenthümlich ist ihm dabei der höchst schulmässige Einfall, die fünf
Worte in Einem Satze beispielsweise auszudrücken 81). Die hierauf fol
gende Angabe der Kategorien ist zu Anfang und am Schlusse wörtlich
aus Cassiodorus entlehnt **), in der Mitte aber ist sie ausführlicher,
26) 0rig. I, 1. (p. 1.): Inter artem et disciplinam Plato et Aristoteles hanc dif
ferentiam esse voluerunt dicentes, artem esse in iis quae se et aliter habere possunt;
disciplina vero est, quae de iis agit quae aliter evenire non possunt; nam quando
veris disputationibus aliquid disseritur, disciplina erit ; quando aliquid verisimile
atque opinabile tractatur, nomen artis habebit.
27) D. differ. spir. c. 34. (p. 302 b.): Nunc partes logices assequamur; con
stat autem eae dialectica et rhetorica. Dialectica est ratio sive regula disputandi in
tellectum mentis acuens veraque a falsis distinguens ; haec scientia, sicut quidam
ait, sicut ferrum venenum, sic armat eloquium. 0rig. II, 24. (p. 29 a.): Logicam,
quae rationalis vocatur, Plato subiunacit .... dividens eam in dialecticam et rhetori
dam ; dicta autem logica , i. e rationalis; lóyoc enim apud graecos et sermonem
significat et rationem. Ebend. VIII, 6. (p. 106 a.): Logici .... quia in naturis et
moribus rationem adiungunt, ratio enim graece λόγος dicitur. Ebend. II, 22. (p.
28 b.): Dialectica est disciplina ad discernendas rerum causas inventa; ipsa est
philosophiae species, quae logica dicitur, i. e. rationalis diffiniendi quaerendi et
disserendi potens .... Aristoteles ad regulas quasdam huius doctrinae argumenta per
duzit et dialecticam nuncupavit pro e0 quod in ea de dictis disputatur, nam λέις
dictio dicitur (vgl. ebend. I, 22 f.); ideo autem post rhetoricam disciplinam dia
lectica sequitur, quia in multis utrique communia eæistunt
28) Abschn. XII, Amm. 173.
29) 0rig. II, 25, p. 30 a.: Cuius disciplinae diffinitionem plenam eæistimarunt
Aristoteles et Tullius eae genere et differentiis consistere ; quidam postea pleniores
in docendo eius perfectam substantialem diffinitionem in quinque- partibus velut in
membris suis diviserunt. Vgl. Boeth. ad Porph. p. 7. (ed. Basil. 1570).'
30) Ebend. p. 30b.: Isagogas autem eae graeco.in latinum transtulit Victorinus
orator, commentumque eius quinque libris Boethius edidit.
31) Ebend. p. 30 a.: Ut est eae omnibus his quinque partibus oratio plenae
sententiae ita: „homo est animal rationale mortale visibile boni malique capaae.“
(Vgl. Abschn. XI, Anm. 46.) -
32) Cap. 26. p. 30 b. S. Abschn. XII, Anm. 174. (auch die verdorbemen'
12 XlII. lsidorus.
mamentlich an Beispielen. Dann reiht sich matürlich d. interpr. an, ein
Abschnitt, welchen wir hier zum ersten Male unter der barbarischen
Ueberschrift „De Perihermeniis Aristotelis“ antreffen *°); die Eingangs
worte und der eigentliche Kern (die Definition von nomen, verbum,
oratio, enuntiatio, affirmatio, negatio, contradictio) sind wörtlich aus
Cassiodorus ansgesehrieben **), dazwischen aber stehen einige allgemeinere
Bemerkungen, welche aus Boethius (s. Abschn. XII, Aum. 110) entnom.
men sind und dadurch, dass sie das Verhältniss zwischen Sprache und
Denken betreffem, eine grosse Wichtigkeit für die Folgezeit erhielten 3°);
die Schlussworte aber des Cap. geben einen erträglicheren Uebergang
zum Syllogismus als jene bei Cassiodorus °°). Die nun folgende Syl.
logistik selbst ist nach einer einleitenden Werwahrung vor sophistischem
Missbrauche *") wörtlichst aus Cassiodorus herübergenommen *°). ' Den
lnhalt der hierauf sich anschliessendem Lehre von der Definitiom, welche
Isidor aus Victorinus entlehnt, mussten wir eben desshalb bereits obén,
Abschn. XII, Anm. 2. anführen. Won der Definition aber wird zur To
pik mit dem nemlichen Worten wie bei Cassiodorus (s. ebend. Anm.
179) der Uebergang gemacht, und auch bei Aufzählung der Topem nur
Letzterer benützt; aber es bleiben hiebei vorerst jene frémdartigem
Einschiebsel, welche wir oben (ebend. Anm. 181—183) sahen, völlig
hinweg, und ausserdem werden mit Uebergehung der rhetorischen To
pen unter den dialektischen nur die Ciceronischem vollständig und hiezu
* drei aus jenen des Themistius aufgenommen *°). Endlich den Schluss
macht ein eigner Abschnitt ,,De oppositis“, welcher allerdings hier nicht
in dem üblichen Zusammenhange mit der Kategorienlehre steht *°),
sondern sich noch an das Material der Topik anschliesst, sowie er auch
Schlussworte des Isidorischem Textes sind nach dem dortigen Wortlaute , des
Cassiod. zu lesen). - - -
33) Man hielt nemlich das zusammengeschriebene Perihermenias (πεgî Égun
vstag) für einem Accusativ Plural und dachte sich hiezu einen Nominativ' Periher
meniae. (Ja noch im 19. Jahrh. finden wir bei Ild. v. Arx, Gesch. v. St. Gallen,
I, p. 262. „die Periemerien* des Aristoteles; s. unten Amm. 245.)
34) C. 27, p. 31 a. S. Abschn. XII, Anm. 175. (auch das Sprüchlein über
Aristoteles). - -
35) Ebend.: 0mnis quippe res quae una est et uno significatur sermone , aut
per nomen significatur aut per verbum, quae duae partes orationis interpretantur to
tum, quidquid concepit mens ad eloquendum ; omnis enim elocutio conceptae rei
mentis iriterpres est. Namentlich müssen wir hiebei den Sprachgebrauch „conci
pere, conceptio** hervorheben.
36) Ebend. p. 31 b.: Utilitas perihermeniarum haec est, quod eæ his interpre
tamentis syllogismi fiunt, unde et Analytica pertractantur. Vgl. Abschn. XII,
Amm. 176.
37) C. 28, p. 31 b.: plurimum adiuvat lectorem 'ad veritatem investigandam,
tantum ut absit ille error decipiendi adversarium per sophismata falsarum con
clusionum. - -
38) Das ganze Cap. enthält somit dasjenige, was wir schon obem Abschn. XII,
Anm. 176. u. 177. anzugeben hatten; nur lässt Isidor unter den ebendort Anm. 3,
13. u. 16. angeführten Stellen den Inhalt der Anm. 3. hinweg.
39) C. 30. S. Abschn. XII, Amm. 184; nnter den dortigen Topem des The
mistius treffen wir hier nur: a. t0t0, a partibus, a nota.
40) Wie z. B. Abschn. XII, Anm. 61. u. 94; hingegem in anderer Weise ebend.
Anm. , 10. - - '-.
XllI. Isidorus. 13
in der That aus des Boethius Commentar zur Ciceronischen Topik ex
cerpirt ist 41).
Aber ausser diesem Abrisse der Dialektik ist es bei Isidorus auch
noch Anderes, was in Folge der Auctorität, welche er in der nächsten
Zeit genoss, einem Einfluss auf die Geschichte der Logik ausübte. Nem
lich einerseits findem sich einzelne Bruchstücke -logischer Lehren in an
deren 'Abschnitten seines encyclopädischen Werkes, so z. B. meben der
(in dem Absehnitte über die Kategoriem, s. oben Anm. 32) üblichen
Begriffsbestimmung des Homonymen u. s. f. kömmt Isidorus auch in der
Grammatik auf diesem Gegenstand, woselbst er aber die griechischen
Wortformen amwendet **); auch ist insbesondere aus der Rhetorik der
Abschnitt De syllogismis zu erwähnen, da er einerseits für die Argu
mentation dem enthymema eine hohe Geltung verschaffte (s. unten Anm.
92), und amdrerseits eine wenn auch noch so kümmerliche Notiz von
Dasein der Induction enthält. Der Inhalt dieser Lehre über den
Schluss **) bietet natürlich durchaus Nichts neues dar, sondern ist aus
Victorinus entnommem (s. Abschn. XII, Anm. 12) und weist hiedurch
bis zu Cicero (Abschn. Vlll, Anm. 53—62, woselbst bes. Amm. 60 die
betreffende Stelle über das enthymema) zurück.
Andrerseits endlich hat Isidorus durch ein paar ledigliche Einzeln
heitem, welehe an sich ausserhalb der Logik liegem, — gleichsam ohne
es zu wollem — , dem Späterem Weranlassung zu Fragen dargeboten,
deren Beamtwortung wir untem als Glieder des geschichtlichen Werlau
fes werdem anführen müssen **). Das Eine, was wir hiebei im Auge
haben, ist die Aufstellung eines Unterschiedes zwischen Rationale und
Rationabile *°), welcher offenbar auf einer Stelle des Commentars des
Boethius zur Isagoge beruht *°) und bewirkt haben mag, dass man
41) C. 31, p. 35 a.: Primum genus est contrariorum, quod iuaeta Ciceronem
diversum (zu lesen adversum) vocatur .... secundum genus est relativorum ..... ter
tium genus est oppositorum (man bemerke den ungenauen Sprachgebrauch) habitus
vel orbati0, quod genus Cicero privationem vocat ...... quartum vero genus eæ con
firmatione et negatione 0pp0nitur .... quod genus quartum apud dialecticos multum
habet conflictum et appellatur ab eis valde oppositum. Die Quelle hievon S. b.
Boeth. ad Cic. Top. p. 815 f., die betreffende Stelle Cicero's wurde oben, Abschn.
WIII, Anm. 42, angeführt. -
42) 0rig. I, 7, p. 4 a.: Synonima hoc est plurinomina ..... hom0nima hoc est
tu m??n01m11l0 . . . . .
43) 0rig. II, 9. u. 12. (p. 23 b.: syllogismus graece, latine argumentdtio ap
pellatur..... syllogismorum apud rhetores principaliter genera du0 sunt, inductio et
ratiocinatio).
44) Wenn es demnach auch dem Leser auffallen mag, dass ich hier Solches
erwähne, so wird umten es sich zur Genüge begründen, warum ich aus dem über
reichen Schatze Isidorischer Schulweisheit gerade diese, und zwar ausschliesslich
nur diese paar einzelnen Momente herausheben musste. Wenn aber hiedurch be
treffs der Auffassung der Geschichte der Philosophie des Mittelalters an die Stelle
einer bisher üblichen rühmenden Erwähnung eines selbstständigen Denktriebes die
Einsicht in die völlige imnere Unselbstständigkeit damaliger Denker tritt, so
scheint eben eine derartige Aenderung der Ansicht uns das Richtige zu sein,
45) D. differ. spirit. 18, p. 297 a. : Inter rationale et rationabile hoc interest,
sapiens quidam dicit: rationale est, quod rationis utitur intellectu, ut h0m0 ; ratio
nabile vero , quod ratione dictum vel factum est. Fast wörtlich ebenso Differ. lib.
p. 770a. - • • • • • *
46) Porphyrius hatte nemlich bei Angabe desjenigen, was dem yévog und der
14 XIII, Alcuinus.
später die dortigen Worte noch genauer erwog (s. untem Anm. 212ff.) ;
das Andere aber besteht in der an die „Schöpfung aus Nichts“ ge.
knüpften Angabe, dass die Finslerniss keine Substanz sei *"), wovon wir
eine weilere Folge bald untem (Anm. 72 ff.) treffen werden.
Der memliche Standpunkt wie bei Isidorus, sowohl betreffs der
Geltung der Dialektik als auch in abenteuerlicher Compilation eines
Compendiums, waltet auch bei A l c u i n (735—804), dessem Unterricht
in der damals üblichen Logik bekanntlich , auch Karl der Grosse ge
noss **). Es gibt Alcuin nicht bloss die Eintheilung der Wissensehaf.
tem in einem Schema nach Isidorus, sondern wiederholt auch wörtlich
aus demselben obige (Anm. 24) theologische Auffassung der Logik *°);
dabei aber zeigt er überall eine hohe Werthschätzung der Philosophie,
und während er häufig Klagen über eine weit verbreitete Unwissen
heit hieran knüpft, erhebt er sich zu dem Ausspruche, dass die freiem
Künste die sieben Säulen der Weisheit seien °°), und so übt er, auf
Augustin hinweisend, reichlich die überlieferte Schulphilosophie, d. h.
die Kategorienlehre, in den theologischen Hauptfragen über den Gottes
begriff und die Trinität °!).
Dass aber Alcuin selbst über alle sieben Künste geschrieben habe,
ist schon längst widerlegt **) durch den Nachweis, dass ein im Mit
telalter viel gelesenes Excerpt aus Cassiodorus für ein Werk Alcuin's
gehalten wurde. Wohl hingegen bearbeitete er die Grammatik, die Rhe
torik und die Dialektik, und ausserdem übersandte er an Karl d. Gr.
das pseudo-augustinische Buch über die Kategoriem (Abschn. XII, Anm.
dιαqogà gemeinsam sei (Abschn. XI, Anm. 49.), als Beispiel, das Àoyuxóv ge
brauchi in einer Stelle, welche nach der Uebersetzung des Boethius (p. 95.) lautet:
Cumque sit differentia ,,rationale“, praedicatur de ea ut differentia id quod est
„ratione uti**; non solum autem de eo quod est rationale , sed etiam de his quae
sub rationali sunt speciebus praedicabitur ratione uti. ln der Erklärung nun dieser
Worte sagt Boethius (p. 96.): de rationali duae differentiae dicuntur; quod enim
rationale est, utitur ratione vel habet rationem, aliud est autem uti ratione , aliud
est habere rationem ..... ergo ipsus rationabilitatis quaedam differentia est ratione
uti, sed sub rationabilitate p0situs est homo.
47) Sentent. I, 2, p. 620 b.: Materia eæ qua coelum terraque formata est,
ideo informis vocatu est, quia nondum ea formata erant, quae formari restabant,
verum ipsa materia eae nihilo facta erat..... (p. 621 a. :) Non eæ hoc ' substantiam
habere credendae sunt tenebrae, quia dicit dominus per prophetam ,,ego dominus for
mans lucem et creans tenebras“, sed quia angelica natura, quae non est praeva
ricata, luae dicitur, illa autem quae praevaricata est, tenebrarum nomine nuncupatur.
48) Eginh. Vit. Car. M. c. 25.: habuit in ceteris disciplinis praeceptorem Albi
num cognomento Alcuinum ..... apud quem et rhetoricae et dialecticae .... ediscen
dae plurimum et temporis et laboris impendit. Savo, Ann. d. gest. Gar. M. V, v.
235 f. bei Pertz, Monum. I, p. 271.: Artis rhetoricae seu cui dialectica nomen, sump
sit ab Alcuini dogmate noticiam.
49) Alcuini 0pp. ed. Froben. Ratisb. 1777. fol. lI, p. 332. u. Dialect. 1,
ebend. p. 335.
50) Z. B. Epist. 38. (I. p. 53.), Epist. 68. (p. 94.), Epist. 141. (p. 202.).
Gramm. (II, p. 268.): Sapientia liberalium litterarum septem columnis confirmatur,
nec aliter ad perfectam quemlibet deducit scientiam, nisi his septem columnis vel
etiam gradibus eacaltetur.
51) D. fide trin. I, 15. (I. p. 713.) u. Epist. dedic. (p. 704.), Quaest. d. trin.
(I, p. 740), Epist. 122. (I, p. 177.). Epist. 221. (p. 285).
52) Won Frobenius in d. praef. II, p. 263 f.
XIIl. Alcuinus. 15
40 ff.) mit einem metrischen Prologe °°), welcher in Auffassung der
Kategorien den Standpunkt des Boethius (s. ebend. Anm. 84) enthält.
Das Compendium der Dialektik selbst, welches ebenfalls einem der
gleichen (unbedeutenden) Prolog an der Spitze trägt, ist in Dialogform
geschrieben, so dass Karl d. Gr. immer die Fragen stelli, Alcuinus aber
sie beantwortet. Im Anfange ist hiebei Alles, auch die Theilung der
Logik in Rhetorik und Dialektik, wörtlich aus Isidorus (oben Anm. 27)
genommen-, auf den eigentlichen Inhalt aber wird mit einer höchst
schulmässigen Eintheilung der Dialektik in „fünf Arten“ übergegangen **).
Der erste Abschnitt, natürlich die Isagoge, ist wörtlich aus Isidor aus
geschrieben (mit Weglassung der Stellen in ob. Anm. 29 u. 30), auch
jener Eine Beispielsatz (Anm. 31) fehlt nicht °°). Die hierauf folgende
ausführliche Angabe der Kategoriem °°) ist vollständig aus dem pseudo
augustinischen Compendium mit barbarischer Schreibung der dortigen
griechischen Worte excerpirt (s. Abschn., XII, Anm. 50); das Einzige,
was neu hinzukömmt, ist, dass hier nun , auch für die Kategorien Ein
Satz als Beispiel gebildet wird *"). Wenn aber bei Pseudo-Augustin
(c. 18) nach der zehnten Kategorie (habere) die übliche Besprechung
' der Gegensätze folgt, so verschmäht hiefür Alcuin diese Quelle, indem
er unter der Ueberschrift „De contrariis vel oppositis“ nun wörtlich
den betreffenden Abschnitt aus Isidorus (oben Anm. 41) ausschrâbt **);
unmittelbar darauf aber springt er für die sog. Postprädicamente (prius
und simul) wieder auf Ps.-Augustin zurück, lässt aber das dortige Cap.
21 (die immutatio) ganz hinweg **). Sodann folgt unter der Ueber
schrift „De argumentis“ zunächst ein höchst kurzer Auszug aus jenem
Excerpte der Lehre vom Urtheile, welches Boethius seiner Schrift d.
diff. top. (s. Abschn. XII, Anm. 80 u. 165) einverleibi halte ""), und
53) Derselbe lautet (ll, p. 334.): Continet iste decem naturae verba libellus,
Quae iam verba tenent rerum ratione stupenda 0mne, quod in nostrum poterit de
currere sensum. Qui legit, ingenium veterum mirabile laudet Atque suum studeat
tali eacercere labore Eavormans titulis vitae data tempora honestis. Hunc Augustino
placuit transferre magistro De veterum gazis graecorum clave latina, Quem tibi reae,
fmagmus sophiae sectator amator, Munere qui tali gaudes, modo mitto legendum.
54) C. 1, p. 336.: K. Quot sunt species dialecticae? A. Quinque principales:
isagoge, categoriae, syllogismorum formulae, diffinitiones, topica, periermeniae. Al
lerdings eine monströse Anordnung, . welche noch dazu mit der Fünfzahl schlecht
stimmt; doch s. untem Amm. 64. -
55) C. 2, welches mit den Worten (p. 337.) schliesst: haec commentario ser
mone de isagogis Porphyrii dicta sufficiant, nunc ordo p0stulat ad Aristotelis cate
gorias nos transire.
56) C. 3—10, p. 337—342.
57) C. 10, p. 342. : K. Ex his omnibus decem praedicamentis unam mihi con
iunge orationem. A. Plena enim oratio de his ita coniungi p0test: ,,Augustinus
magnus orator, filius illius, stans in templo hodie infulatus disputando fatigatur.“
* 58) C. 11, p. 343. Nur in den Beispielem sind die Eigennamen oder der In
halt derselben in das moral-theologische Gebiet umgesetzt.
59) Ebend. Weder am Anfange noch am Schlusse dieser Postprädicamente ist
irgend ein Uebergang gemacht, der sie an das Worhergehende oder das Nachfol
gende anknüpfte.
60) C. 12, p. 344. Nach der Bestimmung, was argumentum (rei dubiae affir
matio) und was oratio (verum aut falsum significans) sei, folgt die übliche Notiz
(s. Abschm. XII, Anm. 111.) über est und non est, sowie über die Casus obliqui
16 Xlll. Alcuinus.
hierauf, insoferne ja ebendort auch von der Argumentation die Rede ist,
eine armselige Auswahl einiger Beispiele von hypothetischen Schlüssem,
welche Boethius dort entwickelt; hieran aber reihen sich noch die vier
ersten Modi der kategorischen Schlüsse an, welche aus Isidor (ob. Anm.
38) entnommen sind °1). Die Lehre von der Definition, welche wieder
gänzlich auf Boethius beruht, zerfällt in eine Erörterung de modis dif
finitionum, wobei nur das Motiv des Herabsteigens vom Allgemeinslen
zum proprium (s. Abschn. XII, Anm. 105) angegeben und an dem Bei
spiele homo erläutert wird "*), und in eine Aufzählung de speciebus
diffinitionum, woselbst an die Bemerkung, dass es eigentlich fünfzehn
Arten seien, unter denselben aber einige rhetorische und einige dialek
tische sich finden (s. ebend. Anm. 107), eine durchaus bodenlose und
widersinnige Hervorhebung von acht Artem angeknüpft wird "*). Aber
die Lehre von der Definition soll doch wieder, wie bei Isidorus (oben
Amm. 39), hauptsächlich nur zur Topik gehören **), und es folgt hiemit
die Aufzählung der Topen, welche sonach auch ebendorther mit Weg
lassung der eaetrinsecus vorkommenden entnommen ist, aber durch Boe
thianische oder durch biblische Beispiele erläutert wird °°). Endlich
der abenteuerlich nachhinkende Abschnitt „De Perihermeniis“ (s. oben
Anm. 33), — denn einige Trümmer der Lehre vom Urtheile waren ja
schon t)ben gelegentlich der Argumentation dagewesen —, ist gleich
falls dem Isidorus entlehnt und enthält somit zunächst auch die oben
(sie findet sich auch in Alc.'s Gramm. II, p. 271.), hierauf die Wiertheilung der
Ürtheile bezüglich der Quantität (s. ebend. Anm. 124.), dann die Unterscheidung
in kategorische und hypothetische, bei deren ersterem die Begriffe subiectum, prae
dicatum, maior, minor (s. ebend.) angegeben werden, woran sich noch die Um
kehrbarkeit des das pvoprium enthaltenden Urtheiles anreiht (aequales aequaliter
circumverti possunt, s. ebend. Anm. 129.).
61) Ebend. p. 345. Den Uebergang hiezu bilden die Worte: Quomodo quae
libet res his argumentis (!) confirmari potest aut destrui ? Die Beispiele der hypo
thetischen Schlüsse beziehem sicb mur auf die zwei Modi Si A est, B est, A vero
est, und Si A est, B est, B vero non est. Nach den vier kategofischen Modi stehen
die Worte: Horum enim syllogismorum multae sunt species, sed haec ad praesens
sufficiant ad cognoscendum universales et particulares conclusiones in affirmando et
fnegando.
9 62) C. 13, p. 345.: Primum per immensum tendi oportet incipientem a genere,
dehinc paulatim currendo per partes devenire debet ad id, in quo solum est id,
quod diffinitum est ; ut hi qui signa formant primo immensum sibi deligunt lapi
dem, dehinc paullatim minuendo et abscindendo superflua ad formandos vultus et
membra perveniunt. Die Begriffsbestimmung der Definition selbst (oratio brevis
rem ab áliis rebus divisam propria significatione concludens) findet sich ebenfalls
Gramm. p. 271.
63) C. 14, p. 346. : K. Quot species sunt diffinitionum? A. Quindecim ; sed
aliae ea, his ad dialecticos pertinent, aliae ad rhetores. K. lllas maæime velim
audire, quae magis ad dialecticos pertinent. Hierauf num werden aus jenen des
Boethius folgende acht mit biblischen Beispielen vorgeführt: principalis, quae sub
stantiam demonstrat ...... , a notitia, quae rem aliquam per actum significat ....,
qualitativa ......, per differentiam ...., per privantiam ..... , per indigentiam pleni
• • • • • , per laudem ...., iuacta rationem.
64) Ebend.: K. Cui enim parti dialecticae artis hae diffinitiones maæime iun
gendae sunt? A. Topicis. Hiernach bliebe-freilich trotz der sechs Abschnitte doch
obige Fünftheilung (Anm. 54.) gültig. - -
65) C. 15, p. 346—350.
:
!
XIII. Fredegisus. 17
(Anm. 35) betontem, Momente über Spraehe und Denken °°); aber die
darauf folgenden Angaben über nomen, verbum und oratio sind aus Boe
thius (die betreffenden Stellen desselben s. Abschn. XII, Anm. 140)
sehr bereichert und erweitert ""), und so wird bei Eintheilung der
oratio die enuntiativa scharf von den übrigen Artem getrennt (s. ebend.
Anm. 111), ja die letzteren sogar der Grammatik zugewiesem "*), die
selben aber doch ebenfalls mit Beispielen aus Boethius angeführt, und
zuletzt noch auf das Kürzeste affirmatio, negatio und contradictio aus
Isidor (ob. Anm. 34) herübergenommen °°). -
Abgesehen von dieser Compilation der Dialektik selbst haben wir
moch zu erwähnen, dass Alcuin auch in der Rhetorik nicht bloss
obige (Anm. 43) Stelle über Induetion und Argumentation aus Isidorus
benützt 7°), sondern auch in ein paar Beispielen das Gebiet der so
phistischen Fehlschlüsse berührt 7!), wobei ihm Gellius als Quelle diente.
“Zeigen uns diese beiden bisher betrachteten Compendien lediglielr
die Form von Flickwerken, bei deren Abfassung nicht einmal mehr das
abstract logische Bedürfniss einer irgend zusammenhängenden Reihen
folge mitwirkte, so erblicken wir allerdings im Vergleiche mit solchen
Schulproductem, schon einen Fortschritt darim, wenn der Eine oder An
dere durch das traditionell gewordene Material wenigstens zu Fragen
sich aufgefordert fühlt, welche er so oder so zu beantwortem versucht;
aber hohe Ansprüche dürfen wir an dergleichen erste Versuche nicht
machem. Und nur einen Beleg für ' die völligste Unklarheit in jenen
Fragen, welche bald hernach zu einer Parteispaltung führten, gibt uns
die Art und Weise, wie F r e d e g i s u s, ein Schüler Alcuin's (gest. 834
als Abt in St. Martin zu Tours), in einer an die Theologen am Hofe
Rarls d. Gr. gerichteten Epistola de nihilo et tenebris 7*) sich mit , den
Begriffen ,,Nichts“, und „Finsterniss“ herumschlägt, welehe er mach der
üblichen Weise sowohl ratione (d. h. logiseh) als auch auctoritate (d. h.
66) C. 16, p. 350. Jener Ausspruch über Aristoteles (ob. Anm. 34.) kömmt
bei Alc. Epist. 35 (I, p. 47.) sogar als proverbium wieder vor. Das Werhä*tniss
aber zwischen res, intellectus. und voa- drückt Alc. ausserdem Gramm. (II, p. 268.)
auch so aus: Tria sunt, quibus omnis collocutio disputatioque perficitur, res, in
tellectus, voces ; res sunt, quae animi ratione percipimus ; intellectus , quibus res
ipsas addiscimus; voces, quibus res intellectas proferimus. Vgl. Epist. 123. (I, p.
179.): Verba enim, quibus loquimur, nihil aliud sunt nisi signa earum rerum, quas
mente concipimus, quibus ad cognitionem aliorum venire volumus.
67) Ebend. p. 350 f. Namentlich findet sich hier auch wieder die Erwäh
nung erdichteter Begriffe, z. B. hircocervus, quod graece tragelaphus dicitur.
68) Ebend. p. 351.: K. Num et illae aliae species quatuor (d. h. interrogativa,
imperativa, deprecativa, vocativa) ad dialecticos pertinent? A. Non pertinent ad dia
lecticos, sed ad grammaticos.
69) Ebend. p. 352.
70) D. Rhet. et Virt. (II, p. 324.).
71) Ebend. p. 326.: Si dicis „non idem ego et tu, et ego homo“, consequens
est, ut lu homo non sis .... Sed quot syllabas habet homo ? Duas. Numquid tu
duae illae syllabae es? Nequaquam. Sed quorsum ista? Ut sophisticam intelligas
versutiam. Vgl. Abschn. VIII, Anm. 66. -
72) Gedruckt b. Steph. Baluzii Miscell. ed. Dom. Mansi. Lucae. 1761 fol. II,
p. 56 b. — 58 a. Die Eingangsworte lautem: 0mnibus fidelibus et domini nostri se
renissimi principis Karoli in sacro eius Palatio consistentibus Fredegysus Diaconus.
P R A N t L, Gesch. II. 2
.
18 XIII. Fredegisus.
orthodox theologisch) besprechen will "*). Die Weramlassung zur gam
zen Erörterung überhaupt liegt sicher in obiger (Amm. 47) Stelle des
Isidorus **), die Auffassungsweise aber ist abgesehen vom allgemeinen
theologischen Standpunkte in logischer Beziehung so plump oder so
maiv, dass wir in der That keine Wortbezeichnung für dieselbe findem;
denn wo * von einer Erwägung über die sog. Universalien auch nicht die
geringste Spur sich zeigt, können wir unmöglich von Realismus oder
von Nominalismus sprechen. Kurz die Sache ist so monströs, dass wir
sie nicht einmal als eine Vorstufe späterer Ansichten bezeichnen kön
nem. Es wird nemlich nicht bloss mit dürren Worten gesagt, dass wir
mit dem Sprachausdrucke unmittelbar die Sache verstehen, sonderm es
wird auch Bezeichnung und Existenz selbst sofort als identisch genom
men 7°), wornach das existiremde Nichts wie bei Isidorus eine An
knüpfung an die mosaische Genesis findet 7°); ebenso verfährt Fredegisus
betreffs der Finsterniss, kömmt aber hiebei durch den gleichen Gédan
kengang, indem er sich auf das Verbum esse , in einem biblischen Satze
stiitzt, zu einer von Isidor abweichenden Ansicht 77). Höchstens liesse
73) Es ist doch merkwürdig, welch interessanten Mann Heinr. Ritter, Gesch.
d. Phil. VII, p. 187. aus diesem Fredegisus zu machen weiss, von welchem er sagt,
dass er „zu einem tieferen philosophischen Nachdenken geneigt in der Wissen
schaft eigene Wege zu gehen versuchte.“ Nachdem nemlich hierauf Ritter selbst
angeführt, dass Fred. im Streite gegen Agobardus den alleràussersten Auctoritäts
glaubem vertheidigte, heisst es weiter (p. 188.): ,,Aber diess zeugt nur von seinem
grübelnden Geiste, keineswegs davon, dass er die Wernunft gänzlich der Auctorität
unterwerfem wollte; vielmehr erklärte er sich entschieden dafür, dass jede Auct0
ritât mur durch die Wernumft ihre Auctorität habe.“ Als Beleg für diese Phrase,
nach welcher wir in dem hyperorthodoxen Fred. zugleich wenigstens einen Wor
làufer Spinoza's und Lessing's zu verehren hätten, führt Ritter eben die auch uns
interessirenden Worte aus genannter Epistola an, welche bei Baluze allerdings fol
gendermassen lauten (p. 57 a.): huic responsioni obviandum est primum ratione, in
quantum hominis ratio patitur, deinde auctoritate, non qualibet, sed ratione dum- !
taæat, quae sola auctoritas est solaque immobilem oblinet firmitatem. Also Ritter
muthet seinen Lesern den Unsinn zu, Fred. wolle erstens ratione, und zweitens
auctoritate, aber letzteres ebem doch wieder nur ratione, verfahren. Aber hätte
Ritte^ nur nicht allzu flüchtig gelesen, so hätte er aus mehreren weiter unten fol
genden Wortem (p. 57 a.: ad divinam auctoritatem recurrere libet, quae est rationis
munimen et stabile firmamentum. p. 57 b.: ecce invicta auctoritus ratione comitata
et ratio quoque auctoritatem confessa ..... faciamus palam pauca divina testimonia
adgregantes. p. 58 a.: haec pauca ratione simul et auctoritate congesta .... scribere
curati) sehen müssen , dass ratio und auctoritas auch hier den tausendfältig vor
kommenden theologischen Dual repräsentiren, kurz, dass in obiger Stelle anstatt
des zweiten ,, ratione** matürlich ,,revelatione** zu lesen ist.
74) Demnach verspüren wir auch in dieser Hinsicht Nichts von „tieferem
philosophischen Nachdenken** oder won ,,eigenem Wegem“ des Fredegisus. Vgl.
oben Anm. 44. -
75) p. 57 a. : 0mne nomen finitum aliquid significat, ut homo, lapis, lignum ;
haec enim ubi dicta fuerint, simul res quas significant intelligimus .... igitur ,,ni
hil“ ad id quod significat refertur ...... 0mnis significatio eius significatio (die
letzterem zwei Worte fehlen im Texte) est, quod est; ,,nihil** autem aliquid signi
ficat; igitur ,,nihil** eius significatio est, quod est, id est rei eæistentis.
76) Ebend.: Universa ecclesia..... confitetur divinam potentiam operatam esse
eæ nihilo terram aquam aëra et ignem etc....... si ergo haec humana ratione
comprehendere nequimus, quomodo obtinebimus, quantum qualeve sit illud, unde ori
ginem genusque ducunt.
77) Ebend.: Qui dicit tenebras esse, rem constituendo ponit, .... nam verbum
XIII. Hrabanus Maurus. 19.
sich hervorhebem, dass Fredegistis einen Rückhalt an dem theologischen
Begriffe des „Wortes Gottes“ besitzt (s. Anm. 122 f.). Uebrigens vergl.
über jeme beidem Begriffe auch unten Anm. 133 ff.
An den Namen des H r ab a n u s M a urus (geb. 776, gest. 856)
wurdem allerdings in neuester Zeit Producte geknüpft, deren Eines von
dem bisher betrachteten selir abweicht. Es sind diess glossirende Com
mentare, derem Besprechung jedoch jedenfalls erst weiter untem mög
lich ist; nemlich selbst wenn es aus inneren Gründen für wahrschein
lieh gehalten werden könnte, dass wirklich Hrabanus sie verfasst habe,
so müsste ihnen dennoch behufs einer richtigen Beurtheilufhg ihre Stelle
erst bei der Darstelfting jener Bewegung angewiesen werden, welehe
durch die Anschauungsweise des Scotus Erigena hervorgerufen wurde.
Somit schien es , da die Identität des Autors sich als sehr zweifelliaft
erweist, räthlicher zu sein, dass wir das Wenige, was sicher dem Hra
banus angehört und zugleich dem bisher erwähnten Schriften verwandt
ist, gleich hier in Kürze vorführen, hingegen jene neuerdings gefundenem
logischem Tractate erst nach der Besprechung des Scotus einreihen
(Amm. 144 ff.). Zunächst demnach gehört aus dem schon längst be
kannten Werken des Hrabanus 7°) ein Abschnitt der unter dem Titel
,,De universo“ verfassten Encyclopädie hieher, in welchem mit der
Ueberschrift ,,De philosophis“ die Eintheilung der Wissenschaftem und
der Philosophie aus Alcuin (ob. Anm. 54, d. h. eigentlich aus lsidor,
s. Amm. 27) wiederholt und somit auch ausdrücklich gesagt wird, dass
die Logik sich in Dialektik und Rhetorik spalte '°). Sodann aber kömmt
Hrabanus auch in der Schrift De institutione clericorum auf die siebem
freien Künste zu sprechen, und nachdem er dort schon im Allgemei
men die Theologen vor Missbrauch der Disputirkunst gewarni hat *°),
ist diese Worsicht ihm auch da das Ueberwiegende, wo er in der üb
lichem Reihenfolge (nach Grammatik und Rhetorik) num de Dialectica
selbst spricht; er wiederholt nemlich vorerst die Definition der Dialek
tik, welche von lsidor und Alcuin her die übliche war, und knüpft
daran allerdings den Ausspruch Augustins, dass die Dialektik zu wissen
wisse *'), aber er will die Uebung derselben nur auf den Kampf gegen
substantiae (d. h. ,,esse“) hoc habet in natura, ut cuicunque subiecto fuerit iunctum
sine negatione, eiusdem declaret substantiam; igitur in eo quod dictum est ,,tenebrae
erant super faciem abyssi**, res constituta est, quam ab esse nulla negati0 separat
aut dividit. Hierauf folgt noch eine Menge von Bibelstellem, in welchen von der
Finstermiss die Rede ist, wobei natürlich die bekannte greifbare ägyptische Finster
niss diesem Realismus als der willkommenste Beleg sich darbietet (solcher Ari ist
also die gepriesene ,,Vernunft-Auctorität“ des Fredegisus).
78) Hrabani Mauri 0pp. ed. Colvener. Colon. 1627. fol. 6 Bände.
79) D. univers. XV, 1. (I, p. 201.): Logica autem dividitur in duas species,
hoc est dialecticam et rhetoricam.
80) D. instit. cler. III, 17. (VI, p. 40.): Sed disputationis disciplina ad 0m
nia genera quaestionum, quae in litteris sanctis sunt penetranda et dissolvenda, plu
rimum valet ; tantum ibi cavenda est libido- riacandi et puerilis quaedam ostensio
decipiendi adversarium. -
81) Ebend. c. 20. (p. 42.): Dialectica est disciplina rationalis quaerendi, dif
finiendi et disserendi, etiam vera a falsis discernendi potens; haec erg0 disciplina
disciplinarum est, haec docet docere .... scit, scire sola et scientes facere non s0
lum vult, sed etiam potest. S. Abschn. XII, Anm. 18.
2*
20 XIII. Scotus Erigena.
die Häretiker beschränkt wissen, und fügt darum sofort gleichsam zur
Warnung obiges Beispiel eines sophistischen Schlusses aus Alcuin (Amm.
71) an **), worauf noch an einer neutestamentlichen Stelle die Möglich
keit gezeigt wird, dass unwahre Sätze in eine wahre Verbindung kom
men, unl dann sogleich der die Dialektik betreffende Abschnitt abge
schlossen wird, um auf die nächstfolgende Kunst (die Mathematik)
überzugehen *°).
Wahrscheinlich im 9. Jahrhunderte war mun. wohl auch eine theo
logische Schrift, nemlich P s e u d o- B o e t h iu s De Trinitate, entstan
den, welche im Interesse der Dogmatik auf einzelne Momente der Logik
einlässlicher eingeht; indem wir jedoch uns vorbehalten müssen, das
Nöthige über dieselbe erst bei jener Zeit anzugeben, in welcher mam
sie hervorzog und in eine nähere Verbindung mit logischen Controver
sen *u bringen beganm (folg. Abschn., Anm. 35 ff.), wenden wir uns
zu dem hervorragendsten philosophischen Schriftsteller des früheren
Mittelalters.
Welch bedeutenden Einfluss J o h a n n e s S c o tu s E r i g e n a (geb.
zwischen 800 und 815, gest. zwischen 872 u. 875) im Allgemeinem
auf die Theologie seiner Zeit und der nächstfolgenden Jahrhunderte
ausgeübt habe, ist bekannt **); vielleicht aber gelingt es uns, wofern
wir diesen schwierigen Schriftsteller richtig verstanden haben solltem,
ihm auch für die Geschichte der Logik eine entscheidende Stelle zuzu
82) Ebend.: Quapropter oportet clericos hanc artem nobilissimam scire .....
ut subtiliter haereticorum versutiam hac possint dignoscere eorumque dicta venefica
tis syllogismorum conclusionibus confutare. Sunt enim multa quae appellantur so
phismata ..... pr0p0suit enim: quidam dicens ei cum quo loquebatur ,,qu0d eg0 sum,
tu non es“ etc.
83) Ebend.: Sunt etiam verae conneaeiones ratiocinationis falsas habentes sen
tentias ..... non enim vera inferebat apostolus (Paul. ad Cor. I, 15, 14—17.) cum
diceret ,,neque Christus resurreaeit* et illa alia ,,inanis est fides nostra], inanis est
et praedicatio nostra**; quae omnino falsa sunt ...... falsum est ergo quod prae
cedit, praecedit autem non esse resurrectionem mortuorum ..... Cum ergo verae sint
conneaciones non solum verarum sed etiam falsarum sententiarum, facile esl verita
tem conneacionum etiam in scholis illis discere, quae praeter ecclesiam sunt, senten
tiarum autem veritates in sanclis libris ecclesiasticis investigandae sunt. Ueber
haupt ja theilt Hrabanus jenen Standpunkt seiner Zeit, wornach die heidnische
Litteratur an sich als verwerflich gilt (d. instit. cler. III, 20) und auch die siebem
freien Künste im Vergleiche mit der ,,bescheidemen Bildung“ des Klerikers weit
zurückstehen. Comment. in Ecclesiast. VIII, 11. (Vol. III, p. 484.): Septem ergo
circumspectores philosophiae liberalium artium sunt traditores, sed magis vera esse
in omnibus claret catholici riri modesta doctrina, quae in divinis libris consistit,
quam omnis philosophorum multipleæ in disputando et in argumentando solertia.
84) Es habem ja selbst theologische Controversen, welche sich an Scotus
anknüpfen, uns aber hier nicht berühren, ihren starken Reflex auch in der neueren
Litteratur gefunden, indem gegen Fr. Ant. Staudenmaier (Joh. Scotus Erig. u. d.
Wissenschaft s. Zeit. 1. Th. Frankf. 1834.) und Saint-Rene Taillandier (Scot Eri
gêne et la philos. scolastique. Strasb. 1843.) Nic. Möller (J. Scot. Erig. u. s. Irr
ihümer. Mainz 1844.) auftrat. Uebrigens. ist auch in der jüngst erschienemen
Schrift von Theod. Christlieb (Leben u. Lehre d. Joh. Scotus Erig. Gotha 1860),
welcher in den abenteuerlichsten Gedankensprüngen den Scotus mit Spinoza;
Fichte, Schelling, Hegel u. s. w. in Werbindung bringt, die logische Seite des Sco
tus kaum mit etlichen Worten berührt. — Im Folgendem citire ich nach der Aus
gabe von H. J. Floss (Par. 1853, als 122. Band der Migne'schen Patrologia).
N
XIII. Scotus Erigena. 21
weisen ; denn es scheint bezüglich des logischen Standpunktes, auf wel
chem sich Scotus befindet, immerhin noch kein erschöpfendes Urtheil
gefällt zu sein, wenn man ihn lediglich als Realismus oder etwa auch
als extravagantem Realismus bezeichnet, sondern mit der realisti
schen Auffassung, welche im Allgemeinen auf der biblisch-theologischen
Anschauung beruht, und welche dem Scotus abzusprechen natürlich Nie
mandem in den Sinn kommen kann, verbinde, sich hier höchst eigen
thümlich ein dialektisches Motiv, welehes uns dadurch von grösstem Be
lange zu sein scheint, dass wir in demselben die ersten Umrisse des
scholastischen Nominalismus erblicken.
' Das Erste, was sicher jedem Leser des Scotus in die Augen springt,
ist die streng syllogistische Form, in welcher dieser Schriftsteller sich
bewegt, dabei zugleich, so zu sagen, seine logischen Schulkenntnisse
zur Schau tragend. Wir würden zwar an sieh dieses nicht besonders
erwähnen, da unsere Aufgabe hier nicht ist, etwa sämmtliche logisch
geschulten Schriftem aller Kirchenväter oder mittelalterlichen Theologen
zu registriren ; hier jedoch besteht, wie uns dünkt, zwischen solchem
äusserlichen Schulwissen und der inneren Auffassumg ein enger Zusam
menhang. Scotus Erigena wendet offenbar in der Ueberzeugung, dass
die Syllogistik gerade in ihrer streng schulmässigen Form einen „philo
sophisehen“ Werth habe, all dergleichen Dinge an. So erscheint bei
ihm, — abgesehen von der häufigem und reichlichem Erörterung der Ka
tegorien in theologischem Sinne —, z. B. aus der Lehre vom Urtheile
die Eintheilung in bejahende und verneimende, und zwar mit der Be
zeichnung affirmativus und abdicativus *°), oder die Angabe der ver
schiedenen Arten der Gegensätze *°), unter welchen der sog. contra
dictorische noch öfters besonders hervorgehoben wird *7), sowie die
85) Was die Kategorien betrifft, bei deren Gelegenheit Scotus einmal (d. di
pis. nat. I, 51, p. 493.) das 10. Cap. aus Ps.-August. Categ. ausschreibt, s. das
Nöthige unten Anm. 139 ff. Bezüglich des Urtheiles s. z. B. d. div. nat. I, 14, p.
462.: Et hoc (d. h. die 88ολογέα xwtczq ctuxj und 98ολοytcz &zvoq cxtuxij des
Pseudo-Dionysius Areopag.) brevi concludamus eaeemplo: ,,essentia est** affirmatio;
,,essentia non est** abdicatio ; ,, superessentialis est** affirmatio simul et abdicatio.
Diese Terminologie, welche bei Scotus noch öfter erscheint, weist entweder auf .
die Wermengung zurück, welche wir bei Cassiodor trafen (Abschn. XII, Anm. 176
u. 181.), oder Scotus selbst vermischte die Redeweise des Boethius mit jener des
Marcianus Capella (s. ebend. Amm. 64.).
86) Ebend. 13, p. 458 f.: 0ppositum dico aut per privationem aut per con
trarietatem aut per relationem (dass hier aut per negationem im Texte ausgefallen
sei, zeigt die sogleich folgende Erklärung) aut per absentiam ...... nam 0pp0sita
per relationem ita sibi semper opposita sunt, ut simul et inchoare incipiant et si
mul esse desinant, dum eiusdem naturae sint, ut simplum ad duplum ; aut per ne
gationem, ut est, non est; aut per (zu lesen propter) qualitates naturales per ab
sentiam, u* lua, atque tenebrae, aut secundum privationem, ut mors et vita ; aut
per contrarium, ut sanitas et imbecillitas. Scotus schöpfte hiebei aus der nemli
chen Quelle wie Isidorus (s. obem Anm. 41.), nur entnahm er aus den Wortem des
Boethius ungeschickter Weise eine Unterscheidung zwischen privatio und absentia.
87) D. praedest. 5, 8, p. 378.: Aut qu0m0d0 de eadem voluntate posset si
mul dici ,,libera est, libera non est**; haec enim contradictorie dicuntur, quia si
mul fieri non possunt D. divis. nat. IV, 5, p. 756.: contradictoria proloquia fient,
et necessario unum erit verum, alterum falsum ; non enim aut simul vera possunt
esse aut simul falsa cantradictoria proloquia de subiecto eodem, sive universaliter
22 XIII. Scotus Erigena.
' gegensätzlichen Verhältnisse, welche zwischen dem Möglichen und dem
Unmöglichen bestehen, erwähnt werden *°). Auch die übliche. Aufzäh
lung der mehrerem Arten der Definition findet sich berücksichtigt *°).
Hauptsächlich aber sind es die Formeii der Argumentation, welche Sco
tus eben nach der formellen Seite so häufig hervorhebt *°), und wir
treffen bei ihm an vielen Stellen nicht bloss Syllogismen, welche voll
ständig schulmässig formulirt sind, in den Text verwoben "'), sondern
er nennt auch sehr gerne Schlüsse, welche der Topik angehören, mit
ihrem technischen Namen °°). Gerade aber in letzterer Beziehung ist es
uns von grosser Wichtigkeit, dass Scotus das .eigentlich dialektische
Verfahren, d. h. den Syllogismus überhaupt, genau von dem übrigen
bloss rhetorischen Gebiete unterscheilet und für die Beweisführung auf
die logische Form allein das entscheidende Gewicht legt. Nemlich zu
nächst wird von ihm schon Jene Formulirung des disjunctiven Schlus
ses aufs höchste geschätzt, welche als enthymema von Cicero her sich
in der Tradition erhaltem hatte und biedurch auch in Isidor's Eneyclo
pädie Eingang fand (s. oben Anm. 43, und die Wiederholung hievon
bei Alcuin Anm. 70), und es erblickt Scotus in der That in dieser
Schlussform den Höhepunkt aller ,,argumenta“, welche zwar immerhin
noch an die „signa vocalia“ gebunden seien "*), ja die Macht der Form
sint sive particulariter. Hier ist, wie man sieht, die Terminologie des Boethius
(contradictorius, s. Abschn. XII, Anm. 113.) mit jener des Marcianus Capella (pro
loquium, s. ebend. Anm. 62.) vermischt. (Nach Labbe, Bibl. Msscr. nov. p. 45. soll
Scotus den Marc. Capella commentirt habem; ausdrücklich erwähnt und benützt
hat er ihn bei der Kosmographie, d. div. nat. III, 33, p. 719.).
88) D. divis. nat. II, 29, p. 597.: Possibilia quoque et impossibilia in numero
rerum computari, nemo recte philosophantium contradicet ..... De quibus quisquis
plene voluerit percipere, legat πεQì §gμηνείας, hoc est de interpretatione, Aristote
lem, in qua aut de his solis , hoc est^ p0ssibilibus et impossibilibus, aut mazime
a philosopho disputatum est. Es versteht sich von selbst, dass das Ganze aus
Boethius entnommen ist (s. Ahschn. XII, Anm. 119.).
89) Ebend. I, 41, p. 483.: Quamvisque multae definitionum species quibusdam
esse videantur, sola ac vera ipsa dicenda est definitio , quae a graecis oùot ajd mc,
a nostris vero essentialis vocari consuevit ; aliae siquidem aut connumerationes in
telligibilium partium oÙotas aut argumentationes quaedam eactrinsecus per acciden
tia aut qualiscunque sententiarum species sunt ; sola vero oÜoutóông id solum re
cipit ad definiendum, quod perfectionem naturae, quam definit, complet ac perficit.
Es kann diess 'aus Alcuin (s. oben Anm. 62 f.) oder aus Isidor (oben Anm. 38 f.)
oder aus Boethius (Abschn. XII, Anm. 105.) geschöpft sein.
90) Derartige Stellen bewegen sich in jener Termimologie, welche bei Boe
thius die übliche ist; so z. B. affirmalivus, negativus , termini, dialectica proposi
tio, formula syllogismi conditionalis, auch conneaeio (s. Abschn. XII, Anm. 141.)
und sogar tropus (s. ehend. Anm. 119.); ausserdem finden wir noch collectio und
refleaeim, welche dem Apulejus (s. Abschm. X, Anm. 15. u. 19.) angehören.
91) So z. B. d. praedest. 14, 3, p. 410 ; ebend. 16, 4, p. 420. d. div. nat.
I, 49, p. 491. s. auch Anm. 94 ff. • ©
92) Z. B. d. div. nat. I, 27, p. 474.: sunt loci dialectici a genere, a specie,
a nomine, ab antecedentibus, a consequentibus, a contrariis, ceterique huiusmodi, de
quibus nunc disserere longum est. D. praedest. 2, 2, p. 362.: argumentum, quod
ab effectibus ad causam sumitur (ebenso ebend. 3, 2, p. 365.). Ebend. 9, 7, p.
393. locus a contrario und locus a similitudine, u. dgl. öfters. Die Kenntniss
aber all dieser Topen konnte Scotus lediglich aus Cassiodor schöpfen.
93) D. praedest. 9, 3, p. 391.: Restant ea, quae contrarietatis loco sumuntur,
quibus tanta vis inest significandi, ut quodam privilegio evcellentiae suae merito a
.
XIII. Scotus Erigena. 23
veranlasst ihn, das Enthymema sofort als „syllogismus“ zu bezeichnen 94),
und an, einer anderen Stelle, wo er ausdrücklich sagt, sich der άπο.
δεικτική bedienen zu wollen, folgen lediglich Beweise in eben jener
disjunctiven Form °°); aber zugleich weist er dennoch den Formen des
sog. kategorischen Schlusses entschieden eine noch höhere Stellung eben
deswegen an, weil dieselben nicht zu dem Getriebe der äusserlich
wirksameren rhetorischen Argumentation gehören °°). Dass aber dieses
Uebergewicht der syllogistischen Form auch bald von den Lesern des
Scotus als solches empfunden wurde, ist uns durch ein vollgültiges
Zeugniss bestätigt, indem ein Anonymus des 9. Jahrh. (s. unten Anm.
163), sagt, nach der Ansicht des Scolus bestehe die Dialektik in einem
beständigen Nacheilen und Sichverjagen (fuga et insecutio, vgl. unlen
Anm. 204) der Sätze ""). — Uebrigens konnte Scotus auch die Kennt.
-
graecis enthymemata dicantur, hoc est conceptiones mentis .... sicut ergo argumen
torum omnium fortissimum est illud, quod sumitur a contrario, ita omnium signo
rum vocalium aptissimum est, quod ducitur ab eodem contrarietatis loco. Ebend.
10, 1, p. 393.: Restat considerare locum, qui, ut praediaeimus, a dialecticis ac rhe
toricis enthymema vocatur, a grammaticis vero xat' άντ άμgaouv, et est omnium
argumentorum signorumque verbalium nobilissimus. S. auchº Anm. 96 am Schluss,
u. vgl. Anm. 189.
-
94) D. praedest. 3, 3, p. 366.: Quae rati0 enthymematis argumento concludi
tur, quod semper est a contrario, cuius propositio talis est (nun folgt ein Schluss
nach der Form Non est et A et B, A autem est, ergo B non est, s. Abschm. VIII,
Anm. 60. u. Abschn. XII, Anm. 13. u. 69.) .... Idem quoque syllogismus hoc modo
connectitur (ebenso).
95) Ebend. 4, 3, p. 371.: Illa igitur rationis specie, quae dicitur ἀποδεικτιx),
utamur primum adversus eos ...., worauf zwei Schlüsse in der so eben erwähnten
Form folgen und sodanm mit den siegesbewussten Worten geendet wird: conclu
sum est igitur ..... via igitur regia gradiendum nec ad deaeteram nec ad sinistram
divertendum, etc.
96) Nemlich bei einer längeren Beweisführung betreffs der lmmaterialität der
Substanz, d. div. nat. I, 47 ff., finden wir zunächst (47, p. 489.) nach den einlei
tenden Worten has itaque paucas de pluribus dialecticas collectiones considera zwei
kategorische Schlüsse nach dem 1. Modus der 1. Figur, sodann folgt eine Argu
mentation in dilemmatischer Form (48, p. 490.) ; nach dieser aber steht folgen
der Uebergang (49, p. 490 f.): Ut autem plane cognoscas, .... hanc argumentationis
accipe speciem. . Accipiam, sed prius quamdam formulam praedictae argumentationis
fieri necessarium video ; nam praedicta ratiocinatio plus argumentum a contrario vi
detur esse, quam dialectici syllogismi imago. Fiut igitur ma.vima propositio sic ;
und nun folgen vier Syllogismen nach dem 2. Modus der 1. Figur mit den ab
schliessenden Worten: haec formula idonea est ; unmittelbar hierauf aber: Hoc etiam
certa dialectica formula imaginari volo ; fiut itaque formula syllogismi conditionalis,
was in der Form Si A est, B est, A vero est geschieht; und nach all diesem
steht zum eindringlichem Abschlusse noch ein Enthymema: Si autem £v9v|uijuc
τος, hoc est conceptionis communis animi syllogismum , qui omnium conclusionum
principatum obtinet, quia eæ his quae simul esse non possunt assumitur, audire de
sideras, accipe huiusmodi formulam (wie oben Anm. 94.). - -
97) Bei V. Cousin, 0uvr. ined. d'Abel. p. 619.: Secundum vero Joannem Scot
lum est dyalectica quaedam fuga et insecutio, ut cum quis dicit ,,0mnis honestus
est“, et insequitur alius dicendo ,,omnis honestus non est**, talis haec disputatio
fugae et insecutioni videtur esse consimilis. Wenn übrigens schon der i. J. 821
gestorbene Abt Benedict von Aniane über einen ,, syllogismus delusionis apud m0
dernos scholasticos, maæime apud Scotos“ klagt (Baluzi Miscell. ed. Mansi,. II, p.
97.), so darf hieraus nicht gtwa geschlossen werden, dass Scotus seine dialektische
Gewandtheit aus einem in Schottland weitverbreiteten Schulbetriebe der Logik
24 XIII. Scotus Erigena.
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niss der von ihm angewendeten syllogistischen Formen lediglieh aus
Isidorus (oben Anm. 38) schöpfen, und es nöthigt uns keine einzige
Stelle zu der Annahme, dass er etwa auch des Boethius Uebersetzung
der aristotelischen Analytiken gekannt habe *°).
Eben diese Momente aber, welche gleichsam der logischen Praxis
des Scotus angehören, leiten uns auch auf desselben theorelisehe An
sicht bezüglich der Dialektik hinüber. Im Allgemeinen wohl theilt er
hierin die Anschauungen seiner Zeit, wonach die Uebung der freien
Künste zwar als etwas Lobenswürdiges erscheint °°), zugleich aber es
dabei auf die Gesinnung ankömmt, indem mamentlich die Dialektik,
welche leicht missbraucht werden könne, ilire wesentliche Aufgabe bei
Bekämpfung der Ketzer finde '"'). Aber bei Scotus, welchem ja durch
gängig Religion und Philosophie selbst identisch sind*"'), muss eben
deshalb die Logik auch noch etwas Höheres sein, als blosses äusserli
ches Mittel zum Zwecke, kurz sie muss ihm als Form seiner Philoso
phie gelten, und hierin liegt micht bloss der wesentlichste Vorzug des
Scotus vor einem lsidor oder Alcuin u. dgl., sondern auch, wie uns
dünkt, die Ursache seines Einflusses, sowie jener Werketzerung, welche
ihn später als einen Hort der Nominalisten traf (s. untem Ann. 312 f.).
Dass nun die Philosophie des Scotus dennoch auf einem, so zu sagen,
christlichen Platonismus beruhe und zugleich in ganz vernünftiger Weise
auf einen Pantheismus auslaufe, ist theils bekannt, theils ausserlialb
unserer hiesigen Aufgabe gelegen. Aber wie sich hiebei die prinei
pielle Auffassung der Logik gestalte, müssen wir versuchen in's Reine
zu bringen 103). -
Die Scriptura divina ist es mach dem Standpunkte des Scotus,
habe schöpfen können, sondern jene Klage bezieht sich lediglich auf einen einzel
nen dogmatischen Gegensatz (betreffs der Trinität), welcher ebenso wie hundert
andere dergleichen in seiner Formulirung als syllógismus bezeichnet werden kann.
98) Da uns dieser Punkt noch öfters (s. Anm. 156, 183, 196, 209, 253, 258,
277, 288, 310, 363.) von Wichtigkeit sein wird, musste ich absichtlich im Bishe
rigem so ausführlich auf die logischen Quellen des Scotus hinweisen. -
99) D. praedest. 18, 1, p. 430.: Errorem saevissimum eorum (d. h. seiner dog
matischen Gegner) ..... ea, utilium disciplinarum, quas ipsa sapientia suas comites
investigatricesque fieri voluit (vgl. oben Anm. 50.), ignorantia crediderim sumpsisse
primordia. An einer anderen Stelle, d. div. nat. I, 27, p. 475, werden sämmtliche
sieben Künste definirt; s. untem Amm. 106.
100) D. praedest. 1, 2, p. 358.: disputandi disciplinae regulis necessario uti
iubemur, dum adversus quendam saphrophilum (zu lesen saprophilosophum), nomine
Gotescalcum (bekanntlich der Hauptgegner des Scotus) ... respondere compellimur.
Ebend. 7, 1, p. 382.: Potest enim aliquis in disciplina disputandi, quae dicitur
dialectica, peritus, quae nullo dubitante a deo homini donalur, si voluerit, bene uti
..... potest e contrario perniciose uti, ad quod non est data, dum falsa pro veris
approbans alios in errorem mittat falsisque ratiocinationibus simplicium sensus con
fundat etc. (vgl. oben Anm. 80.).
101) Ebend. 1, 1, p. 358.: Conficitur inde, veram esse philosophiam veram
religionem conversimque veram religionem esse veram philosophiam. Bekanntlich
zieht sich diese Auffassung durch das ganze System hindurch.
102) Wenn z. B. H. Ritter, Gesch. d. Phil. VII, p. 222, bei Scotus viele Wi
dersprüche erblickt und meint, „an ein methodisches Werfahren sei natürlich hie
bei nicht mehr zu denken“, so ist diess sehr irrig, denn Alles löst sich, sobald
man nur genauer zusieht. - -
XIII. Scotus Erigena. 25
welche als ihre vier Theile in aufsteigender Rangfolge, entsprechend
den vier Elementem (Erde, Wasser, I.uft, Feuer) in sich die Geschichte,
die Ethik, die Physik, und die Theologie enthält 108), und sowie wir
hiebei einerseits uns auch an die Auffassung bei Isidor (ob. Amm. 24)
erinnert fühlen, so müssen wir andrerseits zugestehen, dass für eine
derartige aufwärtssteigende Linie erst mit einer geistigen Erhebung über
das lediglich Factische der Geschichte der Weg zur „Weisheit“ betre
ten werde, sowie dass die feste Form eines solchen Ringens nach
Weisheit sicher für den ganzen Weg, welcher bis zum höchsten Ziele
durchlaufen werden muss, die leitende Führerin sei. Somit ist es uns
sehr wohl verständlich, wenn Scotus anderswo die eigentliche ,,sophia“
in die praktische, die physikalische, die theologische und die logische
eintheilt, und der letzteren die „Regeln* zuweist, nach welchen man
sich bei den „Erörterungen“ in jeder der drei anderen Artem der Weis
heit bewegen soll 10*). Handelt es sich aber hiemit bei jeder Weis
heit um irgend Kundgebungen, welche in menschlichen Worten bestehen,
so hat die Logik oder — wie sie Scotus übrigens stets nennt — die
Dialektik jedenfalls Eine Seite, nach welcher sie mit dem Wortaus
drucke verflochten ist, während sie ändrerseits ihre wesentliche Aufgabe
darin besitzt, dasjenige zu erforschen, was Scotus (in realistisehem .
Sinne) die „Natur der Dinge* nennt. Er spricht sich nemlich über die
ses ganze Werhältniss sehr klar und entschiedem aus, wenn er sagt,
Grammatik und Rhetorik seien Gliedmassen oder Zweige oder wenig
stens Werkzeuge der Dialektik, durch welche sie ihre Entdeckungen
kundgebe und umter Menschen verwerthe ; die Grammatik nemlich emt
halte die Regeln der kundgebenden „voae“ selbst, welche nach Aristo
teles nur auf Gewohnheit beruhe, die Rhetorik hingegen handle entwe
der über specielle Fälle und Verhältnisse, oder bespreche allgemeine
Gesichtspunkte (loci communes), . welche sclion in der Natur der Dinge
liegen, daher im letzteren Falle die Rhetorik bereits die Rolle der Dia
lektik übernehme; somit seien Grammatik und Rhetorik durchaus nicht
principlos, wohl aber bestehe ein relaliver Comparativ in der Stärke
der Beweise, je nachdem dieselben mehr aus der Natur der Dinge ent
nommen seien, und die höchste Stufe liege dann vor, wenn die Seele
innerhalb ihrer selbst ohne das Geräusch des Spreehens oder der Rhe
torik über die Technik der übrigem Disciplinen nachdenke *°°). Durch
103) Homil. in Ev. Joann. p. 291.: Divina siquidem scriptura mundus quidam
est intelligibilis, suis quatuor partibus veluti quatuor elementis constitutus. Cuius
terra est veluti in medio imoque instar centri historia, circa quam aquarum simili
tudine abyssus circumfunditur morulis intelligentiae, quae a graecis ethice solet ap
pellari; circa quas, historiam dico et ethicam, veluti duas praefati mundi inferiores
partes, aer ille naturalis scientiae circumvolvitur, quam, naturalem dico scientiam,
graeci vocant physicen ; eaetra haec omnia et ultra aethereus ille igneusque ardor
empyrii coeli, hoc est superae contemplationis divinae naturae, quam graeci theolo
giam nominant, circumglobatur, ultra quam nullus egreditur intellectus.
104) D. div. nat. llI, 29, p. 705.: intentus prospiciat quadriformem sophiae
divisionem ; et est quidem prima πQtrxtuxh, activa, secunda pvoixi], naturalis, ter
tia 9 soloyta, quae de deo disputat, quarta loyuxi, rationalis, quae ostendit, qui
bus regulis de unaquaque trium aliarum sophiae partium disputandum. -
105) Ebend. V, 4, p. 869 f.: Cum eae liberalibus disciplinis praefatas attrave
26 XIII. Scotus Erigena.
diese deutliche Erklärung können wir jetzt den Inhalt obiger Anm.
92—96 vollständig verstehen, denn nun wissen wir, warum bei Scotus
die loci communes der Topik eine Bedeutung erhalten (s. auch unlen
Anm. 132), und warum der im Enthymema Tliegende locus des Gegen
satzes, welcher ja innigst in die ,,Natur der Dinge“ verflochten ist (man
denke auch an die affirmative und negative Theologie des Pseudo-Dio
nysius, welche Scotus adoptirte), vor Allem als der wichtigste und
stärkste bezeichnet werde, und warum endlich dennoch über das Enthy
mema hinaus an Reinheit des Gedankens der eigentliche Syllogismus
hervorrage, welcher von allem rednerischen Gepränge frei ist. Kurz
die Dialektik hat bei Scotus eine Stellung, gemäss deren sie unweiger
lich auf die äussere Kundgebung (voae) und auf die menschlich gefass.
ten GemeinbegrifTe (conceptus communes) eingehen muss, zugleich aber
aus diesem Gebiete zum höchsten reinen Wissen führen soll, und wenn
Scotus die Dialektik als „die Erforscherin der vernünftigem Gemeinbe
griffe* definirt '°°), so fasst er hiemit nach seiher Grundansicht in
Kürze eben jene zwei Seiten zusammen, nemlich einerseits die Wer
wandtschaft der Logik mit der Rhetorik, welehe die Technik der in
Wortem auftretenden Erörterungem : ist 107), und andrerseits das hobe
. Ziel, zu welchem die in den Wortem ausgesprochene Wernunft geführt
ris argumentationes, cur grammaticam et rhetoricam praetermiseris, non satis video
..... Primum quidem quia ipsae duae artes veluti quaedam membra dialecticae
multis philosophis non incongrue eæistimantur ; deinde brevitatis causa. Postremo
quod non de rerum natura tractare videntur , sed vel de regulis humanae vocis,
quam non secundum naturam sed secundum consuetudinem loquentium subsistere
Aristoteles cum suis sectatoribus approbat (ans Boethius, s. Abschn. XII, Anm. 110.),
vel de causis atque personis specialibus , quod longe a natura remum distat; nam.
dum rhetorica de communibus locis , qui ad naturam rerum pertinent, tractare niti
tur, non suas sed dialecticae arripit partes. Hoc autem dico , n0n quod omnino
grammatica et rhetorica suis veluti principiis caruerint, ...... sed quod validioris
vigoris sint ad approbandas vel negandas quaestiones, quae de rerum incertarum
inquisitionibus fiunt, argumenta eae natura rerum sumpta, quam eae humanis inven
tionibus ea cogitata ..... Cur itaque in numero liberalium disciplinarum computantur,
si secundum naturam non sunt, sed secundum humana machinamenta ? Non aliam
ob causam video praeter quod matri artium, quae est dialectica, semper adhaereant;
sunt enim veluti quaedam ipsius brachia rivulive eae ea manantes vel certe instru
menta, quibus suas intelligibiles inventiones humanis usibus manifestat ..... . Potest
enim rationabilis anima intra semetipsam de liberalibus disciplinis tractare absque
vocis articulatae disertaeque orationis strepitu. (Bei Hauréau , De la phil. scol. I,
p. 118 f. findet sich bezüglich dieser Stelle ein schlimmes Missverständniss).
106) Ebend. I, 27, p. 475. (woselbst alle sieben Künste definirt werden):
Grammatica est articulatae vocis custos et moderatriae disciplina. Rhetorica est fini
tae causae septem periochis (nemlich persona, maleria, 0ccasione, qualitute , l0c0,
tempore , facultate) sagaae et copiosa disciplina. Dialectica est communium animi
conceptionum rationabilium diligens investigatriæque disciplina. Die Bezeichnung
conceptio animi weist auf Boethius zurück, s. Abschn. XII, Aom. 110.
107) D. praedest. 1, 3, p. 358.: non incongrue regulis disputatoriae artis (s.
Anm. 112) utemur; cum enim per artem rhetoricam et vera suadeantur et falsa,
quis audeat dicere, adversus mendacium in defensoribus suis inermem debere con
sistere veritatem. Uebrigens erklärt sich nun auch , sowohl dass (Anm. 92) das
Enthymema allen drei Disciplinen, nemlich der Grammatik , der Rhetorik und
der Dialektik, zugewiesen wird, als auch warum bei eben jener Schlussform stets
von conceptio mentis (ebend.) oder conceptio communis animi (Anm. 96. u. 106.)
die Rede sei. - .
XIII. Scotus Erigena. 27
werden soll. — So also ist die logische Praxis bei Scotus im Einklange
mit der theoretisehen Auffassung. -
Ergibt sich uns aber schon aus dem Bisherigen als Resultat das
anscheinend Widerspruchsvolle, dass Scotus, der Platoniker und Anhän
ger des Pseudo-Dionysius, zugleich die Veranlassumg zum Hervortretem
einer nominalistischen Partei darbieten konnte, so scheinen die Belege u
für diese eigenthümliche Thatsache auch noch anderweitig sich zu ver
mehren. Was nemlich die nähere Darlegung der Aufgabe der Dialektik
bei Scotus betrifft, so fin den wir allerdings zunächst durchgängig den
platonischen Doppelweg (s. Abschn. III, Anm. 68) verquickt mit dem
Schul-Mechanismüs der Tabula logica des Porphyrius oder Boethius (s.
Abschn. XI, Anm. 60 u. Abschn. XII, Anm. 87 u. 96 ff.). Er bedient
sich hiefür der Ausdrücke διαιρετικ) (oder auch μερισμός) und ävaiv
τική *°°), und sowie ihm sowohl in logischem als aueh in ontologi
schem Sinne erstere als das Herabsteigen vom Allgemeinen zum Indivi
duum gilt, so versteht er ebenso unter letzterer jenen Bückgang des
Individuellen, durch weleheh es von seiner speciellen Gestaltung (forma)
befreit wird und zuletzt in die höchste Einheit (d. h. in Gott oder das
All) als aufgelöstes zurückkehrt 10°); auch theilt er diesen Doppelweg
noch einmal zweigliedrig, indem er in einem quadrivium der Dialektik
von der διαιρετικ) zur ögu6rwìì gelangen und von da durch die άπο
v - v - - - -
δεικτικ) erst zur άναλντικὴ sich erheben will 11°), wobei wir sofort
108) D. hierarch. coel. Dion. 7, 2, p. 184.: Duae quippe partes sumit dialecti
cae disciplinae, quarum una διαιρετιxj, altera ávr.) vvvxi, nuncupatur. Et διαι
Qerixi, quidem divisionis vim possidet; dividit namque maæimorum generum unita
tem a summo usque deorsum, donec ad individuas species perveniat inque iis divi
sionis terminum ponat. Avtxâvruxi, vero eae adverso sibi positae partis divisiones
ab individuis sursum versus incipiens perque eosdem gradus, quibus illa descendit,
ascendens convolvit et colligit easdemque in unitatem maæimorum generum reducit,
ideoque reductiva dicitur seu reditiva. D. div. nat. II, 1, p. 526. : Æνσλvtuxij
vero de reditu dicitur divisionis formarum ad principium eiusdem divisionis ; om
nis enim divisio, quae a graecis μεguo uòς dicitur quasi deorsum descendens ab
uno quodam definito ad infinitos numeros videtur , hoc est a generalissimo usque
ad specialissimum; omnis vero recollectio veluti quidam reditus iterum a specialis
simo inchoans et usque ad generalissimum ascendens &v&λvtux) vocatur; est igi
tur reditus et resolutio individuorum in formas, formarum in genera, generum in
usias, usiarum in sapientiam et prudentiam, eae quibus omnis divisio oritur in eas
demque finitur.
109) D. hier. coel. Dion. 15, 1, p. 252. : X4v&àvtuxh enim est disciplina,
quae visibilium imaginum interprgtationem in invisibilium intellectuum uniformitatem
resolvit omni forma carentium In Bezug auf Gott selbst kann das Herabsteigen
zum Individuum sehr wohl als Auflösung Gottes, sowie die Rückkehr ins Allge
meine als Apotheose bezeichnet werdem, und in solchem Sinne sagt Scotus, Praef.
ad ambig. Maae. p. 1195. : quomodo causa omnium, quae deus est, una sit simplea;
et multiplex ; qualis sit processio, id est multiplicatio divinae bonitatis per omnia,
quae sunt, a summo usque deorsum ...... et iterum eiusdem, divinae videlicet bo
nitatis, qualis sit reversio, id est congregatio per eosdem gradus usque. ad simpli
cissimam omnium unitatem ..... ita ut et deus omnia sit et omnia deus sint; et
quomodo praedicta quidem divina in omnia proce$sio άναλυτιxi, dicitur, hoc est
resolutio, reversio vero %&wotg, hoc est deificatio.
1 10) D. praedest. 1, 1, p. 358.: bis binas partes principales ad ömnem quae
stionem solvendam necessarias habere dignoscitur (sc. philosophia), quas graecis pla
cuit nominare διαιgetuxij, öQuo tuxij, &7to6ειχτιχή, ἀναλυτική, easdemque ldtia
28 XIII. Scotus Erigena.
erkennen müssen, dass für Scotus die Aufgabe der Dialektik, soweit
dieselbe als Technik der Erörterungen zumeist eine formale Seite hat,
hauptsächlich in die beidem mittlerem Stufem falle, daher er ihr auch
insbesondere die Function des Definirens zutheilen kann 111), denn inso
fern sie definirt, erfasst sie die Substanz und findet in dieser sich wie
der auf die nach 0ben und nach Untem gehende Stufenfolge der Ent
wicklung hingewiesen 113). -
Eben aber diese Mittelstellung, in welche die technischen Manipu
lationem der Logik auf solche Weise gerathen, führt wieder zu einer
unverkennbaren Werthschätzung des Wortausdruckes, in welchem auf
jener Stufe die Wernunft sich bewegen muss. Sehr erklärlieli vorerst
ist es, dass auch Scotus für das dialektische Werfahren des Theilens
und Zusammensetzens ein erschöpfendes Register in den aristotelischen
Kategorien erblickt, und er unterscheidet sich hierin weder von der
damaligen allgemeinen Schul-Ansicht noch von der Auffassung des Boe
thius 11°). Auch sind ihm, wie sich von selbst versteht, die Kategorien
an sich selbst betrachtét etwas Unkörperliches 114), und sowie et sich
—— .
liter' possumus dicere divisorvam, definitivam, demonstrativam, resolutivam. Quarum
enim prima unum in multa dividendo segregat, secunda unum de multis definiendo
colligit, tertia per manifesta occulta demonstrando aperit, quarta composita in sim
plicia separando resolvit ...... His enim tanquam utili quodam honestoque humanae
ratiocinationis quadrivio ad ipsam disputandi disciplina, quae est veritas, omnis in
ea eruditus perveniri non dubitat. - -
111). D. div. nat. l, 44, p. 486.: quid nos prohibet, definiendi disciplinam in
ter artes ponere adiungentes dialecticae, cuius proprietas est, omnium rerum quae
intelligi possunt naturas dividere, coniungere, discernere propriosque locos unicuique
distribuere. Welche Bedeutung die loci für ihn haben, sahen wir so eben Anm.
105, sowie auch Anm. 95, dass zur άποδειxruxi, der disjunctive Schluss gehöre.
112) Ebend. V, 4, p. 869.: Nonne ars illa, quae a graecis dicitur dialectica,
et definitur bene disputandi scientia (also auch hier wieder die Werwandtschaft mit
der Rhetorik, s. Anm. 107), primo omnium circa oùαίαν veluti circa proprium sui
principium versatur, eæ qua omnis divisio et multiplicatio eorum , de quibus ars
ipsa disputat , inchoat per genera generalissima mediaque genera usque ad formas
et species specialissimas descendens et iterum complicationis regulis per eosdem gra
dus, per quos degreditur, donec ad ipsam oùotwv, eae qua egressa est, perveniat,
non desinit redire in eam, qua semper appetit quiescere. -
113) Ebend. I, 14, p. 462 f.: Aristoteles, acutissimus apud graecos, ut aiunt,
naturalium rerum discretionis repertor, omnium rerum, quae post deum sunt et ab
eo creatae , innumerabiles varietates in decem universalibus generibus conclusit,
quae decem categorias, id est praedicamenta, vocavit. Nihil enim, ut ei visum , in
multitudine creatarum rerum variisque animorum motibus inveniri potest, quod in
aliquo praedictorum generum includi non possit;• haec autem a graecis vocantur
oùótr,7τοσότης, ποιότης, πQός τι, x£ίσ&αι, ἐις, τόπος, zgóvog, 7tQ&rt ειν,
παθεῖν, quae latialiter dicuntur essentia, quantitas , qualitas , ad aliquid, situs,
habitus, locus, tempus , agere, pati ..... Illa pars philosophiae, quae dicitur dia
leetica, circa horum generum divisiones a generalissimis ad specialissima iterum
que collectiones a specialissimis ad generalissima versatur. Vgl. Abschn. XII,
Amm. 84 f.
114) Ebend. 33, p. 478.: Non te latet , nullam praedictarum categoriarum,
quas decem esse Arisloteles definivit, dum per se ipsam, hoc est in sua natura ra
tionis contuitu consideratur (man beachte diese Beschränkung, s. Anm. 117), sen
sibus corporeis succumbere ; nam oÜαία incorporalis est nullique corporeo sensui
subiacet, circa quam aut in qua aliae novem categoriae versantur. At si illa incor
porea est, num tibi aliter videtur, quam ut omnia, quae aut ei adhaerent aut in ea
subsistunt et sine ea esse non possunt, incorporea sint.
XIlI. Scotus Erigena. 29.
hezüglich der , Immaterialität der Universalien auf Boethius beruft und
aus , ihm den für das ganze Mittelalter bleibenden Grundsatz ,,universale
intelligitur, singulare sentitur“ aufnimmt 11°), so wiederholt er ausführ
lich aus Pseudo-Dionysius den Nachweis, dass essentia und corpus gänz- •
lich verschieden seien und nie verwechselt werden dürfen ! '"); kurz
er ist grundsätzlich ein Gegner der „individuellen Substanz“ (des τόδε
τι) des Aristoteles. Aber wir müssen bedenken, dass bei Scotus das
gesammte Gebiet des Vielheitlichen (also auch zuletzt die Vielheit der
Κategorien selbst) in jenes Stadium fällt, wo das concrete Bestehen
eigentlich ein Nichtseinsollendes ist, denn die Wielheit ist durch Thei
lung aus der Einheit geflossen und hat wesentlich den Beruf, wieder
in die Einheit aufgelöst zu werdem, wobei gerade die Mitte der Punkt
der grösstem Entfernung sowohl von der ursprünglichen als von der
schliesslichen Einheit sein muss. So ist die Gestaltung der unendlich
vielheitlichen Dinge der sinnfälligen Welt die erste Hälfte des Prozes
ses gleichsam als Zertheilung Gottes (s. Anm. 109), und Scotus erklärt,
sich an Gregorius v. Nyssa anschliessend, das concrete Auftreten der
sinnfälligen Dinge und überhaupt die Entstehung der Materie durch ein
Zusammentreffem einiger Kategorien, in welchem dieselben durch die
Sinne erfasst werden könnem ''"), wobei zugleich dann ähnlich wie
* bei vorchristlichen Philosophen das Feuer für die sinnlichen Dinge als
formgebend wirkt 11°). Da aber nun , eben diese Mannigfaltigkeit der
Welt es ist, in welche nach Scotus durch die Philosophie die göttliche
Einheit zerlegt werden soll (διαιgetuxj), und aus welcher wieder der
Rückweg zur Einheit zu durchlaufen isl (άναλvtuxij), so erhält jene
115) Ebend. 61, p. 503.: Quid ergo mirum aut rationi conlrarium, si simi
liter accipiamus, magnificum Boethium non aliud aliquid variabilem rem intelleacisse,
nisi corpus materiale ...... si aliter res per se immutabiles puro mentis contuitu
perspicientur in sua simplicitate, aliter sensu corporeo in aliqua materia eæ con
cursu earum facta compositae. Ebend. II, 24, p. 579. : 0mnia enim, quae inttel
lectus in ratione universaliter considerat, particulariter per sensum in rerum omnium
discretas cognitiones definitionesque partitur (also das öQuotuxöv der speciellen De
finitionem fällt schon mehr dem Sensualen anheim). Die Stelle des Boethius s.
Abschn. XII, Amm. 86. u. 91.
116) Ebend. I, 47, p. 489.: Sed adversus eos , qui non aliud esse corpus et
aliud corporis essentiam putant in tantum seducti, ut ipsam substantiam corpoream
esse visibilemque et tractabilem non dubitent, quaedam breviter dicenda esse ar
bitror..... (p. 490.:) Ut autem firmius cognoscas, oùotwv, id est essentiam, incor
ruptibilem esse , lege librum sancti Dionysii Areopagitae de Divinis Nominibus etc.,
worauf c. 48—50. der ausgedehnte Beweis folgt.
117) Ebend. 34, p. 479.: Quantitas vero qualitasque , situs et habitus, dum
inter se coeuntes materiam iungunt, corp0re0 sensu percipi solent ..... Magnus Gre
gorius Nyssaeus cerlis rationibus ita esse suadet, nil aliud dicens materiam esse,
nisi accidentium quandam compositionem ea, invisibilibus causis ad visibilem male
riam procedentem.
118) Ebend. 52, p. 494.: Formarum aliae in oùota, aliae in qualitute intel
liguntur, sed quae in oùota sunt, substantiales species generis sunt ...... Nemo
denegat , ordinem atque positionem naturalium partium seu membrorum ad qualita
tem referri formamque proprie vocari ..... quae ea, qualitate ignea, qu® est calor,
corporibus innascitur . . . . . . et forma vocatur a formo, hoc est calido (s. Festus,
s. v. forma), conversa mum syllaba in ma, antiqui siquidem formum dicebant ca
lidum ...... (53, p. 497. :) Extra vero haec altiori consideratione oόσιαν, quae est
formarum substantialium origo, contemplamur.
30 XIII. Scotus Erigena.
mittlere Stufe der Vielheit auch für die Dialektik eine besondere Be
deutung, demm in eben die memliche Wielheit des Sinnlichen ist der
menschliche Wortausdruck verflochten. Sowie daher in den sinnlichen
Dingen die an sich unkörperlichen Kategorien zuletzt doch (wenn auch
in räthselhafter und mystischer Weise) körperlich gewordem sind, §o'
wird auch die Sprache, soweit sie sinnlich ist, die Kategoriem nur in
der sinnlich- körperlichen Wortform erfassen (wenn auch , gleichfalls
durch eine mystische Werflechtung), und gerade das miutlere Stadium
der Dialektik, nemlich das ögvotizòv (s. Anm. 1 15) in Verbindung mit
dem άποδεικτικόν, wird entsprechend dem conereten Dasein der Dinge
sich zumeist mit dem Wortausdrucke der Wernunft begniigen müssem,
während die reine Wernunft an sich als einheifliche die erste Urquelle
und der letzte Zielpunkt bleibt. In eben diesem Sinne aber spricht
sich auch Scotus selbst ausdrücklich aus, indem er dem Bestand eines
Sprachgebrauches und eine „necessitas significandarum rerum“, aller
dings als mangelhaft und dem Missbrauche ausgesetzt, anerkennt ''*),
ja er bringt dieses selbst wieder in inneren Zusammenhang mit der
bei ilim stets wiederkehrenden Unterscheidung einer affirmativen und
einer negativen Theologie, indem bei ersterer, welche ja das göttliche
Eins in die empirische Wielheit abwärts verfolgt, Alles „nominaliter
sive verbaliter“ über Golt in übertragenem Sinne ausgesprochen werde,
worauf die letztere all llieses wieder verneint 1*°); ebenso deutlich
hingegem bezeichnet er auch das Gebiet, auf welchem die „significatio
nes categoriarum“ in eigentlichem, nicht in übertragenem Sinne , eine
Geltung besitzen, nemlich, wie sich nach 0bigem von sellust versteht,
bei den sinnfälligen Dingen !*!). Und wenn hiemit dasjenige , was no
minaliter sive verbaliter kundgegeben wird, bei dem geschaffenem Din
gen seime angemessene Stellung liat, so findet Scotus aueh hiefür einen
bei ihm folgerichtigen tieferen Hinterhalt nicht bloss in der mystisch
theologischen Auffassung des Johanneischen Logos ***), sondern auch
119) Ebend. 38, p. 481.: Videsne itaque, qua consuetudine rerumque signifi
candarum mecessitate inops verarum rerum discretionis humanitas has abusivas rerum
denominationes (dass man nemlich locus statt pars gebrauche) repererit.
120) Ebend. 76, p. 522.: Haec est .... de deo praedicanda professio, ut
prius de eo iuacta catafaticam, id est affirmationem , omnia * sive nominaliter sive
verbaliter praedicemus , non tamen proprie sed translative; deinde ul omnia , quae
de eo praedicanlur per catafaticam, eum esse negemus per apofaticam, id est nega
tionem, non tamen translalive sed proprie. -
121) Ebend. 15, p. 463.: quemadmodum fere omnia, quae de natura condita
rum rerum proprie praedicantur , de conditore rerum per metaphoram significandi
gratia dicunlur, ita etiam categoriarum significationes, quae proprie in rebus * con
ditis dignoscuntur, de causa omnium non absurde possunt proferri, non ut proprie
significent, quid ipsa sit, sed ut translative etc. Ja es konnte ihm für die An
nahme, dass die Namenbezeichnung (nomen imponere) ursprünglich bei den einzel
nen sinnfälligen Dingen begonmen habe, selbst eine Stelle des Boethius als Aucto
rität gelten, indem derselbe (ad Praed. p. 129.) sagt: Qui enim primus hominem
divit, non i]lum, qui eae singulis conficitur, in mente habuit, sed hunc individuum et
singularem, cui nomen hominis imponeret.
122) Ebend. III, 9, p. 642.: Rationes omnium rerum, dum in ipsa natura
verbi, quae superessentialis est, intelliguntur, aeternas esse arbitror..... Simpleae et
multipleæ rerum omnium principalissima ratio deus verbum est; nam a graecis
λόγος vocatur, hoc est verbum vel ratio vel causa etc.
XIII. Scotus Erigena. - 31
darim, dass dem Dingen durch Adam ihre richtige Wortbezeichnung zu Theil
geworden sei *°°). So nun kann Scotus für die Definitionem und Argu
mentationen, welche mit der Erscheinungswelt zusammenhängen, sicli
getrost auf dem Spraehausdruck stützen und dem entscheidenden Aus
spruch thun, dass „was wir in den Worten erkennen, wir auch in den
durch sie bezeichnetem Dingen erkennen* 12*). Wenn daher, wie wir
obem sahem, die Dialektik bei Scotus die Technik jener sprachlichen
Kundgebungen ist, durch welche wir uns ebenso wie durch die Welt
der Dinge zur höchstem Philosophie erheben sollem, so darf es uns
nieht wundern, wenn eine etwas spätere Zeit dem Johannes Scotus in
erster Reihe unter denjenigen nennt, welche gesagt hätten, die Dialek
tik sei „vocalis“ (s. unten Anm. 312 f.).
Κönnte man nun hiebei sogar darauf hinweisen, dass eine derar
tige Auffassumg der Logik auch selbst den Principien einer empirischen
Erforschung der Dinge nicht ungünstig sei, — die wirkliche Brücke,
welehe vom Nominalismus zum Empirismus hinüberleitete, konnte sich
allerdings erst nach einer läiigeren und reicheren Entwicklung gestal
ten, s. Abschn. XIV, Anm. 77 ff. — , so müssem wir doch jedenfalls
amerkennen, dass Scotus für die Dialektik die Activität der Denkopera
tionem , durch welehe aus dem gegebenen Stoffe der Erscheinungswelt
das philosophische Wissen gewonnen wird, hinreichend betonem kann
und muss. Denn wenn bei ihm auch noch so viele platonisch - christ
Iiehe Mystik in all jenen Fragen waltet, welche sich auf die Herkunft
oder auf das Ziel der menschlichen Seele umd des menschlichen Ver
standes, kurz auf die beidem Endpunkte des , obigen sog. Quadriviums
(Anm. 110) beziehen, so ergibt sich für das mittlere Stadium eine
Auffassumg, gemäss deren bei aller objectiven Immaterialität der Univer
salien doch für das menschliche Denken ein selbstlhätiges Fortschreiten
zur Bildung allgemeiner Begriffe gefordert ist '*°). So ist nanientlich
jede der sog. artes liberales in ihrer technischen Ausführung erst das
Product , welehes aus ' ihrem in der Seele unausgeführt liegenden Be
123) Ebend. IV, 7, p. 768 f.: per hoc maæime intelligitur homo esse, quod
cunctorum, quae sive aequaliter sibi creata sunt sive quibus dominari praecipitur,
datum est eiThabere notionem ...... quod apertissime divina nobis indicat scriptura
dicens: ...... ,,adduacit ea ad Adam, ut videret quid vocaret ea“..... ut videret,
inquit, hoc est ut intelligeret, quid vocaret; si enim non intelligeret, quomodo recte
vocare posset ?
• 124) Ebend. I, 14, p. 459.: Si igitur .... nomina opposita e regione sibi
alia nomina respiciunt, necessario etiam res, quae proprie eis significantur, oppo
sitas sibi contrárietates obtinere intelliguntur, ac per hoc de deo. ... proprie prae
dicari non possunt ..... Et quod in nominibus c0gn0scimus, necessarium ut in his
rebus, quae ab ens significantur, cognoscamus.
125) Ebend. IV, 7, p. 765.: Rerum siquidem sensibilium species et quantita
tes et qualitates , quas corporeo sensu attingo, quodammodo in me creari puto ;
earum namque phantasias dum memoriae infigo easque inter me ipsum tracto, di
vido, comparo, ac veluti in unitatem quandam colligo , quandam notitiam rerum,
quae eaetra me sunt, in me effici perspicio. Similiter etiam interius intelligibilium,
quae solo animo contemplor, verbi gratia liberalium disciplinarum, quasdam n0
tiones veluti intelligibiles species, dum studiose eas perquiro, in me nasci et fieri
intellig0. - -
32 XIlI. Scotus Erigena,
griffe gemacht wird '*°), und während die Dialektik (gleichsam als
Weltdialektik) an sich in der „Natur der Dinge* liegt und von Gott
ausgieng, ist sie doch von dorther durch weise Menschen erst aufge
funden und zur Erforsehung der Dinge angewendet worden !*"). Wenn
demnach Scotus nicht oft genug Begriff (notio) und Wesen (substantia)
in metaphysiseh-ontologischem Sinne identificiren kann '**), so bleibt
dabei die Unterscheidung festzuhalten, dass alles Intelligible bei Gott
als Ursächliches, in dem menschlichen Erkennen hingegen als Wirkung
(effectualiter) bestehe '°°); nemlich während die substantia (der 'ideelle
Gáttungsbegriff) in der Intelligenz des Menschen ebenso sehr sich fin.
det, als die übrigen quinque voces theils der Natur (lesselben theils
gleichfalls der Intelligenz angehören 1*"), bewahrt der Mensch bei Uebung
der Dialektik immerhin die Aetivität seines Denkens, durch welches er
die Dinge in Gattumgen und Artem u. s. f. theilt, wenn gleich diese
Theilung auch objectiv in der „Natur“ selbst schon vorliegt '°'). Ins
besondere aber bezeichnet Scotus das Definiren als eine Thätigkeit,
nemlich als actio intelligentiae, wobei uns wegem innerer Harmonie mit
0bigem (Anm. 92) noch von Wichtigkeit ist, dass er bei seinem Be
streben, die Kategorie des locus so unkörperlich als möglich zu fassem,
dieselbe direct spiritualistisch mit der Definition identificirt 1°*), wor
nach hiemit auch von hier aus ein Reflex auf jene Werthschätzung der
126) Ebend. p. 766 : Quia notitia artium, quae in anima est, ab ipsis arti
bus formari videtur. Sed si certissima ratione suaderes , non notitiam eae artibus,
verum artes eae notitia formari, tua forsitam ratiocinatio recte ingrederetur.
127) Ebend. 4, p. 749.: intelligitur, quod ars illa, quae dividit genera in
species et species in genera resolvit, quae διαλεxruxi, dicitur, non ab humanis
machinationibus sit facta, sed in natura rerum ab auclore omnium artium, quae
vere artes sunt, condita et a sapientibus inventa et ad utilitatem solerti rerum in
dagine usitata. Vgl. jedoch Anm. 227.
128) Z. B. ebend. 7, p. 770.: Itaque si notio illa interior, quae menti inest
humanae, rerum quarum notio est substantia constituitur, consequens, ut ipsa notio,
qua se ipsum homo cognoscit, sua substantia credatur. Es zieht sich dieser Grund
satz in häufiger Anwendung durch die ganze Deduction in dem ersten Capp. des
IV. Buches hindurch.
129) Ebend. 9, p. 779.: ut in divino intellectu omnia causaliter, in humana
vero cognitione effectualiter subsistant.
130) Ehend. 8, p. 773.: iubemur intelligere, omnem visibilem et invisibilem
creaturam in solo homine esse conditam, cum nulla substantia sit creata, quae in
eo non intelligatur esse, — nulla species seu differentia seu proprium seu accidens .
naturale in natura rerum reperiatur, quae vel ei naturaliter non insit vel cuius n0
titia in eo esse non possit.
131) Ebend. I, 25, p. 472.: Genera quoque et species ipsius oòotas, cum se
in diversas species numerosque multiplicant, agere videntur ( es handelt sich nem
lich * dort um die Kategorien agere und pati). Si quis vero rationis virtute iuacta
illam disciplinam, quae ἀναλvtuxi vocatur, et numeros in species et species in ge
nera generaque in oόσταν colligendo adunaverit, pati dicuntur, non quod ipse col
ligat, natura enim collecta sunt sicut etiam divisa, sed quia colligere actu rationis
ea videtur, nam cum et eadem dividit, similiter agere dicitur, ea vero pati.
132) Ebend. 32, p. 478.: Aliud igitur est corpus et aliud locus , sicut aliud
est quantitas partium, aliud definitio earum (in der ganzen v. c. 27—43 sich er
streckendem Erörterung ist durchgängig locus nur in der Bedeutung ,,Abgränzung“,
d. h. ögt opuòς verstanden). 43, p. 485.: Videsne itaque, non aliud esse locum,
nisi actionem intelligentis atque comprehendentis virtute intelligentiae ea, quae com
prehendere potest, sive sensibilia sint sive intellectu comprehensa.
XIII. Scotus Erigena. 33
Topik zurückfällt. Uebrigens erscheint uns die memliche Beachtung der
Activität des Denkens bei Scotus auch gelegentlich einer Frage, welche
uns schon anderwärts als Schulcontroverse begegnete ; nemlich die Be
griffe iles Nichts und der Finsterniss (s. oben Anm. 47 u. 72 ff.) ma
chen auch dem Scotus häufig zu schaffem, aber er weiss bei denselben
jenem seinem Standpunkte, welchen wir bisher trafen, treu zu bleiben.
Die Finsterniss ist ihm der Begriff (notio) der objectiv realen Abwesen
heit des Lichtes '**), wornaéh bei Berufung auf die betreifende Bibel
stelle bezüglich der wirklichen Existenz des Lichtlosen '**) die Er
klärung möglich ist, dass unter der Finsterniss dasjenige Sein, welches
allem wirklichen Erkennbaren vorhergieng und hiemit sich allem Den
ken entzieht (gleichsam Schelling's „unvordenkliches Sein“) zu verstehen
sei *°°). In völliger Uebereinstimmung kann sich dann hieram der Be
griff des Nichls anschliessen 1°°), bei welchem gleichfalls die sprachlich
logische Function des Denkens ihre Berücksichtigung findet '*"), während
am der biblisch-theologischen Lehre festgehaltem wird ***).
Der Inhalt der ausgedehnten Erörterungen, welche Scotus den
Kategorien widmet, gehört der Geschichte * der Theologie an umd be
ruht ausserdem nicht einmal auf selbstständigen Ansichten des Scotus,
sondern ist grossentheils aus Pseudo-Dionysius, Gregor v. Nyssa und
Maximus Confessor entnommen 1°°). Erwähnt mag demnach nur wer
dem, dass Scotus die ideelle Einheit der Substanz als des Galtungsbe
133) D. praedest. 15, 9, p. 416 f.: Quid significant tenebrae vel silentium, nisi
motionem cogitantis, defectum essentiae? Quid significant .... nisi notionem cogi
tantis, vel lucem vel vocem deesse? D. div. nat. V, 31, p. 943.: Ideoque ea, uno
genere sunt absentiae et res, quarum absentiae sunt, ut lua, et tenebrae , sonus et
silentium, forma et informitas ceteraqüe id genus.
134) D. div. nat. I, 58, p. 501. : Non enim umbra nihil est, sed aliquid;
alioquin non diceret scriptura ,,et vocavit deus lucem diem et tenebras noctem.“
135) Ebend. II, 17, p. 550.: Tenebrae itaque erant super causarum primor
dialium abyssum; nam priusquam in spiritualium essentiarum numerositatem proce
- derent, nullus intellectus conditus c0gn0scere eas potuit quid essent, et adhuc tenebrae
sunt super hanc abyssum quae null0 percipitur intellectu e0 eaccept0, qui eam in prin
cipio formavit. Ebend. III, 29, p. 706.: nomine lucis species rerum visibiles et
intelligibiles, tenebrarum vero significalione causas substantiales omnem sensum et
intellectum superantes .... divinam scripturam insinuasse diacimus.
136) Ebend. III, 20, p. 683.: Ac sic de nihilo facit omnia, de sua videlicet
superessentialitate producit essentias, de supervitalitate vitas, de superintellectualitate
intellectus, de negatione omnium quae sunt et quae non sunt affirmationes omnium
quae sunt et quae n0n sunt.
137) Ebend. 5, p. 634.: Eo namque vocabulo, quod est nihilum, non aliqua
materies evistimatur, non causa quaedam eæistentium, non ulla processio vel oc
casio, quam sequeretur eorum quae sunt conditio ..... sed omnin0 totius essentiae
privationis nomen erat et, ut verius dicam, vocabulum est absentiae totius essentiae.
138) Ebend. 9, p. 647.: in primordiis conditionis suae de omnino nihilo in
informem processit (sc. mundus) materiem. Ebend. 15, p. 665.: Proinde non datur
locus nihilo, nec eætra nec intra deum, et tamen de nihilo omnia fecisse non in va
num creditur; ac per hoc nil aliud datur intelligi, dum audimus, omnia de nihilo
creuri, nisi quia erat, quando non erant. -
139) Ebend. I, 15—63. Der Hauptzweck dabei ist, machzuweisem, dass alle
Kategoriem nur umeigentlich (durch die theologia affirmativa) vom Gott prädicirt
werden können. Vgl. Joh. Huber, d, Phil. d. Kirchenwäter. München 1859. S.
188 u. 343 f.
P R A N t L, Gesch. II. 3
34 XIfl. Scotus Erigena.
griffes auch in der Theilung in Artbegriffe bis zum Individuum herab
strengstens festhält und daher gegen eine Unterscheidung zwischen
subiectum und de subiecto und in subiecto (Abschn. XIl, Anm. 92) po
lemisirt, da sie bezüglich der Substanz selbst identisch seien 149), wo
mit natürlich die schroffste Abtrennung der übrigem meum Kategoriem,
unter welehen er einige auch ovußáματο (vgl. Abschn. VI, Anm. 114)
nennt, zusammenhängt '*'). Ausserdem wendet er auch in Folge neu
platonischer Einflüsse die Begriffe der Ruhe und der Bewegung (s.
Abschn. III, Anm. 50, u. Abschn. X, Anm. 83) derartig an, dass er
dieselben als alleroberste Gattungsbegriffe des Universums den Katego
riem überordnet und letztere im Hinblicke auf jene eintheilt 143). Dass
die Kategorie des 0rtes völlig spiritualistisch gefasst werde, sahen wir
so eben (Anm. 132); von jener des habitus aber wird gezeigt, dass
sie sich auf sämmtliche übrige Kategorien beziehe, und dabei zugleich
ihre selbstständige Stellung behaupte 1**).
Man wird mun jedenfalls zugestehen müssen, dass in damaliger
Zeit diejenigen, welche vom einer gründlichen Lectüre des Scotus aus
wieder zu dem logischen Compendien des Boethius zurückkehrten oder
selbst auch nur obige Stelle des Isidor oder des Alcuim (Anm. 35 u.
66) aufmerksam betrachteten, gewiss zu schärferem Nachdenken über
die Geltung des menschlichen Sprach- Ausdruckes veranlasst werden
140) Ebend. 26, p. 472.: oùαtα in generibus generalissimis et in generibus
generalioribus, in ipsis quoque generibus eorumque speciebus , atque iterum specia
lissimis speciebus, quae atoma, id est individua , dicuntur, universaliter proprieque
continetur ...... in his enim veluti naturalibus partibus universalis oùota subsistit.
Ebend. 25, p. 470 f.: iuaeta dialecticorum opinionem omne, quod est, aut sub
iectum aut de subiecto aut in subiecto est; vera tamen ratio consulta respondet,
subiectum et de subiecto unum esse et in nullo distare ..... , cum nil aliud sit
species, nisi numerorum unitas , et nil aliud numerus , nisi speciei pluralita$. Si
ergo species tota et una est individuaque in numeris et numeri unum individuum
sunt in specie, quae quantum ad naturam distantia est inter subiectum et de sub
iecto, non video. Similiter de accidentibus primae substantiae intelligendum ; non
aliud est enim, quod in subiecto dicitur, et aliud, quod in subiecto simul et de
subiecto ; nam disciplina, ut- eaeemplo utar, una eademque est in se ipsa et in suis
speciebus numerisque. Vgl. ebend. 49, p. 492.
141) Ebend. 63, p. 508.: Sed novem genera, quae solis accidentibus tribuuntur,
ita ... divisa sunt, ut ipsa accidentia, quae primordialiter in essentiis conspiciuntur,
moa, vertantur in substantias , quoniam aliis , accidentibus subsistunt. Ebend. 25,
p. 471.: Categoriarum igitur quaedam circa oόσίαν praedicantur, quae veluti πε
quoyαι, id est circumstantes, dicuntur, quia circa eam inspiciuntur esse; quaedam
verò in ipsa sunt, quae a graecis συμβαματα , id est accidentia, vocantur, quali
tas, relatio, habitus, agere, pati.
142) Ebend. 22, p. 469.: Horum decem generum .quatuor in statu sunt , id
est oùατα, quantitas, situs, locus; seae vero in motu, qualitas, relatio, habitus, tem
pus, agere, pati ..... Ut scias plane , decem genera praedicta aliis duobus superio
ribus generalioribusque comprehendi, motu 'scilicet atque statu, quae iterum genera
lissimo colliguntur genere, quod a graecis τὸ πᾶν, a nostris vero universitas ap
pellari consuevit. -
143) Ebend. 20, p. 467.: Quaero igitur, quare ista categoria habitudinis, cum
ceteris categoriis naturaliter inesse videatur, per se specialiter veluti suis propriis
rationibus subniaca suum in denaria categoriarum quantitate locum obtineat ......
Quod enim omnium est, nullius proprie est, sed omnium commune, et dum in omni
bus subsistat, per se ipsum propria sua ratione esse non desinit. - *
*, -
XIII. Die Quellen der logischen Parteitmg. 35
oder selbst sofort zu nominalistischen Auffassungem gelamgen konnten.
Es sind nemlich, wie mir scheint, zwei Fragen (nieht.bloss die Eine,
welche auch schon Cousin — s. Anm. 19 — hervorgehoben hat),
welche sich beim Betriebe der üblichen Schul-Logik aufdrängen muss
ten. Die erste derselben ist allerdings jené, welche Boethius bei Ueber
setzung der betreffenden Stelle des Porphyrius (Abschn. XI, Amm. 39)
ausdrücklich selbst als prima quaestio bezeichnet hatte, und welche
sich darauf bezieht, ob die Universalien (d. h. die Gattungs- und Art
Begriffe) und die quinque voces eine wirkliche geistige Substantialität
besitzen und unkörperlich seien, oder ob sie in concreter körperhafter
Existenz vorliegen (Abschn. XII, Anm. 86). Es betrifft diese Frage,
wie sieh uns in der Darstellung der antiken Logik himreichend zeigte,
den Gegensatz zwischen Platonismus und Aristotelismus, und für das
Mittelalter versteht es sich nach der gesammten geistigen Richtung,
welche durch die christlichen Ideen bedingt war, ganz von selbst, dass
mam sich überwiegend einem platonischen Realismus zuneigte (vgl. oben
Anm. 20 f.). Die „individuelle Substanz“'des Aristoteles musste unver
ständlich bleiben, sobald dié Erscheinungswelt und die natürliche Ge
staltung mit der Lehre vom Sündenfalle in Verbimdung gebracht worden
war, und mam begmügte sich gerne mit dem schon bei Boethius vor
gefundenem Grundsatze „universale intelligitur, singulare sentitur“ (oben
Anm. 115), einem Dualismus, welcher in specifiseh christlieher Auffas
sung noch bis Descartes fortwirkte und sich leicht zu einem Hinder.
misse empirischer Forschung gestalten konnte. Aueh die subjective Er
kenntnisstheorie konnte hiebei wenig gefördert werden, denn indem die
Universalien logisch hauptsächlich nur dazu dienten, um auf der Jacobs
leiter der tabula logica in dem geöffneten Himmel des summum ens
emporzuklettern, blieben nur jene objeetiv ontologischen Schwierigkei
ten übrig, welche dem Platonismus überhaupt anklebem, d. h. mam
konnte noch darüber streiten, auf welche Art und Weise denn jene
Universaliem. als Ideen Goltes in- dem Unterartem und im den Individuen
zur Erscheinung kommen, ob sie ante rem, ob in re, oder wie sonst
sie seien. -
Die zweite jener Fragen liegt gleichfalls schon bei Boethius vor,
jedoch nieht in solch zugespitzter und handgreiflicher Frageform, wie
jene erstere, denn sie erscheint ja zunächst äusserlich auch nicht als
schroffe Parteifrage. Sie betrifft nemlich den menschlichen Sprachaus
druck, welcher sowohl von Plato als das Product eines psychisehen
Worganges anerkannt worden war (Abschn. lII, Anm. 10 f.), als auch
bei Aristoteles auf gleicher Basis eine eimlässliche Erörterumg gefunden
hatte (Abschn. IV, Anm. 23 u. 105 (f.), und Boethius hatte sich in die
ser Beziehung völlig umverfänglich und gleichsam naiv ausgesprochen,
wemm er sagt, dass die Dinge (res) vom Werstande (intellectus) begriff.
lich erfasst werden, die Sprache aber (voa) den Begrilf bezeichme, nnd
dass daher, da alle Sätze aus bezeichmenden Wortem bestehen, zunächst
die Isagoge umd dann die Kategorien die Aufgabe haben, über diese
Bestandtheile, d. h. über die obersten Namen und Worthezeichnungen
der Dinge (de primis rerum nominibus et de vocibus res significantibus)
zu handeln (Abschn. XII, Amm. 77, 84 u. 110). An sich nun hat
3*
36 XIII. – Die Quellen der logischen Parteiung.
diese Auffassung mit jenem vorigen Gegensatze der Richtungen durch
aus Nichts zu schaffen, sondern geht ausserhalb jener beiden und neben
denselben her, denn dass die menschlichen Gedanken in Wortem ausge
sprochen werden, scheint allgemein von allem philosophischen Parteien
zugestanden werden zu müssem. Selbst wenn daher sich hieran wirk
lich nominalistische Anschauungen anschliessen, so bilden dieselben an
sich nicht den entsprechenden Gegensatz gegen jenen platonischen Rea
lismus, welcher bei Beantwortung der obigen erstem Frage hervortrat,
denn dort musste sich eine Parteiung gestalten, welche nach unserem
' jetzigen Sprachgebrauche als der Gegensatz zwischen Idealismus und
lndividualismus (oder auch Empirismus) zu bezeichnen ist, welch beide
doch gewiss dem Sprachausdrucke die Function eines Zeichens zuge
stehen können. Wenn aber hiemit in diesem Sinne sich sehr wohl
ein Nominalismus denken lässt, welcher durchaus noch nicht anti-rea
listisch ist, so lagen dennoch besondere Umstände vor, durch welche
allmälig eine die Sprach-Bezeichnung berücksichtigende Auffassung der
Universalien in den schroffen- Gegensatz gegen den. platonischen Realis
mns hineingetrieben wurde, sobald mam hur einigermassen mit grösse
rer Schärfe obige Aeusserung des Boethius ins Auge fasste und über
dachte. Wollen wir nemlich selbst davom absehem, dass die Beschränkt
heit des vorhandemen philosophischen umd logischen Materiales, verbun
den mit der geringen Begabung zu rein selbstständigem Schaffen, in
jenem Jahrhunderten einfach nur die Wahl liess, entweder Platoniker
oder Aristoteliker zu sein, so konnte doch schon durch dem Hang des
Platonismus, aus der Wirklichkeit sich in das ideale Jenseits zu flüch
tem und zu solchem Behufe auch die Sprache abzustreifen (Abschn. III,
Anm. 15), sich gar Mancher dazu aufgefordert fühlen, dem Diessseili
gen wenigstens für das Diessseits seine Geltung zu verschaffen, `insofern
ja die Worte die einzige Form seien, in welcher der Mensch auf Er
den Begriffe besitzt. Hiezu aber kam noch, dass die Praxis aller phi
losophischen oder theologischem Erörterungen unmittelbar auf den Wort
ausdruck sich hingewiesen sah, und somit auch die hierauf bezügliche
Technik, d. h. die ars disputandi, am wenigsten sich auf jene hyper
'idealistische Werflüchtigung der Worte einlassen konnte (haben ja doch
später die Praktiker, nemlich die Rhetoriker, sogar den Aristoteles
selbst wieder aus seiner mittelalterlichen Herrschaft zu verdrängen ge
sucht). Ferner fanden sich jene obigem Aeusserungen gerade in dem
Buche D. interpr. (natürlich in der Bearbeitung des Boethius), d. h. in
jenem Buche, über welches von Cassiodor her ein pointirtes, den
Ruhm des Aristoteles hervorhebendes Sprüchlein in der Schule umlief
(s. oben Anm. 34 u. 66), und es konnte hiemach leicht Aristoteles als
der Workämpfer für die Berechtigung der Sprache betrachtet werdem.
Endlich aber wird man auch zugestehen müssen, dass, sobald man
durch die Logik mehr als eine objective tabula logica der Universalien
beabsichtigte, d. h. sobald man in die subjective Werkstätte der mensch
lichen Urtheile umd des mühevollen oder verschlungenem Schliessens
eingehen wollte, jedenfalls die Sprachform und zugleich mit ilr der
Begründer aller wahren Syllogistik in den Wordergrund treten musste;
d. h. die Logiker musstem stets sieh mehr auf die nominalistische oder
XlII. Scotus und die Parteiung. 37
aristotelische Seite neigen. Durch das subjective Element aber förderte
später der aristotelische Nominalismus auch die Erkenntnisstheorie und
bereitete dem Weg zu Baco von Verulam vor, worin ersichtlicher Weise
sich gleichfalls ein innerer Zug des Aristotelismus kumdgibt.
So also konnte sich schon das frühere Mittelalter aus Ein und dem
selben Boethius- den Gegensatz zwischen Realismus und Nominalismus
herauslesen ; jedoch micht aus jener Einen Stelle des Boethius, welche
die Universalien betrifft, ist die Parteispaltung geflossen, sondern zwei
mebeneinander herlaufende Aeussérungen jenes Autors sind es, welche
bei einseitig consequenter Werfolgung ihres Inhaltes zuletzt feindlich an
einanderplatzen musstem. - -
Wie sich nun Scotus Erigena zu den Keimen eines solchen Schis
ma's verhalte, ist aus 0bigem klar ersichtlich. Er steht nemlich gerade
auf der Gränzscheide zwischen der früheren naiven Umbelholfenheit,
welche auch Widersprechendes in Ein Schulcompendium zusammenkne
tete, und dem offen ausbrechenden bewussten Parteikampfe. Er ist
christlich-platonischer Realist, soweit es sich um die ontologisch ewige
Grundlage der Wesenheiten handelt; aber sowie er, der ja lange vor
Entstehung all jener Detail- Controversen lebte, bei seinem Realismus
noch völlig harmlos die Universalien zugleich , ante rem und zugleich
in re bestehen lässt (s. Anm. 140), so ist er amdrerseits hinwiederum.
Nominalist, soweit es sich um die logische Förderung des Erkennens
handelt, und in solchem Sinne musste er jene Stellen bei Boethius ver
stehem, welche über voac hamdeln. In dem exclusiven Sinne, in wel
chem bei dem folgendem Jahrhunderten von Realisten und Nominalisten
die Rede sein wird, ist Scotus allerdings keines von beiden, aber er
ist derjehige, welcher durch seine Zwischenstellung es, hervorruft, dass
neben den Realismus eine nominalistische Richtung hintritt. Es ist ja
auch eine ganz naturgemässe Stufenfolge, dass vorerst im Anschlusse an
Scotus die Ansicht sich kundgibt, die Dialektik sei „vocalis“, insoferne
und insoweit die Universalien Worte seien, später aber, nachdem diess
von hyperidealistischer oder mystischer Seite bestritten worden war,
erst die Steigerung eintritt, dass mam sagt, die Universalien seien über
haupt gar Nichts als blosse Worte. Sowie aber Scotus die ersten Um
risse des späteren Gegensatzes in sich vereinigt, so ist es auch erklär
lich, dass er eine inmere Werwandtschaft mit Denjenigen zeigt, welche
später auf eine Versöhnung hinarbeitetem, und wir werden im weiteren
Werlaufe uns. noch zuweilem an Scotus erinnern müssen (z. B. folg.
Abschn. Anm. 186 u. 252).
Am nächsten an Scotus nun reiht sich ein Commentar zur Isagoge
an, welcher in neuerer Zeit durch W. Cousin bekannt gemacht und zu
folge der handschriftlichen Ueberlieferung dem Hrab a n u s M a uru s (s.
oben Aniii. 78 ff.) zugeschrieben wurde. Nachdem memlich schon früher
auf das Worhandensein einer „Logik des Hrabanus“ war hingewiesen
worden 1**), fand Cousin die betreffende Handschrift selbst, welche
ausser der Dialektik Abälard's logische Commentare unter dem Namen
144) 0udin, d. script. eccl. I, c. 1172.: in bibliotheca Floriacensi, litera A, 4,
eaestat logica Petri Abaelardi una cum logica Rhabani. -
38 XIII. Pseudo-Hrabamus.
des Hrabanus enthält '**), und zwar zunächst eine Schrift „Rabanus
super Porphyrium“, deren Ende fellt, sodann einige Blätter aus der
Mitte einer Paraphrase von Boeth. d. diff. top., und hierauf unter der
Ueberschrift ,,Rabanus supere Terencivaa*, welche offenbar aus „super
Periermenias“ corrumpirt ist, eine Paraphrase zu Boelh. d. interpr. Die .
letzteren beidem enthalten, soweit sich aus den Mittheilumgen Cousin's
schliessen lässt 14°), durchaus nichts Selbstständiges, sondern schliessen
sich so enge und so wörtlich an die Schriften des Boethius an, dass
uns auch zu einer Annahme über dem Autor. derselben jeder individuelle
Anhaltspunkt fehlt. Es ist ebensosehr möglich, dass keines von beidem,
als auch dass beide wirklich dem Hrabanus angelhören ; sollen jedoch
dieselben den memlichem Verfasser haben, welcher auch den Commentar
super Porphyrium schrieb, so scheint die Sache anders zu stehen. Al
lerdings lässt sich nicht direct beweisen, dass Hrabanus denselben un
möglich verfasst haben könne, aber als sehr unwahrscheinlich müssen
wir es immerhin bezeichnen. Chronologische Gründe sind es nicht,
welche entgegenstehem, denn Hrabanus konnte die Schriften des Scotus,
mit welchem er ja auch bei dem theologischen Streite über die dop
pelte Prädestination übereinstimmte, noch sehr wohl kennen; fermer
könnte man, wenn er noch im 9. Jahrh. den Beinamen „sophista“ er
hält 1*"), hieraus den Schluss ziehen, dass er sich specieller und aus
führlicher als Obiges (Anm. 78 ff.) kundgibt, mit Logik beschäftigt
habe. Aber dennoch bestelht zwischen diesem Commentare zur Isagoge
und jenem 0bigen schon in der allgemeinen Behandlung ein solcher
Abstand, dass wir bei dem gänzlichem Mangel an einschlägigen Andeu
tungen in sämmtlichen ächten Werken des Hrabanus uns schwer zu
der Annahme entschliessen könntem, derselbe habe über die Dialektik so
verschieden gedacht und seine logische Auffassung in allen übrigen
Schriften völlig unterdrückt. Ja wenn sich diese Werschiedenheit bis
zum directen Selbstwiderspruche steigert, bleibt nur noch die Möglich.
keit übrig, dass Hrabamus in seiner letzten Lebenszeit nach Abschluss
seiner ganzen übrigem schriftstellerischen Thätigkeit förmlich zur logi
schen Ansicht des Scotus übergegangen sei; dann aber waren wir auch
herechtigt und bemüssigt, die Schrift, in welcher diess geschieht, jeden
falls erst nach Scotus zu erwähnen.
Der Verfasser nemlich des Commentares super Porphyrium schliesst
sich schon darin dem Scotus (s. Anm. 105) an, dass er die Logik in
drei Theile, nemlich in Grammatik, Rhetorik, Dialektik, zerlegt 14°), wo
145) Cousin, 0uvr. ined. d'Abél. p. Xf. u. LXXVI.
146) Ebend. im Appendiae p. 616 f.
147) Rudolf, Ann. Fuld. bei Pertz, Monum. I, p. 364.: Rhabanus quoque , so
phista et sui temporis poetarum nulli secundus etc. Doch dass derartige Ausdrücke
aus jener Zeit nur mit Worsicht aufzunehmen seiem, ist bekannt.
148) Cousin a. a. 0. p. 614.: Quaeritur autem cui parti philosophiae suppo
natur (d. h. die Isagoge) ..... restat ergo, ut logicae supponatur; post quam vero
partem logicae supponatur, quaerendum est; habet enim logica tres partes, gramma
ticam, rhetoricam, dialecticam. Post grammaticam; non enim de genere secundum
grammaticam tractat, quia neque quomodo genus declinetur ostendit , neque si sit
primitivum an derivativum, quae omnia ad grammaticam pertinent. Neque in hoc
XIII. Pseudo-Hrabanus. 39
hingegen Hrabamus nur zwei Theile anerkennt (Anm. 79). Sodann aber
müssen wir nicht bloss in der üblichen Einleitung über den Zweck der
Isagoge (s. Abschn. XII, Anm. 75) die Ausdrucksweise beachtem, dass
dieselbe über die fünf „Dinge oder Worte“ handle 4*°), sonderm. es zeigt
uns auch der weitere Werlauf, dass hier dasjenige, was wir als dem
Nominalismus des Scotus bezeichnen mussten , bereits mit , grösserem
Bewusstsein und in schärferer Form auftrete ; nemlich während einer
seiis auch hier die ideelle Einheit der Substanz innerhalb der speciel
len und individuellen Gestaltung (forma) nach der nemlichen realistischen
Anschauung festgehalten wird, welche bei Scotus (s. Anm. 109 u. 140)
in ontologischer Beziehung sich findet '°"), wird andrerseits bezüglich
der logischen Isagoge *des Porphyrius direct darauf hingewiesem, dass
nach der Ansicht Einiger dieselbe über „fünf Worte“, nicht aber über
fünf Dinge handle. Ja es wird diese Ansicht, dass genus, species u. s. f.
nicht als Sachbezeichnung, sondern als Wortbezeichnung zu verstehen
seien, durch formulirte Beweise gestützt, deren Einer sich auf die De
finition des genus beruft, in welcher die Bestimmung enthalten sei,
dass das genus „ausgesagt“ werde ; ein zweiter Beweis liege darin,
dass die Kategoriem, zu welchen die Isagoge als Einleitung dieme,
selbst gleichfalls ,,de vocibus“ handeln (s. die oben, S. 35, genannteu
Stellen des Boethius),- sowie sie auch Boethius als „nomina“ be
zeichne 151). Und wenn nun noch hinzugefügt wird, dass bei solcher
tractatu docemur, quomodo causas debeat disponere orator, quod ad rhetoricam per
tinet. Relinquitur igitur, ut per dialecticam logicae supponatur.
149) Ebend. p. 613.: Intentio Porphyrii est in hoc opere facilem intellectum
ad praedicamenta praeparare tractando de quinque rebus vel vocibus, genere scilicet,
specie, differentia, proprio et accidente, quorum cognitio valet ad praedicamentorum
cognitionem.
150) Ebend. p. LXXIX.: Alio namque modo universalis est (sc. substantia
eadem) cum cogitatur, alio singularis cum sentitur (so Boeth. p. 56, s. Abschn.
XII, Anm. 86). Hic innuit nobis Boethius, quod eadem res individuum et species
et genus est, et non esse universalia individuis quasi quiddam diversum, ut qui
dam dicunt ; scilicet speciem nihil esse quam genus informatum, et individuum nihil
aliud esse quam speciem informatam.
151) Ébend. p. LXXVIII.: Quorumdam tamen sententia est, Porphyrii intentio
nem fuisse in hoc opere, non de quinque rebus, sed de quinque, vocibus tractare,
id est Porphyrium intendere naturam generis ostendere, generis dico in vocum de
signationem accepti. Dicunt enim quod si Porphyrius in designatione rerum tractat
dé genere et de ceteris, non bene diffinit ,,genus est quod praedicatur etc.“, res
enim non praedicatur. Quod hoc modo probant: si res praedicatur, res dicitur; si
,es dicitur, res enunciatur; si res enuntiatur, res profertur; sed res proferri non
potest; nihil enim profertur nisi voae ; neque enim aliud est prolatio quam aeris
plectro linguae percussio, aeris autem plectro linguae percussio nihil aliud est quam
ìo*; si ijitur Porphyrius de genere in rerum assignatione tractaret, male generis
diffinitionem dedisset dicendo sic. ,,genus est quod praedicatur etc.“, cum genus in
rerum designatione acceptum nullatenus praedicatur. Eius igitur intentionem dicunt
esse, de genere non in rerum, sed in vocum designatione tractare. Adhuc alia ratio
cur Porphyrius tractet de genere accepto non in rerum sed in vocum designatione.
Cum enìm tractatus iste introductorius sit ad Aristotelis categorias et Aristoteles in
categoriis de vocibus principaliter agere intendat, conveniens non eum esset de re
l)us agere qui ad librum de vocibus principaliter tractare intendebat. ...... Prae
terea ea, B6ethii auctoritate in primo super categorias commento confirmatur, genera
et species voces significare; dicit enim illa nomina norem esse (Boeth. p. 5, s.
40 XIII. Pseudo-Hrabanus.
Ansicht eine reale Sachbezeichnung gar nicht ausgeschlossen sei, inso
ferne es sich beim genus um eine allgemein gültige Eintheilung, welche
in der „Natur der Dinge“ liege (s. Anm. 127 u. 131), handeln könne '°°),
sowie ja überhaupt das genus Nichts anderes sei, als „die im Denkem
veranstaltete Zusammenfassung der substantiellen Aehnlichkeit aus den
verschiedenen Unterarten“ 1°°), so ist kein Zweifel mehr darüber mög
lich, dass wir hier nur den Standpunkt des Scotus mit gesteigerter
Schärfe seiner nominalistischen Seite vor uns haben. Aber auch gleich
falls an Scotus (s. Anm. 92 f. u. 105) erinnert uns in diesem Commen
tare die Berufung auf die Topik, und zwar namentlich auf den locus
der Gegensätze 1°*). Anderes hinwiederum schliesst sich, wie leicht
erklärlich ist, als blosse Paraphrase völlig an Boethius an 1°°). Hin
gegen von Wichtigkeit ist uns das Geständniss des Verfassers, dass er
die Analytik des Aristoteles nur vom Hörensagen kenne (vgl. Anm. 98),
ihm also auch des Boethius Uebersetzung jener Bücher nicht bekannt
war 156). -
Mag es sich aber mit der Autorschaft dieses Commentares verhalten,
wie es wolle, so äusserte jedenfalls die Schule, welche Hrabanus be
kanntlich in Fulda eingerichtet hatte, — abgesehen von all dem übrigen
reichen Segen der Cultur, welcher aus ihr floss, — auch auf dem Be
trieb der Logik einen höchst günstigen Einfluss, und aus Frankreich
und der Schweiz weisen mannigfache Fädem auf die Pflege der Schul
wissenschaften in Fulda zurück. Bezüglich der logischen . Parteifrage
jedoch finden wir keineswegs etwa ein abgeschlossenes einheitliches
Gepräge der Fuldenser Schule, und können demnach auch nicht ihrem
Abschn. XII, Anm. 90.); quod si voces non significarent, nullo modo nomina novem
esse possent.
152) Ebend. p. LXXVIII f.: Non tamen genus in rerum designatione accipi
posse negant (der Gedanke Cousin's, negant in negandum oder negari potest zu
änderm, ist verfehlt, denn es ist noch immer von eben Denjenigen die Rede, welche
den logischen Schriften als logischen die voces zuweisen); dicit enim Boethius in
libro divisionum, generis divisionem esse ad naturam, id est apud omnes (auch die
Worte apud omnes will Cousin ändern, sie stehen jedoch bei Boeth. p. 639, s.
Abschn. XII, Anm. 97.); per quod demonstratur Boethius non in vocum sed in rerum
designatione genus accepisse.
153) Ebend. p. LXXIX: Nihil aliud est genus quam substantialis similitudo ea,
diversis speciebus in cogitatione collecta. ln des Boethius Uebersetzung des Por
phyrius (p. 57.) erscheint der Ausdruck ,,collectio** nur bei jener unter den Phi
losophen nicht üblichen (Abschn. XI, Anm. 40.) Bedeutung des Wortes ,,genus“,
wornach es in genealogischem Sinne ein „Geschlecht“ bezeichnet.
154) Ebend. p. 615.: Probat quod genus non dicitur simpliciter sic: si genus
dicitur tripliciter, tunc non dicitur simpliciter; locus ab oppositis ; maæima prop0
sitio: si aliquid oppositum convenit alicui, suum oppositum removetur ab eodem.
155) So z. B. auch dasjenige, was Hauréau, De la phil. scol. I, p. 109. aus
der nemlichen Handschrift, welche Cousin henützt hatte, veröffentlicht; es betrifft
das genus supremum und stimmt dem Simne nach ganz mit Boeth. p. 72 f. überein.
Ebenso ist, was Cousin a. a. 0. p. 615. über die individua angibt, keineswegs
dem Verfasser des Commentares eigenthümlich, sondern findet sich bei Boeth. p.
73. S. Abschn. XII, Amm. 87. -
156) Cousin a. a. 0. p. 614.: ,,Vel in demonstratione,“ id est ad librum
demonstrationum; volunt enim quendam librum esse, qui vocetur liber demonstratio
num, qui apud nos in usu non est.
XIII. Eric v. Auxerre. 41
Begründer die Schuld oder das Werdienst beimessem, ihr in dieser Be
ziehung eine bestimmte Richtung gegeben zu haben, sondern weit elier
scheint sich der Partei-Gegensatz als solcher erst innerhalb dieser Schule
selbst zu entwickeln ; wenigstens treffen wir dort sogleich das eigen
thümliche Factum, dass der Lehrer auf Seite des logisehen Nominalismus,
der Schüler hingegen auf jener des ontologischen Realismus steht.
In Fulda hatte unter Leitung des Haimon, eines Schülers des Hra
banus, E r i c v o n A u x e r r e studirt, und es eröffnete derselbe, nachdem
er noch den Unterricht des Servatus Lupus in Ferrières genossen, in
seimer Waterstadt selbst eine Schule, woselbst unter seinem Zöglingen
ausser Lothar, einem Sohne Karl des Kahlen, sich auch Remigius von
Auxerre befand. Von diesem Eric, dessen Blüthezeit sonach ungefähr
um d. J. 870 zu setzen ist, fandem sich in einer Handschrift von St.
Germain commentirende Glossen zur pseudo-augustinischen Schrift „Ca
tegoriae“ '°"), wobei sich uns wieder eine erneuerte Steigerung jenes
nominalistischen Standpunktes zeigt, welcher uns in der so eben betrach
teten Schrift begegnet war. Eric geht nemlich entschieden von jenen
nemlichem Stellen des Boethius aus, welche wir dort (Amm. 151) als
Beweisgrund angeführt sahen, aher indem er res und intellectus wohl
ähnlich wie Scotus dem Gebiete der Natur zuweist, hingegen diesem
die voae als blosse menschliche Wereimbarung (vgl. Anm. 105) gegenüber
stellt, scheint er den theologischem Hintergrund, welchen noch Scotus
(Anm. 122 f.) für die Sprache fand, völlig zu verschmähen 158). Und
jedenfalls weist er diesem menschliehen Sprachausdrucke eine so starke
Geltung zu, dass er eine substantielle Sachbezeichnung der Universalien
direct verneint und in denselben mur das Verhältniss der prädicativen
Aussage erblickt '°°); ja ausdrücklich bezeichnet er die Stufenleiter,
welche von den Individuen zur obersten Gattung, d. h. zur Substanz,
hinaufrührt (— also jene zweite Hälfte des Weges, welche bei Scotus
άναλvtuw) heisst, s. Anm. 108 ff. u. 120 —), als eine nominalistische,
157) Die Angabe Cousin's (a. a. 0. p. 621.) fand ihre Berichtigung durch
Hauréau a. a. 0. I, p. 135., welcher die betreffende Marginal-Note der Handschrift
genauer las und uns dem Werfasser der- Glossem feststellte. (Eine anderweitige
Schrift des Eric, worin derselbe die Lehren des Haimon umd des Servatus Lupus
im Auszuge zusammenstellte, s. Mabill. Ann. Bened. II, p. 627., scheint verloren zu
sein.) — Die pseudo-augustinische Schrift über die Kategorien ist auch hier durch
obigen Prolog Alcuins (Amm. 53.) eingeleitet.
15S) Bei Hauréau a. a. 0. p. 142.: Tria sunt quibus omnis collocutio dispu
tatioque perficitur: res, intellectus et voces. Res sunt quas animi ratione percipimus
intellectuque discernimus ; intellectus vero quo ipsas res addiscimus ; voces quibus
quod intellectu capimus significamus. Praeter haec autem tria est aliud quiddam
quod significat voces, hoc est litterae, harum enim scriptio vocum significatio est (s.
Abschn. XII, Anm. 110.). Rem concipit intellectus, intellectum voces designant, voces
autem litterae significant. Rursus horum quatuor duo sunt naturalia, id est res et
intellectus, duo secundum positionem hominum , hoc est voces et litterae.
159) Ebend. p. 140.: sed huic occurrimus dicentes, genus non praedicari de
animali secundum rem, id est substantiam, sed designativum nomen esse animalis,
quo designatur animal de pluribus specie differentibus dici; namque neque rationem
animalis potest habere genus, cum dicitur animal est substantia animata et sensi
bilis; similiter nec species dicitur de homine secundum id quod significat, sed iuaeta
illud quod de numero differentibus praedicatur. -
42 XIll. Eric von Auxerre.
indem dieselbe zuletzt in eine engste Stufe, welche uno nomine constat,
auslaufe 160).
Insofern aber dem Eric auch noch andere logische Tractate bei
gelegt wurden, welche in jener nemlichen Handschrift von St. Germain
sich finden, können wir hiemit allerdings nicht übereinstimmen, glauben
aber, dass dieselben in der That noch in jene Zeit, d. h. jedenfalls in
das letzte Drittel des 9. Jahrh. fallen !"!). Won den Marginal-Glossen
zu ,,Periermeniae Aristotelis“ (nach des Boethius Uebersetzung) können
wir füglich ganz absehen, da sie nur dem Commentare des Boethius
selbst entlehnt sind '"*). Ein hierauf folgender Tractat, in welchem
Augustinus de Dialectica mit einer Einleitung und gleichfalls mit Rand
glossen begleitet ist, zeigt eine ganz andere Behandlungsweise als Eric's
Commentar, indem namentlich häfifig griechische Worte eingestreut und
etymologisch erklärt sind; die sehr eigenthümliche Einleitung, in welcher
auch Scotus erwähnt wird, beachtet besonders das Verhältniss Augustins
zur Stoa, schliesst sich aber dann an Isidor (Anm. 27) bezüglich des
Gegensatzes zwischem Dialektik und Rhetorik an 16°). Sodann aber ent
hält jene Handschrift auch noch einen glossirenden Commentar zu des
Porphyrius Isagoge (nach der Uebersetzung des Boethius), welcher uns
bezüglich der Controverse über die Universalien wichtig ist. Die dabei
ausgesprochenen Ansichten liessen sich allerdings mit jenen des Eric
vereinbaren, insoferne hier trotz einer deutlichen Beziehung auf Scotus
schon sehr der aristotelische Begriff der individuellen Substanz hervor
160) Ebend. p. 141.: sciendum autem, quia propria nomina primum sunt in
numerabilia, ad quae cognoscenda intellectus nullus seu memoria sufficit; haec ergo
omnia coartata species comprehendit et facit primum gradum, qui latissimus est,
scilicet hominem, equum, leonem, et species huiusmodi omnes continet; sed quia haec
rursus erant innumerabilia et incomprehensibilia, .... alter factus est gradus angu
stior; ita constat in genere, quod est animal, surculus et lapis; iterum etiam haec
genera in unum coacta nomen tertium fecerunt gradum arctisimum iam et angustis
simum, utpote qui uno nomine solummodo constet, quod est usia.
161) Denn bei einer Handschrift des 10. Jahrh. geht für diesen Fall die Be
weiskraft der Gründe, welche Hauréau a. a. 0. p. 135 f. aus der Gleichheit der
Schrift der Marginalglossen schöpfte, sicher auf eine ldentität der Zeit. Was aber
gegen die Identität der Person spreche, ist sogleich unten anzugeben.
162) ' Cousin a. a. 0. p. 618. -
163) Ebend. p. 619.: Aurelius vocatur dominus Augustinus ab aura, id est
favore populari etc..... ,,Dia“ enim quando per iota scribitur, significat ,,de“ vel
,,eae** praepositionem, quando vero per y, significat duo, sicut est ,, dyalogus“. ....
Sed omisso isto nomine transferamus nos ad dialecticam, de qua nunc nobis loqui
oportet. Dyalectica autem proprie ,,de dictione“, quum in ea rationabiliter de dictis
disputatur; ne quidem videretur ,,de** per appositionem dici, quemadmodum dicimus
,,de monte, de domo,** iunctim proferenda est dyalectica. Nun folgt die oben, Amm.
97, angeführte Stelle über Scotus, sodann: Dicitur microloga, id est parviloga,
sicut rhetorica macrologa, id est longiloga dicitur, macron enim dicunt graece lon
gum. Est autem dialectica disciplina rationalis diffiniendi , disserendi ac vera de
falsis discernendi potens. Hunc libellum edidit dominus Augustinus de origine, ety
mologia verborum partim quidem ad imminutionem Stoicorum partim vero ad con
fusionem; nam Stoici dicebant nullum verbum esse quod non habeat originem, aut
sciatur aut lateat. Quibus ille contradicit innumerabilia inquiens verba quorum
ratio reddi non possit (s. Abschn. XII, Anm 35.). Dialectica nempe est pugnus
astrictus, sicut et rhetorica palma quaedam eaetensa (s. Abschn. VIlI, Anm. 25.);
unde raros et studiosos requirit magistros etc.
XIlI. Jepa (?). 43
tritt, und der, Gattungsbegriff lediglich dem menschlichen Denkem an
heimfällt. Jedoch bliebe es, falls Eric der Werfasser dieses Commentares
wäre, immerhin schoi auffallend, dass derselbe bei dargebotener Ge
legenheit seine entschieden nominalistische Auffassung des genus hier
ganz verschweige und sie nicht, wie doch sehr wohl möglich wäre,
mit seinem ontologischen Standpunkte verbinde. Sodann aber nennt
sich ja der Autor am Schlusse der Glossem selbst, wobei allerdings die
Handschrift dem räthselhaften Namen ,,Jepa“ 'darbietet, bei welchem
ungewiss ist, was wir dahinter zu suchen haben *°*). Jedenfalls zeigt
sich uns hier ein Beleg dafür, dass, wie wir oben S. 35 sagten, von
zwei verschiedenem Seitem her Fragen auftauchten, welche in der Be
urtheilung der Universalien zusammenliefen ; denn sowie Eric von jenen
Worten des Boethius ausgieng, durch welche der Nominalismus an sich
näher gelegt war, so handelt es sich hier um die. zum Realismus hin
neigende Stelle des Porphyrius. Dabei aber wird an die entschiedene
Behauptung, dass genus und species eine wirkliche Existenz haben '°°),
sogleich die Unterscheidümg geknüpfi, dass, während Ein und dasselbe
Subject es ist, welches als universale und als singulare besteht, doch
mur einerseits letzteres als das concrete Sein im Sinnlichwahrnehmbarem
und andrerseits ersteres als das Gedachtwerden der Substanz selbst
betpachtet werden solle 1°°). Darum liege die Unkörperlichkeit z. B.
bei dem genus nicht in jenem, was dem natürlichen Bestehen der Dinge
selbst zu Grunde liegt, sondern eben nur darim, dass es genus ist, und
ebenso verhalte es sich auch bei species und den übrigen der quinque
voces 1°"); kurz die Unkörperlichkeit der Universalien erleide eine Be
schränkung, da dieselben sowohl mit Körperlichem als auch mit Unkör
perlichem (gleichsam geistigem Dingen, z. B. Kunst, Wissenschafi u. dgl.)
verbundem sein können; in beidem Fällen aber seien sie untrennbar an
ihre individuellen Substrate gekettet, daher sie im ersteren Falle mit der
Seele (anima) und im letzteren init dem Geiste (animus) zu vergleichem
seien '°°); ja am besten könne jene Unkörperlichkeit mit der mathe
164) Ebend. p. 623.: Scripturae finem sibi quaerunt hic isagogae; Parva qui
dem moles, magna sed utilitas. Jepa hunc scripsi glossans -utcunque libellum ;
Qu0d logicae si sit, scire legens poterit. Hauréau scheint dieses ganz übersehen
zu haben. - .
165) Ebend. p. LXXXII: Prima quaestio est, utrum genera et species vere sint,
Sed sciendum est, quod non esset disputatio de eis, si non vere subsisterent, nam
res omnes, quae vere sunt, sine eis non esse possunt.
166) Ebend.: Genera et species, id est universale et singulare, unum quidem
subiectum habent, subsistunt vero alio modo, intelliguntur alio; et sunt incorporalia,
sed sensibilibus iuncta subsistunt in sensibilibus, et tunc est singulare, intelligun
tur ut ipsa substantia, ut non in aliis esse suum habentia, et tunc est universale.
167) Ebend. p. LXXXIII: An corporalia ista sint an incorporalia. Quod duo
bus modis accipitur. Nam genus si in e0 quod genus sit, non quod res natura
constat, consideratur, semper incorporale est; verbi gratia, si substantia non consi
deratur in eo quod substantia est, sed in eo quod sub se species habet, incorporalis
est; item si species, quae est homo, consideratur tantummodo in e0 quod sub ge
mere est, est incorporalis et ipsa ; eodem modo et differentia quadrupes non respicitur
quod sit quadrupes differentia, sed unde a bipede differt, ac per h0c et ipsa, incor
poralis est. Similiter de caeteris accipiendum est. • , -
168) Ebend. p. LXXXIV: Ecceptio (Cousin ändert mit Unrecht in acceptio)
44 XIII. Jepa (?). Remigius.
matischen Abstraction verglichen werden, welche an den Körpern die
Verhältnisse der Linien und Flächen als unkörperliche denke, denn in
gleicher Weise sei jeder Gattungsbegriff trotz aller Unkörperlichkeit des
Gedankens doch in den Individuen stets in körperlicher Weise vorham
den *°°). Wird sonach genus als „die im Denken veranstaltete Zusam
menfassumg der Aehnlichkeit aus den verschiedenen Unterartem“ defi
nirt 17°), — wobei im Vergleiche mit obiger Definition des Pseudo
Hrabanus, Anm. 153, béreits die Weglassung des Wortes „substantiell“
zu beachten ist —, so sehem wir, dass bei der Grundansieht des Ver
fassers dieses Commentares schon nicht mehr die naive Indifferenz wie
bei Scotus (s. Anm. 140) bestehe, sondern dass die aristotelische Auf.
fassung mit Absicht und Bewusstsein vertreten werde. Wie sehr aber
hiebei schon eine bestimmte Parteistellung obwalte, ist daraus ersicht
lich, dass hier zum ersten Male mit der Darlegung der eigenen Meinung
des Autors völlig polemische Seitenblicke auf platonisch-realistische Geg
ner verbunden sind 171).
Ein solcher Gegner aber ist Eric's Schüler R e m igi u s v on A uxe r r e,
bekanntlich einer der berühmtesten Lehrer jener Zeit, welcher seit d. J.
882 in Rheims und hierauf in Paris durch grammatikalischem, musikalischen
und dialektischen Unterricht wirkte '"*); und es muss uns sehr wahr
•
itaque incorporalitatis genere fit, quod et praeter corpora separatum esse possit et
corporibus iungi patiatur ut anima, sed ita ut, si corporibus iuncta fuerint, insepa
rabilia sint a corporibus, neque ab incorporalibus separentur, et utrasque in se con
tineant potestates; nam si corporalibus iunguntur, talia sunt qualis illa prima versus
terminos incorporalitas (s. d. folg. Anm.) quae nunquam discedit a corpore, si vero
incorporalibus, talia sunt qualis est animus qui nunquam corpori copulatur.
169) Ebend.: Termini cum sint semper circa corpora quorum termini sunt,
• incorporei tamen intelliguntur, sicut est epiphania; et haec prima incorporalitas,
primus transitus a corporibus ad incorporea. Huic ergo incorporalitati assimilatur
generis et speciei incorporalitas ; nam, verbi gratia animal et homo , licet per se
intellecta incorporalia sint, in individuis tamen quibus substant, corporalia sunt.
Hiezu die Stelle bei Hauréau a. a. 0. I, p. 139.: Locus in corpore quidem per
cipitur, sed corpus ipse esse minime credendum; est ergo locus spatium, quod
quodlibet corpus .... tenere aut occupare valet; hoc autem spatium .... in sua na
iura propria vi integrum et inviolatum permanet. Die Vergleichung der allgemeinen
Begriffe mit der geometrischen Gränze der Körper (vgl. folg. Abschn., Anm. 71.)
oder mit dem 0rte ist es jedenfalls, welche uns sehr am Scotus (Amm. 132.) : er
innert, wenn auch die Auffassung des locus hier nicht so ausschliesslich spiritua
listisch klingt wie dort, sondern sich mehr an das ` concrete Wesen des Kör
pers hält.
170) Cousin, p. LXXXV: Genus est cogitatio collecta eae singularum similitu
dine specierum. Diess ist der Punkt, an welchen Eric , wenn er der Verfasser
dieser Schrift wäre, seine nominalistische Ansicht hätte anschliessen können und
mtissem. - -
171) Ebend. p. LXXXII: Sed Plato genera et species non modo intelligi uni
versalia, verum etiam esse atque praeter corpora subsistere putat. Und p. LXXXIV:
Hi qui genus et speciem incorporalia solummodo dicunt, hoc probare videntur Por
phyrii ipsius sententia, qui veluti iam probato quod incorporea sint, ita ait ,,et
utrum separata an ipsis sensibilibus iuncta**; quod et si haec aliquando corporalia
eaestitissent, al)surdum esset quaerere, utrum incorporalia seiuncta essent a sensibi
libus am iuncta, cum sensibilia ipsa sint corpora.
172) Sein Schulbuch der lateinischen Grammatik, welches noch im 16. Jahrh.
benutzt, wurde (gedruckt unter d. Titel Remigii Fundamentum scolarium. Basil.
1499. 8.), berührt uns hier nicht. -
XIll. 0tto v. Clugny. Remigius. 45
scheinlich dünken, dass gerade des Remigius Einfluss in Paris noch bis
zur späteren dortigen Richtung fortwirkte, wenn wir auch nicht mehr
im Stande simd, die Fädem, welche vom seinem hervorragenden Schüler
0t to v o n Clugny '"*) zu Wilhelm von Champeaux hinabführen, im
Detail nachzuweisen. Seine logischen Ansichten legte Remigius in einem
Commentare zu Marcianus Capella mieder '"*), und er zeigt dortselbst
die Parteistellumg eines ausgesprochenen Realismus. Er betrachtet nem
lich das genus lediglich als dem Sammelpunkt der speciellen Formem
(formarum, vgl. oben Anm. 109), welche durch Theilung (partitio) aus
ihm hervorgehen und dann wieder als subslantielle Einheit (unitas sub
stantialis) der Individuen bestehen '7°), so dass im platonischen Sinne
Alles bis zum Individium herab sein Sein mur durch ein Theilnehmen
(participatio) an dem obersten genus, d. h. an der Substanz, hesitzt '"°).
In voller Consequenz wird diese Auffassung sogar auch auf die Acci
dentien angewendet, welche sonach vor ihrer Wereinigung mit einem
Individuum ursprünglich gleichfalls selbstständige Substanzen waren 177),
und es verbindet sich hiemit auch die platonische Lelire von der Rück
erinnerung, insofern es sich um geislige Accidentiem, z. B. wissenschaft
liche Bildung, handelt 17°).
173) Joannes, Vita 0d. Clun. l, 19. bei Mabill. Act. Bened. Sec. V, p. 157:
0do his diebus adiit Parisium ibique dialeclicam„Sancti Augustini Deodato filio suo
missam perlegit et Marcianum in liberalibus ìrifus frequenter lectitauit; praecepto
rem in his omnibus habuit Remigium. Vgl. Mabill. Ann. Bened. III, p. 331.
174) Nachdem schon früher das Worhandensein dieses Commentares in ver
schiedemen Bibliotheken (z. B. auch in Leyden) bekannt gewesen war, hat nun
Hauréau a. a. 0. I, p. 144 ff. aus Pariser Handschriften einiges Wichtigere mit
getheilt, vielleicht leider für unseren Zweck zu wenig, und auch dieses nicht immer
im Originaltexte. (Die Note p. 148, aus welcher man auf eine grössere ander
weitige Veröffentlichung von Fragmenten des Remigius schliessen könnte, bezieht
sich, wie mir H. Hauréau freundlichst mittheilte, nur auf einen Missbrauch, welcher
mit den eigenem Adversarien desselben vor dem Drucke des Buches von einem
Drittem getrieben wurde.)
175) Hauréau, p. 145.: Genus est complezio, id est adlectio et comprehensio
multarum formarum, id est specierum ..... Est autem forma partitio substantialis,
ut homo ; h0m0 est multorum hominum substantialis unitas.
176) Ebend. p. 146.: Voici comment il s'eaeprime: ,,Il est un genre plus
général que les autres, au-delâ duquel l'intelligence ne peul s'élever, que les Grecs
nomment oùατα, et les Latins essentia. En effet, l'essence comprend toutes les na
tures et tout ce qui eæiste est portion de l'essence — , cuius participatione consistit
omne quod est .... descendit autem per genera et species usque ad speciem spe
cialissimam quae a graecis ath0m0s, id est individuum et insecabile dicitur, ut
est Cicero.** -
177) Ebend. p. 147.: Il n'est pas douteua, que l'accident proprement dit vienne
s'unir à la substance individuelle ; mais avant que cette uhion soit opérée, où se
trouve, dit-il, l'accident ? Qu'est-il? Ne peut-on pas dire qu'il est par lui-même
quelque substance ,,substantia per semet ?** Cicéron est orateur, rhéteur; voilà
l'accident ; mais avant de s'unir à Cicéron 0u de se produiré en lui, la rhetorique
n'était-elle pas une substance?
178) Ebend. p. 148.: 0mnis , naturalis ars in humana natura posita et con
creta; inde fit ut omnes homines naturaliter habeant naturales artes. .... Cum ergo
apparet rhetorica in animo alicuius hominis, non aliunde venit nisi a se ipsa, id
est de profunditate memoriae, et ad nullum aliud redit, nisi ad eandem eiusdem
memoriae, profunditatem. Accidens enim in una forma, id est in una specie, ut rhe
torica, non nisi homini accidit. Homo una species ; philosophi dicunt, ominibus
46 XIII. Die Parteispaltumg. St. Gallem.
Somit liegt bereits am Ende des 9. Jahrh. jeme ganze Parteispal
tung vor uns, welche man gewöhnlich erst dem Ende des 11. Jahrh.
zuzuschreiben pflegte oder noch pflegt 17°), und was das Princip be
triffi, so haben Roscellinus, Wilhelm von Champeaux, und selbst Abälard
nichts Neues im Vergleiche mit den so eben erörterten Erscheinungen
vorgebracht; dass bei ihnen die Darlegung der Parteistellung reicher
und einlässlicher sich gestaltete, ist sehr erklärlich, da ja der Streit in
der Schule eben zwei Jahrhunderte vorher schon begonnen hatte. Drei
Auffassungen aber, nemlich der sog. Realismus Plato's, der aristotelische
Individualismus, umd der Nominalismus, hatten sich schon im 9. Jahrh.
herausgestellt, und zwar, wie wir wenigstens versuchteii zu zeigen,
nicht ohne dem Einffuss des Scotus Erigena. Dabei jedoch kann es,
wie sich von selbst versteht, Niemandem in dem Sinm kommem , dem
Remigius und jenen Jepa (?) und den Eric oder obigen Pseudo-Hrabanus
etwa als die erstem Entdecker oder Erfinder der vom ihnem vertretemem
Ansichten zu betrachten, sondern dieselben dürfen uns mur als Reprä
sentantem von Richtungen gelten, welche aus dem logischen Schul-Ma
teriale mit Nothwendigkeit hervorgehen mussten, sobald man nur über
haupt etwas mehr machdachte, und wir dürfen überzeugt sein, dass in
jener Zeit wohl überall, wo man sich mit Logik beschäftigte, die glei
chen Gegensätze sich herausstellten (vgl. unten Anm. 238; eine sorg
fältige Durehforschung aller Jibliotheken würde wahrscheinlieh noeh
manchen Beleg hiefür zu Tage fördern). Dass die weitere Fortbildung
der Controversen durch die Berühmtheit einzelmer Lehrer und mament
lich gerade durch polemische Darstellungen nur gefördert werden konnte,
ist vom selbst klar ; aber der erste Anfang des Streites muss jenem
Jahrhunderte zugewiesen hleiben, welchem er wirklieh angehört. .
In dieselbe Zeit (Ende d. 9. Jahrh.) fallen auch die Tersten Keime
jener Thätigkeit in S t. G a Ile n, derem reichere Blüthe uns bald weiter
untem begegnen wird. Auch hier weist uns der damalige Kulturgang
auf Fulda und die Schule des Hrabamus als die eigentliehe Quelle zu
rück 1°°), und es versteht sich von selbst, dass die theologiseh-kirch
liche Grundlage der freiem Künste, welche in der Schule die übliche
hominibus accidere disciplinas; qu0d si ita, ergo omnis homo rhetor, dialecticus.
Videmus tamen complures eæpertes esse rhetoricae et aliarum disciplinarum ; non
ergo verum, quod omni homini rhetorica accidat. Sed aliud quod accidit secundum
naturam, aliud qu0d secundum ea:ercitium et eæperientiam ; ergo secundum naturam
omni homini accidit disciplina, solis ver0 philosophis secundum eæercilium et eae
perientiam. Hiebei ist der Realismus um so beachtenswerther, da Remigius zu letz
terer Auseinandersetzung offenbar durch eine Stelle des Boethius veranlasst wurde,
wo letzterer gerade über den Sprachausdruck handelt (Boeth ad Ar. d. interpr.
p. 323.: sicut erg0 naturaliter singularium artium sumus susceptibiles, sed eas non
naturaliter habemus, sed doctrina concipimus, ' ita voae quidem naturaliter est, sed per
vocem significatio non* naturaliter).
179) Natürlich mit Ausnahme der Darstellungen bei Cousin und bei Hauréam;
auch H. Ritter zog es trotz der Mittheilungen des ersteren (— die des letzterem
konnte er i. J. 1844 noch nicht kennen —) vor, nach älterer Weise den Nomi
nalismus und Realismus erst mit Roscellimns und Wilhelm von Champeaux zu
eröffnen. -
180) S. Wackernagel, Gesch. d. deutsch. Litt. S. 78 ff. Vgl. auch Weidmann,
Gesch. d Bibl. v. St. Gallen. 1841.
I. XIII. St. Gallen. Glossarium Salomonis. 47
war (s. oben Anm. 17, 24, 49, 80 f.), auch in St. Gallen ' im Auge
behalten wurde 1°1). Welche Wichtigkeit die dortigen Bestrebungen
auch durch die Anwendung unserer nationalen Sprache besassen, ist
bekannt genug ; es mag. aber in dieser Beziehung gelegentlich bemerkt
werden, dass es damals auch ausgesprochene Gegner des Uebersetzens
gab '**); jedoch diese Seite der St. Galler Periode liegt uns hier ja
ferne. Hingegen was das logische Material der dortigen Schule betrifft,
dürfen wir die vereinzelte Notiz nicht verschweigen, dass ein Bücher
Werzeichmiss aus d. J. 872 vom ,,fünf Büchern“ des Boethius (ausser
der Schrift d. consol. phil.) spricht 1°°), denn im Zusammenhalt mit einer
späteren Angabe (Abschn. XIV, Anm. 6) dürfen wir hieraus schliessem,
dass auch in St. Gallem in jener Zeit die von Boethius gemachte Ueber
setzung der aristotelischem Analytiken noch unbekannt war. -
Der sog. ,,Vocabularius S. Galli“ und die „Keronisehen Glossen“
enthaltem noch durchaus nichts Logisches 4°*), hingegen bietet das sog.
Glossarium Salom o nis !*°) uns einiges Interesse dar, indem dort in
der alphabetischen Reihenfolge, in welcher das ganze encyklopädische
Schulwissen damaliger Zeit vorgeführt ist, sich aueh reichlich logisches
Material findet. Allerdings sind es fast ausschliesslich nur die Angabem
des Isidorus, welche hier in alphabetischer Zerrissenheit und mit bar
barischer Schreibung der Kunstausdrücke erscheinen 1°°); aber einiges
181) Eckehard vita S. Notkeri b. Canis. Ant. lectt. III, p. 554.: In monasterio
S. Galli septem liberalium artium studium floruit, et ille sub Isone magistro (Iso
starb 871) hoc in tempore literatissimo artium liberalium subtilitates non pro gloria
seu favore seculi, sed pro utilitate sanctae dei•ecclesiae admodum satis edoctus fuit.
182) Wenigstens sagt Servatus Lupus (gest. 862), Epist. 41.: Vobis aperio,
principem operam me destinasse lectioni el ad oblivionis remedium et eruditionis
augmentum libros pauculos paravisse, nec germanicae linguae captum amore, ul
ineptissime quidam iactaverunt, sarcinam subiisse tanti tamque diuturni laboris.
183) Ratpert. Cas. S. Galli b. Pertz, Mon. II, p. 72.: Isidori Etymologiae.
Marcianus Capella. Boethii philosophiae consolatio, item alii quinque libri.
184) Ich habe die ganze Glossen-Litteratur jener Jahrhunderte, soweit sie ge
druckt worliegt, durchgelesen, aber äusserst selten Worte aus der Logik gefundem
(mehr aus der Rhetorik), und jenes Wenige beruht ausschliesslich auf Isidor und
Marc. Capella. .
185) Der Constanzer Incunabeldruck s. l. e. a. dieses Glossariums (wovon
Ein Exemplar sich in der Münchner Staatsbibliothek findet) enthält eine Epistola
praelibaticia, welche gegen das schlechte Latein (des 15. Jahrh.) und auch gegen
das Catholicon des Joannes Januensis polemisirt umd dabei ausdrücklich den Bischof
Salomo II. (876—890) als Werfasser nennt (ergo Salomon ille noster secundus
Constantiensis ecclesiae episcopus etc.). Weidmann a. a. 0. p. 461. schreibt es
Salomo III. selbst (890—920) zu ; richtiger aber scheint die Ansicht zu sein, welche
Graff, Diutiska III, p. 411 ff. und R. v. Raumer, d. Einwirk. d. Christenth. a. l.
althochd. Spr. p. 128. aussprechen, dass das Ganze nur im Auftrage Salomo's llI.
von Notker Balbulus (gest. 912) und von Tutilo (gest. 912) etwa auch mit Be
nützung von Excerpten lso's gemacht sei. Vgl. auch E. Dümmler, D. Formelbuch
des Bisch. Sal. III. Berl. 1857, p. 110. Uebrigens besteht das gedruckte Exem
plar aus zwei Glossarien, deren ersteres 238 unpaginirte Blätter gross Folio im
je zwei Columnem, das zweite aber, welches sich weder als Auszug noch als Supple
ment des ersten zeigt, ebenso 49 Blätter füllt. -
186) Die Eintheilung der Philosophie und der freiem Künsie mach Isidor. (s.
oben Anm. 23.) steht s. v. Philosophia und Disciplinae, wobei auch der Unterschied
zwischen ars und disciplina (Amm. 26.) nicht fehlt; die verschiedenem Angabem
über die Logik selbst (Änm. 27.) sind vertheilt s. v. Dialecticus und Logica und
48 Glossarium Salomonis. Poppo.
Einzelne weist doch auch auf anderweitige Lectüre hin, wie z. B. höchst
abenteuerliche Notizen über die „Entelechie“ oder über das Verbum
Eiut ***), oder wenn bei den Kategorien der Qualität und der Relation
(jedoeh nur bei diesen beidem) Ausführlicheres unmittelbar aus Boethius
benutzt ist ***); dasselbe gilt von der Berücksichtigung sophistischer
Schlüsse, welche nicht aus Alcuin (Anm. 71) und nicht aus Hrabanus
(Anm. 82), sondern selbstständig aus Gellius (Abschn. VIII, Anm. 66)
entmommen sind '°°).
Dass das zehnte Jahrhundert in geistiger Beziehung die Zeit der
grössten Unfruchtbarkeit und Finsterniss gewesen, ist hekannt, und so
findem auch wir auf unserem Gebiete nur die Bestätigung eines solchen
Urtheiles, denn in der That ist es der Zeitraum eines ganzen Jahrhun
dertes, aus welchem wir auch nicht eine einzige selbstständige Arbeit
oder auch nur die Anfertigung eines Compendiums mit Sicherheit an
führen könnem. Um so mehr aber müssen wir eben deshalb in dieser
Periode auch jede geringfügige Spur verfolgen, welche uns den Nach
weis geben kann, dass doch wenigstens- der receptive, — wenn auch
nicht der productive —, Schulbetrieb der Logik noch fortglimmtg und
somit der Faden der Tradition nicht völlig entzweiriss.
Eine solehe Anknüpfung an Früheres wäre zu erkennen, wenn
P o p p o in Fulda (um d. J. 960) seinen Schülern ausser dem Boethius
auch andere philosophische Schriften erklärte '°"); ob aber wirklich
Ralionabilis; das ganze Capitel über die Isagoge (Anm. 28—31.) nur mit Weg
lassumg der letztem paar Zeilen (Anm. 31.) steht s. v. Hisagoge, ebenso vollständig
der Abschnitt über die Kategorien (Amm. 32.) s. v. Kategorie, und Einzelnes daraus
wieder s. v. Equivoca, Homonima (Anm. 42.), 0m0nima, Sinonima, Quantitas, Sub
stantia, Usia. Won der Lehre vom Urtheile steht s. v. Periermenias bloss jenes
Sprüchlein (Amm. 34.), sodann aber Einzelnes s. v. Apofasin, Contradictio, Kata
fasin, Negatio, Nomen, Verbum. Das Wort Definitio selbst fehlt, aber Einzelnes
ist angegeben s. v. Kataapheresin, Katahipotip0sin , Kataepenon, Kataanalogiam,
Kataetilogiam. Aus dem Abschnitte über die Syllogistik (Amm. 38.) ist nur Eine
Notiz s. v. Yppoteticos entnommen, hingegen Mehreres aus dem rhetorischen Ab
schnitte (Anm. 43.) vertheilt s. v. Catasceua, Entimema , Rationatio, Sillogismus;
die Topik aber (Amm. 39.) ist s. v. Topica vollständig abgeschrieben. Endlich aber
fehlen auch hier nicht jene obigen zwei Einzelnheiten (Anm. 45. u. 47.); sie stehem
s. v. Rationale und s. v. Tenebras.
187) Endelechia i. e. psichen secundum Chalcidium perfecta aetas, secundum
Aristotelem absoluta perfeclio interpretalur, Plato tamen endelechiam animam mundi
dicit, et dicta endelechia quasi endos lechia, i. e. intima aetas. — Emi verbum sub
stantivum, i. e. sum, cuius participium praesentis temp0ris neutri generis ens, plu
rale eius oysa, i. e. entia, cui addita iota format hoc n0men qu0d est usia, i. e.
essentia.
188) S. v. Qualitas (vgl. Boeth. p. 186 f.) und s. v. Relatio (vgl. ebend.
. 170.). - p. 189) Dilemmatum argumentum quod est ab utraque parte firmissimum et con
cludit adversarium (diess erinnert an Scotus, s. Anm. 93 ff.). Dilemma est cornu
tus sillogismus. — Pseudomeni dicuntur fallaces a graeco, qui rem aliquam men
tionibus conantur asserere, ut dicimus de philosophis qui aiunt: si dicam menliri
et non mentior; verum dico. — Sofistice, argute, sapienter conclusione vel reprehen
sione. — Im zweiten Glossare: Sophislem, eloquentissimus orator. — Sophismata,
i. e. fraudulentae assertiones. — Sophismata sunt falsae conclusiones verborum, i.
e. ubi in falsis sententiis conneacionis veritus manet (s. Anm. 83.).
190) Trithem. Ann. Hirsaug. a. 970, p. 113.: Claruit his etiam temporibus in
monasterio Fuldensi .... Popp0 venerabilis monachus, magister scholarum consensu
XIII. Reinhard. Johann v. Gorz. Gunzo. 49
ein gewisser Re i n h a rd, Scholasticus in St. Burchard zu Würzburg
(um d. J. 935) einen aus vier Büchern bestehenden Commentar zu den
Kategorien geschrieben habe, ist wohl nicht ganz gewiss, denn ausser
der Unlauterkeit der Quelle, welche diess berichtet, muss jene Zahl der
Bücher darum einigen Argwohn erregen, weil der Commentar des Boe
thius gleichfalls vier Bücher enthält, und somit die Möglichkeit sehr
nahe liegt, dass Reinhard nur eim Exemplar des Boethius copirt habe;
falls er jedoch auch eine Schrift über die Quadratur des Cirkels ver
fasste, würde diess, immerhin, wie . wir unten, Amm. 251 und 278,
sehen werden, auf eine speciellere Beschäftigung mit des Boethius Com
mentar zu den Kategorien hinweisen 4°4). Auch die Notiz, dass J o -
h a m m von Wendiere, Abt in G o r z bei Metz (welcher i. J. 955 als
Gesandter 0tt0 des I. nach Cordova zu Abdur Rahman II. gieng), bei
seinen Studiem durch Augustin's Trinitätslehre auf die Kategorien oder
die Isagoge hinübergeleitet wurde, mag höchstens als Beleg dafür an
geführt werden, dass Alcuin (oben Anm. 51) in der Schule fortwirkte,
wenn auch, wie die nemliche Quelle besagt, derlei logische Untersu
ehungem bei anderen Klerikern keineswegs Beifall fandem '°°).
Hingegen finden wir aus dem Anfange der zweiten Hälfte dieses
Jahrhunderts wenigsteiis eine Hinweisung auf die logische Parteifrage
in einem Briefe des G u n z o I t a lu s '°°), welcher Diaconus in Novara
gewesen war und durch Otto I. nach Deutschland gezogen wurde ; und
vielleicht dürfen wir aus der Schulkenntniss, welche Gunzo zeigt,
schliessen, dass mam auch in Italien jemen Fragem nicht ganz fremd
geblieben war, wenn wir auch auf die zweiumddreissig ,,Philosophen“,
welche schon im 9. Jahrh. in Benevenl gelebt haben sollen '°*), wenig
omnium constitutus, qui cum esset omni scientia scripturarum eruditissimus , mul
torum audientium praeceptor egregius fuit; hic, ut Meginfridus testatur, libros Boe
thii de consolatione primus inter omnes suis commentariis eæplanavit, plura denique
veterum synthemata philosophorum suis discipulis legere c0nsuevit. Dass die Anga
ben des Trithemius nur vorsichtig zu benutzen sind, ist bekannt.
191) Ebend. a. 934, p. 72.: Claruit his quoque temporibus apud Francos
orientales in coenobio sancti Burkardi iuaeta Herbipolim Reinhardus monachus et
magister scholarum ibidem in omni genere doctrinarum nominatissimus, sub cuius
institutione scientia litterarum multa claustrales eiusdem loci complures mirifice pro
fecérunt ; scripsit inter cetera ingenii sui opuscula de quadratura circuli librum
vnum, in categorias quoque Aristotelis libros quatuor, de musica libros duos , de
arte poetica (?) librum unum, in canticum canticorum librum unum etc.
192) Joann. Mett. vita Joann. Gorz. c. 83 bei Pertz, Mon. VI, p. 360.: postre
mum in libris de Trinitate multa intentione sudavit; in quibus cum de dialecticis
rationibus quaedam offendisset, maæime ubi .... eam quae dicitur ,, ad aliquid“
cathegoriam introducit eiusque occasione de omnibus quoque decem praedicamentis
strictim quaedam commemorat, scholasticam moae super his sibi operiendis eæpetens
ab ipsis introductionibus Isagogarum laborem arripuit lectionis. In quo cum diu
.... luctaretur, repente dominus pater Einoldus (Abt zu Gorz) medios praecidit cona
tus .... tempora in his frustra eæpendere nolens ab hoc studio eum avertit iussitque,
vt animum potius sacra lectione occuparet.
193) Näheres über ihn s. b. J. Chr. Gatterer, Commentatio de Gunzone. Nürnb.
1756. 4.
194) Anon. Salern. bei Pertz, Mon. III, p. 534.: Ludovici secundi imperatoris
aetate triginta duos philosophos Beneventi vivisse , inter quos Henricus liberalibus
disciplinis non solum apprime imbutus, sed etiam proba veritate deditus. Pertz er
P R A N T l, Gesch. II. - 4
50 XIII. Gunzo.
Gewicht legen wollem. Kurz jener Gunzo hat in einem i. J. 960 an
die Reichenauer Mönche geschriebenem Briefe '°°) Gelegemheit, nicht
bloss logisches Material zu erwähnen, wobei wir hervorheben dürfen,
dass er ausser dem Marcianus Capella und Arist. d. interpr. auch die
ciceromische und die aristotelische Topik (letztere gewiss nur in jener
Vereinigung beider Topiken bei Boeth. d. diff. top.) nennt *°°), sondern
er geht auch mit einem gewissen Forschungssinne und jedenfalls mit
Vorliebe und Lobeserhebungen auf den gleichsam als Zauberkunst wir
kenden lnhalt der Logik, zumal der Lehre vom Urtheile, ein **"), und
versucht selbst nicht ohne Geschick die logische Technik auf anderwei
tigen Stoff anzuwenden 19°). Sodann aber, was uns das Wichtigste
klärt philosophus als clericus vel monachus, vielleicht richtiger Giesebrecht (De litt.
stud. ap. Italos. Berol. 1845, p. 15.) als doctor artium liberalium.
195) Die Weranlassung des Briefes liegt darim, dass Gunzo in St. Gallen beim
geselligen Mahle wegem eines Grammatikal-Fehlers eine bittere Verunglimpfung von
Eckehard erfahren hatte, worüber er num die Reichenauer um schiedsrichterliche
Entscheidung bittet. Abgedruckt ist der Brief b. Martene, Vett. scriptt. ampliss.
coll. I, p. 294 ff.
196) Ebend. p. 304.: Adveniens (d. h. mach St. Gallem) deferebam paene
centum librorum volumina ..... inter quae erat Marciani in septem liberalibus disci
plinis succincta veritas ..... ; deportabatur quoque Platonis in Timeo (d. h. Chal
cidius) viæ intellecta profunditas, Aristotelis in libro Periermenias aut nostris viae
temporibus tentata aut non perspecta obscuritas (Wirkung jemes nun schon oft er
wähntem Sprüchleins), Ciceronis Aristotelisque non contemnenda Topicorum dignitas
(selbst schon der Wortausdruck weist uns sicher nur auf des Boethius Werknüpfung
der ciceronischen und aristotelischen Topen hin).
< 197) Ebend. p. 305 : Haec (sc. Minerva, d. h. die Wissenschaft) ita aliquando
ambiguitate obfuscatur, ut quae res cui generi subponi debeat difficile possit inve
niri; verbi gralia si quis ita proponat, cum 0mnia quaecunque sunt aut substantia
aut accidens habeantur, quid de differentia dicendum est, quae neque substantia ne
que accidens dici potest? Subslantia dici nequit, quia n0n praedicatur in e0 quod
quid sit ; accidens idcirco vocari non potest, quia substantiam informat (vgl. Anm.
109. u 150.); quod enim substantiam constituit, in substantia praedicatur. Est
autem haec tam subtilis prudentiae , ut decem et novem modorum conclusionibus
(diess aus Marcianus Cap., s. Abschn. XII, Anm. 68.) omnem paene logicen philo
sophiam concludi eæistimet, quae Aristoteli adeo obsecuta creditur, ut ei nutriæ
credatur. Scit sophistica stullos cavillatione decipere, monstrat tamen qualiter ipsa
cavillatio possit evitari; falsa veris quando vult sic farcinat, ut uno eodemque
temp0re eodemque l0c0 rite convenire videantur; esse etiam et non esse arcana qua
dam ratione (also wie eine magische Kunst) simul concurrere fingit, propositionum
suarum quadraturam eo modo dispositam autumat, qualenus obliquorum laterum
recursus aliquando sine coactione redeat, aliquando coactione operiatur (er meint
die Figuren bei Boethius, Abschn. XII, Anm. 113. u. 125.); huic non satis est, ut
dicatur. malum esse quod est, sed quia bonum non est; verba secundum se nomina
esse putat, nam et qui dicit auditum constituit, et qui audit quiescit, ipsaque non
nisi in instanti tempore iudicat dici posse (vgl. Abschn. XII, Anm. 83 f. u. 111.).
Ubique se vertit ad singulos ac veluti ludens venena mordacitatis, quae venena mon
strata cuti vitam non intercludunt.
198) Ebend. p. 310.: 0ritur quoque magna inter philosophos de coelestibus
corporibus quaestio (s. Boeth. p. 85., woselbst die Weranlassung der Bemerkung
Gunzo's), utrum animata sint `an inanimata, et Plato quidem non solum animatâ
sed et rationabilia et immortalia putat, Aristoteles inanimala et immortalia. Ea:
quo secundum opinionem Platonis contrarium quiddam conficitur diffinitioni Porphyrii,
qui differentias substantiales et divisivas affirmat generum et constitutivas specierum ;
sed irrationalis et immortalis differentiae secundum Platonem nullam speciem con
formant (d. h. wenn sie bei Plato vernünftig und unsterblich sind, so müsste mach
XIII. Gunzo. Wolfgang. Abbo. Bernward. 51
ist, zeigt er ein Bewusstsein des Gegensatzes zwischen Platonismus und
Aristotelismus bezüglich der Geltung der Universalien 199), und er seheint
hierin auf einem Standpunkte zu stehen, welcher die beidem, von uns
oben S. 85 auseinandergehaltenen Fragen zugleich ins Auge fasst, denn
er entscheidet sich offenbar auch im Hinblicke auf jene die voae be
treffenden Stellen des Boethius für eine platonisch realistische Auffassung,
wobei. das Gebiet der Wortbezeichnung als das veränderliche und an
sieh unstáte erscheint *°°).
Anderes hinwiederum, was der zweitem Hälfte oder dem Ende des
10. Jahrh. angehört, können wir nur als Beleg des Fortbestandes der
Schultradition anführen ; so wenn berichtet wird, dass Bischof W o I f
ga m g in Regensburg (um d. J. 970) in einer Iheologischem Disputation
die verschiedemen Arten, in welche das accidens eingetheilt werden
kann, in Anwendung brachte, wobei jedoch bemerkenswerth ist, dass
die dialektische Methode als carnalis antidotus bezeichnet wird *"'),
oder wenn die logischen Studiem des A b b o von 0rleans (gest. 1004),
welcher in Fleury studirte und später ebendort docirte*"*), und des
Bischofes B e r n war d in Hildesheim (gest. 1022) erwähnt werden *"*),
Porphyrius danm auch eine Species von Wesen existiren, welche unvernünftig und
unsterblich wärem; eine solche aber gibt es bei Plato nicht); licet Aristotelis opi
nio a Porphyrii diffinitione non dissentiut.
199) Ebemd. p. 305.: Aristoteli genus, speciem, differentiam, proprium et
accidens subsistere denegavit (sc. Minerva), quae Platoni subsistentia persuasit.
Aristoteli an Platoni magis credendum putatis ? Magna est utriusque auctoritas,
quatenus viæ audeat quis alterum alteri dignitate praeferre.
200) Ebend. p. 299. : Boethius vir eruditissimus in libro peri Ermenias se
cundae editionis audite quid dicat: Adminiculari quis debet obscuris sensibus pa
tientia et consensu, quod ad sententiam dicentis spectat, etsi sermonum ratio se ita
non habeat...... Cui rei Aristoteles in libro peri Ermenias congruit his verbis:
sunt ergo ea quae sunt in voce, earum quae sunt in anima passionum notae. 0mnis
nota alicuius rei nota est; prius ergo res est quam nota; res ergo prius ponderanda
est quam mota.
201) Vita Wolfgangi c. 28 bei Pertz, Mon. VI, p. 538.: Quidam haereticus ....
quod verbum caro faclum est oppugnans diacit ,,si verbum, non est faclum, aut si
factum, non est verbum“..... worauf Wolfgang: Quia non per spiritualem sed per
carnalem medicandus es antidotum, dic quid sit accidens. llle vero multum arro
ganter ,,accidens est, inquit, quod adest et abest praeter subiecti corruptionem“
(diess. die Definition des Porphyrius, s. Abschn. XI, Anm. 47.). Rursumque prae
sul : ,,quot formarum sit accidens, edicito.“ At ille ... conticuit. Theologus autem
.... succincte disseruit: Accidens est, inquit, quadriforme; unum quod nec accedit
nec recedit, ut acilus (wohl zu lesen calvus) et simus (auch Boeth. p. 110. nimmt
ebenso das griechische σιμός unverändert herüber); aliud quod accedit et recedit,
vt saturitas et dormitio; tertium quod non accedit et tamen recedit , ut infantia et
pueritia; quartum quod accedij et non recedit, ut senectus et canities. Hac ergo
similitudine filius .... induit quasi per inseparabile accidens humanitatem etc. Die
Wiertheilung selbst ist erst aus den erklärenden Beispielem bei Boeth. p. 80. ge
macht, denn bei. Porphyrius liegt nur Zweitheilung vor, s. Absclim. XI, Anm.
44. u. 47.
202) Aimoin. vita S. Abb. c. 3. b. Mab. Act. Bened. VI, 1, p. 30 ff.: Diversorum
adiit sapientiae officinas locorum ..... quapropter Parisiis atque Remis ad eos qui
philosophiam profitebantur profectus ...... denique quosdam dialeclicorum modos syl
logismorum enucleatissime enodavit etc.
203) Thangmar (Scholasticus in Hildesheim und Lehrer Bernward's, dessen
Leben er beschrieb), Prol. vitae Bernw. b. Pertz, Mon. VI, p. 758. :. interdum sim
4*
52 XIII. Bernward. Walther v. Speier.
. und zwar bei beidem der Berichterstatter in eigenthümlichen Ausdrücken
die Schwierigkeiten der syllogistischen Uebungen hervorhebt; das Gleiche
gilt auch von einer Notiz, welche die Schule in Worms betrifft und
sich wieder des Wortes fuga (s. oben Anm. 97) zur Bezeichnung der
Dialektik bedient *''*). Etwas ausführlicher beschreibt den Gang seiner
eigenen Studien Walth e r v o n S p e ier, welcher zur Zeit des Re
gierungsantrittes Otto's III. (i. J. 983) eine Vita S. Christophori in sechs
Büchern (in Hexametern) verfasste, deren erstes unter der Ueberschrift
„Scholasticus“ in schwülstiger Allegorie die Darstellung der sieben freiem
Künste enthält *°°); und es ist nicht ganz ohne Interesse, zu sehen,
wie Walther an der Hand des Boethius (s. Abschn. Xll, Amm. 77 u. 82)
die Theile der Logik, nemlich Isagoge, Categorien, d. interpret., Ana
lytik und Topik, aufzählt und bei letzterer sich an Boeth. d. diff. top.
anschliessend das Nebeneinandertreten des Dialektischen und des Rheto
rischen amerkennt, um zuletzt auf Cicero als den Vertreter der eigent
lichen Rhetorik, soweit dieselbe nicht dem Dialektischen anheimfällt,
hinzuweisen *"").
plici conteactu rationem contulimus, saepe syllogisticis cavillationibus desudavimus;
ipse quoque me crebro, etsi verecunde, acutis tamen et eae intimo aditu (zu lesen
adyto) philosophiae prolatis quaestionibus sollicitabat. -
204) Lantbert. vita Herib. c. 3. b. Pertz, Mon. VI, p. 741.: Dilectissimam pro
lem provehi ardebant (d. h. die Eltern Heribert's gegen Ende des 10. Jahrh.) aetate
et litterali studio; ac per hoc Wormaciae idoneis personis contradunt eum in d0m0
apostolorum principis, ubi cum eaeteriori disciplina utriusque testamenti imbueretur
paginis. Patent illi perpropere quaecunque obscure geruntur in poemate, nec latent
eum fugae et nodosi amfractus in Socrate (hiebei ist wohl Plato gemeint, denn an
Isokrates ist doch sicher nicht zu denken) et Aristotele et quolibet alio sinuoso
rethore (Rhetorik und Dialektik scheinen als gleichbedeutend genommen zu sein,
wie in obiger Stelle des Saxo, Anm. 48.).
205) Gedruckt b. Pez, Thes. Anecd. II, 3, p. 27 ff. (die Zeitangabe Walther's
selbst über die Abfassung seines Gedichtes steht am. Schlusse des 6. Buches).
206) Der Titel des 1. Buches (ebend. p. 35.) lautet: Primus libellus de stu
dio poetae, qui et scholasticus, und nachdem von der Poesie gehandelt ist, folgt
die Philosophie p. 39.: Inde ubi , maiorum tetigit nos cura ciborum, Porphyrius
claras nobis reseravit Alhenas, Qua multi indigenae librabant verba sophistae. Cer
nere erat quandam vultu pollente puellam, Practica cui limbum pinaeitque theorica
peplum (s. Abschn. XII, Anm. 76.) , Et licet effigiem macularet parva (l. prava)
vetustas , Ipsa tamen ternas suspendit ab ubere natas (s. ebend. die Dreitheilung
des Theoretischen). Praestitit haec nobis summi subsellia lecti, Et postquam strato
licuit discumbere cocco , Procedunt senae turba comitante sorores (d. h. Dialektik,
Rhetorik, Rhythmik, Mathematik, Musik, Astronomie). Ingenui vultus non absque
gravedine gestus Adducit famulas praestanti corpore quinas (d. h. die sogleich fol
genden fünf Theile) 0mnia sub gemino claudens Dialectica puncto (der doppelte
Gesichtspunkt ist inventio und iudicium, s. Abschn. XII, ebend.). Prima quidem
(die Isagoge) miles generali nomine pollens Insigni/a tribus (d. h. genus, species,
differentia) unum selegit amictum. Hanc vice cohtinua sequitur gradiente secunda
(die Categorien). Tertia (die Lehre v. Urtheile) discrevit quidquid primaeva coegit,
Dans operam sane cirros, crispare secundae, Quos quartae (Syllogistik, d. h. Analy
tik) solido collegit fibula nodo (über nodus vgl. obige Anm. 202. u. 204.). Instà
bilem fucum tulit ultima (die Topik) quinque sororum Docta quibus geminas decer
nens Graecia formas , (d. h. dialektische und rhetorische Topen) Pinacit ,,quale**
tribus, ,,quid sit“ referendo duabas (d. h. das Quale liegt in persona, tempus,
circumstantiae, s. Abschn. XII, Anm. 166., hingegen das Quid in definitio und de
scriptio , s. Abschn. XI, Anm. 96.), Ut reboant nobis deliramenta Platonis (diess
weiss ich nicht zu erklärem). Inde suam stipat comitem pressura sodalem Rhetori
XIII. Gerbert. 53
Ja auch von dem berühmten G er b e r t (als Papst Sylvester II.
gest. 1003) miissen wir das Gleiche behaupten, nemlich dass er un
selbstständig lediglich in der Schul-Tradition befangen blieb, wenn wir
auch bei ihm eben darum etwas länger verweilen müssem, weil an ihm
und sein Auftreten sich höchst schätzbare Notizen betreffs der beschränk
ten Behandlungsweise der Logik in jener Zeit anknüpfen 207). Es er
zählt uns nemlich zunächst ein Zeitgenosse Gerbert's, wie derselbe in
seiner Jugend von einem hervorragenden Kleriker in Rheims (wahr
scheinlich Giselbert) in die Logik eingeführt worden sei und dann als
hald als Lehrer der üblichen Schulwissenschaftem ebendaselbst zu wir
ken begonnen habe *"*). Indem aber der Berichterstatter hiebei auch
das ganze logische Material, dessen sich Gerbert beim Unterrichte be
diente, ausführlich und vollständig aufzählt, erhalten wir einen ebenso
wichtigen als entscheidenden Beleg dafür, dass man auch am Ende des
10. Jahrh. noch immer die von Boethius herrührende Uebersetzung der
Analytiken und der Topik des Aristoteles nicht kannte, denn gerade
diese sind es, welche unerwähnt bleiben, während alle übrigen Ueber
setzungen und eigenem Arbeiten des Boethius (s. Absch. XII, Anm. 72 f.)
der Reihe nach angeführt werden; auch ist bemerkenswerth, dass Ger
bert den Unterricht in der Rhetorik erst nach iler Dialektik folgen liess,
sowie dass der erzählende Chronist die Rhetorik noch zur Logik rech
net und hiemit auf dem Standpunkte, welchen wir bei Isidor, Alcuin
und Hrabanus (Anm. 27, 54 u. 79) trafem, sich befindet *°°). Ferner
cam duplicis vestitam flore coloris, Quae iaciens varias nervo pulsante sagittas Mon
strat hypothetici nobis spectacula ludi (s. Abschn. XH, Anm. 169.) Et iam cornuta
(vgl. oben Anm. 189.) surgens ad sidera fronte Causarum rivos patulo profudit ab
ore. Sed postquam illatas pepulit conclusio lites Ipsaque gravigenas compegit pace
sophistas , 0mnibus asseculum veniente porismate laetis Sub pedibus Logicae recu
babat meaea coaevae, Commissura tibi reliquorum munia, Tulli. Hierauf folgen
Rhythmik und die übrigen oben genanntem Disciplinen.
207) Die Schrift von Hock , Gerbert od. Papst Sylv. H. u. s. Jahrh. (Wien
1837) ist, selbst abgesehem von der schiefen Partei-Tendenz des Werfassers, in
Bezug auf die wissenschäftliche Thätigkeit Gerbert's und seimer Zeit höchst unge
nügend (vgl. auch S. R. Wilmans in d. Berl. Jahrb. 1839, II, p. 622.).
208) Richer. hist. III, 44 ff. b. Pertz, Mon. V, p. 617.: Juvenis igitur , apud
papam relictus ab eo regi (nemlich 0ttoni) oblatus est. Qui (d. h. Gerbert) de
arte sua interrogatus, in mathesi se satis posse, logicae vero scientiam se addiscere
velle respondit. .... Quo tempore G. Remensium archidiaconus in logica clarissimus
habebatur, qui etiam a Lothario Francorum rege eadem tempestate 0ttoni regi Ita
liae legatus directus est (einen anderen Archidiaconus von Rheims aus jener Zeit,
dessen Name mit dem Buchstabem G begánne, konnte ich nicht finden, als den
Giselbert, welcher im J. 948 bei dem Ingelheimer Concil anwesend war, s. Marlot,
Metrop. Rem. hist. Ins. 1666. I, p. 464.). Cuius adventu iuvenis eæhilaratus regem
adiit atque ut G...o committeretur obtinuit. E G...o per aliquot tempora haesit Re
mosque ab eo deductus est. A quo etiam logicae scientiam accipiens in brevi ad
modum profecit, G...s * vero cum mathesi operam daret, artis difficultate victus a
musica reiectus est. Gerbertus interea studiorum nobilitate praedicto metropolitano
commendatus eius gratiam prae omnibus promeruit, unde et ab eo rogatus discipu
lorum turmas artibus instruendas ei adhibuit.
209) Ebend. (fortgefahren): Dialecticam ergo ordine librorum percurrens dilu
cidis sententiarum verbis enodavit. In primis enim Porphyrii ysagogas id est intro
ductiones secundum Victorini rhetoris translationem , inde etiam eiusdem secundum
Manlium eæplanavit, Cathegoriarum id est praedicamentorum librum Aristotelis con
54 a. XIII. Gerbert.
aber wird berichtet, dass Gerbert sich mit dem Entwurfe einer Figur
beschäftigte, in welcher die Eintheilung aller Dinge in eine Tabula
logica gebracht werden sollte, wozu natürlich jene bei Boethius sich
findende Tabelle die Veranlassung gab; er kam jedoch hierüber in
Streit mit 0tricus, und es knüpfte sich hieran eine philosophische Dis
putation, welche in Gegenwart des damals fünfzehnjährigen Otto Ill. i.
J. 970 in Ravenna statlfand ° '°). Eine andere ausführlichere Erzählung
betreffs dieses Gespräches lässt ums deutlich erkennen, dass dabei die
streitenden Personen lediglieh die Angaben des Boethius (im Commen
tare zur Isagoge) auswendig wusstem und auf solcher Basis die Con
troverse erörterten, ob Rationale ein engerer Begriff als Mortale sei,
oder nicht vielmehr umgekehrt letzterer als der engere sich erweise ?1!).
sequenter enucleans; periermenias vero id est de interpretatione librum, cuius la
boris sit, aptissime monstravit; inde etiam topica id est argumentorum sedes a
Tullio de graeco in latinum translata et a Manlio consule sea commentariorum
libris dilucidata suis auditoribus intimavit, necnon et quatuor de topicis differentiis
libros, de sillogismis cathegoricis duos , de ypotheticis tres, diffinitionumque librum
unum, divisionum aeque unum, utiliter legit et eaepressit. Post quorum laborem
cum ad rhetoricam suos provehere vellet, id sibi suspectum erat, quod sine locu
tionum modis, qui in poetis• discendi sunt, ad oratoriam artem ante perveniri non
queat; poetas igitur adhibuit ...... quibus assuefactos locutionumque modis com
positos ad rhetoricam transduacit; qua instructis sophistam adhibuit, apud quem in
controversiis ezercerentur ac sic ea, arte agerent, ut praeter artem agere viderentur,
quod oratoris mavimum videtur. Sed haec de logica, in mathesi vero etc.
210) Hugo Flavin. Chron. Virdun. b. Pertz, Mon. X, p. 367.: Hoc tempore
0tricus apud Saarones insignis habebatur ..... Adalbero Romam cum Gerberto petebat
et Ticini Augustum (d. h. 0ttonem) cum 0trico reperit, a quo ductus est Raven
nam; et quia anno superiore 0tricus Gerberti se reprehensorem in quadam figura
cum multiplici diversarum rerum distributione (aus Boeth. p. 25., s. Abschn. XII,
Anm. 87.) monstraverat, iussu Augusti 0mnes palatii sapientes intra palatium col
lecti sunt, Archiepiscopus qu0que cum Adsone abbate Dervensi et scholasticorum
numerus non parvus, et coepta disputatione cum iam totum paene diem consumpsis
sent, Augusti nutu finis impositus est.
211) Richer a. a. 0. c. 60 ff. p. 620 f.: 0tricus .... ait: quoniam philosophiae
partes aliquot breviter attigisti, ad plenum oportet ut et dividas et divisionem eno
des .... Tunc quoque Gerbertus: .... secundum Vitruvii (zu lesen , Victorini) atque
Boetii divisionem dicere non pigebit; est enim philosophia genus; cuius species sunt
practice et theorelice; practices vero species dic0 dispensativam , distributivam, ci
vilem; sub theoretice vero non incongrue intelliguntur phisica naturalis, mathematica
intelligibilis, ac theologia intellectibilis (aus Boethius, s. Abschn. XII, Anm. 76.)
..... Tunc vehementius 0tricus admirans ait: an mortale rationali supponis? quis
nesciat, quod rationale deum et angelum hominemque concludat, mortale vero utpote
maius et continentius omnia mortalia et per hoc infinila colligat ? Ad haec Gerber
tus: si, inquit, secundum Porphirium atque Boetium substantiae divisionem usque
ad individua idonea partitione perpenderes, rationale continentius quam mortale sine
dubio haberes; idque congruis rationibus enucleari in promptu est. Etenim cum
constet, substantiam genus generalissimum per subalterna posse dividi usque ad in
dividua, videndum est an omnia subalterna singulis dictionibus proferantur. Sed
liquido patet, alia de singulis aliu de pluribus nomen factum habere, de singulis ut
corpus, de pluribus ut animatum sensibile; eadem quoque ratione subalternum quod
est animal rationale, praedicatur de subiecto quod est animal rationale mortale;
nec dic0, qu0d rationale simpleae praedicetur de simplici mortali, id enim non pro
cedit, sed rationale inquam animali coniunctum praedicatur de mortali coniuncto
animali rationali. Cumque verbis et sententiis nimium flueret et adhuc alia dicere
■*; Augusti nutu disputationi finis iniectus est. (Sämmtliches aus Boeth.
a. a. 0.) - - -
XIII. Gerbert. 55
Den Gegenstand jener Disputation hatte num Gerbert noch weiter
verfolgt, und es entstand daraus die an 0tto Ill. gerichtete Schrift „De
rationali et ratione uti**1*), eine höchst abenleuerliche Verquickung
eines unverdautem Schulwissens, wobei das so eben erwähnte Rationale,
auf welches ja auch schon eine Stelle des lsidorus hingewiesen hatte
(s. oben Anm. 45), näher in Betracht gezogen wird. Nemlich nach
einer Einleitung, welche ausdrücklich an jenen erfolglosen Streit zu
Ravenna anknüpft*!*), wird als Thema der aus Boethius (oben Anm.
46) entnommene Zweifel bezeichnet, wie denn der Wernunftgebrauch
(ratione uti) von dem vernünftigen Wesen (rationale) als* Prädicat aus
gesagt werden könne, da ja doch immer der Prädicatsbegriff @r höhere
oder, weitere (maior) sein müsse ?1*). Dieses Bedenken, welches uns
höchstens darum interessant sein kann, weil es einen Beleg dafür ent
hält, wie einseitig die Schul-Logik des späteren Alterthumes bloss dem
Umfang, nicht aber den Inhalt der Begriffe berücksichtigt hat (s. Abschm.
XI, Anm. 43), wird nun auf eine ebenso ungeschickte als bloss formale
Weise gelöst. Zunächst nemlich soll jenes Prädicats- Verhältniss zwi
schen Wernunftgebrauch und Wernunftwesen dadurch gerechtfertigt wer
den, dass ersterer als ein Actuelles das Höhere sei *'°). Dagegen aber
erhebt sich der Einwand, dass ja überhaupt die Unterordnung der Be
griffe nur in allgemein bejahenden Urtheilen ausgedrückt werden könne,
also dann der Wernunftgebrauch von sämmtlichen Wernunftwesem prä
dicirt werden müsse, was zu einem unwahren Urtheile führe *'°); fer
ner sei das Actuelle eben doch von dem Dasein des Potenziellen ab
212) Gedruckt b. Pez, Thes. Anecd. I, 2, p. 149 ff. Was H. Ritter (Gesch.
d. Phil. VII, p. 304 ff.) über diese Schrift Gerbert's sagt, ist unhaltbares Gerede;
aus einer Stelle (p. .307, Anm.) müsste man ja fast schliessen, dass ihm der seit
Boethius im Mittelalter eingebürgerte Unterschied zwischen Intelligibilis und Intel
lectibilis (s. Abschn. XII, Anm. 76.) unbekannt sei. -
213) A. a. 0. p. 149.: Meministis enim et meminisse possumus, adfuisse tum
multos nobiles scholasticos et eruditos , inter quos nonnulli aderant episcopi .....
Eorum tamen vidimus neminem, qui earum quaestionum ullam digne eæplicuerit,
quod quaedam nimis ab usu remotae nec dubitationem ante habuerint, et quaedam
saepenumero ventilatae dissolvi non potuerint.
214) Ebend. c. 1, p. 151.: Quaeritur, inquiunt, quid sit, quod ait Porphy
rius, differentiam velut ád cognatam sibi differéntiam praedicari, ut ratione, uti ad
ratiónalé, cum maiora de minoribus semper praedicentur, minora de maj9ribu$ nun
quam. Zu der schon obën, Anm. 46., angeführtem Stelle des Boethius kommt
fiiebei noch folgende p. 37.: nam si qua differentia dicta fuerit, de .glia differen
tia, ut differentia intelligatur, praedicabitur ..... nam ratione uti, differenlia, ad
rationalem"differentiam veluti cognata differentia praedicatur. Der Lehrsatz betrefis
des maior stéht gleichfalls b. Böeth. p. 28. (s. âuch Abschn. XII, Anm. 124).
215) Ebend.: Sed rationale, inquiunt, potestatis est sine actu, ratione uli.
potestatis cum actu; plus vero est potestas cum actu, quam sola potestas; iure,
inquiunt, ergo praedicatur ratione uti de rationali tanquam maius de 'minori. Diese
Ansicht über pòtestas und actus findet sich b. Boeth. p. 454.: negesse est,. ut ea
quae actu sunt, his quae sunt potestate , priora sint (s. Abschn. XII, Amm. 122.).
216) C. 2, p. 15i.: Quae à generalissimis ad specialissima recta linea descen
dunt, ... talia sunt, ut inferiora universaliter prolata superigrum omnia nomina
diffinitionesque suscipiant (s. Boeth. p. 21. u. òfiers)... Quodsi eodem modo ratio
náie sub rdtvone uti positum sit, qüomodo universaliter prolatum suscipiet nomet?
sui praedicati idem rationale? non enim omne, quod rationale est, ratione uti
putatur.
56 XIII. Gerbert.
hängig und könne deshalb überhaupt nieht jene höhere Stelle einneh
men, welche im Wesen des Prädicatsbegriffes liege **"), und es müsse
auch ein abermals hiegegen gerichteter Einwand betreffs der hohen
Würde des Wernunftgebrauches zuletzt wieder an der Eintheilung der
Wesen überhaupt scheitern ?1°). Wenn aber mun hierauf gesagt wird,
diese ganze bisherige Erörterung sei sophistisch, und es handle sieh
vielmehr um die eigentliche Natur des Actuellen und des prius, sowie
des Prädicates ?1°), so erwarten wir wohl eine tiefer gehende Unter
suchung, aber vergeblich. Denn was nun folgt, besteht zunächst nur
in einem Excérpte aus Boethius bezüglich der verschiedemen Arten der
Actualität**°), woram sich dann, um auf das Rationale zurückzukehren,
die Unterscheidung der ewigen und der veränderlichen Natur anreiht,
wobei die Angabem des Boethius in ähnlicher Weise wie bei Scotus
Erigena (ob. Anm. 113 ff.) aufgefasst werden ***), so dass der Wer
nunftgebrauch (ratione uti) als ein in die Erfahrungswelt verfioehtener
217) C. 3, p. 152.: potestas actum omni necessitate praecedit, et quia haec
praecedentia non solum priora, sed etiam interemta interimunt secum posteriora,
mecesse est potestate ablata actum quoque auferri .... Non igitur quod natura p0
sterius est, de eo praedicabitur quod natura prius est; est autem natura prius
potestas , posterius actus; non igitur secundum potestatem et actum praedicabitur
Tatione uti de rationali. Auch dieser Gegenbeweis ist aus der memlichen Stelle
des Boethius (p. 451.) entnommem.
218) C. 4, ebend.: Sed merito, inquiunt, suae dignitatis seu eæcellentia seu
potentia numerosius est ratione uti, quam rationale. At natura generum, specierum
vel differentiarum non suscipit; homo enim et asinus aeque sub animali sunt, et
deus atque homo aequaliter participant rationali differentia. Diess steht wieder in
jener Stelle b. Boeth. p. 95., von welcher die Controverse ausgegangen war.
219) C. 5, ebend.: Quapropter sophistica, id est cavillatoria, conluctatione
remota quaedam de naturq potestatis et actus eæplicanda sunt, et in qua eorum
specie rationale et ratione uti versentur, de natura quoque prioris, utrum praedica
tionibus conveniat, et nonnulla de praedicationum natura et ordine, ut quasi quodam
filo .... disputatio deducatur.
220) C. 6—10, p. 153—156. Das Original hiezu ist wieder Boeth. p. 451 ff.,
selbst mit Einschluss der zur Erläuterung diemendem Beispiele, deren Eines hin
gegen aus Boeth. p. 95. genommen ist. Der lnhalt, welcher natürlich ursprünglich
der aristotelische ist (s. Abschn. XII, Anm. 119. u. Abschn. IV, Anm. 281 ff.) dreht
sich um die Unterscheidung des actus necessarius und des actus non necessarius,
welch letzterer entweder a potestate oder a`subsistendo entsteht, und endlich des
bloss Potenziellen. Gerbert bringt diese Eintheilung in eine Tabelle, worin man
wohl nur ein geringes Werdienst erblicken kann, denn dass er nicht einen einzigen
eigenen Gedanken hat, zeigt hier wie im Folgendem unsere Zurückführung auf die
Quelle, d. h. auf Boethius.
221) C. 11, p. 157.: Est igitur rationale , dum est in intelligibilibus, sub
necessaria specie actus .... immobilis et necessarii; sed quia haec intelligibilia,
dum se corruptibilibus applicant , tactu corporum variantur, transeunt haec omnia
rursus ad potestutem. Aliter enim rationale vel, ut universalius dicamus, aliter
genera et species, differentiae, propria et accidentia, in intellectibilibus , aliter in
naturalibus ; in intellectibilibus quoque rerum formae sunt, in intelligibilibus alia
sunt quidem passiones, alia sunt actus , nam quoniam in anima versantur, dum
intelliguntur, animae passiones sunt. Die Quelle hievon ist Boeth. p. 452. u. p.
56., woselbst auch die nemliche Beiziehung der quinque voces sich findet. Das
intellectibile ist der realistisch theologische Urgrund der formae (ob. Anm. 109.),
das intelligibile hingegen dasjenige, was die Wernunft an den Dingem selbst er
fasst, s. oben Anm. 211.
XIII. Gerbert. 57
dem Accidentellen angehöre ***). Hieraus wird damn natürlich ge
scblossen, dass der Wernunftgebraueh nicht selbst eine differentia sub
stantialis sei, sondern erst in Bezug auf eine verwandte Differenz aus
gesagt werde ***). Und wenn hierauf wieder in der nemlichen unge
schickten Weise wie zu Anfang auf das Verhältniss des Umfanges zu
rückgekehrt wird, da ja dann der Prädicatsbegriff der engere sei, so
wird jetzt erst auf Grund des Boethius angegebem, dass die Accidentien
von den Individuen ausgesagt werden ***), und im Hinblicke auf die
Eintheilung der Urtheile bezüglieh ihrer Quantität***) folgt num das
Resultat, dass der Satz ,,rationale ratione utitur“ eben ein unbestimm
tes Urthei] sei, welches weder als allgemein bejahendes noch als all
gemein verneimendes richtig ausgesagt werden könne *°°), — ein Resul
tat, durch welches allerdings jeder andere vernünftige Mensch von
vorneherein der ganzen Fragestellung überhoben gewesen wäre. Und
es zeigt sich uns somit Gerbert's Schrift • als eim sinnloses Treiben,
bei dessen Gelegenheit ebenso unnütz als zusammenhangslos verschiedene
Schulweisheit ausgekramt wird. — Uebrigens hält Gerbert als Theologe
nicht viel auf die Dialektik, und indem er in dieser Beziehung eine
Stelle aus Scotus Erigena, jedoch ohne denselben zu mennem, ausschreibt,
entscheidet er sich lieber für die realistische Deutung, welche jenem
Worten gegeben werden kamm ***). -
Einen ähnlichen Beweis davon, dass mam das traditionelle Schul
material kannte und in Anwendung brachte, gibt uns aus dem Anfange
des 11. Jahrh. nicht bloss ein Brief des Bischofes Burchard in Worms,
worin derselbe einem Freumd darüber belobt, dass er die üblichen sechs
Gesichtspunkte (s. Abschn. XII, Anm. 75. u. Abschn. XI, Anm. 141) bei
222) Ebend. p. 158.: merito ratione uti dicitur praedicari de rationali tan
quam accidens de subiecto; .... ratione uti facere est, qui enim ratione utitur, ali
quid agit;.... facere autem unum eae generalissimis generibus accidentium est ; igi
tur uti ratione accidens est.
223) C. 12. ebend.: quod rationale est, ratione uti potest .... ergo ratione
uti rationali accidit;.... non est igitur ratione uti substantialis differentia. C. 13,
p. 159.: Si igitur secundum Boetium ratione uti a ceteris animalibus differimus
sicut differentia rationali, iuste ratione uti ad rationale velut ad cognatam sibi dif
ferentiam praedicatur. Alles wieder aus Boeth. p. 95 f. u. p. 7. -
224) C. 14, p. 159.: Quoniam ergo minus de maiori praedicabitur, locus hic
admonet, ut de natura praedicationis pauca dicantur, worauf die betreffenden An
gaben des Boethius (p. 129., s. Abschn. XII, Anm. 92.) excerpirt werden.
225) C. 15, p. 160. Aus Boeth. p. 350., s. Abschn. XII, Anm. 113 f.
226) C. 15 f. p. 161.: Quia propositio talis est, ac si dicatur: quoddam
rationale ratione utitur; qui enim dicit, omne rationale ratione utitur, rem univer
salem universaliter enuntiat, et est affirmatio falsa, cuius negatio, id est nullum
rationale ratione utitur, similiter falsa reperitur (Boeth. a. a. 0.). . Diess ebem sei
(c. 16., p. 161 f.) der Unterschied zwischen einem solchen Urtheile und einer
propositio substantialis, d. h. einer Definition; s. Boéth. p. 651., Abschn. XII,
Anm. 103.
227) D. corp. et sang. Dom. c. 7., bei Pez, Thes. Anecd. I, 2, p. 140.: Senes
illi .... non dialecticis argumentationibus, sed verbis simplicibus et oratione compu
lerunt ad credendum ..... Et nos aliquando antequam tantorum virorum, Cyrilli dico
et Hilarii, auctoritatibus instrueremur, hanc discrepantiam (d. h. betreffs des`Abend
mahles) alicuius dialectici argumenti sede absolvere meditabamur. Non enim ars illa
etc., d. h. es folgen die ! obem Anm. 127. angeführten Worte des Scotus.
58 XIII. Adalbero.
Abfassumg eines Buches eingehalten habe ??°), sondern insbesondere ein
höchst eigenthümlicher Tractatus des Ad albero, Bischofs in Laoh (geb.
977, gest. 1030), welcher ein -Schüler Gerhert's war und einen unter
dem angehlichen Titel „De modo recte argumentandi et praedicandi
dialogus" uns handschriftlich erhaltenen Brief an Fulco von Amieiis
richtete ***), in welchem eine Mauleselin den Gegenstand syllogistischer
Spielereien bildet. Naclidem nemlich Adalbero das Thier als gänzlich
untauglich geschildert hatte, verfällt er auf den Gedanken, die Allge
meingültigkeit dieses verwerfendem Urtheiles logisch zu erproben, und
es folgt nun in Dialogform eine Erörterung darüber, dass das Urtheil
ein singuläres sei, dass es ein contradictorisches Gegentheil desselben
gebe u. dgl., woran sich die Aufforderung reiht, den Nachweis der
Untauglichkeit kunstgemäss zu liefern *°"); diess geschieht, indem das
ganze Register der hypothetischen Schlüsse im Dialoge antithetisch
durchlaufen wird **'), wobei auch Angaben logischer Regeln eingestreut
sind ***); das Ganze aber, das sämmtlich aus Boethius entnommen ist,
228) Bei Pertz, Mon. VI, p. 701.: In omni enim eæpositione auctorali et in
quolibet libro diversas seae causas quaeri convenit atque eaepediri oportet, sicut in
proemio editionis primae ysagogarum Porphyrii Severinus prudentissimus doctor Fabio
eaehortante dicendo instituit: ,,primum, inquit, docent, quae sit cuiusque operis
intentio, secundo quae utilitas, tertio qui . ordo, quarto si eius, cuius opus esse
dicitur, germanus propriusque liber est, quinto quae sit eius inscriptio, seactum est
id dicere, ad quam partem philosophiae cuiuscunque libri ducatur intentio*'. Haec
omnia in libro tuo caute conservasti etc. Da jenes b. Boeth. p. 1. steht, mochte
es wohl für besonders wichtig gehalten werden.
229) S. Pez, Thes. Anecd. 1, 1, p. XXIII. Eine in der Münchner Staatsbiblio
thek befindliche Emmeraner Handschrift sec. 11. (Cod. lat. 14272.) enthält diesen
anderthalb Folioseiten füllenden Brief (fol. 182 r.). Die erwähnte Ueberschrift
scheint nur auf Combination Pez's zu beruhem.
230) F(ulco). Denique haec mula .... non esset universaliter, sed potius aut
particulariter aut indefinite, quae paene unum sunt , inutilis proponenda .... Igitur
quae particulariter quoquo modo utilis est, omnimodis universaliter inutilis non est.
A(dalbero). Si hanc inutilem atque inhonestam indefinite vituperarem, verum a falso
non discernerem, nam huius mulae inutilitas, si universaliter esset dedicativa, par
ticulariter esset abdicativa (d. h. es würde dann zugleich Contradictorisches aus
gesagt). Sed haec vituperatio neque universaliter neque particulariter est determi
nata, ...... igitur quia singularis est, neutrum horum est. F. Singulare dedica
tivum nonne suum habet abdicativum?.... Putasne, universalis propositio universali,
particularis particulari, indefinita indefinitae sicut singulares contradictorie oppo
nuntur? A. Plane opponuntur; si substantia fuerit, erit praedicativa, sive sit sive
non sit. F. Putasne, si accidens ? A. Eodem modo opponuntur, si illud fuit inse
parabile. F. 0mne inseparabile contradictorie opponitur ? A. Non. F. Illud tantum
ímodo cui aliquid possit accidere, et illud dicitur substantiale. Sed nunc eae arte,
non de arte, nostris affirmationibus cum tuis repugnantiis hanc mulam esse inutilem
atque inhonestam convinci profiteberis. Hiebei ist die Doctrin des Boethius (bes. p.
342 ff. u. p. 383 ff., s. Abschn. XII, Anm. 113 ff.) mit der Terminologie des Mar
cianms Capella (ebend. Anm 66.) vermengt.
231) A. Mula haec si claudicat, male ambulat; atqui claudicat; igitur mule
ambulat. F. Mula haec si claudicat, male ambulat; atqui non claudicat; igitur non
male ambulat. A. Mula haec non, si claudicat, male non ambulat; atqui claudi
cat; igitur male ambulat. F. Mula haec non, si non male ambulat, claudicat;
atqui non male ambulat; igitur non claudicat. A. Si valida non est, debilis est;
atqui valida non est ; igitur debilis est u. s. f. (s. Abschn. XII, Anm. 155.).
232) A. 0mnis affirmatio et negatio semper est in praedicatis. F. Si simpliciter
praedicatur; si vero modus adverbialis (s. ebend. Anm. 119.) adhibetur , vindicat
XIII. Adalbero. Fulbert. Anonymus sec. 11. 59
schliesst mit der Hinweisung auf eine dämonische Causalität der Un
brauchbarkeit der Mauleselin, wobei, wie es scheint, sich beide strei
tende Parteien begnügen sollen 238).
. Gleichfalls ein Schüler Gerbert's war Fulb ert, Bischof von Char.
tres (woselbst er i. J. 990 eine Schule eröffnet hatte und seit 1007
als Bischof bis zu seinem Tode 1029. wirkte), welcher als Kenner der
Dialektik in hohem Ansehen stand ***) und sogar den Beinamen eines
,,Sokrates der Franken“ erhieli 238). Während uns aber bezüglich seiner
logischen Lehre durchaus Nichts näheres bekannt ist *°°), müssen wir
ihn als Lehrer des Berengarius von Tours jedenfalls hochschätzen, wenn
auch zu schliessen sein dürfte, dass Fulbert die Kenntnisse und Ge
wandtheit in der Dialektik noch völlig von dem theologisch-dogmatischen
Gebiete fermhielt, denn in letzterer Beziehung ermahnte er seine Schüler
zum strengstem Auctoritäts-Glauben 237).
Ueberhaupt aber dürfen wir eine gesteigerte Thätigkeit nach dem
Maassstabe jener Zeit schon darim erhlicken, wenn man wieder zur An
fertigung von Compendien schritt oder das vorhandene Sehulmaterial
mit fortlaufenden Commentarem bearbeitete, denn wenm auch hiebei noch
kein eigenes inneres Schaffen waltet, so wird doch die Erhaltung oder
Förderung des logischen Wissens wieder als eigentlicher. Zweck be
trachtet, d. h. die Thätigkeit gilt der Theorie als solcher, wenn auch
in unselbstständiger Weise. -
So hat ein A n o n y m u s am Anfange des 11. Jahrh. die Isagoge
und die Kategorien in Hexametern bearbeitet *°), um, wie er selbst in
der an einen gewissen Beno gerichteten prosaischen Einleitung sagt,
sibi vim contradictionis et modus intensionem et remissionem ponit praedicatis et
determinatio subiectis. A. Non eodem genere, cum alterum quantitate et qualitate,
alterum sola quantitate.
233) F. Sit quoquo modo inutilis ..... non tamen absque causa. A. Philo
sophi nihil sine causa tradunt fieri ..... Ergo quoniam huius mulae inutilitas sol
lertia daemonum effecta est, absque ulla contradictione omnimodis inutilis est. Hac
re mula probatur inutilis, non amicus, qui sibi ipsi adversarius vice functus est
alterius. - s. -
234) Trithem. d. script. eccl. p. 154. (ed. Colon. 1656. 4.): Fulbertus epi
scopus Carnotensis in scripturis divinis eruditissimus et in secularium litterarum
disciplinis omnium suo tempore doctorum doctissimus, • poeta clarus, et dialecticus,
multis annis scholae publicae praesidens plurimos doctissimos auditores enutrivit
(die hierauf genanntem Schriften Fulbert's sind nur theologischen lnhaltes).
235) Adelmanni (eines Mitschülers des Berengarius bei Fulbert) ad Berengarium
epistola, ed. Conr. Arn. Schmid. Brunsv. 1770. 8, p. 1.: Collactaneum te me meum
vocari propter dulcissimum illud contubernium, quod cum te .... in academia Car
notensi sub nostro illo venerabili Socrate iucundissime duaci. Aus dieser Stelle scheint
bei Späteren im Zusammenhange mit der theologischen Gereiztheit gegen Beren
garius jener Beiname Fulbert's geflossen zu sein.
236) Die Notiz, dass Fulbert an den Scholasticus eines Klosters die Isagoge
schickte (s. Fulberti 0pp. ed. Villiers, Par. 1608. Ep. 79, fol. 76 b.), ist un
erheblich. -
237) Adelmann a. a. 0. p. 3.: obtestans per secreta illa .... et obsecrans per
'lacrimas, ..... ut illuc omni studio properemus viam regiam directim gradientes,
sanctorum patrum vestigiis observantissime inhaerentes, ut nullum prorsus in diver
ticulum, nullam in novam et fallacem semitam desiliamus etc.
238) Aus einem Cod. St. German. (1095) abgedruckt b. Cousin , 0uvr. inéd.
d'Abel. p. 657—669.
60 XIII. Anonymus sec. 11.
durch diese , seine Erstlingsarbeit den Inhalt jener Bücher seinem Ge
dächtnisse einzuprägen *°°). Er beginnt mit der aus Boethius (Abschn.
XII, Anm. 77) entnommenen Eintheilung des aristotelischen Organons,
wobei er die Sache so auffasst, dass Aristoteles zuerst die erste Ana
lytik geschrieben habe und dann, als diese unverständlich gewesen,
hierauf die zweite Analytik, auf welche aus dem gleichen Grunde die
Topik habe folgen müssen, sowie hierauf D. interpr. und dann noch
die Kategorien; da aber Aristoteles behufs des Werständnisses nicht
noch weiter habe herabsteigen wollem und hiemit die quinque voces
verschwiegem habe, so sei hier die Thätigkeit des Porphyrius zum Glücke
ergänzend eingetreten **"). Der Inhalt der Isagoge wird dann sehr kurz
mit blosser Angabe der Begriffsbestimmung derº quinque voces abge
macht ***), und es folgen die Kategorien. Wenn hiebei der Werfasser
zu Anfang ausdrücklich sagt , es handle sich da nicht um die 'Dinge
selbst, sondern nur um die voces signativae der Dinge ***), und wir
hiemit eine Wiederholung jenes obigen (Anm. 149 ff. u. 159) nomina
listischen Standpunktes antreffen, so ist dieses aueh das Hauptsäch
lichste, was wir an diesem Compendium hervorhehen müssen; denn im
. Uebrigen schliesst sich dasselbe so enge an die pseudo-augustinische
Schrift über. die Kategorien (Abschn. XII, Anm. 43—50) an, dass es in
der That kurzweg als eine Versification desselben bezeichnet werden
muss ; höchstens mag noch bemerkt werden, dass die zahlreichen grie
chischen Termini, welche dabei in barbarischer Schreibung auftreten,
gleichfalls aus jener nemlichem Quelle fliessen, wo sie ja häufig genug
239) Wer jener Beno gewesen sei oder wo er gelebt habe, lässt sich aus
der ganz allgemein gehaltenen Einleitung nicht entnehmen. Ueber seine Arbeit
selbst sagt dort der Werfasser (p. 657 f.): Quoniam complurium mei ordinis scho
lasticorum, praesul venerande, oblatas tibi litteras omni gratiarum alacritate saepius
te audio suscepisse, .... tuae confisus pietati aliqua et ego offerre litterarum iocu
laria praesumo tuae maiestati. Fert animus dei adspirante gratia quam paucissimis
oratione metrica absolvere, quod Porphyrii Isagoge et Aristotelis Categoriae videntur
in se continere. Quod hanc ob causam maæime decrevi agere, ut, quae illi latius
diffudere , breviter collecta per me tenaci diligentius crederem memoriae. Nomina
quoque graeca quaedam interposui, ubi lege metri constrictus latina non potui; ....
id mihi ne ducatur vitio, primum abs te, pater piissime, cui hoc litterarum munere
ingenii mei primitias immolo, deinde ab omnibus veniam postulo.
240) Ebend. p. 658.: Doctor Aristotiles, cui nomen ipsa dedit res, Ingenio
pollens miro praecelluit omnes ; Hic natis post se dialectica ne latuisset, Primos
componens Analiticos studiose, De syllogismis ratio perpenditur in quis, Credidit ut
sapiens hos planos omnibus esse ; Sed cum nullus eis inlellectu capiendis Sufficeret,
rursus tentat proferre secundos; Quos neque posse capi cum sensit, Topica scripsit;
Hinc Perihermenias, postremo Cathegorias ; Post quas finitas descendere noluit infra.
Hic genus ac speciem, proprium, distantia stringens, Simbebicos etiam quid sint
omnino tacebat. Porphyrius tandem cernens, nisi cognita quinque Haec sint, bis
quinas nesciri cathegorias, Cuique suum finem signavit convenientem. (Vgl. auch
Boeth. p. 113., Abschn. XII, Anm. 84.)
241) Ebend. Nach der Definition der fünf Worte folgt: Ni nimis est longum,
communia dicier horum (d. h. was bei Porphyrius hernach erörtert wird, Abschn.
XI, Anm. 49. ff.), Non nos horreret, sed malumus ergo tacere, Ne generetur in his
tibi nausea discutiendis. -
242) Ebend. p. 658 f.: Post haec bis quinas pandamus cathegorias, In quis
vir doctus non eae ipsis quasi rebus, Sed signativis de rerum vocibus orans Sumit
ab omonymis tractandi synonymisque Principium etc. -
XIII. . St. Gállen. Notker Labeo. . 61
eingestreut sind, wonach jede etwa auftauchende Annahme, dass man
damals schon mit dem griechischem 0riginaltexte sich beschäftigt habe,
sehr einfaclf beseitigt ist?*°). -
Hauptsächlich aber findem wir um jene Zeit in S t. G alle m ein
ausgedehntere Bearbeitung des logischen Schulmateriales, wobei der
bekannte N ot k e r L ab eo (gest. 1022) jedenfalls das Werdienst hat,
die Anregung gegeben und die Ausführung geleitet zu haben, wenn
auch nicht alle hieher gehörigen Arbeiten aus seiner eigenen Hand selbst
hervorgiengen ***). Allerdings liegt aueh hier nur der traditionelle Stoff
zu Grunde, und eigentlich Neues ist nicht zu erwartem **°), aber die
Art der. Belhandlung des Ueberliefertem ist doch theilweise eine freiere
und zeigt jedenfalls ein himgebendes Interesse für die Sache selbst.
Die unbedeutendere unter diesem Schriftem ist ein ,, Tractatus inter
magistrum et discipulum de artibus“, indem hiebei lediglich das Com
pendium Alcuin's (ob. Anm. 48 ff.) mit Beibehaltung der dorligen Dia
logform excerpirt und ausserdem mur im Amfange, nemlich bei der Isa
goge und der Kategorie der Quantität, auch Boethius auszugsweise
benützt ist 24°).
243) Da das Ganze nur eine metrische Wiederholung Pseudo-Augustins ist,
erscheint es als überflüssig, Einzelnes anzuführen. Was. aber die griechischen
Worte, welche meistens durch Interlinearglossen lateinisch erklärt sind, betrifft,
mögen erwähnt werden: usya, simbebicos u. simbebicota, enarithma (§v>9;ua,
Abschn. XII, Anm. 43.), epiphania (b. d. Quantität), dann bei der Relation der
Hexameter: Thesin, diathesin, episthemin, estesim, eaein (d. h. ?7 votijunv, αἰσ9n
αιν, ἐιν), und desgleichen Dicitur omne quod est, vel eneria dinamive (d. h.
èvsQyeig u. övyópuει), sowie bei der Qualitât: Evis, diathesis, phisices dinamis
poeiesque (ποιότης) Passibilis, potius seu pathos, scemata morphae (σχήματα
$®; in dem Abschnitte über die Gegensätze habitus steresisque (στεgnouc),
und bei dem Postprädicamente der Bewegung: Auæesis, megesis, genesis, storas,
aliusis, Et kata ton foras metabeles associata (d. h. czü$mous, uεάωσις, γενεσις,
. q8ogá, êáÀotoοις, xtztà tòv τόπον, μεταβολή).
244) Wenn nemlich J. Grimm (Gött. Gel. Anz. 1835. N. 92.) der Ansicht ist,
dass Notker, der alleinige Werfasser sämmtlicher jener Schriften sei, und auch H.
Hattemer, Denkm. d. Mittelallers, III, p. 3 ff., sich unbedingt dieser Meinung an
schliesst, so scheint doch in Anbetracht der inneren Werschiedenheit jener Arbeiten
es richtiger zu sein, wenn wir mit Wackernagel, Gesch. d. deutsch. Litt. p. 80 f.
•(s. auch desselben Akad. Rede üb. d. Werdienst d. Schweizer um d. deutsche Litt.
Basel 1833.) annehmen, dass die Werke, welche Notker's. Namen tragen, von ver
schiedenem Autorem nur unter der Leitung desselben verfasst seien; s. auch unten
Anm. 262.
245) Wunderliche Dinge zwar sind zu lesen bei Ild. v. Arx, Gesch. v. St.
Gallem, I, p. 262.: „In der Dialektik, welche sie in die Logik, Peripatetik, Stoik
und Sophik eintheilten, waren Aristoteles, Plato, Porphyrius und Boetius ihre
Lehrer; die zehn Categorien uud die Periemerien des erstem, die fünf. Isagogen
des Porphyrius, und die Lehrart des Sokrates waren ihnen wohlbekannt.“ Aber
während man wohl sogleich sieht, dass diese ganze Mittheilung nur auf der gröb
stem Unwissenheit des Werfassers beruhen kann, sollte man doch vermuthen, dass
derselbe die Notiz betreffs der Eintheilung der Dialektik aus irgend eimer Hand
schrift geschöpft habe; ich wurde jedoch auch hierüber durch meinem Freund und
Collegen Conr. Hofmann beruhigt, welcher in St. Gallen bei Gelegenheit seiher
eigenem Forschungen auch in meinem Interesse bezüglich logischer Werke nach
sah, aber durchaus Nichts anderes finden konnte, als was durch Graff, Wackernagel
; Hattemer bereits veröffentlicht oder wenigstens angedeutet ist; s. auch unten
nm. 271. , -
246) Worhandem in einer Handschrift der Münchner Staatsbibliothek (Cod. lat,
62 XIII. St. Gallen. Notker Labeo.
Hingegen ein fleissigeres Studium des Boethius und eine etwas
freiere Verarbeitung des dort vorliegenden Materiales zeigen.jene beidem
Schriften, welche hekanntlich auch für dig Geschichte d£r deutschen
Sprache von höchster Wichtigkeit sind, nemlich die Bearbeitung der
Kα τηyogt o , und jene des Buches II eg i § Q u m v £ t α ς **"). Die er
stere Schrift hält sich, was den Text betrifft, im Ganzen strenge an
die Uebersetzung des Boethius ***), aber mitten in den Text ist Satz
für Satz eine Erklärung verflochten, welche selbst wieder das Haupt
sächlichste aus dem Commentare des Boethius enthält, und es berufi
sieh aut denselben der Verfasser einmal ausdrücklich ***); sehr häufig
wird die Beweisführung dieser Erklärungen in ihre Bestandtheile über
sichtlich durch Inhaltsangaben oder sonstige Ueberschriften, ja auch mit
der Bezeichnung Propositio, Assumptio, Conclusio gegliedert*°°), und
die erklärenden Beispiele sind an etlichen Stellen selbstständig ausge
dacht; bemerkt mag moch werden, dass der Werfasser mit offenbarer
Worliebe für Geometrie bei solchen Stellen länger und selbstständiger
verweilt, welehe eine Hinweisung auf jene Disciplin enthaltem *°').
Die Bearbeitung der Schrift IIsQi £gunvsiag schliesst sieh durch
gängig bezüglich des Textes wörtlich an die Uebersetzung des Boethius
an, und die Erklärungen, welche auch hier in gleicher Weise einge
flochten sind , beruhen ebenfalls auf dem Commentare des Boethius,
dessen * beide Ausgaben der Verfasser, wie er selbst andeutet, benützt
4621.), woraus Hattemer, Denkm. d. Mittelalt. III, p. 532 ff. nur die Capitel-Ueber
schriften veröffenllichte. . Die Eintheilung der Philosophie und der Logik ist fast
wörtlicb aus Alcuin genommen , bei den quinque voces aber werden die verschie
demen Unterartem derselben aus Boethius aufgezählt und mit Beispielen erlämtert;
der Abschniit über die Kategorien ist zu Anfang aus Alcuin mit Weglassung der
homonyma u. dgl. excerpirt, und nachdem nur bei der Quantität wieder Boethius
benützt ist, folgen die übrigen Kategorien wörtlich aus Alcuin, jedoch nur bis zum
habere, und won jenem Einen Beispiel-Satze (s. Anm. 57.) wird sogleich mit der
Ueberschrift. Quid sunt formulae syllogismorum auf Alcuin's Angaben über die Ar
gumentation übergegangen, welche ebenso wortgetreu wie die folgenden über Dif
finitio. Topica und Periermeniae excerpirt sind.
247) Herausgegeben von Graff (Berl. 1837. 4.) und von Hattemer a. a 0.
p. 377—465. u. 465—526. Eine kurze Zusammenstellung der hauptsächlichstem
deutschen Terminologie, welche jedoch für die Geschichte der Logik selbst ohne
alle weitere Wirkung war, gab ich in meiner Abhandlung ,,Ueb. d. zwei altesten
Compendien d. Logik in deutscher Sprache.“ München 1856. 4. p. 28 ff.
248) Nur kleine Abweichungen sind bemerklich, indem zuweilen eine Abkür
zung oder Auslassung oder auch Umstellung der Worte sich findet, oder z. B.
subteriora stati inferiora, cetera stati alia, subiacenl slatt subiectae sunt, respicere
statt ostendere steht u. dgl.
249) Bei Hattemer p. 416 a.: Affectio unde dispositio ist al ein, so unsih boe
tius lerit (d. h. Boeth. p. 156 f.); abir doh zuei participia affectus et dispositus etc.
250) So z. B. p. 409 f. Die letztere Terminologie ist aus Boeth. d. syll.
hyp. entmommem; s. Abschn. XlI, Anm. 154.
251) In solcher Weise ist nicht bloss p. 402 ff. die Erklärung des continuum
(Boeth. p. 145 f.) durch Zeiehnungen anschaulich gemacht, sondern es wird auch
nach Erledigung der Quantität p. 412. noch einmal auf die Begriffe linea, super
ficies, solidum zurückgekehrt und die verschiedenem Arten der geometrischen Li
niem, Figuren und Körper graphisch dargestellt; ja bei Gelegenheit der Quadratur
des Zirkels (Boelh. p. 165 f., vgl. ob. Anm. 191.) findet sich p. 423. eine völlig
andere Erklärung und andere Zeichnung als bei Boethius.
XIII. St. Gallem. Notker Labeo. De partibus loicae. 63
hat *°°). Von Wichtigkeit aber ist die Einleitung, welche dem Ganzen
vorausgeschickt ist, insoferne uns auch hier wieder der nominalistische
Standpunkt begegnet, dass bei den Kategoriem es sich um die Worthe
zeichnung handle ; auch werden daselbst in eigenthümlicher Weise An
gabem und technische Ausdrücke aus Marcianus Capella mit jenen Be
merkungen verflochlen, welche aus Boethius (Abschm. XII, Anm. 77)
belreffs der Reihenfolge der Bücher des 0rganons entmommen sind, und
ausserdem lassem gerade bei diesem letzteren Notizen die naiven Miss
verständnisse des Verfassers uns dem sicheren Schluss ziehen, dass der
selbe die Analytiken und die Topik des Aristoteles eben nur vom Hören
sagen aus jener Stelle des Boethius kannte *°°).
Eine andere kleine Schrift, welche dem Titel ,, De pa rt i b u s
loi c a e “ trägt *°*), zeigt sich als ein compilirtes Schul.Compendium,
indem zunächst die sechs Theile der Logik, deren ersten Porphyrius
zu dem fünf aristotelischen hinzugefügt habe, aufgezählt werden *°°),
und dann eine längere oder kürzere Angabe des Inhaltes derselben folgt.
Nachdem nemlich aus der Isagoge nur die Begriffsbestimmungen der
quinque voces nach der Uebersetzung des Boethius angeführt sind, wird
von den Kategorien lediglich die Substanz, selbst ohne Nennung der
übrigen neun, kurz erläutert, dabei aber noch schärfer, als wir so eben
252) Bei Hattemer p. 474 a.: Est hoc alterius negotii. Taz ist anders uuar
zelerenne , samo so er chade, lis mine metaphisica (s. Boeth. p. 230.), dar lero ih
tih iz. Aber boetius saget iz fure in, in secunda editione etc. (d. h. Boeth. p.
326.). Auch jene Figuren, durch welche bei Boethius die Lehre vom Urtheile
versinnlicht wird (Abschn. XII, Anm. 113 ff.), fehlen hier nicht (p. 479. 492 ff.),
und zwar werzichtet bei denselben der Werfasser auf den Gebrauch der , deutschen
Sprache.
253) Ebend. p. 465.: Aristotiles sreib cathegorias, chunt zetuenne, uuaz ein
luzziu uuorl pezeichenem (vgl. ob. Anm. 149 ff. 159. u. 242. u. sogleich unten Anm.
256.); nu uuile er samo chunt keluon in perierminiis, uuaz zesamine gelegitiu be
zeichenem, an diem verum unde falsum fernomen uuirdet; tiu latine heizent prolo
quia ; an diem aber neuueder uernomen neuuirdet, tiu eloquia heizent (die Quelle
dieser Terminologie s. b. Marc. Capella, Abschn. XII, Anm. 51., und b. Augustin,
ebend. Anm. 33.); tero uersuiget er an disemo buoche. Uuanda ouh proloquia ge
skeiden sint, unde einiu heizent simpliciu, dar ein uerbum ist, ut hom0 uiuit, un
deriu duplicia, dar zuei uerba sint, ut homo si uiuit spirat, so leret er hier sim
plícia, in topicis leret er duplicia. Fone simplicibus uuerdent praedicatiui syllo
gi$mi, fone duplicibus uuerdent conditionales syllogismi (die Quelle hievon b. Boeth.,
Abschn. XII, Anm. 112.). Nah peri ermeniis sol man lesen prima analitica, tar er
beidero syllogismorum kemeina regula syllogisticam heizet; tara nah sol man lesen
secunda analitica, tar er sunderigo leret praedicatiuos syllogism0s, tie er heizet
apodicticam (auch wer nur oberflächlich die Analytiken selbst angesehen hätte, könnte
so sich nicht ausdrücken); zeiungist sol man lesen topica, an diem er ouh sunde
rigo leret conditionales, tie er heizet dialecticam. Tiu partes heizent sament logica.
Nu uernim uuio er dih leite zuo diem proloquiis (auch im Commentare selbst er
scheint häufig proloquium neben der Terminologie des Boethius).
254) Aus einer Zürcher Handschrift herausgegeben von Wackernagel in Haupt
u. Hoffmann, Altdeutsche Blätter II, p. 133 ff. und von Hattemer a, a. 0. p. 537
— 540.
255) Bei Hattemer p. 537.: Quot sunt partes logicae ? Quinque secundum Ari
stotelem, seactam parlem addidit aristotelicus Porphirius; quae sunt: isagoge, cathe
goriae, periermeniae, prima analitica, secunda analitica, topica.
64 XIII. - St. Gallen. De partibus loicae. De syllogismis.
Anm. 253 sahem, die nominalistische Auffassung ausgesprochen *°°);
dann folgt bezüglich der Urtheile die blosse Aufzählung der vier Arten
(allg. bej., allg. verm., part. bej., part. vern.) aus Marcianus Capella in
der Terminologie desselben *°"). Was aber hierauf über die erste und
zweite Analytik gesagt wird, beruht gleichfalls auf jener nemlichen
Stelle des Boethius, in welcher derselbe die 0rdnung der Theile des
Organons bespricht, und desselben Uebersetzung der Analytiken ist sicher
auch hier nicht benützt *°°). Endlich die Topik ist ausführlich behan
delt, und zwar völlig nach Isidor (s. ob. Anm. 39), wobei der Werfasser
als Beispiele der einzelnen Topen deutsche Sprichwörter hinzufügte 259).
Die bedeutendste aber unter all diesem Schriften, welche aus St.
Gallem hervorgiengen, ist die Abhandlung „ De syllogis mis“?°");
denn wenn sie auch gleichfalls auf einer Compilation versehiedenartigen
Materiales beruht, so greift hiebei ihr Werfasser mit grösserer Belesen
heit auch nach Dingen, welche nicht ganz auf der 0berfläche der Schul
compendien Isidor's oder Alcuin's lagen, und ausserdem bewahrt er
darin eine merkwürdige Selbstständigkeit, dass er auf einen einheitli
chen inneren Zweck der Logik hinsteuert, dessem Darlegung. den Schluss
(ler Abhandlung bildet. Zuerst wird die Definition des Syllogismus aus
Marcianus Capella (Abschn. XII, Anm. 67) mit Beifügung einiger Worte
aus Isidor's Rhetorik (ob. Anm. 43) angegeben *°'), wobei schon eine
ziemliche Anzahl von Beispielen in deutscher Sprache zur Werdeutliehung
dient, und nachdem hierauf die Eintheilung in kategorische und hypo
thetische Schlüsse in einer aus 'Marcianus und Boethius vermischten
Terminologie angeführt ist*"*), werden aus ersterem (Absehn. XII,
Anm. 63 u. 67) die Bestandtheile des kategorischen Syllogismus und
des kategorischen Urtheiles vorgebracht*°°), um hierauf die vollständige
Darlegung der meumzehn Schlussmodi folgen zu lassen, welche aus Apu
256) Ebend. p. 538 a.: Quid tractatur in cathegoriis? Prima rerum significatio
et quid singulae dictiones significent, utrum substantiam an accidens etc.
257) Ebend.: Quid narratur in periermeniis? S. Abschn. XII, Anm. 64.
258) Ebend.: Quid consideratur in primis analiticis ? Sillogistica quae est
communis regula omnium sillogismorum, necessariorum et probabilium , cathegorico
rum et ippotheticorum, item praedicativorum et conditionalium (sinnlose Werdopp
lung durch Beiziehung der Terminologie des Marc. Capella, s. Abschn. XII, Anm.
67.). Quid tractatur in secundis analiticis? Apodictica id est demonstrativa quae
demonstrat veritatem, id est necessarios sillogismos. e»
259) Ebend. p. 538 b — 540 b. Gleichfalls ans Isidor (Anm. 27.) ist copirt,
was Hattemer ebend. p. 530 f. aus einer anderen Stelle der nemlichen Handschrift
über dem Unterschied der Dialektik umd der Rhetorik anführt.
260) Vollständig abgedruckt b. Hattemer a. a. 0. p. 541—559. (auszugsweise
in Wackermagel's deutsch. Lesebuche I, p. 111 ff.).
261) C. 1, ebend. p. 541 a.: Quid sit syllogismus. Syllogismus graece, latine
dicitur ratiocinatio ..... quaedam indissolubilis oratio .... quaedam orationis eatena
et invicta ratio.
262) Ebend. p. 542 a.: Et eæ iis videntur quidam esse qui latine dicuntur
praedicativi, alii autem qui dicuntur c0nditionales ..... (p. 542 b.). Constat autem
omnis syllogismus proloquiis i. e. propositionibus. Aus den hierauf folgenden Wor
ten proloquia dicamus cruezeda, similiter propositiones cruezeda, item propositiones
pietunga , alii dicunt pemeinunga geht auch hervor, dass jedenfalls Mehrere sich
mit ähnlichen Bearbeitungen der Logik beschäftigten.
263) C. 2, p. 542 b. Nemlich sumpta, illatio , subiectivum, declarativum.
XIII. St. Gallen. De syllogismis. . 65
lejus (Abschn. X, Anm. 18 ff.) entnommen und mit selbstgemachten
deutschem Beispielem erläutert ist 204). Sodann wird auf die hypotheti
schen Schlüsse übergegangen, und zwar zunächst dasjenige, was bei
Marcianus (Abschn. XII, Anm. 69) sieh findet, in ziemlich freier Werar
beitung und mit Einmischnng der Terminologie des Boethius vorge
führt *°°), und erst hieran reiht sich die vollständige Angabe der sieben
Schlussweisen an, welche bei Cicero (Abschn. VIII, Anm. 60) aufge
zählt sind, und deren nähere Erklärung der Verfasser aus des Boethius
Commentar zur ciceronischen Topik entnommen und gleichfalls mit deut
schen Beispielen versehen hat *°°). Nun aber fand sich ja bei Isidor
(ob. Anm. 43) auch noch ein syllogismus rhetorum, und mit Anknüpfung
an das dort Gesagte wird hier Gelegenheit genommen, ausführlicher auf
die rhetorische Lehre hinüberzublicken, indem mit ausdrücklicher Wer
weisung auf Cicero (d. Inv. I, 36, s. Abschn. VIlI, Anm. 59) an Einem
ebendort sieh findenden Beispiele die rhetorische Schlussweise erläutert
wird *"). Aber sogleich bemüht sich der Werfasser, diese Art des Syl
logismus, insoweit er der Form der Bewahrheitung genügt, auf den
kategorischen Schluss zurückzuführen, indem er wieder an der Hand
des Boethius auf die einfachen Bestandtheile der Syllogismen überhaupt
hinweist *°°) und hieran Erklärungen über das Urtheil anknüpft *°°).
Und nachdem hierauf über einige mit syllogismus sinnverwandte Begriffe
etymologische* Erörterungen sich anreihten, welche entweder direct aus
Isidor oder aus dem sog. Glossarium Salomon's (ob. Anm. 185) und
theilweise auch aus Boethius genommen sind*7°), wird' in Anbetracht
der Ciceronischen Topik näher auf den Unterschied zwischen Dialektik
und Apodiktik eingegangen*7'), welcher mit jenem zwischen hypothe
264) C. 3—8, p. 543—547.
265) C. 9—12, p. 548 f. Der Sprachgebrauch des Marcianus wird dabei
als eigene Terminologie aufgefasst, memlich: propositio, assumptio, conclusio.
266) C. 13, p. 550—553. Die Quelle hievon ist Boeth. ad Cic. Top. V, p.
831 ff.
267) C. 14, p. 553 a. : Transeunt vero syllogismi et ad rhetores iam latiores
et diffusiores facti ...... Horum eæempla sunt apud Ciceronem in libris Rhetoricorum.
Das ciceronische Beispiel von der Weltregierung (d. Inv. I, 34, 59.), welches
übrigens auch bei Boeth. d. cons. phil. I, p. 958. eine Rolle spielt, wird hernach
ebenfalls in deutscher Sprache ausgeführt.
268) Ebend. p. 554 a.: Praedicativus est ille syllogismus aut conditionalis?
- - - • • • Plane ergo praedicativus est...... nam et omnes partes syllogismorum, sive
propositio sive approbatio sive sumptum sive illatio sive conclusio sive ut alii di
cunt compleacio (s. Abschn. VIlI, Anm. 59.) aut confectio, communi nomine enun
tiatio vocantur (s. ebend. Anm. 45.). Die Quelle dieser Reduction anf den einfa
chen Satz ist Boeth. ad Cic. Top. V, p. 823.; vgl. auch Abschn. XII, Anm. 131.
u. 140.
269) Ebend.: Est autem enuntiatio oratio verum aut falsum significans ....
huius species sunt affirmatio et negatio (Abschn. XII, Anm. 111); hierauf folgen
deutsche Erörterungen über. assumptio, illalio, conclusio.
270) C. 15, p. 555 a.: Nemlich über ratiocinari, disputare, iudicare, eaeperi
mentum, und: argumentum dicitur, ut Boetio (ad Cic. Top. p. 763.) placet, quod
rem arguit i. e. probat.
271) C. 16, p. 556 a.: Quaerendum autem magnopere est, quare Cicero dia
lecticam in ypolheticis tantum constituerit syllogismis .... Est enim medius inter
Aristotelem et Stoicos (hat etwa hieraus J. v. Arx jene obige Notiz, Anm. 241.,
P R A N t L, Gesch. II. 5
4_ *
66 XIII. St. Gallem. De syllogismis.
tischen und kategorischen Schlüssen zusammentreffe, eben darum aber
in dem Einen Zwecke der Auffindung der Wahrheit sich zu einer höhe
rem Einheit auflöse, denn durch die Meisterschaft des Schliessens werde
alle menschliche Wahrheit erfahren, während man das transscendente
Göttliche ohne solche Kunst vernehme *"*). So kann der Werfasser,
dessen Anschauung uns schon hiedurch ebenso deutlich als erfreulich
an Scotus Erigena (Anm. 111—120) erinnert, für das Gebiet des dies
seitigen menschlichen Wahrheitsstrebens eine einheitliche Definition der
Logik aussprechem, in welcher Dialektik „oder“ Apodiktik ihr Wesen
habe, und er drückt dasjenige, was , er bei Boethius (Abschn. XII, Anm.
76) vorfand, präciser und stärker aus, wenn er ähnlich wie Scotus
sagt, die Logik sei die Wissenschaft des Beurtheilens oder Disputi
rens *7°), denn die Macht der Form, welche in den Syllogismen jeder
Art erscheint, ist ihm das Entscheidende, in welchem alle innerhalb
der Logik auftretenden Unterschiede zusammenlaufen *7*); hingegen die
Rhetorik,- welche hloss dem Wahrscheinlichem, nicht aber der Wahr
heit diene, liege deshalb auf einem anderem Gebiete, während das all
umfassendste Gemeinschaftliche der Wortausdruck (verbum) sei, in
welchem sich sowohl der philosophische sermo als auch die rhetorische
dictio bewegen müsse *7°). Eben darum aber ist dem Werfasser jener
nominalistische Standpumkt, welchen wir bei Scotus trafen, völlig der
geschöpft ?) ..... Propterea Boetius Aristotilem in thopicis dialecticam et in secundis
analiticis apodicticam docuisse testatur, d. h. das Ganze ist aus Boeth. ad Cic.
Top. I, p. 760 f. entmommem, woselbst eine weitere Ausführung des in Abschn.
XII, Anm. 77. erwähntem Standpunktes sich findet.
272) C. 17, p. 557 b.: De potentia disputandi, i. e. Fone dero mahte des
uuissprachonis. Si ergo satis intellectum est, omnem apodicticam constare in decem
et novem modis syllogismorum et dialecticam in septem modis syllogismorum, non
sit dubitandum , totam earum utilitatem esse in invenienda veritate. Ube niunzen
sl0z ap0dicticae unde sileniu dialecticae uuola gelirnet sim, so uuizin man dar mite,
daz sie nuzze sint, alla uuarheit mit in ze eruarenne. 0mnia enim his constant,
quae in humanam cadunt rationem. Al daz menniskin irratin mugin , taz uuirdit
hinnam guuissot. Divina eaccedunt humanam rationem, inlellectu enim capiuntur.
Tiu gotelichin ding uuerdent keistlicho uernomen ane disa meisterskaft.
273) C. 18, p. 557 b.: Quid sit dialectica vel apodictica. Ergo diffinienda
est dialeclica sive apodictica, .... possunt enim unam et eandem suscipere diffini
tionem in hunc modum ..... Dialectica est sive apodiclica iudicandi peritia vel ut
alii dicunt disputandi scienlia (ebem dieses findet sich ja auch bei Scotus, ob.
Anm. 112.). Meisterskaft chiesennes unde rachomnis, taz ist dialectica, taz ist 0uh
ap0dictica, - -
274) Ebend. p. 558 a.: Prius diacimus , quia ratio est quae ostendit rem.
Reda skeinit, uuaz iz ist; pidero redo sol man chiesen, ube iz ` uuesen muge ....
Tara nah mag er rach0m, i. e. disputare, ioh uuar rachon , i. e. ratiocinari ....
Ter uuarrachot, ter mit redo sterchit unde ze uuare bringet, taz er chosot .....
Reda errihtet unsih allis , tes man stritet. Ter dia cham uinden, der ist iudeæ, ter
ist rationator, ter ist disputator, ter ist argumentator, ter ist dialecticus, der ist
ap0dicticus et syllogisticus. -
275) C. 19, p. 558 b.: Nec parum hoc attentendum est, quantum intellectu
quaedam distant, quae simili modo solent interpretari, ut sunt: verbum, sermo,
dictio .... Quae si unum significarent, nequaquam sermo daretur philosophis, dictio
vero rhetoribus, ut auctores docent (d. h. Isidor, s. obem Anm. 27.); nam et Ari
st0tiles dialecticam, quae interpretatur de dictione, ad rhetores traacit et voluit eam
esse in argumentis rhetoricis, i. e. probabilibus, quae ille iudicavit esse (die Hand
' XIlI. St. Gallem. De syllogismis. Franco. 67
selbstverständliche, denn der Unterschied zwischen Wahr und Falsch,
d. h. der Gegenstand aller logischen Beurtheilung oder Erörterung, kamm
mur in menschlichen Urtheilen auftreten, und auch die Prädicamente
sind eben nichts Weiteres als Aussagen 27"). — Wohlthuend ist es uns
jedenfalls, hier einem Autor begegnet zu sein, welcher weiss, was er
will, und es steht uns diese Schrift unendlich höher als die zwecklosen
und peinlichen Spielereien eines Gerbert oder eines Anselmus; auch
wäre es wohl schwerlich zu den „Beweisen für das Dasein Gottes“
gekommen, wenn man im Allgemeinen jene Besonnenheit bewahrt hätte,
die Meisterschaft des Schliessens wohl allseitig in dem uns Wahrnehm
baren zu üben, hingegen das unmittelbar Göttliche dem gläubig from
men Sinne zu überlassen. — Uebrigens müssen wir auch hier gleich
falls darauf hinweisen, dass der Werfasser dieser Abhandlung die von
Boethius angefertigte Uebersetzung der Analytiken nicht gekannt haben
kann, denn sowie er überhaupt eine grössere Belesenheit als Andere
zeigt, würde er wohl gewiss die neunzehn Modi nicht aus Apulejus
geschöpft haben, wenn ihm die aristotelische Syllogistik selbst zugäng
lich gewesen wäre, noch auch würde er bei seinem Streben nach in
merer Einheit der Logik lediglich an jene nemlichen Stellen angeknüpft
haben, welche aus den verbreitetsten Uebersetzungen und Commentaren
des Boethius Jedermann kannte *77).
Aber jener ausgedehnte Betrieb der Logik, wie ihn uns in dieser
Zeit St. Gallen zeigt, dürfte auch wohl eine ziemlich isolirte Erschei
nung sein, woferne es nicht etwa bloss der Mangel an Nachrichten ist,
welcher uns zu dem Urtheile veranlasst, dass in der ersten Hälfte des
11. Jahrh. im Allgemeinen eine Unthätigkeit in logischen Fragen oder
selbst in Anfertigung von Compendien obgewaltet habe. Ja bei jedem
Schritte unserer Untersuchung müssen wir die Möglichkeit im Auge
behalten, dass Manches, was vorhanden war, unserer Kenntniss gänz
lich entrückt sei, wenn auch zugegeben werden mag, dass Erschei
nungen von grösserer Bedeutung schwerlich ganz spurlos entschwunden
wären, und dass ein gänzliches Stillschweigen aller Quellen kaum denk
bar sei, wenn wirklich in weiterer Werbreitung das Gebiet der Logik
eine Bearbeitung gefunden hätte.
Ungefähr aus der Mitte des 11. Jahrh. haben wir die Notiz, dass
ein Scholasticus F ra n c o in Lüttich (um d. J. 1047) eine Monographie
über die Quadratur des Zirkels (vgl. ob. Anm. 191 u. 251) in Anknü
schr. hat non esse) discernenda a necessariis argumentis, de quibus fiunt ypothetici
syllogismi et tota dialectica, ut Cicero docuit (s. Boeth. ob. Anm. 271.).... Dignior
est namque sermo et gravior, ut sapientes decet, dictio humilior est et plus com
munis data rhetoribus. Verbum autem omnium est. -
276) Ebend.: Et in interpretando proprie sermo (vgl. Anm. 321.) saga dicitur,
sic et enuntiatio, quae similiter philosophis tradita est et disputantibus necessaria
est, quia inest ei semper verum aut falsum ..... Praedicare autem est, inquit Boe
tius (p. 127.), aliquid de aliquo dicere, i. e. eteuuaz sagem fone eteuuiu ; unde
et praedicamentum dicitur et praedicatio, einis tings kesprocheni fone demo andermo.
277) Es scheint, dass in solchen Fällen der Beweis aus dem Stillschweigen
völlig schlagend sei und darum sehr bestimmt verstärkend zu dem allgemeinen
Umstande hinzutrete, dass überhaupt keine einzige positive Spur einer Benützung
jener aristotelischem Schriften sich zeigt.
5*
68 XIII. 0thlo. Damiani. Die Rechtswissenschaft.
pfung an die betreffende Stelle des Boethius verfasste *"*), und etwa
aus derselben Zeit können wir wenigslens das Geständniss eines Emme
raner Mönches 0 th lo (geb. um 1013, gest. in Regensburg um .1083)
anführen, welches dahin lautet, dass es einige so eingefleischte Dia
lektiker (dialectici ita simplices) gel)e, welche an alle Worte der hei
ligen Schrift den dialektischen Maassstab amlegen und dem Boethius mehr
glauben als der Bibel selbst *7°). Aus letzterer Klage aber muss man
schliessen, dass obige Werwarnung Fulbert's (Anm. 237) nicht bloss
von einem Berengarius missachtet wurde, sondern dass von mehrerem
Seiten die Dialektik in theoretisch- dogmatischen Fragen als Prüfstein
bezeichnet wurde *°°). Hingegen blieb, wie sich von selbst versteht,
die Mehrzahl dem ursprünglichen Standpunkte des christlichen Mittel
alters getreu, und es mag, da wir nunmehr in eine Zeit der Kämpfe
einlreten, darum nur beispielsweise erwähnt werden, wie Petrus Da
mi a ni (geb. 1006, gest. 1072) der Dialektik den Beruf zuweise, als
fromme Magd im Dienste der Kirche zu stehen und ihrer Gebieterim
demüthig auf dem Fusse zu folgen **'), wobei allerdings Damiani's gläu
bige Seele noch keine Ahnung davon hat, dass auch dieser Dienstbote
den Dienst kündigen und sich einen eigenen Herd gründen könne.
Eben aber in der zweiten Hälfte des 11. Jahrh. tratem Momente
der Kulturgeschichte auf, durch welche innerhalb der sich gleichbleibenden
logischen Schultradition eine frischere Bewegung und selbst eine heftige
Erneuerung älterer Parteigegensätze herbeigeführt wurde. Zwei Seiten
sind es, vom welchen her sich auf verschiedene Weise und in sehr
verschiedenem Grade ein Einfluss auf die Logik geltend macht, denn
die eine derselben können wir hier vorerst nur in leisen Anfängen er
blicken, um bei ihrem späteren stärkeren Auftreten wieder hieram an
zuknüpfen, während die andere sofort mit aller Macht sich erhebt und
278) Sigebert Gembl. Chron. ad ann. 1047 b. Pertz, Mon. VIII, p. 359.: Franco
scholasticus Leodicensium et scienlia litterarum et morum probitate claret, qui ad
Herimannum archiepiscopum scripsit librum de quadratura circuli, de qua re Aristo
teles (b. Boeth. p. 165.) ait : circuli quadratura, si est scibile, scientia quidem non
est, illud vero scibile est.
279) 0thlo d. tribus quaest. b. Pez, Thes. Anecd. III, 2, p. 144.: Peritos autem
dico magis illos, qui in sacra scriptura, quam qui in dialectica sunt instructi; nam
dialecticos quosdam ita simplices inveni, ut omnia sacrae scripturae dicta iuacta dia
lecticae auctoritatem constringenda esse decernerent, magisque Boetio quam sanctis
scriptoril)us in plurimis dictis crederent ; unde et eundem Boetium secuti me repre
hendebant, quod personae nomen alicui nisi substantiae rationali adscriberem etc.
280) Denn abgesehen davon, dass in den verschiedenem theologischen Schrif
ten 0thlo's die Abendmahlsfrage nicht speciell besprochen wird und daher die
Polemik gegen die Dialektiker schwerlich sich auf Berengar bezieht, ist ja in der
eben angeführten Stelle von persönlichen Begegnissen die Rede, welche Othlo als
Folge einer allgemeinen Zeitrichtung bezeichnet.
281) Petri Damiani 0pp. ed. Caietani, Par. 1743. fol. III, p. 312.:. Haec
plane, quae ea, dialecticorum vel rhetorum prodeunt argumentis, non facile divinae
virtutis sunt aptanda mysteriis, et quae ad hoc inventa sunt, ut in syllogismorum
instrumenta proficiant vel clausulas dictionum, absit ut sacris legibus se pertinaciter
inferant et divinae virtuti conclusionis suae necessitates opponant. Quae tamen artis
humanae peritia , si quando tractandis sacris eloquiis adhibetur, non debet ius
magisterii sibimet arroganter arripere, sed velut ancilla dominae quodam famulatus
obsequio subservire, ne , si praecedit, oberret etc.
XIII. Die Rechtswissenschaft. Papias. 69
den Entwicklungsgang auf längere Zeit bedingt. Diese' beidem Seiten
aber sind die Jurisprudenz und die theologische Dogmatik.
Wenn nemlich die Rechtspflege an sich schon überhaupt eine Hin
weisung auf dialektisch-rhetorische Praxis enthält, so ist es erklärlich,
dass zu einer Zeit, als in Italien eine Erneuerung der Rechtswissen
schaft eintrat und die Entstehung von Rechtsschulen begann ?*?), nun
ein grösseres Gewicht auf praktische Logik fiel, d. h. allerdings auf
eine Logik, welche von der Rhetorik sich kaum unterscheidet, aber in
der Lehre von der Argumentation und in der Topik dem üblichen lo
gischen Schulmateriale verwandt bleibt. Sowie wir selbst für unseren
hiesigen Zweck schon früher (Abschn. VIII, Anm. 52 u. 68) aus den
Pandekten Quellenstellem entnehmen konntem, so scheint andrerseits das
Studium der Grammatik und Rhetorik in Italiem eine umunterbrochene
Verbindung mit juristischen Materien bewahrt zu haben *°°), und wenn
wir auch die litterarische Anekdote, dass das ganze Rechtsstudium zu
Bologna seinen Anfang aus einer grammatischen Erklärung des Wortes
„As“ geschöpft habe ***), gerne bei Seite lassen, so war doch jeden
falls der juridische Unterricht, welcher durchaus nicht der ausschliess
lichen Heranhildung von Klerikern diente, damals ursprünglich an dem
üblichen Betrieb der artes liberales geknüpft gewesen *°°). Den schla
gendsten Beleg , hiefür finden wir an dem Grammatiker Pa pias (um
1060), welcher in seinem encyclopädischen Wocabularium eine ansehn
liche Menge juristischer Worte und Begriffe in grösserer oder geringerer
Ausführlichkeit bespricht *°°) und in den die Logik betreffenden Wort
erklärungen oder längeren Artikeln, welche er sämmtlich aus der da
mals bekannten Schul-Litteratur entnimmt **"), uns durch eine einzelne
282) S. Savigny, Gesch. d. Röm. R. im Mittelalt. IV, p. 1 ff., u. Giesebrecht,
D. litt. stud. ap. Italos. Berol. 1845. 4.
283) S. Merkel, Gesch. d. Langobardenrechts (Berl. 1850) p. 13. u. 46., u.
Lachmann, Wersuch üb. d. Dosithens. Berl. 1837. 4.
284) Hostiensis, Comment. in Decret. libr. bei Savigny a. a. 0. p. 19.
285) S. Giesebrecht a. a. 0., welcher (p. 19.) aus Wippo's Panegyricus auf
Heinrich III. (gest. 1056) folgende Werse- anführt: Tunc fac edictum per terram
Teutonicorum, Quilibet ut dives sibi natos instruat omnes Litterulis legemque suam
persuadeat illis, Ut cum principibus placitandi venerit usus, Quisque suis libris
exemplum proferat illis .... Hoc servant Itali post prima crepundia cuncti, Et su
dare ' scholis mandatur tota iuventus ; Solis Teutonicis vacuum vel turpe videtur,
Ut doceant aliquem, nisi clericus accipiatur.
286) Papias Vocabulista. Venet. 1496. fol. (nicht paginirt). Die juristischen
Begriffe sind: Accessio, Actio, Aequitas, Aes alienum , Agnati, Arra, Arbiter, B0
norum possessio, Capitis diminutio, Casus, Causa, Codicillus, Communi dividundo,
Contractus, Dolus, Edictum, Emancipare , Emphyteusis, Emptio venditio, Falcidia
leae, Fideicommissum, Fundus, Haeres, Haereditas, Interdictum, Iudicium, Ius
(ausführlich), Iustitia, Leges (ebenso), Liber, Mancipi res, Manumissus, Municipes,
Mutuari, Necmancipi, Notae in libris iuris, Nova, Paterfamilias , Peculatus , Pos
sessio, Puberes, Reus , Stipulatio, Testamenta iuris civilis (ausführlich), Usucapio.
(Diese Seite des Papias ist, soviel ich weiss, für die Litterargeschichte der Ju
risprudenz moch- nicht benützt wordem.)
287) Die Worterklärungen aus der Logik (Accidens, Ad aliquid, Affirmare,
Anasceue, Apodiacis, Apophasis, Argumentatio, Aaeioma, Catasceue , Conclusio, De
finitio, Dialectica, Differentia , Enthymema, Enuntiativa, Equivoca, Essentia, Genus,
Habere, Habitus, Hysagoga, Hypothetici syllogismi, Individuum, Inductio , Logica,
70 XIII. Papias. Lanfrancus.
Bemerkung neuerdings den Beweis liefert, dass mam in jener Zeit auch
in 0heritalien die Analytik des Aristoteles nur vom Hörensagen kannte *°°).
Eben aber mit einer solehen Verbimdung grammatiseher, rhetorischer,
logischer und juristischer Schulkenntmisse, wie sie Papias zeigt, hängt
es zusammen, dass er in einem eigenen Artikel auch die „Epistolae
formatae“ hespricht?°°) und so auf die sogenannten Formelbücher (s.
sogleich unten Anm. 295) hinüberweist. Mlit all diesem nun steht es
in offenbarem Einklange, wenn sowohl ein gleichzeitiger Bericht über
jene ersten Keime einer Rechtssehule sich in Ausdrücken hewegt,
welche uns direct an die gewöhnliche Schul-Logik erinnern *°°), als
auch wenn an zwei hervorragenden Männern jener Zeit, an Lanfran
cus und Irnerius, sich gleichsam eine Personal- Union der Dialektik
und der Jurisprudenz zeigt. Denn dass L a m fra n cu s (geb. um 1005,
gest. 1089), auf welchen wir alsbald wieder zurückkommen müssen,
die erste Hälfte seiner Thätigkeit vor dem Ausbruche des Abendmahl
streites hauptsächlich dem Rechtsstudium in ausgedehnter und erfolg
reicher Weise zugewendet habe, ist eine unbestreitbare Thatsache ?°!),
wenn auch eine directe Verbimdung, in welche er sogar mit Irnerius
selbst gebracht wird, aus chronologischen Gründem undenkbar ist *°°);
Nomen, Omonyma, 0ratio, Propositio, Proprium, Qualitas , Quando, Quantitas,
Ratiocinatio, Syllogismus, Synonima, Sophisma, Species, Substantia, Univoca,
Voæ) sind sämmtlich aus Isidor oder Boethius excerpirt; höchstens könnte herwor
gehoben werden, dass bei Categoria Papias die mehr nominalistische Auffassung
auswählt: Categuriae graece, latine praedicamenta dicuntur, quibus per varias signi
ficationes omnis sermo conclusus est.
288) Er erklärt nemlich : Analetica (vgl. folg. Abschn., Anm. 23.) i. e. reso
lutoria, quod est medium volumen commenti super Periermenias , appellavit Boetius,
ubi omnes syllogismi rhetoricae artis resolvuntur. Ausser diesem Unsinne etwa auch
noch: Elenchorum, titulus libri cuiusdam Aristotelis.
289) Formatae epistolae a sanctis cccxvIII patribus in Nicaeno consilio consti
tutae feruntur, u. s. w. (eine Folio-Seite hindurch).
290) Nemlich der so eben erwähnte Damiani sagt in seinem Sendschrei
ben De parentelae gradibus (0pp. III, p. 89 ff.) von seinen Gegnern (prooem.
p. 89.): Ea, quibus nimirum verbis (d. h. Iustin., Instit. I.) inductoria quaedam
colligebant argumenla, ferner (c. 1, p. 90.): interrogentur igitur qui in tribunalibus
iudicant, qui causarum negotia dirimunt, qui scrutandis legum decretis insistunt,
und insbsondere (c. 6, p. 92.): cumque in astruendis propriis allegationibus sae
pius verba haec iterarent, deinde ratiocinando, assumendo, colligendo, multimoda
cavillationum argumenta componerent, sowie auch (c. 7, p. 92.): quidam promptu
lus cerebrosus ac dicaae, scilicet acer ingenio, mordaae eloquio; vehemens argumento,
Florenlinus puto, verbis me insolenter urgebat. Aehnlich auch D. grad. cogn. c. 2,
p. 96.: Super quo nimirum nonnulli doctorum diversa a se invicem sentientes longis
argumentationibus disputant.
291) Milo Crisp. Vita Lanfr. c. 11. b. Mabill. Acta Bened. IX, p. 639.: Ab
annis puerilibus eruditus est in scholis liberalium artium et legum secularium ad
suae morem patriae. Adolescens orator veteranos adversantes in actionibus causarum
-frequenter revicit torrente facundiae accurate dicendo; in ipsa aetate sententias de
promere sapuit, quas gratanter iurisperiti aut iudices vel praetores civitatis accepta
bant. Meminit horum Papia (d. h. seine Waterstadt Pavia). At cum in eacilio phi
losopharetur, accendit animum eius divinus ignis , et illuacit cordi eius amor verae
sapientiae. Mehreres speciell Juridische s. b. Merkel a. a. 0. p. 14. u. 46 f.
292) Robert de Monte auct. ad chron. Sigeb. Gembl. ad ann. 1032. b. Pertz,
Monum. VIII, p. 478.: Lanfrancus Papiensis et Garnerius socius eius repertis apud
Bononiam legibus romanis, quas Justinianus ..... emendaverat, his, inquam, repertis.
XIII. Irnerius. Formelbücher. 71
·
jedenfalls aber ist ihm, wie aus den Berichten hervorgeht, die nem
liche dialektische Gewandtheit, welehe er später gegen seine theologi
schen Gegner beurkundete, auch schon damals zur Seite gestandem.
I r n e rius aber (seine Blüthezeit fällt zw. 1100 u. 1120), dessen Auf.
trelen bekanntlich für die Bologneser Rechtsschule den Uebergang von
der ersten Keimperiode zu reicherer Entfaltung bildet, wird in dem
Glossen des 0dofredus ausdrücklich als „Logiker" bezeichnet, und aus .
dem Umstande, dass er vorher Lehrer der freien Künste gewesen sei,
wird eine übertriebene Spitzfindigkeit, welche in seinen Glossem sich
gefunden habe, erklärt *°°). Da aber Irnerius auch ein Formularium
verfasste *°*), so müssen wir hieran die vorläufige Bemerkung knüpfen,
dass eine eigene ausgedehnte Litteratur entstand, welche der Notariats
kunst und Notariatspraxis diente und fortan eine Verbindung der übli
chen Schul-Rhetorik mit juristischen Stoffen lebendig erhielt. Und wenn
nun diese ,, F ormelbü c h e r* *°°) allerdings damals noch durchaus
keinem nachweisbaren Einfluss auf die Logik selbst ausübtem, und die
„Praktiker“ noch nicht eine Anerkenntniss ihrer Berechtigung betreffs
der Logik beanspruchten, so liegt doch hier der Keim einer Tendenz
vor, welche Jahrhunderte hindurch ihre eigenem Wege wandelte und
dabei sich weit mehr auf ciceronisch-rhetorische Dialektik, als etwa auf
das aristotelische 0rganon hingewiesen sah. Daher wir schon hier es
als dereinstiges nicht umerwartetes Resultat andeuten dürfen, dass später
die rhetorischen Praktiker sich dem Sturmlaufen gegen die aristotelisch
scholastische Logik anschliessen werden. Ja, es ist schwerlich eine
ganz zufällige Redensart, wenn schon ein Autor gegen Ende des 11.
Jahrh., und zwar ein Mailänder, gelegentlich dem Aristoteles und den
Cicero mit den Ausdrücken „Labyrinth“ und „Palast“ einander gegen
überstellt 290).
operam dederant eas legere et aliis eæponere. Sed Garnerius in hoc perseveravit,
Lanfrancus vero disciplinas liberales et litteras divinas in Galliis multos edocens
tandem Beccum venit et ibi monachus factus est. Wielleicht jedoch ist das chrono
logische Bedenken, welches Savigny a. a. 0. p. 21 f. erhebt, überhaupt unnöthig,
wenn wir bei ,,socius** nicht an persönlichen Werkehr denken, sondern es gleich
sam mit „juristischer Gesinnungsgenosse“ übersetzen.
293)T0dofr. (Codez) in L. ult. C. de in int. restit. minor. (2, 22.): 0r, seg
nori, plura non essent dicenda super lege ista ; dominus tamen Irnerius, quia loicus
fuit, et magister fuit in civitate ista in artibus, antequam doceret in legibus, fecit
ìnam glossam sophisticam, quae est obscurior quam sit tertus. Und (Cod.) in
Aulh. ,,qui res“ C. de SS. eccl. (1, 2.): Et debetis scire vos, domini, sicut nos
fuimus instructi a nostris maioribus, quod dominus Yrnerius fuit primus, qui . fuit
ausus dirigere cor suum ád legem istam; nam dominus Vrnerius erat magister in
artibus, et studium fuit Ravennae et, collapsa ea, fuit studium Bononiae, et do
minus Yrnerius studuit per se sicut potuit, postea coepit docere in iure civili, et
ipse fecit primum formularium, i. e. librum omnium instrumentorum etc. (angeführt
bei Savigny). -
294) Näheres b. Savigny a. a. 0. p. 62 f.
- 295) s. Merkel a. a.T0. p. 33., uhd vor Allen L. Rockinger, Ueber Formel
bücher v. 13. bis z. 16. Jahrh. München 1855. 8., bes. p. 36 ff. u. p. 56.
296) Arnulf, Gesta archiep. Mediol. I, 1, b. Pertz, Mon. X, p. 7 : Non mihi
met ipsé confido, quem evilis ingenii adeo paupertas angustat, ut difficilis mihi
videatur Aristotelici laberinthi ingressus, laboriosus valde Tuliani palacii accessus;
fateor me nunquam conscendisse curules quadrivii rotas. -
72 XIII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus.
Entschiedener aber, wie gesagt, äussertem theologische Streitig
keiten, welche damals über das Abendmahl geführt wurden, einen directen
Einfluss, und jene Parteispaltung betreffs der Logik, welche wir schon
am Schlusse des 9. Jahrh. oben trafem, erhält nun gegen das Ende des
11. Jahrh. einen schärferen Hintergrund durch speciell dogmatische
Anschauungen, wobei die weitere Entwicklung sich um so eigenthüm
licher gestalten muss, je mehr das eigentlich logische Interesse, wie
schon bemerkt wurde (oben S. 36 f.), gerade dem Nominalismus näher
stand, als dem christlichen Realismus. Den dogmatischen Inhalt jener
Kämpfe lassen wir hier, wie sich von selbst versteht, als einen völlig
gleiehgiiltigen gänzlich bei Seite, und betrachten nur das formell dialek
tische Moment.
In dieser letzteren Beziehung aber war es vor Allen Fulbert's
Schüler, Berengari u s (geb. 998, gest. 1088), welcher seit d. J.
1031 als Scholasticus in Tours docirte und dabei den Muth hatte, auf
dem Gebiete des Wissens sich jeder Auctorität, mochte sie sein welche
sie wollte, zu widersetzen, indem er gegenüber aller Tradition, auch
selbst der grammatischen und logischen *°7), uur die selbsteigene Kraft
der Denkfunction als den ausschliesslichen Maassstab der Wahrheit an
erkannte; denn jener Grundsatz, welchen er später in seiner Werthei
digungsschrift gegen Lanfraneus aussprach, muss ihm schon früher als
der richtige vorgeschwebt sein, der Grundsatz nemlich, dass einzig und
allein die Dialektik die Form der Wernunft sei, und während Berengarius
in ähnlicher Weise wie Scotus Erigena einem Zusammenhang der Dia
lektik mit der göttlichen Weisheit zugesleht, beruft eben darum auch
er sich auf Augustin's Ausspruch (Abschn. XII, Anm. 18) und erklärt
num mit aller Entschiedenheit, dass gerade bei Benützung heiliger Aucto
ritátem das rationelle Verfahren (ratione agere) unvergleichlich höher
stehe *°°). Hingegen umgekehrt im. Dienste der dogmatischen Auctorität
trat eben um dieselbe Zeit die Dialektik bei L a n francus auf, welcher,
nachdem er Pavia verlassen und, die dortige juristische Thätigkeit (ob.
Anm. 291 f.) aufgegeben hatte, zuerst (im J. 1040) in Avranches und
dann seit 1043 im Kloster Bec in der Normandie. als Scholasticus wirkte.
297) Adelmanni Epist. (s. ob. Anm. 235.) p. 31.: Aiunt te novitatum capto
rem .... adeo ut Priscianum, Donatum, Boethium prorsus contemnas.
298) Bereng. d. sacr. coena , ed. A. G. et F. Th. Vischer, Berol. 1834, p.
100 f.: Quod relinquere me, inquio ego, sacras auctoritates hon dubitas scribere,
nmanifestum fiet divinitate propitia, illud de calumnia scribere te, non de veritate,
ubi deducendi sacras auctoritates in medium necessitate inde agendi locus accurre
rit, quanquam ratione agere in perceptione veritatis incomparabiliter superius esse,
quia in evidenti res est, sine vecordiae coecitate nullus negaverit ..... Verbis dia
lecticis ad manifestationem veritatis agere non erat ad dialectucam confugium con
fugisse, a qua ipsam dei sapientiam et dei veritatem video minime abhorrere (vgl.
Anm. 305.), sed suos inimicos arte revincere ..... Mazimi plane cordis est , per
0mnia ad dialecticam confugere, quia confugere ad eam ad rationem est confugere,
qu0 qui non confugit, cum secundum rationem sit factus ad imaginem dei, suum
honorem reliquit, nec potest renovari de die in diem ad imaginem dei. Dialecticam
beatus Augustinus tanta diffinitione dignatur, ut dicat: dialectica ars est artium,
disciplina disciplinarum, novit discere, novit docere, scientes facere non solum vult,
sed etiam facit.
XIII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus. 73
Seine grosse dialektische Gewandtheit, welche er in theologischer Exe
gese bei jeder Gelegenheit beurkundete *°°), wirkte gleichsam ansteckend
auf seine zahlreichen Schüler *°°), und es soll sogar ein kleiner logi
scher Werstoss, welchen er dem Berengarius nachgewiesen habe, die
Veranlassung gegeben haben, dass die Schule des Letzteren an Frequenz
abnahm 801). Wie sehr aber Lanfrancus allen logischen Scharfsinn nur
zur Stütze der 0rthodoxie aufgewendet habe, zeigt ausser dem Auftreten
in der Abendmahlsfrage ganz besonders sein Elucidarium 30?), denn in
dieser Schrift wird der Inhalt der damaligen Dogmatik in Beweisform
mit vollendetster Consequenz bis auf die extremstem Spitzen himausge
trieben, und das logische Moment dient nur dazu, um für alles Mög
liche irgemd Gründe oder nähere Bestimmungen bis ins Abstruseste auf.
zuspüren 398). Dieser Mann aber nun, welcher so seine Wernunft schlecht.
hin gefangen gab, war ganz dazu angethan, als Denunciant und Ketzer.
richter gegen Berengarius aufzutreten *"*), da Letzterer bezüglich des
299) Sigeb. Gemblac. d. scriptt. eccl. c. 155. b. Fabr. Bibl. eccl. p. 112.:
Lanfrancus dialecticus et Cantuarensis archiepiscopus Paulum apostolum eæposuit et
ubicunque opportunitas locorum occurrit, secundum leges dialecticae proponit, assu
mit, concludit.
300) Guilelm. Malmesb. d. gest. reg. Angl. III. b. Savil. Scriptt. rer. Angl. Lond.
1596. fol. 61 b.: Lanfrancum, de quo serio dici potest ,,tertius e coelo cecidit
Cato** ... adeo latinitas omnis in liberalium artium scientiam per doctrinam eius se
incitabat. Ebend. d. gest. pontif. H. fol. 116 b.: publicas scholas de dialectica
professus est .... evivit fama eius remotissimas latinitatis plagas eratque Beccum
magnum et famosum litteraturae gymnasium ..... ubique discipuli inflatis buccis
dialecticam ructabant ..... Ebend. fol. 122 b.: vir cuius industriam praedicabit Can
tia, cuius doctrinam in discipulis eius stupebit latinitas , quantum omnes anni
durabunt.
301) Guitmond (ein Schüler Lanfranc's) d. corp. et sangu. Chr. b. Bibl. patr.
Lugd. XVIII, p. 441.: Postquam a domino Lanfranco in dialectica de re satis parva
turpiter est confusus (sc. Berengarius), cumque per ipsum dom. 'Lanfrancum virum
aeque doctissimum liberales artes deus revalescere atque optime reviviscere fecisset,
desertum se iste a discipulis dolens etc. Doch es ist auf solche Berichte nicht
viel zu geben, denn dass Lanfranc's Anhänger in maiorem dei gloriam gelogem
haben können, wird jeder Unbefangene zugeben.
302) Die Schrift ,,Elucidarium sive dialogus summam totius theologiae complec
tens** ist unter den Werken des Anselmus v. Canterbury gedruckt, wurde aber
schon von Gerberom beanstandet und unter die zweifelhaften Schriften gesetzt, und
nun scheint sie völlig mit Recht der neueste Herausgeber der Werke Lanfranc's,
Giles, gestützt auf die Auctorität mehrerer Handschriftem, dem Lanfrancus zuzu
schreiben.
303) Dabin gehören z. B. die Fragen, warum Gott auch Mücken und Wanzen
erschaffem habe (Elucid. I, 12. Lanfr. 0p. ed. Giles, 0aeon. 1854. II, p. 211.), um
wie viel Uhr Adam aus .dem Paradiese vertrieben worden sei (I, 15, p. 214),
warum Gott keinem zweiten besseren Adam geschaffen habe (I, 17, p. 218.), ob
Christus als neugebornes Kind allwissend gewesen sei (I, 19, p. 220.), warum
Gott nichts ungeschehen machen könne (II, 8, p. 224.), welche Zahl von Seelen
in den Himmel kommen könne (III, 3, p. 273.), in welcher Körperstellung die
Werdammten in der Hölle sitzen (III, 4, p. 275.), wie es bei der Auferstehung des
Fleisches sich mit den Haaren, welche wir abrasiren, nnd mit den Nägeln, welche
wir uns abschneidem, verhalte, und wie es mit jenen Menschen stehe, welche von
wildem Thieren gefressem wurden (III, 11, p. 281.), um wie viel Uhr das jüngste
Gericht stattfinden werde (III, 12, p. 282), ob die Seligen nackt seien oder Klei
der tragen (III, 16, p. 287.) u. dgl.
304) Was den persönlichen Charakter Lanfranc's betrifft, so scheint die An
74 XlII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus.
Abendmahles im Hinblicke auf frühere Streitigkeiten seine offene Sym
pathie für jene Ansicht aussprach, welche als die des Scotus Erigena
galt, und hiemit sich als Gegner des Paschasius bekannte. . Der Kern,
dieser Händel, welche zwischen 1060 und 1070 einen hefligen Schrif
tenwechsel zwischen Berengarius und Lanfrancus hervorriefen, besteht,
soweit er uns nach seiner dialektischen Seite hier interessirt, in Kürze
darin, dass B e r e n g a r i u s erstens überhaupt jene Anschauungsweise,
welche wir als die nominalistische des Scotus Erigena oben trafen , zu
der seinigen macht, und daher ebenso wie jener die Wahrheit der
menschlichen Kundgebung in den Urtheilem und die Festigkeit der Wort
bezeichnung meben dem ontologisch göttlichen Principe der Dinge aner
kennt °"°), und zweitens dass derselbe diesen Standpunkt nun folge
richtig auch auf die Abendmahlsfrage anwendet, wornach er in den
Wortem „Brod* und „Wein“ als Worten die adäquate richtige Bezeich
nung des wahren und unveränderlichen Wesens des Brodes und des
Weines erfasst*"°), so dass jede beliebige Aussage über die beiden
eben schlechthin sinnlos sei, sobald mam annelme, dass das substan
tielle Wesen des Brodes und des Weines geändert oder getilgt wäre 807).
sicht, welche Lessing über denselben aussprach, durchans noch nicht widerlegt
Zu Se10.
305) Bereng. a. a. 0. p. 104.: Et quidem propositio vera est veraeque prop0
sitionis vim suo loco posita oblineret, ......;. nec eius magis quam omnium tam
ferum quam aliarum propositionum veritas apud veritatem omnia scientis ac prae
scientis dei aeternaliter constat, qui et res ipsas in principalibus ac secundis essen
tiis condidit easque tam verarum quam falsarum pr0p0sitionum causas esse disp0
suit. H. Ritter irrt sehr, wenn er (Gesch. d. Phil. VII, p. 310.) in Berengarius
einen Realisten erblickt; denn erstens von den Universalien ist bei Bereng. weder
hier noch überhaupt irgendwo eine Rede, und zweitens werden die sogleich fol
genden Stellen deutlich zeigen, dass das Hauptgewicht auf der begrifflichen Festig
keit der menschlichen Worte liege. '
306) Ebend. p. 66.: Nomina enim rerum ad differentiam rerum ipsarum ' qu0
damm0d0 solitaria dici possunt, verbi gratia pronuntiato nomine quod est ,,terra“,
solius est terrae quod auditur, item audit0 e0 quod est ,,panis“ ad plura n0n erit
eaecurrendum; pronuntiato aulem eo quod est ,,elementum“ ad plura itur, nisi,
unde agas , de terra an de aqua aut celeris, determines , et sicut terrae' adhibetur
nomen hoc ,,terra“, qu0 discernatur ab aliis, ita ,,elementum“. Ebend. p. 75.:
Qui dicit ,,panis altaris solummodo est corpus Christi“, panem in altari esse non
negat, panem et vinum esse confirmat in mensa dominica ....... „Solemus enim ali
quas res illarum rerum ea, quibus efficiuntur nominibus appellare, quamvis in aliam
naturam translatae iam non possint esse illud, quod sunt res illae, eae quibus pro
bantur effectae ..... ac per hoc, cum tam diversae naturae sint in utrisque, non
recte quis cristallum nivem vocaverit, nisi e0 loculionis m0d0 , qu0 res effecta ma
teriali solet nomine appellari. Ebend. p. 79.: Quando enim sit aliquid n0n per
generationem subiecti de aliquo, non per corruptionem , subiecti, sicut de auro annu
lus, de aere concha, de marmore pira, de arbore paries arcus et tabula , iure ma
teriae nomine appellantur, quod facta sunt de materia, quia non amisit ipsa materia
formam suam.
307) Ebend. p. 67.: Dum enim dicitur ,,panis et vinum sacramenta sunt“,
minime panis, aufertur et vinum, et nominibus rerum ita natarum significativis apta
tur nomen, quod non nata sunt ut ,,est sacramenlum*'; simul etiam esse aliud
aliquid minime prohibentur. Ebend. p. 81.: 0mne enim quod est aliud, est in eo
quod aliquid est, nec potest res ulla aliquid esse, si desinat ipsum esse ; et ne
obscurum , quod dico, remaneat, dicat aliquis ,,Socrates est, Socrates iustus est**;
nullo modo Socrates iustus erit, si Socratem esse non contingeret. Ebend. p. 84.:
XIII. Die Theologie. Berengarius. Lanfrancus. 75
L a nfr an cus hingegen, welcher gelegentlich auch zu einer elenden
Sophisterei .seine Zuflucht nimmt 80°), steht überhaupt auf dem Stand
punkte, dass Auctoritäten mehr gelten als dialektische Gründe 309), und
ihm sowie seinen Anhängern musste natürlich eine nominalistische Werth
schätzung der Dialektik verwerflich erscheinem ; kurz ein richtiger In
stinet leitele die Gegner eines selbslständigen Auftretens der Logik,
wenn sie die dem Scotus Erigena zugeschriebene Ansicht über das
Abendmahl in eine innere Verbindung mit dem wirklichen logischen
Momente der Philosophie des Scotus brachtem, und die Verurtheilung
der Abendmahlslehre des Berengarius enthielt zugleich eine Werurthei
lung jener Logik in sich, welche auf die subjective Kraft des mensch
lichem Denkens sich stützend in den menschlichen Sprachausdrücken den
festem Gehalt. begrifflicher Allgemeinheit erblicken konnte.
Erklärlich aber ist es, dass, eben hiedurch die lediglich formelle
Frage wieder stärker angeregt wurde, d. h. dass über die Auffassung
der Logik selbst und mamentlich über die Begriffsbildung jene Wer
schiedenheit der Ansichten, welche auf Grund des überlieferten Schul
materiales schon viel früher zu Tage getreten war, jetzt zum offenem
Streite aufflammte, wobei mit dem entschiedmeren Bewusstsein einer
Parteistellung die beiderseitigen Behauptungen durch Herbeischaffung von
Gründem gestützt werden solltem. Nemlich auch die Realisten nahmen
Si propositioni illi quae dicit ,,hic panis est meum corpus“, ubi subiectus terminus
qui est ,,panis“ propria non potest locutione non eæpendi, stupenda in tua erudi
tione vecordia panem deperisse contenderis sensualem. Ebend. p. 87.: Ubi panem
qui proprie panis appelletur, corpus etiam Christi, sed tropica locutione , quantum
ad eam propositionem quae enuntiat ,,panis altaris post consecrationem est corpus
Christi** nulla falsitate dissimulat appellari. Ebend. p 107.: Repetito dico: qui
cunque negat, post consecrationem superesse panem et vinum in mensa domiiinica, et
tamen nobis harum quamcunque concedit enuntiationum, ipse se subvertit, ipse sibi
necessario contrarius eæistit. Die prâciseste Formulirung ebend. p. 99.: Ubi ego
scripsi ,,n0n enim constare poterit affirmatio omnis parte subruta“ etc.
308) Nemlich in Bezug auf das so eben zuletzt Angeführte sagt Lanfr. d. corp.
et sangu. dom. c. 7., 0pp. ed. Giles, II, p. 161.: Adhuc alio argumento probare
contendis ... dicens ,,non enim constare poterit affirmatio omnis parte subruta“.
Ad cuius rei probationem non oportuit inferri particularem negationem, qua de prae
senti quaestione nihil colligitur, sed universalem potius, per quam enunliatur ,,nulla
qffirmatio constare poterit parte subruta**. Age enim, particularis sit negatio tua
,,n0n omnis affirmatio conslare poterit parte subruta“, rursus assumpti0 tua ,,panis
et vinum altaris solummodo sunt sacramentum, vel panis et vinum altaris solummodo
sunt verum Christi corpus et sanguis, — utrumque affirmatio est**; his duabus
particularibus praecedentibus poterisne regulariter concludere, parte subruta ea non
p0sse constare ? Absit; in nulla quippe syllogismorum figura praecedentibus duabus
particularibus consequenter infertur conclusio ulla; male igitur eam collocasti. D.
h. Lanfranciis verdreht dem Satz des Berengarius, welcher doch den Sinn hat:
,,Nicht kann die Bejahung in ihrer Totalität bestehen, wenn ein Theil aufgehoben
ist“ derartig, als habe omnis die Bedeutung ,,Jeder“, und als wäre hiemit der
Sinn ,,Nicht jede Bejahung kann bestehen u. s. f.“; die zweite Sophisterei, das
Urtheil ,,utrumque affirmatio est“ ein particulares zu nennem, hätte sich Lanfr. so
gar ersparen können, da bekanntlich der Schlusssatz nicht allgemein sein kann,
wenn auch nur Eine Prämisse particular ist. Vgl. auch Bereng. a. a. 0. p. 103 ff.
309) Lanfr. a. a. 0. p. 160.: Et quidem de mysterio , fidei auditurus ac re
sponsurus quae ad rem debeant perlinere mallem audire ac respondere sacras aucto
ritates, quam dialecticas, rationes. t • • *..
76 XIII. Parteiung. Albericus. Nominalismus.
ja die übliche Schul-Logik für sich in Anspruch und glaubten, Dialek
tiker micht bloss sein zu dürfen, sondern auch sein zu müssen; denn
um die volle Tragweite des Realismus überhaupt nur zu erkennen, dazu
war jene Zeit eben zu umphilosophisch ; und hätte es damals eine Phi
losophie gegeben, so hätte man nicht gestritten, wie man stritt. Nun
aber hatte mam ja Nichts als das überall verbreitete Schulmaterial der
Logik, und das damals noch übermächtige Motiv der blossem Tradition
himderte auch innerhalb dieses beschränkten Stoffes jeden tieferen selbst
ständigen Blick des Geistes. Dass aber das benützbare Material der
traditionellen Logik auch bei dem nun ausbrechenden Streite noch im
imer nicht jene Gränze überschritten hatte, auf deren Worhandemsein wir
schon so oft hinweisem mussten, d. h. dass man auch gegen Ende des
11. und zu Anfang des 12. Jahrh. die Analytiken und die Topik des
Aristoteles noch nicht kannte, und des Boethius Uebersetzung derselben
noch nicht cursirte, ist uns durch einen jedenfalls bedeutenden Schrift
steller jener Zeit, durch Sigebert von Gemblours, deutlich bezeugt *1°).
In wie weit A l b e r i c u s von Monte Casino (gest. 1088), welcher
gleichfalls die Lehre des Berengarius bekämpfte, seinem theologischen
Standpunkt etwa auch in seiner Schrift „De dialectica“ beurkundet
habe, wissen wir nicht, da uns lediglich die Notiz, dass er eine solche
verfasste, überliefert ist; bemerkt mag werden, dass er zugleich auch
zu den Schriftstellern der obem (Amm. 295) erwähnten Formelbücher
Litteratur gehörte °11).
Wohl hingegen zeigt sich uns jene principielle Anschauung , wor
nach mam, wie gesagt, mit richtigem Instincte den Nominalismus in
eine Verbindung mit der Lehre , des Scotus Erigena brachte, in jener
Stelle eines. Chronisten, welche seit Buläus *1*) oft genug angeführt,
310) Sigebert v. Gemblours (geb. um 1030, gest. 1112) schrieb, wie er selbst
sagt, erst am Schlusse seiner übrigen schriftstellerischen Thätigkeit, also wohl erst
gegen 1100, seine Compilation ,,De scriptoribus ecclesiasticis“, und wenn er auch
planlos hiebei verfuhr (s. Sigfr. Hirsch', D. vita et scriptis Sigiberti Gemblacensis,
Berol. 1841, bes. p. 335.), so darf er uns doch als treuer Spiegel seiner Zeit
gelten. Derselbe sagt nun dort c. 37, b. Fabric. Bibl. eccl. p. 97., Folgendes von
Boethius: ,,Laudent eum seculares, quod Isagogas, quod Perihermenias, quod Cathe
gorias transtulerit de graeco in latinum et eaeposuerit (die Uebersetzung der Analy
tiken und der Topik ist also nicht erwähnt), quod Topica Ciceronis eaeposuerit,
quod Antepraedicamenta (hierunter kann doch nur wieder die Isagoge verstandem
sein, s. Abschn. XII, Anm. 85, welche ja Boethius sowohl nach der Uebersetzung
des Victorinus als auch nach seiner eigenen bearbeitete, jedenfalls aber ist das
erstmalige Workommen dieses Ausdruckes zu bemerken, s. folg. Abschn., Anm.
272.), quod libros de topicis differenliis , de cognatione dialecticae et rhetoricae et
distinctione rhetoricorum locorum (diese letzterem sind natürlich keine eigenen Schrif
ten, sondern bilden eben dem Inhalt won d. diff. top.), de communi praedicatione
potestatis et possibilitatis (diess kann wohl nur die zwei letzten Bücher des Com
mentares zu d. interpr. Edit. II. bedeuten, s. Boeth. p. 414.), de categoricis et
hypotheticis syllogismis libros, et alia multa (d. h. Introd. ad cat. syll., D. divis.,
D. defin.) scripserit etc.
311) Petr. Diac. Chron. Casin. III, 35. b. Pertz, Mon. IX, p. 728.: Per idem
tempus Albericus diaconus vir disertissimus ac eruditissimus ad hunc locum habita
turus advenit ...... composuit .... librum dictaminum et salutationum ...... librum
de dialeclica.
312) Bulaeus, Hist. univ. Paris. I, p. 443.: Nominalium princeps et antesignanus
XIII. Roscellinus. Robert. Arnulph. 77
aber nicht immer richtig verstanden wurde. Wenn nemlich dort ge
sagt wird, zu dem einflussreichen Dialektikern gehöre J oh a n nes, wel
cher gelehrt habe, dass die Logik Sache des Wortausdruckes (vocalis)
sei, und demselben seien hierin R o s c elli n u s von Compiegne, R o -
b e r t von Paris, und A r m ul p h von Laom gefolgt, welche selbst wieder
won vielen Schülern gehört worden seien, so passt jene Bezeichnung,
wie wir oben (Amm. 110—124) zu entwickelm versuchten, vortrefflich
für das dialektische Princip . des Johannes Scotus Erigena, und wir
werdem alle anderweitigem haltlosen Vermuthungen, wer jener Johannes
gewesen sei, gerne bei Seite lassen *'*). Von den anderen dreien,
welche als Vertreter jener Richtung genannt sind, bleiben uns Robert
und Arnulph ganz im Dunkeln; einiges Wenige hingegen wissen wir
von Roscellimus.
Das Missliche ist, dass wir über R o s c el I i n u s, dessen Thätigkeit
den zwei letzten Jahrzehntem des 11. Jahrh. angehört, nur durch seine
Gegner unterrichtet sind *'*), und da auch bei ihm die logische Auf
Joannes quidam cognomento Sophista, de qu0 sic Auctor historiae a Roberto rege
ad mortem Philippi primi: ,,In dialectica hi potentes eæstiterunt sophistae: Joannes
qui eandem artem sophisticam vocalem esse disseruit, Robertus Parisiacensis, Roce
linus Compendiensis, Arnulphus Landunensis ; hi Joannis fuerunt sectatores , qui
eliam quamplures habuerunt auditores.“
313) Hauréau, De lu phil. scolast. I, p. 174. gibt jenen Worten ihre richtige
Beziehung auf Scotus Erigena. •
314) In neuerer Zeit wohl hat Schmeller aus einer MMnchner Handschrift
(Cod. lat. 4643.) einen Brief veröffentlicht (Abhdl. d. philos.-philol. Cl. d. k. bay.
Akad. d. W. W, 3, p. 189 ff.), in welchem er ein Sendschreiben des Roscellinus
an Abàlard erkannte; doch gibt auch diese einzige Schrift Rosc.'s, welche wir
besitzen, betreffs der Logik keinen Aufschluss. Wohl aber ist sie biographisch
von grösster Wichtigkeit, denn indem sowohl einerseits auf dem ersten Blick klar
ist, dass Abàlard der Adressat sei (die Entmannung desselben und das Verhältniss
zu Heloise sind erwähnt p. 194. u. 210.), als auch andrerseits unzweifelhaft er
hellt, dass Niemand anderer als Roscellinns der Werfasser sein könne (denn jene
Vorwürfe, gegen welche p. 193 f. eine Wertheidigung geführt wird, sind dieselbeu,
welche anderwärts z. B. in Abael. Epist. 21. gegen Roscellinus geschleudert wer
dem, und ausser den Beziehungen auf das unsittliche Leben der Kleriker, p. 197.,
bildet der sog. Tritheismus gerade den Hauptinhalt des Briefes p. 199 ff.), so er
sehen wir iiun, dass Roscellinus, welcher in Soissons und Rheims seine Studien
gemacht hatte, hierauf in Tours und in Locmenach (bei Wannes in der Bretagne)
docirte, wobei der noch sehr junge Abàlard sich unler seinen Schülern befand,
und dass später Rosc. als Canonicus in Besangon lebte (p. 193.: beneficiorum quae
tibi tot et tanta a puero usque ad iuvenem sub magistri nomine et actu eaehibui
0blitus ..... p. 195.: testimonio Suessionensis et Remensis ecclesiae .... sub quibus
natus et educatus et edoctus. sum comprobabo .... Neque vero Turonensis ecclesia
vel Locensis, ubi ad pedes meos magistri tui discipulorum minimus tam diu rese
disti, aut Bizuntina ecclesia , in quibus canonicus sum, eætra mundum sunt).
Hiernach bestätigt sich die Angabe Otto's v. Freising (s. d. folg. Anm. 316.), und
wir wissen nun, wo Abàlard studirt , habe, ehe er nach Paris kam (Abael. hist.
culum. c. 1.: Proinde diversas disputando perambulans provincias, ubicunque huius
arlis vigere studium audieram, peripateticorum aemulator faclus sum; perveni tan
dem Parisios etc.), sowie auch erhellt, dass es mur als Uebertreibung auf Rech
nung des odium theologicum zu setzen sei, wenm gesagt wurde, Roscellinus sei aus
Frankreich und England vertrieben worden (Abael. Epist. 21.: ab utroque regno in
qu0 conversatus est, tam Anglorum scilicet quam Francorum, cum summo dedecore
eaepulsus est. Roscell. Epist. p. 194.: quod ' summa haeresi convictus et infamis
iam toto mundo eaepulsus sim). -
78 XIII. Roscellinus.
fassumg auf das theologische Gebiet (bekanntlich in dem sog. Tritheis
mus) hinüberspielte, so ist es erklärlich, dass Ton und Färbung jener
etlichen Notizen durch dogmatischen Fanatismus bedingt sind; denn auch
Roscellinus gehört zu denjenigen, welche dem Glauhen nur dann eine
Berechtigung zugestehem, wenn derselbe sich durch Gründe vertheidigen
lasse °'°). Zunächst treffen wir nur die umbestimmt allgemeine Angabe,
dass Roscellinus die nominalistische Ansicht in der Logik zur Geltung
gebracht habe *'°), und zwar wird diess. als eine Neuerung bezeichnet,
und an das Auftreten des Roscellimus die Entstehung einer „neuem“
Gattung der Logik neben der bisherigen „alten“ (s. untem Anm. 326)
geknüpft, wobei jene Neuerer nicht auf die Wissenschaft der Dinge,
sondern auf Geltendmachung der Worte und Begriffe ausgegangen
seiem °'"). Etwas eingehender ist wohl die Notiz, dass es sich eben
um die Universalien (d. h. die quinque voces und die Kategorien) ge
handelt habe, und dass Roscellinus behauptete, die Worte (voces, s.
unten Anm. 324 f.) selbst seien dasjenige, was man Gattung und Art
nenne ° 1°). Aber wenn Anselmus ° 1°), welcher in seiner Orthodoxo
315) Anselm. d. fide trin. c. 3, 0pp. ed. Gerberon p. 43.: Dicit, sicut audio,
ille qui tres personas dicitur asserere esse velut tres angelos aut tres animas, ,,Pa
gani defendunt legem suam, Judaei defendunt legem suam, ergo et nos Christiani
debemus defendere fidem nostram** (man beachte für jene Zeit die äusserst vernünf
tige Liberalitât, augh den Juden und Heiden dfe dialektische Begründung ihres
Glaubens zuzugestefien).
316) 0tto Fris. d. gest. Frid. 1, 47. (ed. Urstis. Francf. 1585, p. 433.):
Petrus iste (sc. Abaelardus) .... habuit primo praeceptorem Rozelinum quendam, qui
primus nostris temporibus in logica sententiam vocum instituit, et post ad gravissi
mos viros Anselmum Laudunensem, Guilelmum Campellensem Cataulani episcopum
migrans ipsorumque dictorum pondus tanquam subtilitatis acumine vacuum iudicans
non diu sustinuit; inde magistrum induens Parisios venit (s. folg. Abschn.,
Anm. 258.).
317) Aventin. Ann. Boior. VI. (ed. Cisner, 1615, p. 383.): Hisce quoque tem
poribus fuisse reperio Rucelinum Britannum, magistrum Petri Abaelardi, novi lycaei
conditorem, qui primus scientiam (zu lesen sententiam) vocum sive dictionum in
stituit, novam philosophandi viam invenit; eo namque autore duo Aristotelicorum,
Peripateticorum, genera esse coeperunt; unum illud vetus locuples in rebus procre
andis, quod scientiam rerum sibi vindicat, quamobrem reales vocantur ; alterum
novum, quod eam distrahit, nominales ideo nuncupati, quod avari rerum prodigi
nominum atque notionum verborum videntur esse assertores.
318) Joann. Saresb. Metalog. II, 17. (0pp. ed. Giles, V, p. 90.): Naturam
tamen universalium hic omnes eaepediunt et altissimum negotium et maioris inquisi
tionis contra mentem auctoris eæplicare nituntur; alius ergo consistit in vocibus,
licet haec opinio cum Rocelino suo fere omnino iam evanuerit; alius sermones (s.
unten Anm. 324.) intuetur et ad illos detorquet quidquid alicubi de universalibus
meminit scriptum ; in hac autem opinione deprehensus est Peripateticus Palatinus
Abaelardus noster, qui multos reliquit et adhuc quidem aliquos habet professionis
huius sectatores. Ebend. Polycr. VII, 12., 0pp. IV, p. 127.: Fuerunt et qui voces
ipsas genera dicerent esse et species ; sed eorum iam eæplosa sententia est et facile
cum autore suo evanuit (s. Anm. 325.).
319) Anselm. d. f. trin. c. 2. Ed. Gerberon p. 42 f.: Illi utique nostri tem
poris dialectici, immo dialecticae haeretici, qui nonnisi flatum vocis putant esse
universales substantias, et qui colorem non aliud queunt intelligere quam corpus nec
sapientiam hominis aliud quam animam, prorsus a spiritualium quaestionum dispu
tatione sunt eæsufflandi. In eorum quippe animabus ratio, quae et princeps et
' iudeæ omnium debet esse quae sunt in homine, sic est in imaginationibus corpora
XIII, RosCellinus. • 79
manie den köstliehen Ausdruck ,,Ketzer der Dialektik* erfand und gegen
Roscellinus anwendete, in blinder Leidenschaftlichkeit oder böswilliger
Uebertreibung sagt, nach jener Ansicht seien die allgemeinen Substanzen
Nichts weiter als ein Wort-Hauch (flatus vocis), so werden wir wohl
auch die übrigen Angaben des spiritualistischen Eiferers nur mit Wor
sicht aufnehmen dürfen, zumal da er nach dem eigenen Erzeugnissen
seiner Dialektik, wie wir sehen werdem, in logischen Fragen kaum
als urtheilsfähig gelten kann ; so ist es ja auch mur ein Ausdruck des
schroffsten Parteihasses, wenn er den Anhängern Roscellin's vorwirft,
dass sie die Wernunft den körperlichen Einbildungen (corporalibus ima
ginationibus) preisgebem, denn hoffentlich erhebt sich die Einsicht in
den begrifflichen allgemeinen Gehalt der Worte gerade am meisten über
die sensuale Zufälligkeit und hahnt allein den Weg zu einem wirklichen
selbsterrumgenen Wissem, während zui einer spiritualistischen Ontologie
vielfach eine mit dem Sensualen verfloehtene Einbildungskraft erforder
lich ist. Und abgesehen von dem lächerlichen Vorwurfe, dass Rosce!
limus nicht verstehe, wie die Vielheit der Individuen im Artbegriffe eine
Einheit sei (denn das ist es ja eben, was Roscellinus einsah, dass nem
lich die Einheit in dem den Begriff aussprechenden Worte liege), wer
den wir die weiterem Bemerkungen, dass Roscellinus die Farbe eines
Dinges mit dem Dinge selbst und die Eigenschaften mit ihren Trägern
verwechsle, sowie dass er nicht einsehe, wie z. B. ,,Mensch* etwas
Anderes sei als der einzelne Mensch, nun wohl füglich auf den wahren
Sachverhalt zurückführen müssen; denn Ersteres kann doch mur den
Sinn haben, dass nach des Roscellinus Ansicht der Begriff einer Qualität
als Begriff ebensosehr Allgemeinheit enthalte, wie der Begriff einer Sub
stanz als Begriff, und betzteres enthält, wenn wir die gehässige ' Wem
dung des Beriehterstatters abstreifen, den einfachen Grundsatz des No
minalismus, dass objectiv im concreten Sein überall mur Individuelles
existirt, die Art- und Gatlungsbegriffe aber mur subjectiv in dem mensch
lichen Worten vorliegen, kurz dass objectiv die Universalien keine vom
Individuellen getrennte Existenz haben. Dass hiernach die Trinität als
objectives Wesen Gottes gleichfalls aus drei Individuen bestehen miisse **"),
liegt in der Consequenz dieser logischen Ansicht, und es war hiedurch
in ähnlicher Weise wie hei Berengarius die Theologie in den logischen
Parteistreit verflochten. Roscellinus aber scheint überhaupt sehr folge
libus obvoluta, ut eae eis se non p0ssit evolvere nec ab ipsis ea, quae ipsa sola et
pura contemplari debet, valeat discernere. Qui enim nondum intelligit, quomodo
plures homines in specie sint unus, qualiter in illa secretissima et altissima natura
comprehendet, quomodo plures personae .... sint unus deus ? Et cuius mens obscura
est ad discernendum inter equum suum et colorem eius, qualiter discernet inter unum
deum et plures relationes eius? Denique qui non potest intelligere , aliquid esse
hominem nisi individuum, nullatenus intelliget hominem nisi, humanam personam;
omnis enim individuus homo persona est; quomodo ergo iste intelliget hominem
assumptum esse a verbo etc.
320) Ebend. Epist. II, 41, p. 357.: quia Roscelinus clericus dicit, in deo tres
personas- esse tres ab invicem separatas , sicut sunt tres angeli, ita tamen ut una
sit voluntas et potestas, aut patrem et spiritum sanctum esse incarnatum, et tres
deos vere posse dici, si usus admitteret.
•
80 XIII. Roscellinus.
richtig seinen Standpunkt nach allen Seiten durchgeführt zu haben, denn
ausserdem wäre es schwer erklärlich, wie in den spärlichen Mitthei
lungen, welche wir über ihm haben, wieder irgend ein vereinzelter
Punkt uns völlig auf das gleiche Princip zurückweise ; nemlich bei dem
Theilbegriffe, dessen Erörterung Boethius schon in die Isagoge und in
die Kategorienlehre verwoben hatte (s. Abschn. Xll, Anm. 92 u. 96),
ist dem Roscellinus gleichfalls das subjective Moment das Entscheidende;
denn der Sinn der hierauf bezüglichen Notiz **') ist folgender: Soll z.
B. das Dach als Theil des Hauses betrachtet werden, so ist zu erwägen,
dass objectiv als Ding das Dach völlig unselbstständig ist, da in objecliv
dinglicher Beziehung es eben nur ein Haus-Dach und ebenso nur , ein
mit einem Dache versehenes Haus (falls es nemlich ein wirkliches Haus
sein soll) geben kann ; wäre daher das Dach objectiv ein Theil des
Hauses, so wäre es ein Theil des objectiv untrennbarem Ganzen und
hiemit zufolge dieser Untrennbarkeit zuletzt auch ein Theil seiner selbst,
d. h. objectiv dinglich führt der Theilbegriff zu Widersprüchen, und
das Richtige ist, dass das Dach lediglich durch unsere begriffshaltigen
Worte als „Theil“ bezeichnet wird, also der Theilbegriff als solcher
dem subjectiven Wortausdrucke anheimfällt; auf gleiche Weise verhält
es sich auch mit der Priorität des Theiles gegenüber dem Ganzen, denn
in objectiver Beziehung als Ding kann das Dach nicht früher sein, als
die objectiv untrennbare Verbindung seiner selbst mit Anderem, da es
dann gleichfalls wegen der Untrennbarkeit sich ergäbe, dass das Daeh
früher als es selbst wäre, so dass hiemit auch die Priorität des Theil
begriffes nur im subjectiven Denken liegt. Sowie auch diese Ansicht
Roscellin's von den Gegnern böswillig verzerrt wurde ***), so wendete
derselbe sie andrerseits witzig gegen den verstümmelten Abälard an,
wobei consequent auch der Begriff des Ganzen dem subjectivem Denk
aete zugewiesen wird, da bei Aenderung des objectiven Bestandes einer
untrennbaren Verbindung sofort die begriffsmässige Wortbezeichnung,
welche dann den subjectiven Gedanken eines Gauzem nicht mehr fest
321) Abael. d. divis. et defin. p. 471. (ed. Cousin): Fuit autem, memini,
magistri nostri Roscellini tam insana sententia, ut nullam rem partibus constare
vellet, sed sicut solis vocibus species ita et partes adscribebat. Si quis autem rem
illam, quae domus est, rebus aliis, pariete scilicet et fundamenlo, constare diceret
(es ist diess das bei Boethius, z. B. p. 52 f. u. p. 646., übliche Beispiel der Thei
lung), tali ipsum argumentatione impugnabat: Si res illa, quae est paries, rei il
lius, quae domus est, paries sit , cum ipsa domus nihil aliud sit quam ipse paries
et tectum et fundamentum, profecto paries sui ipsius et ceterorum pars erit; at
vero quomodo sui ipsius pars fuerit ? Amplius , omnis pars naturaliter prior est
t0t0 suo ; qu0m0d0 aulem paries prior se et aliis dicetur, cum se nullo modo
prior sit?
322) Abael. Epist. 21. (0pp. ed. Amboes. p. 335.): Hic sicut pseudo-dialecticus
ita et pseudo-christianus, cum in dialectica sua nullam rem partes habere aestimat,
ita divinam paginam impudenter pervertit, ut eo loco quo dicitur dominus partem
piscis assi comedisse, partem huius vocis, quae est piscis assi, non partem rei in
telligere cogalur. (0b dieser Brief von Abalard oder, wie Buläus meint, von einem
Anderen um d. J. 1095 verfasst sei, ist bezüglich dieser Stelle gleichgültig; übri
gens scheint das oben, Anm. 314., Gesagte für die Autorschaft Abâlards zu
sprechen.)
XIII. Roscellinus. Raimbert. 81
zuhaltem vermag, durch eine anderweitige Bezeichnung ersetzt werden
muss 338). -
Dass übrigens der Standpunkt des Roscellinus wesentlich kein neuer
war, zeigt die Vergleichung mit Obigem (Anm. 124, 151, 159, 242,
253, 276, 305 f.); nur halte die Anschauung, dass die Universalien und
die Begriffsbildung Sache der menschlichen Worte seien, seit dem Auf.
treten des Berengarius eine grössere Behutsamkeit und schärfere Be
kämpfung seitens der 0rthodoxie hervorgerufen. Hingegen bleibt Ein
Punkt, und zwar vielleicht der , wichtigste, in Folge des Mangels an
' Quellen uns völlig im Unklaren; es wird nemlich in der oben, Anm.
* 318, angeführten Stelle des Johannes v. Salesbury ein scharfer Unter
schied gemacht zwischen denjenigen, welche die Universalien in die
,,v0æ“ verlegten, und jenen, welche sie auf die „sermones“ bezogen,
woram sich. die Angabe knüpft, dass zu den Letzteren Abälard gehört
habe. Im Hinblicke nun auf die grammatische Bedeutung der Worte
voa und sermo und in vorläufiger Bezugnahme auf dasjenige, was untem
(folg. Abschn., Anm. 308 ff.) bei Abälard zu erörtern seim wird, müssen
wir allerdings vermuthen, dass Roscellinus einseitig nur den isolirten
Begriff ins Auge gefasst und hiemhit ohne Rücksicht auf die Satzverbin
dung die Worte als fertige Begriffe betrachtet babe 834); aber ob er
die Lehre vom Urtheile bloss vernachlässigt oder etwa die Bedeutung
des Urtheiles sogar direct bestritten habe, oder wie er bei Begründung
einer solchen Durchführung des Nominalismus verfahren sei, wissen wir
nicht 828). .
Eben für jene Zeit aber, in welcher Roscellinus aufgetreten war,
besitzen wir eine höchst charakteristische Notiz bezüglich des logischen
Parteikampfes **°). Es docirte nemlich ein gewisser R aim b ert in
323) Roscell. Epist. (s. Anm. 314.) p. 210.: Sed forte Petrum te appellari
posse eae consueludine mentiris ; certus sum autem, quod masculini generis nomen,
si a suo genere deciderit, rem solitam significare recusabit; solent enim nomina
propria significationem amittere, cum eorum significata contigerit a sua perfectione
recedere ; neque enim ablato tecto vel pariete domus, sed imperfecta domus voca
bitur; sublata igitur parte, quae hominem facit, non Petrus, sed imperfectus Pe
trus appellandus es.
324) Unter den älteren Nominalisten dürften sonach dem Roscellinus vermöge
einer einseitigeren Betonung der voa, näher stehen jener Pseudo-Hrabanus (Amm.
151.), Jepa (Anm. 159.), der Anonymus Cousin's (Anm.. 242.), und der St. Galler
Anonymus D. interpr. (Amm. 253.), sowie theilweise selbst Scotus Erigena (Anm.
124.); hingegen wären durch Beachtung des sermo und des prädicativen Werhält
nisses mehr mit Abâlard verwandt Eric (Anm. 159.), der St. Galler Anonymus D.
syllog. (Anim. 276.) und Berengarius. (Amm. 305.).
325) Möglicher Weise könnte, falls Roscellinus diese einseitige Wendung des
Nominalismus wirklich durch Gründe gestützt hätte, obige (Amm. 316.) Ausdrucks
weise Otto's (primus instituit sententiam vocum) wörtlich genommen werden; jeden
falls aber geht aus Joh. v. Salesb. (Anm. 318.) hervor, dass die Anhänger des
Nominalismus diesen verengten Stamdpunkt bald verliessem; nur darf man nicht,
— wie schon geschah —, sich so ausdrücken, dass Joh. v. Salesb. den Nomina
lismus überhaupt bereits für erloschen erkläre; s folg. Abschn., Anm. 76 ff.
326) Herimann. Narr. Restaur. Abb. S. Mart. Tornac. bei D'Achery : Spicil. ed.
De la Barre II, p. 889.: Jam vero si scholae appropriares, cerneres magistrum 0d0
nem nunc quidem Peripateticorum more cum discipulis docendo deambulantem, nunc
vero Stoicorum instar residentem et diversas quaestiones solvéntem ..... Sed cum
PR A ntl, Gesch. II. 6
82 XIII.* Raimbert. 0tto v. Cambray.
Lille, sowie „sehr viele Andere“, die Dialektik mach der ,,modernen**
nominalistischen Auffassung (in voce), und dieselben nebst ihren An
hängern bethätigten sich in feindseliger Rivalität gegen 0 t to (nachmals
seit d. J. 1106 Bisehof von Cambray), welcher i. J. 1092 das Kloster
St. Martin in Tournay widerhergestellt halle und dort Logik nach „altem“
Stile " realistisch (in re) lehrte. Da nun Manehe durch den Reiz der
Neuheit sich zu Raimbert hingezogen fühlten, zugleich aber bei dem
gegenseitigen Abwägen der Vorzüge beider Schulen kein ganz entschie
demes Resultat erzielt zu werden schien, so wendete sich Einer der
Ramoniker in Tournay an einen damals berühmtem Wahrsager, welcher,
obwohl taubstuimm, die an ihn gerichtete Frage sogleich verstand und
durch Zeichenspraehe sich, — wie man nicht anders erwarten darf
—, unbedingt für die Richtigkeit und Vortrefflichkeit der realistischen
Schule 0tto's erklärte. Wenn übrigens der Berichterstatter (Abt Her
mann in Tournay in d. ersten Hälfte d. 12. Jahrh.), welcher sich na
türlich gleichfalls als einen orthodoxen Feind der windigen Geschwätzig
keit des Nominalismus bekennt, zugleich logische Schriften 0tto's er
wähnt, so müssen wir den Verlust derselben allerdings bedauern ; bloss
vermuthen lässt sich, dass der ,,Liberº compleacionum“ vielleicht mur aus
omnium septem liberalium artium esset peritus , praecipue tamen in dialectica emi
nebat, et pro ipsa maæime clericorum frequentia eum eæpetebat. Scripsit etiam de
ea duos libellos, quorum priorem ad cognoscenda devitandaque sophismata valde
utilem intitulavit ,,Sophistem“, alterum vero appellavit ,,Librum compleacionum“;
tertium quoque ,,De re et ente“ composuit, in quo solvit, si unum idemque sit res
et ens. In his tribus libellis .... non se 0donem, sed, sicut tunc ab omnibus voca
batur, nominabat 0dardum. Sciendum tamen de eodem magistro, quod eandem dia
lecticam non iuacta quosdam modernos (diess ist die älteste Stelle, in welcher die
Nominalisten als moderni bezeichnet werden, s. hingegen folg. Abschn. Anm. 55.)
in voce, sed more Boethii antiqu0rumque doctorum in re discipulis legebat (also im
Gegensatze gegen die angebliche Neuerung werden Boethius und Porphyrius als
Realisten antiqui genannt, vgl. ob. Anm. 317.). Unde et magister Raimbertus , qui
eodem tempore in oppido Insulensi dialecticam clericis suis in voce legebat, sed et
alii quamplures magistri ei non parum invidebant et delrahebant suasque lectiones
ipsius meliores esse dicebant, quamobrem, nonnulli eae clericis conturbati, cui magis
crederent, haesitabant, quoniam magistrum 0dardum ab antiquorum doctrina non
discrepare videbant et tamen aliqui eae eis, more Atheniensium aut discere aut audire
aliquid novi semper humana curiositate studentes, alios potius laudabant, maæime
quia eorum lectiones ad ea:ercitium disputandi vel eloquenliae, imo loquacitatis et
facundiae, plus valere dicebant (Einige demnach wünschten mit dem rechtgläubigen
Realismus dennoch die , formelle Virtuosität der eigentlichen Logiker, d. h. der
Nominalistem verbinden zu können). Unus itaque ea, eiusdem ecclesiae canonicis,
nomine Qualbertus ..... tanta sententiarum errantiumque clericorum varietate permo
tus quemdam pythonicum (d. h. einen Wahrsager) surdum et mutum in eadem urbe
divinandi famosissimum adiit et, cui magistrorum magis esset credendum, digitorum
signis et mutibus inquirere coepit. Protinus ille, mirabile dictu, quaestionem illius
intelleacit deaeteramque manum per sinistrae palmam instar aratri terram scindentis
pertrahens digitumque versus magistri 0donis scholam protendens significabat, doctri
nam eius esse reclissimam; rursus vero digitum contra Insulense oppidum proten
dens manuque ori admota ea sufflans innuebat, magistri Raimberti lectionem nonnisi
verbosam esse loquacitatem. Haec diacerim n0n quo pylhomicos consulendos .... ar
bitrer, sed ad redarguendum quorundam superborum nimiam praesumptionem, qui
nihil aliud quaerentes nisi ut dicantur sapientes, in Porphyrii Aristotelisque libris
magis volunt legi suam adventiciam novitatem, quam Boethii ceterorumque anliquo
rum eæpositionem.'
.* - ; * * * -
XIlI. 0tto v. Camhray, Wilhelm v. Hirschau. 83
Boethius (d. syll. categ., s. Abschn. XII, Anm. 131 ff.) ehtnommen war,
sowie dass der „Sophistes“ etwa den theologischen Streitigkeiten näher
gelegen gewesen sei oder möglicher Weise selbst nur die Angaben des
Cassiodorus (Abschn. XII, Amm. 182) wiederholt habe; hingegen wich
tiger könnte die 'Schrift „De re et ente“ gewesen sein, denn die Frage,
ob res und -ems das Nemliche seien, war dort sieher im Simne des
Realismus beantwortet, selbst wenn aueh, — was das Wahrscheinli
chere ist --, das Ganze sieh bloss auf eine vereinzelte Stelle des
Boethius (Abschn. XII, Anm. .89 f.) bezogen habem sollte. — Jedenfalls
aber dürfte anzunelmen sein, dass der damalige Roscellinische Nomina
lismus in einer grösseren Zahl von Schrifien, als unsere Quellen durch
blicken lassem, vertreten gewesen sei; denn wir sind für solch gelegent
liche litterarische Notizen ja fast ausschliesslich auf theologische Autoren
hingewiesen, welche als Gegner einer ihnem verdächtigem Minorität vom
vornherein nicht geneigt waren, von derselben viel zu sprechen, son
dern lieber mit einem Fulbert (Anm. 237) oder Lanfrancus (Amm. 309)
in das Verwerfungsurtheil gegen die Dialektik überhaupt einstimmten 337).
Ehe wir uns aber zu Anselmus, dem eigentlichen Hauptgegner
Roscellin's wenden, müssen wir auf den Abt W ilh e I m von H i r s c h a u
(gest. 1091) hinweisen, welcher bisher in der Geschichte der Philo
sophie wohl mit Unrecht unbeachtet geblieben ist ***). Seine Schrift
„Philosophicarum et astronomicarum institutionum libri tres“ ***) scheint
überwiegend auf arabischen Quellem, und zwar hauptsächlich durch
Vermittlung C o n s tantin's de s Karthager' s °°°), zu beruhen und
327) So sagt z. B. Hildebert (als Erzbischof von Tours. gest. 1136), Sermo
69 (0pp. ed. Beaugendre, p. 579 f.): Quidam enim in philosophicis facultatibus
quandam subtilitatem inutilem vel inutilitatem subtilem quaerentes quibusdam minu
tiis verborum in cavillatione respondentes utuntur, quibus in disputatione uti, ossa
Christi est incinerare ..... Etsi enim deus c0nvertit nos, artium liberalium phanta
smatibus uti, si in hac scriptura voluerimus similiter sophistice incedere, odibiles
deo erimus, strepitum ramarum Aegypti in terram Gerson traducere molientes.
328) Ueber sein Lebem sind wir durch seinen Schüler Haimo (s. Pertz, Mon.
XIV, p. 209 ff.) und einige andere Chronisten (ebend. VII, p. 281. u. XII, p. 54.
u. p. 64 ff.) unterrichlet. Er war i. J. 1026 geboren, wurde i. J. 1069 Abt in
Hirschau, gieng i. J. 1069 in Angelegenheiten seines Klosters nach Rom, starb i.
J. 1091. Wenn Trithem. Chron. Hirs. (Basil. 1558 fol.) p. 109. ihn in Rom mit
Anselmus zusammentreffen lässt, so ist diess unrichtig, da Letzterer erst i. J.
1098 nach Rom kam (s. F. R. Hasse, Ans. v. Canterb. I, p. 333 ff.).
329) Gedruckt in Basel b. Henr. Petrus, 1531. 4 (77 Seiten enthaltend). Ich
habe über dieses seltene und interessante Buch, namentlich über die von Wilhelm
dabei benützten Quellen, nähere Untersuchungen angestellt; s. Sitzungsberichte d.
Münchner Akad. 1861, Heft l. - -
330) Petr. Diac. Chron. Casin. III, 35. b. Pertz, Monum. IX, p. 728.: Istius
vero abbatis (d. h. des Desiderius, welcher 1058—1087 Abt war) tempore Con
stantinus Africanus ad hunc locum perveniens ..... hic igitur e Carthagine , de qua
oriundus erat, egrediens Bal)yloniam petiit, in qua grammatica, dialeclica, geometria,
arithmetica, mathematica, astronomia, nec n0n et physica Chaldaeorum, Arabum,
Persarum, Saracenorum, Aegyptiorum ac Indorum plenissime eruditus est; completis
autem in ediscendis istiusmodi studiis triginta et novem annorum curriculis ad Afri
cam reversus est. Eine andere ausführliche Notiz des Petrus Diac. (d. vir. illustr.
Casin.) über Constantin's naturwissenschaftliche Schriften s. b. Muratori, Rer. Ital.
scriptt. VI, p. 40 f. oder b. Jourdain , Recherches critiques, 2. Aufl. p. 455 f. Abt
6*
84 XIII. Wilhelm v. Hirschau.
enthält für unserem hiesigen Zweck, — um abzusehen von allem Natur
philosophischen und Metaphysischen, was nicht hieher gehört —, Einen
nicht unwichtigem Punkt. Wilhelm jemlich zeigt sich uns da als der
erste und älteste Autor im mittelalterlichen Abendlande, welcher einen
syllogistisch formulirten Beweis für die Existenz Gotfes aufstellte *°°).
Während aber der theologische oder philosophische Inhalt dieses Be
weises 88*) gleichfalls über die uns hier gesteckten Gränzen hinausfällt,
ist es lediglich die formelle Seite, welehe wir zu beachten habem.
Dass das ganze Unternehmen, die objective Existenz Gottes beweisen
zu wollem, überhaupt ein verrücktes sei (daher auch Hegel das ontolo
gische Argument eben nur in seimer Eigenschaft als Neuplatoniker wie
deraufnahm), geben alle philosophisch Unbefangenen zu ; aber dass in
jenem unklaren und umphilosophischen Zeitalter ein solcher Versuch
entstehen konnte, ist höchst erklärlich, zumal weil damals als Surrogat
der 'Philosophie nur ein Bildungskreis vorlag, welcher auf dogmatische
Theologie und eine traditionelle logische Schulgewandtheit beschränkt
war; sobald man daher durch theologische Streitigkeiten sich daran
gewöhnt hatte, diess Beides derartig mit einander zu verbinden, dass
mam auch einzelne Bruchtheile des Dogma's logisch zu begründen ver
suchte (s. ob. Anm. 303), war es nur consequent, mit solcher For
mulirung sofort bei dem obersten Punkte des objectiv dogmatischen
Bekenntnisses zu beginnen. Aber eine wesentliche Bedingung hiezu war
natürlich das Worhandensein eines logischen Realismus, denn ein Nomi
nalist hätte bei irgend folgerichtigem Denken nie auf den Einfall kom
men können, Gottes , objective Existenz mit subjectiv menschlichen Wor
ten zu erweisen (ein Beispiel einer sehr ehrenwerthen Besonnenheit in
dieser Beziehung sahen wir oben, Anm. 272); und dieser Zusammen
hang mit der realistischen-Anschauung ist es aueh allein, um dessen
Wilhelm beruft sich auf Constantinus mehrmals mit namentlicher Nennung, z. B.
p. 12, 15, 24.
331) Da nemlich Wilhelm mit Anselmus schom um 1078 in Correspondenz
stand (s. Hasse a. a. 0. p. 67., Anm.), so hätte er sicher den anselmischen Be
weis berücksichtigt, wenn er die Institutiones erst nach 1080 (in welchem Jahre
das anselmische Monologium umd Proslogium bekannt wurden) geschrieben hätte;
auch zeigt sich der Gedankengang und die ganze Anschauung Wilhelm's als durch
aus unberührt won irgend einem Einflusse durch Anselm's Richtung, was nur dann
erklärlich scheint, wenn Wilhelm seine Schrift vor dem litterarischen Auftreten
Anselm's verfasste. *.
332) Er lautet seinem Hauptkerne nach (p. 3 f.): Et quando divimus in hac
vila sciri, deum esse, rationes quibus etiam incredulis hoc probari possit, ape
riamus, scilicet per mundi creationem et quotidianam dispositionem. Cum enim
nundus contrariis factus sit elementis ....., vel casu vel aliquo artifice in compo
sitione mundi illa coniuncta sunt ...... ; casu ver0 c0niuncta non sunt ...... ; igitur
aliquo artifice; artifeae vero ille vel homo vel angelus vel deus fuit ; ante vero
mundus factus est quam -homo, angelus vero cum mundo, ergo solus deus mundum
creavit. Per quotidianam vero dispositionem idem sic probatur: ea quae disponun
tur, sapienter disponuntur, ergo aliqua sapientia ..... , sed sapientia illa vel divina
vel angelica vel humana; humana .... motum et vitam conferre non potest; angelica
vero sapientia quomodo ipsos angelos disponeret? divina ergo sapientia est, quae
hoc agit; sed omnis sapientia alicuius est sapientia; est igitur, cuius est illa sa
pientia, sed nec est homo nec angelus, deus ergo est. Roh genug ist allerdings
diese Anwendung der dilemmatischen Form. -
XIII. Wilhelm v. Hirschau. Anselmus. 85
willen wir diese Beweis-Versuche bei ihrem ersten Auftreten erwähnen,
daher wir auch für alle späterem Entwicklungen, wo der formell logi
sche Parteistandpunkt in den Hintergrund . tritt, mit Wergnügen darauf
verziehtem, die verschiedenen Wandlungen, welche der ontologische
Beweis (z. B. bei Cartesius, Leibnitz, Wolff, Mendelssohn, Baumgarten,
Kant) erfuhr, zu erwähnen. Uebrigens ist es bei Wilhelm von Hirschau
nicht jener uns bisher sehon vorgekommene platonische Realismus, auf
welchem seine Beweisführung beruhe, sondern in der Speculationsweise
seiner Quellen ist es offenbar der arabisch-physikalische Realismus, wel
cher diese Wendung mit sich brachte, denn wir fimdem schon bei Ara
bern des 10. Jahrhundertes in leisen Anfängen den physiko-theologischen
Beweis *°°). Doch steht diese Einwirkung arabischer Philosophie noch
schlechthin vereinzelt da und trifft mur vermöge des realistischen Pla
tonismus überhaupt mit den entsprechenden occidentalischen Anschau
ungen in diesem Punkte zusammen.
Eben aber der ontologische Beweis war es ja, durch welchen
A n s el m u s v o n Ca n ter b u r y (geb. 1033, gest. 1109) seinen Ruhm
begründete ***). Anselmus stand, wie sich von einem Schüler Lan
franc's nicht anders erwarten lässt, auf dem Standpunkte, dass das
Wissen durch den christlichen Glauben bedingt und beschränkt sei *°°),
und er findet hiernach dem Denken gegenüber eine unbedingt objective
Realität in geistige? Beziehung bereits als vollendete vor, so dass das
Denken nur entweder an diesem objectiv Realem theilhaben oder an
demselben nicht theilhaben kann, d. h. Anselmus ist für die Logik, wie
sich von selbst versteht, Realist. Und der sonderbare Wunsch , unser
Deiiken zu dieser Theilhaftigkeit in objectivem Sinne unwiderruflich zu
zwingen, d. h. dem menschlichen Denken den Realismus andemonstriren
zu wollem, ist die Grundveranlassung des ontologischen Beweises *°°),
an welchem gleichfalls, wie so eben bemerkt wurde, uns hier Nichts
333) S. die in meiner Abhandlung über Wilhelm (a. a. 0. p. 20 f.) angeführte
Stelle aus Fr. Dieterici, d. Naturphil. d. Araber i. 10. Jahrh. (Berl. 1861). p. 162.
334) Die erschöpfend ausführliche Darstellung des Anselmus, welche F. R.
Hasse (Ans. v. Canterb. Lpzg. 1843—52. 2 Bände) gab, ist von einer durch
gängigen Ueberschätzung der Bedeutung desselben getragen.
335) Epist. II, 41. (0pp. ed. Gerberon. Paris. 1675), p. 357.: Christianus per
fidem debet ad intellectum proficere, non per intellectum ad fidem accedere aut, si
intelligere non valet, a fide recedere ; sed cum ad intellectum valet pertingere, de
lectatur, cum vero nequit, qu0d capere non potest, veneratur.
336) Proslog. c. 2, p. 30.: Convincitur ergo etiam insipiens esse , vel in in
tellectu aliquid, quo nihil maius cogitari potest, quia hoc, cum audit, intelligit, et
quidquid intelligitur, in intellectu est; et certe id, quo maius cogitari nequit, non
potest esse in intellectu solo; si enim vel in solo intellectu est, potest c0gitari esse
et in re ; quod maius est; si ergo id quo maius cogitari non potest, est in solo
intellectu, id ipsum, quo maius cogitari non potest, est, quo maius cogitari potest;
sed certe hoc esse non potest; eavistit ergo procul dubio aliquid, quo maius c0gitari
non valet, et in intellectu et in re. Apolog. c. Gaunil. c. 1, p. 37.: Ego dico: si
vel cogitari potest esse , necesse est illud esse ; nam quo maius cogitari nequit,
non potest cogitari esse nisi sine initio ; quidquid autem potest cogitari esse et non
est , per initium potest cogitari esse ; non ergo quo maius cogitari nequit, cogitari
potest esse et non est; si ergo potest cogitari esse, eae necessitate est, u. s. f. mit
fortlaufender plumper Werwechslung von cogitari und esse.
86 XIII. Gaunilo. Anselmus.
weiteres interessirt, als ebem diese formelle Seite, nach welcher er mit
dem Realismus zusammenhängt, denn er zeigt uns nur das Schauspiel
des grösstem Selbstwiderspruches, welcher überhaupt möglich ist, indem
ja durch ihn der principiellste 0bjectivismus als solcher gerade subjectiv
begründet werdem soll. Die Widersinnigkeit aber dieses Unternehmens,
welche darin liegt, dass der Realist, welcher das Ideelle von vorne
herein nur als objectives anerkennt, die objective Existenz desselben
erst noch mit subjectiven Mitteln beweisen will, erblickte G a u n ilo
(ein Mönch in Mar-Moutiers) ganz richtig, indem er behauptete, der Be
weis gehe ebensosehr auch auf die Existenz einer umbedingt vollkom
menem Insel 3°7), denn in der That hätte der Realismus durch die nem
liche Formel auch die reale Existenz sämmtlicher platoniseher Ideen
beweisen können. Wenn aber Anselmus hierauf erwidert, er 'habe ja
nicht von der Existenz des Concretem, sondern eben nur vom Unbe
dingten gesprochen *°°), so fängt er sich nothwendig in seiner eigenem
Schlinge; demn er ist genöthigt, nun dennoch seine Zuflucht zu einem
successiven Aufsteigen zu nehmen, durch welehes wir uns von dem
geringeren Bedingten erst allmälig im Denken zum Gedanken des unbe
dingten Superlatives erheben *°°), wornach das Sein dieses Unbedingten
matürlich nur ein vom Denken ponirtes Sein sein kann, während hiemit
hinwiederum sehr schlecht stimmt, wenn Anselmus apdrerseits bei jedem
Gedanken, und zwar ausdrücklieh auch bei dem ;„y$. Dinge ge
riehteten Denken, eine bloss nominelle Seite (voae significans) und ein
reelles Werstehen (id ipsum quod res est) derartig unterseheidet, dass
bei letzterem die Existenz schon involvirt, bei ersterem aber jeder Un
sinn möglich sei °*°); denm wenn die Sache so steht, bedarf es über.
337) Liber pro insipiente , c. 6. (Ans. 0pp. p. 36.): Aiunt quidam, alicubi
0ceani esse insulam, quam eae difficultate vel potius impossibilitate inveniendi, quod
n0n est, c0gn0minant aliqui perditam, quamque fabulantur .... universis aliis ....
usquequaque praestare. Hoc ita esse dicat mihi quispiam ..... At si tunc velut
consequenter adiungat ac dicat: non potes ultra dubitare, insulam illam omnibus
terris praestantiorem vere esse alicubi in re, quam et in intellectu tuo non ambigis
esse; nam quia praestantius est, non in intellectu solo sed etiam in re esse, ideo
sic eam necesse est esse , quia , nisi fuerit, quaecunque alia in re est terra, prae
stantior illa erit, ac sic ipsa iam a te praestantior intellecta praestantior non erit,
— si, inquam , per haec ille mihi velit astruere de insula illa, quod vere sit,
etc. etc.
338) Apol. c. Gaun. c. 3, p. 38.: Sed tale est, inquis, ac si aliquis insulam
0ceani etc...... Fidens loquor: quia si quis invenerit mihi aliquid aut re ipsa
aut sola cogitatione eæistens, praeter quod maius c0gitari n0n p0ssit, cui aptare
valeat conneacionem huius meae argumentationis, inveniam et dabo illi perditam in
sulam amplius n0n perdendam,
339) Ebend. c. 8, p. 39.: Quoniam namque omne minus bonum in tantum est
simile maiori bono, in quantum est bonum , patet cuilibet rationali menti, quia de
minoribus ad maiorâ conscendendo eæ his, quibus aliquid cogitari potest maius,
multum possumus coniicere illud , quo nihil potest maius cogitari ..... Est igitur
unde possit coniici, quo maius cogitari nequeat.
340) Prosl. c. 4, p. 31.: Aliter enim cogitatur res, cum vov eam significans
cogitatur, alitèr cum id ipsum quod res est intelligitur ; illo itaque modo potest
cogitari deus non esse, isto vero minime ; nullus quippe intelligens id quod sunt
ignis et aqua potest cogitare , ignem esse aquam secúndum rem, licet hoc possit
secundum voces; ita igitur nemo intelligens id quod deus est potest cogitare , quia
XIII. Anselmus. 87
haupt weder eines Beweises , der Existenz, noch eines Aufsteigens zum
Unbedingtem, sondern man braucht dann Nichts weiteres zu thun, als
eben jedwedes nach seiner realem objectiven Seite zu denken. Wohl
weislich geht daher Anselmus auch auf den treffendsten Einwand Gau
nilo's mit keinem Worte ein, welch Letzterer einen sehr vernünftigen
Nominalismus vertritt, wenn er sagt, dass allerdings die voae allein als
blosse voae, d. h. als lediglicher Buchstaben-Klang, 'keine Wahrheit ent
halte, dass aber in dem Gebiete des Erfahrungsmässigen, wo die intel
ligible Bedeutsamkeit des Wortes an Bekanntes angeknüpft umd an dem
selben gemessen wird, sehr wohl das objectiv reale Sein in den Worten
gedacht werde, wornach bei demjenigen, was über alle Erfahrung hin
ausliege, es eben bei der significatio perceptae vocis sein Bewenden
haben müsse, welche an sich dem objectiv wirklichem Bestand des be
zeichnetem Dinges nicht enthält 841). D. h. Gaunilo sagt: Wir setzen in
unseren Wortem die concrete Erfahrung in Begriffe um und besitzen in
den Wortem auch die Kraft, über das unmittelbar Wirkliche himauszu
gehen; sobald aber diess geschieht, befinden wir. uns in der Sphäre
des Gedankens allein, aus welchem als einem bloss subjectiven die ob
jective Existenz des Gedachten hervorlocken zu wollem, ein vergebliches
Bemühen ist, denn gerade wenn man auf das cogitari sich wirft, zeigt
sieh, dass esse und nom esse dem 0bjectiven angehören, und. hiemit der
ontologische Beweis Nichts beweist, weil er sein eigenes Gebiet über
schreitet und zuviel. beweist. *.
Ist hiemit der ontologische Beweis nur dadurch entstanden, dass
Anselmus sich micht einmal über seinen eigenen realistischen Standpunkt
logisch klar war, so zeigt sich diese nemliche Schwäche auch in jenem
Bekenntnisse des Realismus, welches der „Dialogus de veritate“ enthält.
Dem schlechthin realistischen Ausdruck „substantiae universales“ sahem
deus non est, licet haec verba dicat in corde aut sine ulla aut cum aliqua eætranea
significatione.
341) L. pro insip. c. 4, p. 36.: Neque enim aut rem ipsam quae deus est
novi, neque ipsam possum coniicere eae alia simili, quandoquidem et tu talem as
seris illam, ut esse non possit simile quidquam. Nam si de homine aliquo mihi
prorsus ignoto , quem etiam esse nescirem, dici tamen aliquid audirem, per illam
specialem generalemve notitiam, qua quid sit homo vel homines novi, de illo qu0
que secundum rem ipsam, quae est homo, cogitare possem; et tamen fieri posset,
ut mentiente illo qui diceret, ipse, quem cogitarem, homo non esset, cum tamen
ego de illo secundum veram nihilominus rem, non quae esset ille homo sed quae
est homo quilibet, cogitarem. Nec sic igitur, ut haberem falsum istud in cogita
tione vel in intellectu, habere possum illud, cum audio dici ,,deus“ aut ,,aliquid
omnibus maius“, cum, quando illud (d. h. jenen Menschen) secundum rem veram
mihique notam cogitare possem, istud (d. h. Gott) omnino nequeam, nisi tantum
secundum vocem, secundum quam solam aut viæ aut nunquam potest ullum cogitari
verum; siquidem cum ita cogitatur; non tam ipsa v0av , quae res est utique vera,
hoc est litlerarum sonus vel syllabarum, quam vocis auditae significatio cogitetur,
Sed non ita ul ab illo qui novit, quid ea soleat voce significari, a quo scilicet
cogitatur secundum rem vel in sola cogitatione vera, verum ut ab eo qui illud non
novit et solumm0d0 cogilat secundum animi motum illius auditu vocis effectum signi
ficationemque perceptae vocis conantem effingere sibi, quod mirum est si unquam rei
veritate potuerit. Ita ergo nec prorsus aliter adhuc in intellectu meo constat illud
haberi, cum audio intelligoque dicentem, esse aliquid maius omnibus quae valeant
cogituri. Haec de e0, quod summa illa natura iam esse dicitur in• intellectu meo.
88 XIII. Anselmus.
wir schon oben (Anm. 319) in der gegen Roscellinus gerichteten Stelle;
aber ebem diese Auffassung himdert den Anselmus natürlich an jedem
Werständnisse dessen, was die Form des logischen Urtheiles bedeute,
denm indem er die enuntiatio von vornehereim nur als Abklatsch des
objectiven Seins oder Nichtseins betrachten kann, theilt er ihr nicht
einmal in dieser Form die Wahrheit zu, sondern verlegt die Wahrheit
ausschliesslich in das 0bjective, welches micht einmal in seinem Auftretem
im Urtheile wahr sei, sondern nur die Ursache der Wahrheit des Ur
theiles enthalte 843); ja er verhöhnt förmlich die Form des Urtheiles,
indem er sagt, dass dasselbe auch dann, wenn es im Widerspruche
mit dem objectiven Thatbestande stehe, immerhin die Richtigkeit des
blossen Aussagens und Bezeichnens enthalte, während die wahre Rich
tigkeit, d. h. die Wahrheit selbst, eben nur in jener 0bjectivität liege,
nach welcher in objectivem Sinne zu haschen gleichsam als ethische
Pflicht bezeichnet wird ***), denn da Alles sein Sein mur von der höch
sten Wahrheit empfängt ***), gestaltet sich zuletzt das Sein selbst zu
einem Sollen **°). Hiernach ergibt sich wohl ein schlechthin objectiver
einheitlicher Grund der Wahrheit 34°), aber je stärker das ausschliess
342) Dial. d. ver. c. 2, p. 109 f.: M. Quando est enuntialio vera ? D. Quando
est, quod enuntiat sive affirmando sive negando; dico enim esse quod enuntiat,
etiam quando negat esse quod non est, quia sic enuntiat, quemadmodum res est.
M. An ergo tibi videtur, quod res enuntiata sit veritas enuntiationis? D. Non. M.
Quare? D. Quia nihil est verum nisi participando veritatem, et ideo veri veritas
in ipso vero est; res vero enuntiata non est in enuntiatione vera; unde non eius
veritas , sed causa veritatis eius dicenda est. -
343) Ebend. p. 110.: M. Ergo non est enuntiationi aliud veritas, quam recti
tudo ..... D. Vide0 quod dicis; sed doce me, quid respondere possim, si quis di
cat , quia etiam cum oratio significat esse quod non est, significat quod debet; pa
riter namque accepit significare esse et quod est et quod non est, nam si non
accepisset significare esse etiam quod non est, non id significaret ; quare etiam cum
significat esse quod non est, significat quod debet; at si quod debet significando
recta et vera est, sicut ostendisti, vera est oratio etiam cum enuntiat esse quod non
est. M. Vera quidem non solet dici, cum significat esse quod non est, veritatem
tamen et rectitudinem habet, quia facit quod debet. Sed cum significat esse quod
est, dupliciter facit quod debet, quoniam, significat et quod accepit significare et ad
quod facta est; sed secundum hanc rectitudinem et veritatem, qua significat esse
quod est, usu recta et vera dicitur enuntiatio, non secundum illam , qua significat
esse etiam quod non est .... Alia est igitur rectitudo et veritas enuntiationis, quia
significat ad quod significandum facta est, alia vero quia significat quod accepit
significare; quippe ista immutabilis est ipsi orationi, illa vero mutabilis.
344) Ebend. c. 7, . p. 112.: An putas aliquid esse aliquando aut alicubi, quod
non sit in summa veritate et quod inde non acceperit, quod est in quantum est,
aut quod possit aliud esse, quam 'quod ibi est?
345) Ebend. c. 9, p. 113.: In rerum quoque eæistentia est similiter vera vel
falsa significatio, quoniam e0 ipso quia est, dicit se debere esse. Hiemit hängt
anch zusammen, dass Anselmus das reale Nichtsein oder das seiende Nichts völlig
mit dem Bösen identificirt (Epist. H, 8, p. 343 f.) und somit im Vergleiche mit
Scotus Erigena (Anm. 133 ff.), entschiedener den platonischen Realismus bekennt.
346) Ebend. c. 13, p. 115.: Si rectitudo non est in rebus illis , quae debent
rectitudinem , nisi cum sunt secundum quod debent, et hoc solum est illis rectas
esse , manifestum est, earum omnium unam solam esse rectitudinem ..... Quoniam
illa (sc. veritas) non in ipsis rebus aut eae ipsis aut per ipsas, in quibus esse di
citur, habet suum esse, sed cum res ipsae secundum illam sunt, quae semper praesto
est his, quae stint sicut debent, tunc dicitur huius vel illius rei veritas. -
- XIII. Anselmus. 89
lieh spiritualistische Erfassen desselben betont wird 347), desto weniger
ist verständlich, wie der logischen Form des Urtheiles noch irgend eine
principielle Function verbleiben solle.
Wie wenig durchgebildet aber die Auffassung der Logik überhaupt
bei Anselmus gewesen. sei, erhellt am deutlichsten aus der Schrift,
welche den Titel ,,Dialogus de grammatico* führt °*°). Dieselbe ist
allerdings nur eim Schul-Exercitium, - welches Anselmus, wie er selbst
sagt, nur im Hinblicke auf übliche zahlreiche Erörterumgen ähnlicher
Art verfasste °*°); aber während wir nicht wissem, ob jene anderem
dergleichen Schriften etwa besser gewesen seien, ersehen wir jedenfalls,
dass die des Anselmus auf einem bedauerlich niedrigem Standpunkte
stehe. Denm sie ist ein fortgesetztes verstandloses Spiel mit angelerntem
Lehrsätzen aus Boethius und bewegt sich in dem tädiösen Bemühen,
Schwierigkeiten, wo kein vernünftiger Mensch welche finiden kann, vor
erst aufzustöbern und dieselben dann in adäquater Weise wieder zu
lösen, — kurz, sie ist ein ebenso geringfügiges Erzeugniss einer höchst
beschränkten : Schulweisheit wie die obige Schrift Gerberi's, und davon,
dass durch dieselbe das dialektische Studium gefördert worden sei,
Κann um so weniger eine Rede sein, als sie sogar bezüglich der logi
schen Parteifrage sich als äusserst stumpf und matt zeigt.
Das Ganze dreht sich um die Frage, ob „grammaticus“ Substanz
oder Qualität sei, da heides zugegeben werden müsse, aber nicht zu
gleich wahr sein könne *°°). Die vernünftige Antwort aber, dass nem
347) Ebend. c. 11, p. 113.: Nempe nec plus nec minus continet ista diffi
nitio veritatis, quam eæpediat, quoniam nomen rectitudinis. dividit eam ab omni re,
quae rectitudo non vocatur ; quod vero sola mente percipi dicitur, separat eam a
rectitudine visibili.
348) Anselmus sagt selbst (Prol. ad L. d. ver. p. 109.): edidi tractatum non
inutilem, ut puto, introducendis ad dialecticam, cuius initium est ,,De grammatico**,
und aus einer diess wiederholenden Stelle bei Sigeb. Gembl. d. scr. eccl. c. 168.
(Fabric. Bibl. eccl. p. 114.: scripsit.... alium librum introducendis ad dialecticam
admodum utilem, cuius initium est ,,De grammatico**) entstand die irrige Meinung,
er habe auch eine eigene ,, Introductio in dialecticam** geschrieben.
349) Dial. d. gramm. c. 21, p. 150.: Tamen quoniam scis, quantum nostris
temporibus dialectici certent de quaestione a te proposita, nolo te sic his quae divi
mus inhaerere, ut ea pertinaciter teneas, si quis validioribus argumentis haec de
struere et diversa valuerit astruere ; quod si contigerit, saltem ad eacercitationem
disputandi nobis haec profecisse non negabis. -
350) Ebend. c. 1, p. 143.: De grammaticó peto ut me certum facias, utrum
sit substantia an qualitas, ut hoc c0gnito, quid de aliis quae similiter denomina
tive dicuntur, sentire debeam, agnoscam. Die Quelle der Frage liegt darin, dass
Boethius (p. 121.), wo in den Kategorien grammaticus als denominativum von
grammatica angeführt wird, in der Erklärung den Aristarchus als Beispiel eines
grammaticus nennt, und ausserdem bei der Substanz (p. 134.) grammaticus aus
drücklich bis zu animal zurückgeführt wird, daneben aber (p. 185 f.) bei der Kate
gorie der Qualität grammaticus zum stehendem Beispiele gewordem war. Daher
stellt nun Anselmus Folgendes als sich Widersprechendes nebeneinander: Ut quidem
grammaticus probetur esse substantia, sufficit quia omnis grammaticus homo, et
omnis homo substantia (vgl. Boeth. ad Porph. p. 63 f.)...... Quod vero grammaticus
sit qualitas , aperte fatentur philosophi, qui de hac re tractaverunt, quorum aucto
ritatem de his rebus est impudentia improbare. Item quoniam necesse est, ut gram
maticus sit aut substantia aut qualitas ..... , cum ergo alterum horum verum sit
alterum falsum, rogo ut falsitatem detegens aperias mihi veritatem.
90 XIII. Anselmus.
lich dennoch beides wahr sei, wird auf den verkünsteltsten Umwe
gen herbeigeführt °°'). Der Annahme nemlich, dass es eine Substanz
darum sei, weil ja der Grammatiker ein Mensch, der Mensch aber Sub
stanz ist, tritt zunächst ein verzerrter Syllogismus gegenüber, dessen
Sehlusssatz dahin lautet, dass kein Grammatiker ein Mensch sei 3°?),
was vorerst dadurch widerlegt wird, dass man auf gleiche Weise auch
beweisen könne, dass kein Mensch ein lebendes Wesen sei 383), worauf
erst nachhinkend die Hinweisung auf dem im Mittelbegriffe liegenden
Formfehler jenes Syllogismus folgt, und die anti-nominalistische Bemer
kung sich amknüpft, dass die Kraft des Schliessens micht in den aus
gesprochenen Worten, sondern in dem inneren Gedanken liege 854).
Das hieraus gewonnene Resultat aber, dass Grammatiker und Mensch
nicht identisch sind °°°), wird num meuerdings syllogistisch dahim ver
zerrt, dass kein Mensch ein Grammatiker sei, und zwar geschieht auch
diess mur, um mit abermaliger Beiziehung des analogen Schlusses, dass
kein Mensch ein vernünftiges Wesen sei, zur Berichtigung des Mittel
begriffes zu gelangen und hiedurch auf das bereits dagewesene Resultat
zurückzukehren, dass das Wesen des Menschem nicht das Wesen des
Grammatikers sei *°°). Aber aueh diess genügt noch nicht, sondern
- _ -
~.
351) Ebend. c. 2.: Argumenta, quae eae utraque parte posuisti, necessaria
sunt, nisi quod dicis, si alterum est, alterum esse non posse ; quare non debes a
me eæigere, ut alteram partem esse falsam ostendam, quod ab ullo fieri non potest;
sed quomodo sibi invicem non repugnent, aperiam, si a me fieri potest. Sed vellem
ego prius a te ipso audire , quid his probationibus tuis obiici posse opineris.
352) Ebend. : Illam quidem propositionem quae dicit , grammaticum esse ho
minem, hoc modo repelli evistimo: quia nullus grammaticus potest intelligi sine
grammatica, et omnis homo potest intelligi sine grammatica, item omnis grammaticus
suscipit magis et minus (diess aus Boeth. p. 186.), et nullus homo suscipit magis
et minus, eae utraque conteactione binarum propositionum conficitur una conclusio,
id est, nullus grammaticus est homo.
• 353) C. 3, p. 143 f.: Non sequitur ...... Conteze igitur tu ipse quatuor pr0
positiones in duos syllogismos: ..... 0mne animal potest intelligi praeter rationa
litatem ; nullus vero homo potest intelligi praeter rationalitatem. Item: Nullum ani
mal rationale est ea, necessitate; omnis autem homo rationalis est eae necessitate.
Ex utroque hoc ordine binarum propositionum videtur nasci: nullus igitur homo est
animal; quo nihil falsius, licet praecedentes propositiones titubare in nullo videam
..... Sed video horum duorum syllogismorum conneacionem per omnia similem illis
duobus qu0s paulo ante protuli.
354). C. 4, p. 144.: Junge has duas propositiones ita integras sicut eas modo
protulisti. 0mnis homo potest intelligi homo sine grammatica ; nullus grammaticus
potest intelligi grammaticus sine grammatica ..... Video, eas non habere communem
terminum , et idcirco nihil ea, eis consequi ...... Communis terminus syllogismi non
tam in prolatione quam in sententia est habendus; sicut enim nihil efficitur , si
communis est in voce et non in sensu, ita nihil obest, si est in intellectu et non
in prolatione ; sententia quippe ligat syllogismum, non verba (so also denkt der
Erfinder des ontologischen Beweises über die Form des Syllogismus !).
355) C. 5.: Evspecto, ut reddas effectum propositionibus meis .... Conficitur
ergo, quia esse grammatici non est esse hominis ..... Si ita intelligas ,,gramma
ticus non est homo“, ac si dicatur ,,grammaticus n0n est idem quod homo“, i. e.,
non habent eandem diffiniti0nem, vera est conclusio. -
356) C. 6.: Si quis itá conteaceret ,,0mnis grammaticus dicitur in eo quod
quale (der Ausdruck in eo quod quale steht b. Boeth. ad Porph. p. 87 f.); • nullus
h0m0 dicitur in eo quod quale ; ergo nullus homo grammaticus**, tale mihi hoc vi
deretur esse , ac si diceretur ,,0mne rationale dicitur in e0 quod quale ; , at nullus
XIII. Anselmus. 91
mit steter Umgehung dessen, was jeder vermünftige Mensch von vorne
herein gewusst und gesagt hätte, wird wieder ein anderweitiger Syllo
gismus beigebracht, dessen Schlusssatz lautet, dass kein Stein ein
Mensch sei, und es knüpft sich daran die Hinweisung auf dem Unter
schied der beiderseitigen Schlusssätze, insoferne man wohl sagen müsse,
dass der Stein in keinerlei Weise ein Mensch sei, nicht aber behauptem
dürfe, dass der Grammatiker in keinerlei Weise ein Mensch sei 3°7);
ja noch einmal folgt, und zwar num in dilemmatischer Form, ein ver
schrobener Beweis, dass kein Grammatiker ein Mensch sei, um neuer
dings zu dem jetzt modificirtem Resultate zurückzukommen, dass das
Grammatiker-Sein nicht schlechthin dasselbe sei wie das Mensch-Sein *°°).
Diess Alles aber ist noch nicht gemug, sondern die Sache wird von
' Schritt zu Schritt immer ungeniessbarer. Nemlich vorerst wird die
Möglichkeit offen gelassem, nunmehr mach Analogie des Weiss-Seins doch
wieder zu schliessen, dass einige Grammatiker keine Menschen seiem °°°);
sodann' aber wird eim aus der Wesens-Werschiedenheit zwischen Gram
matik ünd Mensch (da ersteres eine Inhärenz sei, letzteres aber nicht)
gezogener abermaliger Schluss, dass kein Grammatiker ein Mensch sei,
dazu benützt, um mit anti-nominalistischer Betonung der res das Resul
tat auszusprechen, dass der objectiv sachliche Gehalt des Grammatikers
in „Mensch* und „Grammatik* liege, wornach grammaticus zugleich
homo dicitur in eo quod quale; nullus ergo homo rationalis“; hoc autem nulla
probatio verum efficere valet, ut rationale praedicetur de nullo homine. Similiter
ille syllogismus, quem modo protulisti, non necessario concludit, grammaticum non
praedicari de homine; hoc enim significant eius propositiones, si secundum veritatem
eas intelligimus, tanquam si diceretur ita ,,0mnis grammaticus dicitur grammaticus
in eo quod quale; nullus homo dicitur homo in eo quod quale**; eae his autem
quabus propositionibus nequaquam consequitur ,,nullus grammaticus praedicatur de
homine“ .... Si quis vero ... . ita velit intelligere, ac si diceretur ,,homo non est
idem quod grammaticus'* ..... , ad h0c probandum, quia essentia hominis non est
essentia grammatici, habet earum significatio communem terminum.
357) C. 7, p. 145.: Dic mihi, si quis sic proponeret ,,Nullus homo potest
intelligi sine rationalitate ; omnis autem lapis potest intelligi sine rationalitate**,
quid consequeretur, .... nisi ,, nullus igitur lapis homo*' ..... Dic ergo quid differt
iste syllogismus ab illo tuo syllogismo ? ...... Sed quoniam iste quodam alio modo
potest intelligi, quo ille tuus non potest , habet hanc conclusionem, ut nullo modo
lapis possit esse Thomo ..... Sic potest, immo debet accipi, ac si dicatur ,,Nullus
homo potest aliquo modo intelligi sine rationalitate ; omnis vero lapis quolibet modo
potest intelligi sine rationalitate**, unde conficitur ,,nullus igitur lapis aliquo modo
est homo**. In tuis vero propositionibus veritas nequaquam similem admittit subau
ditionem.
358) C. 8.: Esse grammatici non est esse hominis. Si hoc ' est, qui habet
essentiam grammatici, non ideo necessario habet essentiam h0minis , ...... non est
igitur omnis grammaticus homo. At cum omnibus grammaticis una sit ratio, cur
sint homines, profecto aut omnis grammaticus est homo aut nullus; sed constat,
quia non omnis; nullus igitur ...... Debet intelligi illa argumentatio hoc modo : si
esse grammatici non est simpliciter esse hominis , qui habet essentiam grammatici,
non ideo sequitur ut habeat simpliciter essentiam hominis ....; ita vero nihil aliud
sequitur, nisi ,,nullus grammaticus est simpliciter homo“.
359) C. 9.: Verum si probaretur, quod, ut puto, facile fieri potest, quia esse
grammatici ita non est esse h0minis sicut, esse albi non est esse hominis, ..... tunc
vere sequeretur aliquem grammaticum posse esse non hominem. -
92 XIII. Anselmus.
nach der einen Seite Substanz und nach der anderen Qualität sei 860).
Nachdem aber ein neuer gegen die Substanzialität des Grammatikers
erhobener Einwand siegreich durch den eben eimgenommenen Stand
punkt beseitigt scheint °"'), steigt wieder eine andere Schwierigkeit auf;
denn die beständige Gewohnheit der Dialektiker, das Wort „Gramma
tiker“ stets als Beispiel der Qualität, nie aber als Beispiel der Substanz
anzuführen, widerstreite gerade dem gewöhnlichen Sprachgebrauche,
nach welchem man nie jenes Wort an Stelle der damit bezeichneten
Qualität setzen könne, und ferner müsse folgerichtig auch der Begriff
„Mensch*, in welchem gleichfalls Qualitäten enthalten seien, ebenso als
Beispiel der Qualität verwendet werden können, was doch nie ge
schehe 3°?). Diess wird nun dadurch gelöst, dass das Wort „Mensch*
wirklich eine reale Einheit bezeichne und daher wahrhaft. ein significa
tivum betreffs der Substanz sei, nicht aber eigentlich als prädicatives
appellativum auftreten könne, wohingegen das Wort ,,Grammatiker* nur
eben bezüglich des realen Dinges, welches die Grammatik ist, an sich
(per se) ein significativum sei, betreffs des Menschen aber nur mit
telbar (per aliud) als blosses appellativum gebraucht werde, denn über
360) Ebend.: Aristoteles ostendit, grammaticam (bei Gerberon steht simnlos
grammaticum) eorum esse quae sunt in subiecto (aus Boeth. p. 119., s. Abschn. XII,
Anm. 92.), et nullus homo est in subiecto; quare nullus grammaticus homo. M.
Noluit Aristoteles hoc consequi eae suis dictis, nam idem Aristoteles dicit quendam
hominem et hominem et animal grammaticum. (Boeth. p. 134.) ...... Cum loqueris
mihi de grammatico, num intelligam te loqui de hoc nomine, an de rebus quas
significat? D. De rebus. M. Quas ergo res significat? D. Hominem et grammaticam
- • • • • • M. Dic ergo: homo est substantia an in subiecto? D. Non est in subiecto,
sed est substantia. M. Grammatica est qualitas et in subiecto? D. Utrumque est.
M. Quid ergo mirum, si quis dicit, quia grammaticus est substantia et non est in
subiecto secundum hominem, et grammaticus est qualitas et in subiecto secundum
grammaticam.
361) C. 10, p. 146.: Sed unum adhuc dicam, cur grammaticus non sit sub
stantia: quia omnis substantia est prima aut secunda (Boeth. p. 128., s. Abschn.
XII, Anm. 91.), grammaticus autem nec prima nec secunda. M. Memento dictorum
Aristotelis quae paullo anle diaci ..... Sed tamen unde probas? D. Quia est in sub
iecto, quod nulla substantia est, et dicitur de pluribus, quod primae non est, nec
est genus aut species nec dicitur in eo quod quid, quod est secundae (Boeth. p. 72.).
M. Nihil horum, si bene meministi quae iam diacimus, aufert grammatico substan
tiam, quia secundum aliquid grammaticus non est in subiecto et est genus et spe
cies, .... est etiam individuus , sicut homo et animal, .... Socrates enim et homo
et animal est et grammaticus.
362) C. 11.: Nemo qui intelligit nomen grammatici, ignorat, grammaticum
significare et hominem et grammaticam, et tamen si hac fiducia in populo loquens
dicam ,,utilis scientia est grammaticus“ aut ,,bene scit iste homo grammaticum“,
non solum stomachabuntur grammatici, sed et ridebunt rustici. Nullatenus itaque
credam sine aliqua alia ratione tractatores dialecticae tam saepe et tam studiose in
suis libris scripsisse , quod idem ipsi colloquentes dicere erubescerent. Saepissime
namque ubi volunt ostendere qualitatem aut accidens, subiungunt ,,ut grammaticus
et similia“, cum grammaticum magis esse substantiam quam qualitatem aut accidens,
usus omnium loquentium attestetur; et cum volunt aliquid docere de substantia,
nusquam proferunt ,,ut grammaticus aut aliquid huiusmodi**. Huc accedit : .... cur
homo non est similiter qualitas et substantia? homo namque significat substantiam
cum omnibus illis differentiis quae sunt in homine, ut est sensibilitas et mortalitas ;
sed nusquam ubi sit scriptum aliquid de qualitate aliqua, prolatum est ad eacemplum
,,velut homo**.
XIII. Anselmus. - 93
haupt falle das appellativum nur dem gewöhnlichen Redegebrauche an
heim, während das significativum die reale Substanz enthalte *°°).
Abnen wir nun schon hiernach, worauf das Ganze hinauslaufen werde,
so vergönnt uns Anselmus noch nicht sofort den Genuss seiner realisti
schen Auffassung, sondern schleppt uns noch eimige Zeit durch unver
ständige Tändeleien hindurch. Nemlieh der Einwand, dass ,,Gramma
tiker" und ,,Mensch* demnach in gleicher Weise bezeichnende Aussagen
seien, und hiemit ersteres gleichfalls in einer realen Einheit den Begriff
des Menschen und den Begriff der Grammatik umfasse, soll nun da
durch widerlegt werden, dass dann Grammatik kein Accidens, sondern
eine Wesens-Differenz wäre, was ebenso vor* allen ähnlichen Qualitátem
gelten müsste, sowie auch die Folgerung sich ergäbe, dass dann ein
Nicht-Mensch, welcher Grammatiker wäre, eben deshalb zugleich ein
Mensch sein müsste °°*); ferner sei ja gerale die Adjektivform des
Wortes grammaticus zu bedenken, denn wenn „Mensch* sehon an sich
in ,,Grammaliker* enthalten wäre, könnte mam durch Substituirung ins
Unendliche fort „das Wort „Mensch* wiederholen müssem, und überhaupt
verrücke man den Standpunkt der abgeleitetem Appellativa, da dann z.
363) C. 12.: Nempe nomen hominis per se et ut unum significal ea, eæ qui
bus constat totus homo ..... Quapropter quamvis omnia simul velut unum totum sub
una significatione uno nomine appellentur homo, sic tamen principaliter hoc nomen
est significativum et non (non fehlt widersinnig bei Gerberon) appellativum substan
liae ...... Grammaticus vero non significat hominem et grammaticam ut unum, sed
grammaticam per se et hominem per aliud, et hoc nomen quamvis sit appellativum
hominis , non tamen proprie dicitur eius significativum, et licet sit significativum
grammaticae, non tamen proprie est eius appellativum. Appellativum autem nomen
cuiuslibet rei nunc dico , quo res ipsa usu loquendi appellalur. Diese Unterschei
dung zwischen significativus und appellativus ist gleichfalls aus Boethius geschöpfi,
einerseits im Hinblicke auf die dortige (p. 308 f.) Definition des Substantives, und
andrerseits in Folge ausdrücklicher Angaben des Boethius, welcher die betreffende
Stelle Categ. c. 5. folgendermaassen übersetzt (p. 138.): in secundis vero , sub
stantiis videtur quidem similiter appellationis figura hoc aliquid significare, .... non
tamen verum est, sed magis quale aliquid significat, wozu noch Bemerkungen bei
der Kategorie der Qualitât kommen (p. 174.): qualitas secundum Aristotelem ipsa
quoque multipliciter appellatur ..... et communis est multipleæ appellatio etiam in
his nominibus, quae veluti genera de speciebus dicuntur; und (p. 183.): gramma
tici enim a grammatica nominantur, atque hoc est in pluribus, ut posito nomine
si quid secundum ipsas qualitates quale dicitur, eae his ipsis qualitatibus appellatio
derivetur ..... distinctis 'qualitatum vocabulis appellantur. So ist also auch bei
Anselmus durchweg der bisherige beschränkte Quellenkreis nicht überschritten,
und hätte man damals schon die Uebersetzung der Analytik gekannt, so wären
wohl derartige Erörterungen überhaupt unmöglich gewesen.
364) C. 13, p. 147.:- Sicut enim homó constat eae animali et rationalitate et
mortalitate et idcirco homo significat haec tria, ita grammaticus constat eae homine
et grammatica et ideo nomen hoc significat utrumque ...... M. Si ergo ita est, ut
tu dicis, diffinitio et esse grammatici est homo sciens grammaticam .... Non est
igitur grammatica accidens, sed substantialis differentia, et homo est genus et gram
maticus species ; nec dissimilis est ratio de albedine et similibus accidentibus, quod
falsum esse totius artis tractatus ostendit (Boeth. p. 79 ff.)...... Ponamus, quod
sit animal aliquod rationale, non tamen h0m0, quod ita sciat grammaticam sicut
h0m0 ..... Est igitur aliquis non homo sciens grammaticam .... ut omne sciens gram
^malicam est grammaticum .... est igitur quidam non homo grammaticus -.... sed tu
dicis in grammatico intelligi hominem ..... quidam ergo non homo est homo, quod
falsum est.
94 s. XIII. Anselmus.
B. auch hodiernus ein Zeitwort sein müsste *°°). Nachdem aber hie
durch als bewiesem gilt, dass grammaticus nicht die Substantialität des
Menschen einheitlich in sich schliesse, sondern nur die adäquate Be
zeichnung der Grammatik allein sei, soll num mocb deutlich gemacht
werden, in welcher Weise grammaticus bloss mittelbares Appellativum
des Menschen sei ; diess geschieht mit der sinnlosesten Wertauschung
atlributiver Begriffe durch ein Beispiel, da, wenn ein weisses Pferd und
ein schwarzer 0chs nebemeinander stehen, durch das Wort „Weiss“
mittelbar das Pferd bezeichmel werden könne *°°). Das hievon zu er
wartende Resultat ist, dass alle appellative Bezeichnung nur accidentell
sei °°"), wornach der gafAe Umkreis des menschlichen Iiedens, welches
sich in Urtheilen bewegt, dem Accidentellen anheimfällt, und hiemit
das Wesen des Prädicates für die Logik vernichtet ist, sobald dasselbe
nicht mit dem substantiellen Subjecte identisch bleibt. Ja, es wird
gegen jene Folgerung ein neuer Einwand beigebracht, um siegreieh aus
demselben zu dem verstärkten Standpunkte zurückzukehren; nemlich es
könne eingewendet werden, dass bei solcher Trennung von Substanz
und Accidens nun da, wo Mensch und Grammatik sich in dem Gram
matiker vereinigen, nur die Wahl bleibe, entweder den Grammatiker
* selbst sofort als eine blosse Qualität zu bezeichnen, oder sich aus
schliesslich auf die Substanz zu werfen, so dass der Mensch allein in
dieser seiner Substanzialität schon der Grammatiker wäre *°°). Letztere
Alternative nun wird durch ein Wortspiel und ein Gleichmiss beseitigt,
demn der Mensch bleibe ja in seiner Selbstständigkeit, während er die
Grammatik als Eigenschaft besitze, ' und es sei ebenso, wie wenn von
365) Ebend. : Si h0m0 est in grammatico, non praedicatur cum e0 simul de
aliquo....., non enim apte dicitur, quod Socrales est homo animal (Boeth. p. 64)
..., sed convenienter dicitur, quod Socrates est homo grammaticus .... ltem, si
grammaticus est homo sciens grammaticam , ubicunque ponitur grammaticus, apte
ponitur homo sciens grammaticam ..... si igitur apte dicitur ,,Socrates est h0m0
grammaticus“, apte quoque dicitur ,,Socrates est homo homo sciens grammaticam“
. et sic in infinitum ...... Item similiter in omnibus denominativis id qu0d dem0
minatur cum eo inlelligendum est a qu0 denominatur .... ergo hodiernum significat
id quod vocatur hodiernum et hodie ..... ergo hodiernum non est nomen, sed ver
bum, quia est voa- significans tempus. -
366) C. 14.: Sufficienter probatum est, grammaticum non esse apellativum
grammaticae, sed hominis, nec esse significativum hominis, sed grammaticae; sed
quoniam divisti, grammaticum significare grammaticam per se et hominem per aliud,
peto ut aperte mihi has duas significationes distinguas ...... M. Quid si vides stan
tes iuacta se invicem album equum et nigrum bovem et dicit tibi aliquis de equo
,,percute illum“ non monstrans aliquo signo, de quo dicat, an scis, quod de equo
dicat. D. Non. M. Si vero nescienti tibi `et interroganti ,,quem?“ respondet ,,alvum**,
intelligis, de quo dicit? D. Equum intelligo per momen albi .... Namque nomen
equi .... significat mihi equi substantiam per se et non per aliud; nomen vero albi
substantiam equi significat non per se, sed per aliud, i. e. per hoc quod scio equum
esse album, (Wohl zu bedauern ist der Leser, welcher solchen Unwerstand durch
machen soll; jedoch ich musste das Hauptsächliche objectiv vorführen, da ein
blosses subjectives Urtheil, dass Anselmus in dieser ganzen Schrift sich als logisch
impotent zeige, Niemandem genügt hätte.)
367) C. 15, p. 148.: harum duarum significationum illa, quae per se est, ipsis
vocibus significativis est substantialis, alia ver0 , quae per aliud est, accidentalis.
368) C. 16.: Non sine scrupulo accipit animus, grammaticum esse qualitatem
..... aut hominem solum, i. e. sine grammatica, esse grammaticum.
XIII. Anselmus. 95
zwei Fussgängerm der Eine voraus und der Andere hinterdrein gehe,
denn der Worausgehende sei allein, insoferne er allein vorausgehe, und
zugleich nicht allein, insoferne ein Anderer mitgehe *°°). Die erstere
Alternative aber wird zum Bekenntnisse des Realismus benützt, wobei
Anselmus mit verbissener Resignation auf die Anschauungen der aristote
lischen Dialektiker eingeht, um wenigstens zu retten, was zu retten ist,
denn da die Auctorität der Kategorien doch als zu gross galt, um sie
vollends zu verwerfen, musste eine realistische Interpretation versucht
werden. Anselmus nemlich sagt, dem Grammatiker lediglich als Qualität
zu bezeichnen, sei mur nach dem Standpunkte der aristotelischen Kate
goriem richtig, denn in denselben handle es sich allerdings weder um
das reelle Sein der Dinge selbst, noch auch um die bloss appellative
Bezeichnung durch Worte, sondern um die voces significativae (s. ob.
Amm. 363), insoweit dieselben das substantielle* Sein an sich selbst
unmittelbar bezeichnen, und darum sei es in richtiger Weise bei dem
Dialektikern üblich geblieben, sich nur in dieser substantiellen Bezeich
nungsweise zu bewegen, d. h. den Grammatiker nur als Beispiel der
Qualität zu gebrauchen *"'); denn in diesem realistischen Sinne sei im
Hinblicke auf die Kategorien der Grammatiker eben sprachlich und sach
lich eine Qualität, hingegen abgesehen von dieser dialektischen Betrach
tung, welche aber hiemit das wesentlich substantielle Sein enthaltem
soll, bleibe nur das Gebiet der gewöhnlichen appellativem Redeweise
übrig , in welcher der Grammatiker ein Mensch genannt werde, ebenso
wie z. B. in der Betrachtung der Wortformen der Stein richtig ein '
Masculinum genannt werde, während im gewöhnlichen Sprechen ihn
369) Ebend.: quod homo solus , i. e. sine grammatica, est grammaticus, .....
duobus modis intelligi potest, uno vero, altero falso. Homo quippe (diess. ist der
verus modus) solus, i. e, absque grammatica, est grammaticus , quia solus est ha
bens grammaticam, grammatica namque nec sola nec cum homine habet grammati
cum. Sed homo solus, i. e. absque grammatica, non est grammaticus, quia absente
grammatica nullus esse grammaticus potest (d. h. der falsus modus wäre , jemen
Satz so zu werstehen, als müsse nicht doch noch die Grammatik zur selbststän
digen Menschen-Substanz hinzukommen). Sicut qui praecedendo ducit alium, et
solus est praevius, quia qui sequitur non est praevius, et solus non est praevius,
quia nisi sit qui sequatur, praevius esse non potest. Hiednrch also glaubt der
Realist das Werhältniss der Inhärenz erklärt zu haben.
370) C. 16.: Cum vero dicitur, quod grammaticus est qualilas, non recte nisi
secundum tractatum Aristotelis de calegoriis dicitur. C. 17.: D. An aliud habet
ille, tractatus quam ,,0mne quod est, aut est substanlia aut quanlilas aut qualitas
etc.** (Boeth. p. 127.) .... M. Non tamen fuit principalis intentio Aristotelis, hoc
in illo libro ostendere , sed quoniam omne nomen vel verbum aliquid horum signi
ficat; non enim intendebat ostendere, quid sint singulae res, nec quarum rerum
sint appellativae singulae voces, sed quarum significativae sint; sed quoniam voces
non significant nisi res, dicendo quid sit quod voces significant, necesse fuit dicere
quid sint res ...... De qua significatione videtur tibi dicere, de illa qua per se
significant ipsae v0ces et quae illis est substantialis, an de altera quae per aliud
est et accidentalis ? D. Nonnisi de ipsa, quam idem ipse eisdem vocibus inesse
diffiniendo nomen et verbum (Boeth. p. 293 f.) assignavit, quae per se significant.
M. An putas ..... aliquem eorum, qui eum sequentes de dialectica scripserunt, aliter
sentire voluisse de hac re , quam sentit ipse ? D. Nullo modo eorum scripta hoc
aliquem opinari permittunt, quia nusquam invenitur aliquis eorum posuisse aliquam
vocem ad ostendendum aliquid quod significet per aliud, sed semper ad hoc quod
per se significat.
96 XIII. Anselmus.
Niemand als ein männliches Wesen bezeichne *"'). Also Anselmus er
bliekt in den Kategorien wohl eine formelle Macht, bezieht dieselbe aber
lediglich auf die objectiv vorliegende Tabula logica des wesentlichen
Seins. Wie roh er aber- dieses verstandem habe, erhellt deutlich aus
dem Schlusse der Schrift, wo noch die Frage erörtert wird, ob Ein
Ding unter mehrere Kategoriem fallem könne ; denn wenn z. B. gesagt
wird, dass armatus auch unler die Kategorie der Substanz gehören
könne, weil der Bewaffnete eine Substanz, nemlich die Waffen, an sich
habe, so ist diess allerdings der Gipfelpunkt logischen Unverstandes,
und wir schliessen germe mit dem Entscheide, welchen Anselmus hier
über gibt, dass nemlich eine einheitliche Sache schwerlich (— denn
völlig gewiss will er auch diess nicht behaupten —) unter mehrere
Kategorien fallen könne, wohl hingegen ein Wort, welches mehrere
Bedeutungen enthalte , als ein nicht einheitliches nach mehreren Kate
gorien betrachtet werden könne, wie diess z. B. bei albus der Fall sei,
welches sowohl zur Qualität als auch zur Kategorie des Habens ge
höre 812).
So verwickelte sich dieser stumpfsinnige Realismus durch eigenes
Unvermögen in Schwierigkeiten, welche für eine wirklich logische Be
trachtungsweise überhaupt nieht existirem, und das gesammte Auftretem
des Anselmus erscheint uns nur als ein Beleg dafür, dass der realistische
0bjectivismus mit einem angebornen Missgeschicke in Bezug auf Fragen
der Logik behaftet sei.
Ueberhaupt aber scheint damals, d. h. an der Gränzscheide des
1 1. und 12. Jahrhundertes, als das Resultat ålterer und neuerer logi
371) C. 18, p. 148 f.: Si ergo proposita divisione praefata (d. h. die Ein
theilung in die zehn Kategorien) quaero a te, quid sit grammaticus secundum hanc
divisionem et secundum eos, qui illam scribendo de dialectica sequuntur, quid quaero
aut quid mihi respondebis? D. Procul dubio non hic potest quaeri nisi aut de voce
aut de re quam significat ; quare quia constat, grammaticum non significare secun
dum hanc divisionem hominem sed grammaticam, incunctanter respondebo, si quaeris
de voce, quia est voae significans qualitatem, si vero quaeris de re, quia est qua
litas ...... Quare sive quaeratur de voce sive de re , cum quaeritur quid sit gram
maticus secundum Aristotelis tractatum et secundum sequaces eius, recte respondetur
,,qualitus“, et tamen secundum appellationem vere est substantia. M. Ita est; non
enim movere nos debet, quod dialeclici aliter scribunt de vocibus secundum quod
sunt significativae, aliter eis utuntur loquendo secundum quod sunt appellativae; si
et grammatici aliud dicunt secundum formam vocum aliud secundum rerum naturam;
dicunt quidem lapidem esse masculini generis ..... cum nemo dicat lapidem esse
masculum.
372) C. 19, p. 149.: Nam si grammaticus est qualitas, qui significat: qualita
tem, non video cur armatus non sit substantia, ..... quia significat habentem sub
stantiam , i. e. arma ..... sic grammaticus significat habere , quia significat haben
tem disciplinam. M. Nullalenus .... negare póssum, aut armatum esse .substantiam
aut grammaticum esse habere .... Rem quidem unam et eandem n0n puto sub diver
sis aptari posse praedicamentis , licet an quibusdam dubitari possit, qu0d mai0ri
et altiori disputationi indigere eæistimo (wir wären in der That begierig gewesen
auf diese altior disputatio) ..... Unam autem vocem plura significantem non ut unum
non video quid prohibeat pluribus aliquando supponi praedicamentis, ut si albus
dicitur qualitas et habere. Hierauf folgt noch C. 20 f. die Erörterung, dass albus
kein einheitlicher Begriff, sondern eben aus qualitas umd habere zusammenge
klebt sei.
XIII. Honorius v. Autum. 97
scher und theologischer Differenzen sich ein noch ziemlich plump aus
gesprochener Gegensatz zwischen Nominalisten und Realisten herausge
stellt zu haben, indem man sowohl ausser diesen zwei Standpunktem
keinen anderweitigen ins Auge zu fassen fähig war, als auch jeden der
beiden einseitig noch in extremer und gleichsam ungeschliffner Weise
aussprach. Eine weit reichere und mehr disciplinirte Entwicklung wer
den uns sogleich schon die nächsten Jahrzehnte darbietem, der späterem
Zeit vorläufig ganz zu geschweigen.
Ja bei Einzelnen mochte damals die Auffassung der üblichen Schul
Logik noch völlig unberührt von dem Parteistreite bleiben, und als ein
Beispiel gänzlicher Naivetät in dieser Beziehung sowie betreffs der Logik
überhaupt können wir zum Schlusse dieses Abschnittes noch aus dem
Anfange des 12. Jahrh. einige ergötzliche Bemerkungen des H o n o r i u s
v o n Au tu m (zwischem 1100 und 1120 litterarisch thätig) anführen,
welcher die sieben freiem Künste als ebensoviele Wohnsitze der Seele
schildert und dabei über die Dialektik Niehts weiteres vorzubringen
weiss, als dass man durch fünf Thore (die quinque voces) in die eigent
liehe Burg (d. h. die zehn Kategorien) gelange, woselbst zwei Kämpfer
in Bereitsehaft seien, nemlich der kategorische und der hypothetische
Syllogismus, welche Aristoteles in der Topik ausgerüstet und damn in
dem Buche d. interpr. auf das Schlachtfeld geführt habe, so dass man
hier in dem Kampfe gegen die Ketzer sich mèthodisch üben könne 37°).
373) Honor. Augustod. d. animae eæilio et patria, c. 4. bei Pez, Thes. II, p.
229 f.: Tertia civitas est dialecticu multis quaestionum propugnaculis munita ....
Haec per quinque portas adventantes recipit, scilicet per genus, per species, per
differens, per proprium, per accidens, unde et isagogae introductiones dicuntur,
quia per has repatriantes introducuntur. Arae huius urbis est substantia, turres cir
cumstantes novem sunt accidentia. In hac du0 pugiles sunt et litigantes certa ra
tione dirimunt; cathegorico et hypothetico syllogism0 quasi praeclaris armis viantes
muniunt, quos Aristoteles in Topica recipit, argumenlis instruit, in Perihermeniis ad
latum campum syllogismorum educit. In hac urbe docentur itinerantes haereticis et
aliis hostibus armis rationis resistere etc. -
P R A N T l, Gesch. II. 7
XIV. ABSCHNITT.
ALLMÄLIGE VERVOLLSTÄNDIGUNG DER KENNTNISS DER
, ARISTOTELISCHEN L0GIK.
Wenn ich oben S. 4 sagte, das einzige Motiv einer Eintheilung
der Geschichte der mittelalterlichen Logik liege mir in dem äusser
lichen Maasse der beschränkteren oder ausgedehnteren Kenntniss ari
stotelischer Schriftem, und es reducire sich der Unterschied zwischem
dem Inhalte des vorigen und dieses jetzigen Abschnittes zuletzt darauf,
dass man bis zum Anfange des 12. Jahrhundertés die beidem Analytiken
und die Topik nebst Soph. Elenchi weder kannte noch benützte, hierauf
aber allmälig auch diese Bücher in den Bereich der Erörterungen ge
zogen wurden, so habe ich hier nun vor Allem die Pflicht, vorerst
eben jene litterarischen Daten festzustellen, durch welche die Abtrennung
begründet wird. Es muss nemlich für diesen ganzen Abschnitt, mit
welchem wir in die bewegte Zeit Abälard's eintretem und bis zum
Schlusse des 12. Jahrhundertes, fortschreitem, zunächst der Umkreis des
logischen Materiales, aus welchem die zahlreichen Controversen dieser
Periode entsprangen, vor Augen gestellt werden, d. h. wir müssen
machweisen, dass und wie man allmälig theils zur Kenntniss der ge
- sammten schriftstellerischen Leistungen des Boethius, welcher ja das
ganze 0rganon übersetzt hatte, gelangte, und theils neue Uebersetzungem
der genannten Bücher anfertigte, um erst hiernach berichten zu können,
welcherlei Thätigkeit sich unterdessen auf diesem successiv erweiterten
Bodem entwickelt habe.
Dass jene angegebene Beschränkung bis zum Anfange des 12. Jahrh.
wirklich bestandem habe, mag num sowohl durch die im vorigen Ab
schnitte (Anm. 98, 156, 183, 196, 209, 253, 258, 277, 288, 310,
363) angeführten positiven Notizen, als auch durch den vollständigen
Mangel irgend einer entgegenstehenden Andeutung vielleicht als bewiesen
gelten. Gerade je mehr wir aber für diese vorige Periode die Kraft
des „Beweises aus dem Stillschweigen* für uns in Anspruch nehmen !),
... 1) Die Möglichkeit allerdings, dass durch neue Entdeckungen in irgend einer
Bibliothek entgegenstehende Notizen zu Tage gefördert werden können, soll hiemit
nicht verneint werden; aber dennoch würden Solches nur isolirte Fälle sein,
welche auf den Betrieb der Logik im Ganzen keinen Einfluss ausgeübt hätten,
denn um die allgemeine Haltung der Logik zu erkennen, scheinen die bis jetzi
zugänglichen Quellen hinzureichen. -
XIV. Das vervollständigte Material. . 99
desto sorgfältiger haben wir auch die vereinzelten und gleichsam über
schütteten Spuren beachtet, in welchen von einer bestimmten Zeit an
jenes Stillschweigen gebrochen wird. Der Wendepunkt liegt nemlich
in dem Bekanntwerden der Analytiken und der Topik nebst den Sophist.
Elenchi *), und wenn dasselbe aueh noch so leise und allmälig statt
fand, so lässt sich wohl erwarten, dass eine selbst noch fragmentari
sche Kenntniss dieser Hauptwerke des Aristoteles nicht ausser Zusam
menhang mit dem nun reicheren und mannigfaltigeren Betriebe der
Logik stehen werde.
Schon eine auf das Jahr 1128 gehende Nachricht, welche dahin
lautet, dâss „ein gewisser Ja c ob u s a u s V e n e dig die beiden Analy
tiken, die Topik und die Soph. Elenchi aus dem Griechischen übersetzte
und zugleich mit einem Commentare versah, obwohl man eine ältere
Uebersetzung der nemlichen Bücher gehabt habe“°), betrifft, wie man
sieht, eben jene Werke, welche in der früheren Periode unbekannt
und unbenützt gewesen waren, und sowie einerseits zu beachten ist,
dass der Berichterstatter, welcher selbst dem 12. Jahrh. angehört, das
Vorhandensein der boethianischen Uebersetzung jener Bücher kannte, —
denn eine andere kann unter der „álteren“ nicht gemeint sein —, so
ist andrerseits ebenso klar, dass jener Jacobus die Existenz derselben
nicht wusste und eben hiedurch zur Anfertigung seiner eigenen Ueber
setzung veranlasst worden war. Der örtliche Boden aber, welchem
diese beiderseiligen Momente angehören, ist ltalien.
Diese wichtige Notiz aber, welche somit ein Bekanntsein jener
Werke und daneben zugleich ein Nicht-Bekanntsein derselben enthält,
steht nicht so vereinzelt, als man glaubte *). Es scheinen nemlich
wohl auf den ersten Blick einem Bekanntsein jener Bücher ganz ent
sohiedene und weitgreifende Aussprüche Abälard's éntgegenzustehen.
Letzterer gibt, — abgesehen von seiner uns. hier nicht berührenden
Klage über den Mangel einer Uebersetzung der aristotelischen Physik
und Metaphysik °) — ausdrücklich seine logischen Quellen selbst an
und sagt, dass die lateinische Litteratur der Logik auf sieben Schriften
beruhe, welche auf drei Autorem sich wertheilen: man kenne nemlich
2) Jourdain hatte in seinen Recherches critiques wohl nur die Aufgabe, die
• im Mittelalter meu entstehenden Uebersetzungen zu untersuchen, und er konnte
diesen Umschwung, soweit er die Kenntniss des Boethius betrifft, unberücksichtigt
lassen, aber auch für jenen seinen eigentlichen Zweck sind ihm entscheidende
Stellen (s, unten Anm. 14. 19. 26 ff.) entgangem.
3) Zu einer Stelle bei Robert de Monte, Chronica ad ann. 1128, b. Pertz,
Monumi. VIII, p. 489., bemerkt ein Fortsetzer (d. h. ,,alia manus“, aher mach
Pertz's Angabe, ebend. p. 293., gleichfalls aus dem 12. Jahrh.) Folgende§: Jaco
bus Clericus de Venecia transtulit de graeco in latinum quosdam. libros Aristotelis
et commentatus est, scilicet Topica, Anal. priores et posteriores et Elenchos, quamvis
antiquior translatio super eosdem libros haberetur.
4) Cousin (0upr. inédits d'Abélard, p. L ff. und auch Fragm. d. phil. du
noyem' âge, Par. 1855 p. 56 ff.) irrt gänzlich und schliesst aus den sogleich zu
erwähnehden Stellen Abälard's nur nach dem äusserlichen Wortlaute , ohne dem
Inhalt der logischen Erörterungen zu berücksichtigem.
5) Abael. Dialect. b. Cousin, 0uvr. ined. p. 200.: in Physicis et ... in his
libris, quos Metaphysica vocat, eaesequitur (sc. Aristoteles); quae quidem opera
ipsius nullus adhuc translator latinae linguae aptavit.
7 *
400 XIV. Das vervollständigte Material.
von Aristoteles mur die Kategorien und d. interpr., von Porphyrius die
Isagoge, von Boethius aber seien in Gebrauch d. divis., d. diff. top.,
syllog. categ., syllog. hypoth. °); ausserdem führt er auch einmal eine
Bemerkung aus Sophist. El. ausdrücklich nur mittelbar aus Boethius
an 7). Während also Abälard, wie sich vom selbst versteht, aus jenen
schon öfter (vor. Abschn. Anm. 253, 258, 277) berührten Stellen des
Boethius (Abschm. XII, Anm. 77) genau wissem musste, welche Bücher
Aristoteles geschrieben habe, bekennt er hiemit wohl völligst unzwei
deutig, dass er die Uebersetzungen der Analytiken, der Topik und
Soph. El. nicht benützen kommte. Aber mehr dürfen wir auch aus
diesem Bekenntnisse micht schliessem, als dass dem Abälard jene Haupt
werke des Aristoteles nicht zur Hand waren, weil dieselben überhaupt
unter dem recipirten Schriftem (man beachte die Ausdrücke „usus cog
novit“, und „in consuetudinem duaeimus“) sich nicht befanden; d. h.
wir sehen, dass man damals in Frankreich an all jenem Ortem, in wel
chen Abälard sich umhertrieb oder in welchem mam überhaupt sich mit
Logik beschäftigte, kein Exemplar des wirklichem Textes jener Bücher
besass ; denn hätte man solche besessen, so würde der logische Eifer
jener Zeit sie gewiss ans Tageslicht gebracht habem. Hingegen bleibt
dabei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass anderweitig Einzelnes
aus jemem Schriften dennoch zur Kenntniss des gelehrtem Publikums ge
kommen sei, und wenn sicli auch mur eine einzige Angabe fände, welche
machweisbar aus keiner anderem Quelle, als aus Einem jener Bücher
geschöpfi sein könnte, so wäre der Beweis geliefert, dass irgendwie
anderswoher vereinzelte Daten aus dem Analytiken umd der Topik in
die Atmosphäre der Logiker Frankreichs transspirirten. Dem Nachweis
aber, durch welche Männer und auf welche Weise Solches geschehen
sei, möge man uns nicht auferlegen ; es ist unmöglich, ihn zu führen,
ja nicht einmal die örtliche Quelle können wir bezeichnen.
Nemlich dass zur Zeit Abälard's Einzelnes aus jemen bis dahin un
benützten aristotelischen Schriften zur Kunde gekommen war, können
6) Ebend. p. 228.: Confido, ..... non pauciora vel minora me praestiturum
eloquentiae peripateticae munimenta, quam illi praestiterunt, quos latinorum celebrat
studiosa doctrina. ....... Sunt autem tres, quorum septem codicibus omnis in hac
arte eloquentia lutina armatur. Aristotelis enim duos tantum , Praedicamentorum
scilicet et Periermenias, libros usus adhuc latinorum cognovit, Porphyrii vero unum,
qui videlicet de quinque vocibus conscriptus, genere scilicet specie differentia proprio
et accidente, introductionem ad ipsa praeparat praedicamenta, Boethii autem quatuor
in consuetudinem duaeimus libros, videlicet Divisionum et Topieorum cum Syllogismis
tam categoricis quam hypotheticis. Quorum omnium summam nostrae dialecticae
teaelus plenissimè conclüdet etc. Dass hiebei unter Topica Nichts anderes als die
Schrift d. diff. top. zu verstehem sei, zeigt ausser der eigenen Darstellung dieses Zwei
• ges bei Abalard (s. unten Anm. 392 ff.) eine Menge von Stellem, in welchen er
Einzelnes aus d. diff. top. kurzweg als ,, Topica** des Boethius citirt, so z. B. In
tr0d. ad theol. II, 12, p. 1078. (geht auf d. diff. top. I, p. 858 f.), Theol. Christ.
III, p. 1281. (ebenso), Sic et Non, c. 9, p. 41. ed. Lindenkohl (d. diff. top. II, p.
866.), ebend. c. 43, p. 105. (d. d. top. III, p. 873.), ebend. c. 144, p. 397. (d.
d. top. II, p. 867.). .
7) Dialect. b. Cousin p. 258.: Seae autem sophismatum genera Aristotelem in
sophisticis elenchis suis posuisse, Boethius in secunda editione Periermenias comme
morat (Boeth. p. 337.). -
XlV. Das vervollständigte Material. 1()1
wir gerade aus Abälard selbst, und zwar nicht bloss an Einem Punkte,
somdern an mehreren erweisen. Abälard bemerkt einmal bei Bespre
chung der Definitiom des genus *), dass unter Umständen auch das In
dividuum Prädicat sein könne, wie z. B. in dem Satze, „hoc album est
Socrates“ oder „hic veniens est Socrates“, eine Erwägung, welche man
vergeblich in sämmtlichen Commentaren des Boethius sucht, wohl aber
mit wörtlicher Uebereinstimmung jener Beispiel-Sätze in der ersten Ana
lytik findet; und eben von dort aus muss diese Notiz auch zur Kennt
niss mehrerer anderer Logiker gelangt sein °). Ferner berichtet Abä
lard, dass : „Wiele* das Wesen der Definition lediglich in die Angabe der
'Qualitäten verlegen 1"), und wollte man auch sagen, es sei diese An
sicht nur eine extreme Folgerung aus einer längst bekannten Stelle 11),
so führt uns ein Zeitgenosse Abälard's durch die Formulirung jener
Ansicht auf die wahre Quelle derselben, welche uns mur in der aristo
telischen Topik begegnet '*). Sodann auch bedient sich bei der Con
troverse über die Universalien Abälard einer Ausdrucksweise (nemlich
universalia „appellant in se*), welche nur dann erklärlich ist, wenn
wir amnehmen, dass der Grundgedanke jener Stellem der zweitem Ana
lytik, in welchen Aristoteles über xατά παντός und καθόλον handelt
(Abschn. IV, Amm. 132 ff.), irgendwie in den Schulem ruchbar geworden
sei 1°); und ebendahin dürfte gehören, dass man mit der grammatischen
8) Glossae in Porph. ebend. p. 360.: 'idetur esse falsum, quod individua de
uno solo praedicentur , cum hoc individuum Socrates de pluribus habeat praedicari,
ut ,,h0c album est Socrates“, ,,hic veniens est Socrates**. Die entsprechende Stelle
des Aristoteles ist Anal. pr. I, 27 (in der Uebersetzung des Boethius p. 490.).
9) Dass die Sache zu einer üblichen Schulcontroverse Weramlassung gegeben
habe, ersehen wir aus Joh. Saresb. Metalog. II, 20 (p. 110. ed. Giles ): Hoc enim
eae opinione q u o r u n d am sensisse visus est Aristoteles in Analyticis dicens (folgt
jene Stelle selbst). -
10) Dialect. p. 492.: Unde multi, cum significationém substantiae huius nomi
nis quod est ,,homo** agnoscant nec qualitates ipsius satis eae ipso percipiant, tan
tum propter qualitatum demonslrationem diffinitionem requirunt.
11) Arist. Cat. 5. (s. Abschn.* IV, Anm. 476.); bei Boeth. p. 138.
12) Der Werfasser der Schrift De generibus et speciebus, welche Cousin mit
Unrecht dem Abälard zuschreibt (s. umten Anm. 49. u. 148.), sagt p. 541 f.:
Concedunt omnes, species eæ differentiis : constare .... dicunt, omnes differentias esse
in qualitate etc. Diess Letztere konnte in solch pointirter Form nur aus Arist.
Top. VI, 5, 144 a. 18 ff. (d. h. aus der dortigen Erörterung über die Definition,
womit damn andere Stellem ebend. IV, 2, 122 b. 16. n. 6, 128 a. 26. übereinstim
men, s. Abschn. IV, Anm. 475.) entnommen sein und muss auf solche Weise zu
jenen versprengten Notizen gehört haben, welche nun zur Wermehrung der Schul
Controversen beitrugen; der Werfasser D. gen. et spec. lenkt dann mit Gewalt die
angeführte Auffassung auf eine andere Stelle des Boeth. ad Porph. p. 62. zurück,
besass also gewiss nur die allgemein verbreiteten Quellen-Texte. Hingegen Joh.
Saresb. a. a. 0. p. 100. bringt bereits anch Soph. El. 22, 178 b. 36. mit dieser
Frage in Werbindung.
13) Won Abàlard's Glossulae super Porphyrium gibt Ch. de Rémusat (Abelard,
II, p. 93 ff.) einen Auszug, welcher zwar leider fast gänzlich nur in einer franzö
sischen Paraphrase besteht (s. untem Anm. 238.), aber folgemde Stelle enthält (p.
110.): Aristote pensait que les genres et les espèces subsistent par appellation dans
les choses sensibles ou servent à les nommer en essence, ,,appellant in se**. Wenm
wir nun auch nicht wissen können, wie Wieles hiebei rhetorische Zugabe Rémusat's
sei, so ist doch der authentische Ausdruck ,, appellant in se** derartig, dass er
102 XIV. Das vervollständigte Material.
Form „τό Σωκράτει εῖναι“ ganz vertraut gewesen zu sein scheint, s.
untem Anm. 133. Selbst aber wenn man diese einzelnen Punkte für
ungenügend zu dem von uns beabsichtigten Nachweise halten wollte,
da ja möglicher Weise Einzelne durch Werliefung des logischen Denkens
und ein merkwürdiges „Ingenia conspirant“ ihrerseits selbstständig zu
Auffassungen hätten gelangen können, welche mit aristotelischen fast
wörtlich übereinstimmen (— was zwar an haarsträubemde Unwahrschein
lichkeit gränzen würde —), so muss hingegen jeder Zweifel vollends
verstummen, wenn wir sehem, dass Abälard die in der ersten Analytik
vorkommende Definition des Syllogismus ausführlich in wörtlicher Ueber
setzung, und zwar nicht einmal in jener des Boethius, anführl 1*), und
sodann in gleicher Weise den Wortlaut der darauffolgenden Stelle des
Aristoteles in Einklang mit Boeth. d. syll. categ. bringt '°), sowie ihm
auch bekannt ist, dass der Sprachgebrauch bezüglich des sog. Dietum
de omni, welcher bei Boeth. a. a. 0. sich findet, ein ächt aristotelischer
ist 1°); ja endlich, — was der schlagendste Beweis von allen ist —,
schlechterdings nirgend andersher entstanden sein kann, als aus einer Kenntniss
der Stellen Anal. post. I, 4 ff. (bes. 73 b. 26 ff.), wo das èv xat & 7τολλῶν dem
§v παρὰ τὰ πολλα gegenübergestellt wird, kurz wo das xtz9* orátó und xvt&
7ταντός zum aristotelischen x«9δλον sich vereinigt. Die Auffassung des ,,in se**
konnte aus keinem jener Bücher geschöpft werden, welche wordem bis dahin dem
Mittelalter bekannt gewesen warem.
14) Dialect. b. Cousin, p. 305.: Syllogismum itaque in primo Analyticorum
suorum Aristoteles tali diffinitione terminavit: ,,Syllogismus, inquit, oratio est in
qua p0sitis aliquibus aliud quid a positis eae necessitate consequitur eae ipso esse;
dico autem ipso esse per ipsa contingere, per ipsa vero contingere nullius eaetrin
secus egere termini ut fiat necessarium“ (s. Abschn. IV, Anm. 537.). Dass diess
nicht aus Gellius entnommen ist, zeigt sowohl der Grad der Ausführlichkeit als
auch. die oben (Abschn. VIII, Anm. 58.) angeführte Stelle; ebensowenig ist Apulejus
(Abschn. X, Anm. 16.) die Quelle, denn dieser übersetzt: oratio in qua concessis
aliquibus aliud quiddam praeter illa quae concessa sunt, necessario evenit, sed per
illa ipsa concessa. Die Uebersetzung hingegen bei Boethius (p. 468 f.) lautet: Syl
logismus est oratio, in qua quibusdam positis aliud quiddam ab his quae posita sunt
ea, necessitate accidit eo quod haec sunt; dico autem eo quod haec sunt propter
haec accidere, propter haec vero accidere est nullius eaetrinsecus termini indigere ut
fiat necessarium. Es ist sogar die bei Abàlard vorgeführte Uebersetzumg besser als
jene des Boethius.
15) Ebend. p. 307.: Horum autem Aristoteles alios perfectos, hoc est evidentes
per se, esse divit, alios imperfectos, id est non pér se perspicuos. ,,Perfectum
autem, inquit, dico syllogismum, qui nullius alterius indigeat praeter assumpta,
ut appareat esse verus“, ut illi quatuor quos in prima figura ipse disponit ; ,,im
perfectum vero, quod (zu lesen qui) indiget aut unius aut plurium“, ut sunt omnes
illi quos ipse in secunda et tertia figura posuit. Die Uebersetzung jener Worte bei
Boethius (p. 469.) lautet: Perfectum verò voco syllogismum, qui nullius alius in
diget praeter ea quae sumpta sunt, ut appareat necessarium; imperfectum vero, qui
indiget aut unius aut plurium etc. Die Stelle des Boeth. d. syll. cat. II, p. 593.
ist oben, Abschn. XII, Anm. 135., angeführt.
16) Ebend. p. 313.: Illud tamen notandum, quod aliis verbis in regulis syl
logismorum usi sumus quam Aristoteles; pro eo namque quod diavimus ,, aliud de
alio verbum (zu lesen universo) praedicari“, ipse ponit ,,omni alii inesse**; pro
eo quod diaeimus ,,universaliter removeri“, ipse dicit ,,nulli inesse**; pro eo vero
quod diacimus ,,particulariter praedicari** vel^ ,,removeri“, ipse usus est ,,alicui
inesse“ vel ,,non inesse'*. Die Stelle der Analytik (in des Boeth. Uebersetzung
p. 468.) s. Abschn. IV, Anm. 538., jene des Boeth. d. syll. cat. s. Abschn. XII,
Anm. 132. -
XIV. Das vervollständigte Material. 103
es kennt Abälard jene aristotelischen Syllogismem, deren Prämissen sog.
modale Urtheile, d. h. Möglichkeits- oder Nothwendigkeits-Urtheile oder
Combinationen derselben mit Urtheilen des Stattfindens sind (s. Abschn.
IV, Amm. 559—578); aber ebem die Art und Weise ist zu beachten,
in welcher er einige Probem solcher Schlüsse anführt 17), denn einer
seits leuchtet ein , dass er sie doch nur unvollständig und gewiss vom
blossen Hörensagen kennt, und andrerseits ersieht man, dass dieselben
irgend im Schulem bereits geläufig gewesen sein müssen, indem sie nicht
wie bei Aristoteles mit blosser Buchstaben-Bezeichnung, sondern in dem
aus Boethius (d. syll. cat.) üblichen Beispielsworten angeführt werden.
Ist aber somit unumslösslich nachgewiesen, dass, während man keinen
lateinischen Text jener betreffenden Bücher les Aristoteles besass, man
doch einzelne Hauptpunkte der ersten Analytik kannte, so erhaltem nicht
bloss jene anderem vorhin erwähntem Einzelnheiten eime bestärkende
Beleuchtung, sondern wir könnem auch mur auf diese Weise noch eine
weitere Stelle des Abälard richtig und vollständig verstehem, in welcher
derselbe sagt, er wolle über die mangelhafi behandeltem vier letzten
Kategorien keine ergänzenden Erörterungen hinzufügen, um nicht etwa
in Conflict mit aristotelischen Schriftem zu kommen, welche in lateini
scher Sprache nicht vorhanden seien '*); d. h. der Grund seiner Wor
17) Ebend. p. 319 f.: Contingit autem aliquando modales (s. Abschn. XII,
Anm. 119.) enuntiationes simplicibus aggregari in modis suprapositarum figurarum,
sicut in Analyticis suis Aristoteles ostendit; in prima quidem hoc m0d0 ,,0mne iustum
possibile est esse bonum, omnis virtus iusta est, omnem igitur virtutem possibile
est bonam esse“; similiter et necessarium et verum per modos singulos (Abschm.
IV, Anm. 565 ff.); sic quoque et in secunda figura contingit; si quis enim istas
concedat ,,nullum malum possibile est esse bonum, omne iustum possibile est bonum
esse“, huic quoque non contradicet ,,nullum iustum est malum**; idem in ceteris
modis accidit (ebend. Anm. 571.); tertiae quoque figurae sic adiunguntur: ,, omne
bonum possibile est iustum esse, omne bonum virtus est, quandam igitur virtutem
possibile est iustam esse**; sic et in ceteris (ebend. Anm. 572.). Videntur quo
que syllogismi eae solis modalibus veraciter componi; si quis enim dicat ,,omne quod
possibile est mori possibile est vivere, omnem autem hominem possibile est mori,
omnem igitur hominem p0ssibile est vivere**, recte primum primae figurae modum
perfecisse videtur (ebend. Anm. 559.). Eine so bestimmt formulirte Angabe einer
solchem Gombinationsweise durch die drei Figurem hindurch konnte unmöglich aus
jener leisen umd umbestimmten Andeutung entstehen, welche . einmal Boethius (d.
syll. hypoth. I, p. 613.: Quae cum ita sint, si haec eadem ratio ad c0nlingentes
et necessarias referalur, idem in necessariis et contingentibus invenitur) über das
blosse Worhandensein solcher Syllogismen gibt, sondern das Ganze beruht auf einer
wenigstens fragmentarischen Kenntniss der ersten Analytik, welche ja auch Abàlard
selbst als Quelle bezeichnet. Dass aber dergleichem in den Schulen vielleicht mur
zur Erklärung des Buches d. interpr. beigezogen wurde, liesse sich etwa daraus
schliessen, dass Abälard unmittelbar fortfährt: Tales namque etiam syllogismos,
qui videlicet eae solis modalibus componuntur, Aristoteles disposuisse invenitur; ut
enim ostenderet, quod id quod futurum est necesse est fieri, tale praemisit argu
nentum in primo Periermenias: ,,quod futurum est, non potest non fieri, quod
autem non potest non fieri , impossibile est non fieri etc.“ (d. h. Boeth. ad d. in
terpr. p. 365.).
18) Ebend. p. 399.: De contrarietate autem in vi praedicamentorum nihil
omnino in texlu Praedicamentorum, quem habemus , determinavit (sc. Aristoteles),
horum scilicet: Quando, Ubi, Situs, Habere. Nec nos quidem quod auctoritas in
determinatum reliquit, determinare praesumemus, ne forte aliis eius operibus, quae
latina non novit eloquentia, contrarii reperiamur. (Vgl. Anm. 344.; dass aber die
104 XIV. Das vervollständigte Material.
sicht liegt darin, weil er nicht wissen zu können glaubte, wie Wieles
etwa aus anderweitigem nichi recipirten Büchern des Aristoteles in spo
radischer Weise ruchbar geworden sei, und er sonacb die Möglichkeit
einer ihm unliebem Berichtigung durch Andere scheute.
Mam hatte also zur Zeit Abälards schon Einzelmes aus den bis dahin
unbenützten logischen Quellen kennen gelernt, und zwar, wie wir sahem,
durchaus nicht ausschliesslich durch die alte boethiaiiische Uebersetzung,
sondern auch durch neue Uebertragungen. Die Belege aber für die
Richtigkeit dieser Thatsache begegnen uns von Schritt zu Schritt reicher
und intensiver. Sowie wir nemlich gewiss nicht irrem, wenn wir auch
das Aufkommen von Fragen und Controversen, welche die Genesis des
Wissens betreffen (s. untem Anm. 79 f.), auf eine Kenntniss einiger
Kernstellen der zweiten Analytik reduciren 1°), so führt uns eine noch
bestimmtere Notiz selbst auf einen einzelmen Mann und zu einem chro
nologischen Anhaltspunkte, indem Adam von Petit-Pont (Näheres : über
ihn untem Anm. 440 ff.) es war, welcher offenbar mit ebem jenen
aristotelischem Hauptwerken sich beschäftigte und besonders die erste
Analytik in einer i. J. 1132 verfassten Schrift verarbeitete („eaepressit“),
wobei er sich einerseits ein Werdienst durch Erweiterung der logischen
Quellen erwarb, andrerseits aber durch die Schwierigkeit seiner philo
sophischen Sprache manchen Tadel zuzog *°). Hiedurch aber gewinnen
hier noch vermiedene Ergänzung alsbald von Gilbertus Porretanus wirklich beige
bracht wurde, werden wir untem sehen, Anm. 488 ff.).
19) Die Schrift De intellectibus, welche nicht, wie man unrichtig glaubte (s.
untem Anm. 416.), von Abälard selbst,. sondern won einem Schüler und Anhänger
desselben herrührt, bespricht die Begriffe sensus, imaginatio, eæistimatio, scientia
in einer Weise (Näheres untem ebend.), dass keinenfalls die etlichen Bemerkungen
des Boethius d. interpr. p. 298 f. die alleinige Weramlassung gewesen sein können,
sondern das Ganze nur auf Anal. post. I, 31. u. 33. u. II, 19. (Abschn. IV, Anm.
51—84.) beruhen kann. Uebrigens muss auch hiebei eine andere Uebersetzung
als jene des Boethius benützt wordem sein, denn Letzterer (p. 543. u. 547.) über
setzt δάζα und Joëáôéuv nicht mit evistimare und eæistimatio, 'sondern mit opi
nari und opinatio (s. untem Anm. 628.). -
20) Joh. Saresb. Metal. II, 10, p. 80. (ed. Giles) sagt zunächst über diesen
Adam: Unde ad magistrum Adam, acutissimi virum ingenii et, quidquid alii sen
tiant, multarum litterarum, qui Aristoteli prae ceteris incumbebat, familiaritatem
contra vi ulteriorem, womit wir, um die Worte ,,multarum litterarum** und ,,Ari
stoteli incumbere** richtig zu werstehem, jene Stellen in Verbindung bringen müssen,
in welchen Johannes die neu erwachende Benützung der aristotelischen Hauptwerke
dem einseitigen und ausschliesslichen Studium der Schriftem des Boethius gegen
überstellt (s. unten Anm. 26. u. 56 ff.). Sodann aber, wo Johannes (ebend. IV,
3, p. 159.) die erste Analytik selbst bespricht und die sterile Sprache derselben
tadelt (s. untem Anm. 569.), fährt er fort: Unde qui Aristotelem sequuntur in tur
batione nominum et verborum et intricata subtilitate, ut suum vindicent, aliorum
obtundant ingenia, partem pessimam mihi praeelegisse videntur, quo quidem vitio
Anglicus noster Adam mihi prae ceteris visus est laborasse in libro, quem ,,Artem
disserendi“ inscripsit. Et utinam bene diacisset, bona quae diacit; et licet fami
liares eius et fautores hoc subtilitati adscribunt, plurimi tamen hoc eæ desipientia
et invidentia vani , ut aiunt, hominis contigisse interpretati sunt, Adeo enim eae
pressit Aristotelem intricatione verborum, ut sobrius auditor recte subiungat ,,nonne
hoc spumosum ...... “ Habenda est tamen auctoribus gratia, quia de fonte eorum
haurientes labore ditamur alieno. Die Jahreszahl aber der Entstehung dieser Ars
disserendi führt Cousin (Fragm. d. philos. du moyen-äge. Par. 1855. p. 335.) aus
XIV. Das vervollständigte Material. 105
wir auch das Resultat, dass Abälard sein umfassendes Werk über Logik
noch vor d. J. 1132 (— woferne diese Jahreszahl richtig überliefert
ist —) ausgearbeitet haben muss, denn ausserdem hätte er Adam's
Schrift sicher erwähnt und benützt.
Somit , ist es uns nieht auffallemd, wenn Gilbertus Porretanus (s.
über ihn untem Anm. 455 ff.): auf die Analytik wie auf ein bereits cur
sirendes Buch verweist 21), und die Notiz, dass 0tto von Freising, der
theologische Anhänger Gilbert's, die Analytiken und die Topik nebst den
Elenchi ziemlich als der erste nach Deutschland oder specieller mach
Baiern gebracht habe **), ist uns gerade dureh die ausschliessliche Her
vorhebung jener drei Werke ein schlagender Beleg für die damalige
Vervollständigung der Quellen-Kenntniss, daher wir auch unbedingt an
nehmen, dass 0tto jene Schriften nicht etwa aus Italien oder aus dem
0riente, wohin er in seinen späteren Jahren reiste, sondern aus Paris
von seiner dortigen Studienzeit her mitbrachte, denn auf französischem
Boden wurdem jene Kämpfe der Logik geführt, zu welehem die erwei
terte Kenntniss des Aristoteles beitrug. 0b aber die boethianische oder
eine andere neue Jebersetzung es gewesen sei, welche so eine Ver
breitung fand, lässt sich nicht entscheidem ; in Frankreich mochte viel
leicht eher Boethius ans Licht gezogen worden sein, denn ein dortiger
Anonymus aus dem 12. Jahrh. kennt denselben wenigstens als Ueber
setzer der beiden Analytiken *°); hingegen in Italien müssen Handschrif
ten jener »oethianischen Uebersetzungen entweder gänzlich gefehlt haben
oder äusserst seltem gewesen sein, da noch im 15. Jahrh. der littera
risch höchst gebildete Leonardus von Arezzo behauptet, Boethius habe
eimer Handschrift von St. Victor an: Le ,,De arte dialectica** fut composé en l'année
1132, c'est ce que nous apprend le titre ,,Anno Mcxxxii ab incarnatione Domini
editus liber Adam de arte dialectica.**
21) Gilb. Porr. d. seae princ. c. 7 (Arist. 0pp. latine, Venet. 1552, Vol. I,
fol. 34.): Et quidem de principiis haec dicta sufficiant, reliqua vero in eo quod
de Analyticis est quaerantur volumine.
22) Radevich, d. gest. Frider. II, 11. (ed. Urstis. p. 513.): Litterali scientia
non mediocriter aut vulgariter instructus (sc. 0tto) inter episcopos Alemaniae vel
primus vel inter primos habebatur, intantum ut praeter sacrae paginae cognitionem,
cuius secretis et sententiarum abditis praepollebat, philosophicorum et Aristotelicorum
librorum subtilitatem in Topicis, Analyticis atque Elenchis fere primus nostris finibus
apportaverit. Wahrscheinlich liegt hierin äuch die Quelle jener Handschriften,
welche in der Basler Ausgahe des Boethius benützt wurdem (nemlich eine Amer
bachische, eine aus St. Georgen im Schwarzwalde, und eine aus dem Besitze des
Glareamus, also sämmtlich aus der gleichen Gegend), denn aus Italien waren für
jene drei Werke schwerlich Handschriften zu bekommen, s. Anm. 24.
23) Aus einer in Alengon befindlichen Handschrift des 12. Jahrh. veröffent
lichte Ravaisson, Rapports sur les Bibliothèques etc. Par. 1841, p. 404 ff. eine kkeine
metrische (übrigens unbedeutende) Schrift über die sieben Künste, woselbst be
züglich der Logik gesagt wird: Dialectica :.... diffinit et discernit, dividit et asse
rit, Ratiocinari potens, pincens invincibilis, Quam lampas clarificavit Manliani luminis,
Transtulit hanc resolvendo binis Analecticis (vgl. vor. Abschn., Anm. 288. u. unten
Anm. 569.), Introducens Isagogas binis commentariis, Et idem Kategorias cum Pe
riermeniis, Topica cum Sillogismis atque Differentiis, Diffinitiomum librum cum Divi
sionibus Evplicavit addens unum Propositionibus. Wenn wir unter den Propositiones
die Introd. ad syll. cat. \und unter Topica die aristotelische Topik versteheo, hätten
wir hier den ganzen Boethius vollständig.
106 XIV, Das vervollständigte Material.
I)loss den Porphyrius, die Kategorien und d. interpr. übersetzt 34) ;
wenn daher der durch anderweitige Uebersetzungen bekannte Burgundio
von Pisa, in der zweiten Hälfte des 12. Jahrh., dem Ruhm des Aristo
teles aus der zweiten Analytik rechtfertigt und begründet *°), so dürfte
derselbe wahrscheinlich entweder nur eine meu angefertigte Uebersetzung
oder sofort das griechische 0riginal vor Augen gehabt haben.
Noch deutlicher aber und zugleich reichhaltiger sprechen die Mit
theilungen bei Johannes von Salesbury, dessen schriftstellerische Thätig
keit nur drei Jahrzehnte von jener Abälard's entfernt ist (obige Anm.
20 im Zusammenhalte mil unten Anm. 535) und bereits das ganze 0r
ganon umfasst (s. Anm. 562 ff.). Zunächst erfahren wir durch ihm,
dass Mehrere es vorzogen, auf eben jene neu' erschlossenem Haupt
werke des Aristoteles nicht näher einzugehen, sondern mit Worliebe
sich immer nur noch auf die „alte“ boethianische Tradition zu beschrän
ken *°); dass dieses Diejenigen waren, welche trotz aller Berührung
mit dem bereichergen Zeitanschauungem dennoch über den Streit betreffs
der Universalien nicht hinauskamen, werden wir unten (Amm. 56 ff.)
sehen. Auch klagt Johannes ausdrücklich darüber, dass die zweite
Analytik so äusserst seltem in Gebrauch sei, was sich wohl durch den
schwierigen Stil des Verfassers entschuldigen lasse, wobei jedoch Wieles
auf Rechnung der Abschreiber oder, wie „die Meisten* glauben, die
Hauptschuld füglich auf den Uebersetzer falle *"). Sowie aber aus dieser
•
24) Leon. Bruni Arretini Epist. ed. L. Mehus, Flor. 1741. L. IV, Ep. 22. (wo
selbst es sich um die Controverse über eine Uebersetzung der arist. Ethik handelt):
Nullam enim Boetii interpretationem habemus praeterquam Porphyrii et Praedicamen
torum et Perihermenias librorum, quos si accurate leges, etc. (Leonardus v. Arezzo
war geboren 1369, starb 1444). -
25) Joh. Saresb. Metal. IV, 7. (p. 163. ed. Giles): Fuit autem (sc. liber poste
riorum Analyticorum) apud Peripateticos tantae auctoritatis scientia demonstrandi,
ut Aristoteles, qui alios fere omnes et fere in omnibus philosophos superabat, hinc
commune nomen sibi quodam proprietatis iure vindicaret, quod demonstrativam tra
diderat disciplinam (vgl. Anm. 27.); ideo enim, ut aiunt, in ipso nomen philosophi
sedit; si mihi non creditur, audiatur vel Burgundio Pisanus , a quo istud accepi.
Es ist diess sicher der berühmte, i. J. 1194 verstorbene, Jurist dieses Namens (s.
über ihn Savigny, Gesch. d. R. R. i. Mittelalter, IV, p. 335 ff.), welcher wieder
holt in Konstantinopel gewesen war und nicht bloss mehrere in den Pandekten
vorkommende griechische Stellen, sonderm auch vieles Theologische (von Chryso
stomus, Basilius, Joh. Damascenus) und dem Nemesius d. nat. hom. übersetzte;
möglich wäre ja, dass er selbst eine Uebersetzung der Analytik versuchte; mit Be
stimmtheit kann diess allerdings aus den Worten des Job. Salesb. nicht gefolgert
werdem.
26) Ebend. c. 17, p. 183.: . Ceterum contra eos, qui veterum favore potiores
Aristotelis libros eaecludunt Boethio fere solo contenti, possent plurima allegari.
27) Ebend. c. 6, p. 162 f.: Posteriorum vero Analyticorum subtilis quidem
scientia est et paucis ingeniis pervia ..... Deinde haec utentium raritate iam fere
in desuetudinem abiit, e0 quod demonstrationis usus via, apud solos mathematicos
est ..... Ad haec liber, quo demonstrativa traditur disciplina (vgl. Anm. 25.), ceteris
„longe turbatior est transpositione sermonum, traiectione litterarum, desuetudine exem
plorum, quae a diversis disciplinis mutuata sunt. Et postremo quod non attingit
auctorem, adeo scriptorum depravatus est vitio, ut fere quot capita tot obstacula
habeat; et bene quidem , ubi non sunt obstacula capitibus plura. Unde a plerisque
in interpretem difficultatis culpa refunditur asserentibus , librum ad nos non recte
translatum pervenisse. Welcher Uebersetzer ist hier gemeint, Boethius oder ein
Anderer? -
XIV. Das vervollständigte Material. 107
Klage natürlich erhellt, dass man jene Bücher kannte, so wird hinwie.
derum berichtet, dass die lange vernachlässigte Topik des Aristoteles
ebem damals gleichsam vom Tode erweckt worden sei 28), und an die
Angabe, dass diese Beiziehung der Topik auch wieder ihre Gegner ge
fundem habe, knüpft sich die Notiz über einen uns weiter nicht he
kannten Drogo in Troyes, welcher offenbar die Topik nach dem Muster
der aristotelischen bearbeitete *°). Was aber nun insbesondere die Ent
stehung neuer Uebersetzungen betrifft, so folgt allerdings aus einem
Briefe des Johannes sehr wenig, in welchem derselbe sich aus Constanz
Abschriften aristotelischer Bücher überhaupt und ausserdem wegen mög
licher Unzuverlässigkeit des Uehersetzers auch die Hinzufügung von Notem
erbittet *°). Hingegen von grosser Wichtigkeit ist, dass er eine Stelle
sowohl in der boethianischen Uebersetzung als auch zugleich in der
„neuen“ anführt **), und sowie diese letztere sich durch grössere Wört.
liehkeit unterscheidet, so hatte sich Johannes überhaupt eine ganz be
stimmte Ansicht bezüglich der Uebersetzungen gebildet (nemlich nur
wenn . dieselben sich so enge als möglich nach einem festen Gesetze an
das Original anschliessen, sei ein Werständniss möglich, welches vor
jeder Einseitigkeit durch eine „ratio indifferentiae“ bewahrt bleibe), und
er sagt, es habe dieselbe damals durch einen der beiden Sprachen
kumdigen Griechen aus Severinum, d. h. aus Szöreny in Ungarn, ihre
Bestätigung und Empfehlung gefunden *°). Jene ratio indifferentiae selbst
nun berührt uns hier noch nicht, sondern dieselbe wird sich uns in
28) Ebend. III, 5, p. 135.: Quum itaque tam evidens sit utilitas Topicorum,
miror.quare cum aliis a maioribus tamdiu intermissus sit Aristotelis liber, ut omnino
aut fere in desuetudinem abierit, quando aetate nostra diligentis ingenii pulsante
studio quasi a morte vel a somno excitatus est, ut revocaret errantes et viam veri
tatis quaerentibus aperiret.
29) Ebend. IV, 24, p. 181.: Satis ergo mirari non possum, quid mentis habe
ant, si quid tamen habeant, qui haec Aristotelis opera carpunt. ...... Magister
Theodoricus, ut memini, Topica non Aristotelis, sed Trecassini Drogonis irridebat,
eadem tamen quandoque docuit; quidam auditores magistri Roberti de Meliduno (s.
unten Anm. 453 f.): librum hunc fere inutilem esse calumniantur.
30) Epist. 221. (II, p. 54 f. ed. Giles): libros Aristotelis, quos habetis, mihi
faciatis eæscribi ..... prec0r etiam iterata supplicatione, quatenus in operibus Ari
stotelis, ubi difficiliora fuerint, notulas faciatis, eo quòd interpretem aliquatenus
suspectum habeo, quia licet eloquens fuerit alias , ut saepe audivi, minus tamen
fuit in grammatica institutus.
31) Metal. II, 20, p. 108.: ,,Gaudeant“, inquit Aristoteles, ,,species, monstra
enim sunt“ (so bei Boeth. p. 537.), vel secundum novam translationem ,,cicadationes
enim sunt, aut si sunt , nihìl ad rationem.** So erscheint der Unterschied der
Uebersetzungen an dem Worte τεQsTtducrtc in der bekannten antiplatonischen
Stelle des Aristoteles (Anal. post. I, 22, s. Abschn. III, Anm. 66.), in deren An
führung wir wieder eine Bestätigung dafür erkennen, dass gerade derartige poin
tirte Wendungen leichter in Umlauf kamen.
32) Ebend. III, 5, p. 135.: Satis enim inter cetera, quae translationis arctis
sima lege a Graecis tracta sunt, planus est (sc. Aristotelis liber Topicorum, s. oben
Anm. 28.), ita tamen ut facile sit auctoris sui stilum agnoscere, et ab iis dumtaaeat
fideliter intelligatur, qui sequuntur indifferentiae rationem, sine qua nemo unquam
nec apud nos nec apud Graecos, sicut graecus interpres nalione Severitanus dicere
consueverat, Aristotelem intelleacit. Da wegen der Bezeichnung ,,graecus“ nicht an
St. Sever in Frankreich gedacht werden kann, so scheint nur jenes. Severinum in
Ungarn übrig zu bleiben. -
108 XIV. Theologie. Pseudo-Boethius De trinitate.
die Darstellung der Logik des Johannes von Salesbury verflechten (Anm.
574 ff.); wohl aber gehört hieher, dass derselbe im Zusammenhange
hiemit auch noch einem zweiten Uebersetzer (zwar gleichfalls ohne
Nennung des Namens) erwähnt, welchen er.in Apulien kennen gelernt
habe *°). Wenn aber, wie diese wichtigen Stellen bezeugen, im byzan
tinischen Reiche und durch Griechen in Unteritalien die Entstehung
neuer Uebersetzungen gefördert wurde, und Solches. zur Kunde der
Logiker in Paris oder in England kam, so läge hier eine erste, wenn
auch vorübergehende Spur eines Einflusses aus der Zeit der Anna
Commena vor (s. folg. Abschn.). — Endlich mag noch, gleichsam zum
Ueberflusse, erwähnt werden, dass bei Johannes neben Citaten, welche
völlig wörtlich mit der Uebersetzung des Boethius übereinstimmen, sich
auch solche finden, welche wenigstens ahs ungenau bezeichnet werden
ii$, woferne sie nicht von vormeherein anderswoher geschöpft
sind 34). -
Ist hiemit hinreichend bewiesen, dass die Kenntniss der logischen
Quellen schon vor der schriftstellerischen Thätigkeit Abälard's wenigslens
in Einzelnheiten bereichert wurde und dann allmälig bis zur Zeit des
Johannes von Salesbury sich vervollständigte (für letzteres werden
sich uns moch manche einzelne Belege ergeben, s. Anm. 78, 219 f.),
so kennen wir num das entscheidemde Moment, aus welchem damals ein
nach Intension und Extension gesteigerter Betrieb der Logik hervorgehen
musste. Eine mitwirkende Macht jedoch lag für jene Zeit hiebei. durch
ein erklärliches Wechselverhältniss in der dogmatischen Theologie, denn
sowie schon dem Scotus Erigena und dem Roscellinus gegenüber die
0rthodoxie auch in logischen Fragen auf ihrer Hut gewesen war, so
zog man im gleichen lnteresse jetzt, als die Dialektik lebhafter und
selbstständiger eigene innere Kämpfe zu durchlebem begann, auch Man
ches aus der theologischen Rüstkammer hervor, damit im Streite der
logischen Parteien das , Dogma umbefleckt bewahrt bleibe, wobei, da
die streitenden Dialektiker sämmtlich Kleriker waren, es nicht fehlen
konnte, dass nicht auch dogmatischer Inhalt in die Logik hinüberspielte.
Vor Allem war es die Trinitätslehre, welche ja schon früher bei dem
Auftreten des Roscellinus sich geltend gemacht hatte, num aber in ver
stärktem Maasse auch positiv einzugreifen beganm, und die Geschichte
der Logik ist hier in dem Falle, ein theologisches Produkt berühren
zu müssen, welches , durch eine gewisse Formulirung logisch-ontologi
scher Grundsätze in jener Zeit in den Controversen der Dialektiker mit
wirken konnte. Es ist diess P s e u d o - B o e t h i u s de trinitate , wobei
natürlich nicht ohne Einfluss war, dass man gerade den Boethius, dem
Repräsentantem aller Logik, für den Verfasser hielt *°). In eben jener
33) Ebend. I, 15, p. 40.: non pigebit referre nec forte audire displicebit, quod
a graeco interprete et qui latinam linguam commode noverat, dum in Apulia morarer,
accepi etc.
'35 Zu ersteren gehörem Metal. II, 15, p. 86. (Top. I, 11, bei Boeth. p. 667.)
und II, 20, p. 110. (Anal. pr. I, 27, b. Boeth. p. 490.), zu letzteren II, 9, p. 76.
(Top. I, 11, Boeth. p. 667.), II, 20, p. 100. (Soph. El. 22, Boeth. p. 750.), III, 3,
p. 126. (Top. 1, 9, Boeth. p. 666.).
35} Ich sage ,,Pseudo-Boethius**; da ich jedoch dem Theologen die Fürsorge
XIV. Pseudo-Boethius De trinitate. 109
Zeit nemlich, d. h. seit Abälard 80), häufen sich die Anführungem aus
jenem vier Büchern über die Trinität, und Gilbertus Porretanus , beglei
tete dieselben mit einem umfangreichen Commentare, so dass es kaum
mehr möglich war, in den betreffenden Fragen sie zu umgehen. Ilaupl
sächlich aber gehören bezüglich eines Einflusses auf die Logik jene
Axiome hieher, welche der Verfasser am Anfange des 3. Buches an die
Spitze slellt, um aus ihnen im weiteren Werlaufe seine Beweise aufzu
bauem. Dieselben 87) beziehen sich nach Worausschickung einer Definition
der communis conceptio auf den in der Theologie üblichem Unterschied
zwischen Essenz (oùσία) und Existenz (ύπόστασις), da zu letzterer noch
die Form des Seins hinzukommen müsse und bei ihr hiedurch ein Theil
haben eintrete, sowie die Möglichkeit eines Ansichhabens sich ergebe,
was sodamm zur Unterscheidung von Substanz und Accidens führt und
eine Doppeltheit jenes Theilhabens begründet; dabei aber wird auch
auf die Einheit hingewiesem, in welcher bei einfachen Wesen, im Un
tersehiede von den zusammengesetzten, die Wesenheit und die Existenz
verbumdem simd, und zuletzt eine natürliche Wesens-Werwandtschaft in
nerhalb der entfaltetem Verschiedenheit in Aussicht gestellt. Diese Grund
sätze, derem theologisch-dogmatische Werwendung uns hier nicht berührt,
wurdem bald auch von Dialektikern als „regulae“ meben anderen „aucto
ritates“ citirt, und in ontologischen Punkten mochte mancher Logiker
von vormeherein sich hütem, gegen diese Axiome zu verstossen, da
ausserdem bedenkliche Consequenzen bezüglich der Trinität hätten drohen
können. So kam es, dass hierin nicht etwa |)loss die Logik auf Theo
logie reicher angewendet wurde, sondern auch dogmatische Momente
direcl den Betrieb der ontologischen Seite der Logik beeinflusstem.
Ein eigenthümliches Verhältniss liegt in dieser Einmischung aller
dings, und es ist merkwürdig, wie in jener Zeit, welche zu einer
klarem und besonnenem Trennung der Gebiete (etwa im Sinne des Chri
für ihre eigene Litteratur-Geschichte überlassen muss, so kann ich hier mur so
viel bemerken, dass jene vier Bücher de trinitale , wie aus triftigen Gründen er
hellen dürfte, nicht wor dem 9. Jahrh. entstanden sein könnem. Die Abhandlung
von Gust. Bauer, De Boethio christianae doctrinae assertore (Darmst. 1841. 8.), beruht
auf einer zu wenig umfassenden Kenntniss der einschlägigen mittelalterlichen Lit
teratur.
36) Z. B. Introd. ad Theol. I, 25, p. 1039. Amboes.
37) Boelh. 0pp. (ed. Basil. 1570), p. 1181 f.: Postulas, ut eæ Hebdomadibus
(unter diesem Titel wird die Schrift bei Späterem auch citirt, s. z. B. Anm. 514.)
nostris eius quaestionis obscuritatem ..... digeram. ...... Ut igitur in mathematica
fieri solet ceterisque etiam disciplinis, proposui terminos regulasque, quibus cuncta
quae sequunlur efficiam. 1) Communis animi c0nceptio est enuntiati0, quam quis
que probat auditam ...... 2) Diversum est esse , et id quod est, ipsum enim > esse
nondum est, at vero quod est, accepta essendi forma est atque comsistit. 3) Quod
est, participare aliquo potest, sed ipsum esse nullo m0d0 aliqu0 participat ..... 4)
Id quod est, habere aliquid praeterquam qu0d ipsum est potest, ipsum vero esse
nihil aliud praeter se habet admistum. 5) Diversum est esse aliquid et esse aliquid
in eo quod est, illic enim accidens, hic substantia significatur. 6) 0mne quod est,
participat e0 qu0 est esse ut sit, alio vero participat ut aliquid sit ..... 7) 0mne
simpleae esse suum et id quod est, unum habet. 8) 0mni composito aliud est esse,
aliud ipsum est. 9) 0mnis diversitas est discors, similitudo vero quaedam appe
tenda est, et quod appetit aliud, tale ipsum esse naturaliter ostenditur, quale est
illud ipsum, quod, appetit.
/
110 xiv. Theologie.
stian Thomasius oder des Pierre Bayle) natürlich nicht befähigt war,
dennoch die lncommensurabilität der theologischen und der logischen
Wahrheit ausgesprochen wird, während man das Unvereinbare gleich
zeitig betrieb. Ja gerade Abälard selbst, der Peripateticus Palatinus,
gibt hiefür das beredteste Zeugniss, wenn er sagt, dass den Logikern
oder Peripatetikern Gott unbekannt bleibe, da dieselben Alles unter ir
gend eine der zehn Kategorien unterbringen, Gott aber unter keine der
selben fallen könne **), und während diess noch als der allgemeine
von Augustinus her übliche Standpunkt der Theologie gelten könnte
(vgl. Scotus Erigena, vor. Abschn., Anm. 120 f.), spricht Abälard eben
betreffs der Trinitätslehre am deutlichsten aus, dass die Dialektiker oder
Peripatetiker die gefährlichsten Feinde derselben seien °°), da sie auf
dem Standpunkte der Logik aus der Wesens-Einheit der drei Personen
auf individuelle Einheit und umgekehrt aus der Werschiedenheit der
Persomen auf Werschiedenheit ihres Wesens schliessen *°). Und in der
That verträgt sich der aristotelische Begriff der individuellen Substanz
nicht leicht mit dem Dogma der Trinität, so dass strenge genommen
alle Logiker, welche an Aristoteles sich anschlossen, dem Worwurfe der
Ketzerei nicht entgehen konntem.
So ist es erklärlich, wenm Petrus Lombardus, während er den
Zusammenhang des Trinitäts-Streites mit der logischen Parteispaltumg
bezeugt, zugleich jede Anwendung der Logik auf jene Hauptfrage der
Theologie abweist *'), oder wenn sein älterer Zeitgenosse Bernhard
38) Abael. Theol. Christ. III, 3, p. 1271. (b. Martene, Thes. nov. Anecd. Vol. V):
Quod autem illi quoque doctores nostri, qui maæime intendunt logicae, illam summam
maiestatem, quam ignolum deum esse profitentur, omnino ausi non sunt attingere aut
in numero rerum comprehendere, eae illorum scriptis liquidum est; cum enim omnem
rem aut substantiae aut alicui aliorum generalissimorum subiiciant, utique et deum,
si inter res ipsum comprehenderent, aut substantiis aut quantitatibus aut ceterorum
praedicamentorum rebus connumerarent, qui nihil omnino esse eae ipsis convincitur......
(p. 1273.) Qui tamen omnem rem aut substantiae aut alicui aliorum praedicamentorum
applicant, patet profecto a tractatu Peripateticorum illam summam maiestatem omnino
esse eacclusam.
39) Ebend. c. 1, p. 1242.: Supra universos autem inimicos Christi, tam haere
ticos quam iudaeos sive gentiles, subtilius fidem sanctae trinitatis perquirunt et acutius
arguendo contendunt professores dialecticae, seu importunitas sophistarum, quos ver
borum agmine atque sermonum inundatione beatos esse Plato irridendo iudicat ......
Scimus quidem, a Peripateticis, quos nunc dialecticos appellamus, nonnullas et maaei
mas haereses esse repressas etc.
40) Ebend. c. 2, p. 1266.: Quo in loco gravissimae et difficillimae dialectico
rum quaestiones occurrunt; hi quippe eæ unitate essentiae trinitatem personarum im
pugnant ac rursus eæ diversitate personarum identitatem essentiae oppugnare laborant.
Horum itaque obiectiones primum ponamus, postea dissolvamus, worauf nua Abàlard
dreiundzwanzig aus der Logik entnommene Einwände gegen die Trinitât aufzählt,
um sie hernach theologisch zu widerlegem.
41) Petr. Lomb. Sent. I, 19, 9. (f. 27. ed. Basil. 1516): Videtur tamen mihi
ita p0sse accipi, cum ait (sc. Augustinus) ,,substantia est commune et hypostasis est
particulare“; non ita haec accepit, cum de deo dicantur, ut accipiuntur in philoso
phica disciplina, sed per similitudinem eorum, quae a philosophis dicuntur, locutus
est; sicut ibi commune vel universale dicitur qu0d praedicatur de pluribus, particulare
vero vel individuum quod de uno solo, ita hic essentia divina dicta est universale,
quia de omnibus personis simul et de singulis separatim dicitur, particulare vero sin
gula quaelibet personarum, quia nec de aliis communiter nec de aliquo aliarum singu
XIV. Hugo v. St. Victor. 111
vom Clairvaux (geb. 1091, gest. 1153) sich offen als , Feind der Dialek
tik bekennt **). Ja auch der hervorragendste Vertreter jener Richtung,
zu welcher die eben genanntem , gehören, H u g o v on S t. Victor (geb.
1097, gest. 1141), steht eigentlich völlig ausserhalb jener reichhaltigem
Bewegung, welche damals in der Dialektik eintrat, und sowie er auf
die logischem Partei-Controversen nicht mit einem Worte eingeht, so
hat für ihn auch sein eigener platonischer Realismus kein logisches In
teresse, sondern nur ein psychologisch-praktisches. Indem auch er eine
feindselige Gesinnung gegen die Dialektik hegte 4°), scheint er selbst
die allgemein zugängliche Litteratur der Logik verschmäht zu haben und
über einige Stellen des Marcianus Capella, Isidorus und Boethius nicht
weit hinausgekommen zu sein **), so dass er, was den geschichtlichen
Fortschritt der Logik betrifft, sogar noch unter dem Niveau Derjenigen
steht, welche wir gegen Ende des vorigen Abschnittes besprochen
haben; da er jedoch sowohl der Chronologie nach hieher gehört, als
auch ein Hauptrepräsentant der consequenten innerlichen Auffassung der
Theologie ist, so mag zum Gegensatze der bunt verschlungenen logi
schen Kämpfe, welche wir num sogleich darstellen müssen, über Hugo's
Standpunkt in Kürze Folgendes bemerkt werden. Nur die Stellung und
Eintheilung nemlich der Logik ist es, worüber derselbe sich gelegentlich
äussert, wobei das praktisch-ethische Motiv schon darin erscheint, dass
die drei Hauptzweige der Wissenschaft, d. h. theoretische, praktische
Disciplin und Mechanik, zur Abwehr dreier Uebel, und zuletzt die Logik
um der Wollkommemheit des Sprechens willem erfunden sein sollen *°).
lariter praedicatur. Propter similitudinem ergo praedicationis substantiam dei diacit
universale et personas particularia vel individua ...... (c. 10.) Dicuntur enim aliqua
differre numero, quoniam ita differunt, ut hoc non sit illud ..... qualiter differunt
Socrates et Plato et huiusmodi quae apud philosophos dicuntur individua vel particu
laria, iuacta quem modum non possunt digi tres personae differre numero etc. Dass
ubrigens auch Lombardus werketzert wurde, s. unten Anm. 478.
42) Z. B. Serm. 3. in die Pentec. (0pp. ed. Martene, Venet. 1567, fol. III, p.
94.) Numquid quia Platonis argutias, Aristotelis versutias intellevi aut ut intelligerem
laboravi? Absit inquam, sed quia testimonia tua eaequisivi. Oder in Bezug auf das
jungfráuliche Gebären Serm. 3. Vigil. Natio (ebend. p. 21.): Ubi nunc Aristotelicae
subtilitatis facunda quidem sed infoecunda loquacitas?
43) De sap. an. Christi, Prol. (0pp. T ed. Rothomag. 1648, fol. III, p. 59.):
Quid enim hoc esse putatis, quod de rerum veritate tam diversa sentire solent homi
nes? Numquid nomina est veritas ? Ecce quid est quod dialectica tot diversas et tam
adversas, ne dicam perversas, habet sententias? Numquid omnes noverunt unum id
quod est, sed amore fallendi diversa finaverunt? Non sic ego puto. Sed narrant quin
que somnia sua (d. h. die quinque voces) et ea, qua primwm ipsi in se opinione de
cepti sunt, postmodum alios nescientes seducunt. -
44) Es erhellt diess, abgesehen von dem Folgenden, schon aus der rohen
Angabe Didasc. III, 2. (0pp. lll, p. 16 f.): Plato .... primus logicam rationalem apud
graecos instituit, quam postea Aristoteles discipulus eius ampliavit, perfecit et in artem
redegit; Mareus Terentius Varro primus dialecticam de graeco in latinum transtulit,
postea Cicero Topica adiecit. Die Quellenstellen für diese Gelehrsamkeit s. oben
Abschn. XIII, Anm. 27, 29, 39, u. besond. Abschn. VIII, Anm. 20. u. 25.
45) Evcerpt. prior. I, d. orig. et discr. artium, c. 4 (0pp. II, p. 335): Tria
sunt remedia principalia contra tria praedicta mala ......, sapientia contra ignorantiam,
virtus contra vitium, necessitas contra infirmitatem ....... (c. 5.) Propter autem ista
tria remedia inventa est omnis ars et omnis diseiplina, propter inveniendam namque
sapientiam inventa est theorica, propter inveniendam virtutem inventa est praetica,
112 XIV. Hugo v. St. Victor.
Sowie aber letztere Wissenschaft der Entstehung nach die späteste sei,
so trete sie bezüglich* des Unterrichtes an die erste Stelle, da die Tüch
tigkeit im Sprachausdrucke die Vorbedingung zu allem Uebrigen sei *°).
ln solchem Sinne bezeichnet Hugo die Logik als „sermocionalis“, weil
dieselbe „de vocibus“ handle *"), und er theilt sie nun in einer Weise,
welche ums sehr an Scotus Erigena erinnert (vor. Abschn., Anm. 105),
derartig ein, dass nach der weiteren Bedeutung des Wortes λόγος alle
Κundgebung des Sprachvermögens zur Logik gehört, und dieselbe so
in Grammatik und logica rationalis zerfällt, weleh , letztere der engeren
Bedeutung des Wortes λόγος entspricht und sodann im Hinblicke auf
die allwerbreiteten Stellen des Boethius nach der gewöhnlichen Weise
mäher eingetheilt wird **). -
Allerdings nun wäre es gewiss bequemer gewesen, in einer der
artigen Schablone die gesammte Logik von vorneherein al)zuthum, und
propter inveniendam necessitatem inventa est mechanica ..... Novissima autem omnium
inventa est logica causa eloquentiae, ut sapientes, qui praedictas principales discipli
nas investigarent et unirent, rectius veracius honestius illas tractare et disserere de
illis scirent, rectius per grammaticam, veracius per dialecticam, honestius per rhetori
cum; logica namque facundiae rectitudinem veritatem venustatem administrat. Fast
wörtlich ebenso Didasc. VI, 14. (0pp. lII, p. 39.), vgl. ebend. I, 6. (p. 3.) II, 2.
(p. 7.) III, 1. (p. 15.).
46) Didasc. I, 12. (0pp. III, p. 6.): Ceterae prius repertae fuerant, sed necesse
fuit logicam quoque inveniri, quoniam nem0 de rebus convenienter disserere potest, nisi
prius recte loquendi rationem agnoverit. Ebend. VI, 14. (p. 39.): Istae .tres usu
primae fuerunt, sed postea propter eloquentiam inventa est logica, quae cum sit inven
tione ultima, prima tamen esse debet in doctrina. Eccerpt. prior. a. a. 0. c. 23.
(p. 339.): In legendis artibus talis est ordo servandus: prima omnium comparanda
est eloquentia et ideo eæpetenda logica, deinde etc.
47) Didasc. II, 2. (p. 7.): Philosophia dividitur in theoricam, practicam, mecha
nicam, et logicam; hae quatuor omnem continent scientiam ..... Logica sermocionalis,
quia de vocibus tractat...... Hanc divisionem Boethius facit aliis verbis (folgt die
oben, Absehn. XII, Anm. 76., angeführte Stelle).
48) Ebend. I, 12. (p. 6.): Logica dicitur a graeco vocabulo löyoc, quod nomen
geminam habet interpretationem ; dicitur enim λόγος sermo sive ratio (s. Isidor, vor.
Abschn., Anm. 27.), et inde logica sermocionalis sive rationalis scientia dici potest;
logica rationalis, quae discretiva dicitur, continet dialecticam et rhetoricam, logica
sermocionalis genus est ad grammaticam, dialecticam et rhetoricam, et continet sub se
dissertivam; et haec est logica sermocionalis, quam quartam post theoricam, practicam
et mechanicam annumeramus. Eaecerpt. prior. c. 22. (p. 339.): Logica dividitur in
grammaticam et rationem disserendi; ..... ratio disserendi dividitur in probabilem,
necessariam, et sophisticam; probabilis dividitur in dialecticam et rhetoricam, necessa
ria pertinet ad philosophos, sophistica ad sophistas (s. Boethius, Abschn. XII, Anm.
82.); grammatica est scientia recte loquendi, dialectica disputatio acuta verum a falso
distinguens, rhetorica est disciplina ad persuadendum quaeque idonea. Didasc. II, 29.
(p. 14.): Logica dividitur in grammaticam et in rationem disserendi .... grammatica
est litteralis scientia ..... ratio disserendi agit de vocibus secundum intellectus. Ebend.
31. (p. 15.): Ratio disserendi integrales partes habet inventionem et iudicium (s. Boe
thius, Abschn. XII, Anm. 76.), divisivas vero demonstrationem, probabilem, sophisti
cam; dem0nstratio est in necessariis argumentis et pertinet ad philosophum, probabilis
pertinet ad dialecticos et rhetoricos, sophistica ad sophistas et cavillatores; probabilis
dividitur in dialecticam et rhetoricam, quarum utraque integrales partes habet inven
tionem et indicium. Ebenso ebend. III, 1. (p. 15.). Die nemlichen Angaben kehren
in einer ,,Epitome in philosophiam“ Hugo's wieder, welche kürzlich Hauréau (Hugues
de Saint-Victor, Nouv. eacamen de l'édition de ses oeuvres. Paris 1859. 8.) herausgab,
s. daselbst p. 167 ff.
XIV. Reichere Bewegung. 113
I.
es hätten hiebei auch die platonisch-christlichen Anschauungen sowie
die theologische Dogmatik in ungestörter Naivetät ihre unnatürliche
AlJianz mit verkümmerten und verschrobenem Restem des Aristotelismus
fortführen können. Jedoch der selbsteigene innere Trieb der Dialektik
war ja auch schon bisher selbst innerhalb der ecclesia docens wach
geblieben, und da nun, wie wir sahen, von zwei Seitem her, nemlich
einerseits' gerade durch den dogmatischen Streit über die Trinität und
andrerseits durch sporadische und allmälig sich vervollständigende Kennt
niss der his dahin unbekanntem aristotelischen Bücher, eine gesteigerte
Anregung eintrat, so erhob sich jetzt neben aller Mystik der Schule
von St. Victor zugleich eine reiche und vielfach gespaltene Bewegung
auf dem Gebiete der Logik, deren Geschichte hier mach Maassgabe der
vorhandenem Quellen in eine äussersi schwierige Periode eintritt. Die
Schwierigkeit memlich liegt zunächst darin, dass die uns , zugänglichen
Berichte wohl vielfältig bis ins einzelnste Detail hinabreichen, aber da
bei in schlechthin fragmentarischer Form uns über alle verknüpfenden
Fäden im Unklaren lassem, wozu noch die Unbestimmtheit der üblichen
Bezeichnung „quidam“ oder des blossen Anfangs-Buchslaben des Namens
eines Logikers hinzukömmt; und es wird so auch überhaupt, z. B. na
menllich in Bezug auf jenes Fragment, welchem Cousin, den Titel „De
generibus et speciebus“ gab **), die ohnediess schon missliche Unter
suehung mannigfach durch litlerarische Schwierigkeiten durchkreuzt;
ausserdem ist mancher Berichterstalter an sich von geringerer Werlässig
keit, und wir stossen auf Widersprüche, welche in Folge des Mangels
an anderweitigem Quellen nicht genügend gelöst werden können.
Frägt es sieh aber dann noch, wie dieses zerfahrene und lücken
hafte Material für die Darstellung verarbeitet werden solle, so konnte
ich bei der Unmöglichkeit, die einzelnen (meist nicht näher bekannten)
Autorem in geschichtlicher Al)folge zu entwiekeln, nach vielfacher Er
wägung nur den Ausweg finden, dass ich die Zeit Abälard's collectiv
darstelle, und zwar so, dass in ähnlicher Weise wie im XI. Abschniite
die zahlreichen Controversen nach der Reihenfolge der inhaltlichen Haupt.
gruppen der damaligen Logik vorgeführl werden, wobei die verschiede
nen Meinungen über die Isagoge, d. h. der Streit über die Universalien,
einen ausgedehnterem Stoff darbieten, als die Erörterungen über die
übrigen Theile der Logik. Während aber so die hervorragenderem uns
bekannterem Autorem an diese inhaltlichen Momente geknüpft werden,
musste ich allerdings hievon gerade bei Abälard eine Ausnahme machen,
dessen Ansicht über die Universalien doch wieder nur bei der später
zu entwickelnden Charakteristik der gesammtem Dialeklik Abälard's ihre
-
49) Es musste eine schlimme Werwirrung zur Folge haben, wenn die franzö
sischen Gelehrten mit Cousin dieses Fragment für eine Schrift Abàlard's hielten;
H. Ritter hat hierin richtiger geurtheilt (wenn wir auch seiner Wermuthung über
den Autor selbst nicht beipflichten können, s. untem Anm. 146.); hingegen hat,
— um von Rousselot abzusehem, welchem bei Abfassung seines Werkes der 7. Band
Ritter's noch nicht vorliegen konnte —, auch Rémusat und sogar Hauréau Ritter's
Ansicht völlig ignorirt und im Anschlusse an Cousin auf jene Schrift Schlüsse,
gebaut, welche der richtigen Darstellung des Streites über die Universalien nach
theilig. sein mussten.
PRAnt L, Gesch. II. - 8
+
114 - XIV. Reichere Bewegung.
genügende Erörterumg finden konnte, denn von ihm allein ja besitzen
wir eine fast den ganzen Umkreis der Logik umfassende Schrift. Doch
hielt ich eine solche Zertheilung der Controversen, soweit sie die Uni
versaliem betreffen, hier eben für das kleinste der unvermeidlichen Uebel.
Nach Abälard können dann in gleicher Weise hauptsächlich Gilbertus
Porretanus und Johannes von Salesbury folgem.
In Folge der oben angegebenen Gründe nahm das Stüdium der
Logik, abgesehen von seiner allseitigen örtlichen Werbreitung, durchweg
an intensiver Schärfe und Präcision zu, und man gewöhnte sich daran,
alle einzelnen Sätze oder Erörterungen durch das ganze damals zugäng
liche Material der Logik hindurch so genau als möglich zu erwägen
und nach werschiedenem Seitem zu beleuchtem, wobei allerdings, da
eine eigentlich philosophische Basis gänzlich fehlte, nur eine einseitig
formale Spitzfindigkeit hervortreten konnte, welche ebensosehr zur zer
splittertsten Parteispaltung führen musste, als sie hinwiederum durch
diese genährt und bestärkt wurde, und vielleicht mag die Zahl der Ma
gistri, welche in solcher Weise das ganze Gebiet der Logik, meist
mit polemischer Erledigung gegnerischer Ansichten, durcharbeiteten, in
Frankreich allein nicht weit hinter einem Hundert zurückgeblieben sein.
Nicht zu wundern wohl ist es, wenn bei solchem Betriebe Diejenigen,
welche die Logik nicht. von vorneherein aus theologischen Gründem
ängstlich scheuten, häufig beim ersten Eintritte in dieselbe in Werwir
rung geriethen °°) ; wirkt es doch auf uns selbst fast schwindelerregend,
wenn wir aus dem fragmentarischen Einzelnheitem einen Rückschluss
auf das Ganze machen, welchem sie angehört hatten. Eine grosse Täu
schung ist es, wenn man die damalige Bewegung in der Logik mit den
zwei Worten ,,Nominalismus“ und ,,Realismus“ oder etwa noch mit Hin
zufügung eines dritten, nemlich „Conceptualismus“, erledigen zu können
glaubt, denn erstens ist, wie sich zeigen wird, die Parteispaltung eine
weit mannigfaltigere, und zweitens bildet dieselbe nur einen Theil des
Gesammt-Betriebes der Logik.
Wenn wir dem Johannes von Salesbury, welcher zwar häufig bloss
nach allgemeinen Eindrücken und Wieles mur aus dem Gedächtnisse nie
derschrieb (s. untem Anm. 536), vollständig vertrauen dürfen, wäre
der Entwicklungsgang der Logik, welche entweder in Compendien (artes)
oder in Commentaren oder in blosser Glossirung bearbeitet wurde ° !),
in jenen Jahrzehentem im Ganzen folgender gewesen. Johannes nemlich
spricht vom einem Gegner seiner logischen Auffassung, welchen er sym
bolisch Cornificius nennt (s. untem Anm. 528 ff.), und sagt bei dieser
Gelegenheit **), jene beliebte Manier, ohne ordentliches und mühevolles
50) Abael. Dialect. b. Cous. p. 436.: Sed quia labor huius doctrinae diuturnus
.... fatigat lectores, et multorum studia et aetates subtilitas nimia inaniter consumit,
multi .... de ea diffidentes ad eius angustissimas fores non audent accedere ; plurimi
vero eius subtilitate confusi ab ipso aditu pedem referunt. -
51) Joh. Saresb. Metal. III, Prol. p. 113. (ed. Giles vol. V.): Non in transitu
vel semel dialecticorum attigi scripta, quae vel in artibus vel in commentariis aut glosse
matibus scientiam pariunt aut retinent et reformant. -
52) Ebend. I, 1, p. 13.: Cornificius noster studiorum eloquentiae imperitus et
improbus impugnator ..... (2, p. 14.) populum qui sibi credat habet, et ei ..... turba
XIV. Reichere Bewegumg. 115
Studium ein Philosoph sein zu wollen, in Wirklichkeit aber nur ein
Sophist zu sein und Andere in blosser Sophistik heramzubilden, fliesse
aus jener Schule, in welcher - mam auf eigene Faust habe geistreich sein
wollen, indem man lediglich auf angebornes logisches Talent sich stützend
sich mit Controversen der läppischsten Art, z. B. ob ein Schwein, wel
ches zu Markt geführt wird, von dem Stricke oder von dem Menschen
festgehalten werde, u. dgl., beschäftigte, dabei aber stets in gespreiz
tem Dünkel mit etlichen Kunstworten der Logik um sich warf, — eine
Richtung, welche ebenso intolerant gegen jede anderweitige Wissenschaft
und Bestrebung gewesen sei, als siè in ihrer Neuerungssucht und bei
dem raschen Uebergange vom Lernen zum Lehren sich bald in das
grösste Bunterlei individueller Ansichten zersplittert habe. Eine Folge
dieses haltlosen Treibens sei nun gewesen °°), dass die Einen in welt
schmerzlicher Ueberzeugung von der Eitelkeit dieser Dinge in die Klö
ster sich flüchteten, Andere in Salern und Montpellier das Studium der
Medicin ergriffen, um nun diese Wissenschaft in gleicher rabulistischer
insipientium acquiescit, illorum tamen maæime , qui ... videri quam esse sapientes
appetunt.... 3, p. 15 ff.: sine artis beneficio .. . faciet eloquentes et tramite compen
di0s0 sine labore phil0s0ph0s .... Eo autem tempore ista Cornificius didicit, quae nunc
docenda reservat, .... quando in liberalibus disciplinis littera nihil erat et ubique spi
ritus quaerebatur, qui ut aiunt latet in littera ; Hylam esse ab Hercule, validum sci
licet argumentum a forti et robusto argumentatore ......, et in hunc modum docere
omnia, studium illius aetatis erat. Insolubilis in illa philosophantium schola tunc
temporis quaesti0 habebatur, an porcus, qui ad venalitium agitur, ab homine an a
funiculo teneatur; item an capucium emerit, qui cappam integram comparavit. In
conveniens prorsus erat oratio, in qua haec verba „conveniens“ et „inconveniens“, „ar
gumentum“ et ,,ratio“ non perstrepebant multiplicatis particulis negativis et traiectis
per „esse“ et ,,non esse“, ita ut calculo opus esset, quoties fuerat disputatum. ......
Sufficiebat ad victoriam verbosus clamor, et qui undecunque aliquid inferebat, ad pr0
positi perveniebat metam. Pöetae, historiographi habebantur infâmes et si quis incum
bebat laboribus antiquorum (d. h. der antiken Autorem, des Porphyrius, Boethius),
.... omnibus erat in risum. Suis enim aut magistri sui quisque incumbebat inventis;
nec hoc tamen diu licitum, quum ipsi auditores .... urgerentur, ut et ipsi spretis his,
quae a doctoribus suis audierant, cuderent et conderent novas sectas. Fiebant erg0
summi repente philosophi, nam qui illiteratus accesserat, fere non morabatur in scholis
ulterius, quam e0 curriculo temporis, quo ovium pulli plumescunt, itaque recentes
magistri e scholis ... pari tempore avolabant .... Ecce nova fiebant omnia, innovabatur
grammatica, immutabatur dialectica, contemnebatur rhetorica, et novas totius quadrivii
vias evacuatis priorum regulis de ipsis philosophiae adytis proferebant. Solam ,,con
venientiam“ sive „rationem“ loquebantur, ,,argumentum“ sonabat in ore omnium, et
aliquid operum naturae nominare, instar criminis erat aut ineptum nimis aut rude et
a philosopho alienum. Impossibile credebatur, convenienter et ad rationis normam
quidquam dicere aut facere, nisi „convenientis“ et „rationis“ mentio eaepressim esset
inserta, sed nec argumentum fieri licitum, nisi praemisso nomine argumenti.
53) Ebend. c. 4, p. 18 ff. Alii namque monachorum aut clericorum claustrum
ingressi sunt .... deprehendentes in se et aliis praedicantes, quia quidquid didicerant
vanitas vanitatum est ..... Alii autem Salernum vel ad Montem Pessulanum profecti
facti sunt clientuli medicorum et repente quales fuerunt philosophi, tales in m0ment0
medici eruperunt ...... Alii se nugis curialibus mancipaverunt, ut magnorum virorum
patrocinio freti possent ad divitias adspirare ..... Alii autem ad vulgi professiones
easque profanas relapsi sunt parum curantes quid philosophia doceat ..... dummodo
rem faciant „si possunt, recte, si non quocunque modo rem“....... Hoc autem quasi
quadrivio..... evadebant illi repentini philosophi .... non modo trivii nostri, sed totius
quadrivii contemptores.
8*
116 XIV. Reichere Bewegung. Alte und neue Logik.
Weise, wie vorher die Logik, zu betreiben, wieder Andere aber das
Leben am den Höfen der Reichen und Grossen aufsuchten, endlich An
dere lediglich auf Gelderwerb denkend sich in die niederen Sphären
des Lebens warfen (s. Anm. 530), kurz dass bei diesen Allen die Logik
und die Wissenschaft überhaupt in die grösste Missachtung fiel. Hier
auf aber, fährt Johannes fort **), sei ein Aufschwung der freien Künste
durch Männer, wie Gilbertus Porretanus, Theodorich (uns nicht näher
bekannt), Bernhard von Chartres, Wilhelm von Conches, und vor Allem
dureh Abälard eingetreten, wodurch eben jene Veräehter tieferer und
ernstlicher Studien nur zu Hass angestachelt und zu Schmähungen fort
gerissen worden seien; Schmähungen, welche sie nun auch gegen An
selmus, Wilhelm von Champeaux, Hugo von St. Wietor, Robert Pullus
u. A., sei es in logischer oder in theologischer Beziehung , gekehrt
hätten; die genannten Männer aber seien es, durch welche oder durch
deren Schüler er, nemlich Johannes, selbst seine Bildung empfangen
habe.
Dieser Bericht aber des Johannes von Salesbury wird uns ausser
seinem allgemeinen Inhalte noch insbesondere dadurch wichtig, dass
sich daram die Unterscheidung von „antiqui“ und „moderni“ (abweichend
von der Bedeutung dieser Worte bei einem früheren Schriftsteller, s.
vor. Abschn., Anm. 326.) in dem Sinne anknüpft, dass letztere die eben
angeführtem verdienstvollen Logiker, erstere aber jene spitzfimdigen Sophi
sten der vorhergehenden Zeit sind °°). Und wenn wir hierin ein Wor
spiel der späteren Trennung zwischen vetus logica und nova logica
erblicken, wornach von doriher der Rückschluss statthaft wäre, dass
die antiqui sich bei der älteren Boethianischen Tradition der Logik
begnügten, die moderni hingegen dem aristotelischen 0rganon näher
standen, so bestätigt sich dieses entschiedem durch das oben, Amm. 26,
Angeführte, sowie durch eine anderweitige deutliche Stelle des Johan
nes selbst °°). Ja ferner sagt derselbe, dass jene windige Geschwätzig
54) Ebend. c. 5, p. 21 f.: Solebat magister Gilbertus .... eis artem pistoriam
polliceri ..... Sed et alii viri amatores litterarum, utpote magister Theodoricus, artium
studiosissimus investigator, itidem Willelmus de Conchis, grammaticus post Bernardum
Carnotensem opulenlissimus, et peripateticus Palatinus, qui logicae opinionem praeri
puit omnibus coaetaneis suis, adeo ut solus Aristotelis crederetur usus colloquio, se
omnes opposuerunt errori ....... Praedictorum opera magistrorum et diligentia redierunt
artes et quasi iure postliminii honorem prislinum nactae sunt...... Hinc indignatio,
quam adversus discipulos memoratorum sapientium concepit Cornificii domus ; ......
impudenter etiam obfuscare nititur .... Anselmum et Radulfum ..... , nam de Albe
rico Remensi et Simone Parisiensi palam loquunlur ..... Willelmus de Campellis er
rasse convincitur scriplis propriis, viae parcilur magistro Hugoni de Sanclo Victore,
- - - - - Rodbertus Pullus .. ». diceretur filius subiugalis, nisi sedi apostolicae deferretur
- - - - - • Ego autem .... fateor aliquos praemissorum habuisse doctores et itidem aliorum
audisse discipulos et ab eis modicum id didicisse qu0d novi.
55) Ebend. I, Prol. p. 9.: Nam ingenium hebes est et memoria infidelior, quam
vt antiquorum subtilitates percipere aut quae aliquando percepta sunt, diutius valeam
retinere ...... Nec dedignatus sum, modernorum proferre sententias, quos antiquis
in plerisque praeferre non dubito. Vgl. Anm. 219, 365, 522.
56) Ebend. III, 6, p. 138.: Non .... inanem reputem operam modernorum, qui
equidem nascentes et convalescentes ab Aristotele inventis eius multas adiiciunt rationes
et regulas prioribus aeque firmas; ..... habemus gratiam peripatetico Palatino et aliis
XIV. Alte und neue Logik. 117
keit, als deren örtlichen Hauptsitz er einmal gelegentlich Paris bezeich
net °"); aus einer Silbenstecherei hervorgegangen sei, welche die gegen
alle anderen Wissenschaften intolerantem Logiker viele Jahre hindurch,
ja während ihres ganzen Lebens unablässig in Zusammenstellung und
Bekämpfung aller möglichen Meinhngen derartig übten, dass Mancher
selbst seine eigene Ansicht nicht mehr wusste **), wobei man dann um
des persönlichen Ruhmes willen selbst die antiken Autorem verschmähte
und die übliche Ordnung der Schul-Logik bei Seite setzte °°). Und
endlich wird nun noch ausdrücklich bemerkt, dass dieser übermässige
und bornirte Aufwand von Zeit und Kräften sich hauptsächlieh um die
Isagoge drehte, bei deren Erklärung man den Streit über die Universa
lien für die einzig höchste Aufgabe hielt °°), so dass ebensosehr zum
praeceptoribus nostris, qui nobis proficere studuerunt vel in eæplanatione veterum vel
in inventione novorum.
57) Epist. 181. (vol. I, p. 298. ed. Giles): Studiis tuis congratulor, quum
agnosco eae signis perspicuis in urbe garrula et ventosa, ut pace scholarium dictum
sit, non tam inutilium argumentationum locos inquirere, quam virtutum. Doch könnte,
da der Magister Radulfus Niger, an welchen dieser Brief gerichtet ist, uns nicht
mäher bekannt ist, unter der urbs ventosa möglicher Weise auch Avignon zu ver
stehen sein, denn sprichwörtlich sagte man ,,Avenio ventosa , sine vento venenosa,
cum vento fastidiosa.**
58) Metal. II, 6, p. 72.: Indignantur puri philosophi et qui omnia praeter logi
cam dedignantur, aeque grammaticae ut physicae eæpertes et ethicae ...... c. 7, p.
73.: qui clamant in compitis et in triviis docent et in ea, quam solam profitentur,
non decennium aut vicennium, sed totam consumpserunt aetatem ..... Fiunt itaque in
' puerilibus academici senes, omnem dictorum aut scriptorum eaecutiunt syllabam, imo
et litteram, dubitantes ad omnia, quaerentes semper, sed nunquam ad scientiam per
venientes, et tandem convertuntur ad vaniloquium ac nescientes, quid loquantur aut
de quibus asserant, errores condunt novos et antiquorum (d. h. der antiken Autorem,
wie obem Anm. 52.) aut nesciunt aut dedignantur sententias imitari; compilant omnium
opiniones et ea quae eliam a vilissimis dicta vel scripta sunt, ob inopiam iudicii scri
bunt et referunt, .... tanta est opinionum et oppositionum congeries ut viae suo nota
esse possit auclori. Ebend. c. 18, p. 93.: De magistris aut nullus aut rarus est,
qui doctoris sui velit inhaerere vestigiis; ut sibi faciat nomen, quisque proprium cudit
errorem. Polycr. VII, 12, p. 126.: Vetus quaestio, in qua laborans mundus iam
senuit, in qua plus temporis consumptum est, quam in acquirendo et regendo orbis
imperio consumpserit Caesarea domus, ..... haec enim tamdiu multos tenuit, ut quum
hoc unum tota vita quaererent, tandem nec istud nec aliud invenirent. Hiezu unten
Anm. 540. -
59) Enthet. v. 41 ff.: Si sapis auctores, veterum si scripta recenses, Ut statuas,
si quid forte probare velis, Undique clamabunt ,,vetus hic quo tendit asellus, Cur
veterum nobis dicta vel acta refert? A nobis sapimus, docuit se nostra iuventus, Non
recipit veterum dogmata nostra cohors, Non onus accipimus, ut eorum verba sequamur,
Quos habet auctores Graecia, Roma colit ..... (v. 59.) Temporibus placuere suis vete
rum bene dicta, Temporibus nostris iam nova sola placent.“ ..... Haec schola non
curat, quid sit modus ordove quid sit, Quam teneant doctor discipulusque viam.
60) Metal. II, 16, p. 89.: Sed quia ad hunc elementarem librum (d. h. die Ka
tegorien) magis elementarem quodammodo scripsit Porphyrius, eum ante Aristotelem
esse credidit antiquitas praelegendum; recte quidem, si recte doceatur, id est ut te
nebras non inducat erudiendis nec consumat aetatem ...... c. 17, p. 90.: Naturam
tamen universalium hic omnes eæpediunt et altissimum negotium et maioris inquisitionis
contra mentem auctoris eæplicare nituntur. Ebend. III, 5, p. 136.: qui in Porphyrio
aut Categoriis explanandis singuli volumina multa et magna conscribunt. Eine be
stätigende Aensserung Abàlard's s. untem Amm. 104.
-
118 XIV. Die Parteispaltung.
Tummelplatze individueller Eitelkeit wie zum Nachtheile des Unterrichtes
zuletzt alle Weisheit in die Erörterung des Porphyrius hineingepfropft
wurde °!).
So führen uns die allgemeineren Angaben des Johannes von Sales
bury von selbst zu den Controversen über die Universalien, und wir
dürfen aus dem Bisherigen füglich schliessen, dass der Streit in jener
einseitig spitzfindigen Weise in den ersten Jahrzehnten des 12. Jahr
hundertes entbrannte, so dass hier die geschichtliche Anknüpfung an
das Auftreten des Roscellinus und an die damals sich erhebenden Kämpfe
(s. vor. Abschn. Anm. 312 ff. u. bes. Anm. 326) deutlich vorliegt. Ja
innere Gründe sprechen dafür, dass von ebendort her bei den Contro
versén betreffs der Universalien vorerst die nominalistische Auffassung
die überwiegendere gewesen sein mag, denn nicht bloss der Umstand,
dass jene Logiker nach des Johannes Bericht sich exclusiv und intole
rant gegen jede Real-Wissenschaft verhielten (Anm. 52 u. 58), deutet
auf Derartiges hin, sondern es ergibt sich auch leicht der Schluss, dass
jene von Johannes angeführten verdienstvollen Wiedererwecker der Logik,
welche sämmtlich einem extremen Nominalismus abhold warem oder
theilweise selbst bis an die äusserstem Gränzen des Realismus fort
schrittem, jedenfalls einen Umschwung hervorriefen oder beförderten,
welcher von nominalistischen Grundsätzen hinweg auf anderweitige Bah
nen hinüberlenkte.
Dass aber hiebei, wie wir schon sagten, die Spaltung der Ansichten
sich nicht bloss in eimem dichotomischem oder trichotomischen Gegen
satze hewegte, sondern in einer grösseren Zahl von Abstufungen auf
trat, erhellt aus genauerer Einsichtnahme der uns zugänglichen Quellen.
Die ausführlichste Notiz gibt uns wieder Johannes von Salesbury, wor
nach die Meinungsverschiedenheit bezüglich der Universalien sich folgen
dermaassen gestaltet habe:
1) die Ansicht des Roscellinus, dass dieselben voces seien "*), —
s. Anm. 76 ff.;
2) jene des Abälard und seiner Anhänger, dass die Universalien.
auf sermones zu reduciren seien, da das Prädicat eines Dinges
nie selbst ein Ding sein könne °°), — s. Anm. 283 ff.;
61) Ebend. II, 20, p. 113.: Nec fideliter cum Porphyrio nec utiliter cum intro
ducendis versantur, qui omnium de generibus et speciebus recensent opiniones, omnibus
obviant, ut tandem suae inventionis erigant titulum. Ebend. III, 1, p. 117.: Auste
rus nimis et durus magister est, tollens quod positum non est et metens quod non
est seminatum, qui Porphyrium c0git solvere, quod omnes philosophi acceperunt, cui
satisfaclum non est, nisi libellus doceat, quidquid alicubi scriptum invenitur, Polycr.
VII, 12, p. 129.: Qui ergo Porphyriolum omnibus philosophiae partibus replent, intro
ducendorum obtundunt ingenia, memoriam turbant. Hiezu die unten, Amm. 98., an
zuführende Stelle des Wilhelm v. Conches.
62) Metal. II, 17, p. 90., woselbst naeh dem s0 eben (Anm. 60.) angeführten
Worten unmittelbar jene Stelle über Roscellinus (s. vor. Abschn. Anm. 318.) folgt.
63) Ebend.: Alius sermones intuetur et ad illos detorquet, quidquid alicubi de
universalibus meminit scriptum; in hac autem opinione deprehensus est peripateticus
Palalinus Abaelardus nosler, qui multos reliquit et adhuc quidem aliquos habet pr0
fessionis huius sectatores et testes; amici mei sunt, licet ita plerunque captivatam
detorqueant litteram, ut vel durior animus miseraiione illius moveatur.. Rem de re
XIV. Die Parteispaltung. 419
3) die Annahme, dass intellectus oder motio im Sinne Cicero's (d.
h. der Stoiker) dasjenige sei, was man Universale nenne **), —
s. Anm. 581 ff.
Won diesen unterscheidet Johannes dann Diejenigen, welche an den
Dingen haften („rebus inhaerent“), sich selbst aber wieder in mehrere
Parteiem spalten, sonach :
4) die bald wieder aufgegebene Ansicht des Walter von Mortaigne,
dass die Universalien mit den Individuen (d. h. den res sensi
biles) essentiell vereinigt seien, wornach es auf den „status“
ankomme, nach welchem man das Individuum betrachte '°), —
s. Anm. 129 ff. ;
5) der platonische Realismus des Bernhard von Chartres °°), — s.
Anm. 89 ff.;
6) die Annahme des Gilbert von Poitiers betreffs der formae na
tivae °7), — s. Anm. 460 ff.;
7) die Ansicht des Gauslenus von Soissons, dass die Universalität
praedicari monstrum dicunt, licet Aristoteles monstruositatis huius auctor sit et rem
de re saepissime asserat praedicari, qu0d palam est, nisi dissimulent, familiari
bus eius.
64) Ebend. (fortgefahren): Alius versatur in intellectibus et eos duntaaeat genera
dicit esse et species; sumunt enim occasionem a Cicerone et Boethio, qui Aristotelem
laudant auctorem, quod haec credi et dici debeant notiones; ,,est autem“, ut aiunt,
,,notio eæ ante percepta forma cuiusque rei cognitio enodatione indigens“ (so aller
dings Cicero in der Abschn. VIII, Anm. 37. angeführten Stelle, welche aber zugleich
zeigt, dass derselbe sich nicht auf Aristoteles, sondern auf ,,Graeci“, d. h. auf die
Stoiker berief), et alibi: ,,notio est quidam intellectus et simpleae animi conceptio**
(so Boeth. ad Cic. top. p. 805. bei Erklärung jener ciceronischen Stelle, nur voll
ständiger, nemlich: ,,.... conceptio, quae ad res plures perlineat a se invicem diffe
rentes, id vero genus esse, manifestum est*', sodanm aber nach einigen Zeilem hin
zufügend: at vero Aristoteles nullas putat eætra esse substantias, sed intellectam simi
litudinem plurium inter se differentium substantialem genus putat esse vel speciem);
e0 ergo deflectitur quidquid scriptum est, ut intellectus aut n0ti0 universalium univer
sitatem claudat. -
65) Ebend. p. 90 f.: Eorum vero qui rebus inhaerent, multae sunt et diversae
opiniones. Siquidem hic ideo, quod omne quod unum est, numero est, rem univer
salem aut unum numero esse aut omnin0 non esse concludit; sed quia imp0ssibile,
substantialia non esse eæistenlibus his quorum sunt substantialia, denu0 colligunt,
universalia singularibus quod ad essentiam unienda. Parliuntur itaque status duce
Gautero de Mauritania et Platonem in e0 quod Plat0 est dicunt individuum, in e0 quod
homo speciem, in eo quod animal genus, sed subalternum, in eo quod substantia ge
neralissimum. ' Habuit haec opini0 aliqu0s assertores, sed pridem hanc nullus pr0
fitetur.
66) Ebend. p. 91.: Ille ideas ponit Platonem aemulatus et imitans Bernardum
Carnotensem et nihil praeter eas genus dicit esse vel speciem ........ (p. 92.) Egerunt
operosius Bernardus Carnotensis et eius sectatores, ut componerent inter Aristotelem et
Platonem, sed eos tarde venisse arbitror et laborasse in vanum, ut reconciliarent mor
tuos, qui quamdiu in vita licuit dissenserunt.
67) Ebend. p. 92. : Porro alius, ut Aristotelem eaeprimat, cum Gilberto episcopo
Pictaviensi universalitatem formis nativis attribuit et in earum conformitate laborat; est
autem forma nativa originalis eæemplum et quae non in mente dei consistit, sed rebus
creatis inhaeret; haec graeco eloquio dicitur εὐδος, habens se ad ideam ut eaeemplum
ad ezemplar, sensibilis quidem in re sensibili, sed mente concipitur insensibilis, singu
laris quoque in singulis, sed in omnibus universalis.
120 XIV. Die Parteispaltung.
nur in einem „colligere“ beruhe °°) (s. Anm. 145 ff.), welche
wegen maneher Schwierigkeiten sich zu
8) der Annahme betreffs der „maneries“ gestaltete oder in die obige
status-Frage auslief°°), — s. Anm. 85 ff.
Sowie aber Johannes diess noch einmal zusammenfasst, um alle
diese Ansichten mit Ausnahme der dritten als anti-âristotelisch zu be
zeichnen, und zwar mit einer merkwürdigen Wendung , wornach ihm
zuletzt Jedwedes als Realismus erscheint 7°), so spricht er ein anderes
Mal gleichfalls von dieser Parteispaltung und nennt daselbst 1!) von den
so eben aufgezählten Ansichtem nur die ersten vier, neu aber kömmt
mun dort hinzu
9) die Ansicht, dass die Universalien abstracte Formen wie die
mathematischen seien.
Dass wir aber hiemit noch nicht zu Ende sind, sieht jeder Kun
dige schon daraus, dass in des Johannes Bericht Wilhelm von Cham
peaux gar nicht erwähnt ist ; nun kömmt aber, — um vorläufig nur
bei der Aufzählung der verschiedenen Meinungen stehen zu bleiben —,
68) Ebend.: Est et alius, qui cum Gausleno Suessionensi episcopo universalita
tem rebus in unum collectis attribuit et singulis eandem demit.
69) Ehend. p. 92 f.: Evinde , quum ad interpretandas auctoritates ventum est,
laborat prae dolore, quia in locis pluribus rictum litterae indignantis ferre non sustinet.
Est aliquis, qui confugiat ad subsidium novae linguae, quia latinae peritiam non
satis habet; nunc enim quum genus audit vel species, res quidem dicit intelligendas
universales, nunc rerum maneriem (unbegreiflicher Weise gibt Giles materiem, ob
wohl die Ausgabe Amstel. 1664 das Richtige hat, abgesehen von den sogleich fol
genden Wortem, §. untem Anm. 85.) interpretalur; hoc autem nomen in quo auctorum
invenerit vel hanc distinctionem, incertum habeo, nisi forte in glossematibus aut
modernorum linguis doctorum. Sed et ibi quid significet, non video, nisi rerum
collectionem cum Gausleno aut rem universalem, quod tamen fugit maneriem (ebenso)
dici, nam ad utrumque potest ab interpretatione nomen referri, eo quod maneries
(ebenso) rerum numerus aut status dici potest, in quo talis permanet (also er ety
mologisirt wom Stamme ,,mane0“) res; nec deest, qui rerum status attendgt et eos
genera dicit esse et species.
70) Ebend. c. 20, p. 95.: Quare ab Aristotele recedendum est concedendo ut
universalia sint (s. unten Anm. 590.), aut refragandum opinionibus, quae eadem
(1) ,,vocibus“, (2) ,,sermonibus“, (4) ,,sensibilibus rebus“, (5) ,,ideis“, (6) ,,for
mis nativis“ (die Ausgaben haben formis, naturis), (7 u. 8) ,,collectionibus“ ag
gregant, quum singula horum esse non dubitentur, qui autem ea esse statuit, Ari
stoteli adversetur.
71) Polycr. VII, 12, p. 127.: In his aetatem terere, nihit agentis et frustra
laborantis est ..... Eaepediunt haec auctores multis modis variisque sermonibus .....
et litigiosis hominibus mullam contendendi materiam reliquerunt. Inde est, qui sen
sibilibus aliisque singularibus apprehensis , quoniam haec sola veraciter esse dicun
tur, ea in diversos ,, status** (4) subvehit, pro quorum ratione in ipsis : singularibus
specialissima generalissimaque constituit. Sunt, qui more mathematicorum ,,formas**
(diess das Neue) abstrahunt et ad illas, quidquid de universalil)us dicitur, referunt.
Alii discutiunt ,,intellectus“ (3) et eos universalium nominibus censeri confirmant.
Fuerunt et qui ,,voces“ (1) ipsas genera dicerent et species, sed eorum iam eæplosa
sententia est et facile cum auctore suo evanuit. Sunt tamen adhuc qui deprehen
duntur, in vestigiis eorum, licet erubescant auctorem vel sententiam profiteri solis
nominibus inhaerentes , quod rebus et intellectibus subtrahunt, ,,sermonibus** (2)
adscribunt. Magno se iudice quisque tuetur, et eae verbis auctorum .... suam ad
struit sententiam vel errorem. 0riuntur hinc magna seminaria iurgiorum et colligit
quisque, qu0 suam possit haeresin confirmare.'
XIV. Die Parteispaltung. 121
-
noch eine Stelle des Fragmentes De generibus et speciebus hinzu "*),
in welcher gleichfalls die Unterscheidung zwischen Jenen, welche die
Universalien als voae bezeichnen, und denjenigen, welche sie für res
halten, zu Grunde gelegt ist, bei letzteren aber nur zwei Unterartem
derselben namhaft gemacht werden, nemlich
10) die sogenannte ratio indifferentiae (s. Anm. 132 ff.) und
11) die Ansicht des Wilhelm von Champeaux, — s. Anm. 102 ff.
Ferner spricht von diesen Meinungs-Wersehiedenheitem einmal auch
Abälard 7°), woselbst er innerhalb des Realismus zunächst die beidem
so eben genannten Annahmen erwähnt, sodann aber auch
12) eine Auffassung , wornach der Unterschied zwischen Gattung
und Individuum nur in einer Eigenthümlichkeit (proprietas?) des
Daseins liege, insoferne das Universale sowohl in Mehreren zu
gleich als aueh in Einzelnwesen auftreten könne.
Hingegen Pseudo-Abälard De intellectibus (s. untem Anm. 416 ff.)
unterscheidet unbestimmt allgemein nur Realisten, Nominalistem und die
Abälard'sche Ansicht 7*). -
Endlich aber kömmt noch hinzu
13) die Annahme des Verfassers De generibus et speciebus, — s.
Amm. 148 ff. -
72) Bei Cousin, 0uvr. indd. d'Abélard, p. 513.: De generibus et speciebus
diversi diversa sentiunt. Alii namque voces solas genera et species universales et
singulares esse affirmant, in rebus vero nihil horum assignant. Alii vero res gene
rales et speciales universales et singulares esse dicunt, sed et ipsi inter se diversa
sentiunt; quidam enim dicunt singularia individua esse species et genera sub
alterna et generalissima alio et alio modo attenta (der Werfasser bezeichnet diese
Ansicht selbst als ,,sententia de indifferentia**, s. untem Anm. 133.); alii vero quas
dam essentias universales fingunt, quas in singulis individuis totas essentialiter esse
credunt (dass diess letztere die Meinung Wilhelm's sei, wird unten erhellem).
73) In den schon oben, Anm. 13., angeführten Glossulae super Porphyrium
bei Rémusat a. a. 0. p 96. (leider gleichfalls micht im 0riginaltexte mitgetheilt):
La grande question que Porphyre indique en débutant ..... arréte Abélard, et il est
presque obligé de la traiter seulement pour la poser. Toutes les opinions sur les
universauae se prévalent, dit-il, de grandes autorités (schom hier übersetzt Rémusat
falsch, denn er gibt in der Anmerkung die Original-Worte ,,unus quisque se tuetur
auctoritate iudice“, deren Sinn ist, dass jeder seine Ansicht durch die überlieferte
Auctorität, d. h. durch Aristoteles, stützt) ..... p. 97.: Le premier systême est celui
de l'eaeistence des choses universelles. . Il est plusieurs maniéres de l'établir. Suivant
l'une etc. (nun folgt die Ansicht Wilhelm's von Champeaux, s. untem Anm. 105.)
.... p. 99.: La seconde manière etc. (folgt die Indifferenz-Lehre, s. unten Anm.
32.)..... p. 101 f.: Enfin on s'y prend d'une troisième manière pour soutenir que
les universauae sont des choses. Voulant eæpliquer la communauté, l'on dit qu'entre
la chose universelle et la chose singuliére est une différence de propriété, la pro
priété qui consiste á être universelle, la propriété qui consiste á être singuliere.
L'animal, le corps est universel , et m'est pas seulement quelque animal et quelque
corps; mais dire ,,l'animal est universel“, revient â dire ,,il y a plusieurs choses
qui sont chacune individuellement animal“; quand ,,animal“ se dit d'un seul, on
entend qu'un seul, un étre déterminé est animal ..... Endlich p. 106. folgt in
unbestimmten Ausdrücken die Anffassung der Universalien als voces.
74) Bei Cousin, Fragm. philos. Philos.- scolast. Par. 1840. p. 494.: De formis
diversi diversa sentiunt. Quidam enim volunt omnes formas esse essentias (die Rea
listen), quidam nullas (die Nominalisten), quidam quasdam essentias esse confir
mant, quasdam non (die Anhänger Abälard's, Näheres s. untem).
122 XIV. Die Parteispaltung. Nominalismus.
•
Won diesem Bunterlei der Meinungen nun werden wir jene des
Abälard (2), des Gilbert (6.) und des Johannes von Salesbury (nem
lich die 3.) erst später in Verbindung mit der gesammten logischem
Thätigkeit derselben erörtern können ; sodann aber fallen die 12. und
die 9. darum hinweg, weil wir schlechthin Nichts näheres als das so
eben Gesagte über dieselben wissen; nur mag bei letzterer bemerkt
werden, dass sie uns entschiedem an jene mathematische Betrachtungs
weise erinnert, welche wir obem, vor. Abschn., Amm. 169, schon in
weit älterer Zeit trafen. Die übrigen hingegen müssen wir nun versu
chen genauer zu besprechen, wobei sich uns manche verschlungene
Verwandtschaft zwischen einzelmen derselben und selbst wieder meue
Abartem und Abzweigungen zeigen werden. Auch spielt aber in jene
Controversen, wie sich schon aus dem Worgange des Boethius (s. Ab
schn. XII, Anm. 85 ff.) erwarten lässt und es theilweise bereits bei
Roseellinus zu Tage getreten war (vor. Abschn., Anm. 321 f.), in hohem
Grade die Lehre von der Eintheilung und der Definition hereim, demn
die Tabula logica des Porphyrius oder Boethius bewegt sich ja haupt
sächlich in den Universalien, womit das Zeugniss Abälard's übereinstimmt,
dass Wiele sich mit jenem Zweige der traditionellen Logik beschäftigten
und Manche sogar die Boethianische Lehre der Eintheilung noch zu
vervollständigen versuchten 7°).
Was nun zunächst die an Roscellinus anknüpfende Ansicht betrifft,
so seheint dieser N o m in a lis m us in der That nicht so schnell- gänz
lich verschwunden zu sein, als es mach den oben angeführten Aeusse
rungen des Johannes von Salesbury (s. vor. Abschn., Anm. 325) schei
men müsste. Denn abgesehen davon, dass dieser nemliche Autor doch
wieder selbst won einer Richtung spricht, welche einseitig nur dem
Klange der Worte folgt und so dieselben fast zum blossem Hauche ver
flüchtigt 7°), treffen wir nun auch noch in Ahálard's Zeit eine Wider.
holung jener Vorwürfe, welche Anselmus gegen Roscellinus gewendet
hatte (s. ebend. Anm. 319), und zwar derartig gesteigert, dass der No
minalismus sich sehon einem vollständigen Sensualismus genähert zu
haben scheint, wenn behauptet wurde, dass nicht bloss kein Allgemeines
existire, sondern auch durch die Wortbezeichnung das Denken nur die
Einzel-Wesen erfasse ""). Ja mit deutlicher Bezugnahme auf eine Stelle
75) Abael. Dialect. b. Cousin, p. 450.: Dividendi seu diffiniendi peritiam non
solum ipsa doctrinae necessitas commendat, verum diligenter multorum auctoritas
tractat. Ebend. p. 489.: Movet autem fortasse quosdam , quod sint quaedam divi
siones, quae in sev suprapositis (d. h. jenem des Boethius, Abschn. XII, Anm. 96.)
non connumeramtur.
76) Joh. Saresb. Enthet. v. 27 ff. Qui sequitur sine mente sonum, qui verba
capessit, Non sensum, iudeae integer esse nequit; Quum vim verborum dicendi causa
ministret, Haec si nescitur, quid nisi ventus erunt?
77) Pseudo-Abael. D. intell. a. a. 0. (Amm. 74.), p. 488.: Sicut enim, in
quiunt, cum homo sentitur, necesse vel hunc vel illum vel aliquem alium sentiri,
eo videlicet quod omnis homo sit vel hic vel ille vel alius, ita et 'de intellectu ad
similitudinem sensus ratiocinantur, ut videlicet si homo intelligatur, necesse sit vel
hunc vel illum vel aliquem alium intelligi. Praeterea homo nihil aliud sonat quam
quidam homo, unde et qui hominem intelligit, profecto quendam hominem intelligit
et ita hunc vel alium intelligit.
XIV. Nominalismus. - 123
der Analytik drückten einige extreme Nominalisten, welche selbst das
prädicative Satzverhältniss bekämpft zu haben scheinen (vgl. vor. Abschn.,
Anm. 324 f.), sich sogar derartig aus, dass nicht einmal das Wort
„Individuum“ prädicirt werden dürfe, sondern nur die Singularität des
Einzel-Wesens Gegenstand der Aussage sein könne *°). Auch knüpfte
sich eine solche Hinneigung zum Sensualismus '°) an jene der Psycho
logie angehörigen Erklärungen, auf welche Aristoteles in beiden Analy
tiken (s. oben Anm. 19) die Erkenntniss-Theorie stützt *°).
Selbstverständlicher Weise hat die Stufenfolge von Gattung zu Art
und von Art zu Individuen bei den Nominalisten keine ontologische Be
deutnng, sondern indem sie den Realismus bekämpfen, substituiren sie
zur Kundgebung ihrer Auffassung für die in der Isagoge üblichen Worte
überall das durch dieselben „Bezeichnete“ (significatum), indem sie z.
B. significatum generis statt genus sagen und in solcher Weise alle
Lehr-Sätze figürlich (figura locutionis) interpretiren, ' da ihnen ja über
haupt nur die Individuen als seiend geltem, diese aber durch die Worte,
sei es durch specielle oder durch allgemeine, ihre ,,Bezeichnung“ fin
dem **). Eben Letzteres aber scheint eine Spaltumg unter den Nomina
listen hervorgerufen zu haben; nemlich die Einen, und zwar offenbar
die Besonnerem, unter welchen ein uns übrigens unbekannter Garm un d
genannt wirì, hielten doch noch an dem begrifflichen Gehalte des
Wortes, welcher ein inneres Werstehen erzeugt, fest und verneinten es
hiernach entschiedem, dass durch den Namen der Gattung auch schon
die Art oder durch eine Inhärenz auch schon' das Substrat (z. B. „Mensch*
durch „lebendes Wesen“ oder „Körper“ durch „Gefärbi“) bezeichnet
werde **); Andere hingegen, gewiss die 'Leichtfertigeren und Extre
78) Joh. Saresb. Metal. II, 20, p. 110.: Hinc forte est illud in Analyticis
,,Aristomenes intelligibilis semper est, Aristomenes autem non semper“ (Anal. pr. I,
33, bei Boeth. p. 495.); et hoc quidem est singulariter individuum, quòd solum
quidam aiunt posse de aliquo praedicari ; Plato enim Aristidis filius nec quantitate
ut atomus nec soliditate ut adamas, sed nec praedicatione, ut dicunt, individuum est.
79) Ebend. III, 7, p. 140.: Sed minutiores philosophi cum Porphyrio vulgi se
quuntur opinionem, qui fere id solum consuevit approbare, quod sensibus patet.
Ebend. IV, 20, p. 176.: Unde et quidam minuti philosophi, eo quod a sensibus
ad scientiam sit processus, nisi eorum quae sentiuntur ullam negant esse scientiam.
80) Pseudo-Abael. d. intell. a. a. 0. p. 466.: cum quidam omnes imaginationes
quasdam sensuum .... recordationes esse velint, hoc est eas eæ rebus sentilis solum
modo haberi, etc. Joh. Saresb. Metal. IV, 9, p. 166.: Eorum ergo opinio est, quod
eadem potentia nunc sentiat, nunc memoretur, nunc imaginetur, nunc discernat in
vestigando , nunc investigata assequendo intelligat.
81) D. gen. et spec. b. Cousin, Abélard p. 524.: aiunt figuram totam esse
locutionem ,,genus est materia speciei** (diesen Lehrsatz des Boeth. d. divis. s.
Abschn. XlI, Anm. 97.), id est: significatum generis materia est significati speciei;
sed hoc secundum eos stabile est, nam cum habeat eorum sententia, nihil esse prae
ter individua et haec tamen significari a vocibus tam universalibus quam singularibus,
idem prorsus significabit animal et homo.
82) Abel. Dialect. p. 210.: Alii enim omnia, quibus voz imposita est, ab
ipsa voce significari volunt, alia vero ea sola, quae in voce denotantur atque in
sententia ipsius tenentur. Illis quidem magister noster V. (was Cousin höchst will
kürlich als ,, Willelmus Campellensis** erklärt, s. untem Anm. 102.) favet, his vero
Garmundus (wenn Cousin in einer Anmerkung sagt ,,infra de eo, sc. Garmundo,
non semel mentio erit“, so verstehe ich diess nicht, denn in jemem Texte wenig
124 xiv. Nominalismus. Die Lehre von maneries.
meren, wie z. B. ein gewisser Magister „W.“, warfen sich lediglich auf
das Bezeichnen, wornach jedes Ding in jedwedem ihm beigelegten Prä
dicate bereits mitbezeichnet sei, und es ist beachtenswerth, dass diese
hiebei sich auf die Grammatik stützten, nach welcher jedes Nomen so
wohl eine Substanz als auch zugleich eine Qualität bezeichne *°). No
mipalisten der letzteren Art müssen es auch gewesen sein, welche wohl
mit einseitiger Werfolgung der Ansicht des Roscellinus (vor. Abschm.,
Anm. 321) zu der Behauptung gelangten, dass die einfache dictio (d. h.
das einzelne Wort im Gegensatze gegen das Urtheil) überhaupt keiner.
lei Theile des Denkactes, nemlich auch keine gleichzeitigem, in sich
trage, sondern wie ein Punkt in unterschiedsloser Einheit . Alles, was
unter das Wort fällt, umfasse **). — Ein paar einzelne Consequenzen
des Nominalismus bezüglich der Kategorienlehre s. unten Anm. 196 f.
u. 199.
Eine Abzweigung des Nominalismus aber war gewiss die Annahme
betreffs der ,, m a m e r i e s “, s. oben Anm. 69 ; denn wenn Johannes von
Salesbury dieselbe unter dem realistischen Ansichten aufzählt, werden
wir nicht bloss durch jene obige (Amm. 70) Stelle desselben, in welcher
er ja zuletzt Alles als Realismus bezeichnet, sehr bedenklich gemacht,
sondern wir finden auch in einem anderweitigen Berichte die entschie
dene Mittheilung, dass die Nominalisten es waren, welchè zur Stütze
ihrer Ansicht, wornach Gattumgen und Artem nur die im Subjecte oder
Prädicate ausgesprochenen allgemeinerem oder specielleren Worte seiem,
in den betreffenden Stellen des Boethius und des Aristoteles sofort „res“
als „voa:* und „genus“ als „maneries“ bezeichnetem *°). Das Wort
stens, welchen Cousin gibt, ist nicht ein einziges Mal mehr Garmund erwähnt)
consensisse videtur., Illi quidem auctoritate, hi vero fulti sunt ratione. Quibus enim
Garmundus annuit, rationabiliter eu sola (fehlt das Verbum, etwa admittunt oder
dgl.), quae in sententia vocis tenentur iusta diffinitione ,,significandi“, quae est
,,intellectum generare**; de eo enim voa, intellectum facere non potest, de quo in
sententia eius non agitur; unde nec a nomine generis speciem volunt significari, ut
hominem ab animali, nec subiectum accidentis a sumpto vocabulo, ut corpus ipsum
a colorato vel albo; neque enim homo in nomine animalis eaeprimitur nec subiecti
corporis natura in colorato denotatur, sed tantum illud, quantum substantia animal
sensibile dicitur, hoc vero tantum, quod informatur colore vel albedine ; habet tamen
et illud impositionem ad hominem et hoc ad corpus, de quibus enuntiantur.
83) Ebend.: Hi vero, qui omnem vocum impositionem in significationem dedu
cunt, auctoritatem protendunt , ut ea quoque significari dicant a voce , quibuscunque
ipsa est imposita, ut ipsum quoque hominem ab animali vel Socratem ab homine
vel subiectum corpus ab albo; nec solum eae arte, verum etiam eae auctoritate gram
maticae id conantur ostendere ; cum enim tradat grammatica, omne nomen substan
tiam cum qualitate significare, album quoque, quod subiectam nominat substantiam
et qualitatem determinat circa eam, utrumque dicitur significare (diese Ansicht also
solíte mach Consim dem Realisten Wilhelm v. Champeaux angehören !).
84) Pseudo-Abael. d. intell. a. a. 0. p. 472.: Sunt itaque intellectus coniuncta
rum et divisarum rerum diclionum tantum, coniungentes vero et dividentes intellectus
orationum tantum sunt ; illi quippe simplices sunt, isti compositi. (So des Wer
fassers Ansicht.) Sunt plerique fortassis (nemlich Nominalisten), qui intellectus
simplices nullas omnino partes habere concedant , neque scilicet per successionem
neque simul (d. h. ungleichzeitige oder successive Theile hat überhaupt mur das
Urtheil, nie aber das einzelne Wort); qui enim , inquiunt, plura simul intelligit,
una simplici aclione omnia simul attendit.
85) D. gen. et spec. a. a. 0. p. 522.: Nunc illam sententiam, quae voces solas
XIV. Die Lehre von maneries. Platonismus. Bernhard v. Chartres. 125
„maneries“ selbst ist gleichfalls weder so monströs noch so selten, als
Johannes in seiner obigen (Anm. 69) Angabe meint, denn es begegnet
uns nicht bloss in allgemeiner Bedeutung bei Bernhard von Clairvaux *°),
sondern sogar in speciell logischem Sinne bei einem anderen Autor aus
dem Anfange des 13. Jahrhundertes, nemlich bei dem Kanonisten H u
gu c c io (gest. 1212), welcher in seiner lexicalischen Schrift „species“
als „rerum maneries“ definirt *"). Und sowie dieses Wort (das fran
zösische „manière“) nach seiner richtigem Ableitung auf die Bedeutung
„Handhabung“ oder „Behandlungsweise" hinausläuft *°), so musste es in
logischer Anwendung zunächst die subjective Auffassungsweise bezeich
nem und hiemit der nominalistischen Anschauung oder jenem ,,colligere“
(Anm. 68) näher stehen; hingegen erst, wenn „maneries“ von der
Bedeutung „Art und Weise“ allmälig zu der Bezeichnung einer „Sorte“
hinübergewendet : war, konnte es in logischem Sinne objectiv so ge
nommen werden, dass die status-Frage (Anm. 65) hereinspielem mochte,
obwohl auch noch bei „Sorte“ der Gedanke an das „Sortiren“ (d. h.
colligere) nahe genug läge.
Die einseitigen Gegner der einseitigen Nominalisten waren jeden
falls die eigentlichen Plato nik e r, unter welchen uns zunächst. als ein
Hauptrepräsentant Bern h a rd v o n Chartres (bis gegen. 1160 lebend)
begegnet. Während derselbe ebenso sehr eine höchst ausgedehnte lit
terarische Kenntniss als eine entschiedene Lehrgabe besass *°), war er
kein Freund der Neuerungen, sondern wies auf die Altem hin, auf
derem Schultern allein die neuere Zeit stehe, so dass dieselbe nicht sich
genera et species universales et particulares praedicatas et subiectas asserit et non
res, insistamus ...... (p. 523.) Boethius in commentario super Categorias (p. 114.)
dicit ,,quoniam rerum decem genera sunt prima, necesse fuit decem quoque esse
simplices voces, quae de simplicibus rebus dicerentur**; hi tamen eæponunt: ,,ge
nera, id est manerias**. Quasdam autem res universales ait Aristoteles in Perier
menias (b. Boeth. p. 233.) ,,rerum aliae sunt universales, aliae sunt singulares**;
hi tamen eæponunt: ,,rerum, id est vocum** ...... His autem tam apertis auct0
ritatibus rationabiliter obviare non valentes aut dicunt auctoritates mentiri aut ea po
nere laborantes, quia evcoriare nesciunt, pellem incidunt.
86) Epist. 402. (0pp. ed. Martene, Venet. 1765. I, p. 156.): Maneries locu
tionis pro sigillo sit, quia ad manum non erat.
87) Huguccio, der Werfasser einer Summa Decretorum und anderer kanonisti
scher Schriften (Näheres über ihn s. b. Sarti, d. clar. archigymn. Bonon. profess.
I, p. 296 ff. u. b. Du Cange, Glossar. Praefatio §. XLVI.) hatte ein Vocabularium
(liber derivationum) geschrieben, welches theilweise aus dem oben erwähntem Pa
pias (vor. Abschn., Anm. 286 ff.) geschöpft war und mehrfach handschriftlich vor
handen ist. Aus demselben theilt Du Cange s. v. Maneries folgende Worte mit:
Species dicitur rerum maneries, secundum quod dicitur ,,herba huius speciei, id est
maneriei, crescit in horto meo“.
88) S. Diez, Etymol. Wörterb. d. roman. Sprachen p. 216. Ein völlig ver
schiedenes Wort ist maneria, welches von maneo abstammt und verwandt mit man
sio ,,Aufenlhalt* bedeutet (s. Du Cange s. v. Maneria). -
89) Joh. Saresb. Metal. I, 24, p. 57 f.: Bernardus Carnotensis, eacundatissimus
modernis temporibus fons litterarum in Gallia, in auctorum lectione, quid simpleae
esset et ad imaginem regulae positum, ostendebat; figuras grammaticae, colores rhe
toricos , cavillationes sophismatum , et qua parte sui propositae lectionis articulus
respiciebat ad alias disciplinas, proponebat in medio; ita tamen ut n0n in singulis
vniversa doceret, sed pro capacitate audientium dispensaret eis in tempore doctrinae
fmef)Sºurqm.
126 XIV. Platonismus. Bernhard v. Chartres.
selbst eitel überheben dürfe °°). Der antike Kern aber, für welchen
er schwärmt, ist ausschliesslich derTplatonische, und da er die Realität
der Universalien auf Plato's Auffassung hin bethguerte °1), mochte er
wohl vergeblich sich bemühen, Solches mit der aristotelischen Ansicht
zu vereinbaren, s. ob. Anm. 66 u. vgl. untem Anm. 143. Ja- es fällt
kaum mehr der Geschichte der Logik anheim, zu berichten, dass Bern
hard bei seiner idealistischen Hypostasirung des Seins auch die Singu
larität der Individuen (d. h. matürlich nicht die singulären Individuen
selbst) in der intelligiblen Welt vorgezeichnet erblickt und zu dem mysti
schen Begriffe eines Kreislaufes der Gattungen und Individuen gelangt,
in welchem mur die Namen der Evolutionem oder Involutionen das Wech
selnde seien °°). Das Widerspruchsvolle aber, dass diese idealistischen
Verächter der begrifflichen Function des menschlichen Wortes dennoch
auf die übliche Schul-Logik eingiengen, zeigt sich auch bei Bernhard,
von welehem uns in vereinzelter Weise (so dass wir auf eine ähnliche
Bearbeitung der gesammten Logik schliessen dürfen) eine Erörterung
über , die Denominativa (s. Abschn. IX, Anm. 44, Abschn. XII, Amm. 46
u. 174) überliefert ist. Er führte nemlich auch bei den Adjectivis mit
einem ergötzlichen Gleichnisse den platonischen Realismus durch, indem
ihm das entsprechende abstracte Substantivum (z. B. albedo) die reine
platonische ldee repräsentirt, hingegen das Werbum (albet) den Beginn
der Wermischung mit dem Accidentellen , bezeichnet, zuletzt aber das
Adjectivum (album) als der Ausdruck der heillosen Vermengung der
Idee mit der concreten Wirklichkeit gilt °°). Hiernach dürfen wir es
90) Ebend. III, 4, p. 131.: Dicebat Bernardus Carnotensis , nos esse quasi
nanos giganlium humeris insidentes, ut possimus plura eis et remotiora videre, non
utique proprii visus acumine aut, eminentia corporis, sed quia in altum subvehimur
et eactollimur magnitudine gigantea.
91) Ebend. II, 17, p. 91 f.: Quoniam universalia corruptioni non subiacent
nec motibus alterantur, quibus moventur singularia ...... , proprie et vere dicuntur
esse universalia, siquidem res singulae verbi substantivi nuncupatione creduntur in
dignae, quum nequaquam stent, sed fugiant, nec eaepectent appellationem ......
Rerum species transeuntibus individuis permanent eaedem .... Hae gutem ideae, id
est eaeemplares formae, rerum primaevae omnium rationes sunt, quae nec diminu
tionem suscipiunt nec augmentum, stabiles et perpetuae, u. s. f., — kurz an Stelle
einer verständigen Auffassung eines Erkenntnissprincipes finden wir nur beschau
liche Tiradem.
92) Aus dem Megacosmus Bernhard's theilt Cousim, 0uvr. indd. d'Abél. p.
627 ff. Einiges mit. Dort lesen wir z. B. p. 628. : Noys summi et eaesuperantissimi
Dei est intellectus et ea. eius divinitate nata natura, in qua vitae viventis imagines,
notiones aeternae, mundus intelligibilis, rerum cognitio praefinita .... Illic in genere,
in specie, in individuali singularitate conscripta, quidquid mundus, quidquid par
turiunt elementa u. s. w. p. 629.: Sic igitur providentia de generibus ad species,
de speciebus ad individua, de individuis ad sua rursus principia repetitis anfractibus
rerum originem retorquebat .... Usia namque primaria foecunda pluralitatis simpli
citas ..... p. 631.: Solis successionum nominibus variatur, quod ab aevo nec con
tinuatione nec essentia separatur. Die Logik ist bei solchem Schwulst wohl zu
Ende, oder hatte vielmehr nie angefangen.
93) Joh. Saresb. Metal. lII, 2, p. 120.: Ev opinione plurium idem principaliter
significant denominativa et ea, a quibus denominantur. Sed consignificatione diversa
aiebat Bernardus Carnotensis, quia ,,albedo“ significat virginem incurruptam, ,,albet**
eandem introeuntem thalamum aut cubantem in toro , ,,album** vero eandem, sed
corruptam. Hoc quidem, qu0niam ,,albedo** eae assertione eius simpliciter et sine
XIV. Platonismus. Wilhelm v. Conches. 127
schwerlich bedauern, dass uns nicht mehr Detail über die logischen
Untersuchungen desselben kund geworden ist.
Gleichfalls an Plato schloss sich an Wilh e l m v o m C o n c h es
(gesl. um 1160), eine der schwierigsten Persönlichkeitem in Bezug auf
Litteraturgeschichte der mittelalterlichen Philosophie **). Doch jener
mit patristischer Philosophie verflochtene Platonismus, welchen derselbe
in Cosmographie, Psychologie und Physik entwickelt, berührt uns hier
nicht, sondern wir beschränken uns auf das Wenige, was betreffs der
eigentlièhen logischen Fragen zu erwähnen ist. lndem Wilhelm in der
Erkenntnisslehre sich auf dem platonischen Standpunkt eines aufwärts
schreitendem Idealismus stellt *°), und auch ausdrücklich ausspricht, dass
er unter den heidnischen Philosophen dem Plato den Vorzug gebe °°),
unterscheidet er wohl eine vierfache Betrachtungsweise aller Dinge,
nemlich eine dialektische, sophistische, rhetorische, philosophische *"),
tritt aber betreffs der ersteren beiden (bei beidem letzteren ist es ihm
ohnediess selbstverständlich) entschiedem auf die Seite der Realisten, in
dem er Diejenigen bekämpft, welche alles Reale ausschliessen oder zu
letzt nicht einmal mehr die Namen der Dinge, sondern überhaupt nur
etliche Worte (d. h. nemlich wohl die quinque voces) zulassem woll
omni participatione subiecti ipsam significat qualitatem ..... ; ,,albet** autem eandem
principaliter, etsi participationem personae admittat, si enim illud eaccutias, quod
verbum hoc pro substantia significat, qualitas albedinis occurret, sed in accidentibus
verbi personam reperies; ,,album“ vero eandem significat qualitatem, sed infusam
commiætamque substantiae et iam quodammodo magis corruptam ...... Multa quoque
proferebat undique conquisila, quibus persuadere nitebatur, res interdum pure, in
terdum adiacenter praedicari, et ad hoc denominativorum scientiam perutilem as
serebat.
94) S. 0udin, d. script. eccl. II, p. 1228 ff. und Brucker, Hist. crit. phil. III,
p. 774., welch letzterer zuerst es bemerkte, dass die ,,Dragmaticon** betitelte Schrift
des Wilhelm von Conches sich gedruckt finde als Werk eines Guilelmus Aneponymus
sin einer von Grataroli besorgten Ausgabe. Und da nun die ,,Magna de naturis
philosophia** Wilhelm's, von welcher wohl Conr. Gesner (Epit. Biblioth. ed. Tigur.
1583, fol. 301.) einen Incunabel-Druck sah, aber 0udin nicht einmal mehr Hand
schriften auffinden konnte, völlig verloren zu sein scheint, und auch von der ,,Phi
losophia minor“ Wilhelm's offenbar nur der Anfang unter demi Titel IIegì διδά
άεων in den Werken des Beda Venerabilis (ed. Colon. 1688. II, p. 206 ff.) gedruckt
ist, darf ich hier wohl gelegentlich berichten, dass von jenem Dragmaticon die
Münchner Universitäts-Bibliothek ein Exemplar besitzt (Dialogus de substantiis phy
sicis confectus a Wilhelmo Aneponymo philosopho ... Industria, Guilielmi Grataroli.
Argentor. 1567. 8.), und dass aus diesem seltenen Buche die Kenntniss der Phi
losophie Wilhelm's noch am vollständigsten geschöpft werden könne. Ausserdem
hat Cousin, 0uvr. ined. d'Abel. p. 669 ff. höchst schätzenswerthe Bruchstücke ver
öffentlicht.
95) S. die bei Cousin a. a. 0. mitgetheilten Bruchstücke, bes. p. 673 f.
96) In genamnter Ausgabe des Gratarolus p. 13.: Si gentilis adducenda est
opinio, malo Platonis quam alterius inducatur; plus namque cum n0stra fide con
cordat.
97) Ebend. p. 4.: De eodem namque dialectice, sophistice, rhetorice, vel phi
losophice disserere possumus. Considerare namque de aliquo, an sit singulare an
universale, est dialecticum; probare, ipsum esse quod non est vel non esse quod
est, sophisticum est; probare, ipsum esse dignum praemio vel poena, rhetoricum;
sed de natura ipsiusque moribus et officiis disserere, est philosophicum. Dialecticus
ergo, sophista, orator, philosophus, de eadem re diversa considerantes et intendentes
disputare possunt.
128 XIV. Realismus. Wilhelm v. Champeaux.
ten *°). Wohl aber gesteht er wenigstens, in ähnlicher Weise wie
Scotus Erigena, sich selbst auf Boethius berufend, dem menschlichen
Geiste die Function zu, die concret existirenden Dinge mit entsprechen
den Namen zu belegen *°), und sowie er einmal gelegentlich auf die
versehiedenen Bedeutungen des Wortes „Substanz“ eingeht 199), so ver
trug es sich mit seinem Realismus sehr wohl, dass er zugleich ein
hervorragender Grammatiker war 10!).
Wenn Bernhard von Chartres den platonischen Realis mus haupt
sächlich in idealistischen Betheuerungen oder sonstigen erbaulichen Wen
dungen kundgab, so war es jedenfalls schwieriger und verdienstlicher,
einmal das Verhältniss ins Auge zu fassen, in welchem man sich die
Universalien als existirende Dinge zu den einzelnen Individuen denken
solle ; und in diesem Versuche liegt die Bedeutung des Wilhelm v om
C h a m p e a u x (gest. 1121), -wenn auch der logische Gesichtspunkt bei
dem Realismus desselben noch hinter den ontologischen zurücktritt.
Doch muss von vorneherein bemerkt werden, dass wir über die An
sichten des Wilhelm von Champeaux bei Weitem nicht so ausführlich
unterrichtet sind, als Cousin und Andere meinten ; denn wir dürfen in
dergleichen Dingen durchaus nicht weiter gehen, als die uns zugäng
lichen völlig unzweideutigen Nachrichten reichen 10°). Schriftstellerische
98) Ebend. p. 5.: Quod intelligentes quidam res omnes a dialeclica et sophi
stica disputatione eaeterminaverunt, nomina tamen earum receperunt, eaque sola esse
universalia vel singularia praedicaverunt; deinde supervenit stullior aetas, quae et
res et earum n0mina eaeclusit atque, omnium disputationem ad quatuor fere n0mina
reducit; utraque tamen secta, quia non erat eae deo, per se defecit. Jene quatuor
nomina können kaum etwas Anderes sein, als die quinque voces, vielleicbt mit Aus
schluss des proprium; im Gegensatze gegen eine solche Beschränkung der Anzahl
werden wir hinwiederum selbst sea, voces treffen, s. Anm. 278.
99) Ebend. p. 29.: Qui hoc nomen ,,corpus“ imposuit constituto eæ quatuor
elementis, quod oculis occurrebat, illud imposuit ; unde ait Boethius (p. 112.) ,,rebus
eacistentibus et in naturae constitutione manentibus humanus animus vocabula im
osuit**.
p 100) Ebend. p. 8.: Nullus qui scripta auctorum recte intelligit, hoc nomen
,,substantia** multarum esse significationum dubitat ..... aliquando .... substantia est
rés per se ezistens; aliquando tam ista quam genera et species istorum substantia
dicuntur, unde ab Aristotele in primam et secundam dividitur; . aliquando , ... actus
subsistendi, ..... aliquando possessio.
101) Joh. Saresb. Metal. I, 5, p. 21.
102) Cousin hat nemlich bei Herausgabe der Dialektik Abàlard's und des
Fragmentes D. gen. et spec. jene sämmtlichen in der Handschrift workommenden
Abkürzungen ,,magister V.“, ,,magister noster V.“, ebensosehr anf Wilhelm von
Champeaux bezogen wie jeme Stellen, in welchen ,, Willelmus“ sich findet; ja er
that sogar das Nemliche, wo einmal (d. gen. et spec. p. 509.) mit dem Wortem
,,Vel aliter secundum magistrum G.** eine Entgegensetzung gegen den vorher (p.
507.), genannten magister Willelmus deutlich genug bezeichnet ist. Und sowie es
nun geradezn leichtfertig ist, unter jenem magister G. gleichfalls unseren Wilhelm
zu verstehen, so haben wir auch keinen Anhaltspunkt hiefür bei der Abkürzung
,, V.“, zumal da dieser Buchstabe selbst dagegen spricht. Da Abàlard, ehe er zu
Wilhelm v. Champ. kam, bei allen hervorragenden Dialektikern Belehrung suchte
(Epist. 1, c. 1, p. 4. Amboes.: proinde diversas disputando perámbulans provincias,
ubicunque huius artis vigere studium audieram, Peripateticorum aemulator factus
sum), so kann er eine. Menge Männer, deren Namen wir nicht kennen, als ,,magi
ster noster** bezeichnen, und wir müssen uns vor voreiligen Schlüssen auf be
stimmte Personem hüten, um nicht auf Abwege (s. z. B. oben Amm. 83.) zu gera
XIV. Wilhelm v. Champeaux. 129
Produkte Wilhelm's sind uns nicht zur Hand 108), und wir sind haupt.
sächlich auf eine Angabe Abälard's beschränkt, welcher sich rühmt,
Wilhelm's Ansicht über die Universalien derartig mit Glück bekämpft
zu haben, dass derselbe sie bedeutemd modificirte, hiedurch aber an
Geltung und Frequenz seines Unterrichtes so sehr verlor, dass ein förm.
licher Uebergang Aller zu Abälard's Ansicht stattgefunden habe 10*).
Wilhelm nemlich habe zunächst behauptet, dass die Universalien als
einheitlich gleiche Dinge in unzerstückter Ganzheit auf wesentliche Weise
(essentialiter) den sämmtlichen unter 'sie fallenden Individuen zugleich
einwohnem, und hiemit zwischen den Individuen kein Wesens-Unterschied
bestehe, sondern dieselben nur in der Mannigfalligkeit zufälliger Be
stimmungen beruhem. Und sowie sich diess durch die oben (Anm. 72)
angeführte Stelle aus D. gen. et spec. wörtlich bestätigt, so erhalten
wir ebendort eine nähere Erklärung, welche uns sogar auf eine ganz
vereinzelte Stelle des Boethius hinüberweist und hiedurch einen richtigen
Einblick gewährt, wie das Getriebe der damaligen Partei-Controversen
wohl mehr durch zerbröckelte Schulweisheit als durch innere princi
pielle Auffassungen getragen war. Wilhelm behauptete nemlich, es seien
unter jenem zufällig Hinzukommenden (adveniens) die individuellen For
men zu verstehen, welche den im Gattungsbegriffe bestehendem Stoff
derartig ausprägen (materiam. informant), dass dabei das allgemeine
Wesem nach seinem' ganzen Gehalte (secundum totam suam quantitatem)
eine Individualisirung erfahre, was dann in dieser Weise betreffs der
then. Den Folgerumgen Cousin's schlossen sich aber Rousselot, Hauréau und auch
H. Ritter an. -
103) Hauréau, De la phil. scol. I, p. 233. berichtet, dass Ravaisson in der
Bibliothek zu Troyes 42 Fragmente Wilhelm's gefunden habe; die dereinstige Wer
öffentlichung derselben würde gewiss manchen Aufschluss geben. Dass Wilhelm v.
Champ. ,,Glossulae super Periermenias** geschrieben habe, darf nach dem so ehem
(vor. Anm.) Gesagten nicht gefolgert werden, da die betreffende Stelle bei Abae
lard Dialect. p. 225. eine so betitelte Schrift nnr einem ,,magisler noster V.“
zuschreibt.
104) Abael. Epist. 1, c. 2, p. 4.: Perveni tandem Parisios, ubi iam maæime
disciplina haec florere consueverat, ad Guillelmum scilicet Campellensem praeceptorem
meum in hoc tunc magisterio re et fama praecipuum, cum quo aliquantulum moratus
primo ei acceptus postmodum gravissimus eaestiti, cum nonnullas scilicet eius sen
tentias refellere conarer et ratiocinari contra eum saepius aggrederer et nonnunquam
superior in disputando viderer ...... (p. 5.) Tum ego ad eum reversus, ut ab ipso
rheloricam audirem , inter cetera disputationum nostrarum conamina antiquam eius
de universalibus sententiam patentissimis argumentorum disputationibus ipsum com
mutare, imo destruere compuli. Erat autem in ea sententia de communitate univer
salium, ut ' eandem essentialiter rem totam simul singulis suis inesse adstrueret in
dividuis, quorum quidem nulla esset in essentia diversitas, sed sola multitudine
accidentium varietas. Sic autem istam suam correacit sententiam, ut deinceps rem
eandem non essentialiter, sed individualiter (die Variante ,,indifferenter“, welche
Ambois am Rande gibt, fand sich auch in mehreren Handschriften, s. Hauréau a.
a. 0. I, p. 236.) diceret. Et.... cum hanc ille correaeisset, imo coactus dimisisset
sententiam, in lantam lectio eius devoluta est negligentiam, ut iam ad dialecticae
lectionem viae admitteretur, quasi in hac scilicet de universalibus sententia tota huius
artis consisteret summa (vgi. Anm. 60.). Hinc tantum roboris et auctoritatis nostra
suscepit disciplina, ut ii qui antea vehementius magistro illi nostro adhaerebant et
maæime nostram infestabant doctrinam, ad nostras convolarent scholas.
P R A nt l, Gesch. II. 9
130 XIV. Wilhelm v. Champeaux.
ganzen Stufenleiter von Gattung durch Art zum Individuum herab gelte 19°).
Auch führte er, wie anderwärts Abälard berichtet, von den zehn Kate
gorien beginnend diesen Process einer Information bis zu den Individuen
hinab durch, und konnte dabei, da jene unterscheidenden individuelleren
Formen selbst wieder auf Universalien zurückweisen, die Aussagbarkeit
der Universalien dadurch erklären, dass dieselben den Individuem ent
weder wesentlich oder durch Beifügung (adiacenter) zukommen 10°).
Eben hierin aber liegt entschieden eine gewisse Gröblichkeit dieses Rea
lismus, welche unschwer in ihrer äussersten Consequenz aufgedeckt
werden konnte, da ja danm in jedem Individuum nicht bloss die ganze
Reihe aller ihm entsprechenden Art- und Gattungs-Begriffe, sondern
auch in, Anbetracht der accidentellen Unterschiede abermals eine mehr
fache Reihe allgemeinerer Begriffe ungetheilt reell vorhandem sein müsste,
so dass zuletzt jedes einzelne Ding ein realer Inbegriff aller Univer
salien wäre und ein cruder Pantheismus als Folge sich ergäbe ; sowie
wieder andrerseits, wenn mehr jene Zufälligkeit der individualisirenden
Bestimmungen betont würde, schliesslich ja sämmtliche Substanzen ein
ander, gleich wären, da jenes Zufällige ihr substantielles Wesen nicht
berühre, so dass auch von dieser Seite her der Vorwurf des Pantheis
mus schwer vermieden werden konnte (s. unten Anm. 283). Vielleicht
mochte Abälard wirklich derartigen Einyvendungen seinen Sieg über
Wilhelm verdanken, und wenn Letzterer in Folge hievon zu der Ansicht
umsprang, dass die Universalien in individueller Weise (individualiter),
also bereits nicht mehr in total einheitlicher Weise, den Individuem ein
wohnen '""), so hatte er durch dieses Umschlagen zum Gegenlheile
105) D. gen. et spec. p. 513 f.: Homo quaedam species est, res una essen
tialiter, cui adveniunt formae quaedam et efficiunt Socratem; illam eandem essen
tialiter eodem modo informant formae facientes Platonem et cetera individua hominis,
nec aliquid est in Socrate praeter illas formas informantes illam materiam ad fa
ciendum Socratem, quin illud. idem eodem tempore in Platone informatum sit formis
Platonis. Et hoc intelligunt de singulis speciebus ad individua et de generibus ad
species .... Ubi enim Socrates est, et homo universalis ibi est, secundum totam suam
quantitatem informatus Socratitate (betreffs des Begriffes Socratitas s. die entspre
chende Auffassung des Porphyrius und Boethius Abschn. XI, Amm. 43.); • quidquid
enim res universalis suscipit, tota sua quantitate retinet ..... quidquid suscipit, tota
sui quantitate suscipit. Gerade auch dieses aber ist aus Boethius geschöpft, wel
cher (ad Porph. p. 87.) gelegentlich der Differenz sagt: Neque enim ut in corpore
solet esse alia pars alba alia nigra, ita fieri in genere polest; genus enim per se
consideralum partes non habet, nisi ad species referatur; quidquid igitur habet,
non partibus , sed tota sui magnitudine retinebit. So reducirt sich bezüglich der
Geschichte der mittelalterlichen Philosophie mancher Schein auf seinen wabrem
Gehalt; vgl. Anm. 129, 134, 170, 286. -
106) Glossul. sup. Porph. bei Rémusat (s. Anm. 13. u. 73.) p. 97.: Il, y a
naturellement diae choses génerales ou communes, ce sont les diae categories; de ces
universauae primitifs proviennent les choses génerales qui sont essentiellement dans
les choses individuelles, grâce à des formes différentes. Ainsi l'animal, qui de
nature est substance, est, comme subslance animee, sensible dans Socrate ou dans
Brunel, tout entier dans l'un comme dans l'autre, sans autre différence que celle
des formes. A ce compte l'universel serait attribuable á plusieurs, en sens qu'une
néme chose serait en plusieurs, diversifiée uniquement par l'opposition des fórmes,
et conviendrait ainsi auae individus soit essentiellement, soit ädjectivement (,,essen
tialiter vel adiacenter“).
107) Auch ich halte demnach, wenn auch aus anderen Gründen als Hauréau
XIV. Wilhelmv. Champeaux. Die Schwierigkeiten des Realismus. 131
seiner früherem Ansicht sich eben einfach blamirt, und es wäre erklär
lich, dass seine Schüler in Masse von' ihm abfielen, wenn wir auch
nicht vergessen- wollen, dass derartige Berichte Abälard's, welche theil
weise ihn selbst betreffem, sehr leicht mit einer Dosis Eitelkeit versetzt
sein könnem. Jedenfalls aber stimmt es mit jenem Realismus und init
jener Einschachtlung der .Gatlungs- und Art-Begriffe und der acciden
tellen Formen vollständig überein, weun Wilhelm (offenbar bei Erörte
rungen über die Eintheilung, s. umten Anm. 122) behauplete, in dem
Namem, der Differenz, welcher nicht adjectivisch, sondern substantivisch
zu, nehmen sei, liege schon der Artbegriff derartig, dass dabei Stoff
(d. h. Gattung) und Form (d. h. Differenz) zugleich gedacht werden
und z. B. ,,Beseelt“ genau dasselbe wie „beseelter Körper“ bedeute 10°).
Auch ist uns überliefert, dass derselbe bezüglich der Theilung des Con
tinuirlichen (s. unten Anm. 126) an dem Begriffe eines letzten Untheil
barem,. z., B. des Punktes, feslhielt 109), sowie endlich die vereinzelte
Notiz, dass er betreffs der Topik das Wesem der inventio in ' die Auf.
findung: eines Mittelbegriffes verlegte 11°).
Wahrscheinlich gaben gerade die Schwierigkeitem, an welchen die
Ansieht des Wilhelm v. Champeaux leidet, die Veranlassung dazu, dass
die Realisten, während sie im Allgemeinen den Standpunkt desselben
oder Ritter, in obiger Stelle (Anm. 104.) die Lesart ,,individualiter** für die rich
tige, weil sie eben auf ein haltloses Umspringen Wilhelm's hinweist, wohingegen
die sog. Indifferenz-Ansicht, welche in der Wariante ,,indifferenter** läge, schon
manche nicht unbedeutende Anhänger zählte, und die Berichterstatter über dieselbe
es sicher nicht werschwiègen hätten, wenn gerade Wilhelm v. Champ. selbst sich
später zu ihr bekannt hätte. -
108) Abael. Dialect. b. Cousin p. 454 f.: Iuvat .... perquirere, cum dicitur
divisio generis fieri per differentias, ;atque in loco specierum differentiae poni di
cuntur, utrum per differentiarum nomina ipsas formas specierum accipiamus , an
potius ipsa vocabula differentiarum intelligamus, quae a quibusdam sumi dicuntur in
officio specialium n0minum ac pro speciebus designandis usurpari, ut tantundem
,,rationale** valeat quanlum ,,rationale animal“ et tantundem ,,animatum“ quantum
,,animatum corpus**, ut non solum formae significatio, verum etiam materiae teneatur
in nominibus differenliarum. Quae quidem sententia W. magistro nostro praevalere
visa est; volebat enim, memini, tantam abusionem in vocibus fieri, ut , cum nomen
differentiae in divisione generis pro specie poneretur, non sumptum esset a differentia,
sed substantivum speciei momen poneretur; alioquin subiecli in accidentia divisio dici
potest secundum ipsius sententiam, qui differentias generi per accidens inesse volebat;
per nomen itaque differentiae speciem ipsam volebat accipere.
109) D. gen. et spec. p. 507.: Quod si continuum dicamus, quidam inde sic
argumentantur: Si domus est, paries est, et si paries est, dimidius paries est, et
si dimidius paries est, et dimidium dimidii est, et ita usque ad ultimum lapillum ;
quare, si haec domus est, et ultimus lapillus est; si ergo nullus lapillus est, etiam
nulla domus est. ...... Solebat autem opponere magister Willelmus huic argumenta
tioni sic: Licet prima consequentia (i. e. si haec domus est, hic paries est) vera
sit, non tamen illa quae sequitur (i. e. si hic paries est, hic dimidius paries est)
vera erit; non enim verum est compleacionaliter, quod, si quaelibet pars sequitur
ad totum suum, idcirco ad positionem eiusdem partis sequalur pars illius; sequitur
enim bipunctalem lineam pars eius , i. e. punctum, non tamen ad punctum pars eius
sequitur, quia, nullum habet. - -
110) Joh. Saresb. Metal. III, 9, p. 145.: Versatur in his (sc. in Topicis) in
ventionis, materia, quam hilaris memoriae, Willelmus de Campellis .... definivit, etsi
non perfecte, esse scientiam reperiendi medium terminum et, inde eliciendi argumentum.
9*
132 XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus..
billigen mochten, durch Begründungs- oder Werbesserungs-Versuche selbst
wieder unter sich in eine Menge von Parteien zerfielen, deren einzelne
Unterschiede — von den Namen ihrer Wertreter ganz zu geschweigen
— wir in ihrer Durchführung nicht mehr näher . verfolgen können.
Ausser theologischen Bedenken, welche sich erhoben, mochte man die
Universalien als Erzeugnisse einer Schöpfung oder als ewige Wesen
nehmen, zumual da Einige wirklich alle einzelnem Eigenschaften Gottes
auf solche Weise als „Dinge* bezeichneten '''), war es in ontologischer
Beziehung wohl jene gegenseitige Einschachtlung aller Universalien,
welche man vermeiden wollte. Einige daher ergriffen die allerdings
plumpe Auslülfe, dass sie obiges (Amm. 105) „Hinzukommen“ der art
machenden Unterschiede als ein mur vorübergehendes nahmen, um hie
lurch die Selbstständigkeit der Gattung zu wahren ***). Andere hin
gegen zogen eine aristotelische Auffassung bei, indem sie die Gattung
als den in seinem Wesen gleichbleibenden Stoff betrachteten, welcher
in den Artem verschieden geformt werde, geriethen aber eben wegen
jener Wesensgleichheit in Conflict mil der Lehre von den Gegensätzen ''*).
Und sowie bezüglich des Processes einer solchen Formgebung wieder
die Frage auftauchte, ob der artmachende Unterschied nur das Mittel
der Artbildung sei, oder hingegen zugleich mit der Gattung in das
Wesen der Species selbst übergehe, und Einige (offenbar , näher am
Wilhelm v. Champ. stehend) sich auch wirklich für Letzteres entschie
111) D. gen. et spec. p. 517.: Genera et species aut creator sunt aut creatura;
si creatura sunt, ante fuit suus creator quam ipsa creátura; ita ante fuit deus
quam iuslilia et fortitudo .... .itaque ante fuit deus quam esset iustus vel fortis.
Sunt autem qui ... illam divisionem .... sic faciendam esse dicunt: quidquid est, aut
genilum est aut ingenitum; universalia autem ingenita dicuntur et ideo coaeterna, et
sic secundum eos qui hoc dicunt, ... non deus aliquorum factor est. Abael. Introd.
ad theol. II, p. 1067. (Amboes.): Tertius vero praedictorum (sc. magistrorum divinae
paginae, nemlich ein magister in pago Andegavensi) non solum personarum proprie
tates res diversas a deo constiluit, verum etiam potentiam dei, iustitiam, misericor
diam, iram et cetera huiusmodi, quae iuaeta humani sermonis consuetudinem in deo
significantur, res quasdam et qualitates ab ipso diversas, sicut et in nobis, concedit,
ut qu0t fere v0cabula de deo dicuntur, tot in deo res diversas constituat.
112) D. gen. et sp. p. 515 f.: Illud ergo maioris simplicitatis, quod dicunt
quidam, quia differentiae quidem adveniunt generi, sed non fundantur, unde et per
se dicitur, quia sibi ipsi facit subiectum. - -
113) Abael. Dialect. p. 399 f.: Nota aulem, id quod diacimus, contraria maæime
esse adversa, eorum obesse senlentiae, qui eandem in essentia materiam generis in
omnibus proponunt speciebus ipsis, ut eadem prorsus sit in essentia materia hominis
et asini, quae est animal, sed diversae quidem hic et ibi illius formae. Es bezieht
sich auch jene oben (Anm. 105.) angeführte Stelle , des Boethius auf die Frage
über die Gegensätze. Ja es scheint diese schwierige Controverse sich in irgend
einen Schulwitz vom ,,grossen Esel“ zugespitzt zu haben, denn kaum anders werden
wir die Worte D. gen. et spec. p. 536.: duo opposita esse in eodem, quod scilicet
inconveniens effugere non possunt, qui grandis asini sententiam tenent verstehen
können, da die Schreibweise des dortigen Verfassers nicht zulässt, ,,grandis asinus**
etWa als beschimpfende Bezeichnung des Wilhelm v. Champeaux zu nehmen; wie
jedoch der Witz formulirt gewesen sei, können wir nicht einmal errathen. Aehn
liches Wohl finden wir bei einer anderen Controverse, s. unten Anm. 352., und
eine wirkliche Formulirung, in welcher jedoch der Begriff ,,grandis* keine Stelle
findet, s. untem Anm. 434, -
XIV. Die Schwierigkeitem des Realismus. 133
den ''*), so trat andererseits für die Gattungs- und Art-BegrifTe auch
dadurch eine Schwierigkeit hervor, dass Gegensätze (wenigstens in ihrem
individualisirten Dasein) an Ein und demselben Subjecte sich finden,
wornach also, wenn z. B. ein Mensch zwar keusch, aber zugleich geizig
ist, in demselben das Universale des Guten mit jenem des Bösen zu
sammentreffen müsste; Einige nun halfen sich mit eimer Distinction
zwischen den höheren Gattungen und den specialisirten Arten der Gegen
sätze, indem sie wenigstens diese letzteren von der Möglichkeit des
Zusammentreffens ausschlossen, Andere hingegen dehnten sogar auch
auf diese das bedenkliche Zugeständniss aus 11°). Wielleieht gerade hie
durch wurdem wieder Andere zu dem radicalem Mittel veranlasst, zu
behaupten, dass die ganze Function des artmachenden Unterschiedes
überhaupt nur in der Kategorie der Substamz ihre Stelle habe, bei den
Qualitätem hingegen dasjenige, was man Arten oder Unterartem menne,
eigentlich sofort als Gestaltung von Individuem zu betraehtem sei, demn
z. B. Weiss und Schwarz seien in der gleichen Weise zwei verschie
dene Wesen wie zwei Menschen - lndividuen 11°). Ja Einige glaubten
selbst bei dem Substanzen den Grundsatz, dass mach Wegfall der Gat
tung auch die Art wegfalle (nicht aber umgekehrt), sogleich beschränken
zu müssem, sobald mit dem Wesen der Gattung eine qualitative Aende
rung vor sich gehe, denn es sei z. B. unrichtig zu sagen: „Wenn es
kein Mehl gibt, gibt es kein Brod*, da das Mehl vorerst in Teig zu
andern sei und hiemit auch bei gänzlichem Mehl-Mangel es Brod geben
könne, woferne es mur Teig gebe 117).
4* -
114) Abael. Dial. p. 477.: Rationalitas enim et mortalitas advenientes substan
tiae animalis eam in speciem creant, quae est homo; nec cum ipsae generis substan
tiam in speciem reddunt, ipsae quoque in essentiam speciei simul transeunt, sed sola
genera vel subiecta specificantur ..... non quidem cum differentiis sed per differentias
- - - - . Si enim differentiae in speciem transferrentur cum genere, sicut quorundam sen
tentia tenet, . . ... profecto cogeremur fateri, et differentias ipsas cum genere aeque
in essentia speciei convenire , unde et ipsas de substantia rei esse et in partem ma
teriae venire contingeret.
115) Ebend. p. 390.: Sunt autem quidam qui contraria genera in eodem esse
non abhorrent, sed contrarias species in eodem esse impossibile confitentur. Dicunt
enim quod cum omnia accidentia per individua in subiecta veniant, et ipsa contraria
genera per individua sua subiectis contingunt, ..... ut virtus et vitium, quae in hoc
homine per hanc castitatem et hanc avaritiam recipiuntur, quae individua sunt casti
tatis et avaritiae, quae invicem species non sunt contrariae .... Verum species con
trarias esse in eodem per aliqua sua individua, illud prohibet, quod nec ipsarum
individua in eodem possunt esse, quorum sunt tota substantia ea quae sunt contraria,
utpote species ...... Sunt autem et qui species contrarias in eodem posse consistere
non denegant.
116) D. gen. et spec. p. 541.: Sunt tamen qui solum praedicamentum substan
tiae differentias habere dicunt, et cum qualitas dividatur in duas proæimas species,
dicunt illas non diversificari a genere per aliquas differentias, sed sicut illa essentia
hominis quae est in me, non est quae illa est in altero, et tamen dissimili forma
non differunt, eodem modo albedo non est nigredo, nec tamen aliqua forma suae
essentiae differt ab ea, sed utraque mera est essentia.
117) Abael. Dialect. p. 485 f.: Destructo genere speciem perimi necesse est, per
empta vero specie genus remanere contingit ..... Quod tamen quidam in his deter
minant, in quorum constitutione materia suum esse non mutat, sed quod habebat
per se, etiam in coniunctione retinet, ut hic paries, qui et in constitutione domus
paries manet, sicut ante fuerat. Farina autem panis materia dicitur, sed versa in
134 XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus.
Sowie aber diese Controversen, welche meist mit einem Aufwande
von Stellem aus Boethius geführt wurden, bereits, wie man sieht, an
die Gränze des Unverständigen heranrückten, so hatten sie nach dem
Worbilde der üblichen Schul-Logik ihrem verwandten Tummelplatz auch
in der Lehre von der Eintheilung (s. oben Anm. 75) und der Defini
tion. Alle Realisten kamen zwar darin überein, dass sie im Ansehlusse
an die Auffassungsweise des Boethius (Abschn. XII, Anm. 98) oder viel
mehr des Porphyriüs (Abschn. XI, Anm. 41 ff. vgl. Abschn. III, Anm.
78 ff.) dem platonischen Werfahren einer fortgesetzten Dichotomie den
Vorzug gaben 11°); aber schon sogleich bei der zur Definition erforder
lichen Eintheilung der Gattung musste die Frage wiederkehren, wie es
sich mit den am Gattungsbegriffe unterseheidbaren Wesens-Theilen ver
halte, und während die Einen behaupteten, dieselben seien durch Mi
sehung vereinigt, etwa wie auch aus der Mischung von Weiss und
Schwarz eine anderweitige dritte Farbe entstehe '*°), wiesen Andere
darauf hin, dass ja alle Wesenstheile der Gattung auch einzeln als
Prädicate von den zur Gattung gehörigen Individuen ausgesagt werden
können 130); hingegen auch diess wurde von Einigen wieder bestritten,
da jene Wesenstheile nur als allgemeinere Begriffe, d. h. abgesehen von
ihrer Verbindung mit anderen wesentlichen Merkmalem, Prädicate seien,
nemliclj als Prädicat werde z. B. vom Menschen nicht die speciell mensch
liche Körperlichkeit, sondern eben die allgemeine Körperlichkeit über
haupt ausgesagt, und ebenso auch die Geistigkeit ***). Eine andere mit
Letzterem offenbar verwandte Controverse betraf die Frage, ob bei der
Einlheilung der Gattung der Name des artmachenden Unterschiedes nur
auf die Species oder zugleich auch auf die zu Grunde liegende Gattung
sich beziehe ***). Auch konnte, je nachdem man die Differenz mehr
von der Gattung trennte (Amm. 112, 1 14), die Aufgabe der Definition
in die blosse Angabe der Qualitäten verlegt werden und hiedurch unter
den in der Schul-Tradition (Abschn. XII, Anm. 2, 107 u. 178) aufge
panem suum mulat esse, cum scilicet farinam esse deserit et in micas convertitur,
unde necquidquam conceditur, ut, si farina non sit, panis desit etc.
118) Ebend. p. 458.: Si autem genus semper vel in proacimas species vel in
proacimas differentias divideretur, omnis divisio generis, sicut Boethio (d. divis. p.
643) placuit, bimembris esset ..... Hoc autem ad eam philosophicam sententiam
respicit, quae res ipsas, non tantum voces, genera et species esse confitetur.
119) Gilb. Porret. ad Boeth. d. Trin. (Boeth. 0pp. ed. Basil. 1570) p. 1144.:
Putant quidam imperiti ..... quod non sit vera dictio, si quis dicat ,,homo est cor
pus“ n0n addens ,,et anima*', aut si dicat ,,homo est anima** non addens ,,et
corpus“, opinantes, quod, eæ qu0 diversa ut unum componant coniuncta sunt, esse
utriusque adeo sit eæ illa coniunctione confusum, ut sicut cum album et nigrum
permiscentur, quod eæ illis sit, nec album nec nigrum dicitur, sed cuiusdam , alte
rius coloris ea, illa permiactione provenientis.
120) Ebend. p. 1143.: corporalitas non modo de hominis illa parte, quae
corpus est, verum etiam de homine praedicatur, et rationalitas non m0d0 de hominis
illa parte, quae spiritus est, sed etiam de homine praedicatur ...... (p. 1144.) quid
quid de parte naturaliter, idem et de composito affirmandum.
121) Ebend. p. 1144. : Eorum aliqui dicere gestiunt, aliam rationalitatem quam
illam, quae est humani spiritus, de homine dici, et similiter scientiam aliam et
aliam c0rp0ralitatem quam quae humani corporis est.
122) Die betreffende Stelle ist vollständig oben, Anm. 108., angeführt.
XIV. Die Schwierigkeiten des Realismus. 135
zählten Arten- der Definitiom die qualitative den Worzug erhalten 128).
Noch sehwieriger aber gestaltete sich nach 0bigem (Anm. 112 u. 116)
die Frage, wie es mit der Definition der Qualitäten selbst, d. h. der
adjectivisch ausgedrückten Begriffe, stehe, und es erhob sich hierüber
eine der ausgedehntesten Controversen; denn wenn man auch bezüglich
der Worfrage, ob bloss das Wort oder dessen begriffliche Bedeutung
Zu definiren sei, in realistischem Sinne sich für Letzteres entschiedem
hatte, so , dass die Eigenschaft als ein Geformtsein dureh ein Universale
(z. B. formatum albedine) definirt würde, so konnte wieder gefragt
werden, ob diess die Definition der Eigenschaft selbst (albedo) oder
des qualificirtem Substrates (album) sei; und hielt man sich damn, da
.ersteres zu einer sinmlosen Werdopplung führt, an letzteres, so trat das
Bedenken auf, ob hiemit jedes einzelne derartige Substrat definirt sei,
oder etwa sämmtliche zusammen, und nothwendiger Weise zeigte sich
wieder diess Beides als haltlos, da weder die Dinge selbst, sondern
mur eine Eigenschaft definirt ist, noch auch die Dinge vermöge Einer
Eigenschaft, die sie gemein haben, in ihrem Wesen identisch sind ***).
Sowie aber diese ganze Discussion im Principe noch auf dem nemlichen
niedrigen Standpunkte steht, welehen wir oben (vor. Abschn. Anm.
350 ff.) bei dem Realisten Anselmus trafen, so tragen auch die Streitig
keiten über die zweite Methode des Eintheilens (Abschn. XII, Anm. 96
u. 100), nemlich über die Theilung des Ganzen in seine Bestandtheile,
eine arge Einseitigkeit in sich. Denn wenn die Frage, was ursprüng
licher Theil (pars principalis) sei, im die. Alternative hineingetrieben
wurde, dass die Einen jene Theile als ursprüngliche bezeichnetem,
welche, während sie das Wesen des Ganzen constituiren, selbst micht
mehr Theile eines Theiles sind (z. B. beim Menschen Seele und Leib),
die Anderen hingegen jene letzten Bestandtheile, durch deren Zerstörung
123) Abael. Dialect. p. 492.: Multi, cum significationem substantiae huius no
minis quod est ,,homo** agnoscant, nec qualitates ipsius satis eae ipso percipiant,
tantum propter qualitatum demonstrationem diffinitionem requirunt. . .
124) Ebend. p. 495.: At vero in his diffinitionibus quae sumptorum (diess bei
Abälard das übliche Wort für Adjectiva, s. untem Amm. 321.) sunt vocabulorum,
magna, memini, quaestio solet esse ab his, qui in rebus universalia primo loco
ponunt .... Dupleæ enim horum nominum quae sumpta sunt significatio dicitur, altera
principalis, quae est de forma, altera vero secundaria, quae est de formato; sic
enim ,,album** et albedinem, quam circa corpus subiectum determinat, primo loco
significare dicitur, et secundo ipsius subiectum, quod nominat. Cum itaque album
hoc modo diffinimus „formatum albedine“, quaeri solet, utrum haec diffinitio sit
tantum huius vocis, quae est ,,album“, an alicuius suae significationis. At vero
cum vocem non secundum essentiam suam, sed significationem diffiniamus, videtur
haec diffinitio reete ac primo loco illius esse. Restat ergo quaerere, sive illius
significationis sit, quae prima est, i. e. albedinis, sive eius, quae secunda est, quae
est ,,subiectum albedinis**. At vero si haec diffinitio albedinis sit, praedicalur de
ipsa, et de quocunque albedo dicitur, et ipsa diffinitio praedicatur; at vero quis
albedinem vel hanc albedinem formari albedine concedat? .... Si vero diffinitio su
praposita eius rei, quam ,,album“ nominant, esse dicatur, ... quaeritur, utrum
uniuscuiusque sit per se, quod albedinem suscipiunt, sive omnium simul acceptorum.
Quod si uniuscuiusque sit illa diffinitio, utique et margüritae; unde de quocunque
illa diffinitio dicitur, et margarita praedicátur, quod omnino falsum est. Si vero
omniumi simul acceptorum esse concedatur, oportebit, ut de quocunque diffinitio illa
enuntiatur, omnia simul praedicentur, qu0d iterum falsum est.
136 XIV. Die Schwierigkeiten des. Realismus.
das Ganze zerstört wird (z. B. Haupt oder Herz), als die ursprünglichen
betrachteten 13°), so war in Folge des ontologischen Realismus bei
ersterer Beantwortung dieser ganze Gesichtspunkt der Eintheilung ent
stellt und in das Gebiet der Definition verdreht, bei letzterer aber unbe
dachtsam die subjective Denkfunction des Menschen, welche dem Theil
begriff erst schalft, in dem objectiven Bestand umgesetzt, eine Stumpf
heit der Auffassung, von welcher sich bereits der roscellinische Nomi
nalismus (vor. Abschn., Anm. 321 f.) freigemacht hatte. Während `die
Einen die Theilung ins Unendliche als eine objectiv materielle verstanden
und hiebei die gestaltende Form umberücksichtigt liessen oder vielmehr
vernichteten 4*°), warfen sieh Andere, wie z. B. ein gewisser Magister
,,G.“, auf die Wirkung der Form und hielten das quantitative Verhältniss.
der Stofflheile für gleichgültig 1*7), und auf solcher Basis wurde dann
die Controverse geführt, inwieferne ein Mensch bei Zerstörung eines
Finger-Nagels noch Mensch bleibe oder nicht 1**).
125) Ebend. p. 463 f.: Est autem quaestio, quas principales, quas secundarias
partes vocari conveniat; alii enim secundum constitutionem, alii secundum destructio
nem has considerant. Hi numque eas principales vocant, quae partium partes non
sunt, sed tamen totius, ul in hoc homine animam et corpus, quibus coniungitur, vel
in hac domo hunc parielem et hoc tectum et hoc fundamentum. Qui vero princi
palitatem secundum destructionem considerant, dicunt eas tantum principales esse,
quae substantiam totius destruunt, ut caput, quod abscissum hominem perimit.
126) D. gen. et spec. p. 510.: Quidam adhuc argumentantur: si haec domus
est, et quaelibet eius disgregala.pars est, et ita hic asser est, cum sit eius disgre
gata pars ; et si hic asser est, medietas huius asseris est, deinde dimidium dimidii,
et sic usque ád punctum; itaque si haec domus est, et hoc punctum huius asseris
est; quare si hoc punctum non est, nec ista domus est. Eine zweite Stelle wurde
schon oben, Anm. 109., angeführt. Ferner Abael. Dialect. p. 182.: Talem rationem
magistri nostri sentenlia praetendebat, ut eae punctis lineam constare convinceretur:
cum, inquit, linea ubique p0ssit incidi atque separalis partibus in capite uniuscuius
que puncta appareant, quae prius erant coniuncta, oportet per totam lineam puncta
esse ; quod si puncta .... de essentia lineae non sint, magis partes lineae continuare
possunt, quam albedo supraposita ?
127) D. gen. et spec. p. 509.: Vel aliter secundum magistrum G. (s. Anm. 102.):
Prius videndum est, quid dicant voces istae ,,si paries est, et hic dimidius paries“;
dicitur inde, hic paries non est positus eæ duobus, lapidibus vel quatuor et forma,
sed corpus infectum tali proprietate, quae parietem faciat; quotiens ergo in aliquo
subiecto talem formam reperiunt, sive augmentetur quantitas sive diminuatur, forma
tamen, quae prius fuerat, remanet, verbi gratia, si alterum caput serpentis duo
capita halientis amputetur, serpens tamen, qui prius fuerat, remanet. Abael. Dialect.
p. 181.: Sunt autem quidam, qui .... neque lineam eæ punctis neque superficiem
ea, lineis aut corpus ea, superficiebus constare concedunt ..... Non est itaque haec
constitutio ad omnem lineam referenda, sed ad maiores, quas sensu quoque ipso
c0ncipimus et per quas homines mensurare consueverunt.
128) D. gen. et spec. p. 511.: Sic itaque crescendo novasque creaturas pro
gressive creand0, donec ad aliquam Socratis perveniatur particulam, utpote ad ungues,
habebis unam magnam naturam, quae erit pars Socratis et non Socrates, quia in eius
constitutione non est ungula, quae ungula pars est etiam Socratis cum illa magna
parte. Hac autem ungula destructa destruitur pars illa nalurae, cuius ungula pars
est, quae natura est Socrates, et ita destruitur Socrates; illa autem magna natura,
quae prius pars Socralis erat et non Socrates, destructa ungula remanet Socrates, et
ita quod prius non erat Socrates, fit Socrates. 0der ähnlich ebend. p. 512. : Haec
sententia medium digiti naturam unam esse negat, sed si abscindatur, creaturam esse
fmerito dubitat; aut ergo creatura erat in digito, priusquam amputaretur, aut post
abscissionem creatur.
XIV. Die Lebre, von status. Walter v. Mortagne. 137
Wenn auf diese Weise der Realismus jenes Missgeschick, welches
ihm in den eigentlich logischen Fragem ankleben muss, wirklich mannig
fach beurkundete, so ist es nicht zu wundern, dass von mehreren Seiten
neue Wege zur Erklärung der Universalien eingeschlagen wurdem, wobei
man den Schwierigkeitem des Realismus ebensosehr wie der Einseitig
keit des Nominalismus zu entgehen wünschte. Die Bedeutung einer
Uebergangsformation scheint zunächst jene Auffassung zu haben, welche
von ihrem Stichworte als die ,, s t at u s- A n s i c h t * bezeichnet werden
|könnte, und gleichfalls (vgl. Anm. 112) durch jene Bedenken veranlasst
zu sein scheint, welche den Behauptungen des Wilhelm v. Champeaux
entgegenstanden. Wenn nemlich das allgemeine Wesen der Gattung
durch individuelle Formen seinem ganzen Gelialte nach specialisirt wer.
den soll (Anm. 105), so ist schwer einzusehen, wie es mit jemen „hin
zukommenden Eigenschaften“ (advenientia) stehe, welche innerhalb einer
Gattung entweder variiren oder mur vorübergehend sind. Hier nun
griffen Einige zu dem Auskunftsmittel, dass das Universale von solchen
Qualitäten wohl afficirt werde, nicht jedoch insoferne es eben ein Uni
versale sei, und sowie 'man einmal so weit gegangen war, konnten
sich leicht die Universalien, welche bei den Realisten als Dinge (res)
gegolten hatten, wirklich in blosse „Zustände“ verwandeln, d. h. es
wurde nun in der Stufenfolge von Gattung zu Individuum nicht mehr
das Universale, sondern der „status universalis“ in Betracht gezogen,
eine Auffassung , welche sowohl durch das durchgängige Motiv einer
Tabula logica nahe genug gelegt war, als auch ihrerseits gleichfalls
auf eine Stelle des Boethius sich stützen konnte 139). Ein Wertreter
dieser Ansicht war W al te r v o n M o r tag n e (er lehrte zur Zeit Abâ
lärd's in Paris und starb als Bischof von Laom i. J. 1174), welcher
zwar mit überwiegendem Eifer den dogmatischen Controversen seine
Thätigkeit zuwandte *°°), aber auch in die Dialektik vorübergehend ein
129) Ebend. p. 514 f.: Amplius sanitas et languor in corpore, animalis fundatur,
albedo et nigredo simpliciter in corpore ; quod si animal totum eæistens in Socrate
languore afficitur, et totum, quia quidquid suscipit , tota sui quantitate suscipit,
eodem et momento nusquam est. sine languore; est autem in Platone totum illud
idem ; ergo etiam ibi langueret; sed ibi non languet. Idem de albedine et nigre
dine circa corpus. Ad haec enim non réfugiant, ut dicant etc. ...... Addunt : ani
mal universale languet, sed non in quqntum est universale. Utinam se videant ....
Si ad status se transferant dicentes ,,animal in quantum est universale non languet
in universali statu“, respondeant, de quo velint agere per has voces „in statu uni
versali**. Die Quelle aber dieses Begriffes ,, status universalis“ werden wir mit
Recht bei Boethins erblicken, wo derselbe gelegentlich der Qualität (ad Ar. praed.
p. 180.) sagt: Nihil impedit, secundum aliam scilicet atque aliam causam, unam
eandemque rem gemino generi speciei suae supponere, ut Socrates in eo quod pater
est ad aliquid dicitur, in eo quod homo substantia est, sic in calore atque frigore
in eo quod quis secundum ea videtur esse dispositus in dispositione numeratur,
denn in dem Ausdrucke ,,in eo quod** liegt hier das Entscheidende, sowie in einer
noch deutlicheren Stelle (ebend. p. 189.): Si secundum aliam atque aliam rem
duobus generibus eadem res .... supponatur, nihil inconveniens cadit; ita quoque
et habitudines in eo quod alicuius rei habitudines sunt, in relatione ponuntur, in
eo quod secundum eas quales aliqui dicuntur, in qualitate numerantur; quare nihil
est inconveniens, unam atque eandem rem secundum diversas naturae suae potentias
(diess simd ja die Universalien) pluribus adnumerare generibus.
130) Seine Briefe (gedruckt b. D'Achery Spicil. ed. De la Barre, Par. 1723,
138 XIV. Walter v. Mortagne. Die Indifferenz-Lehre.
wirkte. Er suchte nemlich die numeräre Einheit des Universale mit
der Wesensverbimdung , in welcher es mit den Einzel-Dingen stehe, da
durch zu vereimbarem, dass er an dem Individuum die Individualität und
den Artbegriff sowie den Gattungsbegriff bis hinauf zur oberstem Gat
tung je als verschiedene Zustände — status — unterschied '*'). Jeden
falls liegt in dieser Ansicht, wenn uns auch nähere Mittheilungen über
dieselbe gänzlich fehlen, das Beachtenswerthe, dass einerseits das Uni
versale den Einzel-Dingen näher gerückt ist, und andrerseits für jene
Unterscheidung der Zustände die subjective Denkoperation mehr in den
Wordergrund tritt. Daher erscheint auch jener Bericht (s. oben Anm.
69) nicht unglaubhaft, wornach von der nominalistischen Annahme be
treffs der „maneries“ Einige in die status-Frage hinübergelenkt zu haben
scheinem (s. Anm. 88). -
Die innere Entwicklung aber leitet uns hiemit von selbst auf die
l m diffe re nz- L e h r e hin, welche insbesondere eine vermittelnde
Stellung zwischen den Parteien einnimmt. Sie beruht darauf, dass Ein
und dieselbe Sache zugleich allgemein und einzeln sei, indem nicht etwa
ein Universale den Dingen wesentlich einwohne, sondern nur an den
selben als mehreren gleichartigen ein unterschiedslos (indifferenter)
Gemeinschaftliches sich zeige; hiernach also wird dasjenige, was an
mehreren Dingen das Gleichgeltende oder innerlich Aehnliche (indiffe
rens oder consimile) ist, in der Definition als Gatlungsbegriff bezeichnet,
und für das so gefasste Universale ist die Möglichkeit der Aussage
(praedicari de pluribus) geretlet, während der Realismus immer Gefahr
lief, ein Ding von einem Dinge aussagen zu müssen (s. unten Amm. 287),
und diese letztere subjectiv logische Seite komnte nun wohl allenfalls
auch mit dem Begrifte eines status verbunden werdem, so dass jedes
Ding einen Zustand der Individualität und zugleich einen Zustand der
Allgemeinheit an sich habe 18*); aber dennoch ist der ganze Standpunkt
von jenem Walter's verschieden. Während nemlich dort noch an der
Existenz des Universale festgehalten wird und eben dieses es ist, welchem
III, p. 520 fr.) sind nur dogmatischem Inhaltes und berühren die Geschichte der
Philosophie nicht im Geringsten. -
131) Die Belegstelle s. oben Anm. 65.
$ Abael. Glossulae sup. Porph. bei Rémusat (s. Anm. 13. u. 73.) p. 99 f.:
La seconde maniére de soutenir l'universalité des choses, c'est de prétendre que la
même chose est universelle et particuliére ; ce n'est plus essentiellement, mais im
differemment que la chose commune est en divers .... 0e qui est dans Platon et
däns Socrate,' c'est un indifférent , un semblable, ,,indifferens vel consimile“. Il
est de certaines choses qui conviennent ou s'accordent entre elles, c'est-à-dire, qui
sont semblables en nature, par eaeemple en tunt que corps, en tant qu'animauae;
elles sont ainsi universelles et particuliéres, universelles en ce qu'elles sont plusieurs
en communauté d'attributs essentiels , particuliéres en ce que chacune est distincte
des autres. La définition du genre (,,praedicari de pluribus'') ne s'applique alors
auae choses qu'elle concerne qu'en tant qu'elles sont semblables, et non pas en tant
qu'elles sont individuelles. Ainsi les mêmes choses ont deuae états, leur état de
genre, leur etat d'individus, et suivant leur etat elles comportent ou ne comportent
pas une definition différente. Ob Rémusat in der Handschrift hier wirklich das
Wort ,,status** gefundem habe — es scheint wenigstens so —, oder dieser Zusatz
nur auf seiner eigenem Auffassung beruhe, weiss ich nicht; doch s. jedenfalls so
gleich d. folg. Anm. u. 135 f.
'XIV. Die Indifferenz-Lehre. 139
versehiedene Zustände zugesehrieben werden, tritt bei der Indifferenz
Ansieht in aller Schärfe die dem Nominalismus (Amm. 77 f.) angehörende
Auffassung an die Spitze, dass überhaupt Nichts anderes existire, als
mur Individuen, und indem das Denken sich auf diese als auf seine 0b
jecte wirft, entstehen nur durch die Werschiedenheit der Auffassung
(aliter et aliter attentum) die Universalien, so dass Zustand (status) oder
Natur (natura) des Individuum-Seins oder des Art-Seins u. s. f. nur
als subjeetive Ansehauungsweisen zu betrachten sind, und vor Allem
ist es hiebei gleichsam ein negatives Verfahren, welches vom Individuum
zum Allgemeinen führt, indem das Denken (intelleetus) die individuellen
Unterschiede stufenweise bei Seite lässt (non concipit), absichtlich ver
gisst (oblitus), hintansetzt und abstreift (postponit, relinquit), um in
dem Erfassen des Unterschiedslosen zum Höchsten, d. h. zur Substanz
fortzurücken 138). Sonach kann sich auch diese Ansicht, ähmlich wie
die anderen, auf einzelne Stellem des Boethius berufen, wenn sie be
hauptet, dass das Individuum, als Individuum betrachtet, gar kein Un
terschiedsloses an sich trägt, welches ihm mit anderen Individuen ge
meinsam wäre, sondern es gleichsam der Unterschied selbst ist, hingegen
je mehr man dieses nemliche Individuum als Art oder Gattung betrach
tet, man desto mehrere gemeinschaftliche unterschiedslose Momente an
ihm entdeckt und dann all das Gemeinschaftliche als Art- oder Gattungs
Begriff zusammenfasst 18*), so dass hiemit allerdings, weil zuletzt an
133) D. gen. et spec. p. 518.: Nunc itaque illam, que de indifferentia est,
sententiam perquiramus, cuius haec est positio: Nihil omnino est praeter individuum,
sed et illud aliter et aliter attentum species et genus et generalissimum est (ebenso
in der schon oben, Anm. 72., angeführten Stelle). Itaque Socrates in ea natura
(man beachte ,,natura“, wofür sogleich hernach ,,status** steht), in qua subiectus
est sensibus, secundum illam naturam, quam significat de ,,esse Socrati** (dieser
Sprachgebrauch — τό ΣωxQdv ει είναι — beurkundet sicher eine Gewandtheit in
der Terminologie der aristot. Analytik, s. oben Anm. 8 ff.), individuum est ideo,
quia tale est proprietas, cuius nunquam tota reperitur in alio ..... De eodem Socrate
quandoque habetur intellectus non concipiens quidquid notat haec voae ,,Socrates“,
sed Socratitatis oblitus id tantum percipit de Socrate, quod idem notat ,,homo“, i.
e. animal rationale mortale, et secundum hoc species est .... Si intellectus postponat
rationalitatem et mortalitatem, et id tantum sibi subiiciat, quod notat haec voa;
,,animal“, in hoc statu (also ,,status“ in dem Sinne von obigem ,,natura*') genus
est. Quod si relictis omnibus formis in hoc tantum consideremus Socratem, quod
notat ,,substantia“, generalissimum est.
134) Ebend.: Socrqtes, in quantum est Socrates, nullum prorsus indifferens
habet, quod in alio inveniatur, sed in quantum est homo, plura habet indifferentia,
quae in Platone et in aliis inveniuntur; nam et Plato similiter homo est ut Socrates,
quamvis non sit idem homo essentialiter, qui est Socrates. Idem de animali et
substantia. Um aber diess auf seine Quelle zurückzuführen, genügem folgende
Stellen des Boethius ad Porph. p. 56.: Cogitantur vero universalia, nihilque aliud
species esse putanda est nisi cogitatio collecta ea, individuorum dissimilium numero
substantiali similitudine, genus vero cogitatio collecta eae specierum similitudine; sed
haec similitudo cum in singularibus est, fit sensibilis, cum in universalibus, fit
intelligibilis; ferner ebend. p. 78.: Indiniduorum quidem similitudinem species col
ligit, specierum vero genus; similitudo autem nihil est aliud nisi quaedam unitas
qualitatis ; und ebend. p. 80.: ea namque sola dividuntur, quae pluribus communia
sunt; in his enim unumquodque dividitur, quorum est commune quorumque naturam
ac similationem continet; illa vero, in quibus commune dividitur, communi natura
participant, proprietasque communis rei his , quibus communis est, convenit; at verò
140 XIV. Die Indifferenz-Lehre. . Adelard v. Bath.
jeder individuellen Erscheinung auch die Seite (status) ihrer allgemein
stem Gattung erfasst werden kann, es so viele allgemeinste Gatlungem
gibt, als es Individuen gibt, und nur wieder dureh Erwägung eines ge
meinschaftlich Unterschiedslosen die höchsten Gattungen in zehn Klassen
(Kategorien) sich gruppiren, aber alle zusammen doch wieder darin Ein
Allgemeinstes ausmachen, dass sie eben das unterschiedslos Gemein
schaftliche sind 1°°). In gleicher Weise gestaltet sich dann auch das
Verhältniss der Aussage, denn während das Individuum stets nur sein
eigenes Prädicat ist, kann diejenige Seite an ihm, welche als Art oder
Gattung erfasst wird, eine gegenseitige Bezugsetzung zu anderen Indivi
duen herbeiführen , d. h. z. B. das Mensch-Sein des Socrates ist Prä
dicat (inhaeret) auch für Plato, und umgekehrt, und dieses Gattung-Sein
des Individuums ist Sammelbegriff (colligitur) sowohl für dieses Indivi
duum selbst, als auch für die übrigen gleichartigen *°°), — kurz das
Verhältniss des Allgemeinen und des Einzelnen reducirt sieh auf ein
„Insoferme“ (in quantum), uhd indem es weder ein bloss Allgemeines
moch ein bloss Individuelles gibt, ist es die Wersehiedenheit der Auf
fassumg (diversus respectus), wodurch das Allgemeine als Einzelnes und
das Einzelne als Allgemeines betrachtet wird 1°").
Indem nun diese Indifferenz-Lehre zuletzt doch wieder mit dem
„Singulare sentitur, universale intelligitur“ übereinstimmt und hiemit
sich auch auf Boethius (Abschn. XII, Anm. 91) stützen konnte, und
immerhin zugegeben werden durfte, dass die Universalien für uns hienie
dem in diesem Jammerthale nur als Individuen eine wahrnehmbare Exi
stenz haben, während ihnen in Wahrheit ein intelligibles Sein zukomme, •
so konnten namentlich wegem jenes aufwärts führenden „Abstreifens“
des Individuellen (Anm. 133) sich selbst Platoniker mit der Indifferenz
Ansicht befreunden, während zugleich Aristoteliker am derselben die
Wechselbeziehung zwischen Allgemeinem und Besonderem, sowie die
Werthschätzung der subjectivem Denkoperation beachten moehten (ein
Beispiel der letzterem Auffassung werden wir untem, Anm. 432 f., bei
einem Schüler Abälard's treffen). So ist es erklärlich, dass A d e la r d
v o n B a th, welcher um d. J. 1 115 eine auf Platonismus beruhende
proprietas individuorum nulli communis est. Hier nemlich ist sowohl das simile
oder commane als auch das colligere (Amm. 136.) deutlich genug vorgezeichnet.
135) Ebend. p. 519.: Solvunt illi dicentes, generalissima quidem infinita esse
essentialiter, sed per indifferentiam decem tantum ; quot enim individua substantiae,
tot et sunt generalissimae substantiae; omnia tamen illa generalissima generalissi
mum unum dicuntur, quia indifferentia sunt; Socrates enim in eo quod est substantia,
indifferens est cum qualibet substantia in eo statu, quod substantia est.
136) Ebend.: Sed et hi dicunt: Socrates in nullo statu alicui inhaeret nisi
sibi essentialiter, sed in statu hominis pluribus dicitur inhaerere, quia alii sibi in
differentes inhaerent; eodem modo in statu animalis ...... (p. 520.) Dicunt ita :
Socrates in quantum est homo, de se colligitur (mam beachte dieses Wort) et de
Platone caeterisque ; unumquodque individuum, in quantum est homo, de se colligitur.
137) Ebend. p. 521.: Illi tamen non quiescunt, sed dicent: nullum singulare,
in quantum est singulare , est universale , et e converso, et cum universale est,
singulare est universale, et e converso. Ebend. p. 520.: Negant hanc consequen
tiam ,,si est universale, non est singulare“, nam impositione suae sententiae habe
tur: omne universale est singulare et omne singulare est universale diversis re
spectibus. -
&
XIV. Adelard v. Bath. 141
Sehrift „De eodem et diverso* verfassle 18°), eben durch die Indifferenz
Lehre den Gegensatz zwischen Plato und Aristoteles ausgleichen zu
könnem glaubte. - Derselbe klagt über den schroffen Gegensatz der logi
schen Parteien sowie über die Neuerungssucht seiner Zeit 1°°), aber er
ist der Ansicht, dass durch richtige Erklärung betreffs der Universalien
der Streit sich schlichten lasse 140). Er äussert sich hiebei über die
Art. und Gattungs-Begriffe völlig übereinstimmend mit der Indifferenz
Annahme, ja selbst fast mit dem nemlichen Worten (z. B. diversus re
spectus, oblivisci, non attendere u. dgl.), so dass mam glauben kann,
unsei obiger Berichterstatler habe Adelard's Sehrift im Auge, denn die
einzige Abweichung ist, dass hier der Begriff des status nicht beige
zogen wird, und vielleicht etwas mehr Gewichi auf die Wortbezeichnung
fällt ***). Sodann aber folgt in platonischem Sinne eine Klage darüber,
dass für den Menschen das Allgemeine durch die unerlässliche Simnes
wahrnehmung verfinstert sei, während die Universalien in ihrer reinem
Einfachheit ursprünglich nur im göttlichen Noùg vorlagen 4**), und
138) Näheres über ihn s. bei Jourdain, Recherches crit. 2. Aufl. (1843) p.
26. u. 97. u. 258—277., woselbst aus einer Pariser Handschrift ansehnliche Bruch
stücke dieses Buches in Uebersetzung mitgetheilt sind.
139) Ebend. p. 262.: L'un prétend qu'on doit partir les choses sensibles,
l'autre commence par les choses non sensibles. Celui-lâ soutient que la science
n'est que dans les premières, celui-ci qu'elle est hors des dernieres; ils s'inquietent
ainsi mutuellement, â fin qu'aucun d'eua, ne s'attire la confiance .... (p. 263.) `A
qui donc faut-il croire d'enlre ceuae qui tourmentent nos oreilles de leurs innovations
journalieres, qui chaque jour naissent p0ur n0us , n0uveaua, Aristotes et n0uveaua;
Platons, qui promettent également et les choses qu'ils savent et celles qu'ils ignorent?
140) Ebend. p. 267. : L'un d'euae (d. h. Plato und Aristoteles), transporté
par l'élévation de son esprit et les ailes qu'il semi)le s'étre créées par ses efforts,
a entrepris de connailre les choses par les principes eua-mêmes, a eæprimé ce qu'ils
etaient avant qu'ils ne se reproduisissent dans les corps, et a defini les formes ,
archetypes des choses. ^ L'autre, au conlraire, a commencé par les choses sensibles
et c0mp0sées. Et puisqu'ils se recontrent dans leur route, doit-on les dire opposés?
Si l'un a dit que la science était hors des choses sensibles, et l'autre, qu'elle était
dans ces mémes choses, voici comment il faut les interpréter.
141) Von den nun unmittelbar folgenden Worten (bei Jourdain p. 267.) gibt
Hauréau, De la phil. scol. I, p. 255. den lateinischen Originaltext: Genus et species,
de his enim sermo, esse et rerum subiectarum nomina sunt. Nam si res consideres,
eidem essentiae el generis et speciei et individui nomina imposita sunt, sed respectu
diverso. Volentes enim philosophi de rebus agere secundum hoc quod sensibus sub
iectae sunt, secundum quod a vocibus singularibus notantur et numeraliter diversae
sunt, individua vocaverunt, sc. Socratem, Platonem et ceteros. Eosdem autem aliter
intuentes, videlicet non secundum quod sensualiter diversi sunt, sed in e0 qu0d
notantur ab hac voce ,,homo“, speciem vocaverunt. Eosdem item in h0c tantum,
quod ab hac voce ,,animal** notantur, considerantes genus vocaverunt. Nec tamen
in consideratione speciali formas individuales tollunt, sed obliviscuntur, cum a spe
ciali nomine non ponantur; nec in generali species ablatas intelligunt, sed inesse
non attendunt, vocis generalis significatione contenti; voae enim haec ,,animal** iure
illa notat subiecta cum animatione et sensibilitate, haec autem ,,h0m0** totum illud
et insuper cum rationalitate et mortalitate, ,,Socrates** vero illud idem addita in
super numerali accidentium discretione.
142) Ebend. p. 256.: Assueti enim rebus ....., cum speciem intueri nitunlur,
eiusdem quodammodo caliginibus implicantur nec ipsam simplicem notam .... con
templari nec ad simplicem specialis vocis positionem ascendere queunt. Inde quidam,
cum de universalibus ageretur, sursum inhians ,, Quis locum eorum mihi ostendet?“
142 XIV. Adelard v. Bath. Joscellinus.
hieram knüpft sich sogleich die wunderliche Behauptung, dass eben
desshalb sowohl Aristoteles Recht habe, welcher die Universalien in
jenes Gebiet verlegte, in welchem allein sie uns *zugänglich sind, als
auch Plato, welcher sie dorthin verweist, wo sie ihr wahres Sein. habem,
kurz dass Beide, während sie im Wortausdrucke sich zu widersprechen
scheinem, in der Sache übereinstimmen !*°). Wiel Kopfzerbrechen kann
diese Wersöhnung dem Adelard wohl nicht gemacht haben 1**).
Eine dem Principe der Indifferenz-Lehre analoge Auffassung, wenn
auch mit einer etwas verschiedenen Methode, könnte die Ansicht des
G a u s l e n u s oder J o s c e l l in us von S o i s s o n s (v. 1125—1151 dort
selbst. Bischof) gewesen sein, dass nemlich die Universalien nicht schon
an sich in dem Individuen liegen, sondern denselben erst zukommem,
insoferne das Individuelle in eine Einheit vereinigt (in unum collectis)
werde '*°); denn es vertrüge sich diess vollständig mit obigem Grund
satze (Anm. 133), dass nur Individuen existiren, und die Entstehung
der Universalien im menschlichem Denken würde luier nur nicht durch
ein Abstreifen, sondern von vorneherein durch ein Sammeln (colligere)
erreicht, welches auch die Indifferenz-Lehre schliesslich doch nicht um
gehen konnte (Anm. 136). Doch wissen wir über des Gauslenus Mei
nung durchaus Nichts näheres !*°), und während wir einerseits weiter
oben (vor. Abschn. Anm. 175) sahen, dass aueh der Realist 0tto von
Clugny sich einer ähnlichen Ausdrucksweise bediente, ja auch Johannes
von Salesbury den Gauslenus für einen Realisten zu halten scheint
(was jedoch vielleicht nicht von grosser Bedeutung ist, s. ob. Anm. 70
u. 85), so kann ums andrerseits wohl nur die Lostremnung der Univer
salien von den Einzel-Individuem hauptsächlich dazu veranlassen, die
Annahme des Gauslenus näher an die Indifferenz-Lehre zur rücken, wozu
etwa noch als Bestätigung käme, dass derselbe auf die nominalistische
' inquit. Adeo rationem imaginatio perturbat .... Sed id apud mortales. Divinae
enim menti .... praesto est, et materiam sine formis et formas sine aliis, imo et
omnia cum aliis .... distincte cognoscere ; nam et antequam coniuncta essent, uni
versa, quae vides, in ipsa Noy simplicia erant.
143) Ebend.: Nunc autem ad propositum redeamus. Quum igitur illud id,
quod vides, et genus et species et individuum sit, merito ea Aristoteles nonnisi in
sensibilibus esse proposuit, sunt etenim ipsa sensibilia quaevis acutius considerata;
quum vero ea, in quantum dicuntur species et genera, nemo sine imaginatione per
se pureque intuetur (hiemit finden wir hier wahrlich schon das ,,unbekannte Ding
an sich*), Plato eætra sensibilia, scilicet in mente divina, et conspici et eæistere
diacit. Sic viri illi, licet verbo contrarii videantur, re tamen idem senserunt.
144) Zumal konnte ihm ja auch die bekannte gleichlautende Stelle Cicero's
(Acad. I, 6. bezüglich des Antiochus) wenigstens durch Augustin (d. civ. dei, VIII,
6.) zugänglich sein. Dass auch Bernhard v. Chartres sich bemühte, Plato und
Aristoteles zu wereinigen, s. oben Anm. 66.
145) Die Quellenstelle s. oben Anm. 68.
146). Denn wenn H. Ritter, dessen Angaben über Walter v. Mortagne, Ade
lard W. Bath u. s. f. theils überhaupt der nöthigen Präcision entbehren, theils
geradezu unrichtig sind, die Schrift De generibus et speciebus sofort dem Gausle
nus vindiciren will, so würden zu einer solchen Annahme die etlichen Worte jener
einzigem Quellenstelle, welche wir über Gauslenus besitzen, selbst dann kaum
ausreichen, wenn sie sich mit den Ansichten des Werfassers D. gen. et spec. ver
trügen. Dass aber Letzteres sehr zweifelhaft ist, mag aus demjenigen herwor
gehem, was wir nun sogleich über, jene anonyme Schrift anzugeben, haben.
XIV. De generibus et speciebus. 143
„maneries“-Ansicht hinübergewiesen habe (ob. Anm. 68). Dann aller.
dings hätten wir hier eine Wiederholung dessem, was schon bei den
frühestem Anfängen einer Parteispaltung seitens der nominalistischen
Richtung behauptet wurde 1*7).
Wenn wir aber bezüglich der Universalien die Annahmen Abälard's,
sowie jene des Gilbertus Porretanus und des Johannes von Salesbury
erst weiter untem im Zusammenhange mit den Gesammt-Anschauungen
derselben zu erörtern vorziehen müssen. (s. oben S. 113), so bleibt uns
für jetzt nur noch der unbekannte Verfasser der Schrift „ De generibus
et specie b u s “'**) übrig, welcher uns manche Berührungs- oder Wer.
wandtschafts-Punkte mit mehreren der bisher erwähnten Ansichten zeigen
wird. Das Ganze war ursprünglich gewiss eine Abhandlung „De divi
sione“ (vgl. Anm. 118—128) völlig in derselben Weise wie die gleich.
namige Schrift Abälard's (s. Anm. 277 u. 353 ff.), und sowie der An
fang des uns erhaltenen Textes noch die Frage über die ursprünglichen
Theile eines Ganzen behandelt, so bot dann aueh hier die Erörterung
über die Eintheilung der Gattung dem ebenso kenntnissreichen als scharf.
sinnigen Verfasser die Gelegenheit, in dem Streite über die Universaliem
sowohl die Meinungen Anderer kritisch zu beleuchten als auch seine
eigene Ansicht zu begründen 4*°). Er bekämpft den Nominalismus vor.
erst kurzweg dadurch, dass die Worte überhaupt kein Sein habem, da
dasjenige, was durch zeitliche Abfolge erst entsteht, nicht ein einheit.
Iich Gamzes constituiren könne, eine Bemerkung, welche eben, so weit
sie die Function des Gedankens. im Urtheile betrifft, auch gegen Abâ.
lard's Ansicht (Anm. 315) gerielatet ist '°°); sodann aber auch lasse
sich ja das Verhältniss zwischen Stoff und Form, welehes beim Ueber.
gange von Gattung zu Art obwalte, durch Worte gar nicht aussprechen, '
da nie ein Wort der Stoff eines anderen Wortes sei 1°1). Hinwiederum
147) Nemlich Pseudo-Hrabanus (vor. Abschn. Anm. 153.) und jener soge
nannte Jepa (ebend. Anm. 170.) haben sich in ganz ähnlicher Weisé über den
Gattungsbegriff geäussert. -
148) Der Anfang des Buches, welches Cousin (0uvr. inedits d'Abelard, p.
507—550.) aus £iner Handschrift von St. Germain herausgab, fehlt, und der Titel,
welchen Cousin selbst machte, mag wohl fortam recipirt bleiben, jedoch gewis$
mit Ausuahme des Zusatzes ,,Petri Abaelardi“, denm dass das Ganze nicht ein Werk
Abàlard's ist — s. oben Anm. 49. —, hätte auch Cousin bemerken sollen; es
erhellt diess nicht bloss. aus stilistischen Eigenthümlichkeiten (z. B. bei Lösung
von Einwürfen ein. eingeschaltenes ,,Attende“ oder ,,Solutio“, oder hinwiederum ein
eigenthümliches Lieblingswort des Verfassers ist „rationabile ingenium“ u. dgl.),
sondern auch aus inneren Abweichungen der Ansicht selbst, welche sich sogar zur
Polemik steigern. Ich werweise hierüber, um Wiederholungen zu vermeiden, nur
auf die folgenden Anm. 150, 167, 168 und besonders 171, woselbst eine Annahme,
welche dem Abälard angehört, geradezu als ,,lächerlich** bezeichnet wird.
149) Bei sorgfältigem Studium der Schrifl dürfte der Worwurf der Unbeholfen
heit und Dunkelheit, welchen H. Ritter (VII, p. 363.) gegen dieselbe ausspricht,
wohl gänzlich werschwinden.
150) Bei Cousin a. a. 0. p. 523.: Item voces nec genera sunt nec species
nec universales nec singulares nec praedicatae nec subiectae, quia omnino non sunt;
nam eæ his, quae per successionem fiunt, nullum omnino totum constare , ipsi qui
hanc sententiam tenent, nobiscum credunt.
151) Ebend. p. 523 f.: Quemadmodum statua constat eæ aere materie, forma
autem figura, sic species eæ genere materie, forma autem differentia (s. Amm. 160, f.),
144 XIV. De generibus et speciebus.
aber bestreitet er auch den Realismus des Wilhelm v. Champeaux, da,
wenn das Universale nach seinem ganzen Gehalte im Individuum indivi
dualisirt werde (Amm. 105), nicht bloss dieser nemliche ganze Gehalt
doch wieder zugleich in einem anderen Individuum sich finden müsse 1°*),
sondern auch die variirendem oder transitorischen Eigenschaften allem
Individuen zukommen müssten '**), und ausserdem in dem Gallungsbe
griffe dann auch die Gegensätze gleichzeitig vorlägen 1°*). Und ebenso
fermer wendet er sich polemisch gegen die Indifferenz. Lehre, indem er
sie sowohl in ihrem Principe, d. h. in jenem Begriffe des „Gemein
schaftlichen“ (Anm. 134) angreift *°°), als auch die dortige Ansicht
bezüglich des Sammelbegriffes („colligere“, Anm. 136) bekämpft 1°°),
und ebensosehr die Consequenz, welche in der Werwischung des Unter
schiedes zwischen Allgemeinem und Einzelnem liegt, verneint 4°7). Seine
eigene Ansicht blickt schon in der Erörterung über die Theilung ins
Unendliche (Anm. 126 f.) durch, wo er anerkennt, dass ein Gaiizes
noch fortbestehen könne, wenn auch ein Theil desselben seine Form
verliere und an Stoff vermindert werde '°°), sowie besonders in der
Auffassung, dass zwei Punkte noch nicht eine Linie ausmachen, wenn
nicht eine eimheitliche schöpferische Kraft (una creatura) mitwirke '°°).
Auch in der Polemik gegen ein Amendement des Realismus (Anm. 112)
quod assignare in vocibus impossibile est; nam cum animal genus sit hominis, voa,
vocis nullo modo est altera alterius materia. "
152) p. 514.: Quod si ita est, quis solvere potest, quin Socrates eodem tem
pore Romae sit et Athenis? Ubi enim Socrales est, et homo universalis ibi est
secundum totam suam quantitatem informatus Socratitate .... Si ergo res universalis
tota Socralitate affecta eodem tempore et Romae est in Platone tota, impossibile est,
quin ibi etiam eodem tempore sit Socratitas, quae totam illam essentiam continebat;
ubicunque autem Socratitas est in homine, ibi Socrates est, Socrates enim homo
Socraticus est.
153) Ebend. Die Stelle ist bereits oben, Amm. 129., angeführt.
154) p. 515.: Quam statim enim rationalitas illam naturam tangit, sc. animal,
tam stalim species efficitur et in ea rationalitas fundatur; illa ergo totum informat
animal; sed eodem mQdo irrationalitas totum animal informat eodem temp0re ; ita
duo opposita sunt in eodem secundum idem. -
155) p. 519.: Neque enim Socrates aliquam naturam, quam habeat, Platoni
communicat, quia neque homo qui Socrates est neque animal in aliquo extra S0
cratem est.
156) p. 520.: Socrates .... tamen nullo modo de pluribus colligitur, quia in
pluribus non est. Schon diess müsste uns hehutsam machen, den Gauslenus für
den Werfasser der Schrift zu haltem, doch s. unten Anm. 162.
157) p. 521.: At vero nec particularitas nec universalitas in se transeunt;
namque universalitas potest praedicari de particularitate, ut animal de Socrate et
Platone, et particularitas suscipit praedicationem universalitatis, sed non ut univer
salitas sit particularitas, nec quod particulare est, universalitas fiat.
158) p. 510.: Non sequitur ,,si hic asser est, et medietas huius asseris est,“
posset enim destrui medietas, non quantum ad totam eius massam, sed quantum
ûd formam , et tamen. remanentibus eius aliquibus particulis non destruerelur hic
asser, quoniam medietatis eius materia, forma tantum pereunte, tota non periret.
159) p. 511.: Si quaelibet duo puncta proæime iuncta faciunt bipunctalem
lineam, quae sit una creatura, tunc habebit unum fundamentum ; sed una atomus
non erit eius fundamentum, iam enim esset bipunctaliter lineatum ...... p. 513.:
possumus dicere, quod ipsa bipunclalis linea fundatur in illis duabus atomis ut in
subiectis, non in subiecto.
XIV. De generibus de speciebus. 145
£
stellt er sich entschieden auf das von Porphyrius her (Abschn. XI,
Anm. 44) in die Annahmen des Boethius (Abschn. XII, Anm. 97) über
gegangene Gleichniss des Kunstwerkes, wornach ihm die Gattung der
Stoff und der Unterschied die Form ist, das Produet selbst aber, d. h.
die Species, in welcher der Stoff die Form trägt (formam sustinet),
als eine bleibende Wereinigung betrachtet und auch mit dem Worte
„materiatum“ bezeichnet wird 109), wofür hinwiederum auch der eigen
thümliche Ausdruck „diffinitivum totum* mit schroffer Festhaltung der
Theil-Anschauung sich findet 1°1). Genauer aber begründet er diese
seine Meinung folgendermaassen: Im Individuum trägt (sustinet) eine
gewisse Wesenheit (essentia), welehe der Stoff ist, die Form der Indi
vidualität an sich und ist mit ihr zusammengesetzt, wodurch eben die
Verschiedenheit der Einzel-Individuen éntsteht; ebem diese Wesemheit
mun, insoferne dieselbe nicht bloss in dem einem oder anderem Indivi
duum, sondern zugleich auch in allen zusammen als Stoff vorliegt, ist
die Species, welche hiemit trotz aller Vielheit der einzelnen Wesen
heiten (essentialiter multa) als ein Sammelbegriff (collectio) mit den
Wortem „Ein Universale“ oder „Eine Natur* bezeichnet wird, ungefähr
wie auch der Begriff „Wolk* viele Einzelne umfasst 1°*) ; es wird nem
lich nicht etwa die ganze Species in jedem Einzel-Individuum individua
lisirt, sondern nur eim Theil derselben, d. h. eben Eine solche Wesenheit,
welche ja mit der die Species ausmachenden Gesammtheit (concollectio)
nicht identisch ist, sondern mit ihr nur die ähnliche Zusammensetzung
oder ähnliche schöpferische Kraft (similis compositio, similis creatio)
gemein hat, daher auch das Gleichniss mit dem Wolke oder mit einem
Heere nicht völlig passt, indem zwischen den einzelnen Wesenheiten
und ihrer Gesammtheit wegen jener Aehnlichkeit der Erzeugung eine
grössere Wesens-Gleichheit besteht, als zwischen einem Soldaten und
dem Heere; besser hingegen kann dieses ganze Verhältniss damit ver
glichen werden, dass z. B. eine grössere Masse Metall in Einem ihrer
160) p. 516.: Sed dico: facta est species eae genere et substantiali differentia,
et sicut in statua aes est materia, forma autem figura, similiter genus est materia
speciei, forma autem differentia; materia est, quae suscipit formam. Ita genus in
ipsa specie constituta formam sustinet, nam et postquam constituta est, eæ materie
et forma constat, i. e. eae genere et differentia ..... p. 517.: omne materiatum suf
ficienter constituitur eæ sua materia et forma. -
161) p. 522.: Speciem eae genere et substantiali differentia constare, ut statua
ea, aere et figura, auctore Porphyrio (b. Boeth. p. 88.) constat; itaque pars est
speciei materia et similiter differentia, ipsa vero species est totum diffinitivum eorum.
162) p. 524.: Quid nobis potius tenendum videatur de his, deo annuente amodo
ostendemus: . Unumquodque individuum eæ materia et forma compositum est; ut S0
crates eæ homine materia et Socralitate forma, sic Plato eæ simili materia, sc. h0
mine, et forma diversa, sc. Platonitate, componitur; sic et singuli homines. Et
sicut Socratitas, quae formaliter constituit Socratem, nusquam est eætra Socratem,
sic illa hominis essentia, quae Socratitatem sustinet in Socrate, nusquam est nisi in
Socrate. Ita de singulis. Speciem igitur dico esse non illam essentiam hominis
solum, quae est in Socrate vel quae est in aliquo alio individuorum, sed totam
illam collectionem eæ singulis aliis huius naturae coniunctam, quae tota collectio,
quamvis essentialiter multa sit, ab auctoritatibus (d. h. von Porphyrius und Boe
thius) tamen una species, unum universale , una natura appellatur, sicut populus (s.
vor. Abschn. Anm. 153.), quamvis eæ multis personis collectus sit, unus dicitur.
P R A N T 1, Gesch. II. 10
146 XIV. De generibus et spaciebus,
Theile zu einem Messer und zugleich in einem anderen zu einem Griffel
verarbeitet wird 1°°). Diess Nemliche nun wiederholt sich beim Gattungs
begriffe, indem jede von den Wesenheiten (essentiae), welche zur Ge
sammtheit einer Species gehören, wieder aus einem Stoffe und einer Form
zusammengesetzt ist, nur mit dem Unterschiede, dass die Form hier
nicht mehr bloss die Eine der Individualität ist, sondern selbst in sich
die Mehrheit der artmachenden, d. h. substantiellen Unterschiede in sich
involvirt; jener Stoff aber erscheint als solcher unterschiedslos (indiffe
rens) in jenen einzelnen Wesenheiten, welche der Artbildung als Stoff
zu Grunde liegen, und es heisst nun Gattung die Vielheit (multitudo)
der Wesenleiten, welche Träger (sustinere, recipere) der Artunter
schiede sein können '°*). Und endlich gilt das Gleiche auch bezüglich
des „ersten Princips*, denn die Wesenheiten (essentiae), welche zu einer
Gattung gehören, bestehen abermals aus Stoff und Form und sind ihrem
Stoffe nach gleichfalls unterschiedslos (indifferentes), während sie die
Gattungs-Unterschiede als ihre Form an sich tragen, und so gelangt mam
noch ein Mal zu einer Wielheit (multitudo) von Wesenheiten als zum
generalissimum, von welchem schliesslich nur noch gesagt werden kann,
dass sein Stoff die „reine Wesenheit“ (mera Iiiij oder die Substanz
selbst, seine Form aber die Empfänglichkeit der Gegensätze (suscepti
bilitas contrariorum) sei 168). So streift der Werfasser durch seine
163) p. 526.: Speciem esse dicimus multitudinem essentiarum inter se simi
lium , ut hominem ...... Illud tantum humanitatis informatur Socratitate, quod in
Socrate est, ipsum autem species non est, sed illud quod eæ ceteris similibus es
sentiis conficitur. Attende. Materia est omnis species sui individui et eius formam
suscipit, non ita scilicet, quod singulae essentiae illius speciei informentur illa
forma, sed una tantum, quae tamen similis est compositionis prorsus cum omnibus
aliis eiusdem naturae essentiis .... Neque diversum una essentia illius concollectionis
a tota collectione, sed idem, non quod hoc esset illud, sed quia similis creationis
in materia et forma hoc erat cum illo ...... Massam aliquam ferream, de qua fa
ciendi sunt cultellus et stylus, videntes dicimus: hoc futurum materia cultelli et
styli, cum tamen nunquam tota suscipiat formam alterutrius, sed pars styli, pars
cultelli ....... (p. 527.) Maior identitas alicuius essentiae illius collectionis ad
tolum, quam alicuius personae ad eavercitum, illud enim idem est cum toto suo, hoc
vero diversum. Hiezu p. 535.: Hoc enim habet nostra sententia, quod animal illud
genus in parte sui recipit rationalitatem et in parte irrationalitatem.
164) p. 525.: Item unaquaeque essenlia huius collectionis, quae humanitas
appellatur, eæ materia et forma constat, sc. eæ animali materia, forma autem non
una, sed pluribus, rationalitate et mortalitate et bipedalitate et si quae sunt ei
aliae substantiales. Et sicut de homine dictum est, sc. quod illud hominis, quod
sustinet Socratitatem, illud essentialiter non sustinet Platonitatem, ita de animali;
nam illud animal, quod formas humanitatis, quae in me est, sustinet, illud essen
tialiter alibi non est, sed illi indifferens est in singulis materiis singulorum indivi
duorum animalis. Hanc itaque multitudinem essentiarum animalis, quae singularum
specierum animalis formas sustinet, genus appellandam esse dico, quae in hoc di
versa esl ab illa multitudine, quae speciem facit; illa enim ea, solis illis essentiis,
quae individuorum formas sustinent, collecta est, ista vero, quae genus est, ez his,
quae diversarum specierum substantiales differentias recipiunt.
165) Ebend.: Item, ut usque ad primum principium perducatur, sciendum est,
quod singulae essentiae illius multitudinis, quae animal genus dicitur, eæ materia
aliqua essentia corporis et formis substantialibus, animatione et sensibilitate, con
$tat, quae , sicut de animali dictum est, nusquam alibi essentialiter sunt, sed illae
indifferentes formas sustinent omnium-specierüm corporis. Et haec talium corporis
XIV. De generibus et speciebus. , 147
eigenthümliche Potenzirung oder Einsehachtelung der essentia doch wieder
an Wilhelm - v. Champeaux hin, und hat daher wahrlich nicht, wie
Gauslenus, das Universale vom Individuum getrennt (s. Anm. 145 f.),
zugleich aber kömmt er durch die Begriffe der collectio und des in
differens in Berührung mit der Indifferenz-Lehre, während ihm dieselben
allerdings weit mehr eine objective Geltung haben.
Um so eigenthümlicher aber muss sich hier die Auffassung der
subjectiv logischen Function, d. h. des Urtheilens, bezüglich der Uni
versalien gestalten, während doch erst hiedureh die Ansicht des Ver
fassers ihren vollen Abschluss findet. Er klagt, dass es keine Definition
des Prädicat-Werhältnisses gebe ; denn es sofort als objective Inhäremz
zu verstehen, sei ein ungerechtfertigter Gebrauch, abgesehen davom,
dass letztere nur im obigen Sinne einer Theilung genommen werden
dürfe '°°), und sowie man sich vor dem Consequenzen der Indiiferenz
Lehre hüten müsse, so sei es überhaupt zu verwerfen, wenn im Hin
blieke auf den definitorischen Gehalt der Species praedicari und esse
identificirt werden 4°7), — eine Bemerkung, welche sicher gegen Abá
lard (s. unten Anm. 318) gerichtet ist und noch mehr einen speciell
polemischen Ausdruck erhält, wenn mit unverkennbarer Wendung gegen
eine Ansicht Abälard's (bezüglich der „sumpta“, s. unten Anm. 321)
behauptel wird, dass sämmtliehe allgemeine Bezeiehnungen, mögen sie
Adjeetiva oder Substantiva sein, sich mittelbar auf objeetive Gestaltungen
beziehen 4°°). Kurz das Urtheil sage nie aus, dass das Subject selbst
essentiarum multitudo genus dicitur illius naturae, quam eae multitudine essentiarum
animalis confectam divimus. Et singulae corporis, quod genus est, essentiae eae
materia, sc. aliqua essentia substantiae, et forma corporeitate constant. Quibus
indifferentes essentiae incorporeitatem, quae forma est, speciem sustinent; et illa
talium essentiarum multitudo swbstantia generalissimum dicitur, quae tamen nondum
est simpleæ, sed eæ materia mera essentia, ut ita dicam, et susceptibilitate contra
riorum forma constat.
166) p. 526.: Audi et attende: Praedicari quidem inhaerere dicunt; usus quidem
hoc habet, sed eæ auctoritate non inveni; concedo tamen ; inhaerere autem dico
humanitatem Socrati, non quod tota consumatur in Socrate, sed una tantum eius
pars Socratitate informatur (s. Anm. 163.). p. 531.: Nosse debes, quod nusquam,
quid sit praedicari, plane dicit auctoritas; nam quod solet dici, quod praedicari
est inhaerere, usus est eae nulla auctoritate procedens.
167) p. 527. : Item species in quid praedicatur de individuo (diese Abkürzung
,,praedicari in quid** begegnet uns hier zum erstem Male, vgl. Anm. 282.; nemlich
bei Boethius p. 68. lautet die Porphyrianische Definition der Species, s. Absehm.
XI, Anm. 41., vollständig: species est, quae de pluribus in eo quod quid praedi
catur); praedicari autem in quid, ut aiunt, est praedicari in essentia, praedicari
autem in essentia est, hoc esse illud. Cum erg0 dicitur: ,,Socrates est h0m0** .....
habebimus illud idem inconveniens, quod in aliis sententiis, sc. singulare est univer
sale (s. Anm. 137.).... Hoc consentio, ,,praedicari in essentia** dicere, ,,hoc esse
illud** nego.
168) p. 527 f.: Sed dicunt : ..... „rationale* alterius nomen est pro imposi
tione scilicet animalis, et aliud est quod principaliter significat, se. rationalitas,
quam praedicat et subiicit; ,,homo** vero nihil aliud vel nominat vel significat, quam
illam speciem. Absit hoc. Imo sicut ,,rationale** et ,,homo**, sic et quodlibet aliud
universale subslantivum alterius nomen est, per impositionem quidem eius, qu0d prin
' cipaliter significat, v. g. rationale vel album impositum fuit Socrati vel alicui sen
sibilium ad nominandum propter formas, i. e. rationalitatem et albedinem, quas prin
cipaliter significant.
10*
148 XIV. De generibus et speciebus.
das Prädicat selbst sei, sondern nur dass ersteres unter die Zahl jener
Wesenheiten gehöre, welche entweder von einem bestimmten Stoffe con
stituirt sind oder einer bestimmten Form unterliegen *°°), und demnach
werde, — wofür sich der Werfasser sogar auf eine vereinzelte Stelle
des Boethius berufen kann —, der eine Species bezeichnende Name
eben nur den betreffenden Einzel- Individuem, nie aber der Species selbst,
gegeben 17°), wobei Substantiva und Adjectiva darin sich unterscheiden,
dass erstere auf den Stoff und letztere auf die Form sich beziehen, so
dass Diejenigen, welche von einem Accidentellen, d. h. von einem
„adiacens“ sprächen, — was aber eben wieder Abälard thut, s. unten
Anm. 283 f. —, im grösstem lrrthume seien 17!); wenn aber es so sich
mit der ursprünglichen Bedeutung der Worte verhalte, so seien Aus
drücke wie z. B. „Mensch ist ein Artbegriff* nur nothgedrungene Ueber
tragungen '"*).
Schon hiedurch ist klar, dass der Werfasser (im Gegensatze gegen
Abälard) den eigentlichen Werth der Synthese, welche im Urtheile liegt,
misskennt und in platonischem Sinne die Worte sämmtlich isolirt als
subjective Abbilder objectiver Exemplare betrachtet, was man kaum deut
licher aussprechen könnte, als er selbst thut, wenn er z. B. sagt: ,,Ver
nünftig“ sei nicht der Name desjenigen, was als Subject dem Prädicate
der Wernünftigkeit unlerliege, sondern der Name eines Wesens, welches
durch die „Vernünftigkeit“ constituirt wird 17°); ja auf diese Weise
muss er das Prädicatsverhältniss so unbestimmt allgemein fassem, dass
es mit der Erzeugung des significanten Wortes überhaupt. zusammen
fällt, und, da dieses letztere Moment für Subject und Prädicat das
gleiche ist, der Unterschied zwischen beiden zu einem bloss äusser
lichem und zufälligen wird; hiebei aber stützt er sich auf eine Stelle
des Priscianus, in welcher auf Grundlage des allgemeinem stoischen
Sprachgebrauches (s. Abschn. VI, Anm. 112 ff.) die Partikeln als „syn
categoreumata* bezeichnet werden, woraus geschlossen werden könne,
169) p. 528.: Itaque cum dicitur ,,Socrates est homo“, hic est sensus ,,Socra
tes est ynus de materialiter constitutis ab homine“, .... sicut cum dicitur ,,Socrates
est ralionalis“, non iste est sensus ,,res subiecta est res praedicata“, sed ,,Socrates
est unus de subiectis huic formae quae est rationalitas“.
' 170) Ebend.: Quod autem ,,homo“ impositum sit his, quae materialiter consti
tuumtur ab homine, i. e. individuis et non speciei, dicit Boethius in commentario
super Categorias his verbis etc. (s. Boeth. p. 129.); vgl. vor. Abschn. Anm. 121.
171) Ebend.: Nomina illa tantum dicuntur substantiva, quae imponuntur ad
nominandum aliquem propter eius maleriam .... vel eaepressam essentiam;..... ad
iecliva vero illa dicuntur, quae imponuntur alicui propter formam, quam principaliter
significat ..... Nam quod dici solet, adiectivum esse, quod significat accidens secun
dum quod, adiacet, et substantivum, quod significat essentiam, ridiculum est vel sine
intellectu.
172) p. 529.: Sciendum est ergo : vocabula, quae imposita sunt rebus propter
aliud significandum principaliter circa eas, quandoque transferuntur ad agendum de
principali significatione, ut cum .... translative dicitur ,,rationale est differentia“ et
,,album est species coloris“, nihil aliud intelligo quam ,,rationalitas“ et ,,albedo**;
sic ... cum dicitur ,,h0m0 est species“..... Concedimus itaque, hanc translationem
necessitate fieri.
173) p. 547.: Rationale enim non est nomen subiecti rationalitatis, sed rei quae
a rationalitate constituitur, quae non est ipsum animal.
XIV. De generibus et speciebus. 149
dass danm alle übrigen Worte eben categoreumata, d. h. Prädicamente,
seien *"*). Die ausgedehnte Wirkung, welche , diese hier zum ersten
Male vorübergehend beigezogenem Syncategoreumata später in der Logik
äussern, müssen wir natürlich dem weiteren Werlaufe überlassen, die
Folgerung hingegen, welche hier unser anonymer Verfasser daraus zieht,
führt zu einem Platonismus, welcher ums sehr am Scotus Erigena er.
innern muss. Wenn nemlich „praedicari“ auf diese Weise das Nemliche
wie „significari principaliter“ ist, so fällt die intellectuelle Function
des Menschen in jene objectiven Formen und Gestaltungen hinüber,
welche dem Individuen zu Grunde liegen, denn es erzeugt sich der Be.
griff (intellectus constituitur, generatur) mittelst des Wortes im Hinblicke
auf das objective Universale 47°), und auch die Inhärenz, wenn mam
mit ihr. nach überkommener Gewohnheit das Prädicatsverhältniss iden
tificirem wolle, hat eben doeh nur eine objective Bedeutung in dem
Werde-Process der Dinge 17°). Kurz es handelt sich nur um die ein
heitlichen „Naturen“, welche den Dingen zu Grunde liegen, und wenn
der Begriff der Natur auf obige (Anm. 163) similis creatio oder bezie
hungsweise zur Abgränzung gegen andere Formationen auf dissimilis
creatio reducirt wird *"'), so schliesst sich hieran eine platoniseh-my
stische Creations-Theorie an, welche uns hier nicht berührt 17*). lndem
aber dabei sowohl nach 0bigem für die Aussage das Hauptgewicht auf
174) p. 531.: Mihi autem videtur, quod praedicari est principaliter significari
per vocem praedicatam, subiici ver0 significari principaliter per vocem subiectam, et
hoc quodammodo videor habere a Prisciano, quod in tractatu orationis ante nomen
(d. h. in dem Capitel vor der Erörterung über Nomen) dicit praepositiones et con
iunctiones syncategoreumata, i. e. consignificantia; scimus autem ,,syn* apud graecos
„cum“ praepositionem significare, ,,categ0rare“ autem „praedicari“, unde categoriae
praedicamenta dicuntur. Si erg0 idem est ,,categoreumata“ quod ,,significantia“, idem
erit ,,praedicari“ quod ,,significari principaliter“ (die Stelle b. Prisc. II, 15. lautet:
Partes igitur orationis sunt secundum dialecticos duae, nomen et verbum, quia hae
solae etiam, per se coniunctae plenam faciunt orationem, alias autem partes syncate
goreumata, hoc est consignificantia, appellabant.)
175) p. 532.: Idem erit „praedicari“ quod ,,significari principaliter“, quam
solam significationem recepit Aristoteles iuvta illud ,,album nihil significat nisi quali
tatem“ (Cat. 5, s. Abschn. IV, Amm. 476.; so verdrehte man jede beliebige Stelle
zu Gunsten seiner eigenen Ansicht); cum enim album subieclum albedinis n0minando
significet, illam solam significationem notavit Aristoteles, in qua intellectus constituitur
per vocem ..... . Sicut ensis et gladius eundem generant intellectum, ita illa duo
nomina facerent.
176) p. 533.: Quod si ,,praedicari** quidem pro ,,inhaerere** accipitur, quod
et nos concedimus, neque, enim bonum usum abolere volumus, sic dicendum est: omnis
natura, quae pluribus inhaeret individuis materialiter, species est.
177) Ebend.: Hic autem tantum agitur de naturis; si autem quaeras , quid
appellem naturam, eæaudi : naturam dico, quidquid dissimilis creationis est ab omni
bus, quae non sunt vel illud vel de illo, sive una essentia sit sive plures, ut So
crates dissimilis creationis ab omnibus, quae non sunt Socrates, similiter et h0m0
species est dissimilis creationis ab omnibus rebus, quae non sunt illa species vel
aliqua essentia illius speciei. Auch der Einwand bezüglich des Phönix, welcher
mur in Einem Exemplare existirt (s. Abschn. XIl, Anm. 87.) wird berücksichtigt,
aber (p. 534.) durch die Bemerkung beseitigt, dass der Gegensatz zwischen materia
und materiatum (ob. Anm. 160.) dennoch in seiner Allgemeinheit festzuhalten sei.
178) p. 538—540.
150 XIV. De generibus et speciebus.
die Unterscheidung der essentia materialis und essentia formalis fällt 17°),
als auch in ontologischer Beziehung der Form allein. eine Wirksamkeit
zugeschrieben wird 1°°), so muss jene — übrigens gleichfalls dem
Abälard (s. unten Anm. 306) angehörende — Ansicht bekämpft werdem,
wonach die oberste Gattung (genus generalissimum) der Stoff selbst,
und sonach die Formem seine nächstem Arten wären 4**), denn dem
Verfasser gilt, wie wir sahem (Anm. 165), die oberste Gattung selbst
schon. als ein Product aus Stoff und Form, und es bleibt ihm daher
für jenen letzten höchstem Stoff, d. h. für die „reine Wesenheit* kein
anderes Prädicat als das blosse Sein, d. h. „est“ übrig 1**), genau
ebenso, wie auch (s. Anm. 170) jene Wesenheit, welehe als Stoff den
Individuen zu Grunde liegt, nicht selbst schon einen Prädicats-Namen
hat, sondern ein solcher Collectiv-Name erst von den betreffenden Indi
viduem ausgesagt wird *°°). Nun aber wird dieses Letztere aueh auf
die Formen, d. h. auf die artmachenden Unterschiede ausgedehnt; es
wird nemlich in einer langen und äusserst zugespitzten Erörterung
gegen die gewöhnliche Annahme (Abschn. XI, Anm. 44, und Abschn.
XII, Anm. 87) dargetham, dass der artmachende Unterschied nicht unter
die Kategorie der Qualität fallen könne, da dann die Qualität in zwei
oberste Arten, nemlich in die Differenz und die übrige Qualität zer
fallen müssle, deren jede von beiden doch wieder mur durch einen
artmachendem Unterschied constituirt werden könnte, welch letzterer
aber ja gleichfalls unter die Qualität fallen müsste, was er in keiner
Weise, weder als Gattung moch als Art oder Unterart, kann, sowie
auch es danm in keiner anderen Kategorie einen artmachenden Unter
schied geben könne, weil jede Species der Qualität (zu welchen ja
derselbe gehören würde) nur ein artmachender Unterschied innerhalb
der Qualität selbst sein könnte !**). Und wenn nun hiernach auch die
179) p. 548.: Concedo, rationalitatem praedicari de homine in substantia ut
animal, sed illud ut formalem essentiam , aliud vero ut materialem; vere autem
assero, nullam simplicem formam de alio praedicari substantialiter, quam de his,
quae formaliter constituit.
180) p. 549. : Non est diversus effectus materiarum, imo formarum ..... Appa
ret, qu0d ille effectus sequitur formas et non materiam.
181) p. 546.: Ne concedere cogamur, et materiam substantiae generalissimum
esse genus, et susceptibilitatem contrariorum et quaslibet simplices formas esse species
..... Respondendum est, quod in diffinitione generis intelligendum est, id quod genus
est debere praedicari de pluribus speciebus proæime sibi suppositis, quod quia deest
illi materiae, idcirco non est genus.
182) Ebend.: Possumus etiam dicere, quia illa mera essentia ad interrogationem
factam per quid convenienter non respondetur .... Si ergo quaeritur ,, quid est sub
stantia“, respondeamus ,,est'*; neque enim potest responderi per nomen ,,substantia*',
namque non est nomen nisi materiatorum a substantia, vel ipsius substantiae per
translationem supervacue responderi manifestum est.
183) p. 534.: 0pponetur: illa essentia hominis, quae in me est, aliquid est
aut nihil ...... Respondemus, tali essentiae nullum nomen esse datum nec per impo
sitionem nec per translationem.
184) p. 541.: Restat nunc de differentiis, an alicui praedicamento sint adscri
bendae, an omnino a praedicamentis removendae iustius videantur ....... (p. 542.)
Dicunt omnes, differentias esse in qualitate ....... Quod si omnes differentiaè in qua
litate tenentur, differentiae specierum qualitatis in eodem praedicamento annumerafidae
sunt, quod qualiter stare possit videamus. Praeceptum est Boethii in libro Divisionum
XIV. De generibus et speciebus. 151
das Wesen constituirenden Formen, selbst mit Berufung auf eine ein
zelne Stelle des Boethius, gleichfalls aus dem Bereiche des Prädicats
Verhältnisses ausgeschieden werden 1°°), so bleibt der ontologische
Worgang selbst, insoferne er auf Stoff und Form beruht, dem Prädi
ciren entrückt, und der Mensch bezeichnet durch Prädicate nur die
Producte des Worganges, d. h. die einzelnen zusammengesetzten Dinge,
in deren Gebiet die Anwendung der Kategorien und hiemit auch die
Eintheilung in Substanz und Accidens ihre Stelle habe 1°°). So sind
wir allerdings wieder so ziemlich bei Scotus Erigena (s. vor. Abschn.
-Anm. 105, woselbst in ähnlichem Sinne von der „Natur der Dinge“ die
Rede ist, und Amm. 121, wo die Geltung der Kategorien hervortritt)
angekommen, wir verstehen aber eben darum auch, wie der' Verfasser,
welcher als den Kern seiner Ansicht bezeichnet, dass das Allgemeine
nicht das Einzelne sei '°'), gegen alle Hauptrichtungen seiner Zeitge
nossen betreffs der Universalien polemisirem kann, während er zugleich
mit allen sich gewissermaassen berührt.
Nun aber bildete, wie wir schon oben, S. 114, bemerkten, der
Streit über die Universalien immerhin nur einen Theil der gesammtem
logischen Thätigkeit jener Zeit, und sowie uns auch Johannes v. Sales
bury ausdrücklich bezeugt, dass ausser jener Frage es noch mehrere
andere Gegenstände üblicher Controversen gab !°°), so müssen wir ver
(s. ob. Anm. 118.), omne genus per duas proæimas species sufficienter naturaliter
dividi. Duo ergo species sunt sub qualitate generalissima, in quas ipsum generalissi
mum sufficienter distribuitur; hae per adventum differentiarum in genus constituuntur,
quo differentiae qualitates sunt, si omnes differentiae praedicamento qualitatis annu
merandae sunt. Quod si est, aut erunt ipsum generalissimum aut ipsae species divi
dentes aut sub illis ipsis speciebus pr0vimis continebuntur. . Ipsum generalissimum
sui ipsius forma non est ..... Item ipsae differentiae species non sunt, quae ab ipsis
constituuntur ...... (p. 544.) quocunque m0d0 dividas qualitatem, nulla species qua
litatis erit, quam non sit necesse differentiam esse alicuis speciei qualitatis, quod
si verum est, nullius speciei alterius praedicamenti poterunt esse differentiae.
185) p. 545.: Videtur mihi, substantiales differentias in nullo praedicamento
esse, sed simplices formas tantum esse nec aliquo modo eæ materia et forma constare,
ipsas autem in subiectam materiam venientes naturam aliquam constituere, quamvis
a nullo constituantur ..... Etiam Boethius (ad Ar. Praed. p. 130.) ... potentissima
confirmat auctoritate ita dicens: ,,cum tres substantiae sint, materia, species et quod
eæ utrisque conficitur, .... hic neque de sola specie neque de sola materia , sed de
utrisque T miactis compositisque proposuit'* ..... 'Ecce hic apertissime Boethius dicit,
substantialem formam in praedicamento nón esse.
186) p. 546.: Sensus est, quod res eae materia et forma compositae in praedi
camentis sunt, res vero simplices in praedicamento non sunt; quod si forte invenias
auctoritatem, quae videatur asserere, omnes res esse in praedicamento, de compositis
dici intelligas, illamque divisionem quae est ,,quidquid est, substantia aut accidens**,
de compositis factam esse dicimus, simplices enim formas accidentia non appellamus.
Ueber Letzteres s. Anm. 191.
187) p. 547.: nostra sententia, quae nullum universale esse singulare recipit.
188) Joh. Saresb. Polycr. VII, 2 (0pp. ed. Giles IV) p. 87.: Sunt autem dubi
tabilia sapienti, quae ..... suis in utramque partem nituntur firmamentis; talia sunt,
quae quaeruntur ..... de materia et motu et principiis corporum, de progressu mul
titudinis et magnitudinis sectione, an terminos omnino non habeat (s. ob. Anm. 125 ff.),
• • • • • de tempore et loco, de numero et oratione, de eodem et diverso, in quo plu
rima attritio est, de dividuo et individuo, de substantia et forma vocis, de statu
universalium , de usu et fine ortuque virtutum etc.
152 XIV. Einzelne Controversem.
*
suchen, auch noch betreffs der übrigen Theile der Logik die damalige
Zeitrichtung an der Hand einer fragmentarischen Ueberlieferung zu cha
rakterisiren, wodurch wir zugleich die Kenntniss jenes Terrains ver
vollständigen dürften, in welchem sich Abälard's Leistungen bewegen.
Was hiebei zunächst die Katego ri e n betrifft, welche zwar won
Einigen geringschätzig behandelt wurden !°°), so bolen schon jene ein
leitenden Begriffe des aequivocum, univocum und denominativum (s.
oben Anm. 93) eine Weranlassung zu Meinungs-Werschiedenheiten dar *°°).
Sodann aber wurde die Gegenüberstellung von Substanz und Accidens
(Abschn. XlI, Anm. 90) von Einigen bestritlen, von Anderen aber ent
weder mit Beschränkung , auf die concretem Dinge der Natur gerecht
fertigt oder auf das blosse Prädicats-Werhältniss (vgl. Anm. 186) he
zogen oder selbst mit Werwechslung von Form und Accidens in den
Begriff des aus Theilen bestehenden Ganzen verlegt 194). Auch die Er
örterung der einzelnen Kategorien gab manchen Stoff zu Controversen,
welche jedocli die Gränze des bei Boethius Worliegenden nicht über
schritten ; so hatte sich bezüglich der Relation die Werschiedenheit der
platonischen und der aristotelischen Auffassung durch die Commentatoren
(Abschn. III, Anm. 49, Abschn. IX, Anm. 31, Abschn. XI, Anm. 71)
auch in die Discussion bei Boethius fortgepflanzt (Abschn. XlI, Anm. 93),
und somit erscheint dieser Streitpunkt auch hier , wieder '°°); auch
strilt man, ob nicht die Begriffe der Aehnlichkeit oder Gleichheit mehr
zur Qualität als zur Relation zu rechnen seien, sowie Einzelne sogar
189) Ebend. Metal. IV, 24 (0pp. V.) p. 181.: Alii detrahunt categoriis.
190) Ebend. III, 2, p. 120.: Ev opinione plurium idem principaliter significant
denominativa et ea, a quibus denominantur (nur Realisten können dies behauptet
haben). Abael. Dialect. p. 481.: Nec aequivoca eae sola debent praedicatione iudi
cari, sed nec univoca propter eundem communionis causam ..... Sunt aulem non
nulli, qui .... non ad ea, quibus est impositum vocabulum aequivocum et de quibus
enuntiatur, respiciunt, imo ad ea, eae quibus est impositum, ut ,,amplector“, cum
ad eandem personam, amplectentem simul et ampleaeam, aequivocum dicatur secundum
diversarum proprietatum diffinitiones, actionis scilicet et passionis, non ad personam
commune dicatur, sed ad proprielales , quas aeque designat.
191) Pseudo-Abael. d. intell. b. Cousin, Fragm. philos. Par. 1840, p. 493.:
Quaeritur, an haec divisio ,,earum quae sunt, aliud est substantia aliud est accidens“
sit sufficiens. Quodsi concedalur, tunc, cum rationalitas sit; oportet esse substanliam
vel accidens ; si aulem accidens fuerit, potest adesse et abesse, quod falsum est
- - - - - - Quidam dicunt, quod de quocunque verum est dicere ,,istud est, una res“, de
eodem verum est dicere, esse substantiam vel accidens ; hi tamen non concedunt, rem
unam debere dici, quod per opus hominum habet eaeistentiam ut domus , nec quod
habet partes disgregatas ut populus ..... Alii vero duobus modis dicunt divisionem
sufficientem esse, praedicatione scilicet et continentia secundum naturam. Praedicatione
quidem ........ v. g. animalium aliud est rationale aliud irrationale, haec divisio
est sufficiens praedicatione, quia de quocunque poterit dici ,,istud est animal“, de
eodem statim consequetur, esse vel rationale vel irrationale. Continentia ..... ut tale
sit ezemplum: domus alia pars paries alia tectum alia fundamentum ..... ; accidens
tamen ibi large accipitur pro forma.
192) Abael. Dialect. p. 201 f.: Quae quidem diffinitio ab alia in eo maæime
diversa creditur, quod hanc Aristoteles secundum rerum naturam protulit, illam vero
Plato secundum constructionem nominum dedit ..... Sunt autem, qui quemadmodum
Platonicam diffinitionem nimis lavam vituperant, ita et Aristotelicam nimis strictam
appellant. - -
XIV. Einzelne Controversen. 153
die Kategorie der Lage (situs) zur Qualität zählten 198), oder man
bezweifelte die Berechtigung der Kategorien ubi und quando, da die
selben aus den zur Quantität gehörigen Begriffen des 0rtes und der
Zeit abgeleitet seien und somit z. B. dem Frageworte „qualiter“ völlig
parallel stünden *°*), oder hinwiederum fragte man über die richtige
Unterordnung der Begriffe ,,Tod“ oder „Schlaf** u. dgl. 19°), oder man
stritt über die Auffassung des in den Kategorien mehrfach vorkommen
den magis vel minus, ob nemlich durch die Gradabstufung bloss das Sub
strat oder bloss die Eigenschaft oder beides zugleich berührt werde 196);
auch konnte bei solchen Gelegenheiten die principielle Parteistellung
hervortreten , insoferne die Nominalisten z. B. den Begriff „Gestern“
als ein Nicht-Seiendes bezeichneten 197), oder auch betreffs der Relation
und der Gegensätze ihren Standpunkt geltend machten, während die
realistische Ansicht ihrerseits dasselbe that 19°). Am häufigsten aber
scheint die Kategorie der Quantität besprochen worden zu sein, schon
darum weil dieselbe wieder auf die Fragen über den Theilbegriff (Anm.
193) Ebend. p. 204.: Sunt tamen, qui ,,aequalis et inaequalis, similis et
dissimilis“ inter qualitates contrarias recipiant. p. 208.: Hi vero, qui similitu
dinem potius inter qualitates enumerant, ut magistro nostro V. (s. Anm. 102.) pla
cuit. (Die Quelle dieser Controverse ist Boeth. p. 157. im Vergleiche mit p. 187.)
Ebend. p. 201.: Unus, memini, magister noster erat, qui positionis nomen ad qua
litates quasdam aequivoce detorqueret. Hiezu Anm. 501.
194) Ebend. p. 199.: Videntur autem nec generalissima esse ,,ubi** vel ,,quando“,
e0 quod prima principia non videantur; quae enim ea, alio nascuntur, prima non
videntur principia, sed ipsa quoque principia habent; ubi autem eæ loco, quando
autem eae tempore originem ducunt ..... Solet autem a multis in admirationem ac
quaestionem deduci, cur magis eae loci vel temporis adiacentia praedicamenta innascan
tur, quam eae adhaerentia aliarum specierum sive generum; tam enim bene ,,qualiter“
unius nomen generalissimi videtur sicut ,,ubi** vel ,,quando“, cuius quidem ' species
bene vel male dicerentur sicut ,,quando'' heri vel nudiustertius vel ,,ubi** Romae vel
Antiochiae esse. Die Quelle dieser Controverse ist ausser dem Abschnitte über die
Quantitàt, in welchem ja locus und tempus eine eigene Erörterung fanden (Boeth.
p. 146.), besonders der Commentar des Boethius selbst, p. 190.: „quando“ et
„ubi“ esse non potest, nisi locus ac tempus fuerit.
195) Ebend. p. 402.: Solet autem de morte et vita quaeri, utrum in privatio
nem et habitum an potius in contraria recipiantur. p. 406.: Si in dormiente, in
quiunt, visio esset, videre eum 0p0rteret, si vero caecitas inesset, nunquam amplius
ipsum videre contingeret.
196) Gilb. Porret. de seae princ. c. 8. (bei Arist. 0pp. lat. Venet. 1552, I, f.
34.): Dicitur autem ,,magis et minus suscipere“ tripliciter; aiunt enim quidam se
cundum crementum et diminutionem eorum, quae suscipiunt, subiectorum;• aliter autem
et alii, ipsa quidem, quae suscipiuntur, in suscipiente diminut et crescere, annun
tiant; alii autem secundum utrumque amborum diminutionem et augmenlationem.
197) Abael. Dialect. p. 196.: ,,Heri* rei eæistentis designativum non videtur
...... sed fortasse hi, qui magis in speciebus rerum naturam quam vocabulorum
imp0sitionem attendunt, per „heri“ quandam praesentem adiacentiam designari volunt.
198) Ebend. p. 392.: Qu0d quidem multos in hanc sententiam induacit, ut con
trarium nomen tantum universalium, non etiam singularium, confiterentur, albedinis
quidem et nigredinis, non huius albedinis vel huius nigredinis; sic quoque et rela
tivum et „privatio et habitus“ nomina tantum universalium dicunt; relativa quidem
tantum universalia dicebant eæ relatione constructionis; ,,habitus“ quoque et „privatio“
universalium tantum nomina dicunt, eo quod in individuis non possunt servari.
Ebend. p. 398.: Quidam talem eum (sc. Boethium) divisionem innuisse dicunt, quod
contraria alia sunt genera alia specialissima; specialissima vero sic subdividuntur,
ut eorum alia sub eodem genere, alia sub diversis contrariis ponantur.
154 XIV. Einzelne Controversem.
125 fr.) hinüberführte. Während die Nominalisten die Zahlbegriffe völlig
analog dem Uebrigen auffassten und daher die einzelnen Ἀ, als
Arten bezeichnetem, deren Gattung die Zahl selbst sei 1°°), werneintem
diess ihre Gegner, weil es bei den Zahlen an der zum Art- oder Gat
tungs-Begriffe erforderlichen Wesens-Einheit der Natur fehle, und hier.
mach die Zahlen nur als adjectivische Ausdrücke eines collectiven Wer
fahrens zu bezeichnen seien, welches Letztere man dann auch auf
sämmtliche Momente der Quantität anwendete, insoferne nur die einfa
chen Grundlagen derselben, nemlich die Begriffe des Punktes, des Eins,
des Augenblickes, des Buchstahen, des 0rtes, eine Wesens-Realität
beanspruchen könnten, alles Uebrige aber auf blosse collective Aus
drücke sich reducire 200); auch wurde von Einigen auf den Unterschied
hingewiesen, welcher bezüglich der Theilbarkeit zwischen dem Zeitbe
griffe und dem übrigen continuirlichen Theilbarem bestehe?''').
In der Lehre vom U r t h eile scheint häufig der ganze hauptsäch
liche Inhalt der Logik, soweit derselbe zum blossem Unterrichte der
jüngeren Schüler verwendet wurde, zusammengefasst worden zu sein,
demn man verarbeitele das Buch De interpr. zu Compendien, zu ,,In
troductiones“ oder zu einer „summa artis“, und indem man über die
Theile und Formen des Urtheiles, über Quantität, Qualität, Aequipollenz,
über Conträres und Contradictorisches, über Wahrheit und Falschheit,
über Umkehrung und Modalität der Urtheile u. dgl. Regeln zusammen
stellte, suchte man das aristotelische Buch gleichsam schulgerechter zu
199) Ebend. p. 190.: Hi vero, quibus videtur, in specialibus aut generalibus
vocabulis non solum ea contineri, quae una sunt naturaliter, sed magis ea, quae
substantialiter ab ipsis nominantur, possunt fortasse et ista (nemlich die einzelnem
Zahlbegriffe) species appellare, quum videlicet magis logicam in impositione vocum
sequantur quam physicam in natura rerum investiganda.
200) Ebend. p. 188 f.: Numerum autem collectionem unitatum determinant .....
Unde maæime magisri nostri sententia, memini, confirmabat, binarium ternarium ce
terosque numeros species numeri non esse nec numerum genus eorum, cuius videlicet
res una naturaliter non esset; hae namque duae unitates in hoc homine Romae ha
bitante et in illo qui est Antiochiae, consistunt atque • hunc binarium componunt.
Quomodo una res in natura diceretur aut quomodo ipsae spatio tanto distantes unam
simul specialem seu generalem naturam recipient? Unde potius numeri nomen et bi
narii et ternarii et ceterorum a collectionibus unitatum sumpta dicebant. Ebend. p.
179 f.: Harum autem (sc. quantitatum) aliae sunt simplices aliae compositae; sim
plices vero qùinque dicunt, punctum scilicet, unitatem, instans quod est indivisibile
temporis momentum, elementum quod est voae individua, simplicem locum ..... Has
autem tantum, quae simplices sunt, magistri nostri sententia speciales appellabat
naturas, eo videlicet quod sint unae naturaliter, quae partibus carent; quae vero eae
his sunt compositae, composita individua dicebat nec una naturaliter esse .... magis
que earum nomina sumpta esse a collectionibus quibusdam.
201) Ebend. p. 186.: Cum autem res singulae sua habeant tempora in se ipsis
fundata, sua scilicet momenta, suas horas, suos dies vel menses vel annos, omnes
tamen dies simul evistentes vel menses vel anni pro uno accipiuntur ...... (p. 187.)
In aliis totis totum positum ponit partem et pars destructa perimit totum ....; in
tempore vero e converso est, velut in die; si enim prima est, dies esse dicitur, sed
non convertitur; .... at vero si dies non est, prima non est, sed non convertitur
- - - - - In his itaque totis, quae per unam tantum partem semper eæistunt, illud
quod de inferentia totius et partis Boethius (de diff. top. II, p. 867.) docet, non
admittunt.
XIV. Einzelne Controversen. 155
machen und maneherlei Ergänzungen oder Erweiterumgen beizubringen *°°).
In letzterer Beziehung aber ist uns Nichts näheres überliefert; hingegen
dass hieram sich auch wieder einzelne Controversen knüpftem, ersehen
wir auch aus den beschränkten uns zugänglichem Quellen. So wurden
sehon sogleich über den Begriff der voae significativa (Abschn. XII,
Amm. 109) Schwierigkeiten erhoben, welche bezüglich der Fortpflanzung
des Schalles- sieh so sehr ins Abstruse verstiegem, dass Einige zuletzt
die Luft selbst als das Significante bezeichneten 208). Nicht viel besser
ist die gelegentlich der Einheit der Bezeichnung aufgeworfene Frage,
ob ein Wort auch die Buchstaben, aus welchen es besteht, „bezeichnen“
könne 394). Einflussreielher hingegem mochte es sein, — obwohl uns
weitere Consequenzen nicht überliefert sind —, wenn man beim nomen
eine scharfe Gränze zwischen significare und nominare zog, insoferne
ersteres auf die Allgemeinheit und letzteres auf das Einzelne gehe *°°),
sowie vor Allem, wenn bei der Controverse, ob die Präpositionen und
Conjunctionem gleichfalls ,,bezeichnende“ Worte seien oder gar nicht
zu den Redetheilen gezählt werden dürfen, die Dialektiker in Berührung
202) Joh. Saresb. Metal. lII, 4, p. 130.: Quidquid in isto docetur libro (d. h.
De interpr.), compendiosius et manifestius poterit quilibet doctorum, quod et multi
faciunt, eæcepta reverentia verborum, in doctrinalibus parare rudimentis, quas intro
ductiones vocant ; viæ est enim aliquis, qui haec ipsa non doceat adiectis aliis non
minus necessariis .... Percurrunt itaque, quid nomen, quid verbum, quid oratio,
quae species etus, quae vires enuntiationum, quid eæ quantitate sortiantur aut qua
litate, quae determinate verae sint aut falsae, quae quibus aequipolleant, quae con
sentiant sibi, quae dissentiant, quae praedicata divisim, quae coniunctim praedicentur
aut conversim, et quae non, item quae sit natura modalium, et quae singularium
contradictio ...... p. 131. : Quis enim contentus est iis, quae vel Aristoteles in Peri
ermeniis docet? Quis aliunde conquisita non adiicit? 0mnes enim totius artis sum
mam colligunt et verbis facilibus tradunt. Vgl. untem Amm. 366.
203) Abael. Dial. p. 193.: Quomodo ergo eadem vov simul a diversis audiri
conceditur atque diversorum aures altingere? Sed ad haec quidem diversi diversas
proferunt solutiones. Hi quidem, qui audiri etiam remota volunt, dicunt, vocem
ante os proferentis remanentem essentialiter secundum sensuum discretionem ad aures
diversorum venire. Illi autem, qui audiri nolunt nisi praesentia, hanc in voce phy
sicam considerant, quod, quando lingva nostra aerem percutit sonique formam ipsi
nostrae linguae ictus attribuit, ipse quidem aer, eum ab ore nostro emittitur eæte
rioresque invenit aeres, ipsis etiam, quos reverberat, consúmilem soni formam attri
buit, illeque fortassis aliis , qui ad aures diversorum perveniunt. p. 190.: Nostri
tamen, memini, sententia magistri ipsum tantum aerem proprie audiri ac sonare ac
significare volebat. Vgl. unten Anm. 499.
204) Ebend. p. 488.: Totum constat eae suis partibus, voae eae suis non con
stituitur significationibus, et fit quidem divisio totius in partes , vocis vero non in
significationes. Nam etsi hoc in quibusdam vocibus contingat, ut scilicet eae suis
iungantur signifieationibus, ut hoc vocabulum quod est ,,ens'* eae litteris suis, quus,
etiam significat, non tamen id ad naturam vocis , sed totius referendum est; in eo
enim quod ea, eis constat, totum est earum, non eas significans. Est etiam et alia
quorundam solutio, ut scilicet concedant, nullam vocem coniungi eae significationibus
diversis, ad quas videlicet diversas impositiones secundum aequivocationem habeat;
neque enim ,,ens** ad quaelibet plura dicunt aequivocum, sed tantum ad diversorum
substantias praedicatorum, unde de litteris, quae in eodem clauduntur praedicamento,
aequivoce non dicitur.
205) Joh. Saresb. Metal. lI, 20, p. 100.: Quod fere in omnium ore celebre est,
aliud scilicet esse quod appellativa significant et aliud esse quod nominant; nomi
nantur singularia, sed universalia significantur.
156 XIV. Einzelme Controversen.
mit den Grammatikern kamen, unter welchen die Einen einseitig für
Letzteres sieh entschieden, Andere aber auch die Interessen der Logik
berücksichtigtem und hiedurch eine Wereinbarung ermöglichten, wornach
für jene Redetheile (etwa ähnlich wie bei dem Werfasser De gen. et
spec., s. Anm. 174) ihr späterer Eintritt in die I.ogik wenigstens vor
bereitet werden konnte *""); gleichfalls einem Einflusse der Grammatik
(möglicher Weise durch Bernhard v. Chartres, s. Anm. 89) kann die
Termimologie zugeschrieben werden , wormach man Urtheile, wie z. B.
„Mensch ist ein Substantivum“ als „materialiter imposita“ oder als Ur
theile „de significante et significato“ bezeichnete *"). An der Frage
über das Wesem der Affirmation und Negation konnte wieder der Par
tei-Gegensatz hervortretem, indem die Einen sich an die Sprachform, .
Andere an die Begriffe, Andere an die objective Realität hielten 208).
Auch bei manchen einzelnem Punkten, welche im Commentare des Boe
thius sich erörtert famdem, entschied man sich bald für bald gegem die
Auctorität desselben, so z. B. betreffs der Einheit des Urtheiles 209),
oder bezüglich der Zerlegung des Verhums in die Copula und ein Parti
cipium *1°), oder hei den Urtheilen, in welchen das „est“ nicht die
206) Abael. Dialect. p. 216.: Praepositiones et coniunctiones de rebus eorum,
quibus apponuntur, quosdam intellectus facere videntur, atque in hoc imperfecta
earum significatio dicilur, quod .... ipsa qu0que res, de qua intellectus habetur, in
huiusmodi dictionibus non tenetur sicut in nominibus et verbis, quae simul et res
demonstrant ..... Unde certa apud grammaticos de praepositionibus sefìtentia eaestitit,
vt res quoque eorum, quorum vocabulis apponuntur, ipsae designarent ..... Unde
illa quorundam dialecticorum sententia potior videtur, quam grammaticorum opinio,
quae omnino a partibus orationis huiusmodi voces , quas significativas esse per se
non iudicavit, divisit ac magis ea quaedam supplementa ac colligamenta (s. Abschn.
XII, Anm. 43, 60. u. 111.) partium orationis esse dicit ..... (p. 217.) Sunt etiam
nonnulli, qui omnin0 a significativis huiusmodi dictiones removisse dialecticos ad
struamt.
207) Joh. Saresb. Metal. III, 5, p. 137.: Interdum tamen dictionem rem esse
contingit, quum idem serm0 ad agendum de se assumitur, ut in iis, quae prae
ceptores nostri materialiter dicebant imposita et dicibilia, qugle est ,,homo est no
men, currit est verbum.“ Abael. Dial. p. 248.: Quidam tamen transitivam gramma
ticam in quibusdam pr0p0sitionibus esse volunt, qui quidem propositionum alias de
consignificantibus vocibus, .alias ver0 de significante et significato fieri dicunt, ut sunt
illae, quae de ipsis vocibus nomina sua enuntiant hoc modo ,,homo est nomen vel
vov vel disyllabum“. Vgl. Anm. 618.
208) Abael. Dialect. p. 404.: Quidam autem per ,,iacere sub affirmatione et
negatione** finitum et infinitum vocabulum accipiunt, ut ,, sedet, non sedet**; quidam
vero inlellectus ab affirmatione et negatione generatos (s. Anm. 175.); sed nos potius
ea, quae ab affirmatione et negatione dicuntur accipimus, essentias scilicet rerum,
de quibus per affirmationem et negationem agitur. Nicht recht verständlich aber
ist Joh. Sar. Metal. II, 11, p. 81.: eaepedit dialectica quaestiones, quale est, an
affirmare sit enuntiare (umgekehrt an enuntiare sit affirmare hätte eher einen er
denklichen Simn), et an simul, eaestare possit contradictio.'
209) Abael. Dial. p. 298.: Sunt autem, qui adstruant, diversa accidentia unam
, enuntiationem facere, cum talia sumuntur, quae ad diversa referuntur, veluti si
dicatur ,,homo citharoedus bonus“ (s. Boeth. p. 419.).
210) Ebend. p. 219.: Idem dicit ,,homo ambulat**, quantum proponit ,,homo
est ambulans“ (Boeth. p. 429.). Sed ad hoc, memini, magister nosler V. opponere
solet: si, inquit, verbum propriam significationem inhaerere dicit, verum autem sit,
eam inhaerere , profecto ipsum verum dicit ac sensum propositionis perficit.
XlV. ' Einzelne Gontroversen. 157
factische Existenz des Subjectes involvirt *!!), oder bei der Frage über
das Quantitätsverhältniss zwischen Subject und Prädicat ***), woram
sich auch grammatische Spitzfindigkeiten anknüpfen konnten *'°). Ja
auch jene richtige Wervollständigung, welche die aristotelische Schrift
De interpr. durch Boethius in den Angaben über das „unbestimmte Ur
theil“ gefunden hatte (Abschn. XII, Anm. 115), wurde von den Einen
gerechlfertigt, von Anderen aber verworfen, unter welch letzteren uns
ein Magister „W.“, welcher „Glossulae super Periermenias“ schrieb, ge
nannt wird 21*). Bezüglich der modalen Urtheile, — s. Abschn. XII,
Anm. . 119, die Terminologie „modalis“ erscheint num als wöllig reci
pirt —, ist es wahrlich eine eigenlhümliche Auffassung, wenn Einige
dieselben derartig von den nicht-modalen ableiteten, dass nicht der that
sächliche lnhalt, sondern der Sinn der Aussage dureh die Worte „mög
licherweise“ oder „nothwendigerweise“ modificirt werde, oder wenn
Andere sagten, die Möglichkeit oder die Nothwendigkeit selbst seien in
solchen Urtheilen das Prädicat ***); auch war der Unterschied zwischen
211) Ebend. p. 223 f.: Unde quidam, cum dicitur Homero quoque defuncto
,,Homerus est poeta** (Boeth. p. 423.) ..... ,,esse** quoque, quod interponitur, in
designatione non eæistentium volunt accipi .... Nostri vero sententia magistri non
secundum verbum accidentalem dicebat praedicati0nem, sed secundum totius construc
tionis significaturam et impropriam locutionem ..... Sed quaerilur in illa significaliva
locutione ,,Homerus est poeta“, cuius nomen ,, Homerus“ aut ,,poeta** accipiatur;
at vero, si hominis, falsa est enuntiatio e0 defuncto, si vero poematis, .... est nova
vocis aequivocatio.
212) Ebend. p. 247.: In his autem .quae secundum accidens praedicantur nec
totam subiecti sul)stantiam continent, sed in parte tantum subiectum attingunt (Boeth.
p. 263.), .... non est necesse, praedicatum vel maius esse subiecto vel aequale,
veluti cum dicitur ,,animal est homo** vel ,, quiddam animal est homo** (vgl. Boeth.
p. 562.). Quamvis tamen et hic quidam concedunt, animal quod subiicitur non esse
maius homine, dicunt enim, quia animal, quod homo est, ibi subiicitur, quod non
est maius h0mine.
213) Joh. Saresb. Metal. II, 20, p. 101.: Quia ,,omnis homo diligit se*', quodsi
eæ relativae dictionis proprietate discutias, incongrue dictum forte causaberis et fal
sum, siquidem ..... sive collective sive distributive accipiatur, quod dictum est
,,0mnis“ pronomen relativum, ,,se“ qu0d subiungitur nec universilati singulorum
nec alicui omnium veraciter aptetur. Est igitur licentiosa relatio .... (p. 102.) unde
eae sententia eorum, qui angustiis et subtilitatibus semper insistunt nec bonae fidei
rationem in colloquiis aut leclionibus curant, haec potius enuntiationis forma est,
quam regwlaris formae enuntiatio.
214) Abael. Dialect. p. 225.: De orationibus vero infinitis quare hoc loco Ari
stoteles mentionem non fecerit, solet quaeri ... Alii itaque Aristotelem simplicis
enuntiationis constitutionem demonstrasse hoc loco volunt, alii vero nullo modo ora
tionem infinitari (dieses Wort begegnet uns hier zum ersten Male) concedunt, qui
bus, memini, magister noster V. assentiebat; nec quidem id tam secundum senten
tiam negabat, quam secundum constructionis maturam, cuius quidem invalidam de
coniunctione dictionum calumniam in Glossulis eius super Periermenias invenies.
215) Ebend. p. 267.: Restat, qualiter modales propositiones eae simplicibus
descendere confiteamur; est autem magistri nostri sententia, eas ita ea, simplicibus
descendere, quod de sensu earum agant, ut, cum dicimus ,,possibile est Socratem
currere vel necesse“, id dicamus, quod ,,possibile est vel necesse, quod dicit ista
pr0p0sitio: Socrates currit“. Ebend. p. 273.: Haec enim ,,quendam hominem non
est possibile esse album** secundum magistri praedictam eæpositionem, quae de sensu
simplicis agit, sic ,,non est possibile, quod dicit haec propositio : quidam homo est
albus**. Ebend. p. 277.: Quidam aiunt, per possibile possibilitatem praedicari, per
158 XIV. , Einzelme Controversem.
possibile und contingens offenbar ebensosehr ein Gegenstand von Con
troversen gewordem *'°), wie andrerseits die Aequipollenz der modalen
Urtheile ?17), oder wenn Boethius bei der Unterordnung des disjunctiven
Urtheiles unter das hypothetische (Abschn. XII, Anm. 141) nur die
Form ,,Aut A est aut B est“ im Auge gehabt hatte, so wollten nun
Einige diess durch eine syntaktische Reduction auch auf die Form ,,A
est aut B aut C* ausgedehnt wissen *!*).
Aus dem Bereiche der Syllogis t ik dürfen wir . von vorneherein
keine derartige Controversen-Litteralur erwarten, denn die betreffendem
Compendien des Boethius sind gleichsam blosse schulmässige Formulare,
welche keine Gelegenheit zu Meinungsverschiedenheitem darbieten, die
aristotelische Analytik hingegen wurde, wie wir sahen (Amm. 8—34),
eben damals erst allmälig bekannt und ermangelte selbst dann noch
einer solchen commentirenden Zurichtung, wie sie für die anderen
Theile der Logik längst vorhandem gewesen war. Doch findet sich
wenigstens bei Johannes v. Salesbury eine Noliz, wornach jene äusserst
schwierige Stelle der ersten Analytik betreffs der Umkehrung modaler
Urtheile (Abschn. IV, Anm.: 246) zu besonderer Erwägung gekommen
zu sein scheint, insoferne man die dortigen Begriffe der Naturbestimmt
heit, des Möglichen und des Nicht-stattfindens durch eine eigene Ter
minologie (materia naturalis, contingens, remota) zu bezeiehnen für
nöthig fand *1°). Aus derselben Quelle erfahren wir auch, dass die aus
modalem Urtheilen bestehenden Syllogismen, welche bereits Abälard ge
kannt hatte (Amm. 17), nun sowohl bei den Theologen als auch * in den
Schulen der Dialektik häufig in Anwendung gebracht wurdem **°). Ein
necesse necessitatem, ut, cum dicimus ,,p0ssibile est Socratem esse vel necesse**,
possibilitatem aut necessitatem ei attribuamus.
216) Joh, Sar. Metal. IV, 4, p. 161.: ,,Contingens“, cuius latissimus usus,
quo ,,possibili** aequabatur (s. Abschn. XII, Anm. 119.), in communi modernorum
usu parietes scholarum nusquam egreditur.
217) Abael. Dial. p. 275.: Quidam in his propositionibus (Abschn. XII, Anm.
122.) ..... dicunt, qu0d si p0ssibile est vel necesse est, Socralem non esse equum,
possibile est vel necesse est, esse non equum .... ln universalibus non ita concedunt,
ut videlicet [tantundem valeat ,,n0n** ad ,,esse“ praep0situm, quantum id, quod
,,esse** copulat comp0situm.
218) Ebend. p. 442.: Sunt tamen quidam, qui nec discretionem ullam inter
categoricam et hypotheticam in disiunctione c0mp0sitas habent, sed idem dicunt pro
poni, cum dicitur ,,Socrates est vel sanus vel aeger“, et cum dicitur ,,aut Socrates
est sanus aut aeger“, ut scilicet omnis enuntiatio, quae disiunctas recipit coniunc
tiones, hypothetica credatur; volunt itaque semper in huiusmodi categoricis, quae
disiunctiones recipiunt, hypotheticae sensum intelligi, .... veluti cum dicitur ,,Socrates
est sanus vel aeger“, tale est ac si dicatur ,,aut Socrates est sanus aut Socrates
est aeger“.
219) Joh. Sar. Metal. IV, 4, p. 160, woselbst in einer Inhalts-Uebersicht
der ersten Analytik auch Folgendes vorkömmt: quid in toto esse aul non esse;
quas propositiones ad usum syllogizandi converti contingat et quas non; quidve ob
tineat in his, quae modernorum (s. Anm. 55.) usu dicuntur esse de naturali mate- '
ria aut contingenti aut remota; quibus praemissis trium figurarum subnectit ra
tiomes etc.
220) Ebend.: Deinde habita modalium ratione transit ad commiacliones quae de
necessario sunt aut contingenli cum his, quae sunt de inesse .... Eaepositores vero
divinae paginae rationem m0d0rum pernecessariam : esse dicunt .... Est, enim modus,
. . . XIV. Einzelne CQntroversen. , , 159
Ę einmal erwähnter Fangschluss. beziiglich der Möglichkeit
es Künftigen ist aus Cicero nachgebildet**').
Dass hingegen wieder die T opik sich einer ausgedehnteren und
mannigfaltigerem Bearbeitung zu erfreuen hatte, geht schon im Allge
meinen aus dem Werke Abälard's hervor, welcher bei den einzelnen
Topen sich so äussert, dass er überall schon eine bestimmte Anzahl
formulirter ,,Regeln“ vorgefunden haben muss, in welehe man in den
Schulen die Angaben des Boethius (De diff. top.) redigirt hatte ***);
auch versuchten von jener Zeit an, in welcher die aristotelische Topik
wieder hervorgezogen wurde (ob. Anm. 28 f.) in der That Einige eine
Bereicherung dieses Zweiges der Dialektik durch Auffindung neuer Topen
und neuer „Regeln*****), zugleich aber mochte sich auch eine richtige
Einsicht über die Stellung und Bedeutung der Topik verbreiten ***).
Doch blickten auch hier die allgemeinen Differenzen des Standpunktes
durch, wenn die Einen einseitig mehr die einzelnen Begriffe abgesehen
vom Sprachausdrucke *°°), Andere aber mur die inmere Nothwendigkeit
der Abfolge in der Argumentation betonten **"), wieder Andere hin
gegen gerade die subjective Wahrscheinlichkeit berücksichtigt wissem
wolften **"). Sodann aber knüpften sich mannigfache Controversen auch
am einzelne Topen oder Regeln an ***).
wt aiunt, quasi quidam medius habitus terminorum (vgl. Abschn. XII, Anm. 150).
Et profecto licet nullus modos omnes, unde modales dicuntur, singulatim enumerare
sufficiat, quod quidem nec ars eæigit (s. ebend. Anm. 163.), tamen magistri scho
larum inde commodissime disputant. Vgl. unten Anm. 623.
221) Ebend. Polycr. lI, 23, p. 125.: Restat tibi illius Stoici tui quaestio ....
Quaerebat enim, an posses aliquid facere eorum, quae minime facturus es etc. Vgl.
Abschn. VI, Anm. 136. u. 164.
222) Abael. Dialect. z. B. p. 334. (sunt igitur quatuor huius inferentiae regu
lae), p. 353. (regulae antecedentis et consequentis), p. 375. (regulae ab interpreta
tione), p. 376. (tres autem regulas a genere in usum duaeimus) u. s. f. durch die
ganze Topik hindurch. - -
223) Joh. Sar. Metal. III, 9, p. 145.: Non omnes tamen locos huic operi (d.
h, Boeth. de diff. top.) insert0s arbitror, quia nec potuerunt, quum et a modernis
huius praeeunte beneficio aeque necessarios evidentius quotidie doceri conspiciam.
Ebend. 6, p. 138.: Non tamen huic operi (d. h. der aristotelischen Topik) tantum
tribuo, ut inanem reputem operam modernorum, qui equidem nascentes et convales
centes ab Aristotele inventis eius multas adiiciunt rationes et regulas prioribus aeque
firmas.
224) Ebend. 5, p. 134.: scientia Topicorum ..... ea, opinione mullorum dia
lectico et oratori principaliter facit.
225) Abael. Dialect. p. 426.: Dicuntur in argumentis ea, quae a propositionibus
ipsis significantur, ipsi quidem intellectus, ut quibusdam placet, quorum conceptio
sine etiam vocis prolatione ad concessionem alterius ipsum cogit dubitantem.
226) Ebend. p. 427.: Sunt autem, memini, qui verbis auctoritatis nimis ad
haerentes omne necessarium argumentum in se ips0 necessarium dici velint.
227) Ebend. p. 335.: Sunt autem quidam, qui non solum necessarias conse
cutiones, sed quaslibet quoque probabiles veras esse fateantur; dicunt enim, veri
tatem hypotheticae propositionis modo in necessitate modo in sola probabilitate con
sistere, in qua quidem sententia magistrum etiam nostrum deprehensum doleo .....
(p. 336.) dicunt tamen, quia omne quod probabile est, verum est, saltem secundum
eum, cui est probabile.
228) So wollten Einige zu den maæimae proposiliones (Abschn. XII, Anm, 165)
auch dié Hauptregeln des kategorischen Urtheiles beigezählt, wissen (Abael. Dial.
p. 539 f.), Andere dieselben noch weiter ausdehnen (ebend. p. 366.), oder mam
160 XIV. Einzelne Controversen. Ahálard.
Bedenken wir aber nun, dass fast Sämmtliches, was wir bisher
vorzuführen hatten, nur aus zwei Schriftstellern, nemlich aus Abälard
und Johannes von Salesbury, von welchen uns zufällig grössere Werke
erhaltem sind, entmommen werden musste, und daher bei reicherem
Quellenstoffe wir jedenfalls noch weit Mehreres kennen lernen würden,
sowie auch dass jede der angeführten Einzelheiten seitens ihres Wer
treters auf einen Betrieb des gesammten Umkreises der damaligen Logik
zurückschliessen lässt, so werden wir, was die Extension der logischen
Thätigkeit jener Zeit, namentlich in Frankreich, betrifft, unsere Wor
stellung kaum hoch genug spannen können. Anders allerdings mag es
sich, gleichsam zur Bekräftigung einer bekannten allgemeinen Wahr
nehmung, mit dem Momente der Intension verhalten, denn wirkliche
Selbstständigkeit, geschweige denn eine philosophische Auffassung, be
gegnete uns nirgends. Sowie das Mittelalter überhaupt von dem äusser
lich aufgedrungemen Materiale einer Tradition abhängig war und hlieb,
so giengem auch die zahlreichen Controversen der Logik nicht von einem
inmeren Impulse aus, sondern beruhen auf einer vom Aussen durch den
Stoff der Schultradition gegebemen Anregung, auf welche sie gleichsam
warten mussten, um überhaupt zum Worscheine zu kommen. So mussten
wir ja auch die Vertreter der hervorragendsten Partei-Ansichten ihres
Ruhmes entkleiden, als hätten sie von sich selbst aus Bahn gebrochen;
denn irgend vereinzelte und herausgerissene Stellen des Boethius, auf
welche man sich eben warf, zeigten sich uns (Anm. 105, 129, 134,
170) als die Ausgangspunkte, nach welchen dann das Uebrige gereckt
und gestreekt wurde. Und wenn unter unseren Händen vielleicht auch
Abälard einem ähnlichen Schicksale nicht entgeht (Anm. 286), so ist
diess nicht unsere Schuld, sondern liegt in der geschichtlichen Wahr
heit als solcher begründet.
Eben jene Erwägung, dass in jener Zeit einerseits eine sehr grosse
Menge von Lehrern sich mit dem überlieferten Stoffe der Logik bis in
das eifizelste Detail hinab beschäftigte, und andrerseits eben durch die
traditionelle Litteratur alle derartigen Erzeugnisse bedingt und geführt
warem, müsste uns schon von vorneherein in unserem Urtheile über
A h à la r d (geb. 1079, gest. 1142) zur Worsicht auffordern, und in der
That auch wird uiis die nähere* Einsichtnahme seiner Leistungen im
Zusammenhalte mit jenen seiner Zeitgenossen vor einer allzu grossen
Ueberschätzung desselben bewahren *°°). Während wir nemlich bezüg
verlegte das antecedens und consequens in die einzelnen Glieder des Schlusses
(ebend. p. 353 f.), oder man beschränkte den locus a praedicato bloss auf kate
gorisch-hypothetische Urtheile (p. 381.), während Andere ihn mur als Beweisgrund
des locus a genere gelten liessen (p. 384.); auch wurde über letzteren Topus
selbst wieder mannigfach gestritten , ob er unbedingt gelte (p. 378.) oder nmr
causal zu verstehen sei (p. 386.), und ähnliche Controversen betrafen den locus
ab efficiente, bei welchem Theologisches mitspielte (p. 413.) oder den locus ab
interpretatione, in wie weit derselbe mit etymologia zusammentreffe (p. 375.).
229) Insbesondere scheinen die französischen Gelehrten zu einer Ueberschätzung
ihres Landsmannes geneigt zu sein, worin es ihnen unter den Deutschen Schlosser
zum mindesten gleichthut. Das umfassende Werk von Charles de Rémusat, Abé
lard (Paris 1845) 2 Bände, ist im biographischen Theile das Beste, was wir in
der neueren Litteratur über Abàlard besitzen, hingegen treten bei Entwicklung der
XIV. Abälard, 161
lich der Ethik in Abälard mil Freudem einem Ketzer seimer Zeit eri»lickem
umd amerkemnem, seine theologischen Werdienste aber der Geschichte
der Theologie überlassem müssem, wird sich ums zeigen, dass er auf
dem Gebiete der Logik nicht sellostständiger sich bethätigte als vielleicht
hundert Andere in jemer Zeit *°"). Allerdings besass ér eine grosse
Lebhaftigkeit des Geistes und vor Allem eine ausserordemtliche Gewandt
heit in rhetorischer Darstellung, er warf sich, sowie auf Alles, was
er ergriff, so aueh auf die Dialektik mit passionirtem Eifer, und trat
sofort als äusserst anregender Lehrer auf**'); auf Leichtigkeit des Wer
ständnisses war dabei sein hauptsächliches Augenmerk gerichtet, indem
er auch im der Wahl des Stoffes sich dem Ansprüchen der Schüler an
bequemte ***), und es ist erklärlich, dass er darum mehrfach aufge
fordert wurde, seine logische Lehrgabe zum Nutzen Anderer zu be
thätigem °°°). Aber mur dieser seiner formellem Virtuosität verdankt er
Lehre die geschichtlichen Worausselzungem, welche in dem allgemeinem Bestrebungen
jener Zeit lagen, vielleicht zu sehr gegen die persönlichem Werdienste Abàlard's in
dem Hintergrund, wozu bezüglich der Dialektik noch der schon oben (Anm. 49,
vgl. 148) gerügte Uebelstand hinzukömmt. Die Darstellung, welche Abàlard bei
H. Ritter (Gesch. d. Phil. VII, p. 406 ff.) gefundem hat, müssem wir unumwnnden
als eine misslungene bezeichnen. -
230) Es kann nicht oft genug daram erinnert werdem, dass unsere ganze Un
tersuchnng lediglich von dem quantitativem Maasse nnseres Quellem-Materiales be
dingt ist. Und hierin besteht zwischem Abàlard umd dem übrigen Dialektikern seiner
Zeit mur der Unterschied, dass vom Ersterem zufälliger Weise uns sehr Wieles er
haltem ist, wornach wir bei ihm im Stande sind, seinen Grundgedanken in reicherer
Gliederung zu erkennem und durchzuführem, was bei Letzterem mns unmöglich ist.
Aber diesem unserer Darstellung günstigen Wortheil in einem objectiven Worzug Abà
lard's . umzusetzen, müssem wir uns hùtem.
231) Dass er eim Schüler des Roscellimus, aber auch des Wilhelm von Cham
peaux war und ausserdem bei allen übrigem hervorragenden Lehrern Anregung
suchte umd famd, s. vor. Abschn. Amm. 314. u. in diesem Abschn. Amm. 102. u.
104. Won seinem Auftreten als Lehrer erzählt er selbst, Epist. 1, c. 2, p. 4.
(Amboes.): Perveni tandem Parisios .... Faclum tandem est, ut supra vires aetatis
meae de ingenio meo praesumens ad scholarum regimen adolescentulus adspirarem et
locum, in qu0 id agerem, providerem, insigne videlicet tunc temporis Meliduni castrum
et Sedem Regiam ..... (p. 5.) Ab hoc autem scholarum nostrarum eaeordio ita in arte
dialectica nomen meum dilatari coepit, ut non solum condiscipulorum meorum, verum
etiam ipsius magistri (d. h. Guilelmi Campellensis) fama contracta paullatim eaestin
gueretur ..... (p. 6.) Tunc ego Melidunum reversus scholas ibi nostras, sicut antea,
constitui ..... Meliduno Parisios redii, ... eaetra civitatem in monte S. Genovefae scho
larum nostrarum castra posui.
232) Joh. Saresb. Metal. III, 1, p. 116 (ed. Giles): Sic omnem librum legi
oportet, ut quam facillime potest eorum, quae scribuntur, habeatur cognitio; non
enim occasio quaerenda est ingerendae difficultatis, sed ubique facilitas generanda.
Quem morem secutum recolo Peripateticum Palatinum ; inde est, ut opinor, quod se
ad puerilem de generibus et speciebus, ut pace suorum loquar, inclinavit opinionem,
malens instruere et promovere suos in puerilibus, quam in gravitate philosophorum
esse obscurior; faciebat enim studiosissime, quod in omnibus praecipit fieri Augu
stinus , i. e. rerum intellectui serviebat.
233) Abael. Introd. ad theol. I, Prol. p. 974. (Amboes.): Ad has itaque con
troversias dissolvendas cum me sufficere arbitrarentur, quem quasi ab ipsis incuna
bulis in philosophiae studiis ac praecipue dialecticae, quae omnium magistra rationum
videtur, conversatum sciant atque eæperimento, ut aiunt, didicerint, unanimiter postu
lant, ne talentum mihi a domino commissum multiplicare differam. Epist. 1, c. 2,
p. 5.: Non multo autem interiecto tempore ea, imm0derata studii afflictione cor
P R A N T I., Gesch. II. 1 1
162 XIV. Abälard.
den Beimamen ,,Peripateticus Palatinus“, denn einerseits galten seinem
Zeitgenossem die Worte ,,Peripatetiker“ und „Logiker“ als synonym, da
man ja von Aristoteles überhaupt ausser dem 0rganon Niehts kannte,
und es bezeichnet jener Ausdruck nur eine sehr einlässliche oder be
sonders wirksame Beschäftigung mit diesen aristotelischem Sehriften ***),
ohne dass mam dabei etwa am eime volle Durchführung des aristoteli
schen Principes dachte ; andrerseits aber hat Abälard selbst wobl einem
glücklichem Fund. gemacht, wornach er an Eine bei Boethius vorliegende
Stelle die Berechtigung der aristotelischen Lehre vom Urtheile anknüpfen
konnte; hingegem stellt er sich darum durchaus nicht auf das Prineip .
des Aristotelismus, sondern versteht die 0ntologie schlechthin nur uach
dem Sinne Plato's. Ja noeh mehr ; in Abälard zeigt sich uns die ganze
Unklarheit, welche dem damaligen Mittelalter in allem eigentlich princi
piellen Fragen anklebt, gleichsam als eine in, rhetorischer gewandter
Form verkörperte, denn er bietet uns das merkwürdige Schauspiel dar,
dass er in Eimem Athemzuge christlicher Trinitäts-Theologe und meta
physischer Platoniker und logischer Aristoteliker und dazu noch rheto
rischer Ciceronianer ist, eine haarsträubende Mischung, welche natürlich
von seinen Zeitgenossen nicht als etwas Monströses erkannt, sondern
im Gegentheile zu seinem grössten Ruhme gewendet wurde *°°).
Won der schriftstellerischen Thätigkeit Abälard's, soweit dieselbe
dem Gebiete der Logik angehört, war früher nur die ,,Invectiva in
quendam ignarum dialectices“ zugänglich *°°), „bis in ueuerer Zeit be
kanntlich Cousin siel, das Verdienst erwarb , aus Pariser Handschriftem
nicht bloss ein grösseres die gesammte Logik umfassendes Werk Abä
lard's, welchem er den Titel „Dialectica“ gab , sondern auch mehrere
Commentare desselben, nemlich Glossae in Porphyrium, Glossae in
Categorias, Gl. in libr. de interpr., Gl. in Topica Boethii, zu veröffent.
lichen **"); hiezu kam noch durch Rémusat die Hinweisung auf einen
zweitem Commentar zur Isagoge, die „Glossulae super Porphyrium“,
welclie bezüglicl einiger Punkte zu dem Wichtigsten gehören ***).
reptus infirmitale coactus sum repatriare, et per annos aliquot a Francia quasi re
motus quaerebar ardentius ab iis, quos dialectica sollicitabat doctrina.
234) Joh. Saresb. a. a. 0. I, 5, p. 21.: Peripateticus Palatinus, qui logicae
opinionem praeripuit omnibus c0etaneis suis adeo, ut solus Aristotelis crederetur
usus colloquio.
235) In der vom Petrus Venerabilis verfasstem Grabschrift Abalard's (bei Abael.
0pp. ed. Amboes. p. 342.) kommen folgende Worte vor: Gallorum Socrates, Plato
maæimus Hesperiarum, Noster Aristoteles , logicis, quicunque fuerunt, Aut par aut
nelior ..... Ad Christi veram transivit philosophiam ; in einem anderen von Raw
linson gefundenen Epitapbium (bei Rémusat a. a. 0. I, p. 271.) heisst es: Plangit
Aristotelem sibi logica nuper ademptum, Et plangit Socratem sibi moerens ethica
demptum, Physica Platonem, facundia sic Ciceronem.
236) Abael. 0pp. ed. Amboesius (Paris. 1616. 4), p. 238 ff.
237) 0uvrages inédits d'Abelard, publiés par V. Cousin. Paris 1836. 4, wo
selbst die Dialectica p. 173—497. (mehrere Partien jedoch nur im Auszuge abge
druckt), die Glossem p. 551—610. Ein nicht zu billigendes Werfahren aber ist
es, dass Cousin zu den einzelnen Theilem der Dialektik eigenmächtig Titel-Ueber
schriften schuf, welche den Leser eher verwirren als unterstützen; das Richtige
hierüber s. untem Anm. 272 ff. -
238) Aboelard, par Ch. de Rémusat II, p. 97 ff. Je bedeutsamer aber das
XIV. Abälard. 163
Verlorem hingegen ist eine für den erstem dialektischem Unterricht der
Anfänger verfasste Sehrift, welche von Abälard selbst mehrmals citirt
wird und (im Zusammenhange mit einer überwiegenden Betonung der
Topik) die Ueberschrift „De loco et argumentatione* gehabt zu haben
scheint ***); dieses nemliche Werk ist es jedenfalls, welches an zwei
anderen Stellen unter einem bis zur Unkenntlichkeil verschriebenem
Namen genannt wird **"). Wenn er ferner wieder anderwärts sich so
ausdrückt, als habe er unter dem Titel „Grammatica“ noch eine aber
malige Umarbeitung der Kategorienlehre verfassi *4!), so scheint es
wenigstens nicht unmöglich zu sein, dass er an grammatischen Begriffem
die logische Seite erörterte, demn sowie wir schon oben (Amm. 206 f.)
ein gewisses lneinandergreifen beider Disciplinem trafen, so wird auch
bei Abälard selbst mehrfach eine Rücksicht auf Prisciamus genommen
(s. untem Anm. 250, 263 u. bes. 272). -
Abälard steht als Theologe vollständig auf dem mittelalterlichem
Standpunkte bezüglich der Werthschätzung der Dialektik. Mit Berufung
auf jenem so häufig angeführtem Ausspruch Augustin's ***) gesteht er
dort Mitgetheilte gerade für die logische Parteifrage ist, desto mehr müssem wir
es beklagen, dass Rémusat (mit einer einzigen Ausnahme) nicht den lateinischen
0riginaltext der von Ravaisson gefundenen Handschrift abdrucken- liess, sondern
eine fränzösische Paraphrase der Hauptstellen in seinem darstellendem Text ver
flocht, wornach bei Manchem ein Zweifel entsteht, wie viel davon auf Rechnung
Rémusal's zu setzen sei. Die gelehrte Mitwelt hätte in solchen Fällen wohl einen
gerechten Anspruch auf genaue quellenmässige Angaben.
239) Dialect. p. 254.: Quae autem invicem contrariae propositiones vel contra
dictoriae, quae eliam subalternae vel subcontrariae dicantur, aut quas ad invicem
inferenlius vel differentias qualesque c0nversiones habeant, in his introductionibus
diligenlius patefecimus, quas ad tenerorum dialecticorum eruditionem conscripsimus.
Ebend. p. 305.: diffinitionem syllogismi Boethius .... commemorat ac diligenter .sin
gulas eæpediendo differentias pertractat, sicut in illa altercatione ,,de loco et argu
mentalione** monstravimus, quam ad simplicem dialecticorum institutionem conscripsi
mus. Ebend. p. 332.: Nom est autem praetermittenda ad cognitionem loci differentiae
doctrina intr0ducti0num nostrarum, quas ad primam tenerorum introductionem con
scripsimus. Ebend. p. 366.: determinationes ..... quae a quibusdam maæimis pro
positionibus apponuntur superflue (s. Anm. 228.), ... quas quidem in his introduc
tionibus, quas ad parvulorum inslitutionem conscripsimus, nos posuisse meminimus.
Ebend. p. 381.: Nunc autem l0c0s a praedicat0 vel subiecto tractemus, quos quidem
multi in his tantum consequentiis assignant, quae eæ calegorica et hypothelica iun
guntur (s. ebend.), sicut in introductionibus parvulorum ostendimus.
240) Ebend. p. 308.: Sed de his quidem (sc. propositionibus in syllogismo)
quae utroque termino participant, in secundo poicherii (Cousim vermuthet enchiridii)
nostri satis dictum esse arbitror. Ebend. p. 424. : Huius autem argumentationis
sophisticae solutionem primus fantasiarum (C. schreibt sofort introductionum) nostra
rum liber plene continet.
241) Introd. ad theol. III, p. 1125 (Amboes.): Qu0d autem nec loco moveri
possit, qui spiritus est, tam phil0s0ph0rum quam sanctorum assertione docemur,
sicut de quantitate tractantes ostendimus, cum grammaticam scriberemus. Theol.
christ. IV, p. 1341 (b. Martene, Thes. Anecd. W.): Res omnino recte dici non potest,
quae in se veram non habet entiam, ut sit in se una res numero a ceteris omnibus,
quae ipsa non sunt, rebus entialiter discreta (s. untem Amm. 304.); sed de hoc
diligentem, ut arbitror, tractatum in retractatione praedicamentorum nostra continet
grammatica. -
242) Introd. ad theol. II, p. 1047.: Adeo dialecticam commendare ausus est
(sc. Augustinus), ut eam solam scientiam esse profiteri videatur, cum eam solam
1 1 *
164 XIV. Abälard.
\
die Nothwemdigkeit einer Disciplim zu, welehe im Interesse der Beweis
führung auch die Kenntniss der Sophistik in sich sehliesst***), ja in
solchem Sinne empfiehlt er sogar, auf eine aristotelische Stelle ver
weisemd, den Zweifel ***), aber als das Entscheidemde gilt auch ihm
(vgl. vor. Abschn., Anm. 17 f.) die Gesinnung, in welcher die Dialektik
praktisch ausgeübt wird, indem mur der Missbrauch logischer Gewandt
heit verwerflich ist **°). Kurz auch bei Abälard verbleibt die Dialektik
als Führerin des Wissens dennoeh in jener. diensibarem Stellung, ver
möge deren sie dem Kampfe gegen die Ketzer gewidmet ist **"), und
sowie er diejenigen, welche er für Ketzer hält, als Pseudo-Philosophen.
bezeichmet und gegen sie seine eigenen philosophischen Argumentationem
richten will **"), so bringt er principiell auch sogar das Wort „Logik“
in eine Verbindung mit dem theologischen Logos-Begriffe ***). Aller
dings fliesst hieraus jene fast spasshafte Erscheinung, von welcher wir
schon oben , Anm. 38 ff., sprechen musstem, dass der Dialektiker Abä
lard die Dialektiker als die grösstem Feinde der Trinität bezeichmete, und
posse facere dicat scientes. Ebenso Theol. Christ. II, p. 1235. Epist. 4 (Invectiva
etc.), p. 239.: Hanc quippe scientiam tantis praeconiis efferre beatus ausus est
Augustinus, ut comparatione ceterarum artium eam solam facere scire fateatur, tan
quam ipsa sola sit dicenda scientia.
243) Introd. ad theol. II, p. 1048.: Disputationis disciplina ad omnia genera
quaestionum, quae in sanctis libris continentur, plurimum valet. Epist. 4, p. 239.:
Utraque tamen scientia, tam dialectica scilicet quam sophistica, ad discretionem
pertinet argumentorum, nec aliter quis in argumentis esse discretus poterit, nisi qui
falsas ac deceptorias argumentationes a veris et congruis argumentationibus distin
guere valebit.
244) Sic et Non, ed. Lindenkohl p. 16.: frequens interrogati0, ad. quam qui
demi ... philosophus ille omnium perspicacissimus Aristoteles in praedicamento ,,Ad
aliquid** studiosos adhortatur dicens ,,.... dubitare autem de singulis non erit inu
tile** (bei Boelh. p. 172.); dubitando enim ad inquisitionem venimus, inquirendo
veritatem percipimus.
245) Intr. ad theol. II, p. 1052.: Nemo etenim scientiam aliquam malam esse
diacerit, etiam illam, quae de malo est, quae iusto homini deesse non potest, non
ut malum agat, sed ut a malo sibi provideat ..... (p. 1053.) Scientias itaque ap
probamus, sed fallaciis abutentium resistimus. Ebenso Theol. Christ. III, p. 1242 f.
Dialect. p. 435.: Neque enim crimen est in sciendo, quibus obsequiis aut quibus
immolationibus daemones nostra vota perficiant (diese Disciplim nennt er ,,nefaria
mathematica*'), sed in agendo ..... .Si ergo scire malum non est, sed agere, nec
ad scientiam, sed ad actum referenda est malitia. -
246) Dialect. p. 435.: Haec autem est dialectica, cui quidem omnis veritatis
seu falsitatis discretio ita subiecta est, ut omnis philosophiae principatum, duæ
universae doctrinae , atque regimen possideat, quae fidei quoque catholicae ita pe
cessaria monstratur, ut schismaticorum sophisticis rationibus nullus possit, nisi qui
ea praemuniatur, resistere.
247) Theol. Christ. IV, p. 1312.: Non enim hoc opusculo veritatem docere,
sed defendere intendimus, maacime adversus pseudophilosophos, qui nos phil0s0
phicis maæime rationibus aggrediuntur; unde et nos per easdem, scilicet philoso
phicas, rationes, quas solas recipiunt et quibus nos impetunt, eis praecipue satis
facere decrevimus defendendo veritatem potius quam docendo.
248) Epist. 4, p. 241.: Cum ergo verbum patris dominus Jesus Chrislus λόγος
graece dicatur, sicut et ooqtw patris appellatur, plurimum ad eum pertinere videtur
ea scientia, quae nomine quoque illi sit coniuncta et per derivationem quandam a
λόγος logica sit appellata ei sicut a Christo Christiani ita a λόγος logica proprie
dici videatur, cuius etiam amatores tanto verius appellantur philosophi, quanto ve
riores sunt illius sophiae superioris amatores.
XIV. Abälard. 165
es liegt ja auch im Geiste aller dogmen-philosophischen Erörterungen,
dass er diejenigen Dialektiker, welche die Dialektik nicht gerade nach
seinem Sinne anwendeten, kurzweg als Atheisten brandmarkt 34°), daher
er diesen Andersdenkenden auch die gesammte Logik mit einem ver
àchtlichen „vester Aristoteles“ und die Grammatik nebst dem Priscianus
förmlich an den Kopf schleudert *°°), wohingegem freilich wieder An
dere eben an der Abälard'schen Verquickumg logischer Momente mit der
Trinitätslehre Anstoss nehmen konnten 3°1).
Aber Abälard mochte wohl glauben, sich gut aus der Schwierigkeit
ziehen zu können, indem er das Gebiet der Dialektik als ein lediglich
virdisches von dem göttlichem lostrennte ; nur ist er, insoferne schon
längst Scotus Erigena das Nemliche gethan, dadurch weniger consequent,
dass er micht, wie jener, das in einer theologica affirmativa Behauptete
wieder ifiittelst einer theologia negativa zurückzieht ; wolil aber konnte
er hiedurch erreichem, dass jener „vester Aristoteles“ nun doch zugleich
auch ,,sein Aristoteles* war. Wemm er nemlich auf das Irdisclne den
Gebrauch der Kategoriem beschränkt, da ja alle menschliche Aussage
das dem Zeitlichen zugewendete Verbum enthalten muss ***), und über
haupt den Wortschatz der Menschen als ein die Gottheit mie : erreichen
des Mittel der mensehlichen Begriffsbildung bezeichnet *°°), welehes
249) Theol. Christ. III, p. 1275.: Responde tu, mi acute dialectice seu versi
pellis sophista, qui auctoritate Peripateticorum me arguere niteris, .... quomodo ipsos
quoque doctores tuos absolvis, secundum quorum traditiones nec deum substantiam
esse nec ipsum esse aliquid aliud cogeris confiteri ? ...... Constat secundum ve
strarum artium disciplinas, quae omnium rerum naturas in decem praedicamenta dis
tribuunt, deum penitus nihil esse.
250) Ebend. p. 1282.: Sed cum Aristoteles vester dicit in primo Perihermenias
etc...... aut cum Priscianus diacit etc.
251) 0tto Fris. de gest. Frid. I, 47, p. 433. (ed. Urstisius): Sententiam ergo
vocum seu nominum (s. untem Anm. 258.) in naturali tenens facultate non caute
theologiae admiscuit, quare de sancta trinitate docens et scribens tres personas .....
nimis attenuans, non bonis usus eaeemplis, inler cetera diacit (nemlich Introd. ad
theol. II, p. 1078.): ,,Sicut eadem oratio est propositio, assumptio et conclusio, ita
eadem essentia est pater et filius et spiritus sanctus. Bern. Clarav. Epist. 190.
(tract. c. error. Abael.), 0pp. ed. Martene I, p. 283—289, woselbst z. B. p. 284.:
Constituit enim (Inlr. ad theol. p. 1083.), hoc esse filium ad patrem quod speciem
ad genus, quod hominem ad animal, quod aereum sigillum ad aes, quod aliquam
potentiam ad potentiam. Quis hoc ferat, quis non claudat aures ad voces sacri
legas ? Hiezu unten Anm. 478.
252) Introd. ad theol. II, p. 1073.: Patet itaque, a tractatu philosophorum rerum
omnium naluras in decem praedicamenta distribuentium illam summam maiestatem
esse eaeclusam omnino, nec ullo modo regulas aut traditiones eorum ad illam sum
mam atque ineffabilem celsitudinem conscendere, sed creaturarum naturis inquirendis
- eos esse contentos secundum quod scriptum est ,,qui de terra est, de terra loquitur.“
Ebenso Theol. Christ. III, p. 1273 f. (s. oben Anm. 38.), woselbst die Begründung
dieser Ansicht lautet: quod vero omnis hominum locutio ad creaturarum status
maæime accommodata sit, ex ea praecipue parte orationis apparet, sine qua teste
Prisciano (Inst. gr. XVII, 12.) nulla constat orationis perfectio, ex ea scilicet, quae
dicitur verbum; haec quippe dictio temporis designativa est, quod incoepit a mundo.
Uebrigens weist uns diess Letztere auch schon auf Abälard's Auffassung des sermo
hin, s. untem Anm. 315.
253) Theol. christ. p. 1275.: vocabula homines instituerunt ad creaturas desig
nandas, quas intelligere potuerunt, cum videlicet per illa vocabula suos intellectus
166 XIV. Abälard.
hiemit auch gegenüber dem von Gott geschaffenem Dingen mur als memseh
liehes Erzeugniss zu betrachten ist *°*), so befindet er sich bezüglich
der Logik allerdings in einer Uebereinstimmnng mit Aristoteles (s.
Abschn. IV, Anm. 108 ff. und die entsprechenden Stellen des Boethius
Ahschm. XII, Anm. 109 f.). Und sowie er mum ausdrücklich Logik und
Physik derartig unterscheidet, dass der Gegenstand der ersteren die
Namenbezeichnung (vocum impositio) sei, letztere hingegen die Eigen
thümlichkeit der Dinge als solcher betrachte, wodurch aber eben beide
Wissenschaftem wechselseitig von einander abhängig seien *°°), so kann
er von Aristoteles sagen, dass derselbe, insofern er der Logik diene,
mehr in dem Wortem (voces), als in den Dingen verweile *°"). So gilt
ihm Aristoteles als die höchste Auctorität, an welcher man nicht rütteln
dürfe, geschweige denn, dass man ihr je irgend widerstreite *°°). Ja
diese so ebem angeführtem Stellen könntem uns sogar glaubem machem,
Abälard habe diesen seimen Führer Aristoteles geradezu im Simne der
Nominalistem verstandem, und wir findem, dass seine Lehre selbst auf
seine Zeitgenossem diesen Eindruck machte *°*), währemd wir uns aller
dings überzeugen werdem, dass Solches mur auf oberflächlicher Ansicht
beruhem kamm.
In grossem Irrthume jedoch befänden wir ums, wenn wir Abälard
hiernach überhaupt auch nur für einen Aristoteliker haltem wolltem, denm
er ist ja Platoniker, und Plato gilt ihm wieder als der grösste Philo
soph *°°), was uns freilieh eimigermassem am die Schwatzhaftigkeit Cice
manifestare vellent; cum itaque. homo voces invenerit ad suos intellectus manifestan
dos, deum autem minime intelligere sufficiat, recte illud ineffabile bonum effari mo
mine mom est ausus.
254) Dialect. p. 487.: Neque enim v0ae aliqua naturaliter rei significatae inest,
sed secundum hominum imp0sitionem ; vocis enim impositionem summus artifea; nobis
commisit, rerum autem naturam propriae suae dispositioni reservavit, unde et vocem
secundum impositionis suae originem re significata posteriorem liquet esse.
255) Ebend. p. 351.: Hoc autem logicae disciplinae proprium relinquitur, ut
scilicet vocum impositiones pensando , quantum unaquaque proponatur oratione sive
dictione, discutiat; physicae vero proprium est, inquirere, utrum rei natura consen
tiat enuntiationi .... Est autem alterius consideratio alteri necessaria; ut enim lo
gicae discipulis appareat, quid in singulis intelligendum sit vocabulis, prius rerum
proprietas est investiganda; sed cum ab his rerum natura non prae se, sed prae
v0cum imp0sitione requiritur , tota eorum „intentio referenda est ad logicam; cum
autem rerum natura percepta fuerit, vocum significatio secundum rerum proprietates
distinguenda est, prius quidem in singulis dictionibus , deinde in orationibus , quae
eae dictionibus iunguntur. S. Amm. 325. -
256) Ebend. p. 401.: Si enim omnia eius (sc. Aristotelis) opera studiose in
spiciamus, magis eum in vocibus immorari quam in rebus inveniemus, liberiusque
verba eius de vocibus quam de rebus eaeponerentur, quippe qui logicae deserviebat.
257) Ebend. p. 339.: hanc namque duae Peripatétiéórum Aristoteles diffinitionem
dedit. p. 228.: Peripateticorum princeps Aristoteles. p. 204 : sed et si Aristotelem
Peripateticorum principem culpare praesumamus, quem amplius in hac arte recipiemus?
p: 293.: sed nihil adversus Aristotelem.
258) Obige (Anm. 251.) Worte des Otto v. Frcisiug: sententiam vocum seu
n9minum in naturali tenens facultate, welche dort nach jener schon ^früher (vor.
Abschn. Anm. 316.) angeführten Stelle folgem, woselbst Abälard's Ansicht in directe
Verbindung mit der Lebre des Roscellinus gébracht wird.
259) Theol. Christ. I, p. 1175.: revolvatur et ille maaeimus philosophorum Plato.
p. 1186.: alioquin summum philosophorum Platonem summum stultum esse depre
XIV. Abälard. - 167
ro's erimmeri, bei welchem gleichfalls nach Beliebem bald Plalo bald
Aristoteles der grösste Philosoph genannt wird. In dem Ausichten der
platonischem Sekte erblickt Abälard (auf Augustin .sieh berufend) die
meiste Uebereimstimmung mit dem katholischen Dogma, besonders be
züglich der Trinilât, ja sogar einen Vorzug in jedem Wissen über
haupl *""); nicht bloss der Begrifr des platonischen Weltschöpfers und
seiner Güte und Weisheit *"'), sondern insbesondere die Lehre von der
Weltseele ist es, welcher er seine Beistimmung schenkt *"*). Und von
da aus schliessl er sich mum aucl in jemem Momente, welches für die
Logik das principielle ist, an Plato an, indem er mit Berufung auf
Priscianus und Macrobius die Formen der Gattungem und Artem als die
Original-Ideen der Dinge in dem göttlichen Werstand verlegt *°°).
Wenn wir aber num bei Letzterem allerdings nicht mehr einsehen
können, wie es sich damm mit jenem „nihil adversus Aristotelem“ (Amm.
257) verhalte, zeigt uns Abälard hinwiederum moch eine dritte Auf
fassung der Logik; denm er ist zuletzt weder Aristoteliker moch Plato
miker, obwohl er — oder vielmehr wohl weil er — heide Anschau
ungsweisen zu vereinigem bemüht ist (s. umlem Amm. 292 f.), sondern
er erblickt im der Logik nur ein praktisch dienstbares Werkzeug, umd
in dieser Beziehung braucht er es danm allerdings mit dem Principiem,
mögen dieselben platonisch oder aristotelisch seim , ebem micht sehr ge
hendemus. p. 1191.: nou sine cuusu mu.vimus Plato philosophorum prae ceteris
commendatur ul) omnibus. Hiezu die untem, Anm. 293, anzuführende Stelle.
260) Ebend. p. 1175. : Plato eiusque sequaces, qui testimonio sanctorum patrum
prae ceteris gentilium philosophis fidei christianae attendentes totius trinitatis sum
*mam post prophetas patenter ediderunt. p. 1191.: Pluribus quoque sanctorum testi
moniis didicimus, Plulonicam seclam calholicae fidei concordare. p. 1192.: liquidum
est, Platonicam seclum fidei sanctae trinitatis plurimum semper assentire ..... Cum
itaque in omni doctrina philosophiae Platonica seclu enituerit, .... Augustinus c0m
memorat, in scriptis eorum se repperisse, in quibus quidem tota fere fidei nostrae
summa circa divinitalem verbi apertissime conlinetur.
261) Ebend. p. 1157.: Ea, summa ilaque illa bonitate sua deus .... iuacta etiam
Platonis assertionem oplimus ipse omnium conditor. p. 1163.: deum genitorem uni
versitalis Plato dicit, u quo scilicet universa alia habent esse. p. 1176.: Plato
qu0que omne quod a deo esse habet , gemitum eæ ipso dicit. - -
262) Dialect. p. 471.: unima mundi , quam singularem Plato cogitavit .....
(p. 475.) quam animam mundi Plato vocavit, quam ipse eæ noy, i. e. menle divina,
nalurae asseruit et eandem in omnibus simul esse córporibus finacit. Theol. Christ.
I, p. 1176.: Nunc autem illa Platonis verba de anima mundi diligenler discutiamus,
ut in eis spiritum sanctum integerrime designatum esse agnoscamus ..... (p. 1177.)
cum itaque in ipsa anima mundi individua et dividua , sive ut dictum est eadem et
diversa, concurrit substantia, etc. Vgl. Inlrod. ad theol. I, p. 1015 f.
263) Theol. Christ. IV, p. 1336.: Ad hunc modum Plato formas eaeemplares in
mente divina considerat, quas ideas appellat, et ad quas postmodum quasi ad ezem
plar quoddam summi artificio providenlia operata est. Introd. ad theol. II, p. 1095 f.:
Hanc autem conceptionem , qua scilicet conceptus menlis in effectum operando prodit,
Priscianus in primo constructionum (d. h. Inst. gr. XVII, 44, p. 135. ed. Hertz)
diligenter aperit dicens, generales et speciales formas rerum inlelligibiliter in meute
divina constitisse, antequum in corpora prodirent. Ebend. I, p. 987.: Sic et Mg
crobius (Somn. Sc. I, 2, 14.) Platonem insecutus mentem dei, quam graeci voÜv
appellant, originales rerum species , quae ideae dictae sunt, continere meminit, anle
quam etiam, inquit Priscianus, in corpora prodirent , h. e. in effecta operum pr0
veniremt.
168 XIV. Abälard.
nau zu nehmen. Nicht bloss scheint jene für Anfänger bestimmte Schrift
völlig auf dem Boden der Topik verblieben zu sein *°*), sondern er
gelangt auch anderwärts an der Hand der ciceronischen Definition dazu,
das Wesen der Logik in die „Beurtheiluhg der Argumentation“ zu ver
legen, welche hiemit das Auffinden der Beweise voraussetzt *°°), sowie
sich ihm an die verschiedenem Artem der Beweise (argumenla) der in
der Schultradition übliche Unterschied zwischen Dialektik, Philosophie,
Sophistik anschliesst ?°°). Und dürfen wir hiernach vielleicht auch
schon Abälard's eigenem Ausspruch, er wolle in seiner Dialektik eine
Begründung der peripatetischen Beredtsamkeit (eloquentiae peripateticae)
geben, beim Worte nehmen *"'), so tritt dieses Motiv jedenfalls deutlich
hervor, wenn er schon die Isagoge unter die Theorie des Auffindens
der Beweise (die inventio) subsumirt und hauptsächlich an die auf den
quinque voces beruhenden Topen denkt *"*), öder wenn er ebenso auch
das hypothetische Urtheil nur unter diesem Gesichtspunkte auffasst und
daher die Topik demselben vorausschickt *"*). Uebrigens mochte wohl
diese Seite der Logik, nemlich eine grosse Gewandtheit des Auffindens,
auch in Abälard's eigenem Auftreten die hervorragende gewesen sein,
so dass er diese Begabung leicht in Schärfe und Feinheit philosophi
264) Denm alle obem (Anm. 239 f.) angeführtem Stellem, in welcheu er jene
Schrift citirt, enthaltem entweder direct die Beziehung auf die Topik oder lassem
wenigstens eine solche zu.
265) Glossulae s. Porph. bei Rémusat (s. Anm. 238.) p. 94.: Est scientia alia
agendi alia discernendi, sola autem scientia discernendi philosophia dicitur, worauf
dann (p. 95.) die Eintheilung in Physik, Ethik, Logik folgt, und von letzterer
gesagt wird : Est logica auctoritate Tullii (s. Abschn. VIII, Amm. 23.) diligens ratio
disserendi, i. e. discretio argumentorum, per quae disseritur, i. e. disputatur; non
enim est logica scientia utendi argumentis sive componendi ea, sed discernendi et
diiudicandi veraciter de iis .... Duae argumentorum scientiae, una componendi, quam
dicimus ratiocinativam, alia autem discernendi compositu, quam logicam appellamus.
Seine Quelle hiefür ist Boeth. ad Top. Cic., woselbst in der Erörterung über in
ventio und iudicium (s. Abschn. XII, Anm. 76.) besonders (p. 762.) die Worte zu
beachten sind: fieri non potest, ut de inventione iudicetur, nisi ipsa inrentio prius
eacstiterit. -
266) Dialect. p. 428.: Non est illud praetermittendum, quod ipse (sc. Boethius)
ostenderit, quae scientia quibus utatur argumentis, dialecticos quidem et rhetores
maæime probabilitatem attendere, philosophos vero necessitatem, sophistas vero neu
trum etc. s. Abschn. XII, Anm. 82. -
267) Ebend. p. 228.: Confido autem, in ea, quae mihi largius est, ingenii
abundantia ipso cooperante scientiarum dispensatore non pauciora vel minora me prae
stiturum munimenta eloquentiae peripateticae, quam illi praestiterunt, quos latinorum
celebrat studiosa doctrina.
268) Glossae in Porph. (b. Cousin) p. 553.: Scientiae inveniendi supponitur
iste tractatus (d. h. die Isagoge), quia hic docemur invenire rationes sufficientes ad
probandas quaslibet quaestiones factas ....... (p. 554.) necessarium ad ea, quae
sunt utilia in demonstratione, quia locus a genere, a specie, ad diffinitionem servit
demonstrativis syllogismis.
269) Dialect. p. 324.: Quoniam ergo hypotheticae enuntiationes, quarum sensus
sub consecutione conditionis proponitur, inferentiae suae sedem ac veritatis evidentiam
eae locis quammaæime tenent, ante ipsas rursus hypotheticas propositiones topicorum
tractatum ordinari convenit, eae quo maæime hypotheticarum propositionum veritas
seu falsitas dignoscitur.
XIV. Abälard. - 169
scher Disputationem und ebenso in Witz und Scherz der Rede belhätigen
konnte 370).
Diese überwiegende Bezugnahme auf die Argumentation ist es num
auch, welche dem umfassendem Werke Abälard's, der „Dialectica“, so
wohl in Gruppirung der Haupttlieile als auch in Behandlung des Ein
zelnen einen grundsätzlichen Charakter aufprägt. Allerdings müssen wir
es sehr bedauern, dass gerade der Anfang des Werkes, nemlich die
Darstellung der Isagoge und ausserdem die ersten Kapitel der Katego
riem, verlorem ist ; doch sind wir im Stande, nicht bloss, wie sich
zeigen wird, die Lehre betreffs der Universalien genügend zu entwickeln,
sondern vor Allem auch dem Grundplan des Ganzen einzusehen.
Die Gliederung ist folgende. lndem das bei Boethius durchgängig
eingebürgerte Motiv eines Aufsteigens vom Einfachen zum Zusammenge
setzten (Abschn. XII, Anm. 83, 123, 131) zu Grunde gelegt wird, ist
bei der menschlichen Kundgebung (vov, s. ob. Anm. 252. ff.) das Wesent.
liche der Unterschied zwischem dictio, d. h. dem einzeliftm Worte, und
oratio, d. h. der zusammenhängenden Rede ?7!). Aber nicht bloss auf
der Auctorität des Boethius oder etwa auch des Augustinus (Abschn.
XII, Anm. 34) beruht diese Scheidung, somderm auch Priscianus (Inst.
gr. II, 14 ff.) ist.es, welcher hierauf den entschiedensten Einfluss ge
habt hat, denn wenn Abälard den ganzen ersten Haupttheil der Dia
lektik, welcher von der dictio handelt, als „Liber partium“ bezeichnet
und dabei sogar den Ausdruck „partes orationis“ gebraucht, so ist die
grammalische Anschauung deutlich genug ausgesprochen. Diese logische
Erörterung der Redetheile zerfällt aber danm in drei Abschnitte, nemlich
in die „Antepraedicamenta“ (s. diese Bezeichnung schon oben, vor.
Abschn., Anm. 310), welche die Isagoge enthaltem, woselbst es sich
um die von Natur aus bestimmten Prädicate handelt (s. unlen), sodann
in . die ,,Praedicamenta“, d. h. die Kategoriem, in welchen die natür
lichen Dinge ihre Wortbezeichnung erhalten, und endlich in die „Post
praedicamenta“, d. h. die Angabem über Nomen und Werbum als die
Bezeichmungsweisen der Dinge und zugleich als die wesentlichen Be
standtheile des Urtheiles *"*). Hierauf demnach folgt als inhalt des
, 270) 0tto Fris. de gest. Frid. I, 47, p. 433. (Urstis.): Inde magistrum induens
Parisios venit, plurimum in inventionum (diess ist ja gerade das technische Wort)
subtilitate non solum ad philosophiam necessariarum, sed et pro c0mm0vendis ad
iocos animis hominum utilium valens.
271) Dialect. p. 212.: Est autem dictio simplicis vocabuli nuncupati0, i. e. v0a;
totaliter, non per partes, significativa, ut ,,homo“ vel ,,currit**; oratio autem dicti
onum collectio, i. e. voae ad aliquid significandum inventa , cuius partium aliquid
eaetra significat, ut ,,h0m0 currit** .... At quoniam dictiones 0rationibus naluraliter '
priores sunt, quippe eas constituunt ac perficiunt, priorem quoque in tractatu locum
obtinere ipsae meruerunt.
272) Ebend. p. 226. sagt Abâlard beim Uebergange vom diesem erstem Haupt
theile zum zweiten: Hactenus quidem, Dagoberte frater, de partibus. orationis, quas
dictiones appellamus, sermonem teauimus, quarum tractatum tribus voluminibus
comprehendimus; primam namque partem libri Partium antepraedicamenta posuimus,
dehinc autem praedicamenta submisimus, denique vero postpraedicamenta novissime
adiecimus, in quibus Partium teaetum complevimus. Die Auffassung der Antepràdi
camente wird sich unten zeigen; bei dem Uebergange aber von gem Prädicamentea
170 - XlV. Abälard.
zweitem Hauptlheiles die oratio, und zwar handell es sich, da mach
dem Vorgange des Boethius (Abschm. XII, Amm. 112) das kategorische
Urtheil als das einfache und das hypothetische als das zusammenge
setzte betrachtet wird, zunächst um ersteres. und im Inleresse der Ar
gumentation zugleich auch um die auf demselben beruhenden Syllogis
men *7°), und Abälard bezeichnete diesen Abschnitt hiernach als „Liber
categoricorum“ *7*). Wenn aber nun die Lehre vom hypothetischem
Urtheile sieh amreihem soll, so lässt er, auch hiezu durch Boeth. d.
diff. top. (s. Abschn. XII, Anm. 167) veranlasst, die Gültigkeit dieser
Urtheilsformem von den Topen bedingt sein (s. Anm. 269), und schickt
hiemit dem ,, Liber topicorum“ voraus, worauf erst das hypothetische
Urtheil selbst und die auf ihm heruhendem Syllogismen folgen *7°),
zu den Postprädftamentem wird p. 209. gesagt: Evolutus superius tewtus ad discre
ti0nem significationis n0minum et rerum naturas, quae vocibus designanlur, diligenter
secundum distinctionem decem praedicamentorum aperuit; nunc autem ad voces signi
ficativas recurrentes, quae solae doctrinae deserviunt, quot sint modi significandi
studiose perquiramus (in ähnlicher Weise p. 245.: non itaque propositiones res
aliquas designant simpliciter quemadmodum nomina), und es folgt hiemit p. 209—
226. nicht, wie Cousin's willkürliche Ueberschrift glaubem macht, der Abschnitt De
inlerpr., somdern mur eine Erörterung über die Satztheile. Mit dieser Bezeichnung
und Unterabtheilung des erstem Haupttheiles stimmen danm auch Abàlard's eigene
Citate überein, indem er sowohl auf das Ganze unter dem Namen Liber Partium
verweist (p. 377. : sicut in libro Partium docuimus u. p. 477.: sicut in libro Partium
tractatu speciei disseruimus) als auch die Unterabtheilungem in eben jener Bezeich
numg erwähnt (p.174.: sicut secundus Antepraedicamentorum de differentia continet;
p. 249.: nam ,,homo mortuus“.... compositum nomen est ... sicut in primo Post
praedicamentorum oslendimus, was sich ebenso wie die gleichlautendem Citate p.
296. u. 299. auf p. 214. bezieht; bei dem beidem Werweisungen p. 204. sicut in
libro Partium ostendimus und p. 205. in libro Partium requirantur ist sicher primo
statt libro zu lesen). Uebrigens ist uns durch diese ganze principielle Betonung
der ,,Redetheile“ num erklärlich, dass Abälard eine Bearheitnng der Kategorien
wirklich als ,, Grammatica** bezeichnen konnte (Amm. 241.). --
273) p. 227.: Justa et debita serie teaetus eæigente post tractatum singularum
dictionum occurrit comparatio orationum .... Non autem quarumlibet orationum con
structionem (auch diess ist eim Ausdruck des Priscianus, s. ob. Anm. 263.) • eaese
quimur, sed in his tanlum opera consumenda est, quae veritatem seu falsitatem con
tinent, in quarum inquisitione dialecticam maæime desudare meminimus ; unde cum
inter pr0p0sitiones quaedam earum simplices sint et natura priores, ut calegoricae,
quaedam vero compositae ac posteriores , ut quae eæ categoricis iunguntur hypothe
ticae, has quidem quae simplices sunt prius esse tractandas unaque earum syllo
gismos eæ ipsis componendos esse apparet.
274) AIlerdings gibt hier (p. 227.) die Handschrift dem Titel ,,Abaelardi Ana
lyticorum priorum primus“, aber nicht mur corrigirt sie sich selbst bei der zweitem
Unterabtheilung dieses Abschmittes, woselbst 'p. 253. die Ueberschrift lautet ,,Ec
plicit primus, Tincipit secundus eorundem , hoc est categoricorum**, sondern auch
Abälard sélbst citirt diesen Abschnitt als Liber categoricorum (p. 395.: sed de hoc
quidem uberius in libro categoricorum egimus). -
275) p. 437.: Congruo ordine post categoricorum syllogismorum traditionem
hypotheticorum: quoque tradamus constitutionem. Sed sicut ante ipsorum categorico
rum compleaciones categoricars propositiones oportuit tractari, eæ quibus ipsi materiam,
pariter et nomen ceperunt, sic et hypotheticorum tractatus prius Test in hypotheticis
propositionibus eadem causa eonsumendus , de quarum quidem locis ac veritate in
ferentiae quia in Topicis satis , ut arbitror, disseruimus, non est hic in eisdem
immorandum, sed satis, earum dirisiones ersequi.
XIV. Abäiard. 171
liti
Isti;
11;;
81 Af.
lig;
„lia
via
di, l
l88
sú
disti;
Hi: i.
welch letzterem Absehnitt er „Liber – hypotheticorum“ mannte *7"). So
hat Abälard mach seiner Auffassumg die Theorie der Argumentatiom, von
dem eimfachem Bestandtheilem zum Zusammengesetzten fortschreitend,
vollständig entwickelt, und es steht der „Liber divisionum“, welchem
Cousim als fünftem Theil der Dialektik bezeichnete, in keinem Zusammen
hange mit dem Vorhergehendem 377), sondern ist eine selbstständige
Monographie (den gleichen Gegenstand wie die Schrift De gener. et spec.
betreffend), in, welcher Abälard die Schriftem des Boethius de divisione
und de definitione unmittelbar miteinander verbamd, so dass in Er
wägung der imnerem Verschiedenheit dieser beidem (Abschm. XII, Amm.
103) sich recht deutlich zeigt, wie bei Abälard das logische Interesse
in das rhetorische übergehe. Indem wir daher nun für unsere Dar
stellung dem angegebenem Eintheilungs-Motive Abälard's folgen, werden
wir das Nöthige über dem Abschnitt de divisione, welcher sich an die
Lehre vom Begriffe anschliesst, völlig ebenso wie hei Boethius moeh
vor der Lehre vom Urtheile einschaltem.
Was dem ersten Abschnitt des erstem Haupttheiles, memlich die
Isagoge oder die sog. A n t e p ra e d i c a m e n t α betrifft, so müssen wir
die erwähnte empfindliche Lücke anderweitig, und zwar namentlich aus
Rémusat's (Anm. 238) Mittheilungem, zu ergänzen versuehem, werden
aber hiezu auch alle jene übrigem Stellen beiziehen, welche unser Ver
ständniss der logischen Parteistellung Abälard's verstärkem oder erwei.
tern können, so dass schon hier das Wesentliche umd Principielle
möglichst vollständig erläutert und eine riehtige Einsicht in Ahälard's
Logik überhaupt gewonnen werden soll, worauf danm bezüglich der
übrigem Theile der Dialektik auf solcher Grundlage mur mehr das Ein
zelnere anzuführen übrig bleibt.
Es hat etwas Auffallendes in sich , wemm Ablärd in dem Glossem
zur Isagoge nicht bloss von „sechs Worten“ spricht, indem er zu dem
üblichem fünf noch ,,individuum“ hinzufügt, sondern auch bemerkt, es
handle sich ausser diesem Wortem selbst auch noch um das vom ihnem
Bezeichnete — significata eorum — 27*); jedoch ersteres klärt sich
theils durch die Quellenstelle, welcher es entnommen ist 37°), theils
276) Auch hier ist das nemliche sonderbare Verhältniss, dass die Handscbrift
vorerst (p. 434.) den Titel ,,Abaelardi Analyticorum posteriorum primus** gibt, dann
aber beim Uebergange zur zweiten Unterabtheilung das Richtige zeigt (p. 446.):
Erplicit primus hypotheticorum, incipit secundus.
277) Es findet sich auch mirgends in dem Buche eime Anknüpfung am andere
Theile der Dialektik angedeutet.
278) Glossae in Porph. b. Cousin p. 553.: Intentio Porphyrii est in hoc opere
tractare de seae vocibus, i. e. de genere et de specie et de differentia et de proprio
et de accidenti et de individuo, et de significatis eorum .... Considerans, nullas
voces magis esse necessarias ad categorias quam istas seae voces, quoniam eae istis
seae vocibus constituuntur praedicamenta, ideo perelegit tractare de istis seac vocibus.
Huius operis sunt materia istae seae voces et earum significata, finis ipse categoriae.
(Cousim verdarb dem richtigen Sinn der Hamdschrift durch Aenderung und durch
Interpunktion.) Scientiae inveniendi supponitur iste tractatus (Anm. 268.), quia hic
docemur invenire rationes sufficientes ad probandas quaslibet quaestiones factas de
istis seae vocibus et de significatis earum. Vgl. untem Anm. 603.
279) Diese Sechszahl hat memlich, wie sich von selbst versteht, Nichts zu
schaffem mit jemer Stelle, welche ans dem griechischen Commentatoren (Abschm.
.
172 XIV. Abälard.
durch die ausdrückliche Bemerkung auf, dass Porphyrius nicht nöthig
gehabt habe, den Begriff des Individuums gleich anfangs mitaufzuzählen,
da ja das Individuum jedemfalls unter die übrigen fünf Worte falle und
an sich ebensosehr eine prädicative Bezeichnung eines Gegenstandes
sei, wie die Gattungen und Arten **"). Wenn aber num gerade diese
Betonung des Prädicats-Verhältnisses wieder mit dem zweitem Punkte,
nemlich mit der Auffassung des „von dem sechs Worten Bezeichneten“
zusammentriffi, so gibt hier Abälard über diese Grundfrage keine nähe
ren Aufschlüsse, sondern selbst bei jener Kernstelle (prima quaestio),
an welche, wie wir längst sahem, die ganze Parteifrage sich ange
schlossen hatte, gibt er mur eine spitzfindige und betreffs der Univer
saliem nichtssagende Unterscheidung zwischen solus intellectus, nudus
intellectus und purus intellectus **'), und aueh das übrige Folgende
schliesst sich überwiegend in blosser Worterklärung an den Text der
Isagoge an ***). ` .
Hingegen erhält eben dieser Punkt, welcher uns hier noch dunkel
bleibt, das meiste Licht durch die anderem sog. kleinerem Glossen zur
Isagoge. Dort nemlich knüpft Abälard an seine Angaben über die An
sichten Anderer (wobei er uns obem selbst als Quelle diente) vorerst
polemische Bemerkungen, um hierauf seine eigene Auffassumg der Uni
versalien zu entwickeln. Gegem Wilhelm v. Champeaux bemerkt er (s.
oben Anm. 106), dass, wenn ein so lockerer Zusammenhang zwischen
den individualisirenden Formem und dem allgemeinen Substanzen ange
nommen werde, zuletzt alle Substanzem, — auch dem Phönix, welcher
nur Ein Mal existirt, nicht ausgenommen —, eben als Substanzen ein
ander gleich und identisch sein müssem und hiernach auch von der
Substanz Gottes sich nicht unterscheidem . können, sowie dass diese
XI, Anm. 134.) anzuführen war, sondern beruht auf dem Inhalte jener Angaben
des Porphyrius (ebend. Anm. 43.), welche bei Boeth. p. 15. lauten: Eorum , quae
dicunlur, alia ad proprietatem dicuntur, sicut sunt omnia individua, ut est Socrates
et hoc et illud, alia quae ad multitudinem, ut sunt genera et species et differentiae
et propria et accidentia.
280) p. 553.: Et cum intendat tractare de istis seae vocibus et omne (zu lesen
omnes) tractat, tamen non proponit nisi de quibusdam tantum ; ideo non ponit de
individuo, quia individuum continetur sub unoquoque et in significatione et in prae
dicamentali ordine , nam quemadmodum genera et species proprie ponuntur in prae
dicamento, eodem modo individua ipsorum. Auch diess lag im Commentare des
Boethius zur angeführtem Stelle vor, welcher (p. 16 f.) sagt: Ita individua , quae
ad unitatem dicuntur, cunctis superioribus (d. h. quinque vocibus) supposita sunt
• • • • • Individua vero .... ad nihil aliud praedicantur nisi ad se ipsa, quae singula
atque una sunt, atque ... ad unitatem dicuntur. D. h. Abälard entnahm sich dar
aus, dass die individuellen Bezeichnungen eben doch ausgesagt werden, — dicuntur,
praedicanlur —.
281) p. 555.: llla dicimus poni in solis intellectibus, quae tantum intelliguntur
et m0m sunt ..... Illa , dicimus poni in nudis intellectibus, quae, cum sint, aliter
intelliguntur esse, quam' sint ..... Illa dicimus poni in puris intellectibus, quae in
telliguntur simpliciter ut sunt. -
282) Bemerkt mag werden, dass auch hier die schom oben. (Anm. 167.) er
wähnte abgekürzte Redeweise, ,,praedicari in quid** oder ,,praedicari in quale**
für ,,praedicari in eo quod quid** oder ,,praedicari in eo quod quale** durchgängig
recipirt ist.
XIV. Abälard. 173
- Wesens-Gleichheit aller Substamzem oder ihre Gleichgültigkeit gegem jed
wede individuelle Gestaltung dazu führe, auch das Zusammentreffen vom
Gegensätzen an Einer Substanz zulassen zu müssen *°°). Gegen die
' lmdifferenz-Lehre wemdet er (s. Amm. 132) vor Allem die Definition des
Gattungsbegriffes (genus est, quod praedicatur de pluribus), wormach
mie Eim und das Nemliche zugleich Gattung und Individuum sein könne,
und sodamm auch das Verhältniss der Aussage überhaupt, bei welchem
zwischem Individuem und Artbegriffen unterschieden werden müsse und
unmöglich die Individualität vom Allgemeinem selbst prädicirt werdem
könne, wohingegen, wenn mam das Individuum zugleich schon als Art
oder Gattumg nehme, die Aussage des Gattungsbegriffes ihres Subjectes
beraubt werde oder bei Qualitäten (d. h. bei adiacentia) eben nicht
mehr eime von mehrerem Subjectem geltende Aussage sein könne ***).
283) Glossulae s. Porph. bei Rémusat a. a. 0. II, p. 98.: Ce systeme eæige
que les formes aient si peu de rapport avec la matiere qui * leur sert de sujet, que
dés qu'elles disparaissent, la matiére ne différe plus d'une autre matière sous aucun
rapport, et que tous les sujets individuels se réduisent à l'unité et à l'identité. Une
grave hérésie est au bout de cette doctrine, car avec elle la substance divine, qui est
réconnue pour n'admettre aucune forme, est necessairement identique à toute substance
quelconque ou à la substance en général ..... Et non seulement la substance de
dieu, mais la substance du phéniæ (s. Abschn. XII, Amm. 87.), qui est unique,
m'est dans ce systême que la substance pure et simple, sans ident, sans propriéte, r- v- »
qui, part0ut la même, est ainsi la substance universelle. 0'est la même substance
qui est raisonable et sans raison , absolument comme la même substance est à la
fois blanche et assise, car étre blanc et étre assis ne sont que des formes opposées
comme la rationalite et son contraire, et puisque les deuae premières formes peuvent
notoirement se trouver dans le même sujet, pourquoi les deua, secondes ne s'y trou
veraient-elles pas également ? Est-ce parce que la rationalité et l'irrationalite sont
contraires ? Elles ne le sont point par l'essence, car elles sont toutes deuae de l'es
sence de qualité ; elles ne le sont ,.per adiacentia“, car elles sont, par la suppo
sition, adiacentes à un sujet identique. Du moment que la même substance convient
d toutes les formes, la contradiction peut se réaliser dans un seul et méme étre.
284) Ebend. p. 100.: Mais c'est là ce qui n'est pas soutenable. La définition
qui veut que le genre soit ce qui est attribuable á plusieurs, a été donnée à l'ea
clusion de l'individu. Ce qu'elle définit ne peut en soi étre â aucun titre, en aucun
etat, individu. Dire qu'une même chose tour à tour comporte et ne comporte pas
la définition du genre, c'est dire que cette chose est, comme genre , attribuable á
plusieurs, mais que, comme genre aussi, elle me l'est pas, car un individu qui
serait attribuable à plusieurs serait un genre, par conséquent l'assertion est contra
dictoire ou plutôt elle n'a aucun sens. Les auteurs disent que cette proposition
,,l'homme se promene”, wraie dans le particulier, est fausse de l'espéce. (Hier
jedoch muss Rémusat entweder einen unrichtigen Text vor sich gehabt oder den
richtigen unrichtig werstandem haben, demm die wiederholte Lehre des Boethius,
p. 15, -p. 36 u. s. f., lautet mit Anwendung des gleichen Beispieles — Cicero
ambulat, homo ambulal — natürlich dahin, dass das Accidens primitiv vom Indi
viduum und abgeleiteter Weise von der Species ausgesagt werde, nicht aber dass
letzteres falsch sei.) Comment maintenir cette distinction, si une même chose est
espéée et individu? .... (p. 101.) L'individualite resultant de formes accidentelles
me saurait être l'attribut essentiel d'une substance susceptible d'universalité ; cepen
dant cette substance en tant que particuliére, distincte de ses semblables, est essen
tiellement individuelle, violation manifeste de la règle de logique qui porte que ,,dans
un méme l'affirmation de l'oppose eaeclut l'affirmation de l'autre opposé**. Lorsqu'on
dit que le genre est attribuable á plusieurs, on parle ou d'attribution essentielle
(„praedicari in quid“) ou de toute autre ; s'il s'agit d'attribution essentielle, comme
on le nie après l'avoir affirme, elle cesse d'être essentielle, ou elle emporte avec
174 XIV. Abälard.
Endlich auch gegen jene uns micht näher bekannle Ammahme bezüglich
einer proprietas der Dinge (s. Anm. 73) richtet er wiederholt den nem
lichen aus der Definition des Gattuugsbegriffes entnommenem Einwand
und bezeichnet überhaupt jede Verwechslung oder Wermengung des
Individuums mit dem Allgemeinem als das Bedenklichste und Unhalt
barste *°°). -
Nach seimer eigewem Ansicht aber glaubte er das Richlige, wodurch
er zuletzt dem Gegensatz zwischem Plalo und Arisloleles versöhnen zu
könnem meint, dadurch gefunden zu haben, indem er sich auf Eine
Stelle des Buches De interpr. warf, in welcher das Allgemeine als das
jenige bezeichnel wird, was „von Natur aus dazu gemacht ist, von
Mehreren ausgesagt zu werden* (quod natum est de pluribus praedi
cari), und er konnte hiedurch in der schob obed (Amm. 254) erwähn
tem Weise die objectiv matürliche Entstehung der Dinge meben dem
subjectiv menschlichen Erzeugnisse der Wortbezeichnung einhergehen
lassem, ja. dieses Verhältniss sogar durch das Gleichniss der Statue aus
drücken , welche aus dem objectiv vorliegendem Steine und der durch
Menschenhand hinangebrachten Form besteht *°°). Hierauf aber nun
beruht das eigentliche Parlei-Schibolet Abälard's, denn aus jener Natur
bestimmtheit des Ausgesagtwerdens folgt, dass weder die Dinge als
solche noch die Worte als solche das Allgemeine seiem, sondern die
Allgemeinheit mur in dem Ausgesagtwerdem selbst, also in der Redeform
des Urtheils, kurz im „sermo* liege, wodureh nun die verfellte und
unhaltbare Ansiclit vermieden werde, dass man ein Ding von einem
elle son sujet; s'il s'agit d'utlribution uccidenlelle (,,in adiacentia**), lu definition
n'est plus eacacte, elle ne comvient plus à lout genre.
285) Ebend. p. 102.: La difficulte est toujours de faire cudrer ce sysleme avec
la definition du genre. Il faut que la propriéle d'être attribuable à plusieurs sépare
l'universel de l'individuel; or, on vient de dire que de plusieurs choses chacume est
individuellement animal; le nom individuel d'animal seruit-il donc le nom de plu
sieurs ? l'individu serait-il attribuable à plusieurs ? Cela ne se peut. Mais comme
animal ne peut plus se dire de plusieurs, mais de chacun, il n'y a plus de genre,
ou plutôt t0ul est renverse ; c'est l'individu ou le non-universel qui prend la place
de l'universel, c'est ce qui me peut s'affirmer de plusieurs; qui s'affirme de plusieurs,
et c'est une pluralite où chacum s'affirme de plusieurs que l'on appelle l'individu.
286) Ebend. p. 104 f.: Aristote, au dire d'Abelard, parait l'insinuer clairement,
quand il définit l'universel ce qui est ne attribuable à plusieurs ,,quod de pluribus
natum est praedicari**. C'est une propriété avec laquelle il est me, qu'il a d'origine
,,a nativitale sua“. 0r, quelle est la nativite , l'origine des discours ou de noms?
l'institution humaine, tandisque l'origine des choses est la creation de leurs natures.
Cette différence d'origine peut se rencontrer lä méme où il s'agit d'une méme essence;
ainsi dans cet ea:emple ,,cette pierre et celle statue ne sont qu'un*', l'etat de pierre
me peut étre donné à la pierre que par la puissance divine , l'état de statue lui
peut étre donné par la main des hommes. Es lautet memlich. jene, Abschm. IV,
Anm. 197., angeführte Stelle des Aristoteles in der Uebersetzung bei Boeth. p.
338.: Quoniam autem sunt haec quidem rerum universalia, illa vero singularia, dico
aulem universale, quod de pluribus natum est praedicari, singulare vero , quod non,
elc. Hier also konnte Abälard für dem Realismus auf das Wort ,,rerum“ und
zugleich für den Nominalismus auf „praedicari“ sich stützen. So sind in jener
Zeit, welche keine principielle Einsicht hatte, sondern nur fleissig die Tradition
studirle, auf einzelne herausgerissene Stellen der Schul-Litteratur, von dem Einem
auf die eime, von einem Anderen auf eine andere, sofort die Partei-Ansichten auf
gebaut worden. Vgl. oben Anm. 105, 129, 134, 170 n. untem 293.
XiV. Ahalard. 175
Dinge aussagen könne, wormach ein [)ing als Ding gleichmässig in meh
reren Dingen sein müsste, wohingegeni (— „res de re non praedicatur“
—) Alles, was ausgesagt wird, und insoferne es ausgesagt wird, nichi
ein Ding, sondern.ebem eine Aussage ist **"). Und indem nun Abälard
hiemit obige Definition der Gattung in Verl)indung bringt, verneint er
austfrückiich, dass, wenn die Aussage (sermo) allgemein ist, dann etwa
auch das Wort als Wort allgemein sei, denn auf gleiche Weise könne
man zuletzt auch schliessem, dass der Buchstabe allgemein sei, hingegen
müsse man bei jener Definition den durch' sie definirten Gegenstand,
d. h. die Gattung selbst, in's Auge fassem, wodurch sich zeige, dass
nicht die Gatlung selbst in all ihrer Totalität in dem einzelnen Worte
enthaltem sei, wohl aber das die Gattung ausdrückemde Wort in einem
Urtheile : von Mlehrerem ausgesagt wird, kurz dass eben das Uriheil aus
sagbar ist, — „sermo est praedicabilis** —, weil das Denken die Worte
behufs der Darstellung der Dinge ordnel ***). Wenn hiernach das Wort
nicht nacli seinem äusserlich wirklichem Klange, sonderu nach seinem
imnerem Simne ausgesagt wird, und also seine Bedeutung es zu einem
Allgemeinen macht *°°), so darf man auf solche Weise wolil sagem,
dass Gattung und Art ein Wort (voa) seien, nicht aber umgekelhrt, dass
das Wort die Gallung oder die Art sei, denn das individuelle Wesen,
welches das Wort ist, kann nicht von Mehrerem ausgesagt werden,
woluingegen ein objectiv Dingliches den Gattumgen und Arten entspre
287) Ebend. p. 105.: 0r, du moment que l'universel est d'0rigine attribuable
d plusieurs, mi les choses mi les mots me sont universels. Car ce n'est pas le mot,
la voiae, mais le discours ,,sermo“, c'est-à-dire l'ea pressiom du mot, qui est attri
buables ä divers, et quoique les discours soient des mols, ce ne sont pas les mots,
mais les discours qui sont universels. Quant uuae choses, s'il etait vrai qu'une
chose pit s'affirmer de plusieurs choses, une seule et même chose se retrouverait
ègalement dans plusieurs, ce qui répugne. Daher ebenso Dialect. p. 496.: nec rem
ullam de pluribus dici, sed nomen tantum concedimus. Hiezu die schon oben, Anm.
63., angeführte Stelle des Joh. v. Salesbury. -
288) Ebend. p. 107 f.: Mais Abélard se fait des objections. Commenl l'oraison
peut-elle étre universelle, et n0n pas la voiae, quand la description du genre convient
aussi bien à l'une qu'à l'autre? Le genre est ce qui se dit de plusieurs qui diffé
rent par l'espece; ainsi le decrit Porphyre. 0r, la description et le décrit doivent
convenir à tout sujet quelconque ; c'est une régle de logique, la régle „de quocun
que“, et comme le discours et les viots ont le même sujet, ce qui est dit du discours
est dit des mots. Donc, comme le discours, la voiae est le genre. Cette pr0p0sition ,
est incongrue ,,non congruit**; car la lettre étant dans le m0t, et par consequent
s'attribuant à plusieurs comme lui, il s'ensuivrait que la lettre est le genre. C'est
que, pour que la description ou définition du genre soit applicable, il fuut qu'on
l'applique á quelque chose qui ait en soi la realite du defini, ,,rem definiti**; c'est
la condition de l'applicatiom de la regle ,,de quocunque“, et ici cetle condition n'eaviste
pas. Le mot ne contient pas tout le defini, il n'en a pas toute la comprehension,
et il n'est attribué ü plusieurs, affirme de plusieurs, ,,praedicatum de pluribus“,
que parce que le discours est predicable, ,,est sermo praedicabilis**, c'est-à-dire
parce que la pensée dispose des mots pour décrire toutes choses.
289) Ebend. p. 108.: 0n peut donc dire que le discours étant un genre, et le
discours etant um mot , un mot est le gemre ; seulement il faut ajouter que c'est ce
mot avec le sens qu'on a entendu lui donner. Ce n'est pas l'essence du mot, en tant
que mot, qui peut étre attribuée à plusieurs; le som vocal qui constitue le m0t est
toujours actuel et particulier à chaque fois qu'on le prononce, et non pas universel,
mais c'est la signification qu'on y attache qui est 0enerale.
176 - XIV. Abälard.
chemdes Sein bei solcher Auffassumg umgestört zugestamdem werdem
kanm **"). Nemlieh Gattumgem und Artem, insoferme wir sie denken,
beziehem sich wohl auf Etwas, was existirt, und ergreifen es, aber
mur durch Uebertragung konnte man sagem, dass dieselben als die von
ums gedachten Universalien existiren, demm der richtige Simm ist nur,
dass Etwas existirt, was zu diesem Universalien Veranlassung gibt *°').
Und auf diese Weise num, glaübt Abälard, sei der Unterschied zwischen
Plato und Aristoteles kein jnnerlich wesentlicher, sonderm betreffe mur
den Wortausdruck (vgl. oben Anm. 143 f.), demm nach Aristoteles seiem
die Gattumgem und Artem, während sie durch menschliche Namenbe
zeichnung in dem Einzel-Dingen liegem, demnoch als das den reinen all
gemeinem Auffassumgen des Erkennens Entsprechende ausserhalb des
sinmlich-wahrnelmmbarem Einzelnem, und mach Plalo , seien die: Univer
saliem gleichfalls nicht niur Sache subjectiver Denk-Auffassumg, sondern
ebem als Gegenstand derselben objectiv ausserhalb des Sinnlich-Wahr
mehmbarem existirend *°°); ja Abälard findet sogar für diese Ueberein
stimmung des Plato und Aristoteles, während er aus Macrobius die
Schulamekdoten über die Feindschaft des Letzterem gegem Ersterem kemnt,
wieder eimen Beleg in einer einzelnem höchst äusserlich herausgerissenem
290) Ebend. p. 109.: Abélard ... permel qu'on dise que le genre ou l'espèce
est un mot „est voa **, et il rejette les propositions converses ; car si l'on disait
que le mot est genre , espece , universel, on attribuerait une essence individuelle,
celle du mot, à plusieurs, ce qui ne se peut. C'est de méme qu'on peut dire ,,cet
animal („hic status animal“) est cette matiére, la Socratité est Socrate** l'un et
l'autre de ces deuae est quelque chose, quoique ces propositions ne puissent étre ren
versees. Dialect. p. 480.: in significationibus suis vocabula saepe nominantur, ut
cum ea quoque vel genera vel species vel universalia vel singularia vel substantias
vel accidentia nominamus ; nomen autem .... hòc loco accipiendum est quaelibet vgae
significativa simplea;, qua rebus praeposita vocabulu praedicamus.
291) Ebend. p. 109.: Il decide que, biem que ces concepts (ob wohl hier im
lateinischem 0riginale „conceptus“ steht? ich vermuthe eher, dass es „intellectus“
laute, s. untem Amm. 313 ff.) ne donnent pas les choses comme discrètes , ainsi que
les donne la sensation, ils n'em sont pas moins justes et valables, et embrassent les
ehoses réelles. De sorte qu'il est vrai que les genres et les espèces subsistent, en
ce sens qu'ils se rapportent à des choses subsistantes, car c'est par metaphore (wohl
,,per translationem**) seulement que les philosophes ont pu dire que ces universauae
subsistent. Au sens propre, ce serait dire qu'ils. sont substances, et l'on veut ea:
primer seulement que les objets qui donnent lieu (etwa ,,locum praebent“?) auae
universauae, subsislent. Les doules que ce langage figuré a fait naitre sont la seule
source des difficultés qui semblent arrêter Porphyre. Bei dieser ganzen Stelle be
klagen wir es am meisten, nur aüf Rémusat's nicht umbedenkliche Umschreibnng
angewiesen zu sein. -
292) Ebend. p. 110.: Abelard réduit ces difficultes à des simples questions de
nots. Ainsi pour lui le dissentiment entre Aristote et Platon venait seulement de
ce que le premier pensait que les genres et les espeees subsistent par appellation
. dans les choses sensibles, ou servent à les nommer en essence , ,, appellant in se**,
et que cependant ils sont hors de ces choses, en ce sens qu'ils correspondent â des
concepts, purs de toutes formes accidentelles sensibles, tandis que Platon voulait que
les genres et les espèces fussent non-seulement concu, mais subsistants hors .des
sensibles. Ainsi, dit Abélard, la différence n'est pas dans le sens, quoiqu'elle
semble se montrer dans les termes. Ueber die Quelle des Ausdruckes ,,appellant
in se** s. oben Amm. 13.; hingegen für die Entgegensetzung des Platonismus und
Aristotelismus überhaupt konnte Abàlard auch Boeth. ad Porph. p. 56. benüuzen.
XIV. . Abälard. 177
Stelle der Kategorien, woselbst er dem Aristoteles , den platonischen
' Realismus aufdrängen will 298).
So weist uns nun jener für Abälard als Ausgangspunkt und als
Auctorität geltende Satz „quod natum est de pluribus praedicari“ (Anm.
286) von selbst gleichzeitig auf zwei Wege hinaus, deren einer in der
Richtung desjenigen, quod „natum“ est, liegt und in Platonismus aus
mündet, während der andere die Richtung des „praedicari“ einschlägt
und zu einem Aristotelismus führt, welcher stets den parallel laufendem
anderen Pfad in Aussicht behält, und zwar all beides, um die Dialektik
in der Theorie der Argumentation zu verwerthen. -
Was nun hiemit die erstere dieser beiden Richtungen belrifft, so
haben wir hier nicht die Aufgabe einer Geschichte der Theosophie, und
werden daher unter demjenigen, was auf Plato zurückweist, nur das
für die zweite, logische, Richtung Erhebliche entwickeln müssen. Die
Quelle für Abälard war hiebei natürlich jener Platonismus, welcher
durch Porphyrius in den Boethius übergegangen war, und so wird aus
des Letzteren Schrift de divisione die Anschauung aufgenommen, dass
durch eine ,,creatio“ die Art aus der Gattung enlstehe, indem ähnlich
wie bei der Statue eine Form dazukomme (superveniente forma), so
dass der Stoff (materia) in dem neuentstandemen Gebilde (materiatum,
vgl. Amm. 160) fortbestehe, und eine Gleichheit des Seins zwischen
Art. und Gattung sich ergebe *°*). Hiernach besteht die Species aus
zwei Bestandtheilen, nemlich materialiter aus der Gattung, formaliter
293) Dialect. p. 205 f.: Haec quidem de relativis (s. oben Amm. 192.) Aristo
telem plurimum sequentes diacimus .... Si etiam scripta magistri eius Platonis in
hac arte (d. h. in der Logik) novissemus, utique et ea reciperemus, nec forsitam
calumnia discipuli de definitione magistri recta videretur. Novimus etiam ipsum Ari
stotelem et in aliis locis adversus eundem magistrum suum et primum totius philo
sophiae ducem eae fomite fortasse invidiae aut eæ avaritia nominis, eæ manifesta
tione scientiae surrezisse, quibusdam et sophisticis argumentationibus adversus eius
sententias inhiantem dimicasse, ut in eo, quod de motu animae Macrobius (Somn.
Sc. II, 14, 2 u. 15, 1) meminit ..... Sed quoniam Platonis scripta in hac arte
nondum cognovit latinitas nostra, eum defendere in his quae ignoramus, non praesu
fhamus. Unum tamen confiteri possumus, si attentius Plalonicae , definitionis verba
pensentur, eam ab Aristotelica non discrepare sentenlia; nam in e0 quod diavit,
quod ,,hoc ipsum quod sunt aliorum dicuntur** (diess nemlich ist die Definition des
Relativen bei Boeth. ad Praed. p. 155.), non tam visus ad vocalem c0nstructionem,
ut aiunt, respezisse, quam ad naturalem rerum relationem; cum enim ait ,,h0c
ipsum quod sunt“, essentiam demonstravit, non vocabulum. In solcher Weise also
verfuhr mam mit einzelnen Stellen und einzelnen Worten, um Auctoritäten für Par
tei-Ansichten zu gewinnen. Vgl. Anm. 286.
294) Theol. Christ. IV, p. 1305.: Eae materia quippe ipsum materiatum generari
et creari quodammodo* tradunt philosophi; unde Plat0 - Ylen, i. e. c0rp0ream naturam,
tanquam matrem corporum ponit, et Boethius in libro Divisionum (p. 639 f., s.
Abschn. XlI, Anm. 97 f.) genus dividi in species quasi in quasdam a se qu0dam
modo creationes dicit, eo quod species eæ ipsa generis substantia nasci et confici
habeant superveniente forma, ut homo ea, animali superveniente rationalitate et mor
talitate, sicut statua eae aere supervenienle figura; et cum idem sit materia, quod
materiatum, sicut idem est animal quod homo (s. ebend. Anm. 98.) vel hoc aes
quod haec : statua, non ldmen ipsum materiatum est materia sui aut ipsa materia
est materiata ea, se, licet sit hoc ipsum, quod est materia eius etc. Dialect. p. 486.:
in constitutione speciei genus , quod quasi maleria ponitur, accepta differentia, quae
quasi forma superadditur, in speciem transit.
PR A N T l, Gesch. II. - 12
178 XIV. Abälard.
aber aus- dem artmachenden Untersehiede, d. h. der differentia sub
stantialis; diese letztere aber hat ausschliesslich mur die Function, eben
die Species zu erzeugen, denn — was polemisch gegen andere An
sichtem, s. ob. Anm. 1 14, bemerkt wird — sie geht nicht mit dem
Stoffe selbst in das Wesen der Species über, da sie hiedurch zu einem
Theile des Stoffes der Species würde, sondern sie ist nur die wirk
same Kraft, daher auch das Gleichniss der Statue nur nach einer äusser
liehen Aehnlichkeit zu verstehen ist, denn Species ist ja die Statue
nicht, sondern mur eine menschliche Zusammenfügung *°°). Aueh darf
jene creatio nicht so verstanden werden, dass etwa in zeitlicher Existenz
die Gättung vorher da sei, ehe die Species ins Dasein trete, denn ge
rade im matürlichen Sein der Dinge exisliren die Gattungen mur in den
Artem und umgekehrt *°°), sondern diese Priorität oder Posteriorität fällt
dem Gebiete der Aussage (praedicatio) anheim, welche bald auf die
Form, bald auf das durch sie Geformte u. s. w. gehen kann °°"). Wenn
aber bei diesem. Entstehen der Artem aus dem Gattumgen jene schwie
rigere Frage bezüglich der Gegensätze (ob. Anm. 113 u. 115 f.) zu er
ledigen war, so ist hierüber Abälard's Ansicht folgende: Die Verschie
deuheit der Artem kann nur dadurch bewirkt werdem, dass eine Ver
schiedenheit der Substanzen besleht; diese aber ist ein Erzeugniss des
artmachenden Unterschiedes, welcher eben darum ein , substantieller
heisst, weil er eine Ausscheidung innerhalb der Substanz und dabei
295) Dialect. p. 477.: Hominis enim alia pars subslantia animalis, alia forma
rationalitatis vel mortalitatis, componit autem animal hominem materialiter, rationa
litas vero et mortalitas formaliter (ebenso Glossae ad Porph. p. 575.). Neque enim
rationalitas et m0rtalitas, cum qualitates sint, in essentiam hominis, qui substantia
est, possunt converti, sed sola animalis substantia homo efficilur, per informationem
tamen substantialium eius differentiarum , unde recte Porphyrius ,eas substantiales
differentias esse definit (b. Boeth. p. 84., vgl. Abschn. XI, Anm. 44.), secundum
quas ipsa genera, quae ab ipsis divisa sunt, specificantur .... Nec cum ipsae generis
substantiam in speciem reddunt, ipsae quoque in essentiam speciei simul transeunt,
sed sola genera vel subiecta specificantur, non quidem separata a differentiis, sed,
fiisi ei differentiae adveniunt, ipsa sola non etiam differentiae species efficitur, non
quidem cum differentiis, sed per differentias, sicut in libro Partium tractatu speciei
disseruimus (s. Anm. 272.); si enim differentiae in speciem transferrentur cum ge
nere, .... ipsus de substantia rei esse et in partem materiae venire contingeret ......
(p. 478.) Nihil aliud materia iam formis actualiter coniuncta quam ipsum materiatum,
ut nihil * aliud est hic annulus aureus quam aurum in rotunditatem ductum ......
Statuae compositio, quam Boethius (p. 88.) ponit, .... species non videtur, cum nec
fmateria sit unum, sed operatione hominum , nec substantiae nomen, sed accidentis,
cum statua videatur et a quadam compositione sumptum.
296) Introd. ad theol. II, p. 1083.: Cum autem $pecies eae genere creari seu
gigni dicantur, non tamen ideo necesse est, genus species $uas tempore vel per
existentiam praecedere, ut videlicet ipsum prius esse contigerit quam illas; nunquam
etenim genus nisi per aliquam speciem suam esse contingit, vel ullatenus animal
fuit, antequam rationale vel irrationale fuerit, et ita species : cum suis generibus
simul naturaliter eæistunt, ut nullatenus genus sine illis, sicut nec ipsaè sine genere
esse potuerint.
297) Theol. Christ. III, p. 1277.: Proprietas itaque materiae ipsa est prioritas,
secundum quam ea, ea malerialiter aliquid fieri habet, materiati vero proprietas est
ipsa e converso posterioritas ; proprietates itaque ipsae impermiatae sunt per praedi
calionem, licet ipsa propriata permiatim de eodem praedicentur; aliud quippe est
praedicare formam, aliud formatum ipsum, h. e. rem ipsam formae subiectam.
XIV. Abälard. 179
zugleich eine Einheit der ausgeschiedenen Gruppen, deren jede Eine
gemeinschaftliche Natur hat, bewerkstelligt *°°); und sowie hiernach
nicht mehr in einer Wesens-Identität der Stoff, welcher die Gallung ist,
in den sämmtlichen Arten vorliegt, so simd es lediglich nur die Arten
der Substanz selbst, welche durch (lem artmachendem Unterschied er
zeugt werden ; wenn daher alle übrigen, nicht aus der Substanz her
vorgehenden Artem ohne Wirkung eines substantiellem Unterschiedes
entstehen und somit im blossen Stoffe begründet seim- müssen , so ist
die Einheit des letzteren als eine Wesens-Aehnlichkeit (consimilitudo)
zu verstehen, durch welche z. B. bei dem gemeinschaftlichen Wesem
des Farbe-Seins die Gegensätzlichkeit des Weissen und Schwarzen nicht
ausgeschlossem ist *°°). So unterscheidet Abälard zwischen Formen,
welche selbst Wesemheitem sind umd in den zu Grunde liegenden Stoff
(subiectum) erst eintreten müssen, um ihn zu Etwas zu machen, was
er ohne sie nicht wäre, und zwischen solchem Formen, welche keine
Wesenheiten selbst sind, sondern schon im Stoffe der Gattung enthalten
sind *""); in ersteren liegt natürlich der eigentliche artmachende Unter
schied, sowie in letzterem das sog. zufällige Merkmal accidenteller Un
terschiede, d. h. jene adiacentia (Amm. 284), welche Gegenstand der
nicht-substantiellen Aussage ist *"'). Hiemit aber sind bei den wesent
lichen Formen die Gegensätze durch die Thätigkeit des artmachenden
298) Dialect. p. 418.: Diversitas itaque substantiae diversitatem generum ac
specierum facit, .... nam etsi in speciebus substantiae specierum diversitalis causa
sit differentia, hoc tamen ea rerum diversitate, substantiae quam faciunt, contingit;
unde etiam substantiales sunt appellatae huiusmodi differenliae, quae in substantiam
venientes et discretionem substantiae faciunt et unionem communis naturae; neque
enim alia in speciali aut generali natura concludimus , nisi ea quae natura substan
tiae divina univit operatio.
299) Ebend. p. 400, woselbst nach der obem, Anm. 113., angeführten Stelle
folgt: Si enim omnium specierum est eadem in essentia materia, tunc albedinis et
nigredinis et ceterorum contrariorum, quae omnia eiusdem generis species esse necesse
est...... Nostra quoque sententia tenet, solas substantiae species differentiis confici,
ceterasque species per solam subsistere materiam, sicut in libro Partium ostendimus.
Si ergo eadem prorsus est materia, quae est in ipsis diversitas ? Sed eadem (d. h.
diversitas in ipsis est), quae est in consimilitudine substantiae non indeterminatae
essentiae ; neque enim ea qualitas, quae est essentia albedinis, essentia est nigre
dinis, esset enim albedo nigredo, sed consimilis in natura generis superioris ; con
similitudo autem vel substantiae vel formae contrarietatem non impedit. Bezüglich
der consimilitudo vgl. Anm. 307.
300) Pseudo-Abael. de intell. b. Cousin, Fragm. phil. (1840), p. 495 f.: Alii
autem, qui quasdam formas esse essentias, quasdam minime, perhibent, sicut Abae
lardus et sui, qui artem dialecticam non obfuscando sed diligentissime perscrutando
dilucidant, nullas formas essentias esse approbant, nisi quasdam qualitates, quae
sic insunt in subiecto, quod subiectum ad esse earum non sufficit, sicut ad esse
quantitatum ipsum subiectum sufficit .... vel ad esse sessionis necessaria est dispo
sitio partium ..... Nullam enim formam essentiam asserunt, cui poterit assignari,
subiectum ad esse illius sufficere.
301) Theol. Christ. III, p. 1280.: sive illa forma sit communis differentia, h.
e. separabile accidens, ut nasi curvitas, sive magis propria differentia, i. e. sub
stantialis, sicut est rationalitas, quae scilicet substantialis differentia non solum
facit alterum, i. e. quoquo modo diversum, verum etiam aliud, h. e. substantialiter
ätque specie diversùm. ` Die Quelle hievon ist Porphyrius (Abschn. XI, Amm. 44.),
d. h. Boeth. p. 79 ff. - -
12*
180 XIV. Abälard.
Unterschiedes erst entstanden und sofort ausgeschiedem, während sie
bei den unwesentlichen Formen als Möglichkeiten im Gattungsstoffe vor
liegen *"*), und es konnte Abälard, indem er sämmtlichen bloss quali
tativen Gegensätzen kein Wesens-Substrat unterlegte, sondern ein solches
nur in den art-constituirenden Gegensätzen anerkannte, sehr leicht mit
Aufrechthaltung der Umvereinbarkeit des Gegensätzlichen jener obigen
(Anm. 115) Schwierigkeit entgehen *"*). Während aber so jener Crea
tions-Process, im welchem der artmachende Unterschied ausscheidend
wirkt und das Ausgeschiedene nach Einheiten zusammenfällt (Amm. 298),
in fortschreitender Stufenfolge bis zum Einzel-Individuum sich erstreckt,
welches als solches wesentlich (d. h. essentialiter oder entialiter, nicht
jedoch seiner Substanz nach) von seines Gleichen geschieden ist *"*),
so gilt für Abälard im Anschlusse an Porphyrius und Boethius allerdings
wohl der Begriff des „ens" als ein vieldeutig allgemeiner Name *°°),
hingegen „substantia“ muss, insoferne diess der Begriff des genus ge
neralissimum ist, als jener oberste und letzte Stoff betrachtet werden,
an welchem die Thätigkeit des artmachenden Unterschiedes begimnt *°°).
So lehrt Abälard als Platoniker eine objective Ontologie der Uni
versalien, welche einerseits von dem plumperen Realismus des Wilhelm
von Champeaux sich durch sorgfältigere Benützung des Boethius zu
ihrem Wortheile unterscheidet, andrerseits aber durch obigen Begriff
der consimilitudo (Anm. 299) zugleich mit dem Verfasser De gen. et
spec. (Anm. 163 u. 177) oder mit der Indifferenz-Lehre (Anm. 132)
in eine gewisse Berührung tritt *"'). -
302) So kann z. B. bezüglich der albedo, welche natürlich keine Substanz
ist (Boeth. p. 173 f.), gesagt werdem, Introd. ad theol. III, p. 1119.: Cum idem
sit ,,id quod est album, esse nigrum“ et ,,albedinem et nigredinem eidem simul
inesse“, non tamen, ut possibile est, id qu0d esl album, esse nigrum, ita etiam
possibile est, albedinem et nigredinem simul eidem inesse.
303) Dialect. p. 390.: Quod si genera contraria per individua specierum non
contrariarum in eodem contingant, non est inconveniens (z. B. dass Jemand zugleich
keusch und geizig ist, s. Anm. 115.), quippe ipsa contraria non sunt eorum tota
substantia, sicut species ..... 0mnia itaque contraria in eodem esse negamus, sicut
et ipse in eodem (d. h. Arist. Categ.) docuit ,, sed nihil, quod videatur simul con
traria recipere posse** (Boeth. p. 205.).
304) Theol. Christ. IV, p. 1341., welche Stelle schon oben Anm. 241. ange
führt wurde. Ebend. III, p. 1280.: Haec itaque sola et omnia numero sunt diffe
rentia, quae tota quantitate suae essentiae discreta sunt, sive solo numero ab invicem
distent, ut Socrates et Plato, sive etiam specie, ut hic\ homo et ille equus, seu ge
mere quoque, ut hic homo et haec albedo, seu quacunque forma ab invicem differant.
S. Anm. 337.
305) Glossae ad Porph. (b. Cousin) p. 569.: Ens est aequivocum .... videlicet
illam definitionem, quam habet ens in praedicamento substantiae, nunquam habebit
in praedicament0 quantitatis; .... ens non habet unam substantialem definitionem,
cum qua praedicatur de omnibus generalissimis, cum hac definitione praedicatur ens
de substantia: substantia est ens, quod neque est qualitas nec quantitas etc. S.
Abschn. XII, Anm. 89. -
306) Ebend. p. 565.: . Substantia est generalissimum, quia est solum genus ....
(p. 566.) quemadmodum substantia est genus generalissimum, cum suprema sit, eo
qu0d nullum genus supra eam sit, etc. Hiezu obige Stelle Anm. 298. und Dialect.
p. 485.: Genus omne naturaliter prius est suis speciebus .... genus est materia
specierum. -
307) In einer ähnlichen an jene Ansichten erinnernden Weise drückt sich
XIV. Abälard. 181
Was aber nun die andere, logisch-aristotelische Anschauungsweise
Abälard's betrifft, so müssen wir zu entwickeln versuchen, wie er
obigen Begriff des „sermo“ (Anm. 286 ff.) verstanden wissen wolle und
im Einzélnen begründe, wobei es von vorneherein als beachtenswerth
erscheint, dass er durchweg seinem dortigen Ausgangspunkte getreu
bleibend sich an Stellen hält, welehe in dem Buehe De interpr. ent
hallen sind. Soll nemlich obiger Grundsatz festgehalten werden, dass
das Ausgesagtwerden (praedicari) in der Naturbestimmtheit der Univer
salien liege, so ist es zunächst nur eine Umschreibung hiefür, wenn
gesagt wird, dass die Aussage (sermo) mit den Dingen in einer ur
sprünglichen Verwandtschaft stehe *"*), was jedoch natiirlich so zu ver
stehen ist, .dass die Wortbezeichmung (vocum impositio) als das Spätere
von den durch sie bezeichnetem objectiven Dingen (res significata) be
dingt und abhängig ist *°°), ja dass in diesem Sinne selbst die Bedeu
tung des Wortes (significatio) noch das Frühere ist, von welchem erst
das Wort als Wort abhängt 31"). Auf diese Weise sind danm al]erdings
die Gattungen und die Arten .Nichts anderes als das durch diese Worte
Bezeichnete *!!), aber dasjenige, was hiedurch bezeichnet wird, kann
hinwiederum . Nichts anderes sein, als die Erzeugnisse jenes Creations
Processes von der Gattung an bis zum Individuum herab, und indem
die Galtungen und Arten nur in den Individuen eine concrete Existenz
haben, sprechen wir z. B. in dem Satze „Sokrates ist eim Mensch* nur
von dem durch diese Worte Bezeiéhmeten, nicht aber ja von diesen
Worten als Worten *1?). Ehem aber, da die Gattungen umd Arten als
Abälard aus Theol. Christ. lIf, p. 1261.: Sed nec Socrates, cum sit a Platone nu
mero diversus, h. e. eae discretione propriae essentiae ab ipso alius, ullo modo ab
ips0 aliud dicitur, h. e. substantialiter differens, cum ambo sint eiusdem naturae
secundum eiusdem • speciei convenientiam, in eo scilicet quod uterque ipsorum homo
est. Ebend. p. 1279.: Idem vero similitudine dicuntur quaelibet , discreta essentia
liter, quae in aliquo invicem similia sunt, ut species idem sunt genere vel individua
idem in specie. Vgl. auch Anm. 337.
308) Introd. ad theol. II, p. 1074.: Constat quippe iuacta Boethium ac Plato
nem , cognatos de quibus loquuntur rebus oportere esse sermones. S. Boeth. ad Ar.
de interpr. p. 323. -
309) Dialect. p. 487.: vocem secundum impositionis suae originem re significata
posteriorem liquet esse. Ebend. p. 350.: Si nominis huius, quod est ,,homo“,
propriam impositionem tenuerit, secundum id scilicet, quod substantiae hominis ut *
eæistenti eæ animali et rationalitate et mortalitate datum est, ratam omnin0 c0nsecu
tionem viderit. Hiezu die oben, Amm. 255., angeführte Stelle.
310) Dialect. p. 345.: neque enim nomina neque verba sunt suis non eæisten
tibus significationibus. Ebend. p. 482.: propria significatio, illa scilicet, de qua
intellectum proprie v0a, queat generare.
311) Glossae in Porph. p. 567.: genera et species, id est ipsa significata harum
vocum, §owie in obiger (Anm. 278.) Stelle stets: seae voces et significata earum.
312) Dialect. p. 204.: Neque enim substantia specierum diversa est ab essentia
individuorum, sicut in libro (zu lesem primo, s. Anm. 272.) Partium ostendimus,
nec res ita sicut vocabula diversas esse contingit; sunt namque diversae vocabulorum
in se essentiae specialium et singularium, ut ,,homo“ et ,,Socrates“, sed non ita
rerum diversae sunt éssentiae; unde illam rem, quae est Socrates, illam rem, quae
homo est, esse dicimus, sed nön illud vocabulum, quod est ,,Socrates“, illud, quod
est ,,homo“; unde quod in re speciali contingit, et in ipsius individuis necesse est
contingere, cum videlicet nec ipsae species habeant nisi per individua subsistere nec
182 XIV, Abälard.
solche nicht das concret Existirende sind, so gilt. der alte Spruch „sin
gulare sentitur, universale intelligitur“, und indem die intellectuelle
Auffassung (intellectus) das Nicht-Sinnfällige ergreifi *'*), muss sie, weil
jenes nicht-sinnfällige Universale dasjenige ist, was zum Ausgesagtwerden
bestimmt ist, nothwendiger Weise den Entstehungsgrund der Aussage
enthalten und durch jede Aussage als Entstehungsgrund derselhen zum
Bewusstsein kommen, d. h. sermo generatur ab intellectu et generat in
tellectum 31*). So ist das Aussagen (sermo) das Terrain der Universa
lien und nur im Ausgesaglwerden (praedicari), nicht etwa als Dinge
(denn ein Ding als Ding ist ja nicht ein Ausgesagtes), sind sie ebem
Universalien.
Während aber nun so jene intellectuelle Auffassung (intellectus),
insoferne sie das Nicht-Sinnfällige ergreift und hiemit die Erzeugerin
der Urtheile wird, ihrerseits auch auf dem platonischen Idealismus (Anm.
263) zurückweist, ist für die Logik, welche auf die menschlichen
Kundgebungen der Rede sich bezieht und in Aristoteles ihren Meister
hat (Amm. 255 ff.), jene Kehrseite das Entscheidende, wornach durch
das Urtheil die intellectuelle Auffassung zum Bewusstsein kömmt. Es
trägt dabei der Gedanke ein Moment des Zeitlichen (vgl. Anm. 252)
an sich, denn jedes Urtheil bedarf, um ausgesprochen zu werden, eine
Zeit, und erst nach dem successiven Auftreten all seiner Theile ist es
wirklich significant, und - während das Transitorische der Theile des
Urtheiles nicht selbst schon eine Form hat, welehe etwa die ,,Bedeu
tung“ wäre, macht nur das Erfassen des Gedankens (intellectus con
ceptus) den Satz zu einem bedeulungsvollen oder bezeichnenden °'°),
so dass auch die Einheit des Urtheiles in der Einheit des Gedankens,
welchen es erweckt, besteht *1°). Eben- darum aber hat das Urtheil,
in ea, quae informant et ad invicem faciunt respicere, nisi per individua, venire
(vgl. Anm. 296.).
3f3) Introd. ad theol. II, p. 1061.: proprie de invisibilibus intellectus dicitur,
secundum quod quidem intellectuales et visibiles naturae distinguuntur.
314) Theol. Christ. I, p. 1162 f.: Licet etiam ipsum nostrae mentis conceptum
ipsius sermonis tam effectum quam causam ponere , in proferente quidem causam, in
audiente effectum, quia et sermo ipse loquentis ab eius intellectu proficiscens gene
ratur, et eundem rursus in auditore generat intellectum. Pro hac itaque maæima
sermonum et intellectuum cognatione non indecenter in eorum nominibus mutuas fieri
licet translationes, quod in rebus quoque et nominibus propter adiunctionem significa
tionis frequenter contingit.
315) Dialect. p. 191 f.: Nostra in eo sententia pendet , ut post omnium par
tium suarum prolationem oratio significare dicatur; tunc enim eae ea intellectum colli
gimus, cum prolatas in proæimo dictiones ad memoriam reducimus, nec ullius vocis
significatio perfecta est, nisi ea tota prolata ...... Cum igitur dicimus, prolatam
orationem significare, non id intelligi volumus, ut ei, quod non est, formam ali
quam, quam significationem dicunt, attribuamus, sed potius intellectum eae prolata
oratione conceptum animae audientis conferimus, ut cum dicimus ,,Socrates currit*',
significatus hic videtur sensus, quod intellectus eae prolatione ipsius conceptus in
anima alicuius eæistit..... Quod intellectus aliquis generetur, possumus orationem
quamlibet ita significativam dicere, quod unum de his, eæ quibus intellectus conci
piatur. Die. Quelle hievon ist Boeth. p. 296 f., s. Abschn.'XII, Anm. 110.
316) Ebend. p. 297.: Multiplicem illam dictionem dicimus, quae pluribus im
p0sita est, ea, quibus non fit unum, h. e. plura in sententia tenet non secundum
id, quod eae eis unus procedat intellectus ; sic autem e converso omnis illa una est
XIV. Abälard. 183
sowie , aueh das Wort als Bestandtheil desselbem, wesentlich zugleich
zwei Seiten, deren eine in den Dingen liegt, über („de“) welche es
handelt (significatio realis), die andere aber den Gedanken betrifft, wel
chen es enthält und erzeugt, über welchen es aber nicht handelt (sig
nificatio intellectualis), und so geht das objectiv factische Sein und
Nicht-sein dem Wahr- und Falseh-Sein des Urtheiles parallel 317). Nem.
lich das Wort „praedicari“ hat allerdings drei Bedeutumgen, indem es
eimmal ganz äusserlich von der blossen Aneinanderreihung eines Sub
jeetes und eines Prädicates, abgesehen von allem realem Inhalte, ge
braucht wird, sodann . aber in zweifachem Sinne das Verhältniss des
objectiv Factischen betrifft, insoferne das praedicari bezüglich jenes
Creationsprocesses (Anm. 294 ff. u. 312) entweder das Geformte (ma
teriatum) oder die Form (forma) mit dem Gatlungsstoffe (materia) in
eine Beziehung setzt; natürlich aber ist nur letzteres beides dasjenige,
worüber (,,de quo“) das Urtheil handelt, und in solcher Bedeutung ist
praedicari so viel als esse, so dass, insoferne wir nur in Worten Ur
theile aussprechen können, es der Modalität der Ausdrucksweise amheim
fällt, wenn ein Urtheil bejahend oder ein anderes verneinend u. dgl.
ist 81*). Auch triffi ja jene doppelte Beziehung, welche in den Urtheilen
dictio, quae plurium significativa est secundum id, quod eae eis unus intellectus pro
cedat. S. Boeth. p. 335. (d. h. Aristoteles, s. Abschn. IV, Anm. 185 ff.).
317) Ebend. p. 238.: Sunt igitur verum ac falsum nomina intellectuum, veluti
cum dicimus ,,intellectus verus et falsus“, h. e. habitus de eo, quod in re est vel
non est, quos quidem intellectus in animo audientis prolatu propositio generat ......
Sunt rursus verum ac falsum nomina propositionum, ut cum dicimus ,,propositio vera
vel falsa“, i. e. verum vel falsum intellectum generans. Significant propositiones idem,
quod in re est vel quod in re non est; sicut enim nominum et verborum dupleæ ad
rem et ad intellectum significatio, ita etiam propositiones, quae eae ipsis componunlur,
duplicem eae ipsis significationem contrahunt, unam quidem de intellectibus, aliam
vero de rebus ..... Patet insuper adeo , per propositiones de rebus ipsis, non de in
tellectibus nos agere. p. 240 f.: Restat itaque, ut de solis rebus, ut dictum est,
propositiones agant, sive idem de rebus, quod in re est, enuntient, ut ,,homo est
animal, homo non est lapis“, sive id, quod in re non est, proponant, ut ,,homo
non est animal, homo est lapis“, ut etiam de significatione reali propositionis, non
tantum de intellectuali, supraposita propositionis definitio (Boeth. p. 291.) possit
eæponi sic ,, significans verum vel falsum, i. e. dicens illud, quod est in re vel quod
non est in re*', et in hac quidem. significatione verum et falsum nomina sunt earum
eæistentiarum rerum, quas ipsae propositiones loquuntur. Cum autem eandem de
finitionem et de intellectibus ipsis hoc modo eæponimus ,,significans verum vel falsum,
h. e. generans secundum inventionem suam de rebus, de quibus agitur, verum vel
falsum intellectum“, tunc quidem ipsos nominat intellectus. Nota autem, sive de in
tellectibus sive de rerum existentiis eaeponamus, orationis praemissionem necessariam
esse. Die Quelle hievon b. Boeth. p. 321. Vgl. auch Anm. 347.
318) Ebend. p. 367.: Tribus autem modis ,,praedicari** sumitur, uno quidem
secundum enuntiationem vocabulorum ad se invicem in constructione, du0bus vero
secundum rerum ad se inhaerentiam , aut eum videlicet in essentia cohaeret sicut
materia materiato, aut cum alterum alteri secundum adiacentiam adhaeret ut forma
materiae. Ac secundum quidemÅomnis enuntiatio .... praedicatum et
subiectum habere dicitur ..... Sed non *de his in propositione agitur, sed de praedi
catione tantum rerum, illa scilicet solum, quae in essentia, quae verbo substantivo
eaeprimitur, consistat ..... Tantum itaque ,,praedicari** illud accipimus, quantum si
,,hoc illud esse“ diceremus, tantum per ,,removeri“, quantum per „non esse“ ..
Cum itaque per „praedicari“ „esse“ accipiamus, superflue vel ,,vere'' vel ,,affirma
tive** apponitur; quod enim est aliquid, vere est illud, affirmative autem enuntia
184 XIV. Abälard.
enthaltem sein kamn , mit der altem Unterscheidung zwischen „de sub
iecto“ und „in subiecto“ (s. Abschm. XII, Anm. 92) zusammen, und das
Gesetz der Aussage (leae praedicamenti) hat seinen Wirkungskreis in
eben jemen zwei realen Bedeutungen des Urtheiles °'°).
Hiemit ist uns nun obige (Amm. 272 ff.) Gliederung der Dialektik
Abälard's erst völlig verständlich. Im sermo, d. h. im Urtheile, liegt
Alles. Hiefür aber sind die Universalien die gebornem, im Creations
processe entstandenem Prädicate, welche das Denken platonisch erfasst
und im Urtheile aristotelisch als Universalien ausspricht, daher ja Abä
lard auch das Individuum als sechstes Wort den üblichen fünf noch
heizählte (Anm. 278 ff.), demn das Jndividuum als prima substantia
(Abschn. XII, Anm. 91) oder, wie es hier auch genannt wird, als
principalis substantia, wird eben mit jenem Worte (voae) bezeichnet,
welches der letzten Stufe des Creations-Processes entspricht **"); ferner
aber musste Abälard hiebei, da er dem artmachendem Unterschied nur
als wirksame Kraft, welcher nicht selbst in den Gattungsstoff eingehe,
betrachtete (Anm. 295), den Namen der Differenz nicht als Substantivum
nehmen, wie Wilhelm v. Champeaux gethan hatte (Anm. 108), sondern
konnte den Schwierigkeiten, welche hierüber auch von Amderen erhoben
wurdem (Anm. 122) dadurch ausweichen, dass er das die Differenz
bezeichnende Wort als ein von derselben abgeleitetes Adjectivum —
„sumptum“ — erklärte ***). Nach jenen gebornen Prädicaten aber
tionis est determinatio, quia tantum in vocibus consistit affirmatio, sicut et modi
vel determinationis appositio; modus enim vel determinatio (s. Abschn. .XlI, Anm.
119.) tantum vocum sunt designativa, quae solae moderantur vel determinantur in
enuntiatione positae. S. Anm. 327. u. 375.
319) Glossae in Categ. p. 579 f.: omnia aut dicuntur de principalibus sub
stantiis sibi subiectis .... servata lege praedicamenti .... aut sunt in eis subiectis.
Eine andere Ausdrucksweise hiefür ist (ebend. p. 585 f.) die Unterscheidung zwi
schen praedicari substantialiter und praedicari accidentaliter (Boeth. p. 134.), vgl.
Amm. 322. -
320) Ebend. p. 584.: species, in quibus continentur principales substantiae
• • • • • • genera et species Ordinata post principales substantias sola dicuntur secundae
substantiae (u. öfters ebenso). p. 591.: Vere primae substantiae significant aliquid
hoc individuale , quia illud, quod significatur a prima substantia, scilicet quae voae
est sicut et consimilia (so ist nach der Handschrift mit kleiner Aenderung zu lesen,
Cousin gibt Widersinniges), est individuum et unum numero, i. e. parificatum nu
nerali descriptione, i. e. significatur ab hac voce, quae est individuum et unum
1ma/mer0.
321) Dialect. p. 456.: De nominibus differentiarum sciendum est, ut non quidem
substantiva, sed sumpta a differentiis sumantur, posita tamen loco specierum; oportet
enim in eadem significatione vocabula differentiarum sumi in divisione generis, in qua
significatione ipsa in definitione speciei ponuntur, cum scilicet nomini generali adia
cent ..... (p. 457.) sicut in nostra fiawum *est sententia, nullo modo inter accidentia
differentias admittamus (s. oben Anm. 300 f.); quod autem Porphyrius per differen
tias genus in species dividi diacit, secundum eam dictum est sententiam, qua naturam
generalem in species , redigi atque distribui per •usceptionem differentiarum realiter
voluit, aut potius per differentias genus in species dividi voluit, cum earum Joca
bula adiuncta nomini generis speciem designant atque definitionem speciei componunt,
hoc modo ,,animal aliud rationale, aliud irrationale animal.** Ebend. p. 189.: In
sumptis enim non ea, quae ab ipsis nominantur, comparantur, sed tantum formae,
quae per ipsa circa subiecta determinantur; alioquin et substantias ipsas comparari
* contingeret, quae a sumptis nominibus nominantur, ut ab eo quod est album.
XIV. Abälard. . 185
folgen damn in den Kategorien die Dinge selbst, insoferne : sie durch
Worte bezeichnet werden — „naturae, quae vocibus designantur“ —,
und die Kategoriem enthalten demnach die Dinge ***), wohingegen zu
nächst hierauf die Worte als das Bezeichnemde betrachtet werden und
den Uebergang zum Urtheile (sermo) selbst, welches aus ihnen zusammen
gesetzt ist, bilden.
' Das Urtheil aber sodann enthält nicht die Dinge, sondern enthält
dem Gedanken (intellectus), hingegen handelt es über die Dinge, nicht
aber etwa indem es die Dinge bezeichne, sondern indem es den vom
Denken erfassten Zusammenhang der Dinge mit dem Creatiomsprocesse
enthält. Während demnach das Aussagen des Seienden (im Urtheile)
micht selbst ein Seiendes ist, handelt es sich bei dem Aussagen um
einen sachlichen Werhalt, d. h. um das objectiv saehliche Zusammen
hängem des durch das Suhject und des durch das Prädicat Bezeichne
ten ***). Diese Unterscheidung von „enthaltem“ und „handeln* bildet
den innersten Kern der Abälard'sehen Auffassung bezüglich des Urthei
les ***). Die Aussage' hat nemlich allerdings eine spraehliche Seite,
und indem wir Ein und das nemliehe Ding mit mehreren Bezeichnungen
im Urtheile henennem (z. B. den Sokrates bald Mensch, bald Körper,
bald Substanz nennen), liegt ebem hierim ein Unterschied zwischen
Sprachausdruck und Realität (vgl. Anm. 312); aber während die Aus
sage (praedicatio) für sich allein in einer Losreissumg von der sach
lichen Inhärenz (rerum inhaerentia) durchaus Nichts ist, hat gerade die
Logik die Aufgabe, das Urtheil in diesem Sinne nach der Seite des
Wortausdruckes zu untersuchen 328). Die Hauptsache ist ja eben das
—
322) Ebend. p. 209. u. 245., welch beide Stellen schon oben, Amm. 272.,
angeführt sind. Hiezu aber p. 220.: Subiectarum vero rerum diversitas secundum
decem praedicamentorum discretionem superius est ostensa, qua principalis ac quasi
substantialis nomini significatio detur; ceterae vero significationes, quae secundum
nodos significandi accipiuntur, quaedam posteriores atque accidentales dicuntur. Vgl.
Amm. 319.
323) Ebend. p. 241.: Dignum autem inquisitione censemus, utrum illae eaei
stentiae rerum, quas propositiones loquuntur, sint aliquae de rebus eæistentibus .....
p. 245.: Clarum itaque eae suprapositis arbitror esse, res aliquas non esse ea, quae
a propositionibus dicuntur .... Patet insuper, ea quae propositiones dicunt nullas res
esse , cum videlicet nulli rei praedicatio eorum aptari possit; de quibus enim dici
potest, quod ipsa sint ,,Socrates est lapis“ vel ,,Socrates non est lapis“ ..... Esse
autem rem aliquam vel non esse, nulla est omnino rerum essentia;. non itaque pro
positiones res aliquas designant simpliciter quemadmodum nomina. Imo qualiter sese
ad invicem habeant, utrum scilicet sibi conveniant annon, proponunt; quae idcirco
verae sunt, cum ita est in re sicut enttantiant, tunc autem falsae , . cum non est in
re ita ; et est profecto ita in re, sicut dicit vera propositio, sed non est res aliqua,
quod dicit; unde quasi quidam rerum modus habendi se per propositiones eaeprimi
tur, non res aliquae designantur. -
324) Nur aus dem Misskennen dieses Unterschiedes floss es, dass Cousin und
mit ihm Hauréau und Rémusat in Abälard's Lehre einen Intellectualismus oder
Conceptualismus erblickten.
325) Dialect. p. 247 f.: Si quis itaque secundum rerum inhaerentiam realem
acceperit praedicationem ac subiectionem, secundum id scilicet, quod unaquaeque res
in se recipit ac subsistit, sicut nihil esse eam videret praeter ipsam, ita eam nihil
esse per se ipsam invenerit. At vero magis praedicationem secundum verba propo
sitionis, quam segundum rei evistentiam, nostrum est attendere, qui logicae deser
186 . XIV. Abälard.
jenige, worüber das Urtheil „handelt*; diess aber ist weder das Wort
noch der Gedanke (intellectus), denn weder ist .durcli die Exislenz Eines
Wortes die eines anderen Wortes gefordert, noch auch sind die Ge
danken, welche die Urtheile ,,enthalten“, in einer zwingenden gegen
seitigen Werwandtschaft, da wir ja in jedem Uriheile nur Einem Ge
danken haben, und die Annahme, dass wir mehrere zugleich hätten,
zu der Consequenz führen würde, dass wir gleichzeitig unendlich viele
Gedanken hätten, indem sachlich in der That jeder Zustand unendlich
Wieles in zusammenhängender Folge enthält; hingegen nur in demjenigen,
worüber das Urtheil „handelt*, ist der reale Zusammenhang oder jenes
sachliche Sichverhalten (Anm. 323) zu findem , und festzuhalten *°°), da
her auch die Modalität der Ausdrucksweise, d. h. ob Bejahung oder
Werneinung oder dgl. (s. Anm. 318), weder in dem Worten noch in den
Gedanken liegt, sondern nur auf ihren objectiv dinglichen Grund zurück
zuführen ist 837).
Ist es aber auf diese Weise dem Abälard beim Urtheile nicht um
den Gedanken (intellectus), sondern um die faclische Inhärenz im Ding
lichen zu thum, so verstehen wir nun auch, warum er nach dem Motive
des stoisch-boethianischen Zusammensetz-Spieles das kategorische Urtheil
mur als Worstufe des hypothetischen Urtheiles behandelt, in welch letz
teres sich die Topik als Basis der Gellung desselben einschiebt. Das
hypothetische Urtheil als zusammengesetztes hat ja die Rolle, der adä
quate Ausdruck des Zusammenhanges zu sein, und dieser wird durch
Schlüsse, vorausgesetzt dass die Prämissen für den Hörer eine Geltung
der redenden Aussage haben, in dem Verfahren der Argumentation klar
gemacht. D. h. dasjenige, was der denkende Mensch in platonischer
Weise erfasst und durch das Urtheil in aristotelischer Weise ausspricht,
soll num in rhetorisch-ciceroniseher Weise zur Argumentation verwerthet
werden. Auch in der Argumentatiom nemlich, — wie polemisch gegen
Andere bemerkt wird, s. Anm. 225 —, handelt es sich nicht um die
Gedanken (intellectus), sondern um das Nemliche, worüber die Urtheile,
aus welchen sie besteht, handeln, nur mit dem Unterschiede, dass hier
vimus, secundum qu0d quidem de e0dem diversas facimus enuntiationes hoc modo
,,Socrates est Socrates vel h0m0 vel corpus vel substantia“; aliud enim in nomine
Socratis quam in nomine hominis vel ceteris intelligitur, sed non est alia res unius
nominis, quod Socrati inhaeret, quam alterius. Hiezu obige Stelle Anm. 255.
326) Ebend. p. 352 f.: Neque enim veram hanc consequentiam ,, si est homo,
est animal** de vocibus agentem possumus accipere sive dictionibus sive pr0p0sitioni
bus; falsum est enim, ut, si haec v0æ ,,h0m0“ eæistat, haec quoque sit quae est
,,animal**; ac similiter de enuntiationibus sive earum intellectibus. Neque enim
necesse est, ut qui intellectum praecedenti propositione generatum habet, habeat quo
que intellectum eae consequenti conceptum ; nulli enim diversi intellectus ita sunt af
fines, ut alterum cum altero necesse sit haberi, imo nullos intellectus simul diversos
animam retinere, eæ propria quisque discrelione convicerit, sed totam singulis in
tellectibus, dum eos habet, vacare invenerit; quod si quis essentiam intellectuum ad
se sequi sicut essentiam rerum, ea, quibus habentur intellectus, concesserit, profecto
quemlibet intelligentem infinitos intellectus habere concederet secundum id scilicet, quod
quaelibet pr0p0sitio innumerabilia consequentia habet ..... Ut igitur veritatem conse
cutionis teneamus, de rebus tantum eam agere concedamus et in rerum natura re
gulas antecedentis ac consequentis accipiamus.
327) Ebend. p. 404., welche Stelle schon oben, Anm. 208., angeführt ist.
*
XIV. ' Abälard. 187
die Subsumption (inferentia) es ist, durch welche der in dem sachli
chen Bestande vorliegende nothwendige Zusammenhang (necessitas) im
Schliessen ausgedrückt wird ***), und Ahälard glaubt es kaum oft genng
hervorheben zu können, dass die Abfolge zwischen „antecedens“ und
„consequens“ (s. Abschn. XII, Anm. 144) nicht im Gedanken, sondern
lediglich factisch in der geschaffenen Natur und der realem Grundlage
âller Urtheile selbsl schon vorliege °°°), daher er auch jener anderen
Einseitigkeit, welche wir oben (Anm. 215) trafen, schroff die Auffassung
gegenüberstellt, dass die Modalität der Urtheile auch bezüglich der Be
griffe des Möglichem und Nothwendigen (ebenso wie oben Anm. 327)
auf eine dingliche Modification des Seins zu begründen sei *°°).
So glauben wir nun durch das Bisherige über Wesen, Princip und
Durchführung der Dialektik Abälard's eine richtige Einsicht gewonnen
zu haben, für welche wir selbst, falls es nöthig wäre, ein von einem
Zeitgenossen herrührendes Epitaphium Abälard's **') als äusserlichen
Beleg beniìtzen könnten. Allerdings ist es kein aristotelischer Geist,
welcher uns in dieser Dialektik entgegenwelit, sondern weit eher ver
spüren wir den verpestenden Einfluss des Stoicismus (s. Abschn. VI,
Anm. 47—56), welcher sich in die Schriften des Boethius hineinge
zogen hatle; denn jene Verbindung eines rohen Empirismus mit dem
328) Ebend. p. 426 f.: Dicuntur in argumentis ea, quae a propositionibus
ipsis significantur, ipsi quidem intelleclus, ut quibusdam placet, quorum conceptio
sine etiam vocis prolatione ad Qoncessionem alterius ipsum c0git dubitantem, unde et
bene rationis nomen in praemissa definitione (d. h. in der ciceronischen, s. Abschm.
XII, Anm. 165.) dicunt apponi, ratio enim nomen est intellectus, qui in anima est.
Sed si divisionis verba attendamus, potius argumentum accipiendum erit in designatione
eorum, quae a propositionibus dicuntur, quam eorum intellectuum, qui ab ipsis ge
?meramtur ..... Neque enim in propositione quidquam de intellectu dicitur, sed cum
de rebus agitur, per ipsam inlellectus generatur, qui neque in sua essentia necessi
tatem tenet neque inferentiam ad alterum ..... Unde p0tius de his, quae proposiliones
ipsae dicunt, supraposita definitio accipienda est. -
329) Introd. ad theol. III, p. 1134.: Ea, quo apparet, quam verum sit, ....
in illa philosophorum regula, cuius possibile est antecedens et consequens, eos ad
creaturarum tantum nomen accommodare. Dialect. p. 239 f.: Eæ his itaque mani
festum est, in consequentiis per propositiones de earum intellectibus agendum non
esse, sed magis de essentia rerum ..... Et in hac quidem significatione eorum, quae
propositiones loquuntur, una tamen regula eæponitur, quae ait, posito antecedenti
poni quodlibet consequens eius ipsius, h. e. eæistente aliqua antecedenti rerum essen
tia necesse est eæistere quamlibet rerum eæistentiam consequentem ad ipsam. Ebend.
p. 351.: Si quis ilaque vocum impositionem recte pensaverit, enuntiationum quarum
libet veritatem facilius deliberaverit et rerum consecutionis necessitatem velocius ani
nadverterit. Ebenso p, 343 f. u. p. 382. - -
330) Dialect. p. 270.: Unde oportet, ut rectae sint modales, ut etiam de rebus
sicut simplices agant et hunc quidem de possibili et impossibili et necessario, quod
quidem tam in his, quae singulare subiectum habent, quam in his, quae universale,
licet inspicere. S. Anm. 379.
331) Aus Rawlinson angeführt bei Rémusat II, p. 104.: Hic docuit voces cum
rebus significare, Et docuit voces res significando notare, Errores generum correaeit,
ita specierum ; Hic genus et species in sola voce locavit, Et genus et species ser
mones esse notavit; Significativum quid sit (diess nemlich ist das Urtheil, s. Anm.
315.), quid significatum, Significans quid sit (diess ist das einzelne Wort), prudens :
diversificavit; Hic quid res essent, quid voces significarent, Lucidius reliquis pate
fecit in arte peritis; Sic animal nullumque animal genus esse probatur, Sic et homo,
et nullus homo species vocitatur.
188 XIV. ' Abälard.
formalen Motive des fortschreitendem Zusammensetzens und mit dem
rhetorischen Interesse der Argumentation tritt gerade da, wo Abälard
überall die logischen Momente an die factische Sachlage der Dinge
veräussert, am die Stelle einer dem definitorischen Wissen wahrhaft
dienenden Syllogistik, und im innersten Kerne ist Abâlard bezüglich
der Logik weit mehr ein rhetorischer Theoretiker der Argumentation,
als etwa ein Platoniker oder Aristoteliker. Jedoch er ist vielfach eni
schuldbar, da er ja von den Hauptwerkem des Aristoteles nur etliche
zerstreute Einzelnheiten vom hlossen Hörensagen kannte (Anm. 8—18),
und insbesondere darum, weil die unvernünflige Anordnung der Theile
des 0rganons sowie die porphyrianischen Anschauungen des Boethius
eine schiefe oder zwiespaltige Auffassung hervorrufen mussten. Es
rächt ' sich bei Abälard und vielleicht bei all seinen Zeitgenossen, dass
einerseits die Isagoge und die Kategorien dem Platonismus näher stehen
und andrerseits zugleich das hernaeh Folgende den Aristotelismus ent- '
hält; und ausserdem mochte Abälard durch seine persönliche Begabung
selbst über ein tieferes Erfassen dieser Gegensätze hinausgehoben und
zu einem Rhetorismus hingetrieben sein. Es scheint, dass Abälard, wenn
er in jenem späteren Jahrhunderten gelebt hätte, wohl sicher ein An
hänger des Petrus Ramus gewesen wäre.
Es ist uns nun aber noch übrig, Abälard's Entwicklung der Dia
lektik auch durch die einzelnen Theile derselben zu verfolgen, wobei
uns derselbe in gleiche Limiie mit den obigen, ihren Namem nach unbe
kannten Urhebern der dort erwähnten einzelnen Controversen tritt.
Nach Abälard's eigener Eintheilung (Ann. 272 ff.) folgt num, nach
dem die Ergänzung des Inhaltes der Antepraedicamenta uns zu den all
gemeineren und principiellerem Erörterungen geführt hatte, der zweite
Abschnitt des ersten Haupttheiles, nemlich die Pr a e d i c a m e n t a,
wobei selbstverständlicher Weise Boethius zu Grunde gelegt ist und
Schritt für Schritt begleitet wird. Die Begriffe des univocum u. dgl.
fallem nach 0bigem (Anm. 312 u. 325) matürlich mur der sprachlichem
Seite anheim ***). Die Kategorie der substantia, welehe anderwärts
im Anschlusse am Ps.-Boeth. de trin. auch als subsistentia gefasst wird ***),
erhält ihre Besprechung durchgängig im vollständigsten Anschlusse an
Boethius *°*). Ausführlicher wird die Quantität erörtert, obwohl hiebei
Abälard auf die Erörterungen Anderer sich stützen musste, da er nach
seinem eigenem Geständnisse in der Arithmetik unwissend war *°°); er
stimmt denjenigen bei, welche (vgl. Anm. 109 u. 127) der Ansicht
waren, dass die Linie aus Punkten bestehe °°°), und hält bezüglich des
332) So gelegentlich Dialect. p. 480.: Hoc itaque nomen, quod est aequivocum
sive univocum eæ vocabulis tantum in rebus contingit. -
333) Introd. ad theol. II, p. 1071.: Unde et substantiae quasi subsistentiae
esse dictae sunt, et ceteris rebus, quae ei assistunt et non per se subsistunt, natu
raliter priores sunt. -
- 334) Dialect. p. 173—178. (Der Text der Handschrift beginnt überhaupt erst
in Mitte der Kategorie substantia, d. h. bei Boeth. p. 133.)
335) Ehend. p. 182.: Etsi multas ab arithmeticis solutiones audierim, nullam
tamen a me praeferendam iudico, quia eius artis ignarum omnino me cognosco.
336) Ebend.: Talem autem, memini, rationem magistri nostri sententia praeten
XIV. Abälard. 189
Zahlbegriffes an der durch den Creations-Process bedingten natürlichen
Einheit fest (Anm. 304), wornach im- Gegensatze gegen obige Meinungen
Anderer (Anm. 199 f.) hier die Particularität der Einzelnheit die reali
stisehe Grundlage bildet, so dass einerseits ,,Zahl überhaupt“ schon die
Pluralität enthält und gleiehbedeutend mit „Einheiten“ ist, und andrer
seits die bestimmtem verschiedenem Zahlen als Substantive die Bezeich
nungen für verschiedene collective höhere Einheilem sind, vergleichbar
dem collectiven Verfahren, durch welches wir die Dinge nach verschie
demen Gesichtspunkten in Arten oder Unterarten oder sonstige Gruppen
hringen **"). Insoweit dort auch die menschliehe Rede als ein Quan
titatives zu erörterm ist, bestreitet Abälard obige Einseitigkeit, w0rnach
die Luft für das Significante gehalten wurde (Anm. 203), und indem
er dem Schalle diese Function zuweist, sucht er diese Ansicht durch
Auctoritäten zu stützem *°°). Unmittelbar nach der Quantilât aber reiht
er die Kategorien ubi und quando ein, da dieselben von Natur aus in
ihrem Ursprunge, mit den in der Quantität erörterten Begriffen des 0rtes
und der Zeit verbunden seien 33°), und während er so diese beidem
Kategorien, auch z. B. mit Einschluss des Begriffes „Gestern* **"),
realistisch fasst, gelangt er wegen des „im 0rte Seins“ und des „in
der Zeit Seins* auf die versehiedenen Bedeutungen des „inesse“ **'),
debat, ut eæ punctis lineam constare convinceretur ..... (p. 183.) Alioquin supra
posita magistri sententia, cui et nostra consentit, etc.
337) p. 186.: numerus semper in natura discretionem habet, qui solam unitatis
particularitatem requirit .... Nomen numeri plurale simpliciter videtur atque idem
cum eo, quod est unitates .... p. 189.: Unde ópportunius nobis videtur, ut, sicut
supra tetigimus, numeri momen substanlivum tantum sit ac particulare unitalis atque
idem in significatione quod unitates, binarius vero vel ternarius ceteraque numerorum
nomina inferiora sunt ipsius pluralis, sicut homines vel equi ad animalia aut albi
homines et nigri vel tres vel, quinque homines ad homines. Et fortasse quoniam
omnia substantive numerorum nomina in unitatibus ipsis pluraliter accipiuntur, omnia
eiusdem singularis pluralia poterunt dici secundum hoc scilicet, quod diversas uni
tatum collectiones demonstrant (vgl. Anm. 307.). Numerus quidem simpleæ metiatur
plurale, alia vero secundum certas collectiones determinata. Hierauf folgt dann die
oben, Anm. 199., angeführte Stelle. Vgl. auch p. 421.: Haec enim unitas hominis
Parisiis habitantis et illa hominis Romae manentis hunc faciunt binarium, unde sola
unitatum pluralitas numerum perficit; ebenso p. 486.
338) p. 190.: Nos autem ipsum proprie sonum audiri ac significare concedimus
.. p. 192.: unde et Priscianus (Inst. gr. I, 1) ait, vocem ipsam tangere aurem,
dum auditur, ac rursus ipse Boethius (de Musica, p. 1071.) totam vocem .... ad
aures diversorum simul venire perhibet, worauf noch in folgender auffallender Form
auf Augustin und Boethius verwiesen wird (p. 193.): ipsum eliam Augustinum in'
Categoriis suis asserunt diacisse, und etiam Boethius dicitur in libro musicae artis
adhibuisse.
339) p. 195.: Hactenus de quantitate disputationem habuimus. Nunc ad tracta
lum praedicamentorum reliquorum operam transferamus, eaque post quantitatem eaese
quamur, quae ei naturaliter adiuncta videntur ac quodammodo eae ea originemi ducere
ac nasci; haec autem ,,quando“ et ,,ubi** nominibus Aristoteles designat, quorum
quidem alterum eae tempore alterum eae loco duaeit exordium.
340) p. 196., s. oben Anm. 196.
341) p. 197.: Quum autem et „quando“ in tempore esse et „ubi“ in loco esse
delerminamus, non incommode hoc loco demonstrabimus, quot modis esse in aliquo
accipimus; Boethius autem in editione prima super Categorias movem computat (folgi
num die Aufzählung derselben aus Boeth. p. 121., s. Abschn. XII, Anm. 92.;. Cousin
nimml Anstoss, weil er diese Stelle des Boethius nicht fand!).
190 XIV. . Abälard.
sucht aber im Gegensatze gegen , obige Bedenken Anderer (Amm. 194),
welche die Analogie des Fragewortes „qualiter* beizogen.jene das
inesse betreffenden Ausdrucksweisen dem grammatischen:Sprachgebrauche
zuzuweisen ***), hingegem jene zwei Kategorien als solche dadurch zu
rechtfertigen, dass in ihnen eine Vergleichung möglich sei, sie daher
nicht auf die Quantität, welche eine Vergleichung ausschliesst, zurück
geführt werden dürfen ***), woran sich übrigens noch die Klage an
knüpft, dass Aristoteles die letzten sechs Kategorien überhaupt so karg
behandelt habe ***). In der Controverse über die Relation (ob. Anm.
192) entscheidet sich Abälard schliesslich für die Auctorität der aristo
telischen Definition °*°), sowie in der Frage über die Stellung der Be
griffe des Aehnlichem und Gleichen (Anm. 193) dafür, dass dieselben
zur Qualität gehören 34°).
Die Po s t p r a e d i c a me nt a sodamm als dritter Abschnitt des Li
ber partium enthalten, wie wir sahen (Amm. 272), die Erörterung über
Nomen und Verbum, insoferne dieselben die Bezeichnungsweisen der
Dimge sind und als Theile betrachtet werdem, aus welchen das Urtheil
als Ganzes zusammengesetzt ist. Die von uns im Obigen entwickelte
Ansicht Abälard's über den Begriff der Bezeichnung (significari oder
342) p. 200.: Si quis autem ,,qualiter“ dicat nihil aliud quam qualitatem
demonstrare, et ,,ubi** dicemus nihil aliud quam locum designare vel ,, quando**
nihil aliud quam tempus ; unde et earum definitiones recte vel ,,in loco esse** vel
,,in tempore esse** dicimus, quae, si grammaticae proprietatem insistamus, nihil
aliud a loco vel tempore diversum ostendunt ..... Videntur itaque magis pro nominibus
accipienda esse ,,esse in loco** vel ,,esse in tempore**, quam pro definitionibus.
343) Ebend.: Haec autem generalissima ipsa, ut arbitror, comparationis neces
sitas meditari compulit; cum enim quantitates non comparari constaret (Boeth. p.
154), non poteramus comparationem ,,diu* vel ,,diuturni“ vel ,,eaetra“ ad tempus
vel locum reducere, indeque mnacime inveniri praedicamenta arbitror, ad quae illa
reducantur.
344) Ebend.: Ac de his quidem praedicamentis difficile est pertractare, quorum
doctrinam eæ auctoritate non habemus, sed numerum tantum; ipse enim Aristoteles
in tota praedicamentorum serie sui studii operam nonnisi quatuor praedicamentis
adhibuit, substantiae scilicet, quantitati, ad aliquid, qualitati; de facere autem vel
pati nihil aliud docuit, nisi quod contrarietatem et comparationem susciperent .....
de reliquis autem quatuor, quando scilicet, ubi, situ, habere, eo quod manifesta
sunt, nihil praeter eæempla posuit ..... De ubi quidem ac quando ipso quoque atte
stante Boethio (p. 190.) in Physicis de omnibusque altius subtiliusque in his libris,
quos Metaphysica vocat, eæsequitur, quae quidem opera ipsius nullus adhuc trans
lator latinae linguae aptavit, ideoque minus natura horum nobis est cognita. Vgl.
obige Anm. 18., woselbst wir schon auf die durch Gilbertus Porretanus später
beigebrachte Ergänzung hinweisen musstem, s. untem Anm. 488 ff.
345) p. 204.: Aristoteles de imperfectione restrictionis sicut Plato de accepta
tione nimiae largitatis culpabilis videtur; • uterque enim modum eaecesserit, atque hic
quasi prodigus, illa tanquam avarus redarguendus. Sed et si Aristotelem peripateti
corum principem culpare praesumiamus, quem amplius in hac arte recipiemus? Dica
fmus itaque, omni ac soli relationi eius diffinitionem convenire etc.
346) p. 208.: At vero cum similitudo relationibus aggregetur (Boeth. p. 157.),
. non videtur secundum solas qualitates simile dici .... His autem, qui simile ac
dissimile inter qualitates computant (Boeth. p. 187.), monstrari potest, res quaslibet
in eo, quod dissimiles sunt, esse similes .... At fortasse non impedit, si in eo,
quod dissimilitudinem participant, similes inveniantur (d. h. er hält sich an die
letztere Stelle des Boethius). -
XIV. • Abälard. 194
significatio) führt ihm hier dazu, seine Uebereinstimmung mit jenem
Garmundus (Amm. 82) auszusprechen, welcher als gemässigter Nomi
nalist in dem begrifflichen Gehalte des Wortes, nicht im Worte als
solehem, das Wesen der Bezeichnung erblickte; eine Auffassung, welche
Abälard dureh Stellen des Boethius bestätigt findet ***). In dem Streite,
ob die Präpositionem und Conjunctionen als Redetheile zu betrachten
seien (Amm. 206), sueht er eine Wermittlung zwischem dem einseitigem
Standpunkten der Grammatiker und der Dialektiker herzustellen, indem
er jenem Redetheilen wohl die Fähigkeit des Bezeichnens zuschreibt,
aber dieselbe in der nemlichen Weise wie den Modus der Aussage
(Anm. 327 u. 330) auf eine dingliche Modification zurückführt ***), wo
durch, wie man sieht, auch nach Abälard's Ansicht die sog. Syncate
goreumata (s. Anm. 174 u. 206) folgerichtig in der Logik irgendwo
ihre Stelle finden müsstem. In allem Uebrigen aber schliesst er sich
enge am Boethius am und sucht Bedenken, welche vom Anderen erhoben
wurden, zu widerlegen ***), wozu ihm sowohl bezüglich der Urtheile,
welche nicht die factische Existenz ihres Subjectes enthalten (Anm. 211),
Gelegenheit geboten war *°°), als auch insbesondere bei dem sog. un
bestimmten Urtheile (Amm. 214), betreffs dessen er theils den techni
schen Sprachgebrauch zu begründem versuchte *°*), theils die Leistung
des Boethius rechtfertigte 8°°).
347) p. 210., woselbst unmittelbar auf obige Worte (Amm. 82.) folgt: Unde
manifestum est, eos velle vocabula non omnia illa significare, quae nominant (dass
z. B. ahimal nicht sofort schon homo „bezeichne“), sed eâ tantum, quae definite
designant, ut animal scilicet animal sensibile aut album albedinem, quae semper in
ipsis denotantur. Quorum sententiam ipse commendare Boethius (p. 639.) videtur,
cum ait in divisione vocis ,,vocis autem in proprias significationes divisio fit etc.“
- - - - - - (p. 211.) Si tamen ,, significare“ proprie ac secundum rectam et propriam eius
diffinitionem signamus, non alias res significare dicemus, nisi quae per vocem con
cipiuntur. Vgl. Anm. 317.
348) p. 217.: Illa ergo mihi sententia praelucere videtur, ut grammaticis con
sentientes , qui etiam logicae deserviunt, has quoque per se significativas esse confi
teamur, sed in eo significationem earum esse dicamus, quod quasdam proprietates
circa res eorum vocabulorum, quibus apponuntur praepositiones, quodammodo deter
miment ..... Coniunctiones quoque, dum quidem rerum demonslrant coniunctionem,
quandam circa eas determinant proprietatem.
349) Z. B. p. 219., wo gegenüber dem obem, Anm. 210., erwähnten Ein
wande bemerkt wird: Verum ipse verbo deceptus erat ac prave id ceperat, verbum
dicere rem suam inhaerere.
350) p. 224.: Sed ad hoc, memini, ut magistri nostri sententiam defenderem,
respondere solebam, Homeri et poetae nomen, si per se intelligantur, Homerum de
signare, unde bene denegetur simpliciter Homerum esse, qui iam defunctus est; at
vero .... tota magis orationis sententia intelligenda. Dasselbe wiederholt er in der
Lehre vom Urtheile p. 251.
351) p. 220.: Est autem causa vocabuli ,,infinitum“ non tam ad significationem
reducenda, cum scilicet nec solis nec omnibus infinitis videatur convenire, quam ad
quandam imponentis institutionem .... p. 221.: Patet, infiniti diffinitionem non esse,
quod infinita continet, sed causam potius esse novae transpositionis et impositionis
nominis. S. Boeth. p. 311 f.
352) p. 225 f.: Si sensum eæsequamur, infinitationis quoque proprietas in
oratione quoque invenietur, et quaecunque sub finita non continentur, sub infinita
eadem possunt ; ut, cum verum sit, Socratem non esse album asinum, veram quo
que et eam concedimus ,,Socrates est non albus asinus“, ita quidem, ut nom solum
192 XIY. Abälard.
Insoferne aber auf dem Inhalte des Liber partium, d. h. auf der
Auffassung der Universalien, der Kategoriem und der Bezeichnungskraft
des Wortes, auch bei Ahälard ebenso wie bei Boethius die Lehre von
der Eintheilung und der Definition beruht, so* reihen wir hier jene an
dere Schrift des Abälard, welche mit der „Dialectica* nicht in Einem
Faden zusammenhängt (s. Anm. 277), ein. Im Li b e r D iv i s i o n u m
memlich, woselbst Abälard mach des Boethius Standpunkt Eintheilung
und Definition als Eine gemeinschaftliche Disciplin mimmt und der erste
ren nur die Stellung einer vorbereitenden Manipulation für die letztere
anweist, dabei aber auch sein eigenes Werdienst in Bearbeitung dieses
Zweiges zu erwähnen nicht vergisst °°°), schliesst er sich zunächst,
auch schon in der Aufzählung der sechs Methoden der Eintheilung
(Abschn. XII, Anm. 96), ganz an Boethius an *°*), aber bei der Ein
theilung der Gattumg in die Arten bekämpft er die Ansicht der Realisten,
welche an dem Werfahren der platonischen Dichotomie : festhalten zu
müssem glaubten (Anm. 1 18); denn dasselbe könne keine Anwendung
auf die Kategorie der Relation finden, da, wènn es zwei Artem des
Relativen gäbe, diese weder auf eine oberste Gattumg des Relativem
bezogen werden könnten, — indem sie als relative dann gleichzeitig '
mit der Gattung als ihrem Correlatum sein müssten, was aber bei Gal
tung und Art nicht der Fall ist —, noch aber auch auf Unterartem,
indem jede derselben entweder auf ihre eigenen Unterarten zu beziehen
wäre — was zum memlichen Widerspruche führen würde —, oder
auf die Unterartem der ihr coordinirten zweiten Species, wodurch, da
diess wechselseitig geschehen müsste, die Unterordnung zwischen Ober
und •Unter-Artem in Werwirrumg komme *°°). Bei der Eintheilung des
album infinitetur et asinus remaneat, ac si ita dicatur ,,est asinus non albus“, sed
ut tota simul orati0 ,, albus asinus** negalione eæcludatur (es erinnert diess an obigen
— Anm. 113. — räthselhaftem Syllogismus vom ,,grandis asinws**); alioquin magis
una dictionum tanlum infinitarelur. -
353) p. 450.: Dividendi seu diffiniendi periliam .... multorum auctoritas trac
tat; quorum non quidem aemulatores non ingrali eorumque vestigia studiose amplec
tentes ad tuam , frater, imo ad communem omnium T utilitatem in eisdem desudare
compellimur. Non enim tanta fuit antiquorum scriptorum perfectio, ut non et nostro
doctrinâ indigeat studio, nec tantum in nobis mortalibus scientia potest crescere, ut
non ultro possit augmentum recipere. Quoniam ver0 divisiones diffinitionibus natura
liter priores sunt, quippe eæ ipsis constitutionis suae originem ducunt, in ipso qu0
que tractatu divisiones merito priorem locum obtinebunt, diffinitiones vero posteriorem.
354) p. 452 ff.
355) p. 458.: Si autem genus sempex vel in proæimas species vel in proæimas
differentias divideretur, omnis divisio generis, sicut Boethio (p. 643, s. Abschn. XlI,
Amm. 98.) placuit, bimembris esset ..... Hoc autem ad eam philosophicam senten
tiam respicit, quae res ipsas, non tantum voces , genera et species esse confitetur.
Sed ad haec, memini , . obiectionem de relatione habebam ; si enim in omnibus id
contigit generibus, ut duabus proæimis speciebus contineantur, utique et ,,ad aliquid**
duabus proacimis speciebus comprehenditur, quibus sufficienter dividitur; licet enim
earum nomina non habeamus, in natura tamen rerum non minus consistunt. Sed ad
supremum genus n0n p0ssunt referri; quippe id, quod omnibus relativis prius et
genus omnium est, simul cum ipsis non est, unde nec relativum est ad eas, omnia
enim ad aliquid simul esse natura, Aristoteles in praedicamentis docuit; ea, eo quo
que ad ipsum referri n0n p0ssunt duae illae species ...... Sed nec ad subiectas
species referri p0ssunt; si enim aliqua illarum specierum ad inferiores specierum ad
XlV. Abälard. 193
Ganzem in seine Bestandtheile trat Abälard in der Frage, was die ur
sprünglichen Theile (partes principales) seiem, dem beiden obem (Amm.
125) erwähnten einseitigen Annahmen Anderer dadurch gegenüber,
dass er jene Bestandtheile als die wesentlichen bezeichnete, deren Zu
sammenfügung ummittelbar das Ganze constituirt, also z. B. Grundmauer
Wände und Dach bei dem Hause, d. h. er legte dabei die Werwirkli
chung des Wesens des Ganzen zu Grunde *°°), sowie er auch bezüglich
der Theile der Zeit (s. Anm. 202) sich dafür entschied, dass das
aus successivem Theilen bestehende Ganze nicht sachlich objectiv ein
Ganzes sei, sondern nur gleichsam als Ganzes oder Eines (quasi unum,
quasi totum) durch die Betrachtung aufgefasst werde *°"). Er unter
scheidet aber auch im Anschlusse an Boethius (Abschn. XII, Anm. 97)
die Eintheilung der Gattung von der Eintheilung des Ganzen derartig,
dass, da die Theile der Stoff des Ganzen sind und die Gattung der
Stoff der Arlen ist, die erstere Eintheilung eine Zerlegung in das Spä
tere, die letztere aber eine Theilung in das Frühere sei °°°). Bei der
Eintheilung des Wortes in seine Bedeutung (Abschn. XII, Anm. 101)
reduciri er die auf die Modalität des Wortes bezügliche in gleicher Weise
wie oben, Anm. 348, auf dingliche Modificationem °°°); seine Ansicht
aliquid referatur, itaque vel ad sibi supp0sitam vel ad suppositam alteri; sed ad
suppositam sibi non potest, cum prior in natura sit ut genus ; quodsi haec ad spe
ciem illi suppositam et illa ad speciem isti supp0sitam referatur, necesse est, alteram
altera priorem et posteriorem esse in natura ...... (p. 460.) Non poterat (so oder
ähnlich ist zu lesen statt des sinnlosen Nota) itaque huius praedicamenti generalis
simum duabus contineri speciebus ; aut n0s itaque in his ultra quam oporteat sub
tiles sumus, aut, si auctoritatem salvam conservemus, n0n ad omnium praedicamen
torum genera respeaeit. `
356) p. 468.: de principalitate partium .... quid nostro praeluceat arbitrio, sup
ponamus. Principales itaque partes nobis appellari videntur, quarum ad se con
iunctionem totius perfectio statim subsequitur, ut tecto et fundamento et pariete con
iunctis domus statim perficitur, sed non ita eorum partibus compositis; etsi enim
(so ist zu lesen für non) in tect0 omnes partes eius iam sint dispositae ac similiter
in pariete et fundamento, deest tamen ad perfectionem domus compositorum, et pa
rietis et tecti et fundamenti, ad se invicem coniunctio, quorum quidem conventus
domus perfectionem statim reddit.
357) p. 469.: Horum enim totorum eæistentiam, quae partes permanentes non
habent, ut ' in orationibus et temporibus contingit, n0n p0ssumus secundum omnes
partes simul accipere, quippe cum ipsae simul nunquam sint, sed sibi succedant,
unde tantum secundum partium ipsarum eæistentiam totorum dimetimur essentiam ....
(p. 470.) Sed si rei veritatem confiteamur , nunquam proprie ista partibus constare
contigerit..... 0portet ista tota non esse confiteri, sed tamen quasi de totis philo
sophos de eis egisse secundum hoc scilicet, qu0d ea, quae praeterita erant vel futura
erunt (dieses Wort fehlt in d. Handschr.), cum e0, quod praesentialiter est, consi
deratione quasi unum colligebant .... Quae ilaque in re tota non sunt, secundum
tamen eorum considerationem quasi tota accipiuntur.
358) p. 485.: Genus omne naturaliter prius est suis speciebus, totum vero
posterius partibus, sive illae natura tantum sive tempore compositionem totius prae
cedant; quod enim in materia rei collocatur natura, necesse est praecedere id, quod
ea, eo efficitur; partes autem totius materia sunt, genus vero specierum ; unde fit,
ut genus in posteriora distribuatur, totum vero in priora dividatur. Theol. christ.
IV, p. 1293.: Pars autem teste Boethio (p. 640.) prior est ab eo, cuius pars est,
et eo eius constitutiva divisio in priora fit, sicut generis in posteriora. Ebenso
ebend. p. 1262.
359) Dialect. p. 481 f.: At quoniam vocis in significationes omnem divisionem
P R A N T l, Gesch. II. - 13
194 XIV. Abälard.
über die Frage, ob ein Wort auch seine Buchstaben bezeichnen könne,
wurde schom oben, Anm. 204, angeführt. In der hierauf folgenden
Lehre von der Definition °°°) gibt er eine commentirende Umschreibung
des Boethius *°*), wobei er Gelegenheit hat, jene Meinung, dass die
Definition mur auf die Qualitäten -sich beziehe (Amm. 123), dadurch zu
modificiren, dass allerdings die Namenbezeichnung schon für sich mehr
das substantielle Wesen enthalte (Amm. 317 u. 347), hingegen die An
gabe der Eigenschaften durch den artmachenden Unterschied auch ihrer
seils auf dem formbildemdem Process der Substanz (Amm. 294 ff.) ein
gehe, und so Beides ineinander übergreife *"*). Auch jene andere
Schwierigkeit, welche die Definition der Qualitäten selbst betraf (Anm.
124), löst er in analoger Weise; denn indem die Eigenschaft als ein
bloss Beiwohnendes (Amm. 301) betrachtet wird, kann die Definition
sowohl auf dieses Beiwohnende selbst, als auch auf die durch dasselbe
modificirtem Dinge gelien, und ebensosehr auch als Definition des Namens
der Eigenschaft gelten, insoferne ja bei den Namen dasjenige, was
durch sie bezeichnet wird, Gegenstand der Definition ist, und die Defi
nition als ein Ausgesagtes stets in Worten sich bewegen muss *°°). In
letzterem Sinne wird die Definition als ein Urtheil erklärlicher Weise
namentlich in der Topik aufgefasst , woran sich dort die Bemerkung
monstravimus , illam quoque vocis divisionem, quae in modos fit, pertractemus ......
Unde nec vocis divisio proprie videtur, cum in ea de voce non agatur, imo de rebus
tantum.
360) Ebend. p. 490.: Hactenus quidem de divisionibus tractatum habuimus ...
Nunc vero consequens est, ut ad diffinitiones nos convertamus, quae, sicut dictum
est, ea: divisionibus mascuntur.
-
361) So z. B. wiederholt er (p. 491.) auch desselben Auffassung, dass nur
die mittleren Wesenheiten definirt werden können, s. Abschn. XII, Anm. 99.
362) p. 492.: Diffinitiones maxime propter ostensionem proprietatum inducuntur,
interpretationes vero ita nomen aperiunt, ut sola substantiae demonstratio sufficere
queat. Tunc enim interpretatio proprie requiritur, cum de nominativo quoque sub
stantiae (die Handschr. hat nominativa qu. substantia, Consin gibt nominata qu.
substantia) dubitatur nec cui etiam substantiae impositum sit, tenetur; tunc autem
diffinitio superadditur, cum formae proprietas ignoratur. Cum autem vel interpre
tatio de qualitate quoque vel diffinitio de substantia etiam proponat, principaliter
tamen illa propter substantiam monstrandam, haec vero propter qualitates ad aliarum
rerum differentiam et plenam rei demonstrationem componitur.
363) p. 495 f. (nach der in Anm. 124. angeführten Stelle): Sed ad haec,
memini, tales erant solutiones, quae ab omnibus suprapositis óbiectionibus liberare
viderentur. Dicatur itaque illa diffinitio albedinis esse non secundum essenliam suam,
sed secundum adiacentiam acceptae; unde et eam praedicari convenit et de ipsa albe
dine secundum adiacentiam hoc modo ,,omne album est formatum albedine“ et de
omnibus, de quibus ipsa in adiacentiam praedicatur ..... Potest etiam dici diffinitio
eadem esse huius nominis quod est ,,album**, non quidem secundum essentiam suam,
sed secundum significationem, nec in essentia sua de ipso praedicabitur, ut videlicet
dicamus, hanc vocem ,,album“ esse formatam albedine, sed secundum significationem,
i. e. scilicet cum significando, ac si diceremus ,,res quae alba nominatur, est for
nata albedine**. Est autem vocem diffinire eius significationem secundum diffinitionem
aperire, rem vero diffinire ipsam demonstrare. Itaque sive diffinitio vocis esse sive
cuiuscunque significationis esse eius diceretur, solvi poterat; scilicet profecto nihil est
diffinitum, nisi declaratum secundum significationem vocabulum dicimus, nec rem
ullam de pluribus dici, sed nomen tantum concedimus (über Letzteres s. oben
Anm. 287.).
-
XIV. Abälard. 195
knüpft, dass das Definirte und die Definition wohl bezüglich des Wesens
identisch sind, nicht aber im Sprachausdrucke, indem, während beide
das Nemliche bezeichnen, doch die Definition mehr auf dem Creations
Prozess der Substanz gehe, hingegen das Definirte noch manches Am
derweitige enthalte, was in der Definition nicht ausgedrückt ist, so
dass demnach auch hier,- wie oben Anm. 323—330, der dingliche
Befund, über welchen das definitorische Urtheil „handelt“, die Haupt
sache ist und durch denselben die Regel sigh hedingt, dass die Defini
tion weder zu eng noch zu weit sein soll 3°4).
Was aber sodamm den zweiten Haupttheil der Dialektik, nemlich
die Lehre von der oratio (s. Anm. 273 f.). betrifft, so äussert sieh Abä
lard im L i b e r C a t e g o r i c o r u m mit einem sehr hohen Selbstbewusst
sein gegenüber seinen Neidern über seine eigene Leistung im Vergleiche
sowohl mit der Tradition als auch mit der Thätigkeit seiner Zeitge
nossen, welch letztere er als „moderni“ (vgl. Anm. 55 u. 219) bezeich
net °°°); ja er meinte, das Buch De interpret. (vgl. oben Anm. 202)
sei überhaupt mur durch die Auctorität gehalten, und es sei leicht,
über diesen Theil der Logik eine Schrift zu verfassen, welche dem
364) p. 370.: Diffinitio, cum orationis sit species, naturam orationis n0n p0
test eæcedere, sed, sicut omnis oratio eæ partibus suis suam contrahit significationem
(s. Anm. 315.), ita diffinitio eae suis; alioquin dictio videretur, si videlicet ad sig
nificalionem totius, non partium, respiceremus ...... (p. 371.) Animal rationale
mortale idem prorsus est, quod homo, nec tamen eæ his sequitur, ut si quid sit
animal rationale mortale, sit homo, si propriam vocum demonstrationem attendamus;
si vero magis rei essenliam, quam vocum proprietatem, insistamus magisque iden
titatem essentiae, quam vim verborum attendamus, profecto consequentia , ut vide
licet vel totum in ,,animal rationale mortale“, quod in ,,homo“, intelligamus, vel
in ,,h0m0** tantum, quantum in „animal rationale mortale“ .... Unde clarum est,
quantam vim cum enuntialionibus vocum proprietas teneat, mazimeque illa attendenda
est vocum significatio, quae prima est, i. e. quae in voce ipsa denotatur et secun
dum quam ipsa v0æ imponitur .... Nam et cum diffinitio et diffinitum ad eandem
prorsus substantiam habeant impositionem atque enunliationem, saepe tamen non
idem prorsus de ipsa notant ; nam ,,animal rationale mortale“ secundum id tantum
hominis substantiae datum est, quod est animal informatum rationalitate et mortali
tate, „homo“ vero secundum ceterarum quoque formarum differentiarum informationem
.... Haec autem ratio diffinitionem in rei demonstratione accipi probat, quod in
ipsa consequentia tantum de rebus, non de vocibus, agitur. Theol. Christ. III, p.
1278.: diffinitio ...., quae eae integro vim et proprietatem diffiniti eaeprimit et sen
tentiam nominis in nullo eaccedit nec ab eo eacceditur (s. Abschn. XII, Amm. 108.).
365) Dialect. p. 227 f.: Nec propter aemulorum detractationes obliquasque in
vidorum corrosiones nostro decrevimus proposito cedendum nec a communi doctrinae
usu desistendum. Etsi enim invidia nostrae tempore vitae scriptis nostris doctrinae
viam obstruat, ..... in his quisque , quod doctrinae necessarium sit, inveniet. Nam
etsi Peripateticorum princeps Aristoteles categoricorum syllogismorum formas et modos
breviter quidem et obscure perstrinaverit, .... Boethius vero hypotheticorum compleacio
nes eloquentiae latinae tradidit, graecorum quidem Theophrasti et Eudemi operum
noderator (s. Abschm. XII, Anm. 139.), .... post omnes tamen ad perfectionem doc
tririae locum studio nostro in utrisque reservatum non ignoro. Item quae ab eis
summatim designata sunt vel penitus omissa (— aber neue Ergänzungen bringt Abâ
lard, höchstens etwa mit Einer Ausnahme, s. Anm. 391., nirgends bei —), labor
noster in lucem proferat, interdum et quorundam maledicta corrigat et schismaticas
eæpositiones contemporaneorum nostrorum uniat et dissensiones modernorum, si tan
tum audeam profiteri negotium, dissolvat.
- - 13 *
196 XIV. Abälard.
selbem in keiner Beziehung nachstehe *°°). Doch müssem wir gestehen,
dass Abälard hiebei von Eitelkeit geblendet sein mochle, denn er lässt
sich auch hier mur von Boethius leiten. Aus diesem ist Alles, was zu
Anfang über oratio gesagt wird, entnommen*°"); nur bei der üblichen
Eintheilung der Satzartem, woselbst aus Marcianus Capella (Abschn. XII,
Anm. 62) auch der Wunschsatz aufgenommen ist, wird der von Boe
thius (ebend., Anm. 111) hinzugefügte Vocativ-Satz bestritten *°°). Was
die Definition des logischen Urtheiles selbst betrifft, so kann nach 0higem
(Amm. 317) die aristotelische Definition in jene rhetorische hinüberge
lenkt werden (s. Abschn. VIlI, Anm. 45), welche bei Boethius in der
Topik sich findet *°°). Es. folgt hierauf die Eintheilung in kategorische
und - hypothetische Urtheile (Abschn. XII, Anm. 112), wobei neben der
üblichen boethianischen Terminologie (s. ebend. Anm. 124) uns hier
zum ersten Male das Wort „copula* begegnet, welches hiemit damals
in der Schule bereits üblich gewesen sein muss *7°). Das Quantitäts
verhältniss zwischen Subjects- und Prädicats-Begriff (maior und minor)
fällt nach 0bigem (Anm. 318 u. 325) dem Sprachausdrucke anheim *7 !).
Die Eintheilung des kategorischen Urtheiles veranstallet Abälard
mach vier Gesichtspunktem, iudem auf das Prädicat die sog. Qualität
und auch die Modalität, auf das Subject aber die Quantität bezogen
wird, sodann in den Terminis überhaupt die Einheitlichkeit oder Wiel
heitlichkeit liege und endlich nach der Zeit sich eine Eintheilung in
drei Artem ergebe 373). Wielleicht war es diese Gliederung, in welcher
366) Joh. Saresb. Metal. III, 4 (wo von dem Werthe des Buches De interpr.
die Rede ist), p. 131.: Divisse recolo Peripateticum Palatinum , quod verum arbi
tror, quia facile esset, aliquem nostri temporis librum de hac arte componere, qui
nullo antiquorum, qu0d ad conceptionem veri vel elegantiam verbi, esset inferior,
sed ut auctoritatis favorem sortiretur, aut impossibile aut difficillimum.
367) Dialect. p. 229—233.
368) p. 234.: Harum igitur orationum, quae perfectae sunt, aliae sunt enun
tiativae, aliae interrogâtivae, aliae deprecativae, aliae imperativae, aliae desiderativae
..... Addunt autem quidam seactam speciem, vocativam scilicet orationem; sed mihi
quidem vocatio non videtur diversam speciem a suprapositis procreare, quae quidem
vocatio omnibus aequaliter potest apponi.
369) p. 237 f.: Propositio est oratio verum falsumve significans; quae quidem
diffinitio (bei Boeth. de diff. top. p. 858.) eadem omnia et sola continet cum ea,
quam secundum Aristotelem protulimus ..... Nec quidem incommode ; sicut enim
omnes propositiones vel affirmativae vel negativae ac solae , ita etiam verae vel
falsae.
370) p. 246.: Harum itaque aliae sunt categoricae, i. e. praedicativae ......
aliae hypotheticae, i. e. conditionales ..... Est autem categoricarum nalura secundum
membra sive species demonstranda; sunt aulem membra, eae quibus coniunctae sunt,
praedicatum ac subiectum atque ipsorum copula, secundum hoc scilicet, quod verbum
a praedicat0 seorsum per se accipimus, .... verbum vero interpositum praedicatum
subiecto copulat. Die Quelle dieser Schul-Terminologie liegt in den, Abschn. XII,
Anm. 124., angeführten Stellen des Boethius, wenn auch bei Letzterem das Wort
,,copula** selbst noch nicht workömmt. Vgl. jedoch folg. Abschn. Amm. 11.
371) p. 248.: Quod itaque praedicatum subiecto maius vel aequale dicitur
(Abschn. XII, ebend.), ad vocum enuntiationem, non ad essentiam rei , reducitur.
372) p. 253.: Ad praedicati enuntiationem pertinet, quod propositiones .....
affirmativae dicuntur vel negativae, quodque aliae ipsum simpliciter aliae cum aliquo
m0d0 praedicant, unde alias simplices alias modales appellamus. Ad subiectum vero
illud refertur, quod aliae universales aliae particulares aliae indefinitae aut singu
XIV. Abälard. 197
er ein besonderes Verdiensi seiner Darstellung erblickte, die Reihenfolge
aber der hier angegebenem Gesichtspunkte änderte er in der Entwicklung
des Einzelnen. Zuerst wird über Affirmation und Negation gehandelt,
wo bezüglich des realen Gegensatzes nicht bloss die an Apulejus
(Abschn. X, Anm. 10) erinnernde Terminologie „maaeime repugnans“,
sondern auch für die alternativen Gegensätze der Ausdruek „immedia
tio“ oder ,,dividentia“ erscheint *7°). Bei der contradictorischen Ent
gegensetzung wird jene Annahme des Boethius, welche bezüglich des
allgemein bejahenden Urtheiles oben, Abschn. XII, Anm. 114, angeführt
wurde, bekämpft, und die aristotelische Angabe (Abschn. IV, Amm. 217)
als die richtige bezeichnet 874), was eben damit zusammenhänge, dass
Aristoteles überhaupt bei dem contradictorischen Gegentheile die erfor
derliche Rücksicht auf die Modalität der Ausdrucksweise (Amm. 318 u.
327) genommen habe 37°). Hierauf folgt die Erörterung der Quantität
der Urtheile und der dureh Quantität und Qualität sich ergebenden Ver
hältnisse derselben 87°), wobei es eigenthümlich ist, dass Abälard nicht
der boethianischen Terminologie „consentiens“ oder „conveniens“ (Abschm.
XII, Anm. 117 u. 128), sondern des bei Apulejus (Abschn. X, Anm.
11) vorkommenden Wortes „aequipollentia“ sich bedient*"). Sodann
folgt die Modalität in einer Compilation, welche aus Boeth. de interpr.
lares nominantur. Ad multiplicitatem ver0 terminorum illud attinet, qu0d aliae unae
sunt aliae multiplices. Ad diversitatem vero temporum, quod aliae de praesenti aliae
de praeterito aliae de futuro proponuntur,
373) p. 255.: Ea namque opposita contraria diffiniunt, quae prima fronte sibi
opponuntur, h. e. quae maæime sibi repugnant, velut album et nigrum, quae nullo
modo eidem simul inesse possunt ..... Quod itaque simul abesse n0n p0ssit, 0pp0
sitionem non eæigit, sed dividentiam seu immediationem. Ueber dividentia vgl.
untem Amm. 427. •
374) p. 256.: Ex his itaque manifestum est, ei, quae dicit ,,omnis homo
iustus est“, magis repugnare ,,nullus homo iustus est“, quam „non omnis homo
iustus est“ ..... Eadem enim haec ,,n0n omnis h0m0 iustus est** cum ea videtur,
quae proponit ,,quidqm homo iustus non est“, atque pro una et eadem utramque
Boethius accipit, cum tamen earum sententia diversa appareat his, qui eam perspi
cacius inspiciunt. Multum enim refert ad sententiam enuntiationis .... negativa par
ticula, ... quod quidem eæ hypotheticis quoque enuntiationibus ostenditur; non enim
eadem est `sententia istarum ,,si est homo, non est iustus“ et „non, si est homo,
est iustus“...... (p. 257.) Unde subtilius Aristoteles negationem universalem, quam
Boethius, distinacii; hic enim „non omnis homo est albus“ recte semper opponit,
Boethius autem ,,quidam h0m0 non est albus''. - - - - -
375) p. 259.: Apparet autem, .... Aristotelem contradictionem affirmationis
et negationis non tam secundum sententiam , quam secundum constiluti0nis materiam
demoiistrasse .... Quia vero Aristoteles non solum sententiam contradictionis, verum
etiam constitutionem demonstrare intendit, quae in eorundem terminorum voce consi
stit, recte, postquam eosdem terminos negationem habere divit secutudum prolationem,
cetera secundum sententiam determinanda videbantur ..... (p. 260.) Est itaque recta
ac propria tam voce quam sensu negatio, quae negatio praeposita propositae enun
tiatìonì sententiam eiús eastinguit .... Eæ his itaque manifestum est, subtilius Ari
stotelem considerasse negationem universalis affirmationis, quam Boethium.
376) p. 262. Cousin gibt nur den Titel, ohne den Inhalt, welcher auf Boe
thius (Absöhn. XII, Anm. 113 ff.) beruhen muss, abzudrucken. - -
377) Glossae in libr. de interpr. p. 597 f.: Modo vult ostendere aequipollentiam
earum... Nota, hanc regulam esse in omnibus aequipollentibus u. s. f. stets; nur
Ein Mal findet sich dorf p. 600. consentire in aequipollentia. S. Anm. 381.
198 - XIV. Abälard.
(Abschn. XII, Amm. 119 ff.) und zugleich aus Boeth. de syll. hyp. (ebend.
Anm. 150 ff.) entmommen ist 87°), dabei aber in unahlässiger Wieder
holung auf die dingliche Basis der Modalität (ob. Anm. 330) hinweist*"*),
womit zusammenhängt, dass auch hier (vgl. Anm. 216) possibile und
contingens als völlig gleichbedeutend genommen werden *°°). Auf Grund .
des Boethius (Abschn. XII, Anm. 122 u. 150) werdem sowohl die For
mem der modalen Urtheile als auch derem Umkehrung (mit, der boethia
nischen Terminologie, s. ebend. Anm. ' 130) und derem Aequipollemz er
örtert 881), worauf dann im Gegensatze gegen andere Auffassungen
(Anm. 215) abermals die Möglichkeit als das von der Natur Zugelassene
und die Nothwendigkeit als das von derselben Geforderte bezeichnet,
und hiemit auch die Modalität des Wahr- und Falsch-Seins in Verbin
dung gebracht wird ***). Erst hiernach bespricht Abälard, was bei
Boethius vorausgeht; nemlich das durch die Zeit bedingte Verhältniss
der Urtheile, namentlich , insoferne dieselben auf die Zukunft gehen,
wobei er sich vollständigst an die boethianische Erklärung des Aristo
teles anschliesst *°°). Ebenso verfährt er in der äusserst weitschwei
figen Erörterung über den noch übrigen Gesichtspunkt, welcher die
Einheit oder Wielheitlichkeit des Urtheiles betrifft ***), und unler wel
chen sofort schon hier auch das hypothetische Urtheil (nach Boethius,
s. Abschn. XII, Anm. 146) gebracht wird 3°°).
378) Dialect. p. 262 ff. woselbst z. B. (p. 264.) auch die Hindeutung auf die
erschöpfte Anzahl aller möglichen Combinatiomen (Abschn. XII, Anm. 152.) sich
fimdet.
379) p. 266—270., oder z. B. p. 273.: Sic enim recte videntur mihi omnes
huiusmodi pr0p0sitiones eæponi, ut de rebus ipsis agamus sic: ,,omnem hominem
possibile esse album“, i. e. natura omnis hominis patitur albedinem, i. e. nullius
hominis natura repugnat albedini u. s. f. *
380) p. 265.: Possibile quidem et contingens idem prorsus sonant.
381) p. 268.: Quod tam in conversione simplici quam in conversione per con
trapositionem licet inspicere. p. 271 ff. folgt die Angabe der durch Combination
der Modalität mit Quantität und Qualität möglichen Formen, nemlich Possibile est
omnem (oder nullum oder quendam) hominem esse (oder non esse) album, und
ebenso bei Impossibile und bei Necesse, sowie bei Non possibile, Non impossibile
und Non necesse. Dann im Hinblicke hierauf p. 276.: Nunc autem dispósitis in
utroque genere prop0sitionum ordinibus modalium regulas aequipollentiae tradamus.
Dass hingegen die auf Subordination beruhende Abfolge bei dem modalen Urtheilem
unmöglich sei, wird ausdrücklich bemerkt (p. 276.): Sunt autem quidam, qui et
nostram tenent sententiam, qui in consequentiis modalium inferentiae simplicium
locos vel regulas non admittant; dicunt enim totius vel partis naturam in Italibus
omnino deficere inferentiis; falsum enim aiunt, quod si omne animal impossibile est
esse hominem , omnem hominem impossibile est esse hominem u. s. f.
382) p. 277 f.: Nunc autem utrum aliqua proprietas per modalia nomina, ut
quidam volunt, praedicetur, persequamur ; aiunt enim, per possibile possibilitatem
praedicari, per necesse necessitatem .... Sed falso est .... sed per possibile id de
fmonstratur, quod natura patiatur, per necesse, quod eæigat et constringat ......
Verum antecedit quidem ad possibile, sequitur vero ad necessarium ; falsum autem
ad impossibile tantum sequitur ; si enim necesse est esse, verum est esse, et si verum
est esse, possibile est esse; si vero impossibile est esse, falsum est esse. .
383) p. 280—294. (In gleicher Weise äussert er sich über diesen Gegenstand
anch Introd. ad theol. III, p. 1134.).
384) p. 294—303.
385) p. 304.: Cadunt autem sub divisionem unarum et multiplicium proposi
XIV. Abälard. 199
Ummittelbar hierauf aber reiht sich als Abschluss dieses Abschnitles
die Lehre von den kategorischen Syllogismen am °°°), woselbst wohl
jeme ächt aristotelische Definitiom des Syllogismus, welche wir obem,
Anm. 14, als Beweis einer sporadischen Kenntniss der Analytik anzu
führen hattem , an die Spitze tritt, aber die Entwicklung dann sogleich,
mach Einschaltumg einer zweitem aristotelischem Stelle (s. dieselbe oben
Anm. 15) und einer Bemerkung über eine Terminologie (s. oben Anm.
16), lediglich aus Boethius de syll. categ. (s. Abschn. XII, Anm. 131 ff.)
entnommen wird °°"). Es bietet die Aufzählung und Darlegung der
sämmtlichen Modi des kategorischem Schlusses durchaus Nichts eigen
thümliches dar, höchstens etwa mit der einzigem Ausnahme, dass
Abälard in der dritten Figur die bei Boethius erwähnte und von Porphy
rius herrührende (Abschn. XII, Anm. 137, Abschn. XI, Anm. 82) Hin
zufügung eines siebenten Modus verwirft *°°). Ueber einen Selbstwider
sprueh, in welchen er bei Reduêtion der Syllogismen mit seiner eigenen
Ansicht über dem contradictorischen Gegensatz (Anm. 374) geräth, hilft
er sich sehr leicht mit der „Wahrscheinlichkeit“ hinweg *°°). Sodann
aber folgt jene merkwürdige Stelle, in welcher Abälard eine gewisse
Kenntniss jener aristotelischen Syllogismen zeigt, welche aus Combina
tiomen der Möglichkeits- und Nothwendigkeits-Urtheile unter sich und
mit Urtheilem des Stattfindens bestehem , s. obem Amm. 17. ; sowie er
aber die Sache gleichsam mur vom Hörensagen zu kennen scheint, so
erblickt er auch in jenen Schlüssen, welche mur aus modalem Urtheilen
alleim hestehen, keine eigentliche Schlusskraft, sondern blosse Wahr
scheinlichkeit 39"). Endlich aber versucht er noch eine eigenthümliche
Ergänzung der Syllogistik, von welcher wir nicht wissem, ob sie da
mals in den Schulen überhaupt üblich gewesem sei, oder ob Abälard
selbst sie erdacht habe ; es wird nemlich auch auf Combimationem him
gewiesen, welche aus Urtheilen der Gegenwart mit Urtheilen der Zu
tionum non solum categoricae enuntialiones, verum etiam hypotheticae; sunt mul
tiplices hypotheticae, in quibus vel eæ uno plura vel eae pluribus unum vel eae plu
ribus plura consequuntur u. s. f.
386) p. 305.: Haec autem de proprietatibus categoricarum enuntiationum dicta
sufficiant; nunc autem in figuris et modis syllogismorum, qui ea, ipsis fiunt, pr0p0
situm nostrum perficiamus.
387) p. 306—319. Auch die Terminologie ist selbstverständlicher Weise jene
des Boethius, und so findem wir auch (p. 310. u. 313.) die Bezeichnung ,,directi“
umd ,,imperfecti syllogismi“, sowie den Ausdruck ,,per refleacionem conversionis“,
welcher dem boethianischen ,,per conversionem refractionemque** entspricht, s.
Abschn. XII, Anm. 136.
388) p. 316.: Nos Aristotelem sequentes sea tantum modos huius figurae esse
deprehendimus.
389) p. 319.: Illud aliquos movere poterit, quod in ostensione impossibilitatis
per contradictoria ac recta dividentibus utimur his propositionibus, quas superius
contradictorias esse negavimus, cum quandoque eas non esse veras c0ntingat, univer
salem scilicet affirmiativam et particularem negativam, ut sunt istae ,,0mne iustum
virtus est, quoddam iustum virtus non est.** At vero etsi non necessitate huiusm0di
fesolutio constringat, probabilitatem tamen maæimam tenet.
390) p. 321.: Licet autem syllogismi recte dici non possint hi, quos eae solis
nodalibus constitutos adiecimus, quia tamen maacimam probabilitatem tenent, non
incommode quandoque a disputantibus inducuntur.
200 XIV. Abälard.
kunft oder der Wergangenheit bestehen, was in allen Modis der Fall.
sein könne, aber nur dann wirklich einen Schluss gebe, wenn Eines
der Urtheile ein Urtheil der Gegenwart sei °°').
Es folgt hierauf der Li b e r Top i c o r u m , da aus dein oben an
geführten Grunde (Amm. 269) die Topik dem hypothetischen Urtheile
vorausgeht. Die ciceronianisch-rhetorische Tendenz der Dialektik Abälard's
zeigt sich recht deutlich an der ausserordentlichen Breite und Weit
schweifigkeit, mit welcher dieser ganze Abschnitt behandelt ist. Doch
ist es mur Weniges, was wir aus demselben hervorheben müssen, denn
dem Inhalte nach beruht das Ganze auf Boethius *°°). Die Folgerung
(inferentia), welche in dem Werhältnisse zwischen dem Wordersatze und
dem Nachsatze eines hypothetischem Urtheiles bestehe, unterscheide
sich von der Schlussfolgerung eines Syllogismus dadurch, dass sie nicht
wie jene in sich selbst die vollkommene Schlusskraft trage, sondern
noch einer Werstärkung aus einem gewissen Werhalten (habitudo) der
beidem verbundenem Begriffe bedürfe , und diese Bekräftigung der Ab
folge als einer wirklich nothwendigem liege eben in den Topen *°°),
d. h. jenes Werhaltem sei nur das Mittel, nicht der Gegenstand der
Folgerung, denn diese gehe stets auf die Wesenheit der im hypotheti
schen Urtheile verknüpften Dinge 394). Aber an dem Nexus der Noth
wendigkeit sei (im Gegensatze gegen die Meinung Anderer, s: oben
— -
391) p. 322.: Possunt qu0que per tempora pr0p0sitiones syllogism0rum variari
in singulis figuris. In prima autem sic ,,0mnis homo morietur, omnis citharoedus
est homo, quare omnis citharoedus morietur** vel ,,omnis seneae fuit puer, Nestor
autem est seneæ, quare fuit puer**. In secunda vero hoc modo „nullus lapis morie
tur, omnis homo morietur, quare nullus h0m0 est lapis“; vel ita „nullus puer fuit iu
venis, omnis autem seneæ fuit iuvenis, quare nullus seneae puer est“. In tertia
quoque talis fit ad m0dum temporum admisti0 ,,0mne mortale morietur, omne autem
mortale vivum est, quoddam igitur vivum morietur**. .... Sic quoque per singulos
modos trium figurarum praesenti tempori cetera quoque poterunt aggregari; eae solis
autem pr0p0sitionibus ceterorum temporum nulla secundum aliquam figuram syllogismi
necessitas videtur contingere, sicut nec eae solis particularibus aut negativis.
392) Abàlard behandelte diesen Zweig der Dialektik auch in den ,,Glossae
super Topica“ (b. Cousin p. 605 ff.), schloss sich aber dort lediglich erklärend
an Boeth. de diff. top. mit Beiziehung einiger Stellen des Commentar's zur cicero
nischen Topik an.
393) p. 325.: lnferentia in necessitate consecutionis consistit, in eo scilicet,
qu0d eae sensu antecedentis sententia eæigitur consequentis, sicut in hypothetica pro
p0sitione dicitur. p. 328.: in illis consequentiis, quae formas tenent syllogismorum,
. ita in se perfectae sunt huiusmodi inferentiae, ut nulla habitudinis natura indi
geant, nullam eae loco firmitatem habeant; cuius quidem loci proprietas haec est, vim
inferentiae eæ habitudine, quam habet ad terminum illatum, conferre consequentiae,
ut ibi tantum, ubi imperfecta est inferentia, locum valere confiteamur ..... Hoc ergo,
quod ad perfectionem inferentiae deest, loci supplet assignatio. Sowohl die Bezeich
nung ,,inferentia“ ist aus dem boethianischen Sprachgebrauche ,,inferre** entstanden,
als auch die Auffassung, dass die Abfolge auf dem Nexus der Nothwendigkeit
beruhe, ist dem Boethius entnommen, s. Abschn. XII, Anm. 153 f.
394) p. 330 f.: Quae enim in ea ponuntnr vocabula, essentiae tantum , non
habitudinis, sunt designativa, ut ,,homo** et ,,animal** et ,,lapis**; qui itaque
dicunt ,,si est homo, est animal, si est homo, non est lapis“, nullo modò de hdbi
tudinibus rerum, sed de essentiis agunt, ut, si aliquid sit essentia hominis, et
essentia animalis esse concedatur, et lapidis substantia esse denegetur.
XIV. Abälard. 201
Anm. 227) bei dem hypothetischen Urtheile entschiedem festzuhaltem 398),
und durch diesen Nexus, welcher in jener Verhältniss-Beziehung liege,
unterscheide sich dasselbe vom categorischen Urtheile, welches die
blosse Existenz ausspreche, während das hypothetische mit voller Noth
wendigkeit, abgesehen von der Existenz der Dinge, gelte, aber elem
darum bezüglich desjenigen, was aus der blossen Wirklichkeit nicht
entnommen werden könne, die Beihülfe der Topen in Anspruch nehme *°°).
Daher sei in diesem Sinne ber- dialektischem Erörterungen das Zuge
ständniss des Mitfedenden, abgesehen von der factischen Richtigkeit,
als eine solche Nothwendigkeit zu verstehen *°7), und bei dem hypo
thetischen Urtheile handle es sich nicht, wie Einige meinen (Anm. 228),
um die einzelnen Glieder desselben, sondern eben um dem ganzen
Nexus zwischen antecedens und consequens *°°); auch sei aus dem
gleichen Grunde das disjunctive Urtheil, wie schon Boethius (s. Abschn.
XII, Anm. 141) gezeigt habe, nur als eine andere Satzform des hypo
thetischen zu betrachten *°°). Auf dieser Grundlage werden dann die
sog. ,,maaeimae propositiones“ (s. ebend. Anm. 165) im Anschlusse an
Boethius besprochen und mit Bekämpfung der Ansichten Anderer (oben
Anm. 228) auf die Form des hypothetischen Urtheiles beschränkt*°°).
395) p. 336.: Quod autem veritas hypotheticae propositionis in necessitate
consistat, tam eae auctoritate quam eae ratione tenemus. Diese Auffassung des hypo
thetischen Urtheiles scheint dem Abàlard speciell eigenthümlich gewesen zu sein
(Joh. Saresb. Polycr. II, 22, p. 122.: Solebat nostri temporis Peripateticus Palatinus
omnibus his conditionibus obviare, ubi non sequentis intellectum antecedentis con
ceptio claudit aut non antecedentis c0ntrarium consequentis destructoria ponit, eo
qu0d omnes necessariam tenere consequentiam velit. Ebend. Metalog. III, 6, p. 138.:
Miror tamen, quare Peripateticus Palatinus in hypotheticarum iudicio tam arctam
praescripserit legem, .... si quidem hypotheticas respuebat nisi manifesta necessitate
urgente).
396) p. 343.: Categoricarum autem propositionum veritas, quae rerum actum
circa earum eæistentiam proponit, simul cum illis incipit et desinit; hypotheticarum
vero sentenlia nec finem novit nec principium, unde et antequam homo et animal
creata fuerint, vel postquam etiam omnino perierint, aeque in veritate consistit id,
qu0d haec consequentia pr0p0nit ,,si est homo animal rationale mortale, est animal.“
p. 347.: Quia vero categoricae enuntiationes actum rerum proponunt quantum ad
enuntiationes inhaerentiae praedicati, actus vero rerum eæ ipsarum rerum praesenlia
manifestus est, necessitas autem inferentiae eæ actu rerum perpendi non potest, quae
aeque, ut dictum est, et rebus eæistentibus et non ezistentibus permanet, arbitror,
hinc locum tantum in hypotheticis pr0p0sitionibus requiri, cum de vi inferentiae rerum
earum dubitatur, quae eae actu rerum convinci non possunt.
397) p. 342.: Neque enim dialecticus curat, sive vera sit sive falsa inferentia
pr0p0sitae consequentiae, dumm0d0 pro vera eam recipiat ille, cum qu0 sermo con
seritur ....., sed haec concessio verae inferentiae in necessitate recipienda est.
398) p. 353.: Quidam tamen has regulas non solum in tota antecedentis et
consequentis enuntiatione, verum etiam in terminis eorum assignant ....., sed regulae
sunt accipiendae in his, quae tota pr0p0sitionum enuntiatione dicuntur.
399) p. 368.: Quod autem antecedens et consequens in disiunctis quoque Boe
thius accipit, non ad rerum essentias, sed ad enuntiationum constitutionem respeacit
...., quod eæ resolutione disiunctae dign0scitur, eae qua etiam resolutione hypothe
ticae, i. e. conditionales, disiunctivae quoque sunt appellatae.
400) p. 359 f.: Maacimarum propositionum proprietates inspiciamus, quibus
quidem singularum veritas consequentiarum eæprimitur, quaeque ultimam et perfectam
omnium consecutionum probationem tenent ..... Cum itaque diacimus, eas consecutio
nis sensum habere, categoricas enuntiationes eæclusimus.
w
202 XIV. Abälard.
Hierauf folgen die einzelnen Topem, wobei Abälard mit Ausschluss der
rhetorischen nur die dialektischem beiziehen will 401); die Reihenfolge
derselben beruht auf jener Erörterung, in welcher Boethius de diff.
top. (s. Abschn. XII, Anm. 168) die Topen des Themistius (Abschn. XI,
Anm. 96) mit den ciceronischen in Einklang zu bringen versucht 4°°);
dem Schluss aber bilden Bemerkungen über Argumentation überhaupt
und über die rhetorische Bedeutung der Induction und des Enthyme
ma's *"*). Dass die Entwicklung der einzelnen Topen sich in der An
gabe und Aufzählung schulmässig fixirter ,,Regeln* bewegt, wurde schon
obem (Amm. 222) bemerkt, und wie sehr überhaupt die Topik in den
Schulem Gegenstand und Veranlassung zahlreicher Controversen gewesen
sei, zeigt sich im Zusammenhange mit 0bigem (Amm. 228) auch in Abä
lard's eigéner Darstellung 404).
Endlich nun im L i b e r h ypoth et i c o r u m, d. h. in der Lehre
vom dem hypothetischen Urtheilen und Syllogismen, wird der gesammte
401) p. 334.: Illud praesciendum est, nos, qui haec ad doctrinam artis dia
lecticae scribimus , eos solum locos evsequi, quibus ars ista consuevit uti.
402) Im Vergleiche mit jener Reihenfolge, welche oben, Abschn. XII, Anm.
184., angegeben wurde, gestaltet sich die Sache hier folgemdermaassen: Den An
fang machem auch hier (p. 368.) die Topen aus der Substanz selbst, nemlich a
definitione, a descriptione, a nominis interpretatione ; dann aber reihen sich in
einer combinirenden Auswahl aus Themistius und Cicero die Topen aus den Fol
gerungen der Substanz an (p. 375.), nemlich a genere, a toto, a partibus divisivis,
a partibus constitutivis, a pari, a praedicato, ab antecedenti, a consequenti ; hier
auf (p. 386.) folgen als Topen, welche eaetrinsecus genommen werdem, nur die
Unterarten des locus ab oppositis, nemlich a relatione (mit Einschluss des simul
und prius), a contrariis, a privatione et habitu, ab affirmatione et negatione (bei
dieser Besprechung der vier Artem des Gegensatzes wird fast der ganze betreffende
Abschnitt aus den Kategorien beigezogen); sodann folgen als loci medii (p. 408.)
a relativis, a divisione et partitione, a contingentibus , und hierauf werden als
solche, welche selten in Anwendung kommen (p. 409. : sunt autem alii, quibus
dialectici raro ac nunquam fere utuntur, quos tamen Boethius non praetermisit),
unter den Topen eae consequentibus substantiam noch nachträglich angegeben: a
causa , a materie, a forma, a fine, a motu. Uebrigens hat Cousin 'im diesem
ganzen Abschnitte häufig nur durch Titel-Ueberschriften die Reihenfolge angedeutet,
ohne den Inhalt selbst zu veröffentlichen.
403) p. 430 ff. Die Quellenstellen aus Boeth. de diff. top., woranf diese An- .
gaben beruhen, s. Abschn. XII, Anm. 82. n. 137.
404) So z. B. führte der locus a substantia micht bloss auf die Lehre vom
der Definition hinüber (Stellem aus der Topik dienten uns obem, Anm. 364., als
Quellen), sondern es spielte in der Frage über ,,idem“ und ,,diversum** (p. 373.)
vermöge des Pseudo-Boethius de trin. (Anm. 37.) auch Theologisches herein (vgl.
Introd. ad theol. II, p. 1077 f. Theol. Christ. III, p. 1276 ff.), sowie bei dem locus
a causa efficiente und a motu (p. 413 ff.) die göttliche Causalität des Weltschöpfers
erörtert wurde. Der locus a genere (p. 378 ff.) leitet auf den realistischem Crea
tions-Process hin und triffi so mit der richtigem Auffassung des locus a praedicato
(p. 384.) zusammen, welch letzterer unbeschränkt allgemein gelte (p. 381.). Bei
dem locus ab oppositis begegnet uns hier die Terminologie ,,compleaca** umd ,,in
compleaca** (p. 407.: compleaea autem contraria eas dicimius propositiones, quae de
eodem contraria enuntiant hoc modo ,,Socrates est sanus , Socrates est aeger“), so
wie ,,constantia** (p. 408.: ut immediata inferentiam habeant, adiiciendum esse,
cuius respectu immediata sint, quae quidem determinatio constantia appellatur); auch
vermisst Abälard eine Durchführung der Gegensätze durch alle Kategoriem (p. 399.),
d. $ er vermisst, was Gilbertus Porretamus wirklich hinzufügte , s. Anm.
u. 344. -
XIV. Abälard. 203
lnhalt der Schrift des Boethius de syll. hypoth. wiedergegebem. Indem
Abälard aus derselben zunächst die Eintheilung des hypothetischen Ur
theiles (s. Abschn. XII, Anm. 139 ff.) entwickelt 408), entscheidet er
sich betreffs der mit der Conjunctiom „cum* begimnenden Urtheile (s.
ebend. Amm. 143), über welche er früher eine andere Ansicht gehabt
hatte, nun für die Auctorität des Boethius, d. h. er mimmt jene Ur
theile als hypothetische *°°); auch bekämpft er obige (Anm. 218) Mei
nung Anderer bezüglich der Stellung des „vel... vel“ in dem disjunctiven
Urtheilen *""). Hierauf aber folgt eine merkwürdige Angabe über die
Umkehrung der hypothetischen Urtheile; nemlich die disjunctive Form
derselben lasse sich rein umkehren (durch Wertausehung der Glieder
der Disjunction!), ebenso auch das eine Gleichzeitigkeit enthaltende Ur
theil, welches mit „cum* beginnt; hingegen bei dem eigentlich hypo
thetischem, welches auf dem Nexus der Naturnothwendigkeit beruht,
sei der allbekannte Grundsatz der Abfolge (s. denselben bei Boethius
Abschn. XII, Anm. 145) als conversio per contrapositionem zu neh
men 40°). Wenn aber diese angebliche Ergänzung der traditionellen
Lehre, von Anderen bekämpft wurde, so waren diese gewiss eben so
im Rechte, als Abälard im Unrechte war, wenn er in solcher Ent
gegnung gleichsam ein Märtyrthum seiner wissenschaftlichen Leistungen
erblickte 499). Sodann reiht sich zum Schlusse moch die Entwicklung
der hypothetischen Syllogismen an; dieselbe ist vollständig aus Boethius
entnommen, nur mit einer Aenderung der Reihenfolge ; zuerst memlich
werdem jene angeführt, welche oben Abschn. XII, Anm. 155—158
405) p. 437—439,
406) p. 440.: Nunc vero de temporalibus in proæimo disputandum est; in his
autem nulla natura consecutionis attenditur, sed sola comitationis societas, ut vide
licet simul sit utrumque .... Aeque enim qui dicit ,,cum Socrates est animal, est
h0m0“, verus est et qui pr0p0nit ,,cum ipse est homo, est animal“.... Memini
tamen, quia dicere solebam, tumc hypotheticam esse propositionem, cui temporale
adverbium apponebatur, cum ipsùm ad propositiones totas referebatur, tunc vero
categoricam, cum ad simplices terminos ponebatur .... (p. 441.) At vero licet huius
modi temporales rationabilius categoricae quam hypotheticae videantur, nos tamen
Boethio adhaerentes eis tanquam hypotheticis in modis syllogismorum utamur.
407) p. 442., woselbst auf die oben, Anm. 218., angeführten Worte folgt:
Quod quidem falsum esse convincitur eæ eis categoricis, quae cum universales sint,
disiunctivas habent coniunctiones, velut ista ,,omne animal est vel sanum vel aegrum“;
cum enim haec vera esse non dubitetur, falsa est manifeste hypothetica, quae ita :
proponitur ,,aut omne animal est sanum, aut omne animal est aegrum“, cum videli
cet meutrum sit.
408) p. 443.: Nunc autem de conversionibus omnium hypotheticarum superest
disputare ..... Temporales quidem hypotheticae et disiunctae simplicem tenent con
versionem; sicut enim aeque dici potest ,,aut noa est aut dies est“ vel ,,aut dies
est aut noa est“, ita aeque dicitur ,,cum pluit, tonat“ et ,,cum tonat, pluit**.....
Naturalium autem coniunctarum conversiones per contrap0sitionem solum fieri hoc
m0d0 ,,si est homo, est animal; si non est animal, n0n est h0m0“.
409) p. 444.: Sunt autem nonnulli, qui ad nomen conversionis hypotheticarum
obstrepant et vehementer obstupeant, eo quod de earum conversionibus Boethium trac
tare non viderint nec alium quemquam, qui consequentiarum naturam ostenderet;
unde nos quidem non eæ falsitate, sed eæ novo conversionis nomine redarguunt ....
Si enim eæ additamento vel novitate me accusent, quomodo et illi absolvi possunt,
quicunque ad alicuius scientiae perfectionem eae se aliquid post primos tractatores
adiecerunt?
204 XIV. Abälard. Anonymus De interpr.
angegeben.sind, dann folgt der Inhalt der dortigen Anm. 162, hierauf
jener der Anm. 159—161, zuletzt jener der Anm. 163; der Grund
dieser Aenderung lag für Abälard darim, dass jene (lorlselbst Anm.
159—161 angeführten hypothetischen Syllogismen sich in den drei
Figurem des kategorischen Schlusses hewegen, und daher diese „figu
rirten* (figurati) Syllogismen nicht in Mitte der nicht-figurirten einzu
reihen seien 410).
So ist uns Abälard nach Maassgabe der uns erhaltenem Quellen der
hervorragendste Repräsentant des damaligen Betriebes der Logik, aber
während wir stets im Auge behaltem, dass er eben Einer unter Wielem
war, dürfen wir einerseits aus seinen Leistungen auf die seiner näch
sten Zeitgenossen schliessen, und werden andrerseits zu der Annahme
berechtigt sein, dass ein eigentlicher Fortschritt der Logik weder durch
ihn noch durch Andere in jener. Zeit hervorgerufen wurde, sondern
dass mur in der grösseren Anzahl der Dialektiker überhaupt und in dem
reicherem Detail-Studium der traditionellen Schul-Logik der Unterschied
gegen die frühere Zeit beruhe.
Als einen Schüler Abälard's zeigt sich uns der Werfasser .eines
a no ny m e n C o m m e m tare s zu dem Buche de interpr. *''); denn
derselbe wählt nicht bloss die Abälard'sche Bezeichnung „doctrina ser
monum“ für die Logik, welche ' er in einer Dreitheilung gliedert, die
uns an 0biges (Amm. 271 f.) erinnert *'*), sonderm er erörtert auch
bezüglich der Redetheile, d. h." des Nomens und Verbums, die Frage,
in welchem Sinne dieselben in der Lehre voim Urtheile zu besprechen
seien, in einer Weise, welche als eine Schärfung der Ansicht Abälard's
• bezeichnet werden muss ; es sei memlich die primäre Function der
Worte, dass sie die Gedankem (intellectus) erwecken und bezeichnen
(vgl. Anm. 314 ff.), während die Bezeichnung der Dinge das Secundäre
sei, welch Letzteres den Kategorien anheimfalle (Anm. 272), sowie Er
steres der Lehre vom Urtheile 41*); denn gerade darim, dass die Worte
410) p. 447 f.: Ipse namque Boethius inter syllogismos consequentiarum ea,
gltera tantum hypothetica constantium et syllogismos consequentiarum eæ utraque
hypothetica conneaearum eos medios locavit, qui év mediis propositionibus nascentes
tribus figuris continentur..... Nos tamen his syllogismis, qui figurali n0n sunt, eos,
qui figurali sunt et a longe diversis propositióhibus nascuntur, interserere noluimus.
- 411) In einigen Bruchstücken publicirt bei Cousin, Fragm. philos., Philos.
scolast. 2. Anfl. Par. 1840, p. 408 ff. (Aufl. v. 1855, p. 326 ff.).
412) p. 409.: Doctrinae sermonum huic arti accommodatae in tribus integritas
consistit, ' i. e. in doctrina incompleacorum, propositionum et syllogismorum ......
Quod autem tractatus iste de propositionibus instituatur, monstrat tam operis inscrip
tio quam assignatio intentionis. -
413) p. 410.: In parte huius operis agitur de dictionibus, nomine videlicet et
verbo, in parte de propositionibus .... p. 411.: Sed asserunt quidam, de nomine
et verbo hic agi per hoc, quod intellectum significant; cum enim dupleæ sit signifi
cati0 vocum, una quidem de rebus , altera vero de intellectibus, hic de vocibus agi
secundum hoc, quod intellectum significant, quae principalior est. Eae quo aperte
huius operis intentio a Praedicamentorum intentione distare ostenditur; ibi enim de
vocibus incomplevis secundum rerum significationem agitur, quae secundaria ab in
tellecluum significatione habetur posterior; primo enim intellectus, secundario res
significantur; ad nihil enim aliud facta est vocum institutio nisi ad intellectum, nil
quippe voces in scientia rerum faciunt, sed tantum intellectus de eis eæcitant .....
XIV. Anonymus De interpr. Amonymus De intellectibus. 205
stets zu Sätzen führen, liege ihre Bedeutsamkeit für das geistige Er
fassen (conceptio), und so seiem Nomen und Verbum als Satztheile in
der Lehre vom Urtheile mur in diesem auf die Gedanken bezüglichen
Simne zu verstehen, und ihre dingliche Bedeutung könne hier nur neben
bei berührt werden 444). Und währemd hiemit der Werfasser sich auf
jenen Standpunkt stellt, welehen Abälard in den von ihm sogenannten
Postprädicamenten eingenommen hatte, erhält hier die Auffassumg des
Urtheiles, d. h. des sermo, ein so entscheidemdes Uebergewicht, dass
der durch das Urtheil erweckte und in demselben liegende Gedanke
(intellectus) sogar scharf den platonischen Ideen gegenübergestellt wird,
da die letzteren bloss Fictionem seien, in welchem man mur die Aehn
lichkeitem der Dinge durch die Einbildungskraft festhalte, während die
Aufgabe des Sprachausdruckes darin liege, nicht blosse Aehnlichkeiten,
sonderm die Dinge selbst und deren Denk-Auffassung zum Bewusstsein
zu bringen 41°). Hiemit wäre hier sowohl jene platonische Seite, welehe
der Dialektik Abälard's amklebt, bereits abgestreift, als auch eine Pole
mik gegen jene Wendung angedeutet, in weleher die Status-Ansicht und
die Indifferenz-Lehre sich berührem, und vielleicht könnte man, wenn
wir die Meinung des Werfassers vollständiger kennen würdem, hier mit
Recht das Princip eines Intellectualismus erblicken, welehes bei Abälard
selbst jedenfalls durch platonische und ciceronianische Anschauungen
sehr entstellt und getrübt ist.
Gleichfalls einem Schüler und Anhänger Abälard's gehört die Schrift
,, D e i n t e l l e c t i b u s ** am, welche Cousin als ein Werk Abälard's her
ausgab *'°). Wenn der Werfasser im Anschlusse an die „doctrina ser
Unde cum tam res quam intellectus significentur, asserunt, hic de vocibus non secun
dum rerum, sed secundum intellectuum significationem agi.
414) p. 412.: Unde propositionem semper reddere possunt et semper ad animi
conceptionem, non quantum ad rerum nominationemi, significare dici possunt ; quare
Aristoteles de nomine et verbo ibi agit propter orationis constitutionem .... Quod.
autem de vocibus hic tantum secundum intellectuum significationem agatur, monstrat
bifaria vocum distinctio facta, in nomen et verbum, quibus simplicibus sive con
iunctis quilibet intellectus eaeprimi possunt ; in Praedicamentis enim, ubi de vocibus
secundum rerum significationem agitur, secundum rerum decem diversitatem denaria
vocum incompleaearum facta est partitio. Nos autem dicimus, quod licet de nomine
et verbo secundum intellectuum significationem agat Aristoteles, tamen quod de vocum
significatione communiter inducit, non est eæ intentione, sed incidenter.
415) p. 414.: Quod autem ideae meditatae a Platone a vocibus prim0 loco
non significentur, planum erit, si prius, quid ipsae sint, inspeaeerimus. Sunt itaque
formae imaginariae, quas sibi pro rebus animus configurat, ut illis res ipsas spe
culetur et per eas rerum imaginationes sive memoriam retineat, quas quidem ideas
sive -ezemplares formas nominant, Plato vero eas incorporeas naturas, i. e. insen
sibiles similitudines nuncupat (die Quellenstelle für diesen Ausdruck s. oben Amm.
134.) .... Unde eas effigies incorporeas, i. e. non tractabiles corporeis sensibus,
Plato nominat, qui quidem volebat a vocibus primo loco significuri, quod Aristoteles
improbat; non enim propter rerum vel intellectuum similitudines voces repertae sunt,
sed magis propter res ipsas et earum intellectus (Boeth. p. 304., d. h. Aristoteles,
s. Abschm. IV, Anm. 108.), ut de rebus nobis doctrinam facerent, non de huius
modi figmentis, et intellectum de rebus constituerent, non de figmentis.
416) In der oben (Amm. 411.) angeführten 2. Aufl. (v. 1840.) der Fragm.
philos. p. 461—496. (es ist ein eigenthümliches Verfahren, dass Cousin in späterem .
Auflagen diesem Bestandtheil seiner Sammlung wieder wegliess). Dass die Schrift
*
206 XIV. Anonymus De intellectibus.
monum“ die Begriffe (intellectus) erörtern und sowohl ihre verschiede
men Arten als auch besonders ihren Untersehied von Sinneswahrneh
mungem, Einbildungskraft, Meinung, Wissem, Wernunft, angeben will 447),
so mussten wir ihn eben darum schon oben (Amm. 19) gleichsam als
Zeugen dafür anführen, dass man in jener Zeit eine gewisse, wenn
auch fragmentarische oder vereinzelte, Noliz von der zweiten Analytik
des Aristoteles hatte, und es möchte wohl dem Einflusse einer solchem
erweiterten Kenntniss zuzuschreiben sein, dass diese ganze Abhandlung
in der That zu dem Besten gehört, was jene Zeit aufzuweisen hat.
Der Werfasser, welcher dem herrschenden Platonismus gegenüber sich
als völlig unbefangen zeigt, steht auf dem aristotelischen Standpunkte
der Erkenntnisstheorie, dass das Denken dem Ursprunge nach wohl
mit der Sinnes-Wahrnehmung verfloehtem sei, insoferne es aus derselben
seine Anregung empfange ***), dabei aber doeh mur durch eine von den
Sinnes-Werkzeugen , unabhängige Thätigkeit der erwägenden Wernunft
sein eigentliches Dasein erweise *4°), so dass die Wernunft (ratio) als
die geistige Urtheilsfähigkeit die Real-Potenz des begrifflichen Denkens
(intellectus) sei, wovon die Wernünftigkeit (rationalitas) sich nur als
die graduell gesteigerte Fähigkeit unterscheide **"). Eben aber in der
Verfiechtung des Denkens mit den Sinnem liege es, dass auch die Ein
bildungskraft (imaginatio), welche auf Erinnerung beruhe und daher
trotz allem Zusammenhange mit den -Eindrücken dennoch über 'die un
mittelbar gegenwärtige Sinneswahrnehmung sich frei erhebe, sehr wohl
nicht ein Werk Abàlard's selbst sei, geht daraus hervor, dass der Werfasser gegen
das Ende (in der oben, Amm. 300., angeführten Stelle) selbst den Abälard nennt;
allerdings war Cousin der Ansicht, dass die letzten Capitel der Schrift nur zu
fällig anderswoher angereiht seien; jedoch selbst wenn dem so wäre (— obwohl
ich Teher das Ganze für Einen Tractatus über verschiedene cohtroverse Materiem
halten möchte —), so scheint aus sprachlichen Gründen auch der Anfang nicht
„ein Product Abâlard's zu sein, denn nicht bloss ist der Stil überhaupt hier viel
härter und eckiger als jener Abälard's, sondern der Werfasser gebraucht auch als
synonym mit intellectus die Worte ,, speculationes** oder ,,visus animi**, welche man
bei Abälard vergeblich sucht. Uebrigens s. auch Anm. 432" f.
417) p. 461.: De speculationibus itaque, hoc est intellectibus, disserturi sta
tuimus .... ipsos primum a ceteris animae passionibus sive affectionibus disiungere
- - - - - deinde ipsos quoque ab invicem propriis separare differentiis, prout necessarium
doctrinae sermonum eæistimamus esse; sunt autem quinque, a quibus diligenter eos •
disiungi convenit, sensus videlicet, imaginatio, eæistimatio, scientia, ratio.
418) p. 461.: Cum sensu intellectus tum origine tum etiam nomine coniunctus
est; origine quidem, qu0d quislibet quinque sensuum rem quamlibet attractando ipsius
nobis intelligentiam m0æ ingerit .... Vocabulo etiam, .... cum videlicet sensum ver
borum dicimus pro intellectu ipsorum. p. 482.: tota humana notitia a sensibus
surgit. -
419) p. 462.: Sensus perceptio rei corporalis est corporeo indigens instrumento
.... Intellectus vero nec corporei ezercitio indiget instrumenti ... nec etiam virtute rei
eæistentis ..... Praeterea sensus nullam vim deliberandi aliquid habet .... Intellectus
esse non potest, nisi eæ ratione aliquid attendatur. -
420) p. 463.: Rationem autem dicimus vim ipsam seu facilitatem discreti animi,
qua rerum naturas perspicere ac diiudicare veraciter sufficit ..... Tantum itaque inter
rationalitatem et rationem differre arbitror, quantum inter potentiam currendi et poten
tiam facile currendi ..... Patet, intellectum tam a sensu quam a ratione diversum
*esse et eum necessario eae ratione descendere tanquam perpetuùm rationis effectum.
XIV. Anonymus De intellectibus. 207
Quelle von Begriffen sein könne, und zwar namentlich derjenigen, in
welchen wir die Eigensehaften (formae accidentales) der körperlichem
Dinge erfassen **1), und überhaupt gehe eine Einsicht (intelligentia),
welche gänzlich ohne alle Sinneswahrnehmung oder Einbildungskraft
bestünde, über die diesseitige Existenzweise des Menschen hinaus, und
auch wenn man hiebei an unmittelbare göttliche 0ffenbarung denke, so
sei dieselbe eben darum nicht eigentlich als ein begriffliches Denken,
sondern eher sofort als Wissen zu bezeichnen ***). Das begriffliche
Denken unterscheide sich so sowohl von dem Meinem (eacistimatio),
welches zwar gleichfalls nur in Urtheilen, d. h. in der Satzverbindung,
sich bewege, durch die fortschreitende Thätigkeit der vernünftigem Er
wägung ***), als auch von dem Wissen (scientia), welches als bleibende
innere Gewissheit des Geistes auch danm beharre, wenn das Meinem
oder. das begriffliche Nachdenken nicht ausgeübt werde ***).
Ist so die Thätigkeit des begrifflichen Denkens wahrhaft nach dem
Sinne des Aristoteles in die Mitte zwischen die blosse Sinneswahr
nehmung und das reine Wissen gestellt, so wird num auf solcher Grund
lage die Abälard'sche Auffassung des sermo mit einigem Modificationen
durchgeführt. Die Gedanken als Erzeugnisse des Aussagens (vgl. Anm.
314) werden ebenso, wie letzteres in dictio und oratio zerfällt (Anm.
271), in einfache und in zusammengesetzte getheili***), wobei das
unterscheidende Merkmal darim liegt, dass in ersteren der ganze Gehalt
421) p. 464.: Imaginati0 est quaedam sensus recordalio .... confusa animae
perceptio sine sensu, eius scilicet rei, quam imaginariam confusam dicimus. p. 466.:
Notandum qu0que, qu0d, cum quidam omnes imaginationes quasdam sensuum recor
dutiones esse velint, h. e. eas ea rebus sentitis solummodo haberi, Aristoteles tamen,
teste B0ethio super Periermenias (p. 298.), intellectus nostros imaginationibus minime
haberi prohibet ...... Sensus consuetudo, a qu0 omnis humana nolitia surgit, quaedam
per imaginationem ingerit animo, quae nullo modo attendimus .... utpote pleraeque
accidenlales formae c0rp0rum, quas frequenter sensibus eæperti sumus.
422) p. 467.: Fortasse iuacta Boethium (p. 296.) intelligentia, quam paucorum
admodum hominum et solius dei esse dicit, omnem et sensum et imaginationem ita
transcendit, ut sine utraque habeatur ..... Quod nequaquam iuaeta Aristotelem in hac
vita contingere credimus, nisi forte per eaccessum contemplalionis revelatio divina ali
cui fiat, magisque hunc eaccessum mentis ab Aristotele scientiam, quam intellectum,
appellari credimus. Während allerdings Boethins die aristotelischen Stellen (aus
de an.) über imaginatio anführt, scheint letztere Aetisserung über scientia nur auf
einer versprengten Notiz aus der zweitem Analytik (s. Abschn. IV, Anm. 116 ff.)
beruhem zu können.
423) p. 468.: Evistimare credere est, et eæistimatio idem quod credulilas sive
fides, intelligere autem speculari est per ralionem .... Nec ulla est eæistimatio nisi
de eo, quod propositio dicere habet, h. e. de aliqua rerum vel coniunctione vel divi
sione. Vgl. Anm. 628. -
424) p. 469.: Scientia autem neque intellectus est neque eæistimatio, sed est
ipsa animi certitudo, quae non minus absente vel evistimalione vel intellectu per
manet. Auch diess war nicht aus Boethius zu schöpfen, sondern weist auf die
Analytik zurück (s. Abschn. IV, Anm. 81.).
425) Ebend.: Nunc autem iuacta promissionis nostrae pr0p0situm ipsos ab in
vicem intelleclus superest diligenter distinguere, ut secundum eos clara fiat sermonum
discretio .... Sicut enim sermonum, qui eæcitant intellectus, ita est et intellectuum
^atura, ut videlicet, sicut sermonum alii simplices sunt, singulae scilicet dictiones,
alii comp0siti velut orationes, ..... ita et intellectus eæ sermonibus habiti .... modo
simplices sunt .... modo compositi.
208 XIV. Anonymus De intellectibus.
auf Ein Mal (Amm. 322), in letzteren hingegen mur successiv (Amm. 315)
zum Bewusstsein kömmt **"), was damn auch im Hinblicke auf den
Unterschied zwischem Namenbezeichnung und Definition (vgl. Anm. 360 ff.)
derartig ausgedrückt wird, dass die ersteren Gedanken intellectus com
iunctorum umd die letzterem intellectus comiumgentes seien, sowie ent
sprechend bei den sog. negativen Begriffen, d. h. beim nomen infinitum
(Amm. 351) die ersteren divisorum und die letzteren dividentes *?7).
Nach diesem Standpunkte wird hierauf aueh die Frage über die Einheit
der Gedanken erledigt, indem dieselbe, abgesehen von der factischem
Richtigkeit, lediglich in das Erwecken Einer geistigen Anschauung, die
Wielfältigkeit hingegen in das successive , durch Pausen umterbrochene,
Erwecken mehrerer Ansehauungen verlegt wird ***). Die Berechtigung
oder Nichtberechtigung (sanum vel cassum) der Gedanken, gleichwiel
ob sie einfach oder zusammengesetzt seien, liege in dem factischem Be
stande der Dinge ***), hingegen von Wahrheit oder Unwahrheit (verum
vel falsum) könne mur bei zusammengesetzten die Rede sein, demm hier
werde ein vom Denken erfasster Gegenstand als grammatisches Subject
(vgl. Anm. 317 f.) durch eine denkende Erwägung in einer gewissen
Verbindung oder Nicht-Verbindumg ausgesprochen, daher hier auch die
grammatisehen Verhältnisse der Verbimdung, d. h. der sog. Construction;
von Einfluss seien **"), in welcher Beziehung z. B. das disjunctive
426) p. 471.: Et hoc est, ut arbilror, differentia intellectuum dictionis et ora
tionis easdem prorsus res significantium, quod videlicet per dictionem, quae nullis
scilicet significativis partibus constat, omnia simul intelligimus, per orationem vero
eadem per successionem colligimus.
427) Ebend.: Est itaque intelleclus nominis et diffinitionis eius proprie quodam
modo idem et quodammodo diversus, idem quidem secundum effectum intelleetarum
rerum, .... diversus aulem, quia ibi omnia simul, hic succedunt ..... Et ideo hi
intellectus, qui de rebus ut iam coniumctis habetur, coniunctorum est; ille autem
coniungens est intellectus, qui per successionem progrediendo rebus prius intellectis
alias postmodum intellectas aggregat ....... p. 472.: Ita intellectus divisorum et di
videns; sicut enim ,,animal** intellectum coniunctarum rerum facit, ita ,,non animal“,
qu0d est infinitum nomen, .... divisorum facit; et sicut animalis diffinitio coniun
gentem facit intellectum, ita descriptio non-animalis dividentem ..... Sunt itaque in
tellectus coniunctarum vel divisarum rerum dictionum tantum, coniungentes vero vel
dividentes intellectus orationum tantum sunt. Betreffs des dividens vgl. oben Anm.
373.
428) p. 473 f.: Unos autem dicimus intellectus, quicunque simplices sunt vel,
si sunt compositi, in una coniunctione vel divisione seu disiunctione consistunt ....
Nec refert ad conceptionis modum vel unitatem, sive in re ita sit, ut concipitur, sive
non, sed ad conceptus solummodo veritatem; aeque enim unus est intellectus „lapis
rationalis“, qu0modo ,,animal rationale“ ..... Saepe autem contingit in uno intellectu
plures fieri coniunctiones, .... verbi gratia si dicam „homo ambulans qui currit“
.... p. 475.: Multiplicem vero intelleclum dicimus multos intellectus ab invicem diss0
lutos, ut si dicam .... ,,animal“ et postmodum paullulum quiescens addam „rati0
nale“. Vgl. hingegem Abàlard's Ansicht, Anm. 316. -
429) p. 475 f. : Sanos quidem dicimus intellectus, per quoscunque ita, ut sese
res habet, attendimus, sive illi quidem sint simplices sive compositi; cassi vero e
contrario dicuntur tam simplices quam compositi, quos frequentius opiniones vocare
consuevimus (s. Boeth. p. 305.).
430) p. 476 f.: Veros autem vel falsos intellectus dicimus eos solumm0d0, qui
c0mp0siti sunt ...... Unde bene secundum intelligentiae quoque, non tantum construc
tionis, ordinem subiectum dicimus terminum, per quem intellectu primo res substi
XIV. Anonymus De intellectibus. 209
Urtheil (welches auch hier als Species des hypothetischen betrachtet
wird, s. oben Amm. 399) im Gegensatze ge$, obiges dividens als af
firmatives Urtheil genommen werdem müsse ***). Die Betraehtung aber
der Berechtigung (sanum) der Gedanken führt nun auf die Frage, ob
denm all jenes Denken, in welchem wir die Dinge anders erfassen als
sie sind, unberechtigt (cassum) sei; und indem darauf hingewiesen
wird, dass wir im Denken durch „abstractio“ sowohl vom Stoffe ab
sehen und bloss die Form betrachten können, als auch von der indivi
duellen Erscheinung absehen und bloss das einheitlich Gleiche derselben
erfassen können, sowie dass wir umgekehrt durch „subtractio“ von der
Form absehen können, so wendet der Verfasser bezüglich der ,,abstra
ctio“, welche auf die Universalien himausläuft, jene nemlichen Ausdrücke
am, welche wir oben (Anm. 132 ff.) bei den Vertretern der Indifferenz
Lehre trafen , aber er lenkt diese Ansicht in dem aristotelischen Sinn
hinüber, indem er ausdrücklich sagt, dass das indifferens, währemd es
in der vielheitlichem concreten Erscheinung nie das Existirende ist, doch
wesentlich (essentialiter) Nichts anderes als das Individuum, sondern
gänzlich das Nemliche (penitus idem) sei und eben nur durch die Aus
sage (per praedicationem) von dem Individuen abstrahirt werde ***);
und indem er hiemit vom dem platonischen Nebenzuge, welchen die
Auffassung der Universalien bei Abälard hatte, sich völlig frei macht,
weist er entschieden dem menschlichen Denken (intelligere) es zu, die
Dinge in solchem Erfassen des indifferens eben anders zu denken, als
tuitur, quam deinde in copulatione vel remotione alicuius deliberemus .... p. 478.:
Sicut autem in e0 , quod dicitur, vis enuntiationis consistit, .... ita in intellectu
termini, qui dicitur, h. e. praedicatur, vis deliberantis intelligentiae constituitur .....
p. 479.: Non est itaque necesse, ut eaedem penitus voces in significatione idem peni
tus in conteætu constructionis valeant, de quo plenius in constructionibus prosequimur.
Den Prisciam'schen Ausdruck ,,constructio** trafen wir schon oben Anm. 263 u. 273.
431) p. 479 f.: Differt autem ab invicem dividens et disiungens intellectus, quod
dividens intellectus negationis est, .... disiungens vero affirmationis, ... eae pluribus,
quae mente concipit, unum tantum constituit, ut ... quicunque sunt hypotheticarum
disiunctarum inlellectus. -
432) p. 480 f.: Illud quoque inquiri ac diffiniri necessarium iudico, utrum
omnis intelleclus aliter quam res sese habeat attendens cassus ac vanus dicendus sit
.... Per abstractionem autem illos dicimus intellectus, qui vel naturam alicuius for
mae absque respectu subiectae materiae in se ipsa speculantur, vel naturam quam
libet indifferenter absque suorum scilicet individuorum discretione meditantur .... Cum
naturam humanam, quae singulis inest hominibus, ita indifferenter considero, ut nul
lius hominis personalem discrelionem attendam, h. e. simpliciter hominem eæcogito,
in e0 scilicet tanlum, qu0d h0m0 est, i. e. animal rationale mortale, non etiam in
eo, quod est hic homo vel ille, universale a subiectis abstraho individuis. Sit ita
que abslractio superiorum ab inferioribus, sive scilicet universalium ab individuis
per praedicationem subiectis, sive formarum a materiis per fundationem subiectis.
Subtractio ver0 e contrario dici potest, .... cum aliquis subiectae naturam essentiae
absque omni forma nititur speculari. Uterque autem intellectus, tam abstrahens sci
licet quam subtrahens, aliter quam res se habet concipere videtur .... p. 482.: Nus
quam enim ita pure subsistit, sicut pure concipitur, ... et nulla est natura, quae
• indifferenter subsistat, sed quaelibet res, ubicunque est, personaliter discreta est at
que una numero reperitur .... Humana natura in hoc homine, i. e. in Socrate, quid
aliud est quam ipse? Nihil utique aliud, sed idem penitus essentialiter ....... Tota
humana notitia a sensibus surgit; ac per hoc insensibilium rerum status ad modum
sensibilium eæcogitare ipsa nos sensuum eæperimenta compellunt.
P R A N t l, Gesch. II. 14
210 XIV. Anonymus De intellectibus.
sie in der concreten Erscheinung sind, was natürlieh nicht damit zu
verwechseln sei, wenn das Denken eine factische Unrichtigkeit ent
halle *°°). Aber auch. die Kehrseite jener Frage wird erörtert, nemlich
ob alles Denken, welches die Dinge erfasst, wie sie sind, ein berech
tigtes sei; und es dreht sich die Beantwortung um die Widerlegung
oder Lösung eines Fehlschlusses, welcher damals in dem Schulen unter
dem Namen des „Esels-Beweises“ (s. Amm. 113) üblich gewesen zu sein
scheint und auf folgenden Witz himauslief: Wer denkt, dass Sokrates
ein Esel ist, denkt, dass ein gewisses lebendes Wesem (memlich Sokra
tes) ein Esel ist; da aber ein gewisses lebemdes Wesen wirklich ein !
Esel ist, so denkt Jener richtig 484). Uebrigens bringt der Werfasser
bei seiner Besprechung der Denkthätigkeit auch noch eime Unterschei
dung bei, welche im Vergleiche mit Abälard in Bezug auf Feinheit ünd
Tiefe der Auffassumg als ein Fortschritt bezeichnet werdem muss: nem
lich das begriffliche Demken (intelligere) überhaupt unterscheide sich
von dem begrifflichen Denken eines speciellem 0bjectes, denn bei letz
terem erhalte in dem blossen Erfassem des 0bjectes das geistige, Schauen
an dem 0bjecte seime Bestimmtheit und seinem Abschluss, und ebenso
reiche auch das Bezeichnen (significare), indem es das begriffliche
Denken .erwecke, über die Einzel-Bezeichmumg eines 0bjectes' hinaus,
ila letztere in einem hestimmt abgeschlossenem Denken verweile *°°).
433) p. 483 f.: Cum dico ,,intelligo istam rem aliter quam sit“, duo sunt
sensus: unus quidem huiusmodi, si ita dicam, quod alius modus sit in intelligendo
rem, alius in subsistendo, i. e. alius modus sit in intelligenlia eius, alius in sub
sistentia ipsius .... Alius vero sensus, si ita dicam „intelligo hanc rem aliter quam
sit“, i. e. in statu alio eam attendo, quam ipsa in se. habeat, vel quocunque m0d0
aliter se habentem quam sese habeat ..... Sic utique quaestio supraposita potest in
telligi .... et secundum diversos sensus diversae sunt dundae responsiones, Si enim
ita quaeratur, utrum omnis intellectus, qui alium modum attendendi habet, quam res
subsistendi, vanus sit, non est concedendum. Aus dieser ganzen Erörterung geht
hervor, dass Cousin zu worschnell war, wemm er diese Schrift für ein Werk Abà
lard's hielt.
434) p. 482 f.: Aliam propositi nostri partem persequamur, utrum videlicet
Omnis intellectus sanus sit dicendus, qui ita ut sese res habel eam intelligit. Quod
... habet nonnullam impugnationem. Quippe qui hunc hominem asinum esse intelligit,
. intelligit et ipsum esse animal et quoddam animal esse asinum, quae utraque
vera sunt;...... c0ncedendus est inlelligere, esse animal, cum in asino necesse sit
animal substantiam intelligi ..... Ac per hoc profecto, qui intelligit, hunc hominem
esse animum, verum intelligere convincitur ..... p. 485.: Non est audiendus.; cum
enim h0c nomen ,,asinus“, quia simpleae est sermo; simplicem habeat intellectum et
n0n eæ partibus coniunctum, n0n p0ssumus in praedicatione eius intellectus diver
sarum enuntialionum distinguere ..... 0biici solet, quod omnis, qui intelligit Socra
tem esse asinum , intelligit quoddam animal esse asinum, et omnis qui intelligit
. quoddam animal esse asinum, intelligit verum, et ita omnis, qui intelligit Socratem
esse asinum, intelligit verum. Facile responsum damus, quod videlicet, si medius
terminus in eodem sensu sumatur, firma sit omnino compleacio.
435) p. 487.: Non est necesse, ut si alicuius intellectus conceptus habeam,
quoquo modo ideo illud intelligere dicar; et licet intelligere simpliciter sumptum sit
ab intellectu, non tamen intelligere hoc sumptum est ab intellectu huius rei, cum
videlicet .... intelligere hoc non sit simpliciter hunc intellectum habere, sed sic eum
habere, ut insuper visus animi terminetur ibi ac perficiatùr. Nam et significare idem
est quod intellectum constituere, non tamen significare aliquid idem est quod intel
lectum de eo constituere. Alioquin , cum singuli sermones intellectus quoque sicut et
XIV. Anonymus De intellectibus. Adam v. Petit-Pont. 211
So können auch die , sensualistischen Nüancem des Nominalismus eben
von diesem Standpunkte aus bekämpft werden, dass die Denkthätigkeit
in freier Erwägung in sich selbst fortsehreite 4°°), und es wird diese
Selbslständigkeit des Denkens gegenüber dem factischem Bestande noch
an einigen anderweitigem Beispielem machgewiesen *°7). Eine: hierauf
folgende Erörterung über die Eintheilung des Seiendem in Substanzen
und Accidentien wurde ihrem Hauptkerne mach schon obem, Anm. 191,
angeführt. Endlich aber wird in kurzer Andeutung die Frage über die ,
Universaliem (s. oben Anm. 74) derartig erledigt, dass sowohl den Rea
listen die nothwendige Consequenz einer ins Unendliche fortgesetztem
Einschaehtlung der Formen als auch dem Nominalistem der Mangel an
Ideal-Sinn vorgeworfen wird ***), und bezüglich der Formen die Abä
lard'sche Ansicht die Zustimmung des Verfassers erhält 4°°).
In der stärkerem Betonung der Lehre vom Urtheile mochte vielleicht
mit Abälard auch A d a m v o n P e tit- P o n t übereinstimmen **"), wel
chen wir als einen Bearbeiter der ersten Analytik schon oben (Anm.
20) erwähnen mussten, sowie eine unten (Amm. 522) anzuführende
Stelle gleichfalls einen Beleg enthält, dass er jenes Werk benützte.
res significare dicuntur, non tamen ideo de intellectibus rursum alios intellectus con
stituunt. -
436) p. 488., woselbst nach den oben, Amm. 77., angeführten Wortem folgt:
Quod omnino falsum apparet .... Cum itaque dicimus ,,homo intelligitur“, hic est
sensus, qu0d aliquis per intellectum naturam concipit humanam, h. e. animal tale
altendit ..... p. 489.: Ea natura tamen ipsius sensus, qui, nisi in aliquam rem
eæistentem agat, eaeerceri non potest, concedendum arbitror, quod si quis hominem
sentiat, hunc vel illum sentiat. At vero intellectus non minus haberi potest etiam,
si res non sit, quia et eorum , quae iam praeterita sunt, memoria recordamur et,
quae futura sunt, per providentiam iam c0ncipimus et, quae nunquam sunt, non
nunquam 0pinamur atque fingimus, ut chimaeram, centaurum, sirenem, hircocervum
(s. Boelh. p. 296., Abschn. XII, Anm. 110.).
437) p. 489 f.: Quaerit etiam illud fortassis aliquis, cum audio ,,omnis homo“,
utrum intelligam omnem hominem, vel cum dicitur de aliquibus duobus, quod ,,alter
eorum currit**, utrum intelligam alterum eorum currere, vel cum dicitur ,,chimaera
quae est alba“, utrum intelligam chimaeram, quae est alba, sicut cum audio ,,chi
maera** intelligo chimaeram, nec non etiam, utrum cúm audio hoc nomen „non in
telligibile“, intelligam non intelligibile. Hiebei wird damn p. 490—492. überall ge
zeigt, dass mit dem ,,intelligo** durchaus nicht das aüsserlich factische Sein mit
gegeben sei.
438) p. 494.: Qui autem formas universaliter essentias esse volunt, si rati0
nabiliter ugant, inquiramus ; et primum inquirendum videtur, si concesserint, unum
praedicari de unaquaque, sic quoad praedicationem suam (der Text, welchen Cou
sin gibt, ist unverständlich) unitatem inesse illi de quo praedicatur, innuant. Quod
si concesserint, Socratem habere unitatem, cum unus sit, concedere debent, et uni
tatem Socratis habere unitatem formam sui, cum una sit, et illam aliam, et sic
tanta multiplicitas fiet, quod in natura numerus non occurrat (s. untem Anm. 477.)
- - - - - p. 495.; Illi autem qui non asserunt essentiam nisi substantias, fortasse vere
virtutes et vilia et colores aliquid esse denegabunt; sed quam recte id faciant, sa
pienles iudicent.
439) S. die schon oben Anm. 300. angeführte Stelle.
440) Er war aus England gebürtig, trat als Lehrer des Triviums in Paris
auf, wo er seine Schule in der Nähe von Petit-Pont hatte, und wurde später Bi
schof von St. Asaph in Nord-Wales. Dass er in der Theologie ein Gegner des
Gilbertus Porretanus war, berichtet 0tto Fris. de gest. Frid. I, 51, p. 436, Urstis.
14*,
212 XlV. Adam v. Petit-Pont.
Wohl würde es durch eine solche Thätigkeit sich erklären, dass Adam
zu den Neuérern gehörte und somit über Diejenigen lachte, welehe Alles
in die lsagoge hineinpfropften (s. Anm. 56 ff.), aber er scheint dennoeh
nach dem Sprichworte, dass man mit den Wölfen heulen müsse, ver
fahren zu sein ***) und wenigstens als Lehrer mit ziemlicher Affectation
' im Aeusseren doch mur allbekannte Dinge vorgetragen zu haben ***),
wobei er wohl auch in eitler Prahlerei Manches als eigene neue Er
findung ausgeben mochte ***). Won seiner schon oben, Anm. 20, ge
nannten ,,Ars disserendi“ gab Cousin einige kärgliche Bruchstücke, mit
welchen uns wahrlich wenig gedient ist ***). Wir ersehen nemlich
daraus nur, dass Adam in der Einleitumg eine eigenthümliche Unter
scheidung aufstellte, wornach das Wissen (scientia) auf geistiger Be
gabung allein (vgl. ohen Anm. 422), die technische Durchführung aber
(ars) auf Begabung und Uebung, und die Gewandtheit (facultas) auf
Begabung, Uebung und Technik beruhe **°), sowie dass er von dem
Urtheile ausgegangen zu sein und innerhalb desselben dem sachlichen
441) Joh. Saresb. Metal. III, 3, p. 129. (ed. Giles): Plane magis dedocent
quam erudiunt, qui in hoc libello (d. h. in der Isagoge) legunt universa et eum
brevitate sua contentum esse non sinunt; quidquid alicubi dici potest, hic congerunt
.... Deridebat eos noster ille Anglus Peripateticus Adam, cuius vestigia sequuntur
multi, sed pauci praepediente invidia profitentur; dicebatque se aut nullum aut audi
tores paucissimos habiturum, si ea simplicitate sermonum et facilitale sententiarum
dialecticam traderet, qua ipsam doceri eæpediret.
442) Walter Mapes (s. untem Anm. 525.), Metamorph. Goliae, v. 193 ff. (ed.
Th. Wright p. 28.): Inter hos et alios in parte remota Parvipontis incola, non lo
quor ignota, Disputabat digitis directis in iota, Et quaecunque diverat, erant per ;
se n0ta.
443) Joh. Saresb. Enthet. v. 49 ff., woselbst mach den oben Anm. 59. ange
führten Wersen folgt: Incola sum modici Pontis novus auctor in arte, Dum prius
inventum glorior esse meum; Quod docuere senes nec novit amica iuventus, Pectoris
inventum iuro fuisse mei; Sedula me iuvenum circumdat turba putatque Grandia
iactantem nonnisi vera loqui.
444) Cousin, Fragm. phil. (s. Anm. 416.) 2. Aufl. (1840), p. 417 ff. (Aufl. v.
1855, p. 333 ff.). Abgesehen von dem äusserst corrupten Texte der Handschrift,
am welchem alle Wersuche einer Exegese scheitern, ist auch die Masse des Mitge
theilten doch allzu gering. Dass aber das Werk Adam's für uns von Wichtigkeit
sein müsste, sieht man aus folgendem Anfange des 2. Buches, welcher eine Reca
pitulation des 1. enthält und bei Cousin (p. 423.) lautet: Ad prioris a sequenti
libro distinctionem (Cousin's Text hat sit distinctiones), quid in hoc dicendum, quid
in illo dictum, interserere (scheint licet oder dgl. ausgefallen zu sein). De quo et
ad quid et qualiter artis disserendi institutio, praemonstravimus; a quibus disserendi
principium in eorum principiis duplicem, in ipsis dupliciter duplicem disserenti at
tentionem praescripsimus, de quo dicat et qualitèr id designet; post principia item
duplicem, quid de eo dicat et qualiter id designet; de quibus autem dicat, primo
in quatuor, denique distinctius distinacimus, et eae hoc principiorum genera, quae
sunt et ad quae, docuimus. Nemlich so unverständlich' diese Worte auch grossen
theils sind, so blickt doch eine ganz eigenthümliche Gliederung des Ganzen durch.
445) p. 419.: Principium propositi, de quo et ad quid et qualiter ars disse
rendi instituenda, dicere; propositum autem, de eo et ad id et sic artis rationem
instituere. Erit autem, qualiter artem institui conveniat, cognito eius initio mani
festius ..... Innotescat igitur, quoniam initium non idem scientiae et artis et facul
tatis disserendi; id autem innotescet, eæ quibus- horum initia, cognito; sunt autem
ea, tribus: ingenio, usu, arte ..... Scientiae enim disserendi eae ingenio absque ce
teris initium; artis autem eæ hoc et usu; facultatis autem eae his et arte.
XIV. Robert Pulleyn. Peter v. Poitiers. 213
Inhalt und die sprachliche Form unterschieden zu haben scheint**®).
Einen Schüler Adam's werden wir untem (Anm. 522) treffem.
Während num auf solche Weise, wie wir uns bisher hinreichend
überzeugen konntem, die Dialektik in reicher Fülle als specielle Dis
ciplin eine ausführliche Pflege fand, fehlte es um die Mitte des 12.
Jahrhundertes auch nicht an Solchem, welche lediglich von der Theo
logie aus gelegentlich auf. logische Momente stiessen und danm in der
üblichen Weise mit dem platonisch-christlichen Realismus es sich ziem
lich bequem machtem oder die Unvereinbarkeit der Logik und der Glau
bens-Mysteriem aussprachen. So erwähnt Robert Pu Ileyn (er lehrte
in Paris und in 0xford, starb im J. 1154), welcher vor keiner dogma
tischen Consequenz zurückscheut, sondern Alles und Jedes zu construi
ren versucht, bei seinen Erörterumgen über die Trinität auch Ansichtem
der Dialektiker, wobei wir theils Wilhelm v. Champeaux theils Abälard
wiedererkennen **"); er selbst jedoeh, in der Ueberzeugung, dass hierin
die Dialektik ein vergebliches Unternehmen sei 44°), schaukelt sich ab
sichtlich von Zugeständnissen aus, welche uns an die lndifferenz-Lehre
'erinnern, in einem völligen Skepticismus hinein, indem er verschiedene
Partei-Stellungen der Logik gleichmässig als berechtigt zugesteht und
zuletzt bei dem blossen gewöhnlichen Sprachgebrauche bezüglich der
Universalien stehen bleibt 449). Und während Petrus v o n Poi tier s
446) p. 421.: Principium disserendi ab interrogatione vel enuntiatione. Quo
niam igitur ab ipso disserendi principio docendi disserere propositum inchoari con
veniens, , sic de iis docendi disserere principium, a quibus est disserendi ..... Est
igitur enuntiatio veri vel falsi dictio ut ad disserendum; interrogatio vero quid sit,
notius est quam ut diffiniri oporteat ..... p. 422.: Duplicem utrinque consideratio
nem adhibendam instituimus , alteram eorum, de quibus et quae dicuntur, alteram
verborum, quibus ea de illis. Quoniam enim, quae consideratione percipiuntur, verbis
designari aeque conveniens, de quo et quibus enuntietur vel interrogetur, eæ arte
considerato, qualiter secundum locutionem utrumque ut ad disserendum designari con
veniat , non minus attente considerandum.
447) Rob. Pulli Sentent. I, 3 (ed. Mathoud, Paris. 1655 fol.), p. 33 a.: Dicet
dialecticus: Species est tota substantia individuorum totaque species eademque in sin
gulis reperitur individuis; itaque species una est substantia, eius vero individua
multae personae et hae multae personae sunt illa una substantia, nam secundum Por
phyrium omnes homines participatione speciei sunt unus homo (diess ist die Ansicht
Wilhelms v. Champeaux, s. Anm. 105.).... Sed dices: Sunt nonnullae formae gene
rum, quae ea nequaquam ducunt ad esse specierum; sunt quoque proprietates per
tinentes ad substantiam, sed non efficiunt personam (so Abälard, s. Anm. 300 f.).
448) Ebend.: Dialectice, obscuro obscurum incredibili creditum solvere quaeris;
nihil proficis. -
449) Ebend. p. 35 b. : 0mnem rem vere informem discretione cogitatuum , non
varietale formarum, distinguimus; haec enim est vis mentis, ut concipiat diversis
modis rem licet formis non diversam (diess trifft wörtlich mit dem ,,diversis modis
attendere** der Indifferenz-Lehre, s. Anm. 133., zusammen). Quod dico, difficile
est videre, difficilius eæplanare. Nam concolores per quid inter se conveniunt, per
quid a discoloribus differunt, si accidentia non sunt? An , ut quidam aiunt, conve
niunt et differunt, sed in nullo, ut albi similantur (diess wäre Abälard's ,,consi
mile**, s. Anm. 299. u. 307.); sed in quo? An in participatione speciei? Sed ratio
evincit, universalia non esse (diess beruht ' auf dem Ausspruche ,,res de re non
praedicatur*', . s. Anm. 132. u. 287., oder stimmt mit Johannes v. Salesbury über
ein, s. Anm. 590.). An in dividua albedine? Sed singuli cernuntur suam, non al
terius, habere (so die Nominalisten, s. Anm. 78.). Verumtamen sibi similes esse
214 XIV. Peter w. Poitiers. Robert v. Melum.
(ein Schüler des Petrus Lombardus, blühte um 1160—1170) gleichfalls
gegen die Anwendung der Dialektik auf die Trinitäts-Frage protestirte *°°),
knüpfte er dennoch viele seiner Erörterungen an Pseudo-Boethius De
Trinitate (s. Anm. 35 ff.) am, und zwar mit der komischen Bemerkung,
jene Schrift sei mehr philosophisch (!) als theologisch , und mam dürfe
daher durch dieselbe sich micht irreleiten lassen *°'); auch zeigt die
Untersclieidung der Substanz als Subject und der Substanz als Form,
sowie die Unterscheidung der substantiellen Form als einer das Indivi
duum erzeugenden und als einer die Artem und Gattungen hervorrufen
den mur den rohesten platonisch-theologischen Realismus *°*). Desglei
chen findet sich bei seinem Zeitgenossen R o b e r t v o n M elu n, dessen
äusserliche Gewandtheit in der Dialektik sehr gerühmt wird *°°), nur
der ontologische gewöhnliche Realismus, welcher theoretisch zu stumpf
ist, um auf die logischen Momente überhaupt einzugehen, oder, wo er
solches thut, sich eben blamirt, wie z. B. wenn gegen die Einheitlich
keit der Bedeutumg, welche in „est“, und jener, welche in „ens“ liegt,
polemisirt wird ***). Zu verwundern aber ist es demnach nicht, wenn
liquet, quia, licet diversas, habent tamen albedines. Sed si formas tollimus, unde
similes? Si sic dico, in consuetudine loquor, autores tam divinos quam mundanos
videor habere adversos.
450) Petri Pictav. Sentent. I, 32 (ed. Mathoud, Paris. 1655, fol.), p. 93 a.:
Non videtur ergo transferenda conversalio dialecticorum ad huiusmodi propter incon
venientia .... 33, p. 94 b.: Quod ergo dicit Johannes Damascenus (s. Abschn. XI,
Anm. 170.), non ita accipiendum, ut universalia et individua ita accipiantur sicut
in philosophicis disciplinis .... Si quaeratur, an hoc praedicabile ,,deus“ sit univer
sale vel individuum, neutrum hic admittendum. Und dennoch wurde auch " er ver
ketzert, s. Anm. 478.
451) Ebend. I, 4, p. 8 b.: Ideo imponitur Boethio, quod illam diffinitionem
(d. h. der persona) magis posuit ut philosophus, quam ut theologus. 32, p. 93 b.:
Sed nostri theologi plerique non habent illam diffinitionem pro authentica, quia magis
fuit philosophus quam theologus et magis ad probabilitalem locutus est quam ad
veritatem.
452) Ebend. I, 6, p. 12 a.: Substantia a substando dicitur ipsum subiectum,
quod substat formis, sive sit corpus sive alia res; substantia a subsistendo dicitur
forma, quae adveniens subiecto illud subsistit, i. e. sub se et aliis formis sistit, i.
e. substare sibi et aliis facit, sicut imago sigilli ceram ...... Sed substanlialis
forma dupleæ est, vel quae facit ,, quis“, et talis est omnis individualis proprietas,
i. e. individuo et proprio nomine, ut Platonitas, cuius participatione Plat0 est quis;
vel quae facit ,, quid“, ut speciale vel generale, i. e. quae speciali vel generali n0
mine significatur, ut humanitas, animalitas, cuius participatione Plato est quid, non
ver0 quis.
453) Joh. Saresb. Metal. II, 10, p. 78 f. (ed. Giles): Sic ferme toto biennio
conversatus in monte (d. h. Sanctae Genovefae) artis huius praeceptoribus usus sum
Alberico (s. unten Anm. 521.) et Roberto Melidunensi, ut cognomine designetur, quod
fmeruit in scholarum regimine, natione siquidem Angligena est, quorum alter .......
Alter autem (d. h. Robert) ini responsione promptissimus subterfugii causa propo
situm nunquam declinavit articulum, quin alteram contradictionis partem eligeret aut
determinata multiplicitate sermonis doceret, unam non esse responsionem ..... in re
sponsionibus perspicaa;, brevis et commodus.
454) Ausser jenem, was bei Bulaeus, hist. univ. Par. II, p. 264. sich findet,
hat Hauréau , de la phil. scolast. I, p. 333 ff. noch Mehreres aus Handschriften
mitgetheilt; aus Letzterem kann, da alles Uebrige unseren hiesigen Zweck nicht
berührt, bezüglich eines logischen Punktes folgende Stelle (p. 333.) angeführt
werden: Has vero voces ,,est“ et ,,ens'* eiusdem esse significationis, omnes philo
XIV. Gilbert Porretamus. 215
die Schüler dieses Robert über die aristotelische Topik als ein umbrauch
bares Buch schmähten (s. oben Amm. 29). ` .
Hingegen hal bei Gilbert u s P o r r et a m u s (geborem in Poitiers,
daher auch Pictaviensis genannt, gestorben i. J. 1154) das theologische
Gezänke über die Trinität zu einer ganz bestimmten logischen Auffassung
bezüglich der Universalien Veranlassumg gegebem, und wir müssen daher
ausser der Schrift De seae principiis, welche in den mächsten Jahrhun
derten für sehr bedeutend gehalten wurde, auch den Commentar dessel
ben zu Ps.-Boethius de Trinitate *°°) näher ins Auge fassem. Dass
Gilbert bereits die aristotelisehe Analytik kannte, wurde schon oben
(Anm. 21) erwähnt; jedoch macht er, abgesehem von jenem Citate, in
der That keinem weiterem Gebrauch von einer inneren Kemntniss der
dortselbst enthaltemen Principien, sondern bewegt sich nur in dem enge
rem Umkreise der allgemein üblichen Schul-Logik *°°). Während auch
er uns das eigenthümliche Schauspiel des Widerspruches zeigt, mit
allem Aufwande logischen Scharfsinnes über die Trinität zu discutiren
(s. jedoch Anm. 478) und dabei zugleich eine durchgängige Scheidung
Gottes und des matürlichen Gebietes festzuhalten, scheint er allerdings
über Aufgabe und Stellung der Logik durchaus in sich selbst nicht klar
gewesen zu sein. Es lässt sich bei ihm das ontologische und das
logische Gebiet nieht einmal in jener Weise wie bei Abälard auseinan
derhaltem, sondern trotz all seinem realistischem Grundtone acceptirt er
völlig naiv und nnbedenklich die Function des menschlichen Sprachaus
druckes ; denn die Erweckung des Gedankens verlegt er, einen Salz
des Boethius wiederholend, ganz gleichmässig in die Eigenthümlichkeit
der Dinge und ebensosehr in die feste Bedeutung der Worte *°'), und
wemn er auf die memliche Weise die Qualität des Urtheiles in der Ab
folge der -Dinge und der Worte oder in der Modalität des Ausdruckes
fimdet, — was uns an Abälard erinnern könnte, s. Anm. 318, 327,
330 —, und somit die Aufmerksamkeit auf die Sprachform einschärft ***),
so stellt er wieder den philosophischen Gehalt, welcher auf die Eigen
thümlichkeit der Dinge (proprietas rerum) geht, sofort meben die der
sophicae clamitant scripturae; in istis ergo locutionibus ,,mundus est ens“, „mundus
est**, terminis oppositis idem significatur ; sed nullus tanta amentia ignorantiae ea
caecatus est, qui aliquam harum vocum ,,essentia, est, ens“ in illa significatione
retenta, in qua creaturis convenit, deum vel essentiam divinam significari praesumat
u. S. W. -
455) Gedruckt in Boethii 0pera ed. Basil. 1570, p. 1128—1273.
456) So erwähnt er z. B. p. 1185. den Unterschied zwischen Syhlogismus und
Enthymema, p. 1187. ,,dialecticorum, topica generalis omnibus nota*, p. 1225. ,,re
gula dialecticorum de conversione“, p. 1187. ,,conceptio communis“, p. 1224. „com
çeptus non entis“ (z. B. Centaurem), p. 1226. nihil als fomen infinitum, u. dgl.,
ufid auch die Erwähnung der sechs Sophismen (p. 1130.) kann er aus der nem
lichen Quelle wie Abàlard (s. obem Anm. 7.) geschöpft haben,
457) p. 1131.: Cum in aliis intelligentiam ea citet rei certa proprietas aut
certa vocis positio, etc. ..... p. 1132.: Tria quippe sunt, res et intellectus et serm0;
res intellectu concipitur, sermone significatur (Boeth. p. 296., s. Abschn. XII, Anm.
110.).
'is, p. 1130.: Qualitas autem orandi vel in rerum atque dictionum consequen
tia vel in earundem tropis attenditur. p. 1268.: Quia omnis dictio diversa significat,
quid et de quo diligens auditor attendit. .
216 XIV. Gilbert Porretanus.
Logik anheimfallenden Verhältnisse der Aussage (loquendi rationes) und
zugleich neben die grammatischen, die sophistischen und die rhetori
schen Momente hin 4°°).
lst so Gilbert in den Fragen über das Verhältniss des objectiv
0ntologischen zu dem subjectiv Logischen selbst noch naiver, als Scotus
Erigena gewesen war, so ist es hingegen nach der ersteren Seite der
Begriff der Substanz, durch welchen er in dem Streite über die Uni
versalien eine Parteistellung einnimmt; und wenn dieselbe uns wesent
liche Berührungspunkte mit anderem Ansichten zeigen wird, so ist diess
el)en ein neuer Beleg dafür, dass die Parteien in mannigfachen Knoten
punkten sich kreuztem. Gilbert nemlich unterscheidet an dem Begriffe
der Substanz, welcher in allumfassender Weise als höchster Gattungs
begriff von allen, sowohl körperlichen als unkörperlichen, Wesen gilt,
mach dem Standpunkte der theologischen Terminologie (d. h. des Ps.
Boethius) zwei Seiten, wornach bei einem Wesen sowohl dasjenige,
was es ist (quod est — subsistens), als auch dasjenige, wodurch es
ist, was es ist (quo est — subsistentia), als seine Substanz bezeichnet
wird 4°°). In letzteres aber num, nemlich in die Subsistenz, verlegt er
in einer eigenthümlichen Weise dasjemige, was wir bei Scotus Erigena
als die „Natur der Dinge“ (vor. Abschn. Anm. 105 u. 427) und bei
dem Werfasser der Schrift De gen. et spec. als „una creatura* oder
„similis creatio“ (oben Amm. 159 u. 163) trafen; nemlich er definirt
Natur kurzweg als den die Wesen formenden artmachenden Unterschied,
und indem er es ablehnt, ein Subsistirendes oder etwa auch die Gattung
oder Art als Natur zu bezeichnen, sagt er, die Natur oder Dasjenige,
459) p. 1246.: Ne ergo lectorem decipere possit aliqua dictio, quae, cum sen
sum aurium sono eaccitat, in quacunque oratione ponatur, offert menti, quaecunque
significat, rerum proprietatem, quam apud philosophos didicit, recolat et loquendi
rationes, quas logica ministrat, attendat atque ovvtt:£uv ev grammalicorum, λέιν
eae dialecticorum seu sophistarum, άηαιν eae rhetorum locis considerans de tot signi
£#; id, quod ad propositum pertinet, convenientium illi rationum adminiculis
eligat.
460) p. 1152.: Hoc nomen, quod est ,, substanlia“, non a genere naturalium,
sed a communi ratione omnium, quae sunt esse, subsislenlium inditum est non solum
illis , quae sunt esse, i. e. subsistentiis, sed etiam illis, quorum ipsae sunt esse,
i. e. omnibus subsistentibus ; quoniam tamen omnium, i. e. corporalium et incorpora
lium, sübsistentium, quod ab illorum subsistentia communi generalissimum esse, no
men non habetur, saepe latini hoc pro eo ponunt; unde et in Isagoge Porphyrius
(Boeth. p. 68.), ubi ait ,, substantia est quidem“, supponit ,,et ipsa est genus“,
quem iste (d. h. Ps.-Boeth. de Trin.) sequitur, pro omnium subsistentium generalis
sim0 ait ,, substantia“. p. 1151.: Error, .... nescire huius nominis, quod est ,,sub
stantia** multiplicem in naturalibus usum, videlicet non modo id, quod est, verum
etiam id, quo est, hoc nomine nuncupari. p. 1161.: Non enim subsistens tantum,
sed etiam subsistentia appellatur substantia, eo quod utraque accidentibus, diversis
tamen rationibus, substant. Subsistens igitur est substantia, non qua aliqua rerum
est aliquid, nihil enim subsistente est aliquid, sed est illa substantia, quae est ali
quid; subsistentia vero est substantia, non cui quid nitatur, quo ipsa aliquid sit,
sed qua solum subsistens ' est aliquid. Es wäre unrichtig, wenn man in dem Aus
drucke ,,id, quod est** das quod als grammatisches Subject nähme; es ist Prädicat,
denn die Formel für die cohcretem Dinge gestaltet sich folgendermaassen: res
;;;*** sunt esse subsistentiarum, d. h. Dasjenige, was ist, ist das Sein seines
esens.
XIV. Gilbert Porretanus. 217
wodurch Etwas sein Sein hat, d. h. die Subsistenz, liege in dem sub
stantiellen Formen (formae substantiales) und denjenigen qualitativen
und quantitativen Bestimmtheiten, welehe mit denselben verflochten
seien *°'), — eine Auffassung, welehe er im Sinne des Realismus auch
auf die Natur des Individuum-Seins derartig ausdehnt, dass er z. B. in
dem Plato-Sein (Platonitas), welches hiemit gleichfalls eine Subsistenz
ist, auch dem Grund der Individualität des Leibes Plato's erblickt 4°?).
Aber jene „substantiellem Formen“, mit welchem moch anderweitige Eigen
schaften verflochten sind, erhalten nun ihren eigentlichen Umkreis in
den concreten Dingen, denn eine Form wohl sei auch das Wesem
Gottes, und Formen seien die platonischen Ideen der Dinge als Urbilder
derselben, Formen emdlich seien auch die mathematischem Verhältnisse
der Figur, aber in all diesen dreiem Bedeutungen sei Form ein Imima
terielles, hingegen jene Form, welche als das Sein der subsistirenden
Dinge der Grund dessen ist, dass sie sind, was sie sind, und hiemit
als Stoff Desjenigen auftritt, was mit ihr sich verflicht, sei eben darum
nicht immateriell, sondern hier seien Form und Stoff vereinigt *°°). In
dieser letzteren Sphäre aber nun, welche auch die des Werdens und
der Bewegung sei, könne die geistige Auffassung des Menschen auf
461) p. 1231.: Haec igitur est propria naturae significatio, quae diffinietur,
i. e. secundum quam significationem natura diffinietur hoc modo: Natura est unam
quamque rem informans specifica differentia ; secundum hanc diffinitionem nullum
principium, nullum subsistens corporeum vel incorporeum, nullum genus vel species
sul)sislentis, nullum omnino accidens appellatur natura, sowie die 'kurz vorhergehen
den Worte: naturae nomine monstrare cupientes rerum , quae generibus et speciebus
suis sunt aliquid, vel gemerum ipsorum atque specierum substantialem proprietatem,
qualis est v. g. , rationalitas. p. 1255 f.: Natura enim subsistentis est, qua ipsum
subsistens aliquid est; hae vero sunt substantiales formae et quae illis in ipso sub
sistente adsunt qualitates et mensurae ..... quoniam sunt aliae verioris nominis
subsistentiae, quae "nunquam a subsistente recedentes perpetuae vocantur. Hiezu
Anm. 486. -
462) p. 1128.: Est enim proprium naturalium, qu0d sicut numero diversorum
proprietates diversae sunt, ita quoque subsistenliae numero sunt diversae , et qu0d
una singularis subsistentia nonnisi unum numero faciat subsistentem, ut Platonis et
Ciceronis n0n solum accidentales proprietates, verum etiam substantiales, quibus ipsi
sunt (v. g. vel diversa corpora vel diversi homines) diversae sunt, et quaecunque
singularis proprielas Platonem corpus esse vel hominem, eadem nullum alium esse
facit idem. -
463) p. 1138.: Forma quoque multipliciter dicitur. Nam essentia dei, qu0
opifice est quidquid est, ..... prima forma dicitur. Quatu0r quoque sincerae sub
stantiae, ignis, ' aer, aqua, terra, non quidem quae in sylva (d. h. ύλm) muluam
concretionem habere praedicta sunt, sed quae eae sylva et intelligibili specie sunt .....
eaeemplaria eorundem corporum, ίδεαι graece, latine vero formae cognominatae sunt.
Illud etiam quorumlibet subsistentium quodlibet esse, ea, qu0 unumquodque eorum est
aliquid, et quod eorum, quae sibi adsunt, materia est, eorundem subsistentium dici
tur forma, ut corporalitas omnium c0rp0rum. Dicitur etiam forma illud quartum
genus qualitatis, quod est corporum figura ..... Ex his manifestum est, quod mate
riarum alia informis et ideo simpleæ, ut ίλη, alia formata et ideo non simpleæ,
ut c0rp0ra ..... Quae vero sunt esse subsistentium, et materiae dicuntur et formae.
- - - - - Similiter formarum alia nullius materiae, ut opificis essentia, qua ipse vere est.
.... Illae quoque sincerae substantiae, quae c0rp0rum ezemplaria sunt, sine materie
formae sunt ...... Quae vero sunt subsistentium esse, sicut iam dictum est, n0n
modo formae sed etiam materiae nuncupantur. Figurae vero sensilium ..... formae
tantum cognominantur et non materiae.
218 XIV. Gilbert Porretanus.
Grundlage der Simmeswahrnehmung und des Gedächtmisses (vgl. obem
Amm. 418 ff.) die an sich umabstracten und concret gewordemen For
men des natürlichen Seins (inabstracta, concreta, nativa) dureh eine
andere Betrachtungsweise abstract erfassen — abstractim auendere —*"*),
und sowie bei der Erkenntniss des Göttlichen. ein intellectuelles Ver
fahren, betreffs der mathematischen Formen aber ein disciplinäres Wer
fahrem hestehe, so habe der Philosoph in den natürlichen Dingen ratio
nell (rationabiliter) zu verfahren, indem er die Worte, durch welche
sowohl dasjenige, was die Dinge sind (quod est), als auch jenes, wo
durch sie es simd (quo est), bezeichmet wird, mit , verständigem Nach
denken .erfasse, und eben dieser Umkreis der natiìrlichen Dinge sei es
ja auch, in welchem Artem unter Gattungen subsumirt und Gattungen
von Artem ausgesagt werden 468). So ist, uns durch diese Anschauungs
weise Gilbert's *°°) bereits klar, wie richtig Johannes von Salesbury
sich ausdrückte, wenn er sagt, Gilbert verlege die Universaliem in die
„formae nativae“ der geschaffenem Dinge und bemühe sich um die „com
formitas“ derselben, welche einerseits vom Denken als das Allgemeine
erfasst werde und andrerseits in der Erscheinung singulär auftrete *°").
Es erhält diess aber auch noch seine weitere Bestätigung.
Die substantielle Form nemlich hat darin ein Seim, dass sie es ist,
welche das ganze Wesen und die mit demselben verflochtemen Attribute
eines Dinges bewirkt und so als eine totale der Artbegriff ist, welcher
aus Gattung und artmachendem Unlerschiede besteht *"*), wormach in
- 464) Ebend.: His itaque divisis addendum est, quod primaria materia, i. e.
ύλη, et primariae formae, i. e. oόστα opificis et sensilium ίδεαι , .... omni motu
carent. Quae vero inabstracta a se invicem atque concreta sunt, i. e. sensilia, m0
ventur. Formae vero sensilium, quamvis inabstractae ideoque motum habentes, si
tamen abstractim attendantur (man beachte diesen Ausdruck, s. Amm. 133.), hac
vere abstractorum imitatione sine motu esse dicuntur; non enim tantum sicuti sunt,
verum etiam aliter quam sunt, res aliquae saepe vere concipiuntur. Propter qu0d
etiam ipsa animi speculatio dividitur .... Cum enim nativa, sicut sunt, i. e. con
creta et inabstracta, considerat, eae sua quidem propria potestate, qua humano animo
datum est, eae sensuum atque imaginationum praeeuntibus adminiculis reri sensilia
ratio dicitur; sed eæ his quae considerat, nativis scilicet et inabstraclis et motum
habentibus, naturalis et in motu et inabstracta cognominatur ...... Speculatio, quae
mativorum inabstractas formas ... considerat. Hiezu Anm. 487.
465) p. 1140.: Ac per hoc in naturalibus, quae sicuti sunt percipi debent, sc.
concreta et inabstracta, oportebit philosophum versari rationabiliter, ut scilicet posito
nomine, quo et id, quod est, et id, quo est, significatur, ea vi mentis, qua concreta
reri debet, diligenter attendat, quid proprie sibi vel quod est vel quo est concretionis
consortio eæigat et quid ceterarum speculationum locis communicet ..... In naturali
bus enim dicitur homo species generis ... ideoque naturalis concretionis proprietate
dicitur genus de specie praedicari ..... In mathematicis vero ... oportebit eum versari
disciplinabiliter .... In divinis .... intellectualiter versari oportebit. *
466) Die Quelle hievon liegt natürlich in der platonisch-theologischen Onto
logie des Pseudo-Boethius.
467) Die Stelle ist oben, Amm. 67., angeführt. •
468) p. 1142.: Ea quae est tota forma substantiae hominis non modo eæ e0,
qu0d ipsa t0ta eum, in qu0 est, facit hominem, sed et eae e0, quod alia parte sui
eundem facit animatum, alia sensibilem, alia rationabilem, recte dicitur esse aliquid.
- - - - - Quidquid est alicuius esse, aut est tota substantia illius, cuius dicitur esse,
aut pars eius, quod est tota substantia; et tota quidem substantia species, quae de
XlV. Gilbert Porretanus. 219
der Subsistenz, dureh welche ein Ding zu dem Subjecte seiner Wesens
Attribute gemacht wird, mehrere Subsistenzen wie in Einem Geflechte
zusammenlaufen *°°). Hiedureh aber haben die Galtungs - und Art-Be
griffe ein anderes Sein als die Dinge selbst ; denn erstere haben eben
nur das Sein der Subsistenz, letztere hingegen haben das Seim, Subjecte
und Träger der in der Sul)sistenz vereinigten Attribule zu sein *"").
Und so erfasst das Denken die Gattungs- und Art-Begriffe als die Uni
versalien gegenüber dem particulären Dingen, indem es aus den con
cret existirenden Trägern der Attribute auf das Sein der Subsistenz
sammelnd (colligere) schliesst 47!), wobei dann die natürlichen Dinge
im Hinblicke auf die Gattungs- und Art-Subsistenz, an welcher als an
dem wesentlichen Sein die einzelnen Dinge theilhabem, mit den Galtungs
und Art-Namen bezeichnet werdem, sowie die Attribute als Prädicate
ausgesagt werden und auch denominativ die Subsistenz selbst das Sub
ject genannt wird *"*). Sowie aber der Begriff des Sammelns (colle
eo dicitur, est, pars vero eius, quod est totum esse, genus est aut differentia, quae
speciem ipsam constituit.
469) p. 1145.: Subsistentia causa est, ut id, qu0d per eam est aliquid, suis
, propriis sit subiectum. p. 1175.: Quotiens enim subsistens ea, subsistentibus con
iunctum est, necesse est, eius totum esse, i. e. illam qua ipsum perfectum est sub
sislentiam , eæ omnium partium suarum omnibus subsistentiis esse coniunctam.
470) p. 1239.: Genera et species, i. e. generales et speciales subsistentiae, sub
sistunt tantum, non substant vere, neque enim accidentia generibus speciebusve con
tingunt, ut quod sunt, accidentibus debeant (der Begriff accidens ist hier wie über
all in dem Sinne genommem, dass er gegenüber der Substanz die übrigen meum
Kategorien umfasst).... Individua vero subsistunt quidem vere, .... informata enim
sunt iam propriis et specificis differentiis, per quas subsistunt; non modo autem
subsistunt, verum etiam substant individua,• quoniam et accidentibus, ut esse possint,
ministrant, dum sunt scilicet subiecta accidentibus.
471) p. 1238.: Essentiae in universalibus sunt, in particularibus substant, ....
subsistentiae in universalibus sunt, in particularibus capiunt substantiam, i. e. sub
stant .... Universalia, quae intellectus eæ particularibus colligit, sunt, quoniam par
ticularium illud esse dicuntur, quo ipsa párticularia aliquid sunt; particularia vero
non m0d0 sunt, qu0d ulique eæ huiusmodi su0 esse sunt, verum etiam substant.
472) p. 1137.: Ad generales quoque et speciales subsistentias, quae subsisten
tium, in quibus sunt, esse dicuntur, eo quod eis, ut sint aliquid, conferunt, eius
dem nominis, i. e. materiae, alia fit denominatio. p. 1140.: Essentia est illa res,
quae est ipsum esse, i. e. quae non ab alio hanc mutuat diclionem , et eae qua est
esse, i. e. quae ceteris omnibus eandem quadam eactrinseca participatione communicat
.... namque in naturalibus omne subsistentium eæ forma est, i. e. de quocunque
subsistente dicitur ,,est**, formae, quam in se habet, participatione dicitur. p. 1141.:
0mnia de subsistente dicuntur, ut de aliquo homine tota forma substantiae, qua
ipse est perfectus homo, et omne genus omnisque differentia , ea, quibus est ipsa
composita, ut corporalitas et animalio, et denique omnia, quae vel toti illi formae
adsunt, ut humanitati risibilitas, vel aliquibus partibus eius. p. 1145.: Quoniam
subsistentia causa est, ut id quod per eam est aliquid, suis propriis sit subiectum,
ipsa quoque per denominationem eius subiecta dicitur et eorundem materia .... (p.
1146.) et ideo generaliter cum qualitatibus qualitas dicitur et cum solis albedinibus
specialiter albedo, atque adeo multa sunt, quae de istis dicuntur, ut saepe etiam
efficiendi ratione a coaccidentibus ad ea, quibus c0accidunt, denominativa trans
sumptio fiat, ut ,,linea est longa, albedo est clara**. p. 1199.: Hoc igitur, quod
habet a substantia, nomen ad ea, quae eae ipsa fluxerunt, denominative transump
tum est. <*
220 XIV. Gilbert Porretanus.
ctio), welchen Gilbert förmlich zu einer Definition der Gattung benützt *7°),
uns schon oben in der Indifferenz-Lehre (Anm. 136), bei Gauslenus
(Anm. 146) und bei dem Autor De gen. et spec. (Amm. 162) begegnete,
so verbindet Gilbert damit in realistischem Sinne eine Auffassung, welche
er durch die Ausdrücke ,,substantialis similitudo“ oder ,,conformantes
subsistentiae“, am liebsten aber durch das bei ihm so häufige Wort
„conformitas“, selbst mit Ausdehnung auf die Namen der Dinge, bezeich
net 474), wobei wir die Verwandtschaft mit der „similis creatio“ des
Buches De gen. et spec. (Amm. 163) und insbesondere mit Abälard's
„consimilitudo“ (Amm. 299) nicht werkennem können ; bemerkenswerth
aber ist, dass Gilbert das Wort „indifferentia“, welches ihm doch ganz
nahe liegen musste, ausschliesslich nur bei den theologischen Discus
sionen über die Trinität anwendet *7°), hingegen wohl des Wortes
„identitas“, sowohl bei Substanzen als auch bei Attributen, sich be
dient 47"). Er nimmt überhaupt diese formgebende Kraft der Univer
salien so realistisch, dass ihm nicht bloss z. B. die Weisse, sondern
auch die Einheit als eine dergleichen Form erscheint, welche bei jedem
Prädicate mitwirken müsse, um den Träger desselben zu Einem Dinge
zu machen *77), und während er hiedurch .dem oben augeführten Ein
wande (Anm. 438, was möglicher Weise selbst direct gegem Gilbert
gerichtet sein könnte) preisgegeben ist, gelangt er dabei auf eine für
die Trinitätsfrage nutzbare, aber von Anderen wieder heftig bekämpfte,
Unterscheidung zwischen Einheit und , Eins oder überhaupt zwischen
473) p. 1252.: Genus vero nihil aliud putandum est, nisi subsistentiarum se
cundum tòtam eorum proprietatem ea rebus secundum species suas differentibus simi
litudine comparata collectio. -
474) p. 1135.: Diversae subsistentiae, eae quarum aliis homines et eae aliis
equi sunt animalia, non imitationis vel imaginaria, sed substantiali similitudine
ipsos, qui secundum eas subsistunt, faciunt esse conformes. p. 1136.: Dicuntur
etiam multa subsistentia unum et idem n0n nalurae unius singularitate, sed multa
rum, quae ralione similitudinis fit, unione .... llla, quae diversarum naturarum
adunat conformitas, genere vel specie unum dicuntur ...... Tres homines neque ge
nere neque specie, i. e. nulla subsistentiarum dissimilitudine, sed suis accidentibus
dissimilitudinis distant ...., sunt conformanlium ipsos subsistentiarum numero plures.
p. 1175.: Conformitate aliqua plures homines dicuntur unus homo. p. 1192.: Se
cundum pr0p0sitae nalurae pleniludinem dicitur substantialis similitudo, qualiter al
bum albo simile est et homo homini. p. 1194.: Tales sunt omnes differentiae illae,
quae vel huic generalissimo proæime cum ipso quaedam contractioris similitudinis
constituunt genera, quae a logicis subalterna appellantur, vel subalternis similiter
adhaerentes quamlibet sub ipsis subsistentiam specialem componunt. p. 1234.: Homo
videlicet subsistentia specialis, quae est huius nominis qualitas una quidem confor
mitate, sed plures essentiae singularitate, de singulis hominibus. Ebenso p. 1251.
1262. u. s. f.
475) So z. B. p. 1134. u. 1152. u 1169. -
476) p. 1169.: Identitate unionis homo idem quod homo est, nam Plato et
Cicero unione speciei sunt idem homo ....; identitate, quae eae proprietatis est uni
tate, rationale idem quod rationale est, veluti anima hominis et ipse homo non unione
speciei, sed unitate proprietatis sunt unum rationale.
477) p. 1178.: Unitas omnium .... praedicamentorum comes est; nam de quo
cunque aliquid praedicatur, id praedicato quidem est hoc, quod nomine ab eodem
sibi indito et verbi substantivi compositione esse significatur, sed unitate ipsi coacci
dente est unum, ut album albedine quidem album est, sed unitate coaccidente albe
dini unum, et simul albedine et eius comite unitate est album unum.
XIV. Gilbert Porretamus. 221
dem Zahlwörterm und den ihnem zu Grunde liegemdem ldealformen, im
soferme erstere nur von den concretem Dingem, welehe eben der form
gebenden Wirkung der ideellen Universalien unterliegen, ausgesagt werden
können *7°). Sodann aber knüpft sich an den Begriff der conformitas
auch noch die Auffassung, dass im Individuum alle möglichen Bestimmt
heiten derartig vereinigt sind, dass dasselbe in der Totalität seiner Sub
sistenz (vgl. Anm. 462) mit keinem anderen Wesen conform ist, und
hiemit die Individualität in dieser Wesens-Unähnlichkeit liegt, wohin
gegen alles Nicht-Individuelle auf einer Aehnlichkeit beruht und hiernach
in seine individuellen concreten Erscheinungsweisem, welche in ihm ähn
lich, unter sich aber unähnlich sind, getheilt werden kann ; es be
zeichnet Gilbert diese Anschauung dadurch, dass er das Wort „divi
dua“, welches wir hier zum ersten Male treffem, für die sog. nomina
appellativa und „individua* für die sog. nomina propria wählt *7°).
Eine logische Werwerthung dieses ontologischen Realismus liegt in
jenem Aufundabklettern an der Tabula logica, welches nach dem Wor
gange des Boethius in . Definition und Division geübt wird *°°), und
hiemit in der Function des Aussagens, insoferme durch dasselbe mie das
concrete Sein selbst, sondern nur das Wesen, d. h. die Subsistenz und
die Wesens-Attrihute, über die concretem Dinge ausgesagt werden *°*),
478) p. 1148.: Quod est unum, res est unitati subiecta, cui scilicet vel ipsa
wnitas inest, ut albo, vel adest, ut albedini; unitas vero est id, quo ipsum, cui
inest, et ipsum, cui adest, dicimus unum, ut album unum, albedo una. Rursus ea,
quae dicimus esse duo , in rebus sunt, i. e. res sunt dualitati similiter subiectae,
quae duae sunt ..... Ideoque non unitas ipsa, sed quod ei subiectum est, unum
est, nec dualitas ipsa, sed quod ei subiectum est, recte dicitur duo ....., nam vere
omnis numerus non numeri ipsius, sed rerum sibi suppositarum est numerus. Dass
aber überhaupt selbst dieses orthodoxeste Bestreben bei manchen anderen Theologen
wenig Dank einärndtete, sehen wir daraus, dass, wie Bulaeus, hist. un. Par. I, p.
404. berichtet, der Prior Walther von St. Victor eine eigene Schrift gegen die
,,vier Labyrinthe Frankreichs“, nemlich gegen Petrus Lombardus, Abàlard, Petrus
v. Poitiers und Gilbert, verfasste; aus Handschriften derselbem (in der Bibliothek
von St. Victor) theilt Launoi, de var. fort. Aristot. c. 3, p. 29., folgende Stelle
mit: Quisquis hoc legerit, non dubitabit, quatuor labyrinthos Franciae, i. e. Abae
lardum et Lombardum, Petrum Pictavinum et Gilbertum Porretanum, uno spiritu Ari
stotelico afflatos, dum ineffabilia trinitatis et incarnationis scholastica levitate tracta
rent, multas haereses olim vomuisse et adhuc errores pullulare.
479) p. 1164.: Si enim dividuum facit similitudo, consequens est, ut indivi
duum dissimilitudo. p. 1236.: Homo et sol a grammaticis appellativa nomina, a
dialecticis vero dividua vocantur, Plato vero et eius singularis albedo ab eisdem
grammaticis propria, a dialecticis vero individua; sed horum homo tam actu quam
natura appellativum vel dividuum est, sol vero natura tantum, non actu; multi nam
que non modo natura, verum etiam actu, et fuerunt et sunt et futuri sunt substantiali
similitudine similes homines. p. 1165.: Restat igitur, ut illa tantum sint individua,
quae eæ omnibus composita nullis aliis in toto possunt esse conformia, ut eæ omni
bus, quae et actu et natura fuerunt vel sunt vel futura sunt, Platonis collecta Pla
tonitas. -
480) p. 1128.: Sicut in diffinitiva demonstratione species genere, sic in divi
siva genus specie declaratur. p. 1130.: ,,Nulla species de suo genere praedicatur**
in diffinitionum genere verum est, item ,,omnis species de suo genere praedicalur**
in divisionum genere verum est.
481) p. 1244.: Nunquam enim id , quod est, praedicatur , sed esse et quod
illi adest praedicabile est, et sine tropo nonnisi de eo, quod est. (Wenn hiemit
*.
222 XIV. Gilbert Porretanus.
d. h. Gilbert spricht seinen Realismus aus, indem er. alle Kategorien
als die reellen Causalitäten ihrer Erscheinung in den concreten Dingen
betrachtet und so als oberste Gallungen nicht der Aussagem, sondern
der 0bjecte bezeichnet, wornach die logische Functiom (facultas logica)
nur einen Abklatsch der Realität enthält ***). Dabei aber scheidet er die
Kategorien nicht bloss in der üblichen Weise, dass die Substanz allem
übrigem neum gegenübersteht, sondern letztere zerfallen ihm wieder in
solche, welche zu dem immeren Wesen gehören, und solche, welche nur
eine äusserliche Verbindung enthalten *°°); nemlich Qualität und Quan
tität, welche zur „Natur“ (Anm. 461) oder Subsistenz gehören, dienem
darum noch der Aussage des wahren Seins (vere esse), wohingegen die
übrigen siebem Kategorien, — also mit Einschluss der Relation —,
nur dem äusserlichen wechselnden Verhältnisse der Zustände (slatus,
vgl. circumstantia bei Boethius, Abschn. XII, Anm. 166) , anheimfal
len 434).
Gilbert die blossen Existentialsätze als nichtssagend bezeichnete, so kam er hie
durch wieder in Conflict mit Theologem, s, 0tt0 Frising. de gest. Frid. I, 52, p.
437. Urslis.: Erat quippe quorundam in logica sententia, quod, cum quis diceret,
Socratem esse, nihil diceret; quos praefalus episcopus sectans talem dicli usum haud
* praemeditate ad theologiam verterat). -
482) p. 1173.: Horum nominum illa significata, quae diversis rationibus gram
matici qualitates, dialectici categorias , i. e. praedicamenta, vocant, praedicantur
substantialiter. p. 1153.: Qualitas omnium qualitatum generalissimum est et quan
titas omnium quanlitatum .... ideoque qualitas est qualitas genere cuiuslibet quali
tatis, quale vero est quale qualitate cuiuslibet generis .... similiter nullum, quod est
ad aliquid, relatio est, et nulla relatio est ad aliquid, sed id, de qu0 ipsa dicitur,
est ad aliquid .... Ubi quoque et quando et habere et situm esse et facere et pati
nomina sunt generalissima non eorum, quae praedicantur, sed eorum, de quibus prae
dicantur ..... Haec igitur praedicamenta talia sunt relationibus logicae facultatis,
qualia illa subiecta, de quibus ea convenit dici , permiserint. p. 1146.: Ceteras,
quae in c0rp0ribus sunt, v0cantes formas hoc nomine abutimur, dum non ideae , sed
idearum sint εὐχάνες, i. e. imagines, quod utique nomen eis melius convenit; assi
^milantur enim ...... quadam eaetra substantiam imitalione his formis, quae non sunt
in materia constitutae, sinceris. -
483) p. 1153.: Quidquid hoc est subsistentium esse, eorundem sul)stunlia dici
tur, quod utique sunt omnium subsistentium speciales subsistentiae et omnes, eæ qui
bus hae compositae sunt, scilicet eorundem subsistentium, per quas ipsa sibi con
formia sunt, generales , et omnes , per quas ipsa dissimilia sunt, differentiales .....
Accidentia vero de illis quidem substantiis, quae eae esse sunt, aliquid dicuntur,
sive in eis creata sive eætrinsecus affiaca, sint, sed eis tantum, quae esse sunt,
accidunt.
484) p. 1156.: Haec quidem, i. e. substantiae, qualitates, quanlitales , sunt
talia, quibus vere sunt, quaecunque his esse proponuntur, ideoque recte de ipsis
praedicari dicuntur; reliqua vero septem generum accidentia ... non vera essendi
ratione praedicantur, nam .... eactrinsecis scilicet circumfusus et determinatus minime
praedicaretur, si non suis esset per se proprietatibus informatus. p. 1160.: sic erg0
praedicati0 alia est, quae vere inhaerens inhaerere praedicatur, alia, quae quamvis
forma inhaerentium fiat, tamen ita eæterioribus datur, ut ea nihil alicui inhaerere
intelligatur. p. 1255 f.: Cetera vero (vgl. Anm. 461.), quae de ipso naturaliter
dicuntur, quidam eius status vocantur, eo quod nunc sic nunc vero aliter, retinens
has quibus aliquid est mensuras et- qualitates et maæime subsistentias, statuatur
....., situ vel loco vel habitu vel relatione vel tempore vel aclione vel passione sta
tuitur. S0 wird auch ausdrücklichst won der Relation gesagt p. 1163.: relativa
praedicatio consistit non in eo, quod est esse.
XIV. Gilbert Porretanus.' 223
Eben diess Letztere aber nun führt uns auf Gilbert's Schrift De
seae principiis *°°), ein in der That klägliches Machwerk, welches wahr
lich nur durch die Bornirtheit des Albertus Magnus zu Ansehen und
Geltung kommen konnte. Es begegnet uns dort zunächst wieder (vgl.
Amm. 461) der Begriff des substantiellen Seins, in welchem die Form
einer Werflechtung der Wesens-Bestandtheile liegt *°°), wobei ebenso
unmotivirt wie oben (Amm. 464) bemerkt wird, dass aus der Singulari
tät der concretem Dinge durch das Denken das einheitlich Gemeinschaft
liche (commune) und Universelle erfasst wird **"). Sodanm aber wird
auf die Kategorien mit jener memlichen (Anm. 483 f.) Zweitheilung in
innerliche und äusserliche übergegangem, jedoch mit dem Unterschiede,
dass nun hier die Relation nicht mehr unter den äusserlichen aufgezählt
wird, sondern dieselben nur aus den sechs letzten Kategorien (actio,
passio, ubi, quando, situs, habere) bestehen sollem, und da die erstem
vier Kategorien schon hinreichend von Aristoteles besprochen seien, so
will Gilbert nun eben jene übrigem sechs vollständiger erörtern *°°).
- So erfüllt er ein Bedürfniss, welches wir schon früher (Amm. 18 u.
344) aussprechen sahen, und indem er in seinem realistischen Wahne
auch diese Kategoriem als „principia“ bezeichnet (vgl. Anm. 477 u.
482), erhielt diese seine verstandlose Schrift auch in Anbetracht ihres
Titels später eiue solche Bedeutsamkeit, dass sie gleichsam als integri
render Theil in das 0rganon aufgenommen wurde.
Zuerst wird actio definirt und mit schärfstem Dualismus zwischen
körperlicher und psychischer Action als reciproc mit dem Begriffe der
Bewegung bezeichnet *°°), worauf die Bemerkung folgt, dass die Eigen
thümlichkeit der Action darim liege, passio zu erzeugen, und hiernach
die actio das uranfängliche ,,Princip* sei *""), und es wird nun der
485) In Folge der Aufnahme in das 0rganon gedruckt in fast sämmtlichem
àltestem lateinischen Uebersetzungen des Aristoteles; ich citire nach Aristot. 0pp.
lat. Venet. 1552, fol. vol. I.
486) Cap. 1, f. 31. v. A.: Forma est compositioni conlingens, simplici et inva
riabili essentia consistens ..... Substantiale vero est, quod confert esse eæ quadum
compositione compositioni, ut in pluribus, quod impossibile est deesse ei.
487) f. 31. v. B.: Sicut eæ plurium partium coniunctione constitulio quaedam
primorum excedens quantitatem efficitur, sic eae singularium discretione unum quod
dam intelligitur eorum excedens praedicalionem. So auch f. 32. r. B.: omnes qui
dem homines eius hominis, qui communis est et universalis.
488) f. 32. r. A.: Eorum vero, quae contingunt eæistenli, singulum aut eætrin
secus advenit aut intra substantiam consideratur simpliciter, ut linea, superficies,
corpus; ea vero, quae eætrinsecus contingunt, aut actus aut pati aut dispositio aut
esse alicubi aut in mora aut habere necessario erunt. Sed de his, quae subsistunt
et quae non solum in quo eæistunt eæigunt, in eo qui ,,De categoriis“ libro inscri
bitur disputatum est; de reliquis vero conlinu0 agamus.
489) Cap. 2, ebend.: Actio vero est, secundum quam in id, qu0d subiicitur,
agere dicimur .... Differunt autem, quoniam ea, quae corporis est, movens est ne
cessario illud, in quo est, .... actio autem animae non id movel, in qu0 est, sed
coniunctum ; anima enim, dum agit, immobilis est .... 0mnis ergo actio in motu
est, omnisque motus in actione firmabitur.
490) f. 32. r. B.: Naturalis vero aclionis proprielas est, passionem eae se in
id, quod subiicitur, inferre, omnis enim aclio passionis est effectiva ..... et sic attus
quidem est primordiale principium. -
224 XIV. Gilbert Porretamus.
Begriff des „facere“ in den dürrsten und grundlosestem Behauptungen
auch auf alle übrigem Kategoriem angewendet *°*), und nach dem Muster
der vier ersten Kategorien das Verhältmiss des Gegensatzes und das
Mehr oder Minder auch an dem facere und pati aufgezeigt *°°). Dann
folgt trotzdem zweitens passio, bei welcher die Werschiedenheit der
Wortbedeutung hervorgehoben wird *°°). Hierauf wird drittens quando
vorgeführt, welches wohl mit tempus verwandt sei, aber von demselben
sich dadurch unterscheide, dass die drei Zeiten, Vergangenheit und
Gegenwart und Zukunft, kein quando seien, sondern mur eine Wirkung
und Eigenschaft, vermöge deren Etwas als vergängen u. s. f. hezeichnet
werde (Aehnliches s. oben Amm. 194); auch könne nach dem quando
Nichts gemessen werden, wohl aber nach der Zeit *°*). Hieran reiht
sich' als Gipfelpunkt des Unsinnes die Angabe eines Unterschiedes zwi
schen quando und ubi, da das quando der Gegenwart zugleich mit dem
Augenblicke selbst in dem Nemlichen sei, was bei dem ubi nicht sich
finde *°°), sowie eine Eintheilung des quando umd des tempus in ein
fache und zusammengesetzte *°°), und zuletzt die Notiz, dass das Ver
hältniss des Gegensatzes und des Mehr oder Minder bei quando nicht
statihabe 4°7). Nun folgt viertens ubi, wobei die analoge Unterscheidung
zwischen ubi und locus auftritt *°°), und an die Unmöglichkeit, dass
491) Ebend.: Facere vero id, quod quale est, eae se gignit .... Quanlitatum vero
particularium positio effectriae est et qualitatum ...., universa enim haec a situ sub
stantiam et generationem habent .... Situs autem agere et pati, in dispositionis nam
que compositione quaedam generatio simplicium fit, quam in motiva actione consistere
necesse est. Quando vero tempus, ubi vero locus, habere autem corpus, ea enim,
quae circa corpus sunt, habere dicuntur.
492) Ebend.: Recipit autem facere et pati contrarietatem et magis et minus ....,
secare enim ad plantare contrarium est .... et calefieri magis et minus dicilur.
493) C. 3, f. 32. v. A.: Passio est effectus illatioque actionis .... Est autem
pati eorum, quae multipliciter dicuntur; animae enim actionum unaquaeque passio
dicitur ....., dicitur quoque passio, quod in naturam agit, ut morbus ..... Ea vero,
quae nunc relinquunlur, in e0 qui est ,,De generatione** libro tractantur (dieses Citat
ist aus Boeth. p. 190. entnommen).
494) C. 4, ebend.: Quando vero est, quod eae adiacentia (vgl. Anm. 504.)
temporis relinquitur; tempus vero quando non est, ulriusque autem ratio coniuncta
est, ut tempus quidem praeteritum quando non est, effectus autem eius et affectio,
secundum quam dicitur aliquid fuisse, quando est; instans autem quando non est,
sed secundum quod aliquid aequale vel inaequale est; eius autem affectio, secundum
quam aliquid dicitur in instanti esse, quando est; futurum similiter tempus quando
non est. f. 32. v. B.: Distat autem et tempus ab eo, quod quando, quoniam se
cundum tempus aliquid est mensurabile, ut motus annuus ...., at vero secundum
quando nihil mensuratur, sed aliquando dicitur esse.
495) f. 32. v. B.: Differt enim quando ab eo, quod est ubi, quoniam in quo
cunque tempus est vel fuit vel erit, in eo quidem quando est vel fuit vel erit, quod
secundum idem tempus dicitur; quando enim, quod eæistenti est, cum ipso instanti
est, et simul in eodem sunt .... Ubi vero et locus, a quo est vel fit, nunquam simul
in eodem; ubi enim in circumscriptione est, locus autem in complectente.
496) Ebend.: Quando autem sicut et tempus aliud quidem compositum est,
aliud vero simplea' ; est autem compositum, quod in composita actione consistit,
simpleae vero, quod cum simplici procedit.
497) Ebend.: Inest autem quando, non suscipere magis et minus .... amplius
qudndo nihil est contrarium.
498) C. 5, f. 33. r. A.: Ubi vero est circumscriptio corporis a circumscriptione
XIV. Gilbert Porretamus. 225
•
zwei Dimge im Einem 0rte oder Ein Dimg am mehrerem 0rtem sei, sich
auch obige Controverse (Amm. 203) über die Fortpflanzung des Schalles
anknüpft *°°); auch das ubi wird in einfaches und zusammengesetztes
eingetheilt, und demselben das Werhältniss des Mehr oder Minder, so
wie auch jenes des Gegensalzes, sogar mit ausdrücklicher Beziehung
auf die Begriffe des 0ben und Untem, abgesprochen °""). Fünftens folgt
situs, oder wie Gilbert es memnt, positio, in möglichst rohem Realismus
aufgefasst, so dass alle speciellem Erscheinungen dieser Kategorie, wozu
auch z. B. Hauh und Glatt gezählt werden (vgl. Amm. 193), mur als
abgeleitete Ausdrücke belrachtet werden °"'); dass diese Kategorie der
Gegensätzlichkeit fähig sei, wird darum verneint, weil Gegensätze mur
Einer Gattung angehören, hingegen das Sitzem und das Liegem verschie
denem Gattungen anheimfallem, indem mur vernünftige Wesem sitzen
könnem, die übrigen aber liegem °"*); und während auch das Verhält
miss des Mehr oder Minder hier unstalthaft sei, müsse diese Kategorie
in die mächste Verbimdumg mit der Substanz gebracht werdem, da die
Substanzen ebem in ihr ihre Anordnung findem °"°). Sodamm ist sech
stens noch habitus übrig, welche Kategorie mit dem uns von Abälard
her (Amm. 284) bekanntem Begriffe der adiacentia identificirt wird *''*);
loci proveniens; locus autem in eo est, quod capit et circumscribit .... Non est
autem in eodem locus et ubi, locus enim in eo, quod capit, ubi vero in eo, quod
circumscribitur et compleclitur.
499) Ebend.: Nequaquam igitur duo in eodem loco esse simul possunt nec
idem unum in diversis ..... Movet autem quis quaestionem fortasse idem in diversis
et pluribus concludens, etenim voæ in auribus diversorum est .... Confiteri oportet
omnino, unam particulam aeris ad aures diversorum pervenire ..... Relinquitur igi
tur, diversum sensum esse imaginabiliter se generantium et similiter.
500) f. 33. r. B.: Ubi autem aliud quidem simpleæ, aliud vero compositum;
simpleæ quidem, quod a simplici loco procedit, compositum autem , quod ea com
posito ..... Caret autem ubi intentione et remissione, non enim dicitur alterum altero
magis in loco esse vel minus .... Inest autem ubi, nihil esse contrarium ..... Sur
sum enim et deorsum esse contraria pluribus videntur .... Contingit autem contraria
in eodem esse ...., si enim sursum esse, et inferius esse contraria sunt, cum idem
sursum et deorsum sit, colligitur, idem sibimet contrarium fieri.
501) C. 6, f. 33. v. A.: Positio est quidam partium situs et generationis ordi
natio, secundum quam dicuntur stantia vel sedentia .... Sedere autem et iacere posi
tiones non sunt, sed denominative ab his dicta sunt. Solet autem quaestio induci de
curvo et recto, aspero et leni .... Non sunt autem positiones ea, quae dicta sunt
omnia, sed qualia circa situm eæistentia.
502) Ebend.: Suscipere autem videtur situs contrarietates, nam sedere ad id
quod stare contrarium esse videtur .... Ponentibus autem nobis , haec contraria esse,
inconvenientia recipere cogimur, hoc qu0d unum sit c0ntrarium plurium .... Amplius
autem contrariorum quidem ratio est , circa idem natura eæistere ; sedere autem et
iacere non circa idem natura sunt seiuncta, est enim sedere proprie circa rationalia,
iacere vero et accumbere circa diversa.
503) f. 33. v. B.: Proprium autem positionis, neque magis neque minus dici
.... Magis autem proprium videtur esse positionis, substantiae proæime assistere
omnibus quidem aliis formis suppositis; positio enim nihil aliud est, quam naturalis
ipsius substantiae ordinatio.
• 504) C. 7, f. 33. v. B.: Habitus est corporum et eorum, quae circa corpus
sunt, adiacentia, secundum quam hoc quidem habere, illa vero dicuntur haberi;
haec autem non secundum totum dicuntur, sed secundum parlicularem divisionem, ut
armatum esse.
P R A N T l, Gesch. II. 15
226 . XIV. * Gilbert Porretanus.
wenn danm gesagt wird, das Verhältniss des Melr oder Minder sei im
der Regel bei habere statthaft, zuweilen aber, z. B. bei Bekleidet-sein,
unstatthaft, und die Gegensätzlichkeit bestehe in dieser Kategorie nicht,
weil Bewaffnetsein und Beschuhtsein nicht Gegensätze seien °"°), so
gibt auch diess himreichend Zeugniss von der logischen Befähigung des
Verfassers ; als Eigenthiimlichkeit dieser Kategorie wird angegeben, dass
dieselbe stets auf eine Mehrheit hinweise , was nur ih mancher Bezie
hung auch bei der Quantität und der Relation der Fall sei °""); endlich
werden noch fünf verschiedene Bedeutumgen des Wortes habere ange
führt °"7). Nachdem aber dann diese Erörterung über die ,,Prineipien“
abgesehlossen wird *"*), folgt noeh eine specielle Besprechung des
magis et minus, wobei Gilbert die oben (Anm. 196) erwähnte Contro
verse abschneidet, indem die Gradabstufung weder in der Subslanz
selbst liegen könne, da diess gegem den Begriff der Substanz verstiesse,
noch aber auch in den Accidenzien, da dann der höhere Grad z. B.
der Weisse in der Grösse der Oberfläche liegen müsste(!), wormach
sich ergebe, dass aueh nicht in beiden zugleich, nemlich in Substanz
und ihren Accidenzien, das Mehr oder Minder seinen Sitz habe °"°).
Der positive Entscheid aber, welchem nun Gilbert gibt, beruht darin,
dass das magis vel minus in dem Grade liege, in welchem der faeti
sehe Bestand näher oder* entfernter der Wortbedeutung des die Qualität
bezeichmenden Wortes stelie, eine Gradabstufung, welche bei Substanzen
darum nicht eintrete, weil die Bezeichnung derselben in festen Gränzen
(in terminis) sich bewege, wobei jedoch Gilbert zum Selbstbekenntnisse
des Unsinnes, welchen er vorbringt, hinzufügen muss, dass eine solcbe
Festigkeit sich doch aucla bei einigen Qualitälem finde ° '"). Die Sache
505) f. 34. r. A.: Suscipit autem habitus magis el minus, urmalior enim est
eques pedite .... In quibusdam autem non videtur, quod cum magis et minus prae
dicentur, ut vestitum esse et similia. Habitui quoque nihil est contrarium, etenim
armatio calceationi non est contrarium.
506) Ebend.: Proprium quidem habitus est, in pluribus existere .... In paucis
autem aliis principiis `huiusmodi invenies; in quantitate enim solum et in his,
quae ad aliquid sunt, similia reperies .... Habitus autem omnis in pluribus necessario
eri stit, ut in corpore et in his, quae circa corpus sunt.
507) Ebend.: Dicitur autem habere multis modis; habere enim dicitur altera
tionem ..... dicitur etiam vas aliquid hubere .... habere quoque in membro dicimur
.... dicitur vir uæorem habere et recipere uaeor virum .... Quare modi habendi, qui
dici consueverunt, quinario numero terminantur. -
508) Ebend. : Et quidem de principiis haec dicta sufficiant, reliqua vero in eo,
quod de Analyticis est, quaerantur volumine (s. Anm. 21.).
509) C. 8, f. 34. r. B.: Non ergo secundum suscipientium ipsorum crementum
vel decrementum cum ,,magis vel minus** aliqua dicuntur; nulla enim ratio obviaret,
• hominem et animal et substantiam et cetera consimilia cum ,,magis et minus** dici
- - - - - Mons etiam alio monte maior dicitur, cum neuter crescat vel “decrescat ......
Amplius autem neque secundum ea, quae inficiunt; si enim secundum magnitudinem
albedinis vel alicuius ceterorum dicitur aliquid albius aliquo vel secundum parvitatem
minus album vel quomodolibet aliter, utique et magis albus equus vel homo vel quod
libet aliud albius margarita dicetur; etenim maior albedinis quantitas equo accidit
quam margaritae ..... f. 34. v. A.: Patet itaque, nihil secundum magis et minus
* praedicari neque seeundum subiecti solum augmentum mel diminutionem neque secun
-dum accidentis ; quare neque secundum utrumque.
510) f. 34. v. A.: 0portet igitur ab alio ea invenire. quae cum ,,magis et
XIV. • Gilbert Porretamus. • Otto v. Freising. 227
läuft ja sehliesslich auch in dem Kern aus, dass in der Vielheit des
Materiellen überhaupt (las Werden und die Relativität ihre eigentliehe
Stelle habem °''), und der unlogische Realist macht dann für dieses
Gebiet den Sprachausdruck zum Maassstahe, während er für den Um
kreis des wahren Seins in dem Worte nur dem Alyklatsch einer Idee
besitzt. -
So gibt uns Gilbert's Sehrift über die Kategoriem einen wahrhaft
trübseligen Beleg dafür, dass jene Zeit um Nichts weniger unbeholfen
und unfähig war, als die vorhergegangemen Jahrhunderte, sobald man
mur irgendº ohne das Gängelband der Tradition in dem einfachsten Dingen
einen selbstständigen Schritt zu thum versuchte.
Als einen Anhänger aber Gilbert's bezüglich der Auffassuug der
Universalien zeigt sich uns 0tt o v o n F r e is in g (geb. 1109, gest.
1158), welcher in seine historischen Werke zuweilen förmliche Excurse
philosophischem Inhaltes verflieht und dabei in den üblichen Redens.
arten seinen theologischen Respect vor Plato und zugleich die Werth
schätzung der aristotelischen Logik ausspricht ° '*). Indem er gelegent
lich einmal der Annalime beistimmt, dass die concret existirendem Wesen
den Inhalt und Gegenstand der erklärenden Aussagen bildem , hingegen
die Art- und Gattungsbegriffe im Hinblieke auf die in ihnen beruhende
Ursächlichkeit von den Dingen prädicirt werdem ° 1°), erklärt er sieh
ein anderes Mal ausführlicher über dieses Verhältniss, wobei er voli
ständig die Ansicht Gilbert's, selbst im Wortlaute übereinstimmend (ma
ninus** dicantur. Iluiusmodi vero sunt eu, quae sunt in voce eorum, quae adveniunt,
et non secundum subiecti vel mobilis crementum vel diminutionem, sed quoniam eorum,
quae sunt in voce, impositioni propinquiora sunt sive ab eadem remotiora sunt ; de
his etenim cum ,,magis“ dicuntur, quae proæimiora sunt ei, quae in ipsa voce est,
impositioni, cum „minus“ autem de his, quae remotiora consistunt .... Quanto igitur
ad vocis imp6sitionem accedens puriori inficitur albedine, tanto et candidior assigna
bitur .... Dubitabit autem aliquis, quare haec quidem cum „magis et minus“ dican
tur, substantiae vero minime. Hoc autem contingit, quoniam substantiarum impositio
quidem in termino est, ultra quem transgredi impossibile est. Additur autem et de
accidentibus quibusdam, quae sine ,,mngis et minus** dicuntur, ut quadrungulus,
triangulus et similia.
511) f. 34. v. B.: In subiecto enim duo sunt, quorum haec quidem est forma
secundum rationem , haec autem secundum materiam; quando igitur in his duobus
est transmutatio, generatio et corruptio erit simpliciter secundum veritatem ..... Est
autem materiu ma.vime quidem subiectum generationis et corruptionis proprie suscep
tibile .... Haec autem hoc aliquid significant et substantiam, haec autem quule, haec
autem quantum; quaecunque igitur non substantiam significant, non dicuntur sim
pliciter sed secundum aliquid generari. w
512) Chron. II, 8, p. 27. ed. Urstisius: Socrates .... educavit Platonem et Ari
stotelem, quorum alter de potentia sapientia bonitate creaturis ac creatura mundi
creationeve hominis tam luculenter, tam sapienter, tam vicine veritati disputat ..... »
alter vero dialecticae libros artis vel primus edidisse vel in melius correaeisse acutis
simeque ac disertissime inde disputasse invenitur.
513) De gest. Frid. Prolog. p. 405. Urstis.: Sicut enim iuaeta quorundam in
logica notorum positionem, cum non formarum, sed subsistentium proprium sit prae
dicari seu declarari, genera tamen * et species praedicamento transsumpto ad causam
praedicari dicuntur, vel, ut communiori utar evemplo, sicut albedo clara, mors pal
lida , eo quod claritatis altera, palloris altera causa sit, appellatur, etc. (Der
Ausdruck transsumptio, sowie das nemliche Beispiel albedo clara bei Gilbert p.
1142., s. Aam. 472.)
15 *
228 XIV. 0uo v. Freising. Pseudo-Boethius De unitate.
tivum, matura, forma, conformis, coadunatio, — „omne esse eae forma
est“ —) wiederholt ° '*). In demselben Sinne bezeichnet er am einer
anderem Stelle (mit polemischer Wendumg gegem Wilhelm v. Champeaux)
das Universale als „quasi in unum versale“ und knüpfi hieram eine ety
mologische Rechtfertigung der Worte und Begriffe dividuum und indi
viduum ° 1°); auch theilt er mit Gilbert die maive Gleichstellung der
Dinge und Worte °'"), sowie er auch einmal jene logisehe Turnùbumg
erwähnt, welche am dem Kletterhaume der Tabula logica veranstaltet
wird 517).
Zur gleichen Gruppe gehört auch eine kleine anonyme Schrift ,, D e
w n i t a ue e t u n o “, welche offenbar in dem damaligen Trinitäts-Streitig
keitem die Weranlassung ihrer Entstehung hat, aber ehenso wie jenes
ältere Werk De trinitate für ein Erzeugniss des Boethius gehaltem
wurde °'°). Es waltet in der Frage über die Einheit, auf welehe auch
514) De gest. Frid. I, 5, p. 408.: Nativum velut natum aut genitum descendens
a genuino (s. Anm. 464.).... In nativis igitur omnem naturam seu formam, quae
integrum esse subsistentis sit, vel actu et natura vel natura saltem conformem habere
necesse est .... Partes autem hic voco eas formas (Amm. 468.), quae ad componendam
speciem aut in capite ponuntur, ut generales, aut aggregantur, ut differentiales, aut
eas comitantur, ut accidentales .... Patet, humanitalem Socratis secundum omnes
partes et omnimodum effectum humanitati Platonis conformem esse, ac secundum hoc
Socratem et Platonem eundem et unum ih universali dici solere (Anm. 474.) ....
Concretio etiam in naturalibus n0n solum coadunatione formae et subsistenlis, sed
ea, multitudine accidentium, quae substantiale esse comitantur, considerari potest
(Amm. 464. u. 471.) .... Sunt aliae formae subiectum integrum informantes, quae
naluram lantum conformem habent; esse quippe solis, etsi non actu, natura confor
mem habere noscitur, quare, quamvis plures soles non sunt, sine repugnantia tamen
naturae plures esse possent (Amm. 479.).... (p. 410.) 0mne namque esse eae forma
est .... Tantum de ea, quae a philosophis genitura, a nobis factura seu creatura,
dici solet, disputationem instituimus; sed notandum, quod compositio alia formarum,
alia est subsistentium , formarumi eae formis, subsistentium ea: subsistentibus .... For
narum autem aliae compositae , aliae simplices; simplices, ut albedo, compositae, ut
humanitas ..... unde Boethius in octava regula libri Hebdomade ,,omni composito
aliud est esse , aliud ipsum est“ (s. Anm. 37.).
515) Ebend. 53, p. 437.: Universalem dico, non eac eo, quod una in pluribus
sit, quod est impossibile (Amm. 105.), sed ea, hoc, quod plura in similitudine vivendo
ab assimilandi unione universalis quasi in unum versalis dicatur .... Et quo patet,
quare singularem individualem vel particularem diacerim proprietatem, eam nimirum,
quae suum subiectum non assimilat aliis, ut humanitas, sed ab aliis dividit, dis
cernit, partitur, ut ea, quam fict0 n0mine solemus dicere ,,Platonitas“, a dividendo
individua, a partiendo particularis, a dissimilando singularis dicta. Nec opponas,
quod potius a dividendo dividuam, quam individuam dici oporleat; nam cum suum
subiectum non solum ab aliis dividat vel dissimilet, sed etiam in sua individualitate
et dissimilitudine tam firmiter manere faciat, ut nec sil nec fuerit nec futurum sit
aliud subiectum, quod secundum eiusmodi proprietatem illi assimilari queat, melius
individuum privando, quam dividuum ponendo vocatur, eiusque oppositum, quod divi
dendo pluribus communicat et communicando dividit , rectius dividuum dici debet
(Amm. 479.).
516) Ebend. p. 438.: Cum enim omne esse eae forma sit, quodlibet subsistens
rem et nomen a sua capit forma (Anm. 458, 474, 482.).
517) Ebend. 60, p. 444.: luaeta logicorum enim regulam methodus a genere
ad destruendum, a specie valet ad construendum (Anm. 480.).
518) Gedruckt bei Boethii 0pp. ed. Basil. 1570, p. 1274 ff. Havaisson (Rap
ports sur les bibliotheques des departemenls de l'ouest, Paris 1841, p. 169.) fand
XIV. Einzelne Autorem. 229
Gilbert geführt worden war (Anm. 477 f.) jener nemliche Realismus,
wie bei Gilbert oder bei 0tto ° '°), und wir mögen vielleicht höchstens
erwähnen, dass sich hier eine wunderliche Aufzählung verschiedemer
Bedeutungen des Wortes „unum“ findet **"). -
In die nemliche Zeit aber, d. h. ungefähr zwischen 1140 und 1170,
fällt auch das Auftreten einiger Anderer, von welchen wir fast nur die
Namen kennen, und es drängt sich uns bei jedem Schritte unserer Un
tersuchung wieder die Erwägung auf, dass die uns zugänglichem Quellen
immer noch nur eine fragmentarische Kenntniss ermöglichem. Man wird
es ja als zufällige Notiz bezeichnen müssen, dass Johannes von Sales
bury, wo er den Lauf seiner Studien erzählt, einen gewissen Alb e r i c h.
nennt, welcher nach Abälard's Tod in St. Géneviève zu Paris docirte
und energisch den Kampf gegen die Nominalisten aufnahm, wobei ihn
ein bedeutendes Talent des Distinguirens unterstützt haben mag**').
Ferner berichtet Johannes, er selbst habe einen gewissen Willi ram
v o n S o i s s o n s in der Logik unterrichtet, welcher danm durch ihn
bei Adam von Petit-Pont (Anm. 440 ff.) eingeführt worden sei und hier
auf gegen die Anhänger der alten Logik (antiqui, logicae vetustas, s.
in einer Handschrift von St.-Michel einem anonymen Tractat, welcher nach dem von
ihm angeführten Anfangs-Zeilen identisch mit diesem Pseudo-Boethius ist.
519) p. 1274.: 0mne enim 'esse eae forma est in rebus creatis, sed nullum
esse ea, forma est , misi cum forma materiae unita est; esse enim non est nisi eae
coniunctione formae cum materia .... Cum autem forma materiae unitur, eæ con
iunctione utriusque necessario , aliquid : unum constituitur .... Unitio aulem non fit
nisi ab unitate .... Forma autem non tenet unilatem cum materia, nisi unitas sit;
ideo materia eget unitate ad uniendum se et de natura sua hal)et multiplicari; unitas
vero retinet, unit et colligit, ac per haec, ne materia dividatur et spargatur, necesse
est ut ab unitate retineatur u. s. f.
520) p. 1276.: Unum enim aliud est essentiae simplicitate, ... aliud simpli
cium cognitione, .... aliud continuitate, .... aliud compositione, .... aliud aggrega
tione, .... aliud praepositione, ... aliud accidente, ... aliud numero, .... aliud ratione,
.... aliud natura unum, ut participatione speciei plures homines unus, aliud ....
natione, .... aliud more.
521) Joh. Saresb. Metal. II, 10, p. 78 f. (ed. Giles): Contuli me ad Peripate
ticum Palatinum, qui tunc in monte Sanctae Genovefae clarus doctor et admirabilis
omnibus praesidebat; ibi ad pedes eius prima artis huius rudimenta accepi ......
Deinde post discessum eius, qui mihi praeproperus visus est, adhaesi magistro Al
berico, qui inter ceteros opinatissimus dialecticus enitebat et erat revera nominalis
sectae acerrimus impugnator. Sic ferme toto biennio conversatus in monte artis
huius praeceptoribus usus sum Alberico et magistro Roberto Melidunensi (s. oben
Anm. 453.)..... qu0rum alter (d. h. Alberich) ad omnia scrupulosus locum quae
stionis inveniebat ubique, ut, quamvis polita planities, offendiculo non careret et,
ut aiunt, scirpus ei non esset emodis, nam et ibi monslrabat, quid oporteat enodari
..... Apud hos t0t0 eæercitatus biennio sic locis assignandis assuevi et regulis et
aliis rudimentorum elementis, quibus pueriles animi imbuuntur et in quibus praefati
doctores potentissimi erant et eaepeditissimi, ut etc. Eine Erwähnung dieses Alberich
findet sich auch bei Joh. Saresb. Enthet. v. 55 f. : lste loquaæ minimumque dicaae
redolet Melidunum, Creditur Alberico doctior iste suo. Welcher Alberich aber unter
dem Mehreren dieses Namens, welche in jener Zeit erwähnt werden, es gewesen
sei, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen; die erwähnte Zeitangabe macht es
wahrscheinlich, dass es Alberich von Rheims, mit dem Beinameu de Porta Veneris,
war, welcher später den Johannes v. Salesbury und den Erzbischof Thomas bei
ihrem Exile in Italien gastlich aufnahm. S. Bulaeus, hist. un. Par. II, p. 724. u.
Histoire litter. de la France XII, p. 75.
230 XIV. Einzehne Autorem.
obem Amm. 55 ff.) eine eigenthümliche Weranstaltung (machina) ersonnen
habe 82*). Sodamm hezeichnet Johannes ein anderes Mal ausser jenem
seinem Gegner, welchem er Cornificius mennt (s. sogleich untem), dem
Vertreter einer amderem, wie es scheint, übertriebemen und abstrusen
Richtung der Logik mit dem fimgirten Namen S e r t o r iu s °°°). Hiezu
aber kömmt ausser schlecht beglaubigten Notizen über einem David
in Hirsehau und einen , Joh an m e s S e r I o vom York ***) noch eime an
derweitige Mittheilung durch eimem Autor aus dem Ende des 12. Jahr
hundertes, nemlich durch W alter Ma p e s, welcher in seinem Gedich
tem gelegentlich eine Kenntniss der in den Schulen hervorragendem
Persönlichkeitem und Riehtungen zeigt; derselbe erwähnt (mit der Be
merkung, dass Abälard die meistem Anhänger habe) ausser dem Bern
hard v. Chartres, dem Petrus v. Poitiers und dem Adam vom Petit-Pont,
einen gewissen Re g in a I d u s, einem gewaltigen Schreier, welcher Alle
tadelte und den Porphyrius am den Galgen hieng (laqueo suspendit),
so dass wir vielleicht in ihm jemen Cornificius des Johannes v. Sales
bury erblicken könntem ; fermer nebem dem Robert Pulleym einem äusserst
spitzfindigem Ma n e r i u s, einen witzigem B a r t h o 1 o m ä u s und einen
R o b e r t A m i cla s *°°). Auch mag erwähnt werdem, dass das Gedicht
522) Ebend. p. 80.: Unde ad magistrum Adam .... familiaritatem contraaci ul
teriorem .... Interim Willermum Suessionensem, qui ad eaepugmandam, ut aiunt sui,
logicae vetustatem et consequentias inopinabiles construendas et antiquorum sententias
diruendas machinam postmodum fecit, prima logices docui elementa et tandem iam
dicto praeceptori apposui. Ibi forte didicit, idem esse eae contradictione, quum Ari
stoleles obloquatur, quia ,,idem quum sit et non sit, non necesse est idem esse**
(diese Worte finden sich Anal. pr. II, 4, 57 b. 3, s. Abschn. IV, Anm. 614.) et item
quum aliquid sit, non necesse est idem esse et non esse ; nihil enim eæ contradic
tione evenit et contradictionem impossibile est eæ aliquo evenire, unde nec amici
machina impellente urgeri potui, ut credam, eae uno impossibili omnia imp0ssibilia
provenire. Selbst abgesehen davom, worin denn diese ràthselhafte machina bestan
dem haberi soll, ist mir diese ganze Stelle, derem Text wohl auch werdorben sein
mag, völlig unverständlich geblieben; nur so viel geht aus einer anderem Stelle
(unten Anm. 624.) hervor, dass man am jene aristotelischen Worte die hypotheti
schem Syllogismem anzuknüpfen versuchte.
523) Enthet. v. 116 ff.: Si quis credatur logicus, hoc satis est; Insanire putes
p0tius, quam philosophari, Seria sunt etenim cuncta molesta nimis , Dulcescunt
nugae, vultum sapientis abhorrent, Tormenti genus est saepe videre librum. Ablac
tans nimium teneros Sertorius olim Discipulos fertur sic docuisse suos; Doctor enim
iuvenum prelio compulsus et aere Pro magno docuit munere scire nihil.
524) Trithem. Ann. Hirsaug. ann. 1137. (Ed. St. Gall. 1690, I, p. 403.): Da
vid ...... monachicum habitum suscepit .... Scripsit quaedam non spernendae lectionis
opuscula ..... de grammatica L. 1, in Perihermenias Aristotelis libros duos. Dass je
doch die Angabem des Trithemius geringem Werth habem, weiss jeder Kundige;
hingegen woch weit schlimmer steht es bekanntlich mit Pitseus, welcher häufig,
w0 er nicht den Leland ausschrieb, reine Lügen ersanm, daher es vielleicht kaum *
der Erwähnung werth ist, dass derselbe, De illustr. Angl. script. p. 223 f. (ad ann.
1160.) sagt: Joannes Serlo dictus magister Serlo .... eae Eboracensi canonico factus
est ... Fonlanus Abbas ..... Scripsit .... de aequivocis dictionibus librum unum, de
univocis dictionibus librum unum.
525) The latin poems commonly attributed to Walter Mapes, collected and edi
ted by Thomas Wright (London 1841. 4.), woselbst auch das Nähere über Walter
Mapes in der Einleitung erörtert ist. In Einem Gedichte, Metamorph. Goliae, v.
189 ff. (p. 28.), findet sich folgende Stelle: Ibi doctor cernitur ille Carnotensis, Cuius
lingua vehemens truncat velut ensis, Et hic praesul praesulum stat Pictaviensis, Prius
XIV. Der sog. Cornifieius. ' ' ' ' 231
mit einer Austreibung der Mönche aus dem Sehulem der Philosophem
endigt °*°), sowie dass eim anderes Gedicht, welches ungefähr der mem
liehen Zeit angehört, im sehr launiger Weise dem Gegensatz zwischen
sinnlichem Pfaffenthum und seiner logischer Bildung schildert °*7).
An die Genanntem reiht sich endlich noch jeme ganze Richtung am,
welche Johammes v. Salesbury, indem er micht gegem die Person, som
dern nur gegen die Sache kämpfen will, mit dem symbolischen Namen
C o r m i fi c i u s bezeichnet °°°). Die zahlreichen Stellem, in welchem er
diesem seinem Gegner oder die Anhänger desselben erwähnt, treffem in
dem Eimen Punkte zusammem, dass es Mehrere gab, welche jede Tech
nik des denkemden Redens (eloquentia oder logica) vom vormeherein als
unnütz verwarfem , da Alles auf Naturamlage beruhe, und hiemit, wer
diese besitze, ohne alle Technik von sich selbst auf das Richtige komme,
wer hingegen keime Begabung habe, auch durch die Theorie nicht ge
fördert werde °*°). Und wenn hinzugefügt wird, dass diese „Philo
et nubentium miles et castrensis (hierauf die oben, Anm. 442., angeführtem Verse)
. Celebrem theologum vidimus Lombardum, Cum Yvone Helyam Petrum (beides
Grammatiker) et Bernardum, Quorum opobalsamum, spiratos et nardum, Et professi
plurimi sunt Abaelardum, Reginaldus monachus clamose contendit Et obliquis singulos
verbis comprehendit, Hos et hos redarguit, nec in se descendit, Qui nostrum Por
phyrium laqueo suspendit. Robertus theologus corde vivens mundo Adest et Manerius,
quem' nullis secundo, Alto loquens spiritu et ore profundo, Quo quidem subtilior nul
lus est in mundo. Hinc et Bartholomaeus faciem acutus Rhetor, dialecticus, sermone
astutus , Et Robertus Amiclas simile secutus, Cum his, quos praetereo, populus
minutus.
526) Ebend. v. 233. (p. 30.): Quidquid tantae curiae sanctione datur, Non
cedat in irritum, ratum habeatur; Cucullatus igitur greae vilipendatur Et a philoso
phicis scolis eaepellatur. Amen.
527) De presbytero et logico (gleichfalls vom Wright herausgegeben a. a. 0.
p. 251 ff.) in 216 Versen, worin sich allerdings für unserem Zweck keim geschicht
licher Beitrag findet. Der Gegensatz der Richtungem spricht sich aus z. B. v.
29 ff.: Logicus: Fallis, fallis , presbyter, coelum Christianum, Abusive loqueris,
laedis Priscianum, Te probo falsidicum, te probo vesanum .... Presbyter: Tace, tace,
logice, tace, vir fallator, Tace, duae insaniae, legis vanae lator ... Log.: Peccasti,
sed gravius adiicis peccare, Legem hanc adiiciens vanam nominare; Sanum est, dis
serere vel grammatizare, Si insanum putas, velim dicas quare. Presb.: Deo est
odibile vestrum argumentum; Ibi nulla veritas, totum est figmentum, oder z. B. v.
129 ff.; Log. : Audi, inter phialas quid philosopharis; follus, non philosophus, hinc
esse probaris, Stulto sunt similia singula, quae faris, Epicure lubrice, duæ inglu
wiei , Cuius deus venter est, dum sic servis ei etc.
528) Joh. Saresb. Metal. I, 2, p. 14.: Utique par est, sine derogalione per
sonae sententiam impugnare , nihilque turpius, quam, quum sententia displicet aut
opinio, rodere nomen auctoris .... Ceterum opinioni reluctor, quae multos perdidit,
eo quod populum, qui sibi credat, habet, et licet antiquo novus Cornificius ineptior
sit, ei tamen turba insipientium acquiescit. Polycr. I, Prol. p. 15. : Aemulus non
quiescit, quoniam et ego meum Cornificium habeo .... Quis ipse sit, nisi ab iniuriis
temperet, dicam ....., procedat tamen et publicet, arguat meum ratione vel auctori
tate mendacium. Aus der Ausdrucksweise in diesem beiden Stellen geht hervor,
dass der Name Cornificius mur von einer antiken Persömlichkeit auf den eigenen
Feind 'des Johannes symbolisch übertragen sei, umd es ist mit Gewissheit anzu
nehmen, dass die Angaben des Donatus (Vita Virgilii, c. 17 f. , s. Virg. 0pp. ed.
Wagner I, p. xci* f.) über einen Cornificius, welcher ,, ob perversam naiuram** ein
Gegner Virgils gewesen sei, die Weramlassung hiezu darbotem.
529) Ebend. Metal. I, 1, p. 12 : Miror itaque ...., quid sibi vult, qui elo
quentiae negat esse studendum .... p. 13.: Cornificius noster studiorum eloquentiae
232 XIV. Der sog. Cornificius. Johannes y. Salesbury.
sophen auf eigene Faust“ mit Verschmähung des ganzen Triviums und
Quadriviums sich auf praktische Dinge und auf Gelderwerb warfen *°°),
so läge hierin ein bedeutsames Anzeichen, insoferne diese Richtung
nicht etwa von klerikaler oder dogmatischer Anschauung aus, sondern
in Folge eines praktischen Dranges dem Wuste der Schulweisheit abge
neigt gewesen wäre und auf den ummittelbaren Werth individueller Be
gabung hingewiesen hätte. So könnten wir Solches als ein Vorspiel
späterer Tendenzen verstehen. Dürften wir auf den sog. Cornificius
auch die Notiz beziehen, dass Einige die Kategorien und die lsagoge
als unnütze Elementarbücher verwarfen **'), so könnten wir vielleicht
den obigen Reginaldus wenigstens für einen Vertreter dieser Partei
halten ***), wenn es nicht unnütz wäre, bei einer so lüekenhaften
Quellenkenntniss blosse Wermuthungen aufzustellen. , Wie aber Johannes
selbst sich die Entstehung einer solchen 0pposition gegen die Schul
Logik gedacht habe, wurde oben, Amm. 52 f., angegeben.
Hiemit aber wenden wir uns zu eben jenem Autor selbst, welchen
wir bisher schon so häufig als Quelle benützen mussten, nemlich zu
J oh a n n e s v o n S a I e s b u r y ***). Derselbe (gestorben i. J. 1 180)
imperitus et improbus impugnulor. C. 3, p. 15.: Fabellis tamen et nugis suos
pascit interim auditores, quos sine artis beneficio, si vera sunt quae promittil, faciet
eloquentes et tramite compendioso sine labore philosophos. C. 6, p. 23.: Neque enim,
ut Cornifisius meipsum docui ... Non est ergo eae eius sententia studendum praeceptis
eloquentiae, quoniam eam cunctis natura ministrat aut negat; si ultro ministrat aut
sponte, opera superfluit et diligentia; si vero negat, inefficaae est et inanis. C. 10,
p. 29.: Eo itaque opinionis vergit intentio, ut non omnes mulos faciat, qu0d nec
fieri potest nec eaepedit, sed ut de medio logicam tollat. . Ebend. II, Praef. p. 62.:
Logica, quam, etsi mutilus sit et amplius mutilandus, Cornificius parietem solidum
coecati m0re palpans impudenter attentat et impudentius criminatur. Ebend. IV, 25,
p. 181.: Sed Cornificius noster, logicae criminator, philosophantium scurra, non
immerito contemnetur. Enthet. v. 61 ff.: Cum sit ab ingenio totum, non sit tibi
curae, Quid prius addiscas posteriusve legas. Haec scola non curat, quid sit modus
ordove quid sit, Quam teneant doctor discipulusve viam.
530) Metal. I, 4, p. 20.: Alii autem Cornificio similes ad vulgi professiones
easque profanas relapsi sunt parum curantes, quid philosophia doceat, quid appeten
dum fugiendumve denuntiet, dummodo rem faciant, si possunt, recte, si non qu0
cunque modo rem (Hor. Ep. I, 1, 65.) ..... Evadebant illi repentini philosophi et
cum Cornificio non modo trivii nostri, sed totius quadrivii contemptores.
531) Ebend. III, 3, p. 123.: Sunt, qui librum istum (d. h. die Categoriae),
qu0niam elementarius est, inutilem fere dicunt, et satis esse putant ad persuaden
dum, se in dialectica disciplina et apodictica esse perfectos, si contempserint vel ign0
raverint illa, quae in primo commento super Porphyrium , antequam artis aliquid
attingatur, docet Boethius praelegenda. -
532) Möglicher Weise könnte dann in obigem ,,laqueo suspendit“ (Anm. 525.)
selbst wieder ein Wortspiel mit Cornificius und carnifeae stecken. Ein anderes Wort
spiel mit cornicari s. unten Anm. 545.
533) Gründliche litteraturgeschichtliche Untersuchungen über Joh. v. Salesbury
hat Christ. Petersen in seiner Ausgabe des Entheticus (Hamb. 1843) gegeben. Die
Monographie, in welcher Herm. Reuter (Joh. v. Salesb. Z. Gesch. d. christl. Wis
sensch. im 12. Jahrh. Berl. 1842) die Lehre des Johannes darzustellen versuchte,
leidet durchgängig an einer ebenso schiefen als äusserst mangellroften 0rientirung
des Werfassers. — Ich citire nach der Gesammtausgabe von A. Giles (0xford
1848, 8, 5 Bände, wovon der Polycraticus den 3. u. 4. Band füllt, der Metalogicus
aber im 5. sich findet), wenn auch dieselbe durchaus nicht sorgfältig gemacht
-
XIV. Johannes v. Salesbury. - 233
halle das Studium der Logik in Abälard's Schule begonnem, bei obigem
Alberich, bei Robert von Melum und Wilhelm von Conches fortgesetzt,
trat damn in wissenschaftlichen Werkehr mit Adam von Petit-Pont, hörte
abermals Dialektik bei Gilbert Porretanus, Theologie bei Robert Pulleyn,
kehrte danm zu den Abälardianern zurück, welche während der zwanzig,
Jahre Nichts gelernt und Nichts vergessen hatten ***), und verfasste
um d. J. 1160 °°°) seinen Metalogicus, in welchem er hauptsächlich .
seine Ansichten über Logik niederlegte. Johannes hat dieses sein Werk,
wie er selbst sagt, nach langjähriger Unterbrechung seiner logischen
Studien nur aus dem Gedächtnisse rasch in kurzer Zeit gesehrieben,
nicht um einen Commentar zum Lehren oder Lernen zu verfassem, son
dern hauptsächlich um gegen die erhobenen Angriffe den Nutzem der
Logik zu erweisen und so dieselbe zu vertheidigen *°°).
Der Nützlichkeits-Standpunkt ist ihm der entscheidende, und es
wird uns schom hiernach nicht unerwartet sein, wenn wir in ihm einen
völlig principlosen Eklektiker treffen werden *°"). Bei dem praktischen
Utilitäts-Drange unterscheidet er sich von seinem Gegner Cornificius nur
ist und namentlich durch die simnloseste lnterpunktion häufig das Werständniss er
schwert (die nöthigen Aenderungen hierim nebme ich stillschweigend vor).
534) Metal. II, 10, woselbst nach der oben Anm. 521. angeführten Stelle
folgt (p. 79.): Deinde me ad grammaticum de Conchis transtuli ipsumque triennio
docentem audivi; hierauf folgt der Inhalt obiger Anm. 522., sodann (p. 81.): Re
versus itaque ... reperi magistrum Gilberlum ipsumque audivi in logicis et divinis;
sed mimis cito subtractus est; successit Robertus Pullus, quem vita pariter et scientia
commendabant; deinde me eaccepit Simon Peaeiacensis .... sed hos duos in solis theo
logicis habui praeceptores .... Iucundum itaque visum est, veteres, quos reliqueram
et quos adhuc dialectica detinebat in monte, revisere socios, conferre cum eis super
ambiguitatibus pristinis, ut nostrum invicem eae collatione mutua commetiremur pro
fectum. Inventi sunt, qui fuerant et ubi; neque enim ad palmam visi sunt pro
cessisse ad quaestiones pristinas dirimendas neque pr0p0siliunculam unam adiecerant.
Ebend. III, 3, p. 129.: Habui enim hominem (d. h. den Adam v. Petit-Pont, s.
Anm. 441.) familiarem assiduitate colloquii et communicatione librorum et quotidiano
fere exercitio super emergentibus articulis conferendi; sed nec una die discipulus
eius fui , ei tamen habeo gratias , quod eo docente plura cognovi, plura ipsius
ipso arbilrio reprobavi. Vgl. hiezu Anm. 54.
535) S. Petersen a. a. 0. p. VI u. 73 ff.
536) Metal. Prol. p. 8.: Si quidem, quum operu logicorum vehementius tan
quam inutilis rideretur, et me indignantem *t renitentem aemulus quotidianis fere
iurgiis provocaret, tandem litem eæcepi et ad calumnias studui respondere .... Pla
cuit itaque sociis, ut hoc ipsum tumultuario sermone dictarem, cum nec ad sentem
tias subtiliter evaminandas nec ad verba eaepolienda studium superesset aut otium ....
(p. 9.) Nam ingenium hebes est et memoria, infidelior, quam ut antiquorum (s.
Anm. 55 ff.) subtilitates percipere aut, quae aliquando percepta sunt, diutius valeam
retinere .... Et quia logicae suscepi patrocinium, Metalogicon inscriptus est liber.
Ebend. lII, praef. p. 113.: Anni fere viginti elapsi sunt, eae , quo me ab officinis
et palaestra eorum, qui logicam profitentur, rei familiaris avulsit angustia .... Unde
ne eaccusatiorem habendum puto in his, quae 0btusius et incultius a me dicta lector
inveniet .... (p. 115.) Ergo procedat oratio, et , quae antiquatae occurrunt memo
riae de adolescentiae studiis, quoniam iucunda aetas ad mentem reducitur etc. III,
10, p. 156.: propositum est scilicet, ut potius aemulo occurratur, quam ut in artes,
quas omnes docent aut discunt , commentarii scribantur a nobis.
537) Herm. Reuter ist gänzlich in Irrthum, wenn er von einem ,,höheren
philosophischen Standpunkte* spricht, von welchem aus Johannes sich über die
damals streitenden Parteien erhoben habe. -
234 XIV. Johammes v. Salesbury.
dadurch, dass er nicht wie jener die Schuldoetrim verwirft, somderm
diese selbst praktisch machem will; aber Philosoph ist er ebenso wenig
als Cicero, mit welchem er sieh in imniger Uebereinstimmung befimdet.
Er bekennt sich ja selbst ausdrücklich zur Probabilitäts-I.ehre der vom
Cicero empfohlenem akademischem Sekte °°°) und findet hiernach in der
praktisehen Nutzbarkeit dem einzigen Zweck aller Wissenschaft °°°). ln
solchem Sinne äussert er sich über die Wortklauberei und Spitzfindig
keit der Dialektiker in so starkem Ausdrückem, dass der principiellste
Feind aller Logik kaum heftiger sprechen könnte °*°); ja sogar an dem
Erörterungen über die Kategorien, welehe sein Lehrer Gilbert gepflogen
hatte, findet er, obwohl vielfach mit demselben einverstandem (s. untem
Amm. 582 II. 593 ff. u. 606 ff.) dennoch zu tadeln, dass hierüber die
moralische Selbsterkenntniss verkürzt werden könne °*'), und hinge
rissem vom dem Eifer für Moraltheologie bezeichnet er die aristotelische
Logik, welche er doch gegem Angriffe vertheidigen will, mit dem Worte
astutiae, welches wir bei famatischen Gegnern der Philosophie zu findem
gewohnt sind ***).
538) Polycr. I, Prot. p. 15.: In philosophicis academice disputans pro rationis
nodulo, quae occurrebant probabilia, sectatus sum, nec Academicorum erubesco pro
fessionem, qui in his, quae sunt dubitabilia sapienti, ab eorum vestigiis non recedo;
licet enim secla haec tenebras rebus omnibus videatur inducere , nulla veritati eaca
minandae fidelior et auctore Cicerone, qui ad eam in senectute divertit, nulla pro
fectui familiarior est. Metal. II, 20, p. 102.: qui me in his, quae sunt dubitabilia
sapienti, academicum esse pridem professus sum.
539) Metal. Prol. p. 9.: De moribus vero scienter nonnulla inserui ratus, omnia,
quae leguntur aut scribuntur, inutilia esse, nisi quatenus afferunt aliquod admini
culum vitae ; est enim quaelibet professio philosophandi inutilis et falsa, quae se
ipsam in cultu virtutis et vitae eæhibitione non aperit.
540) Polycr. VII, 9, p. 110.: Suspice ad moderatores philosophorum temporis
nostri ..... , eos in regula una aut duobus aut pauculis verbis invenies * 0ccupatos,
aut, ut multum, pauculas quaestiones optas iurgiis elegerunt, in quibus ingenium
suum eæerceant et consumant aetatem; eas tamen non sufficiunt enodare, sed nodum
et totam ambiguitatem cum intricatione sua per auditores suos transmittunt posteris
dissolvendum, .... latebras quaerunt, variant faciem, verba distorquent, ... si in eo
perstiteris, ut, quocunque verba defluant et volvantur, quid velint, intelligas, et
quid sentiant in tanta varietate verborum, et tandem vincientur sensu suo et capien
tur in verbo oris sui, si substantiam eorum, quae dicunt, attigeris firmiterque tenue
ris. Ebend. 12, p. 122.: Errant utijue et impudenter errant, qui philosophiam in
solis verbis consistere opinantur; errant, qui virtutem verba putant .... Qui verbis
inhaerent, malunt videri quam esse sapientes, .... quaestiunculas movent, intricant
verba, ut suum et alienum obducant sensum, paratiores ventilare quam evaminare,
si quid difficultatis emersit. Hiezu obige Anm. 58,
541) Ebend. III, 2, p. 164.: Inde est forte, quod illi, quia prima totius
philosophiae elementa posteris tradere curaverunt, substantiam singulorum arbitrati
sunt intuendam, quantitatem, ad aliquid, qualitatem, situm esse, ubi, quando, habere,
facere et pati, et suas in omnibus his proprietates , an intensionem admittant et
susceptibilia sint contrariorum et an eis ipsis aliquid inveniatur adversum (all diess
letztere hat eben Gilbert erörtert, s. Anm. 489—509.); provide quidem haec et
diligenter, etsi in eo negligentiores eaestiterunt, quod sui ipsius notitiam in tanta
rerum luce non assecuti sunt etc.
542) Ebend. IV, 3, p. 227.: Astutias Aristotelis, Chrysippi acumina omnium
que philosophorum tendiculas resurgens mortuus confutabat. Metal. III, 8, p. 141.:
Pythagoras naturam eaecutit, Socrates morum praescribit normam, Plato de omnibus
persuadet, Aristoteles argutias procurat. Vgl. Anm. 560.
XIV. Johannes v. Salesbury. 235
Suchem wir hiernach ausfindig zu machem, welche principielle
Stellumg Johannes der Logik anweise, so deutet er einmal bezüglich
der Eintheilung der Wissenschaftem eimem Grundton am, welcher uns
sehr am Hugo v. St. Victor erinnert (Amm. 45 f.), indem als diemende
Mächte unter der Herrschaft der divina pagina die mechamisehem, die
theoretischem, die praktischem Disciplimem, und die das feste Bollwerk
aufbauende Philosophie bezeichnet werden ***), wobei beachtenswerth
ist, dass auch Hugo die Aufgabe der Logik im die Vervollkommnung
des Sprechens verlegt. Und wenn ein anderes Mal im umverkennbarsten
Anschlusse an Gilbert (Amm. 465) eine dreifache Functiom der Wernunft
(ratio) unterschieden wird, insoferne der concrete Gebrauch derselbem
(modus concretivus) auf die simnlich wahrnehmbare Natur gehe, die
abstract auflösende Thätigkeit (resolvere) zur Mathematik führe, und die
beziehungsweise Vergleichung (conferre et referre) Aufgabe der Logik
sei °**), so sehen wir schon hieraus, dass Johannes die Fähigkeit hat,
verschiedene Ansichtem Anderer beliebig aufzugreifen umd eklektisch
mebeneimander hinzustellen.
Num aber ist der eigentlich eklektische Standpumkt für die Logik
der rhetorische, demm dieser überhebt sich aller Schwierigkeiten, welche
in dem philosophischem Grundfragem auftretem können, und so ist auch
Johannes vom der Mühe dispensirt, sich etwa für Eine philosophische
Auffassung zu entscheidem. 0hne die Stellung der Logik im Gebiete
der Wissenschaften näher zu bestimmen, und ohme das Verhältniss des
subjectiven Denkens zur 0])jectivität oder zur Form (les Sprachausdruckes
nach irgend Eimer bestimmtem Ansicht zu erörtern, kanm er sich dabei
begnügem, in einer huntem Fülle verschiedemer Wendumgen und mit Be
mützung der üblichen Schultradition dem Feimden der Logik den Begriff
und den Werth der „eloquentia“ emtgegenzuhaltem °*°). Die Arl und
Weise, wie sich das Denken zu dem Wortausdrucke verhalte, wird
durch eime rhetorische Floskel bezeichmel, indem vom eimer ,,süssen
und fruchtbarem Ehe“ der Wermunft und des Wortes gesprochen wird 840),
543) Enthet., v. 441 ff. : Haec scripturarum regina vocatur, eandem Divinam
dicunt, .... Hanc caput agnoscit philosophia suum; Huic omnes artes famulae; me
chanica quaeque Dogmala, quae variis usibus apta vides, Quae ius non reprobat,
sed publicus approbat usus, Huic operas debent militiamque suam; Practicus huic
servit servitque theoricus; arcem Imperii sacri philosophia dedit. In Bezug anf Hugo
vgl. Amm. 555.
544) Ebend. v. 659 ff.: Res triplici spectare modo ratio perhibetur, Nec quar
tum potuit mens reperire modum; Concretivus hic est, alius concreta resolvit, Res
rebus confert ,tertius atque refert; Naturam primus, mathesim medius comitatur,
Vindicat eaetremum logica sola sibi. -
545) Metal. I, 7, p. 24.: Cornicatur haec domus insulsa, suis tamen verbis,
et quam constat totius eloquii contempsisse praecepta .... Ait enim, superflua sunt
praecepta eloquentiae, quoniam ea naturaliter adest aut abest (Anm. 529.). Quid,
inquam, falsius? Est enim eloquentia facultas dicendi commode, quod sibi vult
animus eaepediri .... (p. 25.) Ergo cui facilitas adest commode eaeprimendi verbo qui
dem , quod sentit, eloquens est; et hoc faciendi facultas rectissime eloquentia nomi
natur, qua quid esse praestantius possit ad usum, compendiosius ad opes, fidelius
ad gratiam, commodius ad gloriam, non facile video.
546) Ebend. I, 1, p. 13.: Ratio, scientiae virtutumque parens, ... quae de
verbo frequentius concipit et per verbum numerosius et fructuosius parit, aut omnino
236 XIV. Johannes v. Salesbury.
und dem gleichen Werth hat die Redensart, dass die Eigenthümlichkeiten
der Dinge in die Worte „überfliessen“, und bei der bestehenden Wer
wandtschaft der Dinge und der Aussagen (vgl. das Nemliche bei Abá
lard, Amm. 308, und Aehnliches bei Gilbert, Anm. 457) es sich nur
darum handle, eine Fülle von Dingen im Geiste und eine Fülle von .
Wortem im Munde zu besitzen °*7). Kurz der einmal vorliegende Be
fund der redenden Kundgebung bietet für Johannes den wesentlichsten
Gesichtspunkt dar, und so definirt er „Logik im weitesten Sinne“ in
Ciceronischer Terminologie als ratio loquendi vel disserendi, wornach
ihr die Disciplinirung der Aussagen (magisterium sermomum) anheim
falle, und sie hierin sowohl ihren Nutzen zeige als auch unter den
freiem Künsten die erste Stelle einnehme, denn in jenem weitesten Sinne
umfasse sie auch dem Umkreis der Grammatik ***). Indem aber hiemit
sich doeh die Forderung ergäbe, bei dieser weiten Definition das wech
selseitige Verhältniss der Grammatik und der Logik (vgl. sogleich untem
Anm. 556) genauer festzustellen, lässt der wissenschaftliche Indifferen
tismus des Johaunes auch diese Frage wieder bei Seite liegen, indem
der Entscheid darüber, ob die Grammatik wirklich ein Theil der Logik
sei, ausdrücklich abgelehnt wird °*°). Wenn fermer gesagt wird, die
Dialektik solle durch Erwägung der Aussagen (sermones — der so häu
fige Gebrauch dieses Wortes erinnert von selbst an Abälard —) zu einer
Wissenschaft der Prüfung und Feststellung des Walaren gelangen, so
hat diess wieder nur den beschränkten Sinn, dass die Dialektik als
treftlichste Dienerin der Rede-Gewandtheit (ministra eloquentiae) hierin
ihren Nutzen bewährt, indem sie zum Maassstabe des Wissens wird °°°),
a*
sterilis maneret aut quidem infoecunda, si non conceptionis fruclum in lucem ederet
eloquio, et invicem, qu0d sentit, prudens agitalio mentis hominibus publicaret; haec
autem est illa dulcis et fructuosa coniugatio rationis et verbi, quae elc.
547) Ebend. 16, p. 42.: Natura enim copiosa est et ubertatis suae gratiam
humanae indigentiae facit; inde ergo est, quod proprietas rerum redundat in voces,
dum ratio affectet, sermones rebus, de quibus loquitnr, esse cognatos. Polycr. VII,
12, p. 124.: Nihil enim utilius , nihil ad gloriam aut res acquirendas commodius
iuventuti, quam eloquentia, quae ea, e0 plurimum comparutur, si rerum in mente et
in ore copia sit verborum.
548) Metal. I, 10, p. 29 f.: Est itaque logica, ut nominis significatio latissime
paleat, loquendi vel disserendi ratio (s. Abschn. VIII, Anm. 23.); contrahitur enim
interdum et dumtaaeat circa disserendi rationes vis nominis coarclatur. Sive itaque
ratiocinandi vias doceat sive omnium sermonum regulam praebeat, profeclo desipiunt,
qui eam dicunt esse inutilem ..... Sed , ut quam latissime protendatur significatio,
ei ad praesens sermonum omnium magisterium tribuatur. Ebend. 13, p. 34.: Ha
rum autem omnium (d. h. artium liberalium) prima est logica, ab ea tamen sui
parte, quae in prima sermonum institutione versatur, ut nomen logices, sicut iam
dictum est, quam latissime pateat el non modo ad disserendi scientiam contrahatur;
est enim grammatica scientia recte loquendi scribendique et origo omnium liberalium
disciplinarum.
549) Ebend. II, praef. p. 62.: Sit aul non sit grammalica pars logices, non
contendo; constat enim, quod in sermonibus vertitur eosque ministrat, etsi non omnes
sermonum e.vaminet rationes.
550) Ebend. lII, 2, p. 121. : Quum eo tendat dialectices tota inlenlio, ut ser
monum vim aperiat et eae eorum praedicatione examinandi veri et statuendi scientiam
assequatur; hoc agit, sive dividat, sive definiat, sive colligat, sive ea quae fuerunt
collecta resolvat. Ebend. II, 9, p. 77.: Liquet, dialecticam, quae inter ministras
XIV. Johannes v. Salesbury. 237
und zum Beweise dieser Nülzlichkeit stellt auch Johanmes seinem Cor
mifieius jeme augustinischen Worte entgegen, welche wir mum schon so
oft angeführt trafen *°'). Gerade der Nutzem aber wird mur in der
obigem Fülle der Dinge zu Tage treten könnem, und darum dringt Jo
hamnes darauf, dass man vom dem logischen Schul-Unterrichte, welcher
in Wortkram umd Sophistik sich bewege, hinwegstrebe und auf den
Stoff anderer Disciplinem übergehe, damit eine Fülle der Rede (copia
eloquentiae) erwachse, vermöge deren mam in Allem wenigstens mach
Wahrscheinliehkeit disputirem, wo nicht sogar das Unwahre siegreich
bekämpfen könne °°°). Wie sehr aber diess mit inmerer Amkmipfumg
an die rhetorische Seite der Logik, d. h. an die Topik , gemeint sei,
geht daraus hervor, dass in wörtlicher Uebereinslimmung mit Boethius
de diff. top. mur nach dem Standpumkte der Argumentation die metho
dische That der Logik auf die streitigem Punkte (quaestio oder thesis)
der einzelnen übrigen Disciplinem beschränkt wird, welch letztere hie
durch auf diesem miützlichsten Zweig des Wissens angewiesem seiem °°°).
Denselben Sinn hat es aueh noch, wenm sodann die „Dialektik im enge
rem Simne* als ratio disserendi definirt und ihr in üblicher Weise die
Umterscheidung des Wahren und Falscbem, jedocli ahermals mit Beizie
hung des Wahrscheinlichen, zugewiesen wird ***), und nm der Technik
eloquentiae eæpeditissima est et promptissima , unicuique prodesse ad mensuram
scientiae suae. -
551) Ebend. IV, 25, p. 182.: Pater Augustinus, cui temerarium est obviare,
eam tantis effert praeconiis, ut vituperari non possit nisi ab his, quorum nulla est
prudentia .... ,,Haec docet docere,- haec docet discere .... Quid valeat scire , scit
sola ; scientes facere non solum vult, sed et potest**. Quid ad haec Cornificius?
552) Ebend. 28, p. 184.: Fere enim inutilis est logica, si sit sola ; tunc de
mum eminet, quum adiunctarum virtute splendescit. Tenerae tamen aetati indulgen
dum est amplius, et, ut copiam eloquentiae comparet, interim est ferenda verbositas
..... Procedente ergo aetate et sensu verbositatis cohibeatur licentia et sophisticae,
quam Aristoteles dictilivam, nos circumventoriam vel cavillatoriam dicere possumus,
improbitas conquiescat. Ebend. II, 9, p. 77.: Sic dialectica, si aliarum disciplina
rum vigore deslilualur, quodammodo manca est et inutilis fere; si aliarum robore
vigeat, potens est, omnem destruere falsitatem et, ut minimum ei adscribam, sufficit,
de omnibus probabiliter disputare. Enthet. v. 111 ff.: Laudat Aristotelem solum,'
spernit Ciceronem Et quidquid Latiis Graecia capta dedit, Conspuit in leges, vilescit
physica, quaevis Littera sordescit, logica sola placet. Vgl. Amm. 52.
553) Metal. II, 12, p. 83.: Versatur eaeercitium dialecticae in omnibus disci
plinis, siquidem quaestionum habent materiam; sed eam, quae hypothesis dicitur, i.
e. quae circumstantiis (s. Abschm. XIl, Anm. 166.) implicatur, relinquit oratori.....
Thesim vero vindicat sibi, i. e. quaestionem a praedictarum circumstantiarum neacibus
absolutam. 13, p. 83.: Quaerunt ergo singulae (sc. disciplinae), et licet suis mu
niantur principiis, eis tamen logica methodos suas, compendii scilicet rationes, com
muniter ' subministrat , unde non modo ad eacercitationem, sed ad obviationes et ad
disciplinas utilissima est. -
554) Ebend. II, 1, p. 62.: Ut itaque nominis significalio contrahatur, logica
est ratio disserendi, per quam totius prudentiae agitatio solidatur. 2, p. 64.: hic
quidem, sicut Boethius in commento secundo super Porphyrium asserit (p. 47.), est
ortus logicae disciplinae; oportuit enim esse scientiam, quae verum a falso discerneret
et doceret, quae ratiocinatio veram teneat semitam disputandi, quae verisimilem, et
quae ficta sit et debeat esse suspecta; alioquin veritas per ratiocinantis operam non
poterat inveniri. I, 15, p. 41.: Dialectica autem id dumtaaeat acceptat, quod verum
est aul verisimile, et quidquid ab his longius dissidet, dicit absurdum.
238 XIV. Johannes v. Salesbury.
der Argumentation willen soll so die Dialektik als erste Einführung , in
die Philosophie benützt werden *°°). Da aber jede Argumentation oder
Disputation in Wortausdrücken sich bewegt, so wird nun in Anbetracht
dieser engeren Definition (vgl. hingegen Anm. 548)' in ähnlicher Weise
wie bei Abälard (Amm. 271) die Grammatik, welche bloss von dictio
handelt, von der Dialektik, derem Gegenstand und lnhalt die dicta * seien,
untersehiedem, dabei aber in lediglichem Indifferentismus die Frage als
unerheblich bezeichnet, ob es sich dabei um die • Aussage oder um das
Ausgesagte handle *°°). Und während Johannes hiemit wieder die in
, der Schule von Boethius her übliche Eintheilung der „Logik“ verbin
det *°7), führt ihm zugleich seine Kenntniss des Aristoteles auf die
Unterscheidung der Apodeiktik und der Dialektik, wobei ihm jedoch
aueh die erstere keimen inneren eigemen Zweck in sich selbst trägt,
sondern immer die Nutzbarkeit der gesammten so eingetheilten Logik
die Hauptsache bleibl °°°).
Won solehem Standpunkte aus vertritt num Johannes gegen die Ver
áchler der Dialektik aucl, den Werth der vorhandemen logisehen Littera
tur. Dass er in dieser Beziehung der erste Autor des Mittelalters ist,
555) Ebend. II, 3, p. 65.: Profecta igitur hinc est et sic perfecla scienlia dis
serendi, quae disputandi modos et rationes probationum aperit .... aliis philosophicis
disciplinis posterior tempore, sed ordine prima (ebenso Hugo v. Victor, Anm. 46.,
vgl. Anm. 543.); inchoantibus enim philosophiam praelegenda est, eo quod vocum et
intellectuum interpres est, sine quibus nullus philosophiae articulus recte procedit
in lucem.
556) Ebend. 4, p. 67.: Est aulem dialectica, ut Augustino placet (s. Abschn.
XII, Amm. 30.), bene disputandi scienlia .... Est autem disputare, aliquid eorum,
quae dubia sunt aut in contradictione posita aut quae sic vel sic proponuntur, ratione
supposita probare vel improbare, quod quidem, quisquis eæ arte probabiliter facit,
ad dialectici pertingit metam. Hoc aulem ei nomen Aristoteles auctor suus imposuit,
e0 quod in ipsa et per ipsam de diclis disputatur; ut enim grammatica de dictio
nibus et in dictionibus teste Remigio (vor. Abschn., Anm. 172.), sic ista de dictis
et in diclis est; illa verba sensuum principaliter, sed haec eacaminat sensus verbo
rum, nam λεχτόν graeco eloquio, sicut ait Isidorus (vor. Abschn. Anm. 27.) dictum
appellatur. Sive autem dicatur a graec0 λέις, quod locutio interpretatur .... sive
a λεκτόν, quod dictum nuncupatur, non multum refert, quum evaminare locutionis
vim, et eius quod dicitur veritatem et sensum, idem aut fere idem sit ; vis enim
verbi sensus est. III, 5, p. 137.: Est autem res, de quo aliquid; dicibile, quod
de aliquo; dictio, quo dicitur hoc de illo, worauf die oben, Anm. 207., angeführtem
Worte folgem.
557) Ebend. II, 3, p. 66.: Pro eo namque logica dicta est, quod rationalis, i.
e. rationum ministratoria et eacaminatriae est. Divisit eam Plalo in dialecticam et
rhetoricam, sed qui efficaciam eius altius meliunlur, ei plura attribuunt, siquidem
ei demonstrativa, probabilis et sophistica subiiciuntur, u. s. w. völlig nach Boethius,
s. Abschn. XII, Anm. 82. Ehenso 5, p. 68.: Demonstrativa et probabilis et sophi
stica , omnes quidem consistunt in inventione et iudicio et itidem dividentes , defi
nientes et colligentes domesticis rationibus utuntur, s. ebend. Anm. 76.
558) Ebend. II, 14, p. 35.: Principia itaque dialecticae probabilia sunt, sicut
demonstralivae necessaria. lll, 10, p. 152.: Sophisma est syllogismus litigatorius,
philosophema vero demonslralivus, argumenlum autem syllogismus dialecticus, sed
aporisma (s. Abschn. IV, Anm. 33.) syllogismus dialecticus contradiclionis. Horum
omnium est necessaria cognitio et in facultatibus singulis perutilis est eæercilatio.
p. 154.: Sic suorum instrumentorum necesse est logicum eæpeditam habere faculta
tem, ut scilicet principia noverit, probabilibus abundet, syllogizandi et inducendi omnes
ad manum habeat rationes.
XIV. Johannes v. Salesbury. 239
welcher eine vollständige Kenntmiss des gesammten aristotelisehen 0rga
nons zeigt, wurde schon obem, Anm. 26 u. 56 ff., bemerkt, unil es ist
num anzugeben, wie er sich das ganze Material und die einzelnen Theile
desselben anschaute und zurechtlegte. Den Aristoteles, dessen logische
Schriftem er micht mehr wie Andere theilweise vom blossen Hörensagen
kennt, bezeichnet er als den wahren Feldherrn (campiductor) aller
Logiker und, wenn auch mit Vorbehalt der Auctorität (ies christlichen
Glaubens und der Moraltheologie, jedenfalls als den Lehrer der Dispu
tirkunst °°°), d. h. für dem innerem philosophischen Werth der aristo
telischen Logik hat natürlich : der Ciceronianer Johannes keimen Sinn,
sondern er erblickt in ihr nur eine äusserliche Tecknik, daher et auch
— was an obigen Ausdruek ,,astutiae“, Anm. 542, erinnert — der
Ansicht ist, Aristoteles sei in der Polemik gegem Andere stärker als in
dem positiven Aufbauen der eigeneia Lehre °""). Vom der Annahme aus
gehend, dass die Logik als Technik der Aussagen (sermones), indem sie
inventio und iudicium enthält (Abschn. XII, Anm. 76), das Werkzeug
aller Disciplinen sei, und eben hiedurch Aristoteles sich den Beinamen
des ,,Philosophen“ erworbem habe °"'), betrachtet Johannes das ganze
0rganon in einer Weise , welehe völlig mit Abälard's Auffassung (Amm.
271 ff.) übereinstimmt, indem Aristoteles die einfache voae significativa
aus der Hand des Grammatikers empfangen und in dem Kategoriem der
artig erörtert habe, dass sie hernach in der Zusammenfügung des Ur
llieiles (De interpr.) betrachtet werden könne, und hierauf die Entwick
lung dessem, was zu inventio und iudicium gehört, folgen könne ; die
Isagoge, welche Porphyrius zu dem ersten Hauptabschnitte verfasst habe,
gehöre eben nur als Einleitung zu dem Ganzen und solle nicht, wie
Wiele thun (Amm. 56 fr.), gleichsam zur Hauptsache gemaeht werden *"*).
559) Ebend. III, 10, p. 147.: Rei rationalis opifer et cumpiductor (Giles gibt
campi doctor) eorum, qui logicam profilentur. IV, 1, p. 157.: Campiductor (ebenso)
itaque Peripateticae disciplinae, quae prae ceteris in veritatis indagatione laborat,
infelicem summam operis dedignatus totum componit (Anspielung auf Hor. Ars poet.
v. 34.), certus, quod cuiusque operis perfectio gloriam sui praeconatur auctoris.
IV, 23, p. 180.: Sicut optimus campiductor (hier auch bei Giles das Richtige) hunc
ad inferendam pugnam , illum instruit ad cautelam. 27, p. 183.: Nec tamen Aristo
telem ubique plane aut sensisse aut scripsisse protestor, ut sacrosanctum sit, quid
quid scripsit; nam in pluribus obtinente ratione et auctoritate fidei convincitur errasse.
.... Unde sic accipiendus est, ut ad promovendos iuvenes ad graviores philosophiae
instituta doctor sit non morum, sed disceptationum.
560) Ebend. III, 8, p. 141.: Aristotelem prae ceteris omnibus tum aliue dis
serendi ratiocinationes quam definiendi titulus (d. h. der Inhalt des 6. Buches der
Topik) illustraret, si tam patenter adstrueret propria, quam potenter destruaeit
aliena.
561) Enthet. v. 821 ff.: Magnus Aristoteles sermonum possidet artes Et de vir
tutum culmine nomen habet, Iudicii libros componit et inveniendi Vera, facultates
tres famulantur ei; Physicus est moresque docet, sed logica servit Auctori semper
officiosa suo; Haec illi nomen proprium facit esse, quod olim Donat amatori sacra
sophia suo; Nam qui praecellit, tituli communis honorem Vindicat. Metal. II, 16,
p. 88.: 0mnes se Aristotelis adorare vestigia gloriantur, adeo quidem, ut commune
omnium philosophorum nomen praeeminentia quadam sibi proprium fecerit; nam et
antonomatice, i. e. eæcellenter, philosophus appellatur.
562) Metal. II, 16, p. 89.: Hic ergo (d. h. Aristoteles) probabilium rationes
-redegit in artem et quasi ab elementis incipiens usque ad proposili perfectionem
240 XIV. Johannes v. Salesbury.
So scheide sich aber das 0rgamon auch wieder im zwei Hauptgruppem
ab, insoferme die Isagoge, die kalegorien und De inlerpr. nur als Wor
bereitungsstufem (praeparaticia artis) gellem können, imdem diese Bücher
mehr ad artem, als de arte seiem, wohingegen die eigentliche Technik,
worim inventio umd iudicium ihre Fülle emtwickeln, in dem drei Haupt
werken Topik, Analytik und Soph. Elenchi vorliege °°°). Eben aber
im Hinblicke auf inventio und iudicium ergebe sich hinwiederum eim
amderer Gesichtspunkt der Eintheilung, insoferne die Topik mebst den
ihr vorausgehenden Bücherm überwiegend und grundsätzlich zur inventio
gehöre, hingegen ebenso Analytik und Soph. El. dem iudicium diemen
sollem; doch dürfe man diese Einlheilung (vom welcher wir danm aller
dings micht wissem, warum sie überhaupt zu Grund gelegt worden sei)
auch wieder micht sehroff festhaltem, da auch die Analytik und Soph.
-Ei. zur inventio beitragen, und umgekehrt auch die Topik zu iudicium
förderlieh sei °°*). Nebem all diesem aber ])eutet Johannes die Durch
führung eines Gleichnisses für die Auffassung des 0rganons aus, imdem
die Kategoriem dem Buchslabem, das Buch De interpr. den Sylbem ent
sprechen soll °°°), worauf lann die Topik das Wort (dictio) repräsen
eveacit. Hoc aulem planum est his, qui scrulantur et discutiunt opera eius. Voces
enim primo significativas, i. e. sermones incompleaeos de grammatici manu accipiens
differentius et vires eorum diligenler ea posuit, ut ad compleacionem enuntiationum et
inveniendi iudicandique scientiam facilius accedant. Sed quia ad hunc elementarem
librum magis elementarem quodammodo scripsit Porphyrius, eum ante Aristotelem esse
credidit antiquitas praelegendum; rerte quidem, si recte doceatur, i. e. ut tenebras
non inducat erudiendis nec consumat aetatem ..... Unde quoniam ad alia introducto
rius est, nomine Isagogarum inscribitur; itaque inscriptioni derogant, qui sic ver
santur in hoc, ut locum principalibus non relinquant.
563) Nachdem nemlich Metal. III, 1 über die Isagoge, c. 2 u. 3 über die
Kategorien und c. 4 über De interpr. gehandelt worden, beginnt c. 5, p. 134.:
Artis praeparaticia praecesserunt, ad quam suus opifea, et quasi legislator rudem
omnino tironem irreverenter et, ut dici solet, illotis manibus non censuit admitten
dum ..... Utilissima quidem sunt et, si non salis proprie dicantur esse de arte,
satis vere dicuntur esse ad artem ; parum autem refert, sic magis dicatur an sic.
Ipsum itaque quodammodo corpus artis deductis praeparaticiis principaliter , consistit
in tribus, scilicet Topicorum, Analyticorum, Elenchorum notitia ; his enim perfecte
cognitis et habitu eorum per et eaeercitium roboralis inventionis et iudicii copia suffra
gabitur in omni facultate tam demonslratori quam dialectico et sophistae.
564) Ebend. IV, 1, p. 157.: Unde quum inventionis instrumenta procurasset
et usum, quasi in conflatorio sedens eaeaminatorium quoddam studuit cudere, quo
diligentissima fieret eacaminatio rationum; hic aulem est Analyticorum liber, qui ad
iudicium principaliter speclat el tamen ad inventionem . aliquatenus proficit; nam
disciplinarum omnium conneaeae sunt rationes , et quaelibet sui perfectionem ab aliis
muluatur. III, 5, p. 134.: Scienlia Topicorum, quae etsi inventionem principaliter
instruat, iudiciis tamen non mediocriter suffragatur ....., siquidem sibi invicem uni
versa conlribuunt, eoque in proposila facultate quisque eæpedilior est, qu0 in vicina
et cohaerente instructior fuerit; ergo et tam Analytica quam Sophistica conferunt in
ventori et Topica itidem conducit iudicanti. Facile tamen acquieverim, singulas in
suo proposito dominari et accessorium esse beneficium cohaerentis. IV, 8, p. 164.:
Licet ad iudicium matrime dicatur haec scientia (sc. demonslrativa) pertinere, inven
tioni tamen plurimum confert. -
565) Ebend. III, 4, p. 130.: Liber Periermeniarum vel potius Periermenias (s.
vor. Abschn. Anm. 33.) ratione proporlionis syllabicus est, sicut Praedicamentorum
elementarius, nam elementa rationum, quae singulatim tradit in sermonibus incom
plearis, iste colligit et in modum syllabae comprehensa producit ad veri falsique
XIV. Johannes v. Salesbury. 241
' tire und hierim das Zusammenfassen (collectio) der Bestandtheile ent
halte °°°), und zwar in der Weise, dass bei der stets aufsteigenden
Entwicklung das erste Buch der Topik die Grundlage der ganzen Logik
sei °°'), und somit dann das achte Buch der Satzverbindung (construc
tio, ein Ausdruck Priscian's, vgl. Anm. 273) entspreche, wodureh in
eben diesem Buche der Höhepunkt der Logik erklommen sei, und das.
selbe im Vergleiche mit der ganzen neueren Litteratur (der moderni,
s. Amm. 55 ff.) als die bei weitem nützlichste Schrift bezeichnet werden
müsse °°°). Die hierauf sich anschliessende erste Analytik wird unter
Hinzufügung einer barbarischen Interpretation des Namens (vgl. Amm.
23 u. wor. Abschn. Anm. 288) zwar gleichfalls wegen ihres Nutzens
gelobt, jedoch zugleich wegen ihrer sterilem Form getadell, da nicht
bloss der gleiche Inhalt anderwärts (d. h. offenbar bei Boeth. de syll.
cat. u. Introd. ad syll. cat.) viel leichter und eindringlicher entwickelt
sei, sondern jenes Werk überhaupt in seiner verworrenen (confusus)
und unverständlichen Schreibweise für den äusseren Apparat der Argu
mentation (ad phrasim instruendam) ziemlich unbrauchbar sei, und man
daher mur die in demselben enhaltenen Regeln (also ungefähr in der
Weise wie bei Boethius a. a. 0.) auswendig lermen solle, das Uebrige
aber wie Spreu oder dürres Laub bei Seite lassen könne °°°). Und
significationem. Tantae quidem subtililalis est habitus ab antiquis, ul in praeconium
eius celebratum ferat Isidorus (s. ebend. Anm. 34.), quia Aristoteles, quando Perier
menias scriptitabat, calamum in mente tingebat.
566) Ebend. 6, p. 137 f.: Sicut autem elementarius est Praedicamentorum, Pe
riermeniarum vero syllabicus, ita et Topicorum liber qu0dammodo dictionalis est.
Licet enim in Periermeniis agatur de simplici enuntiatione, quae utique veri falsive
dictio est, nondum tamen ad vim colligendi pervenit nec illud assequitur, in quo
dialectices praecipua opera versatur; hic vero primus est in rationibus eæplicandis
doctrinamque facit localium argumentationum et sequentium compleacionum pandit
initia.
567) Ebend. 5, p. 135.: 0cto quidem voluminibus clauditur, fiuntque semper
novissima eius potiora prioribus; primus autem quasi materiam praeiacit omnium
reliquorum et totius logicae quaedam constituit fundamenta.
568) Ebend. 10, p. 147.: Arma tironum suorum locavit in arena, dum sermo
num simplicium significationem evolveret et item enuntiationum locorumque naturam
aperiret ..... Ut autem praemissae similitudinis sequamur proportionem, quemadm0
dum Categoriarum elementarius , Periermeniarum syllabicus, praemissi Topici dictio
males libri sunt, sic Topicorum octavus constructorius est rationum, quarum elementa
vel loca in praecedentibus monstrata sunt. Solus itaque versatur in praeceptis, eæ
quibus ars compaginatur, et plus confert ad scientiam disserendi, si memoriter ha
beatur in corde, quam omnes fere libri dialecticae, quos moderni praeceptores nostri
in scholis legere consueverunt; nam sine e0 non disputatur arte, sed casu.
569) Ebend. IV, 2, p. 158.: Analyticorum quidem perutilis est scientia et sine
qua quisquis logicum profitetur, ridiculus est. Ut vero ratio nominis eaeponatur,
quam graeci analyticen dicunt, nos possumus resolutoriam appellare (diess entmahm
er aus Boethius, s. Abschn. XII, Anm. 77.), familiarius tamen assignabimus, si
diverimus ,,aequam locutionem“, nam illi ,,ana** aequale, ,,leacim** locutionem di
cunt. Frequens autem est, quum sermo parum est intellectus, ut eum in noliorem
resolvi desideremus aequivalenter; unde et interpres meus (wohl Einer jener beiden
Uebersetzer, welche wir oben Anm. 32 f. trafen), quum verbum audiret ignotum,
et maæime in compositis, dicebat ,,analetiza hoc“, quod volebat aequivalenter eaeponi.
. Ceterum licet necessaria sit doctrina, liber non eatenus necessarius est; quid
quid enim continet, alibi facilius et fidelius traditur, sed certe verius aut fortius
P R A N T l, Gesch. II. 16
242 XIV. Johannes v. Salesbury.
wenn sich nach des Johannes Ansicht diese Unverständlichkeit z. B. '
namentlich in dem letzten Capitel der ersten Analytik (Abschn. IV, Anm.
649 f.) zeige °"°), so richtet er den nemlichen Vorwurf auch gegen die
ganze zweite Analytik, nur mit dem Beisatze, dass ein Theil der Schuld
vielleicht an der Uebersetzung liege °"'). Hingegen nun findet der
Ciceronianer Johannes wieder sein rhetorisches Fahrwasser in den Soph.
Elenchi, welche er hiemit losgetrennt von der Topik an den Schluss
des 0rganons stellt; er sagt, kein anderes Buch sei für die Jugend
mützlicher als dieses, und sowie dasselbe dem grössten rhetorischem
Behelf (ad phrasim) gebe, so sei es auch den beidem Analytiken vor
zuziehen, weil es den logischen Sprachausdruck (eloquentia) in leichte
rer Werständlichkeit fördere °7*). Aus der Topik aber, welche ja die
(}rundlage der Logik enthält, seien die betreffenden Schriften des Ci
cero und des Boethius geflossen, sowie des Letzteren Buch De divisione
(hierin allerdings hal Johannes vollständig Recht), welches unter den
boethianischen Werken eine besonders hervorragende Stelle einnehme °"°).
Somit sind wir nun über den Standpunkt des Johannes vollständig
orientirt und erblicken in demselben gewiss mit Recht eine Steigerung
dessem, was Abälard (Anm. 267) eloquentia Peripatetica genannt hatte,
nusquam, siquidem et ab invito fidem eaetorquet .... Porro eaeemplorum confusione et
traiectione litterarum, quas tum de industria tum causa brevitatis tum ne falsitas
alicubi eaeemplorum argueretur interseruit, adeo confusus est, ut cum magno labore
eo perveniatur, quod facillime tradi potest. 3, p. 159.: Sicut autem regulae utiles
sunt et necessariae ad scientiam, sic. liber fere inutilis est ad phrasim instruendam,
quam nos verbi supellectilem possumus appellare ... Ergo scientia memoriter est fir
manda, et verba pleraque eaccerpenda sunt, ... quae ali0 commode transferuntur et
quorum potest esse frequentior usus; reliqua coaequantur foliis sine fruclu et ob hoc
aut calcantur aut sua relinquuntur in arbore. (Hierauf folgt die oben Anm. 20.
angeführte Stelle.) Ebend. III, 4, p. 132.: Sunt autem pleraque, quae si a suis
avellas sedihus, aut nihil aut minimum sapiunt auditori, qualia fere sunt omnia
Analyticorum eaeempla, ubi litlerae ponuntur pro terminis, quae sicut ad doctrinam
proficiunt sic tractata, alias inutilia sunt; regulae qu0que ipsae, sicut plurimum
vigoris habent a veritate doctrinae, sic in commercio verbi minimum possunt.
570) Ebend. IV, 5, p. 162.: Postremo agit de cognitione naturarum ; grande qui
dem capitulum et quod licet aliquatenus proposito conferat, fidem tamen promissi
nequaquam implet. Unum scio, me huius capituli beneficio neminem in cognitione
naturarum vidisse perfectum. -
571) Die Stelle wurde schom oben Anm. 27. angeführt.
572) Metal. IV, 22, p. 178 f.: Sophisticam esse dictum est, quae falsa imagine
tam dialecticam quam demonstrativam aemulatur et speciem quam virtutem sapientiae
magis affectat .... 0pus quidem dignum Aristotele et quo aliud magis expedire iu
ventuti non facile diacerim ...... Frustra sine hac se quisque gloriabitur esse philo
sophum, quum nequeat cavere mendacium aut alium deprehendere mentientem ....
Unde et ad phrasim conciliandam et totius philosophiae investigaliones sophisticae
evercitatio plurimum prodest, ita tamen ut veritas, non verbositas sit huius exercitii
fructus. 24, p. 181.: In eo autem mihi videntur (sc. Elenchi) Analyticis praefe
rendi, quod non minus ad eacercitium conferunt et faciliori intellectu eloquentiam
promovent. -
573) Ebend. III, 9, p. 145.: Qui vero librum hunc (d. h. die aristotelische
Topik) diligentius perscrutatur, non modo Ciceronis et Boethii Topicos ab his septem
voluminibus (d. h. aus den sieben ersten Büchern) erutos deprehendet, sed librum
Divisionum, qui compendio verborum et elegantia sensuum inter opera Boethii, quae
ad logicam spectant, singularem gratiam nactus est.
XIV. Johannes v. Salesbury. 243
und wenn in philosophischer Beziehung schon bei Abälard eine umor
ganische Wereinigung entgegengesetzter Ansichten obgewaltet hatte, so
isi bei Johannes auch diess in höherem Grade der Fall. Es ist eigent
lich consequent, dass Letzterer bei seinem ausschliesslichen Augenmerke
auf die Eloquenz der Argumentation sich sogar um eine bestimmte For
mel umsieht, durch welche er über alle Schwierigkeitem, die in einer
festem philosophischen Parteistellung liegen könntem, sich von vorneherein
hiuausheben kann. Diese Formel ist seine ,,ratio indifferentiae“, d. h.
das Verfahren des vollendeten Indifferentismus. Er weist nemlich zu
nächst, da es sich um die Kenntniss der aussagbarem Dinge (rerum
praedicamentalium, s. Anm. 605) und der Aussagen selbst (sermonum)
handelt, auf die Wieldeutigkeit der Aussagen hin, und bemerkt, dass
dieselben zur Zeit des Aristoteles einem anderem Sinm haben konnlem,
da ja mach dem Ausspruche des Horatius die Worte in stetem Wechsel
dahinfliessen und nur der Gebrauch sie so oder so feststelle °"*). Und
wenm nun auch zugegeben wird, dass bei gleichem Sinne der Wortge
brauch der Alten ehrwürdiger sei, als jener der Neueren °"°), so sei
grundsätzlich der Gebrauch doch mächtiger, als Aristoleles selbst, daher
man auch, insoferne die objectiv dingliche Wahrheit und hiemit der
reelle Sinn der Worte in Frage komme, wohl die Wortausdrücke zum
0pfer bringen dürfe, während andrerseits, so lange es eben angehe,
zugleich Wortlaut und innerer Sinn aus der älteren Lehre beibehalten
werden könne *7°). Schon hieraus ersieht man, dass dieser Grundsatz
zu einer äusserst bequemen Manier führen muss, alle auftauchenden
Schwierigkeiten zu escamotirem, denn mam braucht in all solchen Fällen
mur zu sagen, der Wortausdruck habe im Laufe der Zeiten eine andere
Bedeutung erhalten, oder es liege an demselben überhaupt Nichts. So
sagt ja Johannes (gelegentlich einer Ansicht des Bernhard von Chartres)
selbst, er lege kein Gewicht darauf, ein Wort beim Wort zu nehmen,
574) Ebend. 3, p. 128.: Profecto rerum praedicamentalium et sermonum peru
tilis est notitia ..... , et quia multiplicitas sermonum plerumque intelligentiam clau
dit, quotiens dicatur unumquodque, docet (sc. Aristoteles) esse quaerendum .... Con
tingit autem tractu temporis et acquiescente utentium voluntate, multiplicitatem sermonum
nasci itemque eaestingui .... (p. 129.) Multiplicius, dicitur, quam Aristotelis tempore
diceretur, et quae tunc verba aliquam, nunc fòrte nullam habent significationem,
siquidem ,,Multa renascentur quae iam cecidere, cadentque Quae nunc sunt in honore
vocabula , si volet usus, Quem penes arbitrium est et ius et norma loquendi** (Hor.
Ars poet. v. 70 ff.).
575) Ebend. 4, p. 131.: Praeterea reverentia eaehibenda est verbis auctorum
cum cultu et assiduitate utendi, tum quia quandam a magnis nominibus antiquitatis
praeferunt maiestatem, tum quia dispendiosius ignorantur, quam ad urgendum aut
resistendum potentissima sunt .... Licet itaque modernorum et veterum sit sensus
idem, venerabilior est vetustas.
576) Ebend. p. 133.: Patet itaque, quod usus Aristotele potentior est in dero
gando verbis vel abrogando verba, sed veritatem rerum, quoniam eam homo non
statuit, nec voluntas humana convellit. Itaque, si fieri potest, artium verba tene
antur et sensus; sin autem minus, dum sensus maneat, eaccidant verba, quoniam
artes scire non est scriptorum verba revolvere, sed nosse vim earum atque sententias.
Enthet. v. 27 ff.: Qui sequitur sine mente sonum, qui verba capessit, Non sensum,
iudeae integer esse nequit; Cum vim verborum dicendi causa ministrat, Haec si ne
scitur, quid nisi ventus erunt?
16 *
244 XIV. Johannes v. Salesbury.
und es sei gar micht möthig, mit einer einzelnem Stelle im solchem Sinne
auch alle übrigen in Einklang zu bringen °77). Und in der That gestaltet
sich auf diese Weise die ratio indifferentiae, welche er auch behufs
des Uebersetzens für die richtige hält (Anm. 32), überall da, wo er
sich auf dieselbe beruft, zur *ausgesprochenem Methode der Unwissen
schaftlichkeit. Denn sicher höchst leichtfertig ist es, wenn er nicht
bloss „significare“ und „praedicare“ als völlig synonym nimmt, während
doch Abälard sich um eine feste Begriffsbestimmung bemüht hatte (Amm.
318), sondern dabei es auch als durchaus gleichgültig bezeichnet, ob
z. B. durch die Adjectiva die Eigenschaft oder deren Träger gemeint
sei ; und indem er für jeden einzelnen Fall diess einer benigma inter
pretatio überlässt, gelten ihm die Kategorien gerade darum als ein haupt
sächlicher Empfehlungsgrund seines Verfahrens, weil sie bald über die
bezeichnenden Worte bald über die bezeichneten Dinge handeln °"°).
Ebenso verfährt er gelegentlich mit einer aristotelischen Stelle und
kömmt dabei nach seiner indifferentia oder ratio licentiae zu dem Resul
tate, dass das simnlich-wahrnehmbare Einzel-Individuum ebensosehr Prä
dicat wie Subject sein könne °"°). Und wenn in solchen Fragen bei
Johannes die Logik zu Ende ist, ehe sie überhaupt begonnem hat, so
577) Metal. III, 2, p. 120., woselbst nach der oben Anm. 93. angeführten
Stelle folgt: Habet haec opinio sicut impugnatores sic defensores suos. Mihi pro
*minimo est, ad nomen in talibus disputare, quum intelligentiam dictorum sumendam
noverim eae causis dicendi; nec sic memoralas Aristotelis aliorumve auctoritates inter
pretandas arbitror, ut trahatur istuc , quidquid alicubi dictum reperitur.
578) Ebend. p. 122.: Ex quo liquet, quoniam ,,significare** sicut et ,,praedi
care** multipliciter dicitur; sed quis modus familiarissimus sit, discernere palam est.
Inde est, quod ,,iustus“ et similia passim apud auctores nunc dicuntur iustum nunc
iustitiam significare vel praedicare .... Tale est illud Aristotelis ,,qualitatem signifi
cant, ut album, quantitatem ut bicubitum“ (Cat. 4, s. Abschn. IV, Anm. 303.; bei
Boeth. p. 127.); sic utique, quia dantur a qualitate vel quantitate, ita et qualitatem
praedicant, quam apposita demonstrant inesse subiectis; interdum dicuntur significare
qualia, quoniam appositione sua declarant, qualia sint subiecta. Sed haec a se, si
sit benignus interpres, non multum distant, etsi audit0 ,,albus“ intelligatur, in quo
est albedo, quum autem. ,,albedo** dicitur, non intelligatur, in quo talis color, sed
potius color faciens tale. Illud vero, qu0d audita voce concipit intellectus, ipsius
familiarissima significatio est. 3, p. 122 f.: Quia ergo aut aequivoce aut univoce
aut denominative, ut sequantur indifferentiae rationem, singula praedicantur, ipsaque
praedicatio quaedam ratiocinandi “materia est, praedicamentorum praemissa sunt in
strumenta .... Ralionem vero indifferenliae, quam semper approbamus, liber iste com
mendat prae ceteris, etsi ubique diligenter inspicienti manifesta sit; agit enim nunc
de significantibus nunc de significatis aliorumque doctrinam facit nominibus aliorum.
579) Ebend. Il, 20, p. 110.: Hinc forte est illud in Analyticis ,,Aristomenes
inlelligibilis semper est, Aristomenes autem non semper“ (Anal. pr. I, 33, bei Boeth,
p. 495.); et hoc quidem est singulariter individuum, quod solum quidam aiunt posse
de aliqu0 praedicari .... Ego quidem opinionem hanc vehementer nec impugn0 nec
propugno; nec enim multum referre arbitror ob hoc, quod illam amplector indifferen
tiam in vicissitudine sermonum, sine qua non credo quempiam ad mentem auctorum
fideliter pervenire ...... (p. 111.) Itaque hic sicut et alibi eacsecutus est, quod decet
liberalium artium praeceptorem, agens, ut dici dolet, Minerva pinguiori, ut intellige
retur ..... Quid ergo prohibet, iuxta hanc licentiae rationem, ea quae sunt sensi
bilia vel praedicari vel subiici. Nec opinor, auctores hanc vim imposuisse sermoni,
ut alligatus sit ad unam in iuncturis omnibus significationem, sed doctrinaliter sic
esse locutos, ut ubique serviant intellectui, qui commodissimus est et quem ibi haberi
prae ceteris ratio eæigit. Hiezu antem Anm. 604.
XIV. Johannes v. Salesbury. 245
dürfen wir uns nicht wunderm, dass er in etwas versteckterem Seliwie
rigkeiten sofort ungenirt seinen Standpunkt ausspricht, wie z. B. wenn
er bezüglich des allgemeinen Urtheiles die objeetive Inhärenz und die
subjective Aussage als gleichbedeutend nimmt und höchstens dabei eine
Aenderung des Wortausdruckes erblickt, welehe im Laufe der Zeilem
sich eingestellt habe °°°). -
Verfolgen wir hiernach das Einzelne, was Johannes bezüglich des
Umkreises der Logik äussert, nach dem Faden der Eintheilung, welchen
er selbst für das 0rganon zu Grunde legte, so begegnet uns bei ihm
erklärlicher Weise zunächst in der Erörterung der Isagoge, d. h. in der
Frage über die Universalien, der äussersle Synkretismus oder Eklekticis
mus, welcher zuletzt in eine stoisch-ciceronische Auffassung ausmündet.
Nicht der Standpunkt eines über dem einseitigem Partei-Gezänke stehen
den Philosophen, sondern Mangel an philosophischem Scharfsinne oder
Bequemlichkeit des rhetorischen Praktikers ist es, wemm Johannes den
ganzen Streit über die Gattungs- und Art-Begriffe als einen kindischen
bezeichnet, indem er sich dabei lediglich auf jene obige (Anm. 574 f.)
Wieldeutigkeit der Worle zurückzieht, da Gattung und Art sowohl das
Princip der Entstehung, d. h. die ontologische Basis der Dinge, als
auch das Aussagbare, d. h. den logischen Werth der allgemeinen Be
griffe, bedeuten können °°'). Und sowie er hiebei sieh auf des Boethius
Erklärung der lsagoge stützt, so ist es, wie sich zeigen wird (Amm. 602),
schliesslich auch wieder eine einzelne Stelle des Boethius, in welcher
die Ansicht des Johannes concentrirt vorliegt, so dass wir auch bei ihm
neuerdings einen Beleg vorfinden, wie sehr die ganze logische Bewegung
jener Zeit an herausgerissemen Aussprüchem der traditionellem Autorem
klebte. Wöllig ähnlich wie Abälard an Eine einzige Stelle die Doppelt
heit seiner Auffassung anknüpfte (Anm. 286), verhält sich das Ganze
aueh bei Johannes, insoferne er dem Universalien eine ontologische und
zugleich eine logische Geltung verleiht ; nur ist bei ihm die Verquiekung
der Standpumkte nicht bloss mammigfaltiger und abenteuerlicher, sondern
580) Ebend. III, 4, p. 132.: Quod dicitur ,,in toto esse alterum ultero** vel
,,in toto non esse“ et ,,universaliter aliquid de aliquo praedicari** vel ,,ab aliquo
removeri“ idem est (vgl. Anm. 16.). Frequens tamen usus est alterius verbi et alte
rius fere intercidit, nisi quatenus eae condicto interdum admittitur. Fuit fortasse
tempore Aristotelis utriusque usus celebrior, sed nunc prae altero viget alterum, qu0
niam ita vult usus. Sic et in e0, qu0d dicitur contingens, aliquatenus derogatum
est ei, quod apud Aristotelem obtinebat. (Vgl. Anm. 216.)
581) Ebend. 1, p. 116 f.: Se ad puerilem de generibus et speciebus .... incli- -
navit opinionem (d. h. Abälard) malens instruere et promovere suos in puerilibus,
quam in gravitate phil0s0ph0rum esse obscurior ..... ltaque sic Porphyrius legendus
est, ut sermonum, de quibus agitur, significatio teneatur et eae ipsa superficie
habeatur sensus verborum ..... Sufficiat ergo introducendo nosse, quia nomen generis
multipleæ est et a prima institutione significat generationis principium ..... , dehinc
translatum est ad significandum id, quòd de differentibus specie in quid praedicatwr
(über diese abgekürzte Terminologie s. Anm. 282.). . Item et species multipliciter
dicitur, nam ab institutione formam significat ...., hinc autem sumptum est ad sig
fificationem eius , quod de differentibus numero praedicatur (All dieses beruht auf
Boeth. p. 22. u. 57 f.) ..... Quid erg0 sibi volunt, qui .... quidquid aliud eæc0gi
tari p0test, adiiciunt ?.... Vocabulorum simpliciter aperiantur significationes, appre
hendatur illa, quae proposito congruit, per descriptiones certissimas etc.
Σ
246 XIV. Johannes v. Salesbury.
auch weit widerspruchswoller, als bei Abälard. . Nemlich Johammes spricht
nicht bloss gelegentlich als Theologe über die Begriffe der Substanz
und der Wesenheit in der memlichen Weise, wie wir diese Dinge bei
Pseudo-Boethius de trin. und bei Gilbert finden ***), sondern auch in
jener Schrift, welche der Logik gewidmet ist, äussert er ausdrücklich
seine Uebereinstimmung mit Plato's ontologischem Realismus, wornach
dem Intelligiblen das wahre Sein zukömmt, die concretem Dinge aber
nicht einmal des Verbums „esse“ würdig sind °°°). Und sowie er die
Unvergänglichkeit der Substanz und die fortdauermde Wirksamkeit der
Form als die reale Basis des Seiendem behauptet, dabei auf dem alt
überlieferten Satze „singulare sentitur, universale intelligitur“ fussend °°*),
so ist ihm auch Gilbert der Führer in Bezug auf die Begriffsbestimmung
der Natur und die formgebende Kraft des artmachenden Unterschie
des °°°), ja er bedient sich sogar des Wortes „forma nativa“ (vgl.
Anm. 467), und desgleichen fehlt auch der Begriff der Theilhaftigkeit
bei ihm ebensowenig als bei allem Realisten °°°); endlich selbst die
Auffassung der Individualität gestaltet sich auf eine Weise, dass wir
Gilbert's Unterscheidung zwischen dividua und individua (Anm. 479)
darim wiedererkennem °°7).
582) Epist. 169 (I, p. 270.): Quidquid autem subsistit , sine dubio in genere
vel in natura vel in substantia manet; quum ergo essentiam dicimus significare na
turam vel genus vel substantiam, intelligimus eius rei, quae in his omnibus semper
esse subsistat .... Quod si apud graecos ezpressam habent differentiam haec, quae
hic toties inculcata sunt, essentia, natura, genus, substantia,. eam eaepediri omnium
arbitror interesse quam plurimum.
583) Metal. IV, 35, p. 193.: Plato quoque eorum, quae vere sunt, et eorum,
quae non sunt sed esse videntur, differentiam docens intelligibilia vere esse asseruit.
• • • • • Unde et eis post essentiam primam recte competit esse, i. e. firmus certusque
status, quem verbum, si proprie ponitur, eæprimit substantivum; temporalia vero
videntur quidem esse, e0 quod intelligibilium praetendunt imaginem, sed appellatione
verbi substantivi non satis digna sunt, quae cum tempore transeunt, ut nunquam in
eodem statu permaneant, sed ut fumus evanescant; fugiunt enim, ut idem ait in
Timaeo (p. 49 E) nec eaespectant appellationem ..... p. 195.: Ideam vero .... sicut
aeternam audebat dicere, sic coaeternam esse negabat.
584) Enthet. v. 1013 f.: Nulla perire potest substantia, formaque formae Suc
cedens prohibet, qu0d movet, esse nihil. v. 1233 f.: Solis corporeis sensus carnalis
inhaeret, Res incorporeae sub ratione iacent.
585) Metal. I, 8, p. 26.: Est autem natura, ut quibusdam placet (hiemit ist
offenbar Gilbert gemeint, s. Anm. 461.), licet eam sit diffinire difficile, vis quae
dam genitiva rebus omnibus insita, eæ qua facere vel pati possunt; genitiva autem
dicitur, eo quod ipsam res quaeque contrahat a causa suae generationis et ab eo,
quod cuique est principium eæistendi ..... (p. 27.) Sed et unamquamque rem infor
mans specifica differentia aul -ab e0 est, per quem facta sunt omnia, aut omnino
nihil esl .... Esto ergo sic potens et efficaae, vis illa genitiva indita rebus origi
naliter.
586) Enthet. v. 395 ff.: Est idea potens veri substantia , quae rem Quamlibet
informat et facit esse, qu0d est; 0mne quod est verum, convincit forma vel actus,
Nec falsum dubites, si quid utraque caret. Forma suo generi quaevis addicta tene
tur Et peragit semper, quidquid origo iubet; Ergo quod in forma nativa constat
agitve, Quod natura manens in ratione manet, Esse sui generis verum quid dicitur
idque Indicat effectus aut sua forma probat. Polycr. III, 1, p. 162.: Implet autem
haec vita omnem creaturam, quia sine ea nulla est substantia creaturae; omne enim
quod est, eius participatione est id quod est.
587) Metal. II, 20, p. 105.: Ergo si genera et species a deo non sunt, omnino
XIV. Johammes v. Salesbury. 247
Aber mach solch umzweideutigem Aussprüchem staunem wir nun
billig, wenn Johannes darum, weil das Intelligible nicht universell sein,
sondern mur universell begriffen werden könne, dem Streit über die
Universalien für einen gegenstandslosen erklärt, in welchem man die
Substantialität eines Schattens oder eines flüchtigen Nebels zu erhaschen
suche °°°). Auch erhält für die Logik num Plato nebst Augustin und
allem Platonikern förmlich seimem Abschied, um dem Aristoteles Platz
zu machen, allerdings mit dem tröstlichen Zusatze, dass des Letzterem
Ansieht vielleicht wohl um Nichts wahrer, aber jedenfalls für die logi
schen Partien passender sei °°°). Sonach werden num alle Diejenigen
getadelt, welche in die Isagoge eine platonische Auffassung hineinlegen
oder anderweitig von Aristoteles abweichem, und mit der entschieden
sten Berufung auf den Ausspruch des Aristoteles, dass die Universalien
keine getrennte Existenz für sich habem, wird jede Ansicht, welehe von
einem Sein derselben spricht, von vorneherein abgewiesen °°°), und so
namentlich auch die Status-Lehre von diesem Gesichtspunkte aus be
kämpfi °°'). Sind wir aber nun in der That begierig, wie dieser Wider
spruch gegem das Worige sich lösen soll, so steigert sich vielleicht
unser Erstaunen noch von Schritt zu Schritt. Johannes stellt nemlich
wohl zunächst den Gedanken (intellectus) derartig in den Wordergrund,
dass er in fast wörtlicher Uebereinstimmung mit dem Verfasser De in
tellectibus nicht bloss das verbindemde und trennemde Denken (intellectus
nihil sunt; quod si unumquodque eorum ab ipso est, unum plane et idem bonu*m
est. Si autem quid unum numero est, protinus et singulare est; nam quod quidam
unum aliquid dicunt, non quod in se, sed quod multa vivat expressa plurium con
formitate, articulo praesenti non derogant ..... 0mnis namque substantia accidentium
pluralitate numero subest; accidens autem omne et forma quaelibet itidem numero
subiacet, sed non accidenlium aut formarum participatione, sed singularitate subiecti.
588) Polycr. VII, 27, p. 127.: Sicut in umbra cuiuslibet corporis frustra soli
ditatis substantia quaeritur, sic in his quae intelligibilia sunt dumtazat et univer
saliter concipi, nec tamen universaliter esse, queunt, solidioris eæistentiae substantia
nequaquam invenitur. In his aetatem terere nihil agentis et frustra laborantis est,
nebulae siquidem sunt rerum fugacium et, quum quaeruntur avidius, citius eva
mescunt.
589) Metal. II, 20, p. 112.: Licet Plato coetum philosophorum grandem et tam
Augustinum quam alios plures nostrorum in statuendis ideis habeat assertores, ipsius
tamen dogma in scrutinio universalium nequaquam sequimur, eo quod hic Peripateti
corum principem Aristotelem dogmatis huius principem profitemur .... Ei, qui Peri
pateticorum libros aggreditur, magis Aristotelis sententia sequenda est, forte non quia
verior, sed plane quia his disciplinis magis accommodata est.
590) Ebend. 19, p. 94.: Quasi ab. adverso petentes (nemlich die Erklärer der
Isagoge) veniunt contra mentem auctoris et, ut Aristoteles planior sit, Platonis sen
tentiam docent aut erroneam opinionem, quae aequo errore deviat a sententia Ari
stotelis et Platonis, siquidem omnes Aristotelem profitentur. 20, p. 94.: Porro hic
genera el species non esse, sed intelligi tantum asseruit (Anal. post. I, 11 u. 22,
s. Abschn. III, Anm. 66. u. Abschn. IV, Amm. 373.) ..... (p. 95.) Ergo si Aristo
teles verus est, qui eis esse tollit, inanis est opera praecedentis investigationis .....
Quare ab Aristotele recedendum est concedendo, ut universalia sint, u. s. f., s.
Amm. 70.
591) Ebend. 20, p. 102 f.: Sed esto, ut statum aliquem generalem appellativa
significent, .... status ille quid sit, in quo singula uniuntur et qui nihil singulorum
est, etsi aliquo modo somniare possim, tamen quomodo sententiae Aristotelis coapte
tur, qui universalia non esse contendit, non perspicuum habeo.
248 XIV. Johannes v. Salesbury.
coniungens et disiungens, s. Anm. 427) und hauptsächlieh vor Allem
die Kraft des Abstrahirens (int. abstrahens, s. Anm. 432) hervorhebt,
sondern auch mit Zurückweisung des Einwandes, dass das abstrahirende
Denken ein nichtberechtigtes (cassus, s. Anm. 429) sei, dem Denken
die Fähigkeit vindicirt, die Dinge anders zu betrachten, als sie im Con
creten sind (s. Anm. 432 f.), und hiedurch die Abstraetion als die Grund
bedingung aller geistigen Technik bezeichnet, wobei er sich. sowohl in
Uebereinstimmung mit Gilbert (abstractim attendere, s. Anm. 464) be
findet, als auch in Ausdrücken sich bewegt, welche wir bei der ln
differenz-Lehre trafen (generaliter intueri, diverso modo attendere, s.
Anm. 133 u. 137), und zugleich wieder mit dem Verfasser De gen.
et spec, in dem Begriffe des Sammelns der Aehnlichkeiten (s. Amm. 162 f)
zusammentrifft, ja unter dem Vorbehalte, dass es sich nur um die sub
jective Denkkraft handle und objectiv in der Natur die Universalien micht
existirem, sogar jenes Wortes sich bedient, welches in der von ihm
bekämpften Status-Lehre (s. Anm. 132) das übliche war °"*).
Laufen so in bunter Auswahl aus den Ansichten Anderer mehrere
Fäden in die Auffassung der subjectiven Denkoperation zusammen, so
soll nun umerwarteter Weise hiemit wieder der Gilbert'sche Realismus
in Verbindung kommen; nemlich Unkörperlichkeit sei mur negative Be
zeichnung der Universalien, hingegen mach ihrer positiven Grundlage
seien dieselben, wie überhaupt Alles, in eim Abhängigkeits-Verhältniss
zu Gott zu bringen ; Gott aber habe die geformte Materie geschaffen,
d. h. sämmtliche Formem, sowohl die substantiellen als auch die acci
dentellen (s. diess bei Gilbert oben, Amm. 461 f.) habem ihr Sein und
ihre Wirksamkeit von Gott, und so habe bei der Ausprägung der Dinge
eime Rücksicht auf Art-Begritfe obgewaltet, welehe hiemit der Logiker
592) Ebend. 20, p. 95.: Nec verendum, ut cassus sit intellectus, qui ea per
ceperit seorsum a singularibus, quum tamen a singularibus seorsum esse non possint.
Intellectus enim quandoque rem simpliciter intuetur, velut si hominem per se intuea
tur, .... quandoque gradatim suis incedit passibus, ut si hominem albere contempletur,
et hic quidem dicitur esse compositus. Porro simpleae rem interdum inspicit, ut est,
ut si Platonem attendat, interdum alio modo; nunc enim componendo, quae non sunt
composita, nunc abstrahendo, quae non possunt esse disiuneta ..... p. 96.: Ceterum
componens qui disiuncta coniungit (das Beispiel ist hircocervus), inanis est; abstra
hens vero fidelis et quasi quaedam officina omnium artium. Et quidem rebus eaei
stendi unus est modus, quem scilicet natura contulit, sed easdem intelligendi aut
significandi non unus est modus; licet enim esse nequeat homo, qui non sit iste vel
alius homo, intelligi tamen potest et significari ..... Ergo ad significationem incom
plezorum per abstrahentem intellectum genera concipiuntur et species, quae tamen si
quis in rerum natura diligentius a sensibilibus remota quaerat, nihil aget et frustra
laborabit, nihil enim tale natura peperit; ratio autem ea deprehendit substantialem
similitudinem rerum differentium pertractans apud se. Polycr. II, 18, p. 96.: Intel
lectus .... nunc quidem res ut sunt, nunc aliter intuetur nunc simpliciter nune com
posite, nunc disiuncta coniungit nunc coniuncta distrahit et disiungit .... p. 97.:
Si abstrahentem tuleris intellectum, liberalium artium officina peribit.... Sic hominem
intellectus attingit, ut ad neminem hominem aspectus illius descendat generaliter in
tuens, quod nonnisi singulariter esse potest .... Dum itaque rerum similitudines et
dissimilitudines colligit, dum differentium convenientias et convenientium differentias
allius perscrutatur, .... multos apud se rerum invenit status , alios quidem univer
sales alios singulares.
XIV. Johannes v. Salesbury. 249
nicht von Gott trennen dürfe, sondern kraft derem „die Dinge vorerst
in ihre Wesenheit und sodann in das mensehliche Denken eingiengen“ °°°).
In Folge dieser mystischen Causalität desjenigen, was Gilbert substan
tielle Form genannt hatte, kanm num Johannes sagen, die Substantialität
der Universalien gelte nur bezüglich des Erkenntnissgrundes (causa
cognitionis) und zugleich bezüglich des Entstehens der Dinge (natura),
denm jedes Wesen, welches in der Tabula logica auf einer je miedreren
Stufe stehe, bedürfe zu seinem Sein und zu seinem Gedachtwerden
eines anderem auf einer je höherem Stufe befimdlichen Wesens; aber
ein Sein haben die Universalien weder als Körper noch als Geister noch
als Einzel-Dinge °°*). So also glaubt der Anhänger Gilbert's ein Aristo
teliker sein zu können, und sowie er meint, er entgehe jener umnö
thigen Werdopplung der Wesenheiten (s. Absehm. III, Amm. 64), welche
eine Folge der platonischem Auffassung ist °°°), so sagt er auf das
Ausdrücklichste, dass die Universalien, welche den Dingen in ähnlicher
Weise zu Grunde liegen wie der unkörperliche Plan des Handelns den
simnlich wahrnehmbarem Handlungen zu Grunde liegt, eben ausschliess
kich nur in dem Einzel-Dingen gefunden werden, welch letztere als die
erscheinendem Exemplare (eaeempla) derselben sichtbar vorliegen, d. h.
Johannes vertritt — und er ist hierim der Erste, welcher diess thut
— entschieden die Auffassung der „universalia in re“ und bekämpft
sogar die platonische Ansicht der „universalia ante rem“, da es ausser
halb des Einzelnen kein Allgemeines gebe °°"). Da ihm aber dabei immer
593) Metal. II, 20, p. 103.: Sed et nomina, quae praemisi, ,,incorporeum“
et ,,insensibile** universalibus convenire, privativa in eis dumtaaeat sunt nec proprie
tates aliquas, quibus natura universalium discernatur, illis attribuunt, siquidem nihil
incorporeum aut insensibile universale est ..... Quid est autem incorporeum, quod
non sit substantia creata a deo vel ipsi concretum ?.... Valeant autem, imo disper
eant universalia, si ei obnoacia non sunt. 0mnia per ipsum facta sunt, utique tam
subiecta formarum quam formae subiectorum ..... Formae quoque tam substanliales
quam accidentales habent ab ips0 ut sint et ut suos in subiectis operentur effectus;
qu0d itaque ei obnoæium non est, omnin0 nihil est (hiezu unten Anm. 613.) .....
p. 104.: Ut enim ait Augustinus, formatam creavit deus materiam .... Eo spectat
illud Boethii in primo de Trinitate ,,omne esse eae forma est“ (Anm. 37.).... Cuili
bet ergo esse, quod est aut quale aut quantum est, a forma est ..... p. 105.:
Fundamenta iecit deus, et in ipsa eæpressione rerum habita est mentio specierum,
non illarum dico, quas logici fingunt non obnoæias creatori, sed formarum, in qui
bus res prodierunt primo in essenliam suam et in humanum intellectum demum, nam
hoc ipsum aliquid, quod coelum aut terra dicitur, formae effectus est.
594) Ebend. p. 97.: Quod autem universalia dicuntur esse substantialia singu
laribus, ad causam cognitionis referendum est singulariumque naturam (in ähnlicher
Weise hatte Scotus Erigena vom den Universaliem die Ausdrücke causaliter und
effectualiter gebraucht, Abschn. XIlI, Anm. 129.); hoc enim in singulis patet, si
quidem inferiora sine superioribus mec esse nec intelligi possunt ...... Quia ergo
tale eæigit tale et non eæigitur a tali tam ad essentiam quam ad notitiam, ideo
hoc illi substantiale dicitur esse ; idem est in individuis, quae eæigunt species et
genera, sed nequaquam eaciguntur ab eis ..... Universalia tamen , et res dicuntur
esse et plerumque simpliciter esse, sed non ob hoc aut moles corporum aut subtilitas
spirituum aut singularium discreta essentia in eis attendenda est.
595) Ebend. p. 98.: Itaque detur, ut sint universalia aut etiam ut res sint,
si hoc pertinacibus placet; non tamen ob hoc verum erit, rerum numerum augeri vel
ninui pro e0, quod ista non sunt in numero rerum.
596) Ebend.: Nihil autem universale est nisi quod in singularibus invenitur ....
250 XIV. Johammes v. Salesbury.
der Gilbert'sche Begriff der substantiellen Form vorschwebt, so istº es
erklärlich, dass er am jene aristotelischen Stellen sich hält, in welchen
Gattungs- und Art-Begriff als. etwas Qualitatives bezeichnet werden °°°).
In diesem qualificirenden Formen erblickt er die „Hand der Natur“,
welche die Dinge in die Formem einkleidete, damit der Mensch sie
leichter erfassen könne, und darum tritt mun die prima substantia des
Aristoteles, d. h. das Individuum, in den Wordergrund, von wo aus das
Demken für sich allein zu dem Allgemeinen der Art- und der Gattungs
Begriffe sich mittelst der Formgleichheit des Einzelnem (conformitas, s.
diesem Begriff bei Gilbert oben Anm. 474) in aufsteigender Linie er
hebt 598), und sowie Johannes hiebei wieder mit der Indifferenz-Lehre
zusammentrifft, so gebraucht er auch in dieser Beziehung selbst den
Ausdruck ,,conformis status“ °°°). So wird die Formgleichheit der
Nec- moneat, quod singularia et corporea exempla sunt universalium et incorporalium;
quum omnis ratio gerendi incorporea sit et insensibilis, illud tamen quod geritur et
actus quo geritur plerumque sensibilis sit (auch dieses erinmert an die Bedeutung,
welche Scotus Erigena in das Wort ,,agere“ legt, s. Abschn. XIII, Anm. 131.).
p. 108.: Habita tamen ratione aequivocationis, qua ens vel esse distinguitur pro
diversitate subieclorum, species et genera utrumque non sine ratione esse dicuntur.
Persuadet enim ratio, ut ea dicantur esse, quorum ezempla conspiciuntur in singu
laribus, quae nullus ambigit esse. Non autem sic dicuntùr genera et species exem
plaria singulorum, ut iuacta Platonici dogmatis sensum formae sint eæemplares, quae
in mente divina intelligibiliter constiterint, antequam prodirent in corpora (diess ist
die Stelle Priscian's, s. Anm. 263.), sed quoniam, si quis eius, quod communiter
concipitur audito hoc nomine ,,homo“ aut quod definitur, cum dicitur homo esse ani
mal rationale mortale, quaerat ezemplum, statim ei Plato aliusve hominum singulorum
ostenditur, ut communiter significantis aut definientis ratio solidetur.
597) Ebend. p. 100.: Item Aristoteles, genera, inquit, et species circa sub
stantiam qualitatem determinant (Cat. 5, s. Abschn. IV, Anm. 476.) .... item in
Elenchis (c. 22, bei Boeth. p. 750. in etwas abweichender Uebersetzung, s. Anm.
34.) ,,homo et omne commune non hoc aliquid, sed quale quid vel ad aliquid aliquo
modo vel huiusmodi quid significat“ et post pauca ,,manifestum, quoniam non dan
dum, hoc aliquid esse, quod communiter praedicatur de omnibus, sed aut quale aut
ad aliquid aut quantum aut talium quid significare“. Profecto quod non est hoc ali
quid, significatione eaepressa non potest eaeplanari quid sit.
598) Polycr. II, 18, p. 98.: Et primo substantiam, quae omnibus subest, acu
tius intuetur (sc. intelleclus), in qua manus naturae probatur artificis, dum eam
variis proprietatibus et formis quasi suis quibusdam vestibus induit et suis sensuum
perceptibilibus informat, qu0 aplius possit humano ingenio comprehendi. Quod igitur
sensus percipit formisque subiectum est, singularis et prima substantia est ; id vero,
sine quo illa nec esse nec intelligi potest, ei substantiale est et plerumque secunda
substantia nominalur .... Universale, si, licet non natura, conformitate tamen sit
commune multorum, quod forte facilius in intellectu, quam in natura rerum, poterit
inveniri, in quo genera et species, differentias, propria et accidentia, quae univer
saliter dicuntur, planwm est inveniri, quum in actu rerum substantiam universalium
quaerere eæiguus fructus sit et labor infinitus, in mente vero uliliter et facillime
reperiuntur. Si enim solo rerum numero differentium substantialem similitudinem
quis mente pertractet, speciem tenet; si vero etiam specie differentium convenientia
menti occurrat, generis latitudo mente diffunditur; denique dum rerum, quas natura
substantialiter vel accidentaliter assimilavit, conformitatem percipit intellectus, uni
versalium comprehensione movetur ..... p. 99.: Numquid abstrahens intellectus, dum
haec agit, otiosus est aut inutilis, per quem animus honestarum artium gradibus
ad thronum consummatae philosophiae conscendit?
599) Enthet. v. 849 ff.: Est individuum, quidquid natura creavit, Conformisque
XIV. Johannes v. Salesbury. 251
Dinge mit der Gemeinschaftlichkeit des Gedankems (intellectus commu
nitas, communiter intelligi) in unmittelbare Verbindung gebracht°°°),
die Universalien selbst aber als solche lediglich in die Erkenntnissweise
(modus intelligendi, was selbst mit der Lehre von der maneries über
einstimmt, s. Amm. 88) verlegt, wornach sie „figürliche“ und nur der
„Doctrin“ angehörende Worte (auch die. Nominalisten hattem von figura
locutionis gesprochen, s. Anm. 81) oder kurzweg „Figmente“ genannt
werden, welche zu den Einzel-Dingen in dem Wechselverkehre des
Zeigens und Gezeigtwerdens stehen und darum von Aristoteles füglich
als „monstra“ (— monstrare —) bezeichnet werden konnten “0!).
Diese Auffassung der Universaliem aber ist mum allerdings so dehn
bar, dass Johannes in den Begriff des Figmentes auch das psychologi
sehe Erfassen der Urbilder (eaeemplaria), welehe in mystischer Weise
aus den Dingen (eaeempla) auf die Seele wirken, verlegen kann und
hiebei seinen eklektischen Synkretismus deutlich genug ausspricht, in
dem er neben jenem nominalistischen Anklange die Universalien mit
einem am Scotus Erigena (s. umten Amm. 613) erinnernden Ausdrucke
als psychologische Erzeugnisse (phantasiae) bezeichnet, hiemit aber zu
gleich die stoisch-ciceronische Auffassung verbindet, wormach dieselben
subjective Begriffe (§vvouov, notiones, s. die oben Anm. 64 angeführte
Stelle) sind, und ausserdem noch sehr merklich an den Platonismus
hinüberstreift oder wenigstens mit Gilbert übereinstimmt, insoferne auch
ihm die Universalien als die aus den Aelanlichkeiten der Einzel-Dinge
hervorleuchtenden Spiegelbilder einer ursprünglichem ideellen Reinheit
gelten, womit schliesslich noch der Aristotelismus sich vermischt, da
diese Phantasie- Gebilde eben keine von den Einzeldingen getrennte
Existenz besitzen, sondern, wenn man sie so festhalten wollte, wie
Schatten oder Traumbilder entschwinden °0*). Wenn es mun in der
status est rationis opus; si quis Aristotelem primum non censet habendum, Non red
dit meritis praemia digna suis. -
600) Metal. II, 20, p. 98.: Ergo quod mens communiter intelligit et ad singu
laria multa aeque pertinet, quod voae communiter significat et aeque de multis verum
est, indubitanter universale est. p. 107.: Secundum intellectum illum deliberari potest
de re subiecta, i. e. actualiter eaeemplificari ob intellectus communitatem, et res,
quae sic intelligi potest, etsi a nullo intelligatur, dicitur esse communis; res enim
sibi conformes sunt, ipsamque conformitatem deducta rerum cogitatione perpendit
intellectus.
601) Ebend. p. 107.: Ergo dumtaaeat intelliguntur secundum Aristotelem uni
versalia, sed in actu rerum nihil est, quod sit universale ; a modo enim intelligendi
` figuralia haec et licenter quidem et doctrinaliter nomina indita sunt. p. 108.: Ergo
ea sententia Aristotelis genera et species non omnino quid sit, sed quale quid quo
dammodo concipiuntur et quasi quaedam sunt figmenta rationis se ipsam in rerum
inquisitione et doctrina subtilius eaeercentis ..... Possunt et monstra dici (in Bezug
auf die bekannte antiplatonische Stelle des Aristoteles, s. dieselbe oben Anm. 31.),
quoniam invicem res singulas monstrant et monstrantur ab eis. III, 3, p. 127.:
Ea vero, quae intelliguntur a singularibus abstracta, .... animi figmenta sunt, ....
quae eae conformitate singularium intellectu non casso concipiuntur.
602) Ebend. II, 20, p. 96.: Sunt itaque genera et species non quidem res a
singularibus actu et naturaliter alienae, sed quaedam naturalium et actualium phan
tasiae (auch dieses Wort findet sich gleichfalls — vgl. Anm. 594. u. 596. —
bei Scotus Erigena, s. Abschn. XIII, Amm. 125.) renitentes intellectui de similitu
252 *. XIV. Johannes v. Salesbury.
That kaum möglich scheint, mehr Widersprüche aufeinander zu häufen,
als hier sich zusammenfinden, so müssen wir uns freilich daran erin
nern, dass Johannes Akademiker zn sein behauptete, und ihm der Vorzug
der aristotelischen Speculationsweise nicht so fast in der Wahrheit der
selben, sondern nur in einer gewissen Angemessenheit zu liegen schien
(Amm. 589). Keinemfalls aber darf es uns wumderm, wenn num auch
die oben (Anm. 598) sehr betonte „individuelle Substanz“ des Aristo
teles neben aller Berufung auf den Grumdsatz, dass das der Natur mach
Spätere für den erkennendem Menschen das Frühere ist, dennoch unter
den Händen des Johannes in eine sehr unaristotelische Wemdung hin
übergelenkt wird; denm derselbe denkt auch hiebei nur an jenen Crea
tions-Process, welchen Gilbert bis zur Individualität (nicht-bis zum In
dividuum) fortgesetzt hatte (Amm. 462), und in solchem Sinne stellt er
den Begriff des Individuums den Gatlungs- und Art-Begriffen völlig
gleich °"*), — eine Auffassumg, welche uns daran erimnert, dass sebon
Abälard das „individuum“ gewissermaassen zu den Universalien zählen
wollte (s. Anm. 278). Ja, während Johannes gesagt hatte, in der
Logik sei Aristoteles der Führer, stumpft er vermöge seimer rhetoriseh
stoischen Auffassung der Universalien sogar jenes Partei-Schibolet ab,
welches stets die Aristoteliker den Platonikern entgegenhielten, nemlich
den Satz „res de re non praedicatur“ (s. Anm. 132 u. 287), demm er
meint, wenn auch nicht das Ding selbst als solehes in den Urtheilen
sich befinde, so werde doch in dem Prädicate das Ding bezeichnet,
und auf solche Weise hebe die obige duldsame Auslegung, d. h. die
Methode des Indifferentismus (Amm. 574 ff.) auch über diese Schwierig
keit hinweg ""*). Zuletzt ja erklärt er sieh in Erwägung der Wieldeu
dine actualium tanquum in speculo nativae puritatis ipsius animae , quas graeci
èyvotc.s sive εἰxovoq ανέας appellant, h. e. rerum imagines in menle apparentes
(s. Abschn. VIlI, Anm. 37. u. in Bezug auf Gilbert ob, Anm. 482., die Hauptstelle
aber des Boethius ob. Anm. 64.); anima enim quasi reverberata acie contemplationis suae
in se ipsa reperit, quod diffinit, nam et eius eaeemplar in ipsa est, eaeemplum vero in
actualibus ..... p. 97.: Illa ilaque eaeemplaria cogitubilia quidem sunt et quasi phan
tasiae et umbrae eæistentium secundum Aristotelem, quas si quis apprehendere nititur
per eæistentiam, quam habent a singularibus separatam, velut somnia elabuntur.
603) Ebend. p. 109.: Quae autem communiora sunt, et priora quidem simpli
ciler, nam et in aliis inlelliguntur; quae vero singularia, posteriora ; sed plerum
que, quae naturaliter priora sunt, et notitia simpliciter ignotiora sunt nobis, namque
solida magis familiariora sunt sensibus, quae vero subtiliora, longius absunt (Arist.
Anal. post. I, 2, s. Abschn. IV, Anm. 74.)... Sunt itaque genera et species eaeen
plaria singulorum, sed hoc quidem magis ad rationem doctrinae, si Aristoteles verus
est, quam ad causam essentiae. Procedit et haec monstruosa, ut licentius loquar,
figmentorum speculatio usque ad ventilationem 'singularium ..... Quum enim Plato
esse m0n p0ssit informis et eæpers loci aut temporis, eum ratio quasi nudum de
duclo respectu quantitatis et qualitatis aliorumque accidentium simpliciter intuetur et
individuum nominat; sed et hoc utique doctrinalis instantiae et subtilioris agitationis
figmentum est; nihil enim tale in rebus occurrit, tale quid tamen fideliter, intelli
gitur. -
604) Ebend. p. 111 f.: Hoc ipsum ergo quod dicitur ,,praedicari**, ab gd
iumctis plures significandi contrahit modos .... Nam quum sermo de sermone iungi
bilitatem quandam terminorum verae , affirmationis innuit, . quum de re sermo diciiur
praedicari, ostenditur, quod ei talis nuncupatio aptatur. Rem vero de re praedicari
XIV. Johannes v. Salesbury, 253
ligkeit der Worle auch noch damit einverstandem, dass mam die Univer
salien selbst Dinge menmen könne °°°), wobei wir allerdings aus dieser
aussersten wissenschaftlichen Gleichgültigkeit dem, Eindruck empfangen,
als sei es überhaupt nicht der Mühe werth gewesen, uns um die Ein
sicht in die Meinung des Johannes bezüglich der Universaliem so sehr
zu bekümmern. -
Nach dem Bisherigem, was über den allgemeinem logischen Stand.
punkt des Johannes sowie über seine Stellung zu der hauptsächlichsten
Partei-Controverse anzugeben war, ist won vornelierein nicht zu erwartem,
dass er in den übrigem Haupttheilem der Logik, obwohl ihm auch die
Kenntniss der Analytiken zu Gebot stand, eigentlieh einen förderlichen
Einfluss ausgeübt habe; und es sind auch im Ganzen nur wenige ein
zelne Punkte, welche wir hervorheben müssem.
Was hiemit zunächst die Kategorien betriffi, so tritt erklärlicher
Weise hier wieder mehr die Auffassung des Gilbert in den Wordergrund,
und es , stimmt völlig mit demselben überein, wenn Johannes diesen
Zweig der logischen Erörterungen, welchen er als „praedicamentalis
inspectio* bezeichnet, hauptsächlich in die Erwägung des Was (quid)
und der qualitativen Bestimmtheit (proprietates, vgl. Anm. 459) und der
Gegensätzlichkeit verlegt, wobei er die Beschränkung auf das Natürliche,
d. h. auf dasjenige, was Gilbert (Anm. 464) nativum genannt hatte,
einhält "°°). Hiemit aber verbindet sich ihm der Standpunkt Abälard's
(s. Anm. 272), dass in den Kategorien es sich um die einfachen unver
bundemen Sprachausdrücke handle, insoferne dieselben an sich ,,be
zeichnend“ sind """). Die Erörterungen über univocum, aequivocum
u. dgl. nennt er, hierin dem Isidorus folgend, Werkzeuge def Katego
riem °°°), und es liegem ihm dieselben wegen seiner stetem Berück
interdum notat , quoniam hoc est hoc, ut puta Plat0 h0m0, interdum quoniam hoc
participat hoc, utpote subiectum accidente. Nec erubesco confiteri, quod res de re
praedicetur in propositione, etsi res in propositione non sit, quum hoc in mente
mihi versetur, qu0d res significetur praedicato termino verae affirmationis, cuius sub
iecto aliqua de re agitur aut res aliqua significatur. Itaque non adversandum litterae ,
arbitror, sed amicandum eique mos gerendus est in admittenda licentioris verbi in
differentia.
605) Ebend. p. 112.: Sed et rei nomen latius pateat, ut possit universalibus
convenire, quae sic auctore Aristotele intelliguntur abstracta a singularibus, ut tamen
esse non habeant deductis singularibus. So erklärt sich dann freilich der aben
teuerliche Ausdruck ,,res praedicamentalis“, Anm. 574.
606) Ebend. IV, 30, p. 187.: Est autem praedicamentalis inspectio et prima
fere philosophandi via, de qualibet re proposita quid sit attendere, itemque quibus
proprietatibus ab aliis differat et quomodo aliis conformetur, deinde an sit ei quid
contrarium et an ipsum susceptibile contrariorum ; quae quum innotuerunt, res fami
liarius assignata in notitiam transit. Polycr. IV, Prol. p. 218.: Est ergo primus
philosophandi gradus, genera rerum proprietatesque discutere, ut quidquid in singulis
verum sit, prudenter agnoscat. Ebend. II, 22, p. 121.: Denique apud philosophos
cautum est, talia manere praedicata, qualia subiecta permiserint, omniumque prae
dicamentalium vim et proprietatem naturalium finibus limitari.
607) Metal. III, 2, p. 119.: Categoriarum liber Aristotelis elementarius est et
accedentis ad logicam quodammodo infantiam eaecipit; tractat enim de sermonibus in
compleaeis in e0, quod rerum significativi sunt, qu0 nihil prius est apud dialecticum.
Vgl. hingegen Amm. 578. -
608) Ebend.: Univocorum quoque et denominativorum adeo necessaria est cogni
254 XIV. Johannes v. Salesbury.
sichtigung der Wieldeutigkeit der Worte ganz besonders am Herzen,
obwohl er wie wir sahem (Amm. 577), durch seinen Indifferentismus
gerade auch diese Begriffe abschwächte oder verwischte; das multi
vocum und diversivocum will er überhaupt lieber der Grammatik zu
weisen °°°). Jene „Bezeichnung des Unverbundenen* (significatio in
compleacorum) soll durch zwölf Fragem zur Erkenntniss gelangen, deren
erste das ,,0b“ ist, worauf zehm Fragen entsprechend den Kategorien
folgen, und als zwölfte das „Warum“ den Schluss macht; letztere je
doch fällt in ihrer Beantwortung dem göttlichen Wissem anheim und
geht somit über die Philosophie hinaus, welche sich mit den ersten
elf begnügt, wovon die erste wieder nicht zur Logik gehört; indem
aber die Logik den Umkreis des Gewordenem (d. h. Gilbert's nativum)
durchforscht, findet sie für ihre zehn Fragen die zehn Kategorien vor,
welche als Sprachausdrücke für das in den concreten Dingen Werfloch
tene (Ann. 469) „ausgedacht“ sind, und so haben die zehn „genera
praedicabilium“ völlig gleichmässig in den Aussagen und in den Dingen
(sive in sermonibus sive in rebus) ihren Umkreis °'°). Während so
die Hauptfrage dem Johannes auch hier wieder gleichgültig ist, legt er
ein grösseres Gewicht auf jenen Einen Beispiel-Satz, in welchen Alcuin
alle zehn Kategorien gebracht hatte °14), und entscheidet sich auch darin
für Gilbert's Auffassung (Anm. 481 f.), dass er selbst einer aristoteli
schen Slelle gegenüber die Behauptung festhält, dass sämmtliche Kate
gorien nur zur Erkenntniss des Wesens, d. h. des „Was“, dienem °1*);
tio, ut haec tria, scilicet aequivoca, univoca et denominativa, asserat lsidorus
categoriarum instrumenta (s. Abschn. XIlI, Anm. 32.).
609) Ebend. 3, p. 123.: Multivoca et diversivoca, quae Boethius adiicit (s.
Abschn. XII, Anm. 88.), magis ad grammalicam pertinent.
610) Ebend.: Incompleacorum significatio innotescit ..... Primo quidem nosse
de aliquo, an sit, deinde, quid, quale, quantum, ad quid, ubi, quando sit, qu0
modo silum, quid habeat, faciat, patiatur; novissima speculatio est in singulis,
quare sit, et quae iam non modo ad angelicam perfectionem, sed ad divinae maie
statis praer0gativam accedit .... (p. 124.) Cumulus itaque scientiae in hoc duode
nario solidatur; investigatio philosophica undenarii sobrietate contenta est;.... porro
logicus decem institutionis suae elementa cognoscit ..... Sed quia naturalium prima
est inquisitio, in ipsa primo decem praedicamenta formata sunt eaccogitatique serm0
nes, quibus de his, quae primo occurrunt sensui aut intellectui, qualia sint c0rp0ra
aut spiritus, quid, quantum et quale esset, aut secundum ceteras quaestiones natu
raliter procedentes, declaretur unumquodque eorum; unde et praedicamenta dicta
sunt, sive in sermonibus sive in rebus, decem genera praedicabilium, quae sic ad
singulares individuasque substantias applicantur.
611) Ebend. p. 126 f. : -Isidorus, Alcuinus et quidam alii sapientum ......
sententiam plenissimam praedicamentorum absolutione perficiunt, ut in hoc eorum
patet ezemplo, s. Abschn. XIII, Anm. 57.
612) Ebend. p. 126.: 0mnia ergo genera speciesque substantiarum et qualita
tum aliorumque primo ingerunt praedicamento, quoniam appositione generis speciei
primae satisfit quaestioni, i. e. declaratur de aliquo, quid ipsum sit .... Hoc quidem
ab Aristotele videtur alienum; ait enim: nun folgt die oben Abschn. IV, Anm.
324. angeführte Stelle Top. I, 9 in einer von Boethius (p. 666.) etwas abweichen
den Uebersetzung (s. Anm. 34.); hierauf: Equidem non hic videtur auctor eaepri
mere, quod in eodem praedicamento, etsi eundem modum habeant praedicandi, sint
omnia genera, aut quod novem genera accidentalium rerum non praedicentur de sub
stantiis, aut quod eodem modo praedicentur de subiectis et de contentis suis.
XIV. Johannes v. Salesbury. 255
ja für die Gilbert'sche Annahme (Anm. 462 u. bes. 479), dass die in
dividuellem Bestimmtheiten die Totalität der Substanz betreffem, beruft
er sich sogar auf den Dionysius v. Areopag, d. h. auf Scotus Eri
gena "*°). Indem er aber, wie gesagt, die ontologische und die logi.
sche Seite völlig naiv parallelisiri, bringt er jene Werflechtung der con
creten Dinge, gleichfalls wie Gilbert (Anm. 472), in eine Verbindung
mit der Grammatik, indem die Substanz dem Substantivum, die übrigen
Kategorien aber als Ingredienzem der Eigenthümlichkeiten dem Adjec
tivum entsprechen sollem, und wegen der auf alle concreten Wesen
sich erstreekenden Kategorie des Thums und Leidens oder der Bewegung
(Amm. 464 u. 489 f.) sich nothwendiger Weise das Werbum ein.
stellt 614).
In der Lehre vom Urtheile, für welche Gilbert's Ontologie Nichts
darbot, schliesst sich Johannes offenbar theilweise an Abälard am, denn
er spricht nicht bloss wie Jener (Anm. 314 ff.) von dem weehselsei
tigen Erwecken .der Gedanken durch die Rede "'°), sondern insbeson
dere gilt aueh ihm (vgl. bei Abälard Anm. 330 u. bes. 382) das Wahr
sein und Falsch-sein als eine blosse Modalität, welche bei den Dingen,
bei den Gedanken, und bei den Aussagem eintrete "'"). Hingegém he
613) Ebend. II, 20, p. 106.: Sic et quodlibet accidens in toto sui subiecto est
totaliter, sed totius partialiter, si pro parle, et quodlibet subiectum accidentis sui
'limilibus coaequatur; hoc idem de generibus et speciebus protestari non vereor; quin
mundo reclamante dicam, quoniam a deo sunt aut omnino nihil sunt (s. Anm. 593.);
clamat mecum et Dionysius Areopagita et numerum, quo discernuntur, pondus quo
statuuntur, mensuram qua diffiniuntur omnia, dei dicit imaginem (vgl. Abschn. XIII,
Anm. 139 f.). Andere Anklänge aus Scotus Erigena s. oben Anm. 602.
614) Ebend. I, 14, p. 36.: Substantiis omnibus sua quasi impressa sunt no
mina ; sed quoniam ipsarum multae sunt differentiae, aliae quidem a quantitate, aliae
a qualitate, aliae a variis accidentium formis, item aliae ab his quae familiariora
sunt et ad esse conducunt; idcirco quibus hoc designaretur, nomina sunt inventa,
quae possent adiici substantivis et eorum vim et naturam quodammodo depingerent.
• • • • • Sicut enim accidentia substantiam vestiunt et informant, sic quadam propor
tionè rationis ab adiectivis substantiva informantur .... Pro eo, quod substantia, quae
sensui aut rationi obiicitur, sine motu, quo agendo vel patiendo aliquid temporaliter
movetur, esse n0n p0test, ide0 ad designandos motus corporales agentis aut patientis
eaecogitata sunt verba.
615) Enthet. v. 497 ff.: Aer subtilis, quem guttur format et oris 0rgana, qui
sonitu possit ab aure capi, V0æ est, quae reserat uni, quid c0gitet alter, Inque
vicem reddit pervia corda sibi. Metal. I, 19, p. 49.: Sermo institutus est, ut eae
plicet intellectum. -
616) Melal. IV, 33, p. 190.: Locutio, quae vera dicitur, a modo, quem innuit,
modalis appellatur; item opinio vera a modo percipiendi et ratio vera a qualitate
eacaminis sui; 'res quoque singulae verae dicuntur, .... dum in his taliter percipien
dis nullius imaginis phantasmate circumveniatur opinio. Ebend. 36, p. 196.: Si
enim rem sic esse ut est, aut non esse ut non est, comprehendit (sc. intellectus)
iudicio certo et fideli usus est; sin autem vel non esse qu0d est, vel esse quod non
est, opinatur, procul dubio fallitur et errat; idem quoque est in sermonibus; res
autem, quae se ipsam , pr0ut est, inlellectui subiicit, vera est; quae aliter, vana
et falsa. Ergo a m0d0 percipiendi .... convincitur veritas aut falsitas tam opinionum
quam rerum, sermonum vero a modo significùndi. Enthet. v. 405 ff.: Hinc aliud
verum rerum conneacio monstrat, Quam sine compositis nem0 videre potest; Est in
tellectus verus, quia concipit ipsam; Sicque tripleæ veri dictio rebus inest; Est sermo
verus, quotiens designat eandem, Si se res habeant, ut data verba ferunt.
256 XIV. Johannes v. Salesbury.
züglich des sog. umbestimmtem Urtheiles (vgl. Amm. 351) nimml er den
Standpumkt ein, dass dasselbe für das Erkennem untauglich sei °4').
Jene Urtheilsformen, welche der Grammatik angehören und ums oben
(Amm. 207) unter dem Namen „materialiter imposita“ begegnetem, be
zeichnet er als „secunda impositio*"'°), und er warnt bei dieser Ge
legenheit vor dem logischen Missbrauche, welcher mit solchen Urtheilen
durch sophistische Witze gemacht werdem kann, dabei die Probe eines
absichtlich gebildeten unsinnigen Satzes , gebend"4°). Bemerkenswerth
ist, dass er ebendort die „Syncategoreumata“ (s. Anm. 174, 206, 348)
erwähnt, jedoch im einer Weise, wormach er nicht geneigt scheint,
denselbem für die Logik eine Bedeutung zuzugestehen, da er sie eben
jenem grammatischem Bezeichnungen gleichstellt, welche als blosse se
cunda impositio nicht leicht wieder auf den primären dinglichem Sinn
zurückangewendet werden können "*"). -
Aus dem Gebiete der Topik mag etwa erwähnt werden, lass Jo
hammes in den Erörterungen des Aristoteles über dem Gattungsbegriff
eine Ergänzung und Berichtigung der Angabem des Porphyrius erbliekt °*'),
sowie dass er im Hinblicke auf die maacimae propositiones (s. Abschm.
XII, Anm. 138) ähnlich wie Boethius die Festigkeit des mathematischen
Beweis-Verfahrens hervorhebt ***).
In der ersten Analytik findet er nicht bloss bei dem Formen des
kategorischen Schlusses eine Unvollständigkeit, welche durch Spätere
gehoben worden sei (Abschn. XII, Anm. 136), sondern sagt auch be
züglich jener Schlüsse, welehe aus Combinationem kategorischer Urtheile
617) Metal. II, 20, p. 101.: 0mnis itaque dictio, quae .... non satis proprie
ponitur aut certo et sua ratione definito innititur subiecto; alioquin suo privabitur
officio, quum ratio cognitionis certitudinis finem quaera* aut teneat.
618) Ebend. I, 15, p. 37.: Procedat ratio ad secundae impositionis originem.
.... Rebus itaque quum nomina primitus essent imposita, reversus ad se animus im
ponentis ipsis nominibus vocabula indidit, per quae sermonum doctrina procederet.
- - - - - Ergo dictum est nomen substantivum, ..... adiectivum, .... verbum.
619) Ebend. p. 40.: Abusio est, si quis dicat ,,equus desinit in S** et simi
lia; item ,, Cato sedens inter Janiculum et calendas Martias (es erimmert diess un
willkürlich an dem Wolkswitz der Augsburger: „Zwischen Pfingsten und dem Klinker
Thor**) vestes populi Romani quaternario aut senione resarcit“ aut sermo non est aut
quovis sermone nugatorio corruptior.
620) Ebend. 16, p. 43.: Et quidem, quae a rebus sumptu sunt, ad res redire
possunt, sed quae inventa sunt, ut verborum indicent qualitatem, non eadem c0mm0
ditate vel usu devocantur, ut rerum indicent qualitatem; videntur enim aliquid habere
simile cum his generibus verborum, quae graece syncategoremata appellantur, e0 quod
sicut illorum ab adiunctis aut est aut perpenditur significatio, sic ista originis suae
sociata sermonibus suum commode eaccitant intellectum, alio vero traducta velut na
turali vigore destituta evanescunt vel absona sunt.
621) Ebend. III, 7, p. 140.: Hoc tamen ab Aristotele (Top. IV, 1—6.), qu0
niam Porphyrius, quem parvuli sequuntur, aliud docuit, adiiciendum puto, quoniam
sicut genus univoce et non denominative, sic nec secundum quid praedicatur; unde
constat, corpus non esse genus animalis ..... Sed minutiores philosophi cum Por
phyrio vulgi sequuntur opinionem, qui fere id solum consuevit approbare, quod sen
sibus patet. -
622) Polycr. VII, 7, p. 103.: Sic et geometriae primo petitiones quasdam quasi
totius artis iaciunt fundamenta, deinde communes animi conceptiones adiiciunt, et
sic quasi acie ordinata ad ea, quae sibi sunt demonstranda, procedunt.
XIV. Johammes v. Salesbury. 257
mit Nothwendigkeits- umd Möglichkeits-Urtheilem bestehen (Abschm. IV,
Anm. 558 ff.), dass dieselben von Aristoteles nicht erschöpfend darge
stellt seien, und hiemit noch für Andere hier eine Thätigkeit übrig
bleibe, welche jedoeh für das bestehende praktische Bedürfniss der
artiger Schlussweisen praktisch Bequemeres liefern solle “28), — ein
Gerede, welches auch seinerseits selbst auf obige benigna interpretatio
Anspruch machen zu müssem scheint. Aehnlich spricht er sich über
die hypothetischen Schlüsse aus, welche vielleicht Aristoteles wegen
ihrer Schwierigkeit absichtlich weggelassen habe; doch sei mebem , einer
Hinweisung auf diese Syllogismen, welche schon in der Topik vorliege,
insbesondere Eine Stelle der Analytik die Weranlassung gewesen, dass
Boethius und Andere die Lücke ergänztem, obwohl , auch durch diese
moch nicht die wahre Vollständigkeit erreicht worden sei °**). Dass
Johannes auch bei der Analytik nur den praktischen Zweck der Argu
mentation im Auge hatte, zeigt sich bei seiner Erwähnung der petitio
principii "*°), sowie einiger anderer technischer Momente, unter welehen
er für das Werfahren des Gegenheweises die Terminologie „catasyllo
gismus“ wählt °*"). Aus der zweiten Analytik kommte er die Kenntniss
623) Metal. IV, 4,^p. 160.: Trium figurarum subnectit rationes (sc. Aristoteles)
. et qui modi in singulis figuris eæ compleacione eætremitatum proveniant, docet,
data quidem semente rationis eorum, quos sicut Boethius asserit (die Stelle ist oben
Abschn. W, Anm. 46. angeführt) Theophrastus et Eudemus addiderunt. Deinde ha
bita m0dalium ratione transit ad commiactiones, quae de necessario sunt aut contin
genti, cum his quae sunt de inesse .... Nec- tamen dico, ipsum Aristotelem alicubi,
quod legerim, nisi forte quod ad propositum, de modalibus sufficienter egisse , sed
procedendi de omnibus fidelissimam scientiam tradidit; eaepositores vero divinae pa
ginae rationem modorum pernecessariam esse dicunt .... Et profecto licet nullus
Imodos omnes, unde modales dicuntur, singulatim enumerare sufficiat, quod quidem
nec ars eæigit, tamen magistri scholarum inde commodissime disputant et, ut pace
multitudinis loquar, Aristotele ipso commodius. Vgl. Anm. 220.
624) Ebend. 21, p. 177.: Dialecticam et apodicticam .... praecedentia docent.
In iis tamen de hypotheticis syllogismis nihil aut parum est actitatum, seminarium
tumen datum est ab Aristotele, ut ei istuc per industriam aliorum possit esse pro
cessus: Quum enim tam probabilium quam necessariorum loci monstrati sint, osten
sum est, quid eæ quo sequatur probabiliter aut necessario, quod quidem ad hyp0
theticorum iudicium maæime spectat .... Praeterea Boethius (De syll. hyp. p. 609.)
hoc pro seminario inveniendorum dicit acceptum, quod Aristoteles ait in Analyticis
(s. oben Anm. 522.) ,,idem quum sit et non sit, non necesse est idem esse.“ Ergo
ipse et alii (s. Abschn. XII, Anm. 139.) aliquatenus suppleverunt imperfeclum Ari
stotelem in hac parte, sed quidem ut mihi visum est, imperfecte. (Inwieweit Letz
teres richtig sei, s. ebend. Anm. 155. u. 163.) .... Sed forte ab Aristotele de in
dustria relictus est hic labor, eo quod plus difficultatis quam utilitatis videtur habere
liber illius, qui diligentissime scripsit; profecto si hunc Aristoteles more suo eaese
queretur, verisimile est, tantae difficultatis fore librum, ut praeter Sibyllam intelligat
nemo. Nec tamen hic de hypotheticis satis arbitror expeditum, supplementa vero
scholarum perutilia et necessaria sunt. -
625) Ebend. 5, p. 161.: Adiicit (Anal. pr. II, 16., s. Abschn. IV, Anm. 628.)
et regulam petitionis principii, quae speculatio tam demonstratori quam dialeclico
satis accommodata est, licet hic probabilitate gaudeat, ille veritatem dumtaacat am
plectatuf.
626) Ebend. p. 162.: Sequitur de causa falsa conclusionis, ut catasyllogismi
(so ist auch wirklich in der Üebersetzung des Boethius p. 516. das betreffende
Capitel überschrieben, Anal. pr. II, 19., s. Abschm. IV, Anm. 631.) et elenchi (ebend.
Anm. 632.) et de fallacia secundum opinionem (ebend. Anm. 634 f.) et de conver
PR A NT l, Gesch. II. 17
258 XIV. Johannes v. Salesbury. Alanus v. Lille.
der sog. vier aristotelischen Principien schöpfen "*"), und ausserdem
wurde auch er auf die erkenntniss-theoretischen Fragen geführt, welche
er jedoch weit schlechter erörtert als der Verfasser De intellectibus
(Amm. 418 fl.), denn auf einen noch ziemlich aristoteliseh klingendem
Anfang, welcher die Sinneswahrnehmung, die Einbildungskraft und die
Meinung betrifft, folgt sofort der ciceronische Begriff der praktischen
Klugheit, worauf sich Plato's Auffassung der Wernunft (ratio) anreiht,
um zuletzt zu der theologisch verstandenem Weisheit (sapientia) als
endlichem Ziele zu führen "**). -
Aueh aus den Soph. Elenchi, welche Johannes an den Schluss des
aristotelischen 0rganons stellte, dürfte höchstens die Termiuologie ,,re
luctatorius syllogismus“ erwähnenswerth sein "*"), sowie aus dem Um
kreise der Schriften des Boethius die Erwähnung der fünfzehn Artem
der. Definition (s. Abschn. XII, Anm. 107), wobei die oberflächliche
Lectüre des boethianischem Buches dem Johannes auf die Meinung brachte,
aueh Cicero habe eine Schrift De definitione verfasst"°°).
' Einige Verwandtschaft mit Johannes von Salesbury zeigt bezüglich
der theologischen Ontologie der ebenso geschimacklose als affectirte
A la n u s v o m L ille (gest. um 1200), insoferne Beiden die Auffassung
des Gilbert Porretamus in solchen Fragen als gemeinschaftlicher Aus
sione medii et eætremorum (ebend. Anm. 636 f.), cuius tamen tota utilitas longe
commodius tradi potest.
627) Enthet. v. 375 ff.: Quatuor ista solent laudem praestare creatis, Subieclum,
species, artificisque manus, Finis item cunctis qui nomina rebus adaptat. Arist.
Anal. post. II, 11., s. Abschn. IV, Anm. 696.; Es war demnach völlig unnöthig,
wenn man die Wermuthung aufstellte, Johannes habe die Bücher der Metaphysik
gekannt.
628) Metal. IV, 9, p. 165.: Quum sensus secundum Arislotelem (Anal. post. II,
19, Abschm. IV, Anm. 51.) sit naturalis potentia indicativa rerum, aut omnino non
est aut viæ est cognitio deficiente sensu .... p. 166.: Aristoteles aulem sensum potius
vim animae asserit, quam corporis passionem. 10, p. 167.: Imaginatio itaque a
radice sensuum per memoriae fomitem oritur. 11, p. 168.: Primum enim iudicium
viget in sensu, .... secundum vero imaginationis est, ut quum aliquid perceptorum
retenta imagine tale vel tale asserit de futuro iudicans vel remoto ; hoc autem alter
utrius iudicium opinio appellatur (so ist dóÉc. bei Boethius übersetzt, s. oben Anm.
19.; hingegen evistimatio s. Anm. 423.). 12, p. 169.: Prudentia autem est, ut
ait Cicero, virtus animae, quae in inquisitione et perspicientia solertiaque veri ver
satur. 13, p. 169.: Inde est, quod maiores prudentiam vel scientiam ad tempora
lium et sensibilium notitiam retulerint, ad spiritualium vero intellectum et sapientiam,
nam de humanis scientia, de divinis sapientia dici solet. 16, p. 172.: Erg0 et p0
tentia et potentiae motus ratio appellatur; hunc autem motum asserit Plato in P0
litia vim esse deliberativam animae etc. 19, p. 175.: Sapientia vero sequitur in
tellectum, eo quod divina de his rebus, quas ratio discutit, intellectus eaecerpsit,
suavem habent gustum et in amorem suum animas intelligentes accendunt.
629) Ebend. IV, 23, p. 180.: Sicut enim dialecticus elencho, quem nos relucta
torium dicimus syllogismum, eo quod contradictionis est, utitur etc. Vgl. Polycr.
II, 27, p. 145., woselbst unter dem Namen ,,cornutus“ ein Dilemma angewen
det wird.
630) Metal. IIl, 8, p. 141.: Sumpserunt hinc (d. h. aus Arist. Top. VI.) doctri
nae suae primordia Marius Victorinus et Boethius cum Cicerone, qui singuli libros
definitionum ediderunt; illi quidem definiendi nomen usque ad quindecim species
dilataverunt, describendi modos definitionis vocabulo supponentes, huic vero de sub
£,praecipue cura est (die Quelle dieses lrrthumes s. Abschn. XII, Anm. 103.
u. • ■ -
XIV. Alanus v., Lille. 259
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gangspunkt dient. • Jedoch hat Alanus den logischen Gehalt dieser Onto
logie, deren Beurtheilung oder Werthschätzung den Theologen über
lassem bleiben muss, nicht einmal in jener Weise, welche bei Gilbert
oder etwa auch bei Johannes hervortritt, ins Auge zu fassem der Mühe
werth gefundem, sondern sich in seinem schwülstigen Gedichte „Anti
claudianus“ bezüglich der Logik auf den Standpunkt der allergewöhn
lichsten Schuldoctrim gestellt, welehe auch er nur , als ein Mittel- der
Argumentation belìufs der Bekämpfung der Ketzer anerkennt °°'). lndem
er die sieben Künste in ähnlicher Weise wie Marcianus Capella als
symbolische Figurem auftreten lässt, schildert er, nachdem zuerst die
Grammatik vorgeführt war, an zweiter Stelle die Logik als eine äusserst
fleissige und strebsame Jungfrau, an deren gebleichtem Amtlitze nur
Haut und Knochen zu bemerken seien, so dass man die Folgen der im
Studium durchwachten Nächte erkenne °°*); sodann zählt er ihre Gahen
auf, welche sie zum Kampfe für die Wahrheit mit sich bringe, und
zwar nennt er dabei vor Allem die Topik. mit ihren maacimae propo
sitiones, in dieselbe die Syllogistik, sowie Induetion , und Exemplum ver
flechtend, dann folgt die Definition mit Einschluss der Beschreibung
(vgl. Abschn. XII, Anm. 9) und die Eintheilung der Gattung in die Arten
sowie des Ganzen in die Theile, und ausserdem die Wiederverbindung .
des so Unterschiedemen, durch welch sämmtliche Functionem die Logik
als Werkzeug oder Schlüssel der Weisheit, sowie als Waffe für alle
übrigen künste wirke *°°). Endlich die Aufzählung der Autorem der
Logik preist den Porphyrius als einen zweiten 0edipus, tadelt die Wort
verwirrung des Aristoteles, durch welche die Logik wieder verdunkelt
631) Anliclaud. VII, 6 (Alani 0pp. ed. C. de Visch, Antw. 1654, fol. p. 394.):
Succedit logicae virtus arguta, ..... Haec docet argutum Martem rationis inire, ' Ad
versae parti concludere, frangere vires 0ppositas partemque suam ratione tueri, Vesti
gare fugam veri falsumque fugare, Schismaticos logice falsosque retundere fratres,
Et pseudologicos et denudare sophistas.
632) Ebend. III, 1, p. 345.: Latius intendens sollers studiosa laborans Virgo
secunda studet, intrat penetralia mentis, Sollicitatque manum, mentem manus eaccitat,
urget Ingenium ..... Et decor et species afflasset virginis artus, Sicut praesignis
membrorum disserit ordo, Ni facies quadam macie respersa iaceret; Vallat eam macies,
macie vallata profunde Subsidet, et nudis cutis ossibus arida nubit; Haec habitu
gestu macie pallore figurat Insomnes animi motus vigilemque Minervam Praedicat, et
secum vigiles vigilasse lucernas.
633) Ebend. p. 345 f.: Monstrat elenchorum pugnas logicaeque duellum, Qua
liter ancipiti gladii mucrone coruscans Vis logicae veri facie tunicata recidit Falsa,
negans falsum veri latitare sub umbra ..... Quid locus in logica dicatur quidve lo
calis Congruitas , quid causa loci, quid mazima, Quid sit vis argumenti manans a
fonte locali, Cur argumentum firmet locus, armet elenchum Maacima, quae vires
proprias largitur elencho ...., Cur liget ea tremos medius mediator eorum Terminus
et firmo confibulet omnia meaeu ...., Qualiter usurpans vires et robur elenchi Singula
percurrit inductio, colligit omne ...., Qualiter eaeemplum de se parit ..... Quomodo
definit, partitur, colligit, unit Singula, quae gremio complectitur illa capaci, Quo
modo res pingens descriptio claudit easdem Nec sinit in varios descriptum currere
vultus, Quid genus in species divisum separat, aut quid Dividit in partes totum
rursumque renodat, Quae sunt sparsa prius , divisaque cogit in unum, Qualiter ars
logicae tanquam via, ianua, clavis, 0stendit reserat aperit secreta sophiae, Qualiter
arma gerit et in omni militat arte.
17*
260 XIV. Rückblick.
und verhüllt worden sei, worauf Boethius wieder Licht und Ordnung
in das Ganze gebracht habe °°*). -
Hiemit sind wir an der Gränzscheide des zwölftem umd des drei
zehnten Jahrhundertes angekommen, welche auch dadurch sich kenn
zeichnet, dass gerade zu jener Zeit von verschiedemer Seite her dem
lateinischen Abendlande neuer Stoff zugeführt wurde, dessen Betrachtung
der Gegenstand der zwei folgenden Abschnitte sein soll, um hernach die
ausgedehnten Wirkunfgen des neu hinzukommenden Materiales entwiekeln
zu können. Erfreuliche Gesichtspunkte bezüglich des eulturgeschicht
lichen Fortschrittes hat uns die bisher geführte Untersuehung allerdings
wahrlich nicht dargebolem. Wir haben wohl multa, aber sicher nicht
multum an uns vorübergehen lassen. Hat ja sogar die allmälig er
wachende Kenntniss der aristotelischen Hauptwerke kaum nemnenswerthe
Früchte getragem, und an Stelle einer wahrhaft philosophischen Auf.
fassung der Logik, zu welcher das Studium des Aristoteles hätte ver
anlassen können, schien zuletzt selbst lieber noch der Drang ' nach
praktischer Rhetorik sich geltend machen zu wollen. Und selbst die
folgenden späteren Abschnitte werden uns auch zu jener Zeit, in welcher
eim neuer Geist die Fesseln der Tradition und der äusserlichem Aucto
rität durchbricht, auf dem Gebiete der Logik nur eine gesteigerte Wie
derholung dieses Spieles der Geschichte zeigem, wormach die Logik
unter sehr verschiedemen Auffassungem stets wieder aus einer innerlich
philosophischen Basis hinausgedrängt wird.
634) Ebend. p. 347.: Auctores logicae, quos donat fama perenni Vita, ....
recolens defunctos suscitat orbi. Illic Porphyrius arcana resolvit, ut alter 0edipodes
nostri solvens aenigmata sphingos; Verborum turbator adest et turbine multos Turbat
Aristoteles noster gaudetque latere. Sic logica tractat, quod non tractasse videtur,
Non quod aberret in hoc, sed quod velamine verbi 0mnia sic velat, quod viæ labor
ista revelet ..... In lucem tenebrosa refert, nova ducit in usum Evcusatque tropos,
in normam schema reducit, Eæserit ambiguum Severinus, qu0 duce linquens Natalem
linguam nostri peregrinat in usum Sermonis logicae virtus dicatque latinum.
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f,
XV. ABSCHNITT.
E IN FLU SS DER BYZANT IN E R. a
Halte der Betrieb der Logik schon in der zweiten Hälfte des 12.
Jahrhundertes einen höchst ansehnlichen Zuwachs des Materiales da
durch gefunden, dass man die früher unbekanntem hauptsächlichstem
Bestandtheile des aristotelischen Organons kennen lernte, — wenn auch,
wie wir sahen, die Wirkung hievon zunächst nicht so bedeutend war,
als man hätte erwartem können —, so trat num mit dem Beginne des
13. Jahrhundertes gleichzeitig von drei Seitem her eine neue Wermehrung
des Stoffes ein, nemlich durch Benützung byzantinischer Litteratur-Er
zeugnisse, durch Beiziehung der Leistungen der Araber, und durch das
Bekanntwerden der übrigen Werke des Aristoteles, unter welchen selbst
verständlicher Weise vor Allem die Bücher. der Metaphysik, sodann
aber auch .die Schrift de anima auf die Logik einem Einfluss ausüben
musstem. Und so wird ums denm auch neuerdings unsere schom wie
derholt ausgesprochene Ansicht, dass das ganze Mitlelalter lediglich von
der äusserem Zufuhr des Materiales abhängig war, durch dem geschicht
lichen Werlauf ihre thatsächliehe Bestätigung erhaltem.
Dass durch die dritte der genanntem Erweiterungem des Stoffes
ein Umschwung in der* Stellung der Logik eintreten musste, ist klar;
denn machdem bis dahin, abgesehen von platonischer Physik, die Logik
allein -den Umkreis der eigentlichen Philosophie repräsentirt hatte, kam
dieselbe nun seit dem Betriebe aristotelischer Metaphysik und aristoteli
scher Psychologie in das Verhältniss einer Coordination oder auch einer
Subordination zu anderen Zweigen der Philosophie. Doch wie sich
diess gestaltet habe, wird erst untem im XVII. Abschnitte dargestellt
werden könnem, wo der chronologische Faden an dem Punkte, an wel
chem wir ihn so eben yerliessem, wieder aufzunehmen sein wird. In
gleicher Weise muss es jenem nemlichen späterem Abschnitte vorbe
halten bleiben, die Wirkungen selbst vor Augen zu führen, welche aus
dem beidem anderen neuen Ingredienzien, nemlich aus der byzantinischen
und aus der arabischem Litteratur, sich ergaben.
Hingegen ist es mun unsere nächste Aufgabe (— denm die Dar
stellung der ächten und vollständigen Lehre des Aristoteles liegt längst
hinter uns —), eben jenes doppelte fremdländische Material, welches
in die Sprache des lateinischen Abendlandes übertragen wurde, vorerst
für , sich allein kennen zu lernen. Sowie, aber. dort der byzantinische
262 xv. Berührung mit den Byzantinerm.
umd der arabische Einfluss im 13. Jahrhunderte zur memlichen Zeit zu
Tag tretem, so ist es für die Geschichte der alendländisehen Logik an
sich völlig gleichgültig, welchen von beidem wir zuerst betrachten, und
es mag etwa der erstere nur darum vorangestellt werden, weil er mehr
eine unmittelbare Anknüpfung an Erscheinungen darbietet, welche bereits
früher Gegenstand unserer Erörterungen gewesen waren.
Wobl aber dürfen wir schon hier zur Orientirung die weitgreifende
Bemerkung vorausschicken, dass die Logik, soweit sie im 13. Jahr
hunderte neben der äusserlich eingelerntem aristotelischen Philosophie
eine selbstständige Stellung erhielt, num dureh Uebertragung eines by
zantinischen Compendiums und byzantinischer Technik eine veränderte
Gestalt annahm und einen folgenreichem Zuwachs an Inhalt erfuhr, so
dass nicht ohne Berechtigung in den Schulem für diese „neue Logik“
die Bezeichnung „via moderna“ üblich wurde. Sowie man dem ge
sammtem Zeitabsehnitt von lsidorus an bis zum Beginne des 13. Jahr
hundertes füglich die Periode des Boethius mennen kann, wenn auch in
dem letzterem Jahrzehenten derselben einige Kemntniss des Aristoteles
mitspielte, ebenso darf mam bezüglich der eigentlichen Schul-Logik fast
die ganzen mächstfolgenden drei Jahrhunderte als die Periode des Psel
Ius bezeichnen, wenn auch die ältere boethianische Tradition als „via
antiqua* nebenherlief, oder Erneuerungem früherer Partei-Controversen
sich einstellten. -
Im XI. Abschnitte wurde die vielfach umbedeutende und sterile
Reihe der griechisehen Commentare zur aristotelischem Logik und der
griechischen Schulcompendien bis in das 14. Jahrhundert himabgeführt ;
und indem schon dort (zw. Amm. 82 u. 83) bemerkt wurde, dass vom
5. Jahrhunderte an diese Litteratur spurlos am dem lateinischen Abend
lande vorübergieng und gleichsam seitab lag, wohl aber (ebend. Anm.
176) bei Petrus Hispanus (13. Jahrh.) eine Einwirkung sich zeige, welche
mit Psellus beganm, so müssen wir mum hier, nicht etwa zur Fort
setzung der dort schon angegebenem litterär-geschichtlichen Entwicklung,
sondern lediglich um jener lateinischem Schul-Logik willen, welche vom
13. Jahrhunderte an betrieben wurde, alles dasjenige vorführen, was
als meues Ingrediens wirkte. Denn äusserliches Aufraffen und äusser
liches Uebertragen des sich darbietendem Stoffes war ja überhaupt die
methodische That des traditions-süchtigen Mittelalters, und so kann auch
die Geschichte der Logik gleichsam nur registrirem, welcherlei Bausteine
zugeschleppt wordem seien. -
Dass num ein thatsächlicher Einfluss byzantinischer Litteratur auf die
lateinische Logik bestand, wird im Folgenden selbstredend dargestellt
werdem. Die Frage aber, wie derselbe überhaupt ermöglicht wurde, gehört,
theils der allgemeinen Kulturgeschichte an, theils liegt ihre Beantwortung
im so allbekanntem Thatsachem und Verhältnissen, dass wir den Leser zu
beleidigen fürchten, wenn wir an die Kreuzzüge und die Entstehung des
lateinischen Kaiserthumes (Einmahme Konstantinopel's durch die Kreuz
fahrer i. J. 1204), an das emdlose Gezänke der Theologen beider zum
Schisma treibenden Kirchen, an die juristische Gelehrsamkeit, welche in
Erklärung der Basiliken miedergelegt wurde, erst noch ausdrücklich er
innern wollten. Einzelne Momente, welche unserem speciellen Gegen
XV. • Berührumg mit dem Byzantinerm. 263
stande mäher liegem, trafen wir bereits im 12. Jahrh. (s. , vor. Abschm.
Anm. 25 u. 32 f.); eine völlig entscheidemde Wirkung aber, musste es
für die ersten Jahrzehente des 13. Jahrhundertes haben, dass der all
gewaltige Papst Innocenz III., welcher das durch seine Intrigue in die
Welt gesetzte lateinische Kaiserthum vortrefflich für seine Zwecke aus
zumützen wusste, im J. 1205 den Wunsch Balduins bei dem französi
'schen Prälaten befürwortete, dass „zur Ehre Gottes“ Geistliche aus
Frankreich mach Konstantinopel sich begében und dori dem Samen
chrisllieher Bildung ausstreuen sollten 1), — ein Wunsch, welehen der
Papst gleichzeitig auch am die Universität Paris richtete, dabei micht'
vergessend, die Bereitwilligkeit der Missionäre aueh durch Hinweisung
auf irdische Schätze und Genüsse , anzuspornen *). Und wemm num auch
hiebei Förderung der Wissenschaft wahrlieh ebenso wenig der Zweck
war, als bei dem Collegium Constantinopolitanum, welehes in der mem
lichen Zeit der winkelzügige König Philipp August in politischer und
papst-freundlicher Tendenz zu Paris einrichtete *), so war es Sache des
mittelbarem äusseren Erfolges, dass nun Vertreter oder Schüler der bis
dahim hauptsächlich im Frankreich blühenden I.ogik in Berührung mit
einer fremden litterarischem Entwicklungsstufe kommen konntem, welche '
wohl in dem Augem eines Papstes einer Maassreglung zu. bedürfem
scheimen mochte, an sich aber in der glänzenden Litteratur-Epoche der
Anma Commena äusserst manigfaltig und reiehhaltig emporgeblüht war.
und bezüglieh der Logik wenigstens , nicht in höherem Grade, als die
bisherige lateinische Litteratur, umphilosophiseh und sehulmässig auftrat,
1) Diplomata , Chartae, Epistolae etc. Receuil de Brequigny et La Porte du
Theil. Paris. 1791. H, p. 712.: Universitatem vestram rogamus attente et hortamur
per apostolica vobis scripta mandantes, quatenus pium eius (sc. Balduini) desiderium,
quantum in vobis fuerit, promoventes de singulis ordinibus viros moribus et scientia
commendandos ac in religione ferventes ad partes illas destinare curetis, per quos
novella illa plantatio in disciplina domini erudita fructum reddat suis temporibus
opportunum ..... ad laudem et gloriam redemptoris .... et orientalis ecclesia in di
vinis laudibus ab occidentali non dissonet.
2) Ebend. p. 713.: Magistris et scholaribus Parisiensibus .... supplicavit (sc.
Balduinus), ut vos inducere ac monere apostolicis litteris dignaremur, quatenus in
Graeciam accedentes ibi studeretis litterarum studium reformare ..... Universitatem
vestram rogamus, quatenus diligentius attendentes, quanto maiores vestri difficultates
et gravamina sunt perpessi, ut adolescentiae suae primitias imbuerent litteralibus
disciplinis, non taedeat plerosque vestrum ad terram argento et auro gemmisque
refertam , frumento, vino et oleo stabilitum et bonorum omnium copiis affluentem
accedere, ut ad illius honorem et gloriam, a quo est omnis scientiae donum, sibi et
aliis ibidem proficiant, praeter temporales divitias et honores aeternae gloriae prae
mia recepturi. S. Jourdain , Recherches crit. (2. Aufl. 1843), p. 47 f.
3) Bulaeus, Hist. univ. Paris. III, p. 10. (aus Filesacus, de statutis theol.):
Post eæpugnatam Constantinopolim a Francis et Venetis sacro foedere iunctis Phi
lippo Augusto rege Lutetiae conditum est collegium Constantinopolitanum ad ripam
Sequanae prope forum Malbertinum, nescio in arcano imperii consilio, ut Graecorum
liberi Lutetiam venientes una cum lingua latina paullatim vetus illud et patrium in
Latinos odium deponerent eorumque humanitatem et benignitatem eæperti ad suos
reversi non sine magno Latini nominis incremento virtutes illas passim praedicarent,
ac velut obsides habiti, qui, si quid parentes et affines graeca levitate adversus
Lalinos molirentur, ipsi adolescentes Lutetia conclusi fuerint. S, Jourdain a. a. 0.
p. 49 f.
264 XV. Berührung mit den Byzantinern. Psellus.
wohl jedoch vor derselben den Einen Vorzug besass, dass in ununter
brochener Succession stets auch die Hauptschriftem des aristotelischen
Organons erörtert und benützt worden waren. Dass ausserdem in Un
teritalien die Kennlniss der griechischen Sprache (wenn auch nicht der
griechischen Litteralur) und der Werkehr mit Griechen nie völlig aus
gestorben waren, sowie dass Venedig in lebhafter Wechselbeziehung
mit dem griechischen Oriente war, ist hinreichend bekannt, und so
mochte neben denjenigen Erscheinungen, welche wir schon früher trafen
(vor. Abschn. Amm. 3, 25 u. 33), wohl im Laufe der Zeit noch in ge
steigerter Weise durch Uebersetzungen eine Vermittlung byzantinischer
Schriften bewerkstelligt worden sein, wenn wir auch nicht mehr im
Stande sind, einzelne Fädem einer solchen Thätigkeit auf dem Gebiete
der Logik nachzuweisen oder zu verfolgen *).
Bei Weitem das einflussreiehste Erzeugniss der byzanlinischen Lit
teratur war das Compendium des P s ell u s (s. oben Abschn. XI, Anm.
173 ff.), welches unter dem Titel xvvo^pug εἰς τὴν 'AguotovéÀovg àoyw
xìjv άπιστήμην die gesammte aristotelische Logik enthielt. Dasselbe
übte die weitgreifendste Wirkung auf das lateinische Abendland dadurch
aus, dass es sofort bei seinem dortigen Bekanntwerden zur Grundlage
der Compendien-Litteratur gemacht wurde. Nemlieh es lag in dieser
Beziehung allerdings wohl das entscheidendste Factum darim, dass Petrus
Hispanus die Synopsis des Psellus wörtlieh übersetzte, aber aus Hand
schriftem der Pariser Bibliothek machte ich die überrasehende Entdeckung,
dass Petrus Hispanus durchaus nicht der erste Uebersetzer des Psellus
war, sondern dass bereits einige Jahrzehnte vor demselben durch An
dere, wie namentlich durch Wilhelm Shyreswood, das Compendium
des Psellus in die lateinische Schul-Logik eingeführt und sogar mit
einer weit grösseren Selbstständigkeit verarbeitet worden war. Und
nur durch die Auctorität, welche Petrus Hispanus - als Papst in dem
römisch-katholischen Abendlande genoss, konnte es geschehem, dass jene
Bestrebungen anderer Schriftsteller des 13. Jahrhundertes, welche gleich
falls auf byzantinischer Litteratur fusstem, allmälig bei Seite geschoben
wurden und mit einer gewissen Monotonie sich ausschliesslich das geist
losere Elaborat des Petrus Hispanus auf lange Zeit hin einbürgerte.
Während aber all diese Werhältnisse, wie sich von selbst versueht,
ihre genügende Darlegung im XVII. Abschmitte finden werden, wendem
wir uns nun zu der Synopsis des Psellus selbst, um hiedurch die 0ri
ginal-Quelle jener lateinischen Litteratur-Produkte kennen zu lernen °).
4) Giangirol. Gradenigo, Ragionamento istorico-critico intorno alla letteratura
grec0-italiana. Brescia 1759. 8. enthält, ohne irgend neue Spurem der Forschung
zu eröffnen , ein ziemlich unkritisches Register von Italienerm, welche des Griechi
schen kundig waren. Die Abhandlung von Friedr. Cramer. (Dissertatio de graecis
Imedii aevi studiis. Pars prior et altera. Sundiae 1849 u. 1853. 4.) bricht an eben
jenem Punkte ab , welcher uns hier zumeist interessirt, nemlich bei dem Eintritte
der Kreuzzüge.
5) Ich halte es für unerlässlich, mehrere einzelme Abschnitte des Psellus
gleichsam als Probe wörtlich im Originaltexte mitzutheilen, um sodann entsprechend
im XVII. Abschnitte das Gleiche zu thun; denn nur hiedurch kann der Leser die
eigene Ueberzeugung schöpfem, in wieweit z. B. Wilhelm Shyreswood selbststän
XV. Psellus. 265
\ -
* Psellus beginnt mit der Notiz, dass die Dialektik die Kunst der
Künste (ars artium) sei, um dann sogleich von der Etymologie ihres
Namens aus auf den Begriff der Sprache und hiemit auf jenen des
Wortes (φωνή) und des Schalles (pöyog) zu gelangen "), wodurch sich
sofort als erster Haupttheil des Compendiums der Inhalt des Buches
De interpr. einstellt und sonach die Lehre vom U rth ei I e voraustritt.
Es wird nemlich zunächst in der üblichen Schulmanier ausführlicher
über den Schall und über die menschliche Ausdrucksweise gehandelt,
welch letztere entweder nicht bezeiehnend oder bezeichnend (φων)
αημαντική) sein könne; der bezeichnende Ausdruck wird in den ver
bundenem (σνμττετίεyμévm), d. h. den Satz, und in den unverbundenem
(άσύμπλεκτος), d. h. die einzelnen Worte, eingetheilt '), worauf in der
diger dem neuen Stoff benützt, hingegen Petrus Hispanus nur wörtlich übersetzt
habe; und ich hege das Wertrauen, dass danm der Leser meine Angaben über die
übrigem, nicht ausführlich abgedruckten, Theile der sich entsprechendem Compen
diem mir auf mein Wort glauben werde. Uebrigens ist anch zu bemerken, dass
die Summula des Petrus Hispanus gleichsam als eine zweite Handschrift, und zwar
häufig in der That als éime bessere Recension, zur Textes-Kritik des Psellus be
nützt werden muss; jene Augsburger Handschrift, aus welcher Ehinger die Synopsis
herausgab (Augsb. 1597. 8.), — jetzt in der Münchner Staatsbibliothek befindlich
(Cod. graec. Mon. 548.) —, enthält auch noch (fol. 33 ff.) ein Excerpt der Synopsis
von sehr später Hand.
6) Mici. Pselli Synopsis 0rg. Arist. I, 1, p. 1. (ed. Ehinger): 21ιαλεχτιχῆ ἐατι
a&yvrj τεχνόν xaì èπιστήμη ἐπιστημῶν 7τgὸς τάς άπασῶν τῶν μεδόσων
&gyàç óóóv èyovoa, xaî `$ià toùtò èv tj. xtijost τόν ἐλτιστημόν πραότην
εῖναι τήν διάλεχτιχην χQrj. L1€y£rat ôë `ï öuc. 18zruxi, à7ιὸ τῆς διαλέεως,
j δὲ ἀπò τῆς ,,6u«“ τῆς σημαινόύσης τὸ „uεταζύ'' xcd ταῦ „£yo*, £v' j
6 övoiv μεταζύ τούλέχιστὸν λέγος, τοῦ πQoßáÀÀovτος δηλονότι και τοῦ
άποxguvouévov ' ì à7rò toù διαλελέχάται και διακεxQto&ai, xα{}' ijv όηλον
6τι δίχα ταῖς yvojuaus διαιQoùvvat 9i διαλεγόμενοι. 24λλ' ἐπει η διάλεάις
où òvvczται yενεσ9ώαι ει ui; £j?':; λόγον, οὐδ' ἐν ό λόγος εἰ μῦ
μεσητενούσης φωνῆς, πάσα δέ φωνή μόφος τὰς ἐστι, διὰ τούτὸ ἀδς άτὸ
7tQot£Qov τοῦ μάqov àgxv£ov. Es ist wahrlich nicht nöthig, bei jedem einzel
nem Paragraphem des Psellus auf die Quellen, aus denen sie geschöpft sind, zu
rückzuweisen, soweit das Ganze uns nur dem Inhalt der am Schlusse des Alter
thumes recipirtem Schul-Logik zeigt, welcher aus dem im XI. Abschmitte Erörterten
hinreichend ersichtlich sein dürfte. Wohl hingegen werde ich sorgfältig alle die
jemigem Punkte hervorheben, für welche jene Schultradition nicht zureichend ist,
und namentlich macht in dieser Beziehung der Schluss des Compendiums eine
bedeutsame Ausnahme, woselbst uns die Frage über die Quellen des Psellus sehr
fühlbar werden wird. * -
7) Ebend. p. 3.: Póqoc τοίννν ἐστιν, οί άv xvQtog η άzoi, &vtvlau
ρένηται, λέγω δέ τὸ xvQiaos, διότι εί xaì ò äv&Qto7tos xαὐ δ xgjöov &xoìs
tgt , τούτο οὐx ἐστιν εἰ μὴ διά τρόφου. Tóv pöq αν δ μὲν ἐστι φωνῆ δ
6è où qooyij; x«) qovij èotu póqos toù ojugτας τοῦ ἐφQù zvQo&v8z9άς τοῖς
qovouxoïs ögyévotg uεμορφωμένας, φvσικά δέ δgyανα, οίς ή φωνή μοgqoù
ται, λéyovtav xccì éíóú zétìm , óóóyisg , yìgìøøα, ούQανάσχος, λέgùy$, ^ xgì
9αῖga£ * póqos óè,ô oùx óv, qovij £ατιύ δ ytyv6uevos èx, τῆς σνγχσοὐσεως
τόν άιρύχωύ σωμάτων, δς ή '9gtzügus tóv öévógaov xai δ τόν 7τρόόν xrú
τος και τά όμοια, Tóv φανόν αi μ£ν είσι σημαντικαι αί έ αύ- σημαν
tuxi, qoovij £στιν η παQtotóσέ τι xaì òmλοποιοῦσα τj άxoj, oiov &v8Qdjrtos*
oῦ σημαντιχῆ ἐστιν η μηδέν τj άxoj 7taQuotóσα, οίον ßá, 8ού. Töv αη
Augvtixóv, q)govóv gi μέν είσι σημαντιχαὐ φύσει, αi ôè 9έσει: qaovi, qùos,
anuwyτιχῆ ἐστιν ί ίαQά τάσι 'τὸ αὐτὸ παquat åøø, óςτεg δ ατενάγμός
τόν άσ98voυντων δδύνην (άηλόν scheint ausgêfallen zu sein) xc.) j ttjv 'xv
266 XV. Psellus.
ùblichen Weise die Angabem über das Substantivum °) und über das
Verbum folgem, woran sich die Bemerkung knüpft, dass mur diese bei
den für die Dialektik wirklich als Redetheile gelten können, hingegen
* die übrigen Artem der Worte blosse syncategoremata (s. vor. Abschn.
Amm. 174, 206, 348) seiem °). Die übliche Aufzählung der Arten des
Satzes (λόγος) erscheint hier in der Terminologie der Grammatik (Indi
cativ -, Imperativ -, 0ptativ-, Conjunctiv- Satz), daher auch der Indicativ
Satz als das eigentlich logische Urtheil bezeichnet wird 1").
Das letztere (τQότωσις) wird nun vorläufig in das kategorische und
das hypothetische eingetheilt, hierauf aber sogleich bezüglich des kate
gorischen die Angabe der wesentlichem Bestandtheile angereiht, wobei
mit völliger Entschiedenheit die Dreizahl derselbem, nemlich Subjeet,
Prädicat und „Copula“ (vgl. vor. Abschn. Anm. 370) ausgesprochen
wird 11). Indem sodann die Erörterung der Verhältnisse der Quantität
(allgemein, particular, singulär, unbestimmt) und der Qualität folgt, ist
zu heachten, dass nieht bloss nebem speciellem Definitionem des allge
meimen und des individuellen Subjects-Bégriffes (ögog xovvög und ögog
£vuκός) ein besonderes Gewicht auf die grammatischen Zeichen (σημεία)
der Quantität gelegt wird, sondern auch ächt schulmässig drei Fragen
vóv ίλαxh ögyjjv jj yagtív - q tovi, 9éos, σημαντιχη ἐστιν η xar& τῆν τοῦ
8εμελέον δέλησιν άτιοῦν παόιστύσα, oiov' äy{}Qto7ros. Tóv σημαντιxöv
qùvùv ij uév èoruv άττλjj x«î ' άσύuztászτος, οίον`rò övouc. x«i τὸ δημα, ή
δὲ σύνθετος και σνμτεπλεγμ&vm, 'oiov ö Àóyos.
8) I, 2.
} I, 3. Der Schluss des Capitels lautet (p. 9.): 'Iot&ov δέ δτι ή διαλεx
τιχῆ δύο μόνα τύησι μ€Qm τοῦ λόγον, τό όνομα δηλαδή και τὸ δημα* τὰ
δε άλλα u£gn xαλεῖ zigoçxtetnyogijugτα (aus Petrus Hispanus sowie aus Wil
helm Shyreswood, verglichen mit der oben, vor. Abschn. Anm. 174. angeführten
stelle Priscian's, ist anch hier sicher ovyxcct myoQrjutcta zu schreiben) ijyovv
7tgosσημαντι xcc.
10) I, 4, p. 9.: A6yos ?ατι φωνή σημαντιxh xgrè συνθήκην, ής τά
Au&gm xtx9' czύτὰ σημαίνει x8χωQισμενα ..... Tòv Àóyov oi uév είσι τελειοι
oi δ' άτελεῖς ..... TÖv òè íêà êtov λόγων oi μεν είσιν άριστιxo), oiov äv
8gωτος τgéyει , oi δέ τιQootaxtixoi, oîov άπτά πύg, oi § sùztuxoì, aóς τὸ
}/£vovro xcùδς xànQwzóς, οί δέ άποταχτιχοι, οίον ἐν ἐλεύς agóς με, διόσω
άοι ἐπτον. Toùτέον δέ πάντων ό δquot uxòs uóvog \6yos ἐστι πQότασις,
§7r&ì puévog άλη9ειαν η μεὐδος σημαινει. *.
f1) I, 5, p. 13.: IIq6τασίς ἐστι λόγος άλήθειαν ή μεὐδος σημαίνων ....
Tóv 7tQordo £oov ή μέν xgtmyoQtx) ij όε ύποδετιzij. Karnyoguxì, 7 görtgots
èotv λόγος χαταφατιχός ή άλιοφατιxòς τινός xar« τινος ή τινὸς ἀπό τινος.
Kατηyögtxi, 7τgótccotc ?o tuv ij §yovog άποκειμενον xccì xatrjyogoúu£vov xtà
ovvöêv (dass diese zwei Worte im Texte ausgefallen waren, zeigt sowohl Petrus
Hispanus als auch das sogleich Folgende) §v, 9iov ,,&v9Q07τος τgéyει“: èv
ταύτη δâ rj 7rgorêost τὸ ,,&v9gωπος“ ?στιν ύττοχείμενον χαι τὸ ,,τg£y£t*
»ατηγοQoúuisvov xccì τὸ συνδέν ἐν τὸ ,,άστιν“, ό όηλον, εἰ διαλύσταις ούτως
„άνδαρπρς τg&ε'', „άν8Q07τος τgéyov £ortν** £vrgò9α γάg tò ,,&v8gto
zιος“_ã7τόxsutai, τὸ ,,τg£yων* χατηγοQεῖται, xaì τούτο τὸ δημα τὸ „£ατίν**
ανζεῦγνναι xg%πεg τις σύνδεσμός 'τὸ ἐν μετά τοῦ ἐτὸgöv. Sowie aus
dieser Stelle mittelst der lateinischén Logik des 13. Jahrh. der moch heutzutage
recipirte Sprachgebrauch floss, so möchte ich auch die Möglichkeit nicht geradezu
verneinen, dass jene obige Stelle Abàlard's (vor. Abschn. Anm. 370.) gleichfalls
auf eimer versprengten Notiz byzantinischer Schuldoctrin (s. ebend. Amm. 33 f.)
beruht haben könne.
XV. Psellus. 267
formulirt werden, welehe sieh auf die Substanz des Urtheiles (oùota,
d. h. ob kategorisch oder hypothetisch) sowie auf die Qualität und die
Quantität desselben beziehen 1*). -
In gleicher Weise wie bei Boethius (Abschn. XIl, Amm. 125) knüpft
sich danm an die Bemerkung, dass zwei Urtheile entweder ihre beiden
Begriffe oder : Einen der beidem oder keimen gemeinschaftlich haben
können , sogleich die gewöhnliche Angabe bezüglieh der vier Urtheils
formem (allg. bej., allg. vern., part. bej., part. vern.), wann dieselben
conträr oder contradictorisch oder subalterm oder subconträr seien 1°),
und die hierauf bezüglichen Regeln werden durch die Eintheilumg eim
geleitet, dass der Stoff (ύλη) der Urtheile entweder eine, Nothwendig
keit oder eine Möglichkeit oder eine Unmögliehkeit (άναywczio, ἐνδεχο
μένη, άδύνατος) enthalte 14).
Sodamm wird gleichfalls an die Gemeinsehaftlichkeit der beiden
Termini die Lehre von der Umkehrung (άντιστgoq)rj) geknüpft, und zwar
zeigt uns auch diese hier die memliche Dreitheilung (άπλή, κατά σνμ
•
12) Ebend. p. 15.: Tóv x«t myoguxóv 7iQov do&ov j uèv xa&6lov ή δὲ
v c w v o / « • w T « a. v a. a* &
u>xi) j δέ άπgosόιόgιστος ή όέ ένιχή. Ktà xa%λον μὲν ἐστιν, ἐν ή δ
zoivòg ögos ùztózει τὰν σημεὰρ κα&όλον πgosόιωguo u£voç.... xoivòs δέ δgos
èατῖν ό κατά πλειόνων ἐγεσ&αι ττεφυκτός (eine wèitere Verwendung des äùos
zouνός s. unten Anm. 69.) ... σημεῖα δέ xα96λον είσι ταύτα ' 7τάς, οὐδές,
£x«ατος, ἐλάτεgos xαι τά όμοια. (p. 17.) IIQότασις uegtxij $otvv, èv j ö
xotvòs ögog άπόxsut at gnuêîq) μεQuxó 7iQogδιωQuo uévóg ' ' onu$ío óè μεgìzó
εῖοι, τιαύτα* τις, ἐτεgos, άλλος, λοιπὸς xcà τά δμοὐα. 24agogδιδguotóς ἐστιν,
èv j ùìóx&v tgv ö xoivòς άgos άνεν σημείον ... 'Evvxi, 6* £ατῖν, ἐν j ύπό
zειίαι δgos διωguguévog ijyovv §vvxòsj xoivòς μετά δεικτικής άνταγvut«ς.
.... "Ogos §vvxög èótuv ό καθ' ἐνὸς μόνον λόγεάδαι 7τεqvxóς .... 'Eri ttjv
xarnyoQtxóv 7tgotáqsov ij uév èat zovgq arixj j όέ άποφατική ...... Tijs
zvQ9τέσεως τgtyóς διαιgovu£vms ίστεον ἐστιν, ότι και τὸ πεgì tajtns ín
τούμενον τguν λοῦν ἐστιν, οίον* ττς; 7toic. ; 7τόση; Tò uèv oöv ,,τις“';ntëî
zτεgì aóynç tijs, qùotas, τό, ,,παίας πεgì tjs 7iovötnigs, τὸ „7tóon* fisgi
τῆς ποσότητος' ά98v xaì 7τgòς τὴν ἐggìtjouv tjjv uèv διὰ τοῦ ,,τις“ ysvö
Auévmν άποxQut£ov, öτι κατ myoQixi] i] özτο98 rixrj* 7rgòς δέ τγ,ν διὰ τοῦ
,,7voç**, ότι xcct &qtxttxij j άποφατική: zygός δὲ τὴν διὰ τοῦ ,,πόση“, δτι
x«96λον η μεQuxrj (ausgefallen istî êvvxjj jj '&7 gogòvóguotos).
13) l, 6, p. 19.: 'Ett τόν xat myoQtxòv 7tQÖv άσεων αi uèv xoivovoυσιν
άμφοτεgρν τόν , ögaov, τοντ€στι ταύ ύποκειμένον xa\ toù xvtyogovu£vov,
oiqv ö äy9Qtg^ 6s '®ott ἐφον, ό άνθgωπος οὐx èo tì joy* ai δέ 9άτégov
μόνον, οίον άνάga)7ros τg&ει, άνδgωτος όιαλέγεται, η άν9gωπ9ς τg&sv,
$ττος τg&ει, άνάσωπος xivsitau * άλλαι δέ οὐδενὸς, οίον ό IIλάτων δια
λέγεται χαι ἐππος xuv$itat ..... (p. 21.) "Eτι τῶν πQotdo&ov τόν xotvtovov
göv άuqot£Qov τόν δgων xtxi τί αὐτύ τάζει gi μόν είσιν ἐναντιαι αi òè
ù7ιεναντῖαι , αi uèv άντιφατι xccì tri ôè ùz côàmàot u. s. w. ; auch die übliche
Figur (s. z. B. Abschn. XI, Anm. 157.) fehlt nicht.
14) Ebend. p. 25.: Tôv 7tQordo sov tQv7τλῆ ἐστιν η ύλη, δηλονότι άν
αyzczicz, èyéçzouévm xaì àôùvστος. . 24vayxata îùm èorìv, èv jj τὸ κατnyo
gojusyóv Égriv èx tjs oùgtas του ύτοκειμ£vovj i6vov αυτού, οίον άνωgo;
3τός ἐστι ἐφαν, άνθgρπός ἐστι γελαστιχός. 'Ev6syou£vm Üìn ?0t}ν, ἐγ j
τὸ xatmyogoúusvov δύναται ἐνεῖναι και άπείναι του ύποχειμένον άνευ τῆς
τού ύποκειμένου φόogάς, οίον ό άν&ρωπός ἐστι λευχάς, ή δ xögt;§ èotì
uάλας. Σ4δύνατος ίλm ἐστιν, ἐν, ή τò xùtnyogoúugvov οὐ δύναται συνελ9εῖν
τ φ ύποxειμ&νω, οίον άν9Q07τός ἐστιν όνος. Mäuos τόy èygyrtaov έστιν
u. s. w. Die Quelle der Dreitheilung s. Abschn. XI, Anm. 157.
*
268 XV. Psellus.
ßsßnκός, κατ' ἀντίδεσιν), welche wir bei Boethius (Abschn. XII, Anm.
129 f.) trafen 1°). -
' Hierauf folgt in einer völlig verrückten Amordnung, deren Unrich
tigkeit die lateinischen Bearbeiter gar nicht bemerkten '"), zunächst das
hypothetische Urtheil, hierauf wieder die Aequipollenz der kategorisehen
Urtheile, und dann die Lehre von dem modalen Urtheilen (während,
wie man auf den ersten Blick sieht, nach der Conversion die Aequi
pollenz folgen musste, und hierauf die Lehre vom hypothetischen Ur
theile und dann jene über die Modalität sich amschloss). Was hiernach ,
vorerst das hypothetische Urtheil betrifft, so wird dasselbe nach stoi
scher Weise iii das conditionale (ÉÉ âxo\ov6iag), das copulative (ανμ
τλεκτική), und das disjunctive (διαζενκτική) eingetheilt (— bei Boe
thius war von dem „copulativen“ Urtheile keine Rede, s. Abschn. XII,
Anm. 141 —), und jede dieser drei Artem nach formalem Regeln be
züglich ihrer Wahrheit oder Falschheit näher untersucht '').
Ueber die Aequipollenz kategorischer Urtheile (ìgoòvvauoùααι πQo
τάσεις) gibt Psellus sofort ohne alle weitere Begründung in lediglich
schulmässiger Weise vier Regeln (xxxvövsg), deren jede er mit einem
Beispiele belegt '*).
15) I, 7, p. 29.: "Ert τῶν πgor&αεων, αè μετὰovouv άμφοτégov τῶν
δgov, άντεατααμμένη τύ τέει ίQuzóς ἐστιν ή άντιστgoqj* άπλῶς, κατά
αυμβεβηχός, καί κατ' ἀυτόεσιν. ' Auch die Regeln entsprechen genau den bei
Boethius angegebenen, so dass, indem die Lehre von der Umkehrung sich in dieser
Form bei dem Commentatorem nicht, findet, bei den Byzantinern jener Zeit eine
Kemntniss der Schriften des Boethius vorausgesetzt werden muss; dass Psellus
selbst denselben citirt, s. Anm. 28.
16) Sowohl Wilhelm Shyreswood als auch Petrus Hispanus folgen dieser
verkehrtem Reihemfolge; nur Lambert von Auxerre lässt das an eine falsche Stelle
gekommene Capitel über das hypothetische Urtheil hinweg.
17) I, 8, p. 33.: IIq6τασις ύποσετιχη ἐστιν, ής ἀgyo&ιδῆ μ£go, εἰ αὐ δύο
zczvmy9Qux&t..... "Eτι τῶν ύποδετιxóv zigottiosajv ij üév èotiv è$. &xoÀov
3t«$' i' òè σνμπλεκτική η δέ διαέevxttxij. 'E£ àxoiov% tος μέν ούν ἐστιν,
èv j ovv&πτονται αi δύο xατηyogtgt;ι όιά τοῦ συνδέσμρv τοῦ ,,εί* ......
(p. 35.) συμπλεκτιχῆ δὲ ἐστιν ἐν j συνέττονται αi δύο xarrjyoQuxai τ φ
,,xat* ovyóéo utp ..... διαζενxtuxh ö*"?orìv, èv j ovvári tovva, gi' δύο κατη
vogixcrì òu& τοῦ „jj** ovvòéo uov (die stoische' Quelle dieser Dreitheilung s.
Ab§chn. VI, Anm. 125 ff.).... IIgός τύν άλη&ειαν τῆς ἐά άχολονσίας ζητεῖται
τὸ τὴν agonyovuévrjv μη δυνάσ&αι ἀληθή άνευ τῆς ἐπομένης ..... 7tgòg dè
τὸ τρεῦδος αὐτῆς άπόχgn τὸ τὴν 7τgonyov,uévrjv δύνασθαι άλη9j xccì άνευ
vijς ἐπομένης (s. ebend. Anm. 146.) ..... IÎQὸς τὴν τῆς συμπλεκτιxijs &λή
<}έιαν ζητεῖται τὸ ἐxέτερον, αὐτῆς τῶν μεgóv άληδές είναι .... πQός δέ τὸ
vpsùδος αὐτῆς ἀQxsi tò 9ατεgov τόν usgtjv αὐτῆς είναι ψευδές (s. ebend.
Anm. 155.)..... IIgός δέ την άλήθειαν τηζ όιαζενxtuxijç å7ιόχgm τό 39ατεQoy
czùtijs u£gos είναι άλη9€¢ ..... τgòς δέ τό μεὐδος αὐτῆς ζητεῖται άμφω 'τὰ
μέgm άύτῆς εῖναι ψενδη (ebend. Anm. 156.). So bezeugt uns Psellus, dass
stoische Schul-Logik in der Tradition bei den Byzantinern fortgelebt habem muss,
wenn auch die uns erhaltene Litteratur der Commentatorem uns hierüber keine
näherem Aufschlüsse gibt.
18) I, 9, p. 39.: 'Enóμενον πagì τόν ἰσοδυναμοναόν , πgotáαεων δεῖ
3εωgijααι, τεgì óν τοιούτοά τινες όδονται χανόνες. 'Edv ίινος σημεόον
ij xc*όλου όντος j uequxoù zigore$j tò àgvntvxòv uoQtov, ίσοδυναμέί τφ
9i*§tw fyrupatuxj .... 45υτεgos, xtjvojv £στιν αὐτος* £äv τινος σημεῖρv xa
&ólov ύστεόον τ£9j τό άgvniuxòv μοQtov, iooòvvauεῖ τφ άναντὰ ἐαυτού.
.... TQ£τος xavóv èατι τοιούτος ' 'êáú τινος xc:%λον ή μεQuxoù σημεtov
XV. Psellus. 269
Hierauf wird die Modalität der Urtheile (tgóvog, s. Abschm. XI,
Anm. 159) definirt und unler dem adjectivischen Redetheilen, welche
als Ausdruek des Modus diemen sollem, insbesondere (mit Werweisung
auf Priscianus) das Adverbium gleichsam als Adjectivum des Verbums
hervorgehoben ; unter den Adverbien selbst aber erhalten diejenigen eine
speciellere logische Bedeutung, welehe das Verbum bezüglich der Ur
theils-Bildung (σύνδεσις) näher beslimmen, und es werden als solche
die sechs Adverbiem ávayxaiog, ἐνδεχομένως, δvvwtóς, άδυνάτως, άλη
δός, φενδός aufgezählt, durch welche allein die Entstehung modaler
Urtheile (vgovuxai τgotάσεις) möglich sei 1°). Nach der Bemerkung,
dass es für jeme sechs Bestimmungen auch substantivische Ausdrücke
gebe, wird mum das Charakteristische der modalen Urtheile in den Um
stand gelegt, dass in denselben eigentlich das Verbum das Subject und
der Modus das Prädicat sei, was bei allen übrigen Urtheilen der blossen
Inhärenz nie stattfinde ; sodann aber wird die Besprechung- der beiden
Adverbien άληδός und wpevöög als überflüssig erklärt, weil bei diesen
heidem Modalitäten die Verhältnisse des Gegensatzes und der Aequi
pollemz u. dgl. völlig die nemlichen seien wie bei dem einfachen Inhä
remz-Urtheile *"). Nachdem hiemit nur die vier Modi der Nothwendigkeit,
ago e$j ggj vovsgore9j τό άgνητικὸν uoQiov, igo6vvau£ί τφ δέφ ύπαά
λήλφ .. I. 'Ex τούτων τόν. xtxvövöov εἰς τοιούτος άχολονδεῖ κανόν* èàv δύο
gnuεῖα xα&όλον ἀποφατικὰ τεσσυσιν ἐν τφ αὐτφ λόγφ ούτως ἀςτε τὸ ἐν
èv τφ ύτοxéuévqy tò ôå ìouzτὸν ἐν τφ κατηχοgóvuévq) eìvat, διὰ τοῦ πQó
τον ἰσοδυναμεῖ τφ èvavrig §ovroù, όιά δέ τοῦ δεντέQov τό ίδὰρ ἀποφα
τιχό. Es entsprechen diese vier Regelm den Angabem des Boethius, s. Abschn.
XII, Amm. 117.
19) Ehend. p. 41.: Tgöaos £ατί 7tgggxstusyos rê 7τgdyugτι πgogêvo
Qισμὸς δι' ἐπιδέτov yvvóuενος' άλλ' ἐπεῖ τὸ ἐπιδετόν ἐστι διπλοῦν, ἐστι
νάς ἐπά9€tQv övöuotos, δίον λευκὸς μάλας xccì öuotv, xxxî ëotuν ἐπιδετον
ἀηματος, οίον τὸ ἐπέggημα, xατά γάρ τὸν IIQιάκιανὸν (Prisc. Inst. gr. XV,
1, 1 ; übrigens hat diese' Citirung Priscian's durchaûs Nichts auffallendes, da der
selbe bekanntlich in Konstantinopel lehrte und wirkte) ἐπάggmucz §otuv £z£9ετον
δήματος, διὰ τοῦτο και ό τgόπος διπλοῦς ἐστι ..... (p. 43.) "Etv τῶν ἐπιg
nudτων τά μέν άφοgtiovoi τὸ δήμα λέγφ σνν&έσεως, οίον ταῦτα τὰ ἐ:
άναyxatos, èvòéyoμένως, δvv&rjg, äövvdvos, ἀληθός και ψευδῶς' τά
gè àq ggt;ovot , tò ôïíug zéguv τοῦ Ἀgêyugros ..... τά δέ άφορέαμαι πὸ
ôïìu« λόγφ zgóvqv ..... 3λλὰ τοὺς άλλους âqgvres πάντας τégè] τόν τήν
δύν9eguí äjjQu£óvtov £goῦμεν, οῖόν είσιν δύτοι', ávayxafgos, £y6ezouévovs
xal τὰ λοιτία ..... (p. 45) üóvoç èxsivos δ την σύνθεσιν άφοgi£a)v τgόπος
ποιεῖ τgoztvxijv 7tgórczovv, xa\ 7teQ\ τόν τόιούτων μόνον èvv«v9oi oxo
7τουμε1/.
%) I, 10, p. 45.: 'Igréov δε, ότι ούτοι oi §£ τgόποι ποτά μεν λαμρά
vovtav £7tuQgmucztuxóς, οίον άναyxatos, £vd£you£vog, .... πατά δέ όνοματι
xός, οίον Τδυνατόν, άδύνατον, άναyxaiov, £v6syóuενον, άληθὲς, ιμάνδες.
- - - - - (p. 47.) "Ett ίστ£ον, δτι ἐν ταῖς μετά τgόποῦ τgov %αεαι τὸ μέν άήμα
ύεί ύ7ioxeio;%av, τὸν δὲ τgöztov xvtmyoQ£ίσθαι • ττάσάι δέ αi άλλὰ παοίά
αεις λέγοντι τεgì toù rgocsivg, 6j& tò τῶν μετά τθότον 7tgov άσεων xaì
τὸ πός είναι δηλονσόν αὐτάς δέ μόνον 7τεgì toù 7tgossiva rj ύποxsuévq)
τὸ κατηyogoúusvov δηλούσας ' ö9&v xαί η τῆς πQotdosos άφειλομένη διαθ
geous άλη, 'ότι δηλονότι τῶν προτάgeov j uèv , ταρτική δέ τεgì £gù
agogeivai. 24λλ' £xsiva μέν άi 7tQov έσεις, αἰς τὸ άληδες, xxxî τὸ ipsúóos
zzσόςxειτται, ός τgότος πάgsto 8000 av διὰ τὸ τὸν αὐτὸν τgόπον ἐν αὐταῖς
vàvsg9αι τήν άντt9εσιν και τὰ λοιπά, δν δ) xàv ταῖς άλλαις ταῖς πεgì
τοῦ ἐνεῖνται.
270 XV. Psellus.
Statthaftigkeit, Möglichkeit und Unmöglichkeit übrig bleiben, . folgt die
Angabe, dass für ein Urtheil sich hiedurch , sechzehn Formen ergebem,
denn bei jedem Modus sind vier Formen möglich, da derselbe entweder
ohne alle Negation ausgesprochen sein kann, oder die Negation ent
weder beim Verbum oder beim Modus oder bei beidem stehen kann * ').
Und somit werden num bezüglich dieser möglichen Formen weit aus
führlicher als bei Boethius (Abschn. XII, Anm. 122) die Verhältnisse
des Contradictorischen, Conträren, Subconträren und Subalternen unter
sucht **), 'und das Ganze nach üblicher Schulmanier in eine Figur ge
|)racht**), worauf nocli speciell die Regeln der Aequipollenz dieser
21) Ebend. p. 49.: 'Io réov δε ότι, ἐχαστος τῶν τούτων τgόπων ποιεῖ
7tgorgoets tggtrxάς τεσσαρας, και, ούτω τόν τgόπων, όντων τεσσάgov «i
τgor&agrs £to t srgéxts τεσσαρες ήγουν δεκαε; ° si yàg ànq 9sin δ vgóro;
zògìς άgνήσεως, ποιεῖ μαν τgότασιν τgortuxijv ..... ei Anqj9εόη μετ' άgvij
αεως πQosx£ιμένης τφ άηματι (die letztern drei Worte sind im Texte ausge
fallen), ποιεί ἐτ€Qav ..... τήν τgάτην 7τοιεῖ πgότασιν, εῖ ληq 98£n uετ' ἀg
vijαεως πQogxstuêvns τφ τόδπφ ..... τήν τετάρτην ποιεῖ, εῖ ληφθείη μετά
δυοῖν άgνήσεων, τῆς μιᾶς uèv 7tQosx&iuévmς τύ όηματι τῆς δέ άτερας figog
xetuévns r$ tgörio .... Kò roùrov ròv rgόπον ἐj' £xáørov τῶν πεσσάgων
τgόπων αί τgotάσεις λαμβάνοντσι. Wahrscheinlich konnte dieser Abschnitt
dér Schul-Doctrin aus Syriànus entnommen werden; wenigstens scheint derselbe,
soweit wir ihn früher (Abschn. XI, Anm. 98. u. Abschn. XII, Anm. 118.) kennen
lernten, völlig der Mann zu solchen ' Combinations-Spielereien gewesen zu sein.
22) Ebend. p. 51: . IIgóτος κανόν, ότι ἀ äv xarajατικός signuévφ
útoόιδόται τὸ δvvστὸν, τούτφ άποδέδοται' και τὸ ἐνδεχόμενον όμοίως,
άποφάσκεται δέ αὐτοῦ τὸ ἀδυνάτον, και άντιφατι»ύς τgoόnveyuévov &to
qάσzsrgt xaì rò àvayxgiov,
21εύτεgos xανόν, ότι φ έν άποφατικός signuévφ άποδιδόται τὸ δv
Vατόν, τούτφ αύτφ άποδόδοται τὸ ἐνδεχόμενον, άποφάσχεται δὲ αὐτοῦ
τό άδύνατον, xαι άντιφατικῶς πQosvmvsyμένον άποφάσχεται τὸ ἀναyxcxiov.
Tgáros x&vóv, ότι ού άν καταφάiuxóς εῖgnáévov άποφάσχηται τὸ
ôvvστὸν, ἐπὸ τοῦ αὐτοῦ ἀποφίσκεται τὸ ἐνδέχόμενον, άποδίδδται δὲ
gύτφ τό άδύνατον, και τά τόύτον άντιφατικός ἐναντιφ άποδόδοται τὸ
άναyxviov. -
Téragros xovóv, άτι οί άν άποφατικός signuévov άποφάσκηται τὸ
αννατόν, τούτον άποφάσχεται τὸ ἐνδεχόμενον, άοότόοται δὲ αὐτφ τὸ
άδύνατον, xai του άντιφατικῶς τούτφ άνίιχειμévov xvtwq άσχεται τὸ ἐναy
zαῖοy.
23) Ebend. p. 53.: “O 6ijlov ταύτη τj £x8£αει
g
ξ
Η
Ου δυνατόν εστι τον Σωκράτη μή τρέχειν
Ουκ ενδεγόμενόν εστι τον Σωκράτη μή τρέγειν
"".o"
εχομ
"
ρημη τρεχ
εναντίαι
Αδύνατόν εστι τον Σωκράτη μή τρέχειν
Αναγκαίόν εστι τον Σωκράτη τρέχειν
"Ά%
c-
J
48'
ξι Φ2. 84'
&ν "ο&
3.-Ώ
3-
Φ.ξ.
κΥ
"Σε
SκΥ&
Δυνατόν εστι τον Σωκράτη τρέχειν
Ενδεχόμενόν εστι τον Σωκράτη τρέχειν
Ουκ αδύνατόν εστι τον Σωκράτη τρέχειν
Ουκ αναγκαίόν εστι τον Σωκράτη μή τρέχειν
υπεναντίαι
Ουδυνατόν εστι τον Σωκράτη τρέχειν
Ουκ ενδεχόμενόν εστι τον Σωκράτη τρέχειν
Αδύνατόν εστι τον Σωκράτη τρέχειν'
Αναγκαίόν εστι τον Σωκράτη μή τρέχειν
ξ
έ
-
ξ
ξ
Δυνατόν εστι τον Σωκράτη μή τρέχειν
Ενδεχόμενόν εστι τον Σωκράτη μή τρέχειν
Ουκ αδύνατόν εστι τον Σωκράτη μή τρέχειν
Ουκ αναγκαίόν εστι τον Σωκράτη τρέχειν
- 272 - xv. Psellus.
modalen Urtheile, jedoch mit Hinweglassung des ἐνδεχόμενον, hervor
gehoben werden **). Dabei aber ist uns im Hinblicke auf die latei
nische Schul-Logik von grösstem lnteresse, dass hier bei Psellus zum
ersten Male technische Memorial-Worte erscheinen (ähnlich den in der
Syllogistik angewendetem, s. sogleich unten Anm. 45 ff.); es erhalten
nemlich die vier Vokale A, E, I, OT eine symbolische Bedeutumg
für die vier Formen, welche bei jedwedem Modus möglich sind, indem
A das modale Urtheil bezeichnet, in welchem keine Negation ist,
E jenes, in welchem die Negation beim Verbum steht,
I jenes, in welchem die Negation beim Modus steht, und
OT jenes, in welchem die Negation beim Verbum und beim
Modus steht 2°);
und aus diesen Vocalem sind nun für die übliche Figur Worte gebildet,
welche nicht bloss für sich wenigstens wirkliche Worte sind, sondern
auch bei ihrer Zusammenstellung in Einem Satz einen verständlichen
Sinn geben, nemlich : „4ov\ovu£vov 'Iudöeg IIoQvaotov êwrQ£yovoiv*.
Nachdem auf diese Weise die Lehre vom Urtheile erledigt ist, folgt
der lnhalt der I sa g o ge, wobei die quinque voces als „xatrjyoQuxd**
(— praedicabilia —) bezeichnet werden, und bezüglich ihrer Geltung
die Auffassung sich zeigt, dass das eigentliche Prädicabile und das Uni
versale an sich das Nemliche seien (vgl. Abschn. XI, Anm. 130 ff.) und
mur dadurch sich unterscheidem, dass ersteres durch den Sprachaus
druck und letzteres durch das objective Sein bestimmt sei *°). Die
¢
24) I, 11, p. 57.: 'Iov£ov, ότι πάσαι gi 7tQordo sus cti £v τφ πgστφ
xstuεναι σελιδάφ ίαρδvναμοῦσι διὰ τοῦ πQότον κανόνος xaì àvtuoiQéqúvouv
§y éczvzczîs, czi öè èv τφ δεvt€Qq) διὰ τοῦ δευτεgov, xccì oùt ao xàzú róv
άλλων u. s. w. ...... (p. 59.) 'Igi£ov òè, ότι ἐν τφ πQosigmuévq) où y&yovs
uvium πεgì toù êvδεχομ€νον διὰ τὸ ἐντιστgéq εῖν αὐτὸ `ïú ôùvarj (über
άiesè Gleichstellung des èvδεχόμενον und des δυνστόν vgl. Abschn. XII, Anm.
119. u. Abschn. XIV, Anm. 216.).
25) Ebend. p. 59., woselbst Psellus die Erklärung der Wocale obiger Memo
rial-Worte (4ovìoùμεναι, 'Iλιάδες u. s. f.) gibt; allerdings aber zeigt uns der
gedruckte Text in sinnloser Weise die vier Buchstabem A, B, IT, 24; hingegen
enthielt die oben (Anm. 5.) erwähnte Handschrift (fol. 7 a) ursprünglich das völlig
Richtige, wofür eine spätere Hand mit schwärzerer Tinte das Falsche hineincorri
girte. Es lautete nemlich die Stelle in der früherem, noch deutlich erkenmbarem
Lesart folgendermaassen: 'Igτ£ον δε, δτι διὰ τοῦ ,,A* voeitai ij xo 96λον
xataqάτιxì èx τοῦ μéQovs τοῦ δήματος όμοτως xai τοῦ τgόπον, διὰ τοῦ
,,E* j άποφατική μέν £x toù uégovs τοῦ δήματος, xatc:q &vixi, ôë ëx τοῦ
uéQovs τοῦ τgόπον, διὰ τοῦ ,,1'* ì à7toq ατική μέν £x τοῦ μεgovs τού τgó
7tov, xαταφατιxi, ôè èx τοῦ μ£Qovs τοῦ δήματός, διὰ τού',,0Y* ij §xcité
g09εν άποφατικη ἐx τε τοῦ δήματος xaì toù tgö7tov.
23) II, Prooem. p. 61.: Tò] xat myoQιχὸν ποτέ μέν λαμβανεται xvgtos
xaì giro uóvov xatnyoQixòv Àéyετὰ , `ô ἐπῦ πλεόνων ίζγεται, ποτά δέ
Άαμράγεταί Χρινός, xò öüτα λ€γεται κατηyoQuxòv, άπεg ijxw8* §vòς μόνον
jj, xatà 7ιλειόνων xατηyog£ίται.' 'O9ev τὸ χvqtos λαμρὰνόμενον κατηγοgu
xòv ταὐτόν ἐστι τ ά καδόλον^ διαφ£gsu ôè ùùτοῦ δμως τὰ τὸ μέν ἐαῖn
yoQixòv ögt;eg9αι, τὸ λεγεσσαι, τὸ δέ xa9óìgv τφ εῖναι ἐστι δέ τό xατη
χοόιχόν τὸ 7v£gvxòg xgtà 7ιλειόνων xtztnyoQsig9ai, xa861ov ôè τὸ πεφvxös
èv 7ιλεδοσιν εῖναι (wahrlich eine bequeme Verbimdung des Platonismus unâ des
Aristotelismus). Tò óè xατηy9Quxòy ijyovv xa%λον διαιgsita, yévsu, sìòst,
διαφορά, iòtç xaì ovußeßrjx6iv' ö9ev 7tsgì toùtov èvrêv$ov $sogησωμεν.
XV. • Psellus. 273
Besprechung der einzelmen fünf Worte und ihrer gegenseitigem Verhält
nisse *") enthält durchaus Nichts bemerkenswerthes, weder an sich noch
bezüglich der Schul-Logik der Lateiner. Höchstens das Eine mag er
wähnt werden, dass Psellus einmal ausdrücklich den Boethius citirt 28).
Die hierauf folgemde Lehre von den Kat e gorien wird durch
mehrere Erörterungem, welche in einem äusserst losen Zusammenhange
stehen, eingeleitet (die lateinische Schul-Logik nemnt diesen Complex
Antepraedicamenta); nemlich zunächst werden die • Verhältnisse des Ho
monymen, Synonymen und Paronymen als Artem der Aussage (tgóvov
τοῦ κατηyoQ&iv) vorgeführt**), sodann als ein höchst nothwendiger
Gegenstand die neun Arten des èv τινι είναι (s. dieselben bei Porphy
rius, Abschn. XI, Anm. 66, und bei Boethius, Abschn. XII, Anm. 92)
aufgezählt *°), worauf die Erklärung des xαδ* άποκειμ£vov umd des év
vjrtoxeuuévg, sich anreiht **), und zuletzt noch drei Regeln gegeben
werden, deren erste namentlich dem Grundsatz (die sog. regula de quo
cunque) einprägt, dass alle Prädicate eines Prädicates auch vom Subjeete
gelten **). Die Kategorien selbst werden, wie wir diess schon früher
sahem (Abschn. XI, Anm. 68. und Abschn. XII, Anm. 90), auf das Schroffste
in Substanz und Accidens getheilt *°), von dem einzelnen Kategorien aber
27) II, 1—7, p. 63—95.
28) II, 4, p. 79.: 'Iot£ov ôè, δτι φησιν δ Boijτιος (Boeth. de Divis. p.
644., s. Abschm. XII, Anm. 99.) uóvov τὸ είδος δgt£e08trt* ό μέν yàg ágogòs
èx yévovg xaì ovo totuxóv εὐαι όφεόλει διαφοgóν, μόνον δέ τὸ ἐίδὸς ἐχει
3/£vog xaì διαφοQάς.
29) III, 1, p. 95.: IIgòς τὴν ἐπ£yvuyovv τόν ἐστηyoQvôv àvayxai&
τινα τgovztotu$&uevov 7tQöτον είτα ἐπ' αὐτάς ßαδιούμεδα ^ xaì ò) 7ródjtov
ίατ&ον, ότι ό τόύ κατηyogeiv τgάπας τgurtíoüs £or- ròv yàg xατηγορον
μ€νον τά μεν είσιν όμωννμα τά δέ συνωνυμα τά δέ παδωνύμα. *Ouo
yvpud εἰσιν`u. s. w.
30) III, 2, p. 99.: Tóν λεγομένων τά μέν είσι σvu7t£7tXeyu£vcz, oiov
„áv9gtoTos τg3y£u*, τά δέ άvév "%£%£j; qiov ,,áv$σαρπος“ij ,,tQéysr*.
24λλὰ τgῖν ή τὸ ἐτεQov μ€Qog tijs διαιgéσεως ύποδιαιQεάjvgv δεῖ διάδrst
λασ9ta toùç èvv€¢ tQ6ftovs τοῦ ἐν τινι εῖναι, άναyxdtovg övvrag 7τgòg τὸν
§7touévrjv διατgeoiv και πQός άλλα πάντα τὰ μετὰ ταῦτα διορισθησόμενὰ.
Im Folgenden jedoch werden nur siebem Arten aufgeführt, indem das óς είδος
èv t j yévet und das óς yévoç èv τφ είσει fehlen; die Reihemfolge der übrigen
ist: ός μégog èv τφ άλφ —, óς δλον ἐν τοῖς μεgsot --, óς είδος ἐν άλα
—, ἀς άνμβεβηκότὰ ἐν ύποκειμένφ —, óς ἐν τοῖntuxj —, óς ἐν τελει — ,
ός ἐν άγγεὐφ.
31) Έbeid. p. 103.: Töv övvaov τὰ μὲν είσι κα9* ύποχειμένον, ἐν ύπο
zειμένω δὲ οὐδενὸ είσι ...... τὸ λεγεσθαι χα9* ύποκειμάρύ, αός ἐνταῦθα
λαμβάνεται, ἐστι τὸ τού ύτοxέτω xατηyogeio8gu ..... τὸ δ* εῖναι ἐν ύττο
xeipìévq), tjç èvtcrù$t: λαμβάνεται, xatà tò ανμβεβηκός ἐστιν ἐν ύποκειμένω
• • • • • Tά δέ λέγεται xc, 9' ύποκειμévov xaì éìoìv èv ύποκειμένω ...... T&
6è sìoìv èv ύ7iox£t,uévq) xccì xc. 8* ú7rox£tu£vov οὐδενὸς λόγονται .... Eine
versinnlichende Figur hierüber, wie sie Boethius gab (Abschn. XII, Anm. 92.),
findet sich hier nicht.
- 32) III, 3, p. 105.: "Oταν ἐτεgov §tégov xat myogijται, όσα χατά τοῦ
zατηyogovuéyov λόγονται, και xατά τού ύπρχειμ€vov ταῦτα πάντα λεγεται.
• • - - - - Tóv διαφόgων γενόν και μη ύτ* άλληλα τεταγμένων διαφοgά είσι
τά είδη χα\ αi διαφοgat ...... Töv Ö£ yε ύπέλληλα γενόν οὐδέν xoÀùet
τάς σύτάς διαqoQàg εῖναι ....
33) III, 4, p. 109.: Tóv óè xav& μηδεμζαν ovu7tXoxijv λεyou£vtpν ἐκα
ατον ή οὐσίαν σημαίνει η σνμβεβηxός' χαι εί συμβεβηκός, ή τοσότητα ίί
P R A N T L, Gesch. II. 18
274 XV. Psellus.
nur Substanz, Quantität, Relation und Qualität in ausführlicher Erör
terung **) und ganz kurz noch Thun und Leiden *°) besprochen; die
übrigen fehlen. Bemerkenswerthes bietet auch dieser Theil des Com
pendiums nicht dar. Der Anhang zu den Kategorien, welcher bei den
Lateinern Postpraedicamenta heisst, enthält hier zunächst die übliche
Lehre von den vier Arten der Gegensätze °°), hierauf Angaben über die
verschiedenen Bedeutumgem des πρότεQov 87), sowie des άμα **), ferner
ùber die sechs Arten der xivqoig **), und endlich hinkt hier noch die
Besprechung der Kategorie des ἐχειν in einer Aufzählung der mehrfachen
Wortbedeutungen nach 40). Die Quelle aber all dieser letzteren Capitel
scheint Themistius zu sein 41).
Indem nun unmittelbar hierauf die Lehre von Syllogismu s folgt,
wird ohne alle weitere Anknüpfung am Früheres sofort mit der Definition
des Urtheiles (πρότασις) und jener des Begriffes (ögog) begonnen, woran
sich die Erklärung des κατά παντός und xov& μηδενός (dictum de
omni und dictum de nullo, vgl. Abschn. XII, Anm. 132) anknüpft **),
worauf die aristotelische Definition des Syllogismus angegeben wird und
die Dreizahl der Termini die nöthige nähere Erörterung findet *°). An
votóτητα ή πQός τι iiyovv àv&qogάν ή πού η ποτέ i xeio9ta fi άχειν ή
7τοιεῖν ή πάσχειν.
34) III, 5—9, p. 111—143.
35) III, 9, p. 143.
36) III, 10, p. 145.: L1€y€ται δέ άτεgόν τι ἀντικεῖσ&αι ἐτégφ τετQαχύς'
τῶν γὰg άντιχειμόνων τά μεν είσιν άναφοguxóς ἀντιx8tu8vo. .... τά δέ
ατεgrjtuxά .... τά δε είσιν ἐνάντια ..... τά δέ εἰσιν άντιφατιχός ἀντιxst
μενα .... Näher erörtert aber werden nur die letzterem drei, denn bezüglich des
(gegensatzes der relativen Begriffe wird auf die Kategorie der Relation werwiesem
p. 147.: tegi uèv ούν τὸν άναφοgtxöv stgnra 7τgötégov).
37) III, f1, p. 151.: Tò åê 7iQ6τεgov Àéyεται τάτggyóς ..... agóregoy
x*tà zgóvov ..... τgότεQov τὸ μή άντιστgéqjov xwv ά τήν τοῦ είναι άxoìbù
9nouv, jc7tsg τὸ ἐν λέγεται πgότεgov ttjv δύο ..... 7τgότεgov τίί τάζει
, 7tQöτεgov τό 3éâtuoy..... IIάgά δέ τούτονς τούς εῖgriuévóvg τόσσαgas
τgόπους ἐστιν άλλος τgόπος τοῦ πῖgotégov* τόν yàg àviuötQsq 6vtov xàvâ
τήν, τοῦ είναι άxoìoù$nguν τὸ αίτιον όπωςοῦν δατέQφ τοῦ εὐαι πgότεgov
sixóτω; qùost Àéyovt' äy. ;*
38) III, 12, p. 155.: %4ua ôë £yεται xatà tQgis τQöztovg : .... óv ij
yévsovg £v τφ αὐτφ zgóvó .... τά άντιστgéqοντα, δν μέτοι οὐδετεgóv £ατί
$&τ£Qov αίτιον, ἀςτέg τά άναφοguxd .....'. τὰ ἐκ τοῦ αὐτοῦ yévovc άντι
dumgrjuévg άλλήλοις.
T39) III, 13, p. 157.: Kvvrjosos δέ είδη εἰρων ἐά, δηλονότι yévsors, qu&ogd,
vύζησις, μετωσις, ἀλλοίωσις , xgì j xatä tö7τον, μεταρολή u. s. w.
40) III, 14, p. 159.: Tò ôë ëystv 7toÂÃοῖς τgότοις λ€γεται .... ἐχειν τινὰ
ττοιότητα .... ἐχειν μ€γεδος .... ἐχειν τά πεgì tò. σῶμα ..... 6ìs èv u£g£u.
- - • • • tjs èv àyy§ίφ , '..'Éyειν κτήμάτα .... ἐχειν yvvaixw ..... "Iaos oùv και
άλλοι τοῦ ἐχειν τgόποι φανεῖεν άν* oi δέ δίω96τες λεγεσ&αι σχεδόν πέντες
xwv mQt9urjvtau.
41) Wenigstens wenn wir diese Postprädicamente mit dem Schlusse des pseu
do-augustinischen Compendiums (s. Abschn. XII, Anm. 50.) vergleichen und dem
Charakter des letzteren (s. ebend. Anm, 42.) erwägen, wird es uas höchst wahr
scheinlich, dass Psellus hierin ebenso wie in der Topik (s. unten Anm. 64.) die
Schriften des Themistius zu Grund gelegt habe.
42) IV, 1, p. 163.
43) IV, 2, p. 165.
XV. Psellus. 275
die Definition der Figur (σχῆμα, — wobei, wie sich von selbst ver
steht, nur von drei Figuren die Rede ist —), sowie des Modus (tQö
πος) schliessen sich dann fünf allgemeine Regeln an, welche auf sämmt
liche kategorischen Syllogismen sich beziehen **). Bei Angabe der
sämmtlichen Schlussmodi der drei Figuren finden wir auch hier in der
ersten Figur ebenso wie bei Porphyrius und Boethius (Abschn. XI,
Anm. 82. u. Abschn. XII, Anm. 136) die Beifügung jener fünf theophra
stischen Schlussmodi, welche auf einer bloss mechanischen Ausbeutung
der vier aristotelischen Modi beruhen (s. Abschn. V, Anm. 46); hin
gegen in der dritten Figur bleibt der von Porphyrius und Boethius
hinzugefügte siebente Modus hier hinweg. Die schulmässige Erörterung
sämmtlicher Modi nebst den üblichen Beispielen *°) bietet an sich weder
Neues noch überhaupt Bemerkenswerthes dar. Wohl hingegen treffem
wir hier bezüglich eines rein formellen Momentes der Schuldoctrin die
Quelle einer bekanntlich weitverbreiteten technischen Manipulation ; Psel
lus ist nemlich der erste Autor, bei welchem sieh Memorial-Worte
(vgl. Anm. 25) für die einzelnen Schlussmodi findem *°). Die vier ersten
aristotelischen Modi der ersten Figur erhalten die Bezeichnung
Iσάμματα
êygawe
vQaqpiόι
τεχνικός *');
44) Ebend. p. 167. u. 3, p. 169., woselbst jene Regeln (xccvöves x«8oâuxoì
τgòς ἐκαστον τὸν αymuάτων xαι τῶν τgόπων) lautem:. IIQóτος xavojv £στιν,
ότι £x xα9αQóv u£gixöv ή άπgocόιogtovov ii §vvxóv οὐ δύναται γενεσθαι
αυλλογισμός, δύάν δεῖ τὴν ἐτεααν εῖvσι x«9ÖÀov. 4&vtsgöς ἐστιν, ότι £x
x«9agóς ἀποφατικῶν οὐ δυνάται γενεσθαι σνλλογισμός, δ9εν δεῖ τήν
§τ£gov τογτων είναι xatggerixjv. Tgiyos ?orìv, ότι, τῆς ἐτ€ρας τόν τgo
τάσεων ούσης μεQuxjs áváyxm τὸ σνμτ>opua usQuxòv εῖναι, άλλ' οὐ `τὸ
&v&παλιν. Tévogtóς ἐστιν, ότι τῆς ἐτégwc toùtov ούσης άποφατιxijs
άνάyxm τὸ συμπάθασμα άποφατιχόν είναι. ' II€ur vos èατῖν, ότι τό μεσον
oῦδέποτε τQός τὸ συu7t£gcro ut §gys ται.
45) IV, 3, p. 169 — IV, 5, p. 193.
46) Allerdings bietet die gedruckte Ausgabe diese Memorial-Worte nicht dar,
sie findem sich jedoch vollständig in der oben erwähntem Augsburger Handschrift
(fol. 17 ff.) am Rande eingetragen, und zwar von der nemlichen Hand, welche
dem Text geschrieben hat, so dass nicht abzusehen ist, warum Ehinger dieselben
nicht abdruckte. Wollte mam aber das Alter der Handschrift (14. bis 15. Jahrh.)
zu dem Einwande benützen, dass der Abschreiber diese Dinge aus dem Compen
dium des Nicephorus Blemmides (s. unten Anm. 113.) habe eintragen können, so
fällt dieses Bedenken sofort wieder dadurch hinweg, dass Blemmides bei der
ersten Figur überhaupt nur vier Schlussweisen aufzählt, hier aber sämmtliche neum
ihre technischen Worte bekommen; ausserdem auch waren die oben Anm. 25.
angeführteu Memorial-Worte durch ihre ausdrückliche Motivirung in den Text selbst
verflochten, und wir müsstem schon darum den schwer zu bestreitenden Schluss
ziehen, dass wenn Psellus einmal bei irgend einem anderen Punkte eine derartige
Technik anwendete, er gewiss bei dem formalsten Capitel der Schuldoctrin das
Gleiche gethan habe; ja zuverlässig waren die Memorial-Worte der Syllogistik die
früherem, und jene obigen wurden denselben erst nachgebildet.
47) Auch hier demnach wie oben (Anm. 24.) sind die technischen Worte so
gewählt, dass der aus ihnen gebildete Satz als solcher einen Sinn gibt, nemlich
„Buchstaben schrieb mit dem Griffel der Gelehrte*. (Bei den Lateinern Wilhelm
' 1S *
276 XV. Psellus.
die fünf theophrastischem Modi der erstem Figur heissen :
Igduuoovv
άταζε
χάguot
- τάgδενος
tegöv *°);
die vier Modi der zweitem Figur:
.Έyoaws :
xc:t8y8
μέτριον
άχολον 4°);
die sechs. Modi der drittem Figur:
"Avaov
αδεναQÖg
ίσάκις
άσπίδι
δμαλός
qoègugtog °°).
Der Schlüssel dieser Memorial.Worte liegt, wie man auf den ersten
Blick sieht, darin, dass auch hier wie oben die Wokale als Symbole
gelten, memlich
' 4 bedeutet ein allgemein bejahendes Urtheil,
E ein allgemein verneinendes,
I ein particular bejahendes, und
O ein particular verneinendes.
Es lässt sich aber auch der Ursprung dieser abkürzendem Symbolik
mit- ziemlicher Gewissheit nachweisen ; denn für die so eben angegebene
Viertheilung der Urtheile war längst bei den Commentatoren die kurze
Bezeichnung „τάς, οὐδείς (wofür aber sehr häufig oùôÉv steht), tig,
oῖ τάς“ recipirt *'), und man hediente sich derselben bei bestimmten
* •
Shyreswood, Lambert v. Auxerre und Petrus Hispanus lautem die Worte Barbara,
Celarent, Darii, Ferio).
48) Diese, fünf Worte, welchen den Sinn geben „Durch Buchstaben errichtete
den Grazien eine Jungfrau ein Weihgeschenk**, | waren bisher gänzlich unbekanni,
da sie, bei Blemmides fehlen und nur in jener Handschrifl des Psellus sich finden.
(Bei dem genanntem Lateinern, welche diese Schlussweisen gleichfalls zur ersten
Figur zahlen, sind die recipirten Worte Baralipton, Celantes, Dabitis, Fapesmo,
Frisesmorum oder Frisesomorum.) Dass aber diese fünf Modi durch Galenus zu
$i; eigenem vierten Schlussfigur umgestaltet wurden, s. oben Abschm. IX, Anm.
. 49) D. h. „Er schrieb (oder sie schrieb, nemlich die Jungfrau): Ertrage
einen gemässigten Mann, welcher ohne Zorn ist**. (Cesare, Campestres, Festino,
Baroco.) -
50) D. h. „In Allem ist der Starke, welcher in gleichem Maasse einem Schilde
vergleichbar ist, der Tüchtigste“. (Darapti, Felapton, Disamis, Datisi, Bocardo,
Ferison.)
51) S. dieselbe z. B. Abschn. XI, Anm. 156., in einer Stelle, welche bereits
dem Ammonius (Ende des 5. Jahrb.) angehört. ' Es mag hervorgehoben werden,
dass bei allen Commentatoren das particiilar verneinende Urtheil nicht etwa durch
»τινές οὐ“, sondern stets durch „óù 7rác* abgekürzt bezeichnet wird.
XV. Psellus. 277
traditionellem Figuren zur Versinnlichung der einzelnen Schlussweisen **).
Und' mum mochte sehr leicht es sich als abermalige Vereinfachung dieser
Abkürzung einstellen, dass man nur die prägnanten Hauptvokale jener
vier Worte heraushob, wobei „τάς“ und „tig“ sofort von selbst auf
4 und I führten, hei ,,οὐδείς“ oder noch mehr bei „oùô£v* das accen
tuirte E hervortreten konnte, und damn bei „où τὰς* das O entweder
wegen des ,,οὐ“ oder etwa auch darum gewählt wurde, weil es der
übrigbleibende vierte Hauptvocal ist.
Nach der Angabe der meunzehn Schlussmodi folgt bei Psellus ein
Corollarium über die syllogistische Tragweite der drei Figuren, sowie
eine Erörterung über die zum Schliessen untauglichen Combinationem
(äygnotov ov%vyiav) der Urtheile **). Hierauf wird in aller Kürze über
jene Syllogismen gehandelt, welche aus Verbindungen von Urtheilem des
Stattfindens, Möglichkeits-Urtheilen und Nothwendigkeits-Urtheilen be
52) Nemlich z. B. bei Philoponus (Comment. in Priora Analyt. Venet. 1536,
fol. XX ff.) wird in der ersten Figur der erste Modus dargestellt:
7τάς • 7τάς
- /
• ^ ^]
4 / a
7τάς
oder z. B. der vierte Modus:
- oῦδὲν τάς ©
oῦ τὰς
Für die zweite Figur sind aufwarts stehende Dreiecke gewählt, und z. B. der
dritte Modus ist:
oῦδὲν τῖς
où zτάς
Für die dritte Figur aber abwärtsstehende Dreiecke, und dort ist z. B. der
zweite Modus:
oῦ πάς
oùóêv 7τάς
53) IV, 5, p. 193. u. IV, 6, p. 195.
278 XV. Psellus.
stehem **), sodamm aber ausführlicher über die hypothetischem Schlüsse °°).
Die Lateiner fanden für gut, diese beidem letzteren Capitel sofort weg
zulassem. Hingegen fehlt bei Psellus ein die Syllogistik abschliessendes
Capitel, welches bei Petrus Hispanus sich findet und unter der Ueber
schrift De potestatibus syllogismorum noch einige Punkte enthält, welche
bei Aristoteles im zweiten Buche der ersten Analytik besprochen sind °°).
Auf die Lehre vom Schlusse folgt nun unmittelbar die T o p ik,
und es ist zu beachten, dass dem lateinischen Schul-Betriebe der Logik
durch Psellus das eigentlich logisch-philosophische Werk des Aristoteles,
nemlich die zweite Analytik, nicht zugänglich gemacht wurde.
Die Topik beginnt mit einer ziemlich ausführlichen Erörterung
ùber πορισμὸς τόν τgotáαεων (inventio propositionum), d. h. über die
Frage, wie der Dialektiker den nöthigen Mittelbegriff einer Beweisführung
finden könne *"), ein Capitel, welches die Lateiner übergiengen. Hier
auf wird 16yog nach seinen verschiedenen Wortbedeutungen erklärt,
und unter denselben für die Topik jene als die entscheidende hervor
gehoben, wornach λόγος den Mittelbegriff eines Schlusses bezeichnet °°);
diess bildet den Uebergang zur Definition des ἐπιχείρημα (argumentum)
und der άπόδειάις (argumentatio), woran sich die gewöhnlichen An
gaben über ἐπαyoyj, ἐνδύμημα und παράδειγμα anschliessen, um so
damn zur Definition und Eintheilung des τόπος διαλεκτικὸς zu führen °°).
Die Anordnung der einzelnen Topen ist folgende: Vorerst die τόποι
êootegixoi, und zwar zunächst jene ἐκ τῆς οὐσίας, nemlich ἐκ τοῦ
öguouoù, ἐκ τῆς ύποyQaqpìjg, ἐκ τῆς ἐgμηνείας τοῦ δνόματος °°); so
damn jeme ἐκ τῶν xoivovovvtov τί οὐσία, nemlich άπό τοῦ δλον και
τοῦ μ£govg, άπδ τίς αἰτίας xai του άπότελεσματος, άπό yev£geog, £x
54) IV, 7, p. 197.
55) IV, 8, p. 201 ff. Die Lehre von dem hypothetischem Schlüssen ist hier
jene nemliche, welche wir Abschn. XI, Anm. 166. trafem. -
56) Nemlich das πλεto ovÀÀoyt£εα9αι (s. Abschn. IV, Anm. 608.), §x pev
Jóv άλη9jj ovÃÄoyt£εσόται (ebend. Anm. 610.), xùxàq) δε£xvvo&at (eb. Anm.
615.), άντιστgéq&uν συλλογισμόν (eb. Anm. 619.), ünd δ διὰ τοῦ ἀδυνάτου
ανλλογισμός (eb. Anm. 623.). ' Es bleibt hiebei immerhin die Frage, ob nicht
die Hinweglassung dieses Capitels bei Psellus lediglich auf Rechnung der hand
schriftlichen Ueberlieferung zu setzen sei, und ich möchte diess sogar für das
Wahrscheinlichste halten.
57) V, 1, p. 206 ff.
58) V, 2, p. 218.: '0 λόγος πολλαχύς λεγεται. IIgóτον μέν yàg τQó
πον ό λόγος ά αὐτός ἐστι ἐφ όgiouô, fi rjjtoyQaqj &s £v τὸ „gyvoj;
vvug sioiv όν τούνομα xoivòv] xà à xατὰ τούνομα λόγος τῆς οὐσ/ας δ
aùröc*. 4εύτεgρν δέ τgόπον λόγος τὸ αὐτὸ ἐστιν άπεQ ìóyos δειxvύς τι,
táczieQ oi λόγοι [ijyovv oi gviâoytogoi τόν διαλεyou£vov. "Aλλον δέ τgόπον
ό λόγος ἐστῖν άπεg τὸ είδος τῆς ύλης, όςπεg èv 'τφ μαχαιgtQ ö uèv gt
άngóg èo ruv ύλη, η δὲ τgosεταχόεῖσα, τὰ ovdfjgq/ διάδεότς ἐστιν είδος.
"Eregov ôè τQόπον λόγος ἐστιν άπεg η οὐσία τοῦ xQuvoù roù xατηyogov
puéyov xatά πλειόνων, ἀςτεg i) oùótg τοῦ yévovs j rgù gidovg. IIagâ
τούτους δέ τούς τQόπους λόyòς ἐστιν άπεg τό μεσον, δι' αῦ ἐχτέγεται τὸ
gvu7t€Qa opu«, xaì xατὰ τοῦτον τὸν τgö7iov λαμβάνεται ό λόγος ἐν τφ
ögiouj τοῦ ἐπιχειQfiugtos.
59) V, 3, p. 220—4, p. 234.
60) V, 5, p. 234— 7, p. 246. (Loci intrinseci a substantia, und zwar a de
finitione a descriptione, ab interpretatione). *•
XV. Psellus. 279
φθοράς, ἐκ τὸν χαήσεων, ἐκ τῶν κοινί σνμ£ερηκότων "*); hierauf die
τόποι ἐτοτεgwot, nemlich §§ άντικειμ£vov, wobei . die άντιδιηρημένα
einzureihen waren, άπὸ μείζονος καί ἐλαττονος, άφ' όμοίον, ἐά άνα
Àoyiag, άπό μεταιηφεος, ἐά άδιαδματος °°); zuletzt die τόποι μόσοι,
memlich ἐκ τὸν συστοιχων, άπό τταδσεων, άπό διαιρέσεως °°). Die
hauptsächliche Quelle des Ganzen dürfte bei Themistius zu suchen
sein 64).
Die Sophistici Elenchi fehlen bei Psellus, jedoch, wie es scheint,
sicher nur durch Schuld der handschriftlichen Tradition °°).
Hingegen schliesst sich ummittelbar an das letzte Capitel der Topik
eim Bruchstück einer ebenso eigenthümlichem als ausgedehntem Erör
terumg an, welche bei den Lateinern unter der Bezeichnung „De ter
minorum proprietatibus“ und theilweise unter dem Titel „Syncategoreu
nata“ (s. unten Anm. 92) ihre höchst einflussreiche Aufnahme fand.
Es wird nemlich zunächst mit einer Bemerkung, welche aus dem Ab
schmitte über die Kategorien wiederholt ist (s. Anm. 30), sogleich auf
die Definition der „Bedeutung“ (σημασία, — significatio) übergegangem,
und letztere wegen ihres dinglichen Gehaltes auf jene Worte beschränkt,
welche in sich einen allgemeinem oder particularen Inhalt darstellem,
so dass die blossen Zeichem der Quantität nicht zu dem eine Bedeutung
darbietemden Begriffen (ögoi) gehören sollen °°). Die Bedeutungen wer
dem sodann in substantielle (oùαιόδεις) und attributive (ἐπείςακτοι) der
artig getheilt, dass den ersterem die Substantiva und dem letzterem so
61) V, 8, p. 246—13, p. 280. (Loci intrinseci a concomitantibus substantiam,
mmd zwar a toto et parte, a causa et effectu, a generatione, a corruptione, ab usi
bus , a communiter accidentibus).
62) V, 14, p. 282—20, p. 302. (Loci eaetrinseci, und zwar ab oppositis,
disparata, u maiori et minori, a simili, a proportione, a transsumptione, ab auet0
ritate). Im Texte des Psellus jedoch besteht eine Werwirrung, insoferne das Capitel
über die άντιδιμgnuévg (disparata) von den ávrtxstusva (opposita) losgerissen
und am das Ende (c. 20) gestellt worden war.
63) V, 21, p. 302—24, p. 308. (Loci medii, und zwar a coniugatis, a casi
bus , a divisione).
64) Es stimmt memlich die Reihemfolge der Topem im Allgemeinem mit dem
jenigen überein , was wir won der Topik des Themistius wissen (Abschn. XI, Amm.
96.); einzelne Abweichungen können immerhin ' von dem allmäligem Werlaufe der
Schultraditiom herrührem.
65) Denm es wäre schwer einzusehem, wie ausserdem Wilhelm Shyreswood
und Lambert von Auxerre und Petrus Hispanus gleichmässig auf den nemlichem
Gedanken verfallen wärem, diesem Abschmitt aus Aristoteles oder aus der Ueber
setzung des Boethius zu ergänzen. Wohl hingegem kann noch die Frage offen
bleibem, am welcher Stelle die Sophistici Elenchi ursprünglich bei Psellus gestandem
sein mögen, s. unten Anm. 91.
, 66) V, 25, p. 319.: Tòv ìsyouévov τὰ μέν μετά σνμπλοκής λ€γεται,
oiov , xayxQ&tns rgézει* ij. „áv9άωπος λεvxös“, τά δέ άνευ σνμττλοxijs,
Qiov „áv8Q07τος“* §xûotos δέ τῶν ἀσυμπλάτων δgων ή ούσιαν σημαάνεῖ
ij 7τοιότητὰ (diese beiden Worte sind im Texte ausgefallen) ij 7τοσότητα £;:
qogάν ή τοιεῖν ή πάσχειν, ούτω δέ xázτά τόν άλλων. Σημαστα δά, δς
èvtaÜ8 a Agußάνεται, ἐστι τgáyuavos διὰ φωνῆς xarà ovv&rjxrjv παρά
ατασις : διότι, ἐπειδή τάν τigάγμα ή xt.96λον ἐστιν η μεgtxóv, δεῖ κάς
qωνάς τάς μη (fehlt im Texte) δημαινοῦσας xa9δλον η μεgixòv uij onuatveuy
tu, *αι ούτως οὐx ëgovtov ögov , τὸς ἐνταῦθα λαμβάνεῖαὐ δ δgos* ö3εν τὰ
za&ólov η τά μεQuxά σημεία οὐ λéyouev ögovg.
280 XV. Psellus.
wohl die Adjectiva als auch die Verba angehören sollen, woran sieh
die Bemerkung knüpft, dass die Substantivität (oùσιωδότης, — „sub
stantivatio“) und Adjectivität (ἐπιδετικότης, — „adiectivatio“) weder
Dinge, noch auch Modificationen der Bedeutung, sondern Modifigationem
der Dinge seien, indem die Substantive eine „Unterstellung“ (ύποτιδέ
vau) und die Attribute eine Werknüpfung (συμπλεκειν) hervorrufen "").
Es sei nemlich die Unterstellung (ύπόδεσις, — „suppositio“) die An
mahme eines substantivischen Begriffes anstatt. eines anderem, namentlich
eines particulareren, und sie fliesse erst als eine abgeleitete aus der
,,Bedeutung“, insoferne letztere bloss Sache der Sprache sei, die Unter
stellung aber auf der bereits bestehenden Werbindung der Sprache mit
der Bedeutung beruhe ; das Nemliche aber, was die Unterstellung bei
substantisen, sei die Werknüpfung (ovuvlowî) bei attributiven Wor
ten 6°).
Und num wird die „Supposition“ (— ich will mich fortan dieses
bei den Lateinern recipirten Wortes bedienen —) auf das Ausführ
liehste erörtert. Zunächst memlich folgt die Eintheilung derselben, in
soferne sie entweder allgemeim (xovvrj, — „communis“) oder bestimmt
(διωQuopa£vm, — „discreta*) sein kann, je nachdem ein allgemeiner Be
griff (ögog xotv6g, vgl. oben Anm. 12) oder ein individueller Begriit,
welcher auch durch Demonstrativ-Pronomina ausgedrückt werden kann,
angewendet wird; die allgemeine Supposition wird dann wieder einge
theilt in eine natürliche (φvσική, — „naturalis“) und eine accidentelle
(κατά σνμßsßnxός, — „accidentalis*), indem erstere auf den gesammten
Umfang eines sog. Allgemein-Begriffes sich beziehe, letztere aber eine
Beschränkung auf specielIe Determinationem, welche an dem Allgemein
Begriffe sich finden können, enthalte °°). Ferner aber zerfällt die acci
-
67) Ebend. p. 312.: Tóv σημασιῶν ή μὲν ἐστιν 9ύσιωδόονς πgáyματοs
x«î ëz£t tò yiv£o9ai δι' όνόματος οὐσιῶδδυς, οίον „áv8Q07τος“, ij öí êoruv
èzt£ιςάxtov xaì §zει τὸ γένεσδαι ή δι* óvóματος ἐπιθέτόν ή διὰ δήματος,
oiov ,,}&vxög* j ,,τgéχει*' διότι xvQtog òùx èo τὸ σημασία ἐπύέτος xaì
oùgiajómς, άλλα τι σημαίνεται οὐσιωδῶς xcct τι σημαίνεται ἐπιδετuxós*
διότι η ἐπιδετιxότης και οὐσιωδότης οὐχ είοι πQdyματα, άλλ* είσι τQözy9v
τῶν πραγμάτων, ά σημαίνονται, xαι οὐ τῆς σπμασίας' ö9εν τά οὐσιῶδn
övöugτα λεγονται ύττοίι8évat, τὰ δὲ ἐχτί9ëra óvunâéxeuv,
68) Ebénd.: 'Y7r69eovs y&Q ἐστι τQόςληψις δόον οὐσιῶδονς άvτὰ τινος '
διαφάσει δέ άπό9εσις και όnύσατα, ότι η μάν σημασές ἐστι δ' ἐπισάgsos
φωνῆς πρὸς τὸ σημαινόμενον τgάχμα, άπόδεονέ όε ἐστι τgásánipus ög9v
jòm σημαινοντος gò 7τgάyμα άντ} μεQuxoù τινος, ὐς όταν λέγηται ,,άν
8Q07τος, τQ€χει“, qύτος δ δόος δ „êv$Qωπος“ ô7zovt9&rav άντι ΣωxQdvovs
xô IIλάτὸυος xaì ròv άλλων. [Kgì òvó vt ij omuaoto 7tQov> £ατὰ τjs
i7ro9€σεως χαι οὐ σημα£yovov τὸ αὐτό; διότι τὸ σημαίνειν ἐστι τῆς φω
vijs, τὸ δέ άποτάσεσδαι δgov ijön omucz£vovros, τοντἐστι συνθέτον £x qoo
vijs, xaì omuaotas* ii ίττάθεσις άgâ oùx èo τι σημασια. Σνμπλοxijw Èotu
zτgóςληψις ögov èv %tov ijyovv £7tovouojöovg άντί'τινος.
69) V, 26, p. 314.: Töv ύποδέσεων η μέν ἐστι x9uv) j δέ διωguo,u£vr].
'Yrt69&gus xotvfj èατιν η δι' ögov yuvouévrj xotvoü, oiov „êv9QQ7tos** ìnó
εσις διωQuouévn £ατιν η δι' `ögov yivouévm διωρισuévov, oiov „xoxQd
της“ ii (au$ Petrus Hispanus geht herwör, lass hier folgende Worte ausgefallen
sind: yuvogévn 6g' ögov, xotvoü Au£τά άντωνυμάς ἐπιδεικτικής, τοῦ τgωτο
τυπον είσους, oiov) ,,ούτος δ άv8Q07tos“. "Et véóv xovvóv ύποθέσεων ij
XV. Psellus. 281
dentelle Supposition abermals in . eine einfache (άπλή, — „simpleae*)
und eine persönliche (προςωτική, — „personalis*); die ersterè der.
selben bestehe in der Annahme eines Allgemein-Begriffes an Stelle des
von ihm allgemein bezeichnetem Dinges, d. h. ohne specielle Beiziehung
jener Dinge, welche als zu seinem Umfange gehörig unter • ihm fallen
(v& xαταδτεgo, τά ταπεινῶτεgo); und zwar bestehe bei dieser „einfachen
Supposition“ wieder ein Unterschied, je nachdem der Allgemeim-Begriff
im Subjecte oder im Prädikate stehe, und man müsse hievon jene Fälle
streng ausscheiden, in welchen der Allgemein-Begriff durch einen Zu
satz (ìáêtg τταρασημειωτική) eine nähere Bestimmung, z. B. namentlich
durch restrictive Ausdrücke eine Beschränkung erfährt, denn- alle der
gleichen Supposition gehe bereits in die „persönliche* über; dass aber
auch damn, wenn der Allgemein-Begriff im Prädicate steht, es eben
eine einfache Supposition sei, wird ausdrücklich an einem traditionellem
Beispiele gezeigt 7°).
Auèv qvouxi, í óè xατά ggg; 'Y7t69εσις φvoixrj £ατι τgόςληψις
δgov xoiyoù êvrì 7tdvrtov, ög* óv μετεχεσθαι π£qvxsv , οίον ό άύθQωτος
x&&' αὐτὸν siànuu£voc (in ' den Wortem x&9* aùtôv liegt ein Gegensatz im
Vergleiche mit ττgός τι, s. unten Anm. 82.) £x τῆς, ἰδέας φύσεως ύποτέ$mow
dévri 7róvtov &v8góziov vóv ysvouévov, x«î övvoov και ἐσομενων* χατά
σνμβεβηχός δέ ίτό9εσίς ἐστι πqόςληψις δgov xglvov, άντ' ἐκεόγων, & τὸ
αυνημμένον άπαιτεί, οίον „άν9δωτός ἐστιν“ ούτος ό δgos ô „áv8Q07τος“
ύποῖάησι ἐνταῦ9« άντι τόν, ἐνέστότων, όταν δέ λéyntάι „äv8Q07tos jv*,
υποτόησι πεgì tóv παQελθόντων, xaì διαν , άνθgωτὸς ἐσται“,`îztott$noi
7tsgi tóv uεῖλόντων' κέ ούτω διαφόgovs i/to&éoeus άει xατά τάς όια
qog&ς τῶν αὐτοῦ σημαινόντων.
70) Ebend. p. 316.: Tóv δε χατά σνμβεβηχός ύποθέαεων η μεν ἐστιν
άπλη ή δέ τgo<g/tuxij: άπλη ύπό9£otc £στι τgόςληψις δgov xoiyoù êvrì
argéyματος κάθάλαν σημαινρμένον δι' αὐτοῖς, ός, όταν áéyjrgt „ö äv&go
πός ἐστιν είδος“ ì ,,τὸ ἐφόν ἐστι γένος“, oῦτος δ ögog ó ,,ίν9Q07τος“ ύτο
tt9mouν άντι τού άν9Q0j7rov èv τφ xoivj, άλλ' οὐχ άντ' άλλου τινὸς τόν
zc tot£Qaov, όμοίως xcä 9îvos ö ögos ,,τὸ ζφον“ Ü7τοτθησιν άντι τοῦ ἐφον
èv τφ xouvj xxxî oùx άντ' άλλον τινὸς τόν τταπεινοτ€Q0v* óς ό' αύτως
xgì èv èxcziéQφ (zu lesen Éxdiovq) ögφ κοινά, δς ,,τὸ γελαστικόν ἐgτιν
iόιον* jj „τὸ λοyuxóv èo τι διαqogd* jj „τὸ λευκόν ἐστι σνμβεβηxös“. 'Etu
τόν άπλόν ύπόθεσεων η μεν ἐστιν δgov xouyoù êv ύποx£iuévq) τε9évtoc,
oiov „ö äv9Q07τός ἐστιν εῖδος“, íí ôá êo tuv ögov xotvoü τε&εντος èy xtx τη
VoQovu£vq xatgqatixj, oiov „τάς άν>07tóς ἐστι ἐφον“, qύτος δ, ögos „τὸ
άδων* £v τά xginyogovu£vo te8£ìs άπìjv &s; ύπόθεσιν, διότι μόνον ύπο
τόησιν άνί τῆς φύσεως του y£vovs' άλλη δε ἐστιν ögov xotvóù ye%vros
μετὰ λεζιν 7ταggonustorgxhv, δῖον „τάν ἐφον παgά τόν άνδgωπόν ἐστιν
åÀoyov*: èvv αὐθα γὰg oότος ό δgos ö „άνδgωπος* άπλήν ἐχει ύπόδεσιν,
αὐ γάρ ἐπονται ταῦτὰ ' ,,täv. ζφον παgά τὸ ἐν9Qωτόν ἐστιν άλογον, πάν
ágú úov ταQά τούτον τόν άνδαρτόν ἐατιν άλoyov*, άλλ' ἐστιν ἐxsî vê
oxijuc. τῆς 4<;eps τφ 7tQ9;éva, ££ 37τλής, ύπο9€oetog εἰς πQoctozvtxijv εἰς
τίσόςωπον* όμους κάνταῦθα „ö äv8Q07τός ἐστιν είδος“ (aüsgefallen: τάς
άδα άνθgωπός ἐστιν εῖδος) xc.) 7τάλῖν „7täg äv&Q07rós £otu ζφον, πᾶς
άδα άνόσωπός ἐστιν (ausgefallem τούτο τδ ζφον)“: èv ττάσι yàg ytvetgu
7igδοόος ἐς άπλής ύττο9€σεως εἰς τgogo7tixjv. *0t δέ ό xoivòς δgos £v
τό xατηyogovu£vq), re$s}ς ἀπλῶς 9εασεῖται, δῆλον £x ταῦ λ£yeιν, άγί πάν;
τῶν τόν άντικειμένων ή αύτη ἐστιν ἐλτιστήμηζ εἰ μὴ γὰρ ούτος ό δgoς ,,ii
èrtigrijun* άπλήύ εῖysv ύπό9êouv, ysvéès äv'jv* óóósutà yàg μεguxj &ftt
ατήμη άτάντων τὰ ἐναντίων ἐστιν* ì yàg ίατQux) oùx èότι τίτάντων τῶν
èvavvtov, άλλὰ μόνον τού ύyιαίνοντος xò vogoùvroc, xαι * yQauuo tuxi
τού iiguoouévov xaì àvaguóατον, και έπι τόν, άλλων όμοάως.
282 XV. Psellus.
Umd es folgt mum die zweite' Species der accidentellen Suppositiom,
memlich die „persönliche“; das Wesem derselben liege im Gegensatze
gegen die einfache gerade darim, dass ein Allgemeinbegriff an Stelle
der unter ihn fallendem Dinge, welche seinem Umfang ausmachem, ange
mommen werde; durch eine abermalige Eintheilung aber wird sodann
immerhalb dieser persönlichen Substitution wieder umterschieden , eine
feststehende (διωQuou£vm, — „determinata*) und eine verworrene (ovy
x£yvpévm, — „confusa“); die erstere finde Statt, wenn die Quantität
des Allgemein-Begriffes entweder gar , nicht oder particular ausgedrückt
sei, und eine feststehende werde diese Supposition darum genannt, weil
ein auf derselben beruhendes Urtheil, wenn auch zu allgemein ausge
sprochem, demnoch jedenfalls von Einem unter den Allgemein-Begriff
fallemden Individuum wahr sei; zur Erläuterung aber wird hier zum
ersten Male (wir werden sehen, dass im weiterem Verlaufe diess zum
wesentlichem Bestandtheile dieser Erörterungem sich umgestaltet) ein
Sophisma beigezogen, welches zu den ἐκ τοῦ σχήματος τῆς λάζετος
genannten gehört "').
Die Besprechung aber der zweitem Unterart, memlich der „ver
worremen“ Supposition führt zu moch ausführlicherem Untersuchungen
und zur Schlichtung einer Controverse. Eine verworrene Supposition
liege dann vor, wenn ein Allgemein-Begriff durch Wermittlung des Zei
chens der Allgemeinheit (d. h. des Wortes „Alle“) an Stelle mehrerer
unter ihm fallenden Dinge angenommen werde ; dabei aber sei wieder
ein Unterschied, je nachdem diese Unterstellung aus der zwingendem
Nothwendigkeit jenes Quantitäts-Zeichens oder aus der zwingenden Noth
wendigkeit des Sachverhaltes selbst hervorgehe, und zwar betreffe der
erstere Fall das Subject, der letztere aber sowohl die Copula als auch
das Prädicat "*). Aus Letzterem aber folgt nun die abermalige Unter
71) Ebend. p. 322.: IJQogw/twxij èovuv ύπό9εσις λῆψις xotvoü ögov àyτὰ
τόν ίστων xtztótégov, oiov, „üv9gσπος τgéyss* oîvoç' yäg ö ögog ö „άν
8gωπος“. zeivau άντι τόν ίόζων χάτωτ£gov.T "Erv τῶν 'ττάοςωπύxöv ύπο
8êαεων ό μὲν ἐστι διωguguévm j óè avyx£yvuévm. 4uoquóu$vm μέν λεγε
ται, jv ἐχέι ögog xoivòς άδιορίστως είλημμενος j μετὰ λgóςδιοgùguoù ift9t
gnusfov ueguxoù, oiov „áv8gozios.tQéyéw*. i) „äv&go)7toc xvvsírg* ij ,,τις
ίνόgoros tg&£**' x&} λ€γετά ἐx&*£go roûrov άιωσιαμενn, διότι, ει xgì
èv èxgτégg Ttóvov ούτος ό δgos ó „äv8Q07t9c* ùroîtônôv àvrì agvtòs
fìv8Qoj7ιου τg6yovvös τε όμοίως xaì 4â, όμως ἐνὸς τgéyovios άληθής ἐστιν*
άλλο γέg ἐστί τό ύποτιδέναι xaì äåÀo tòv Àóygν άj9ij άποδιδόναι ἄντα
τινος ἐν yàg τοῖς 7tgosugnuévovs, jc signrta, δύτος ό όσος ό „äv>otos“
ù7τοττεησιν άντά ταντός άνθgσίπον, ἀςτεg τοῦ τgéyovtoç oùτω και τοῦ
μῖ} 3%£';;;; άλλ' άποδέδραι τὸν άλη9j λóyov μόνου άντι τοῦ τgéyovtog.
Zfv6ti ôè èxavéga τούτων ἐστι διωguo uévm, ôijìov èvrsù9εν' άταν γάρ λé
ynrat ,,£φόν ἐστι Σωxgάτης, ἐφόν ἐστι Kvx€Qaov, xaì ènì vóv άλλων όςαὐ
tog, ägg £jöν ἐστι τάς άν8gòτος“, èvrgù9ά τὸ σχήμα τῆς λ&εαῖς ἐστιν
από πλειόνων διωguo,u£vov ènì μάαν διωguopu$vnú," xαί ούτως ό xouvòς
ögos άσιοQ£o ros ληφδεῖς ἐχει ύπό9εσιν δύωgio uévrjv* óςαύτως xaì μετὰ
τόύ μεQuxóù 7tQocduoguouoù.
72) Ebend. p. 324.: Σvyx£yvpuévm ùztó9εσις ἐστι λῆψις ögov xouvoù
άντι 7tàeudνων Ausgrejovtgs zcz$6Āov zvgocjuoquo uoù, djg öταν λέγηται »7vês
άν&ρωπός èoti • £jov*, ούτος δ ögog ö „äy8σφχτος“ μεσιτεύοντως τοῦ κα
96λον σημε£ov xgarsitat άντὸ πλάιόνων ἀς έχαστοῦ τούτων όντος ίδέον
XV. Psellus. 283
scheidumg, dass bei dieser Supposition der Subjectsbegriff in beweg
licher Weise (xvvrjtóς, — „mobiliter“) und in vertheilender Weise
(διανεμητικός, — „distributive*) verworren supponirt werde, nemlich
ersteres darum, weil durch alle Unterbegriffe herabgestiegen werden
kamm, und letzteres darum , weil, er von jedem Einzel-Individuum gilt,
himgegen dass der Prädicatsbegriff mur auf unbewegliche Weise (άκι
vjvog, — „immobiliter“) supponirt werden könne, weil hier ein Herab
steigen auf die niedrerem Theile des Umfanges unstatthaft ist, wenn
man nicht in Sophismen verfallen soll; ebem hieran aber knüpft sich
das Bedenken, ob diese Behauptung einer verworrenen Supposition des
Prädicatsbegriffes micht im Widerspruche stehe mit obiger Angabe (Amm.
70), woselbst die Supposition des Allgemein-Begriffes,. auch wenn der
selbe im Prädicate stehe, zur einfachen (άπλή) Supposition gerechnet
wordem war 7°). Und indem nun Psellus die Lösung dieses Wider
spruches vorerst nach der Ansicht Anderer angibt, welche darauf hinaus
lief, dass einerseits die Gattumg als solche durch eine einfache Suppo
sitiom substituirt werde und andrerseits zugleich die in dem Individuen
vervielfältigte Gattung zu einer unbeweglichen verworremen Supposition
verwendet werden könne, und hiernach kein Widerspruch zwischen
jemem beidem Angaben bestehe, spricht er nun seine eigene Meinung
aus, welche dahin lautet, dass der allgemeine Prädicatsbegriff überhaupt
zu keiner verworrenen Suppositiom, weder in beweglicher noch in um
beweglicher Weise, tauglich sei, sobald beim Subjecte das allgemeine
c.
ύποκειμévov. Έτι τόν ovyxsxvu£vov ύπαδέσεων η μ£ν ἐστι ovyxexvuévm
zj, áváyxq τοῦ ποοςδιogaujù'fi , toù tgöztov, j 36 £ors gyyxgxvuévi, vj
ûváyxm toü, 7rQdyμάτος * óς όταν λεγηται, τάς άνδgωπος ἐφόν ἐστι'', ovtoç
ö ögoç ô „άνθοάλτος“ τj άνάyxm τοῦ xαδόλον σημεῖον σνγχεῖται ή διανé
μετάι έπέg ἐλέατον ίδῖον ύτοχειμévov, xa\ èriô §xagτος άνόga)ztos ἐχει
tην ίόταν Τίταqάιν, διὰ τούτο τδ άήμα τούτο τό „ἐστ* xQ&vsita, Τ j
&vdyxy τοῦ τgêyugτος άντι τοσούτων ύπέQÉétov, àv8' όσων' άν>özvov,
xaì èzigì §xáατό' άν{}Q037των ἐνεστιν η ίότὰ ἐφότης, διὰ τοῦτο xgάτεῖται
τj άνάγχη τού] 7tQdyuatos άντι τοσούτων ζύων τὸ ἐφον, άνδ' άσων
ά9ggfiov δ άνθόωλίος xccì àv9* όσων ύπέgάεων x«î ` τούτο τδ „èατ*
το Qmug.
73) Ebend. p. 326.: "O98v oῦτος δ ögos δ „áv8Q07tos“ λεγεται ύποτι
9évgv ovyxsyvρι&νως xvvntòς (dass diesés Wort ausgefallem sei, zeigt sowohl
das Folgeiide àl§ auch Petriis Hispanus) xaì òuccvsunt uxóς' άλλὰ αvyxexvu£vooc
μέν x«î διανεμητιχός ύποτέ9ησι, διότι xgarêîtat άντι παντός άν&άύτον,
zινητός δε, διότι ἐεστι γένεg8av xat& ptzovv (zu lesem xoztóßασιν) έπέg
§xáötgv iöiov ύττοxειμένου, οίον ,,τάς άν&gqtog jov, xayxQ&της , άga*
τάς άν9Q07tog jov, IIâτων άgt'': oότος δέ δ δgos „tô jov.' åéyεται
ovyx£yύσδαι άxuvijTog, διότι οὐκ ἐάεστι γένεσ&αι ἐατέβάσιν ύπ' αὐτό,
oióv Ίτάς άv9Q07τός ἐστι (ausgefallen ἐφον, πᾶς άgω άνάgωπός ἐστι) τούτο
τὸ ἐφον“, άλλ* ἐστιν £x8i j tgógôος άπò τῆς άπλῆς ἐις τήν, πgocott
}:; άς ἐνταῦ$a, „á äv&Qto7tjs* £ατι τιμιωδτατον τῶν xtvou«£gov , äga
oότος ό άν9gωτός ἐατι τιμιωτατον τόν. κτισμάτων“ xαι ,,τὸ ἀδόον τόν
άν9£ov τιμιότατόν ἐστι, και τι άgg άόόον“ ἀλλά xaì toùto διαφégét,
xc:9ò èv τόύτοις ἐστιν η ύτό9εσις ἀπὸ τοῦ μεgovs ταύ ύποxειμένον, _èxei
δέ άπὸ τοῦ μ€Qovs τοῦ xατηyoQovpuévov, Éi και τούναντίον δοκεῖ gύπεg
$ignrav ztgötégov, öτι ἐν ταῦτα τj „ztás áv8Q07tóς ἐστι ἐφοy“ ούτος ό
ágos ,,τὸ ἐφον“ ἐν τφ xwv myo6ovρένφ τεάεύς άπλήν ἐχει τό&εσιν, xccì
èyταύ9α λέγεται ἐχειν σvyx£yvpìévijv (lie letzten fünf Worte fehlen im Texte).
284 XV. ' Psellus.
Quantitätszeichem bejahend stehe, denn der Prädicatsbegriff repräsentire
(im Hinblicke auf eine Stelle des Porphyrius) dann stets einen Gattungs
begriff, die Gattumg aber höre durch jeme Vervielfältigung, sei es durch
bewegliche oder durch unbewegliche, jedenfalls auf, Gattung zu sein "*),
was auch seine Bestätigung durch eine aristotelische Stelle finde *°).
Nun aber wird diese Erörterung noch in weiteren Unterscheidungen
fortgesponnen; zunächst nemlich sei zu erwägen, dass der Begriff des
Ganzen (όλον) ein anderer sei, insoferne er den Gattungsbegriff betreffe,
und ein anderer, wenn er quantitativ verstanden werde; eben letzterer
aber komme bei der verworrenen Supposition in Betracht, und zwar
als der des vollständigen Ganzen bei der beweglichen, und als der des
74) Ebend. p. 328.: ITQός τούτο λεχτ€ov xará τινας (diese Worte fehlen
im Texte), διότι, x«9ò yévóg xatnyoQeivav èxsi xcztà toù êtôovs, oùto xaì
oῦτος ό δgos ,,τὸ ζφον“ άντι κοινοῦ αὐτῆς xgtxv&ivwv, özv&Q ègrì tò yévog,
xaì oijtaos ö ögos άτλjv ἐχει ύπό{}εσιν' xc, 9ö öè ij xouvi) cùri, qùot § (der
Text gibt x&}ὸ ἐx8tvm j άλη9ης) £x&tvov τού y£vovs 7τολλαπλασιάζεται διὰ
τῆς ύποθεσεως τού άν9Q057του, ούτω λεγεται ἐχειν συyxsxvuêvmv, où xuvrj
τός άλλ' άxuvijτως' η γάg ovyxsxvuév xvvgrós ὐτόθεσις οὐ δύναται άμα
sìvov μετὰ τῆς ἀπλῆς ούτε x&vâ tô αὐτὸ ούτε xav ά διάφοQα, ἀλλ' ί άκι
vijv 0$ ovyx£zvuévm üztó9εσις δύναται άμα εέναι μετά τής άπλῆς αὐ κατά
τὸ αὐτό, &λλά `zczτὰ διαφοQα, αός εἰQntda (letzterem Satz gibt Petrus Hispanus
bei gleichem Sinne in abweichender Formi)* xαι ούτω δεῖ λύειν τῖν ἐναντιδι ητα,
ijτις ἐφαίνετο τοῖς γιgρειgmuévovs, δτι δ xoivòς δgos èv τφ κατηyoQovu£vq)
t£9£ì c'§zει άπλjν ύπό98öiv x«î σνγχεῖτ αι άxuvijτως xoc96λον xav ccqccvvxoù
7τgogδιοδισμού όντος ἐν τφ ύποxειμένφ , οίον , τάς άνθQωτός ἐστί άφον“
(dieser Satz fehlt bei P. Hispanus): oiuaι όά $yó (diese Wortè übersetzt P. Hispa
mus ganz gemüthlich mit „sed ego credo“) άδυνάτον εῖναι, κοινὸν δgov τε δέντα
èv τὰ κατηyoQovu£vq' ovyy&io;%xv xvvntojs j (die beidem letzterem Worte fehlem
im Texte) άκινητὸς κα&όλον σημειον ἐν ύποx8t,uévqy xg ταφατικῶς (fehlt im
Texte) ts$€vtos, oiov ,,7τάς άύ3Q07tóς ἐστι έφον“, öuotios óè xà7rò τόν
άλλων (c. 27, p. 332.; Ehinger nemlich beginnt sinnlos hier eim meues Capitel),
djgτε, δςτεg xaì ò IIoQqvQvog ßov/.εται, πᾶν xcztmyogoúμενον η μεῖζον ή
άλαττον ή άντεστQαμμένως λεγεται xcà negì xat myàQtùs tò xαδ' αὐτὸ
σχοτεῖ (s. Abschn. XII, Anm. 124.) ' ἐνταῦ9α δέ ,,πάς άγ8Q07τές ἐστι ἐφον**
zατηyoQto x«9' αὐτὸ ἐστι και μῦ ἀντεστgσμμένως xcct myoQ£ίται, μεῖζον
άgcr (letztere zwei Worte fehlen), xccì ui, ojg 6vuj3spnxòς, άgc: ejs oùαιῶδες *
ίσα ή yévog η διαφοgά* (diese fünf Worte fehlén hinwiederum bei P. Hispanus).
&ìλά μη διαφοQά* ágoe yévos ' öuos uévrov ij qùovs τοῦ yévovs 7ro) latâ
σιασδεῖσα xùvnttjs j άλινήτως οὐx èovì y£vos* oùxoùv όταν λεγηται ,,πάς
áv8Q07t6ς ἐστι ἐφον“, τιθεμ€vov èvtσύ9ά yévovs oùx èytì òvvatòv, ögov
τὸν `xouvòv πολλὰπλασιάζεάδαι κινητός, ή άxuvijτως, δς τις σημαένει τὴν
qvovv τοῦ yévovs, διότι ήδη οὐx êv ijv yévog, öςπερ εἰ δ Κάνδαωποέ*
övyy&ovro xivmróς ή άxινήτω;, oùx èo tìv, jjòn sìdos.
75) Ebend. c. 27, p. 334.: "Evv τὸ αὐtò öoxeî èx toù 24Quo tot£\ovs èv
τφ τgσότφ τόν To7vvxóv (Top. I, 8, 103 b. 8.): âêyεται γάg* ,,&vdyxrj 7täv
£o xgtnyògoέμενον xotg τινος ή άvτεστgσμμ£νως £x£tvòv x«yoQeig9αι
ί μή* §i uèv àvreovgauuévos , öguo uóς ἐστιν ή ίδιον, εἰ δέ uh άντε
ατάαμμ€νθς, ή πέπτει εἰς τὸν δQio uòν ή οὐδαμῶς' εἰ μὴ πέπτει, έστι
ovußsßnxός' εῖ πέπτει, η yévos èατίν jj 6ιαφ9e&* x«î σχότεῖ δ Agugtové
λης, όπως ἐν εἰη ή χατηyogtg ög9i), xoì'ìftöxsuvat τὸ είδος xa&' αὐτὸ
ταλλαπλασιασ9€v. Aλλ' ἐν τάύτη ij ,,πάς άν8Q07tos“ ἐστι κατηγοράα xozì
„&v8Q07τος' ύπόxειται χαι ui) àyredtgauu£vos *cctnroQεῖται ή σνύβάρηxόs:
άQα γενος ή διαφορά άλλὰ μὴ διαφρόέ άga gêvos: xò oüτως τgòς αὐτὸ
τοQεύομεν, άςπεQ' xaì zvgótov. 24δύνατον ούν, τὸν κοινὸν δgov èv τφ
xwinyoQovuév@ ré8&vta xivrjτός ή άxuvijτως σνγχεῖο9αι.
XV. Psellus. 285
umvollständigem bei der umbeweglichen Supposition, und aus ebem diesem
Grumde könne bei dem Prädicatsbegriffe, welcher stets Gattung sei, von
einer verworrenen Supposition keine Rede sein 7"). Ferner sei die
aufsteigende Beziehung des dem Umfange nach Niedrigeren (τά κατέ
τεgo) auf das Höhere (τά άνότερα) gerade entgegengesetzt dem Herab
steigen, nur die erstere aber finde bei dem Allgemein-Begriffe als einem
wirklichen umfassenden Gattungsbegriffe statt, letzteres hingegen enthalte
allerdings jenen Process der Wervielfältigung, habe aber eben darum
mit der Gattung als solcher Nichts zu schaffen "). Der Grund des
Zweifels aber, zu dessen Lösung diese Bemerkungen dienen sollem, sei
darim gelegem, dass mam eben bei Urtheilen , deren Prädicat ein Gat
tungsbegriff ist, die Supposition völlig in gleichem Maasse für den Sub
jects- wie für den Prädicats-Begriff annahm, weil da letzterer in jedem
unter den Subjects-Begriff fallenden Individuum sein individuelles Dasein
habe; hingegen bei Urtheilem, derem Prädicat mur eine accidentelle
Eigenschaft ausspreche, habe man sofort bemerken müssen, dass jene
Eigenschaft je nach ihrem Workommen an ihrem Trägern eine Verviel
fältigung erfahre, und dass dabei im Subjects-Begriffe night eine Indi
vidualisirung einer im Prädicate liegeuden Gattung bestéhe "*); daher
76) Ebend. p. 336.: "Et v δλον χα&όλον, άπεg yévog, xaì δλον ἐν πο
oότητι' ἀντ t9 sgiv äyovguv. 212/ à uijv τὸ δλον ἐν`zioo ötytv διχός λεγετιι '
άστι μέν yàg öλον τι ἐν ποσότητί ovuzveztángouévov, δταν δ' xouvòς δgos
xuvnrjg övyyεῖται, xaì äotv τι δλον ἐν πασότητι άσνμπλῆθωτον, όταν άxi
νήτως ό xòyòς μᾶλλον σνγχεῖται. Εί άρα δ xoivòs, ögog άπλός xaì zij
αὐyyeirta, oùra, x«i τὸ ἐν λύσότητι δλον igόπον τινά,Χαι άπλῶς xt, 7j
y£íí ca (dieser Satz fehlt bei Petrus Hispanus). Oùxoùv άσύντατόν ἐστι τὸ ἐυ
7τοσότητι δλον είναι yévog, ö9εν άδύνατόν ἐστι τὸν xoivòv ögov £v τφ
zατηyogovu£vq) τε%vtt. ovyz8io8 at, óς ἐλεγον.
77) Ebend. p. 338.: "Et ij 7tagę9εσις ἐκεάνη, xα8' ijv àv&q sQov tò xa
τότερον εἰς τὸ ἐνωτεgov αὐτόν, άντιxειμενη ἐστιν ἐx£%vy rj 7taQa%αεμ,
x«9'`ijv άναφ&Qstat τό άναότεgov εἰς τὸ κατότεgov* &λλά κατά τήν πQtö
την λαμβάνεται τὸ κοινὸν ἐν τφ λόγφ τού xguyoù* oùtto yàQ αὐτὸ τὸ λοι
vöv ?y ἐαντφ πεgu£χει πέντα τά άπ' αὐτὸ δντα' άλλά xάτὰ τὴν ἐτ>v
λαμβάνεται τὸ xoivòv 7ro//.απλασιασθέν ή (die letzteren drei Worte fehlen im
Texte) ovyx£yvuévov ijyovv τὸ κινητός xoivòv άντι πάντων ijyovy (offenbar
fehlt διαγεμήτìxûs, s. Anm. 73.) άνδ' ἐκάστρον. Aga (zu lesen Ag' εί) τό
y&voc Kotovg, xa9' αὐτὸ ἐν τφ τού xotvoü Äöyφ, oùx èorì òvvatòv xùtò
zzολλαπλασιάζεσ9αι.
78) Ebend.: Ka\ ταύτα μέν σνγχωgó (bei P. Hispanus: Et haec quatuor
argumenta sunt concedenda)* ì òè τοῦ κινεῖσ&αι αὐτόov (zu lesen cóτούς αίτια,
P. Hispanus: Causa autem, propter quam movebantur isti qui fuerunt hujusmodi
opinionis) άαότως λυσήσεται. L4éyóvog yàg, δς, όταν λέyntas ,,πάς άγόσω
7i6ς ἐστι Έφον“, £xaotov άνάgo7tov ἐχειν τὴν ἰδέαν ύπαθάιν , καῦ ἐφότητα,
xa9ò άδυνάτον άν9gωπον είναι xccì uî sîvat άφον, ούτως ό δgos ,,£φον“
&ντ) τοσούτων άφων xQatsîta, άν9' 'όσων άν9gωπων άν9Q07τος (letzteres
Wort fehlt im Texie): λέγομεν yàg èv ταύτη τj 7tQot&αει μηδέν είναι είδος
(dieser Satz fehlt bei P. Hispanus, sowie überhäupt auch im Folgendem manche
Abweichungen sich zeigen, und jedenfalls beide Texte, sowohl der uns erhaltene
des Psellus als auch der von Petrus Hispanus benützte, vielfach corrupt sind) *
δταν δέ λ€γωμεν ,,τάς άν9Q07tös èóτι λευκός'* j ,,πάς άν9Q07iös ?στι
μελας', δτι ἀδύνατον άν9gajvov είναι κά μη είναι ἐφον, άνάγκη τοσαύτα
Ἐφα ἐν τφ ύποκειμένφ νόεῖσθαι, δσοι άνδgozzot sigiv, &v8' öσων ,,άν
3Q07toc* xQav sìvai. ¥¥¥& ujv άτοπον λεγειν, τὸ πλj9os èxeivo τῶν ἐφο
286 XV. Psellus.
zeige sich bei richtiger Erwägung dieser Verhältnisse, dass der Gattungs
begriff eines allgemeinen Prädicates zu keiner verworremen Supposition,
weder in beweglicher noch in unbeweglicher Weise verwendet werden
könne '°). Hierauf aber wird in ähnlicher Weise gezeigt, dass auch
die Copula keiner verworrenem Suppositiom fähig sei, indem der Gattungs
begriff, welcher im Prädicate liegt, von Anbegimn an im Subjectsbe
griffe vorhanden sei; und hiemit wird obige Angabe (Amm. 72), dass
die eine Species der verworrenem Supposition auf zwingender Noth
wendigkeit des dingliehen Bestandes beruhe und sowohl im Prädicate
als auch in der Copula auftreten könne, jetzt direct dahin berichtigt,
dass eine verworrene Supposition überhaupt nur durch die Nothwendig
keit des Quantitätszeichens erfolge, da jene in der Individualisirung
liegende Wervielfältigung des Gatlungsbegriffes mur dem natürlichen Ge
biete anheimfalle, hingegen für das logische Verfahren der Gattungs
begriff als solcher von der verwirrenden Wervielfältigung unberührt
bleibe, wornach die einzige Weranlassung. der verworrenen Supposition
nur in der Allgemeinheit des Quantitätszeichens liegen könne *°).
τήτων διὰ τὸ τιλήσας τῆς xtztnyogiws £v εῖναι, ότι ἐκεῖ λεvxòv xαί μελαν
τολλαπλασιάζεται. "Orciv λεγό ίόν άνθgωποῦ σvyxeio9av xatà rijv τῶν
vouxóv öööv (richtiger P. Hispanus: logice loquendo, non naturaliter) £x τοῦ
 xgì loyuxoù, διὰ τοῦτο ἐν ἐαντὰ ἐφον ἐχει, δόεν άν9Q07tog πολλα
τλασιάζεται και ἐν ἐαντφ ἐχει τὸ πλῆθός ἐχεῖνο τῶν ἐφοτήτων' άταν λ£yu
(zu lesen δέ λεγω) ,,7ιάς άνδgωτός ἐστι λευκός“ xaì ,,7iús áv8gωτός ἐστι
:'. xxxt' οὐδένα τQ67tov άχει ταύτας τάς ἐφότητας ἐχ τοῦ κατηyoQov
tyov.
Au 79) Ebend. p. 342.: 'OuQfos £otè xàv τφ πQostgmuévq), δταν xarnyo
gijt ca yà yévos, qioy „7rás άν8g07τός ἐστι άρν* £v ταύτη yàg tj rigo
t&σει ύττόx&utczt δ άv8Q07tos, èv φ νοεῖται rò 7τλj9os ἐχεῖνο τῶν Ἐφοίη
των, ός εῖgna cct, xxxî xvvnyog&ίταί τούτο τδ yévog τὸ ζφον* διότι οὐδενα
zgótov gvyzeitgt xivntôς ή άxivjros, άλλά xiysira (zu lesen xggτεῖται)
èxsî êyri tijs qúosos αὐτῆς του yévovg τοῦ κοινj xarnyoQuxoù xai ά πλειό
vtov' ö8 εν κάί ζφον κατηyogsitùs xaì jov vóεῖται ἐν` τφ ύττοxeruévq),
όςπεg £vtwù9« ,,τόν ἐφον λόyvxòv 9ynróν ἐστι ζφον“.
80) Ebend.: 'Ogotos ôë £yousv, ότι τούτο τὸ δημα τὸ ,,Εστίν“ οὐ συy
zεῖται κινητός ή άκινήτως, ἐγίεῖ τὸ ἐφον ἐv τφ άνδάπφ εὐχεν αὐτό ύπο
xstusvov 7tQìv £7roxeio&at £v tj 7tQotdos, xäv nyogovu£vq) xat* oùotgv ij
xxxiâ ovu883ηxός (Petrus Hispanus hattè einen etwas àbweiêhendem Text vor sich).
Kαι διὰ τούτο την 7τgodyovoav σάζαν (d. h. das oben Anm. 72. Gesagte;
schlechter ist die Lesart, welche P. Hispanus übersetzt: quandam divisionem factam)
dvaoxev&£ouεν, δηλονότι ότι τῶν gvyxgvu£vov, ίποσ&αεων η μέν σνγχ$i
ται τύ άνάγκη τοῦ προςδιQgvouoj jj 38 rj άνάyxn roù 7tQ6yuagos. I4é
you£v yàg, τὴν σύγχvσιν είναι τj áváyx, toù 7iQogδιοguoyioj, óςτεg xaì
?vtcrù$έ άστιί ,,τὰ ζῶον λογικὸν θύητόν ἐστί ζφον***' ούτος ό δύος δ
,,£jov*' άντι παντὸς ἐjov xgat£ίται δ εοτιν άνθόωπος, ἀςτεg xà èv
ταῦτυ τj 7tQorgoet ,,τάς άνδgωτός ἐστι έφον“ ούτος δ δgoς δ „ëy$go
7tos“ âvîî 7τάντός άν>j7tov xgav £ita, xaì àvrl tccvtòς άφόν δπεg άνδύω
7τος* xgì iot€ov, τοσαύτας ἐχεί εῖναι άν9ρωτότητας, δόαύται ἐφότητες,
x«ì àv&παλιν κατὰ τὴν τῆς qúostos óóóν, κατὰ σὰ τὴν τῶν λoyvxöv öööv
(auch hier gibt P. Hispanus einèn anderen Text, wie oben Anm. 78.) èv £xc.otq*
&τόμφ τού άν>7rov, óςτεg δ έν9go7vos èv rj xovvj £στι τὸ αὐτό, ö85v
gò tovtmv λεγεσδαι τήν άν9Q07τάτητα ή èz£tvnv 7tagà ròv Àóyov ?6τὰ τjs
ύλης' ἐν δέ τj δόφ τῆς φύσëgç ï άν9gωτάτης i £;uâ &λλη ἐστι παQά τήν
αῦν, ἀςτεg zú í`yvyj, 'όι' jg £ytuv j &v8götöriis'i $ui $y $uoù Kö
duά τούτο τὸ σημεῖον σνγχζον τὸν άν>07tov οὐ σύyy§i xcà rò ἐφον (aus
XV. Psellus. 287
Hiemit aber brieht unser griechischer Text des Psellus ab *!), und
wenn auch der Leser vielleicht den Eindruck empfand, dass hier die
Logik wirklich toll gewordem sei, so wollen wir einerseits diesem rich
tigen Gefühle durchaus nicht widersprechen, müssen aber bemerken,
dass es sich hiebei erstens um eine Logik handelt, welche ein paar
Jahrhunderte das lateinische Abendland beherrschte', und zweitens dass
wir eigentlich mit diesem Erörterumgen noeh lange nicht zu Ende sind.
Nemlich nur ein Fragment ist es, — wie wir schon oben sagten —,
von welchem uns die einzige bisher benützbare Handschrift des Psellus
eine Kunde gibt. Schon bei aufmerksamer Betrachtung des Bisherigen
konnte man nicht hloss aus einer obigen Stelle schliessen, dass nach
der Supposition καδ' αὐτό gewiss noch die Supposition κατὰ τὸ πρός
vi oder, wie die Bezeichnung bei den Grammatikern laulete, τόν άνα
φοQuxöv folgen müsse **), sondern noch deutlicher springt in die Augem,
dass die oben bereits erwähnte ovpavìoxij°°) eine der örtöêeovg parallel
gehende specielle Erörterung gefunden habem muss. Und in der That
finden wir aueh diese beiden Capitel bei den auf Psellus beruhendem
Lateinern, indem dort sowohl die suppositio relativorum ausführlich (in
einer Zweitheilung maeh relativa substantiae und relativa accidentis)
besprochen wird **), als auch die copulatio (d. h. gvuvìowj) ihre
nähere Darlegung findet *°).
Aber auch hiemit war die Theorie betreffs derjenigen Gesichts
punkte, welche sich an σημασία (significatio, s. oben Anm. 66 f.)
knüpfen, noch nicht abgeschlossem, sondern so gewiss die Lateiner
(nicht bloss Petrus Hispanus, sondern auch Wilhelm Shyreswood und
Lambert von Auxerre) für die Schul-Logik in allem Uebrigem, was wir
bisher vorführen musstem, vollständig und fast ausschliesslich das Com
pendium des Psellus zu Grunde legten, ebenso gewiss ist es, dass sie
auch bezüglich jenes ziemlich umfangreichen Restes, welchen uns die
fragmentarische Handschrift des Psellus leider vorenthält, nur das Nem
liche thaten, d. h. dass die Synopsis des Psellus auch noch Alles Fol
gende, welches ich hier nur kurz berühren werde *°), ursprünglicli
gefallen ist èv xov vój), &λλὰ τὸ ἐφον τὸ συνελxv08&v εἰς τὸν άν&g07τον διὰ
τόν ίσεων διαφοgóv, ö8 εν πάσα σύγχυσις ἐστι τj άνάγχη τόύ σημεόον
ii toù τgó7tov.
81) Anstatt einer weiterem Fortsetzung folgt nur noch (p. 348.) eine an diesem
- Orte völlig unpassende Tabelle der einzelnen Topen.
82) S. in Anm. 69. die vom mir dort besonders betonten Worte xcz8' aùτὸν
&ίλημμένος.
83) S. Anm. 68., hauptsächlich dem Schluss derselben, sowie den Schluss der
Amm. 67.
84) Bei Petrus Hispanus unmittelbar nach dem Obigen (Anm. 80.) folgend.
85) Allerdings fehlt dieses Capitel bei Petrus Hispanus, hingegen fand ich es
in jener Pariser Handschrift, welche die Dialektik des Wilhelm Shyreswood ent
hält, unmittelbar nach der Lehre von der Supposition eingereiht.
86) Es versteht sich von selbst, dass das Nähere im XVII. Abschnitte ent
wickelt werden wird, woselbst ich bei jenen Partien der lateinischen Schul-Logik,
welche bereits hier aus Psellus vorgeführt sind, mich kürzer fassen nnd Manches
durch blosse Werweisung auf das hier Gesagte erledigen kann, hingegen jenen
Rest, dessen griechisches Original wir nicht mehr besitzen, ausführlicher dar
stellem muss.
288 XV. Psellus.
gleichfalls enthaltem habem muss *"). Ja ich habe allerdings auch an
die fast abstruse Möglichkeit gedacht, dass der uns erhaltene Text der
Synopsis nur fälschlich den Namen des Psellus trage und zuletzt nichts
Amderes sei, als eine von einem Griechen (ungefähr um d. J. 1400)
angefertigte Uebersetzung der Summula des Petrus Hispanus; und wer
dieses Hirngespinnst weiter zu verfolgem Lust hätte, könnte allenfalls
darauf hinweisen, dass in der Synopsis Priscianus erwähnt wird (Anm.
19) und an zwei Stellen in Beispiel-Sätzem der Name Cicero's vor
kömmt **). Während jedoch Letzteres wahrlich nichts Auffallendes hat,
sobald wir uns erinnern, dass die griechische Schul-Logik dem Boethius
gekannt haben muss (Amm. 15 u. 28), und auch ausserdem bezüglich
des Uebersetzens gerade aus Petrus Hispanus der directe Gegenbeweis
geliefert werden kann *°), so liegt sicher das Hauptgewicht darauf, dass
es ein unerklärbares Wunder wäre, wie denn mehrere Pariser Logiker
in gleicher Behandlungsweise auf einem so ausgedehntem und vordem
unbekannten Zweig der Dialektik hätten verfallem können, wenn sie
micht gleichmässig durch ein neu aufkommendes Material hiezu veran
lasst wordem , wärem ; ja eine schon oben (Anm. 16) erwähnte Einzel
heit wäre noch wunderbarer, dass memlich zwei Autorem unabhängig
von einander bei dem nemlichen Capiteln die nemliche verkehrte Reihem
` folge eingeschlagen hätten. Doch wir wollen eine blosse Hallucination
micht weiter erörtern, sondern in der unverrückbaren wissenschaftlichen
Ueberzeugung, dass jene mehreren Lateimer nur aus Psellus schöpften,
belhauptem wir , dass in der Synopsis auch noch Folgendes enthalten
gewesen sein muss. -
Zunächst nemlich musste sich an 0biges dasjenige anreihem, was
bei den Lateinern bezüglich der ampliatio (wohl „αύδησις“ oder „êrtov
άησις“) und der appellatio (doch wohl „τQogyogto*) und restrictio
(wahrscheinlich „uείωσις“, schwerlich „6v6τολή“) besprochen wird *'").
87) Freuen würde es mich, wenn ich hiedurch die gelehrte Mitwelt oder
allenfalls auch Nachwelt aufforderm könnte, in den Bibliotheken Nachforschungen
über Handschriften der Synopsis anzustellen; meine Ansicht könnte durch neue
Entdeckungen ja nur bestätigt werden, indem eine Widerlegnng derselben auch
danm nicht einträte, wenn die Werstümmlung des Textes noch an mehrerem anderen
fragmentarischen Handschriftem sich zeigte. - -
88) S. Anm. 71. nnd ausserdem V, 8, p. 256.: T67τος ἀπὸ μ&govg èv ποσό
τητι ..... oiov ,,>a)xQατης τgézet xc.) IIλάτων τgéyet xαι Κιxégov tgéχει“,
xai 7t€Qi t(öv άλλων τῶςαὐτως.
89) Bei Psellus nemlich lautet eine Stelle (V, 3, p. 226.): IIagdóg*yucz ôé
?ατιν, όταν ἐν , u>xòv άποδεικνύηται δι' άλλον μεQuzoù, èv ois óuotöv
τι εὐg£oxev αι, ός , τὸ τοῦς €9mgc.tovs Meyageυσι πολεμεῖν xaxóv èατι, xαι
τὸ τοῦς Kogiv9tovg ägc. 24gyεζοις πολεμέίν xaxóv èóτι*. Und wenn hiefür
bei Petrus Hispanus (Summul. V, 2, fol. 36 ä.) steht: Exemplum est, quando unum
particulare probatur per aliud propter aliquod simile repertum in ipsis, ut ,,Leodien
ses pugnare contra Tongerenses malum est, ergo Mechelinienses pugnare contra Lova
nienses malum est“, so ist klar, dass derjenige der Uebersetzer ist, welcher ein
traditionelles Schul-Beispiel durch Anspielungen auf Zeitereignisse (Kämpfe zwischen
den Städtem Lüttich, Tondern, Mecheln und Löwen) umschreibt.
90) Die vernünftigere Anordnung dieses Stoffes im Wergleiche mit jener des
Petrus Hispanus erscheint allerdings bei Wilhelm Shyreswood und Lambert von
Auxerre, insoferne diese Beidem in der appellatio die Hauptsache erblicken und
erst mittelbar mit derselben die ampliatio iind restrictio verbinden.
XV. Psellus. 289
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…**
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a ad #
[…”
ha?
Und nachdem auch schon hier sowie im 0bigen (Anm. 71) zur Erläu
terung Sophismen beigezogen waren, ersclieint es immerhin als möglich,
dass Alles bis hieher von der significatio (σημασία) Gesagte nur als
Einleitung zu den Sophistici Elenchi betrachtet wurde, und demnach
dieser letztere Abschnitt aus Aristoteles bei Psellus nicht schon weiter
oben (s. Anm. 65), sondern erst hier eingereiht war ° '). Mochte je
doch dem sein, wie es wolle, so musste jedenfalls in der Synopsis
noch eine ausgedehnte Gruppe anderweitiger Erörterungen gefolgt sein.
Während nemlich das Bisherige überwiegend nur die Subjects- und
Prädicats-Begriffe der Urtheile betroffen hatte, war noch übrig, nun
aueh die logischen Functionem jener übrigen Redelheile zu betrachten,
welche wir schon oben (Anm. 9) unter dem Namen ovyxotrjyoQevuata
vorläufig erwähnt fanden "*). Und die Compendien der Lateiner zeigen
uns, dass in diesem Theile der Dialektik zuerst von der distributio
(wahrscheinlich wohl „διανομῆ“ oder etwa „τά διανεμητικά*) die Rede
war, woselbst es sich um die Worte omnis, nullus, nihil , uterque,
meuter, non, totus, qualislibet, quantuscunque, infinitus (also um άπας,
oῦδείς, οὐδεν, ἐκάτεgog, oùòêregog, où, δῖος, όττοιοσοῦν, όττοαοσοῦν,
άπειρος) handelte und Sophismen, welche durch dieselben entstehen,
zu lösen waren "*). llieraüf musstem jene Redetheile gefolgt sein,
welche zur völligen Werdeutlichung des Sinnes eine nähere Auseinander
setzung bedürfen, d. li. die ea ponibilia (wohl offenbar „ἐκδετικά*),
wozu lie exclusiva (etwa „άποκλειστικά*?), die eaeceptiva (wohl „#£av
getuxê*), die reduplicativa (sicher „άναδιπλαστικά*), sowie die Worte
incipit et desinit („ügyérou xaì ììyei*?), abermals infinitus, sodann die
comparativa et superlativa (sicher ,,ovyxQvtvxà xαι ύττεgδετικά“), sowie
differentia (etwa „διαφορικά*) und noch einmal totus (όλος) gehörten **).
Endlich aber scheinen aueh noeh die übrigen Conjunctionen (σύνδεσμοι),
soweit sie nicht schon in dem Worigen erörtert worden, noch speciell
in die Dialektik beigezogen worden zu sein °°). Auch mag bemerkt
91) Wenigstens ist zu beachten, dass Wilhelm Shyreswood in der That erst
von der appellatio aus auf die Soph. Elenchi übergebt. Auch wäre das Hinweg
fallem dieses Abschnittes bei Psellus dann leichter erklärlich, wenn die Sophistik
erst in jenem Theile besprochen gewesen wäre, welcher für uns überhaupt verloren
ist. Petrus Hispanus aber und Lambert v. Auxerre hätten eben dann aus eignem
Gutdünken in diesem Punkte die aristotelische Reihemfolge hergestellt, indem sie
die Soph. Elenchi aus jenem Verbande mit der σημαστα herausnahmen und un
mittelbar nach der Topik folgen liessen.
92) Wahrscheinlich bietet Wilhelm Shyreswood das Richtige dar, indem in
der Handschrift der Dialektik desselben der ganze das Folgende umfassende Ab
schnitt unter dem Titel Syncategoreumata eingeführt ist.
93) Die Reihenfolge in der Besprechung dieser Worte ist bei Wilhelm Shyres
wood und Petrus Hispanus allerdings nicht die gleiche, jedoch Ersterer hat über
haupt das ganze Material weit selbstständiger verarbeitet, und wir dürfen mit Sicher
heit schliessen, dass der Letztere als getreuer Uebersetzer uns die Anordnung
überlieferte, welche bei Psellus selbst sich fand.
94) Auch hier arrangirt Wilhelm Shyreswood mit Uebergehung einiger der
genannten Worte die übrigen mach eigenthümlichen Gesichtspunkten.
95) Bei Petrus Hispanus findet sich allerdings kein eigenes den Conjunctionem
bestimmtes Capitel, hingegen Wilhelm Shyreswood bespricht die Worte si, nisi,
quin, vel, an, sive.
PR Antl., Gesch. II. ' 19
290 XV. Psellus.
•.
werden, dass in diesen Erörterungen theilweise die Lösung von So
phismen versucht würde, bei fast sämmtlichen aber für die logische
Praxis mehrere schulmässig formulirte regulae („xovöveg*, wie wir
solche schon oben, z. B. Anm. 18, 22, 44, trafen) aufgestellt warem,
so dass die Synopsis jedenfalls von Anfang bis zu Ende in diesem
äusserlich formellen Punkte sich getreu blieb 9°).
Billiger Weise aber drängt sich uns die Frage auf, wie denn wohl
alle diese Dinge, welche wir von Amm. 66 an erwähnen musstem, in
das Compendium des Psellus gekommen seien, und es wird sich dieser
Frage auch Derjemige nicht entziehen können, welcher etwa die Unter
suchung bloss auf den uns überlieferten griechischen Text beschränken
wollte und es in Zweifel zöge, dass auch all jenes Uebrige ursprünglich
gleichfalls in der Synopsis enthalten gewesen sein müsse. Was aber
die Beantwortung betrifft, so sind wir in Folge des Materiales, welches
bis zum heutigen Tage der geschichtlichen Forschung zu Gebote steht,
leider nicht in der Lage, jenes „Woher ?“, dessen Ergründung wir uns
wahrlich stets bisher zur Aufgabe gemacht haben, hier mit Bestimmtheit
angeben zu können.
Im Allgemeinen wobl steht fest, dass stoische Schuldoctrin, d. h.
Grammatik und Rhetorik, in den Betrieb der Dialektik sich reichlich
verfloehtem haben müssen (vgl. oben Amm. 17), um zu solch einer
Theorie der qnucrgio: und der logischen Function derselben zu führen;
aber die einzelnen Fädem der Entwicklung oder etwa gar die einzelnen
Autorem, durch welche diess geschah, machzuweisem, ist uns nicht mehr
möglich. Ja wir sehen uns hei dem bisher zugänglichen griechischen
Grammatikerm und Rhetoren vergeblich selbst um mehrere der oben
erwähnten Worte oder Begriffe um, und auch die uns erhalteme Gram
matik des Psellus selbst 97), — allerdings ein äusserst kurzer und arm
seliger Abriss —, enthält bezüglich der uns interessirenden Frage
schlechthin Nichts. Höchstens einzelne Bausteine, welche dann später
allmälig mit anderen zu einem Ganzen verbumden wordem sein müssem,
können wir sowohl bei Grammatikern als auch bei Rhetoren wiederer
kennen. So ist z. B. nicht bloss der Begriff der σημασία selbst ein
bei vielen Grammatikern vorkommender *°), sondern wir finden auch
bei Dionysius Thrax eine Aufzählung der Unterarlen des Substantivums
(övoμα), welche mit einzelnen der oben erwähntem Punkte sich be
rührt, insoferne die Begriffe des πQogrjyoQικόν, des £g0tmuatuxöv (tig,
96) Eben dieser gleichbleibende Charakter des Ganzen, wornach die zum
Auswendiglernen bestimmten zgvövss überal] ein Uebergewicht behampten, wiirde,
weun es noch nöthig wäre, einen wesentlichen Beweis darbietem, dass auch jener
Rest, welchen wir ausschliesslich nur aus den Lateinern kennem, ursprünglich
ebenfalls bei Psellus sich gefundem haben muss.
97) Toù ugxgggtotóvov ύττεgttuov zvgo&Jgov τόν quÅqσόφων xögov
14ιχαήλ τοῦ φελλόύ στέγοι πολιτixo) 7rgòς τὸν ρασιλεα χύgov Kovoràv
rivov τόν μονόμαχον πεδί τῆς yQcquucztuxijg. Gedruckt bei Boissonade, Anecd.
graeca IlI, p. 200 ff.
98) Es scheint unnöthig, für diesem allgemein recipirten Begrifr die einzelnen
Belegstellen aufzuhäufen.
XV. Psellus. - 291
ποίος, τόσος), des ávaQpogixóv (τοσούτος, τοιούτος), des ἐπιμεριζό
μεvov (§τεgog, £xársgog, £καστος), des áögtotov (όστις, όττοῖος, ότόσος)
erscheimen "°); ebendaselbst treffen wir auch eine Eintheilung der Con
junctionem, welche zu dem traditionellen Umkreise der Schulgrammatik
gehört und offenbar in späterer Zeit noch entschiedener als schon früher
bei den Stoikern (s. Abschn. VI, Amm. 122 ff.) eine Aufnahme in die
Logik fand '""). Während aber unseres Erachtens allerdings es haupt.
sächlich die grammatischen Anschauungen waren, welche einen Einfluss
auf diesem Zweig der Dialektik ausiùbten , finden wir doch hinwiederum
auch in der • Rhetorik manche Einzelheitem, welche um so eher in die
Dialektik hinübergenommen werden konntem, je mehr von Ambeginn an
die Topik (mit Einschluss der Sophistik) ohnediess dem rhetorischen
Gebiete näher gelegen war, und wenn wir bedenken, dass die Erörte
99) Bekker Anecd. II, p. 636 f. : 'Y7roT£/ τωx ε δέ τφ άνόματι ταῦτα, à
zαι αὐτά είδη πQogayog* j* t gt * xùguoy, ngosnyoQtxóv, £7ri9ετον, τgός τι
£χον, ός πQός τι, ἐχαν, όμωννμον, , gvvojvvuov, φεσιόyvuov, διωγvuov,
?7ταδννμον, ?9yuxóv, £goornu cctvxóv, άδgtotov, άναqogtxóv, ... πεQιληπτι
xóv, £a tuaegi ju£vov, ίί εQvôx tuxóv, πεττδιημενον, yévxóv, είσιxόν, τάχτι
zóv, ági 9μητιχόν, μετουσιαστιχόν, ἀπολελυμενον ..... IIgos myoQuxòv ôé
?ott τὸ xov vjjv οὐσίαν σημαίνον ..... `Ego τηματιχόν δὲ ἐστιν, ό και ττεν
ατιχόν καλεῖται , τὸ κατ* £gait nou v λεγόμενον, οίον τάς, ποίος, τόσος,
A mátxos. 24ögιστον , δὲ ἐστιν τὸ τφ £gστηuστικὰ ἐναντίως, τιθέusvov, oiov
όστις, ότιοῖρς, όπόσος, ότηλέxos.] 24υαφόgtxòv δε ἐστιν, δ xcä öuoiou«
a vxòv xccì òειx tuxòv xccì àvrw7τοσοτιzòv xa) &ίται, τὸ δμοίωσιν σημαίνον,
oiov τοσούτος, τηλιzoῦτος, τοιούτος. Hiezu mag z. B. auch beigezogen werden,
was sich bei Planudes 7ι εg) ovvr(;3&0s (Bachmann, Anecd. graeca II, p. 137.)
erhalten hat: τά άόguot α, τούτο μέν ἀνόματα ταῦτο δέ èziaggijuata, xα90
Àuxijv 7iQoq ogäv äyovv α σννα9Qoiovtxijv τοῦ ττλη9ovs xtxì âgçuoù τούτων,
zτεgì óν όιαλεγόμέ9α, ἐκ τε τῶν ἀναφοQuxóv xaì , τοῦ „άν* j ,,qùv* ovv
6éóuov ή τοῦ „Öij7iov&* αυντά}εται, οῖον τές, όστιςοῦν, .... δ ποιοςοῦν
u. S. W.
100) Ebend. p. 642 f.: Σύνδεσμός ἐστι λέις συνόδουσα διάνοιαν μετά
τ έεως χαι τὸ τῆς ἐgunv&fws x8yrjvòς πλngoÜga. Tóv òè συνδέσμων ......
ανμπλεκτιχοὐ μὲν εἰδιν, όσοι τὴν ἐQunvstav £7r' άτες; èxq&Qouévrjv ovv
êéòvσιν, είσι δε , οῖόε : uév, òé, τ§, xtat, άλλα ..... διαζενχτιχά δε είσιν,
όσοι τ ν μέν qggouv ovvòéovσιν, ἀπὸ δέ πQgyug τος εἰς πgάγμα διαστῶ
αιν, εῖσι δὲ δῖδε* jj, jjrov .... σνναπ τιxoì òé &totv, όσοι ύπασάιν μέν οὐ
ῦηλοῦσι, σημαίνονσι δε άχολουθίαν, είαι δέ οῖδε τ εί, εττεg .... 7τggwgvv
ajituxo} δε είσιν, όσοι μεθ' ύτέgάεως xgì τέιν δηλούμιν, είσι δέ οίδε '
87. st, £n stat eg ..... αίτιοῖοyuxoù ôé siguv, ögov £7r' άποδόσει αὐτόας παQα
λαμράνονται, είσι δέ οίδε '. £va , öqQ«, özτως, ἐνεκα, ούνεκα, ότι, διότι
... ἐπρgnuaiuxoi δε είαν, όσοις ἐτάiggoῦντες εἰῶσαμεν xgijo&at, sioì òè
oíòs* >, xάτα.... gvâÄoyιστιxoù ôé êïóιν, όσοι τgòς τὰς ἐπιφQgάς τε xaì
αυλληιρέις τὸν ἀποδείζεὸν εὐ διάxεινται, εἰαι δέ σῖδε' ägt;, άλλα, άλλὰ
ujv ...... παραπλngωματικοι δε εἰσιν, όσοι, μέτgov ij xóauov, èvéx&v 7tago
λαμβάνονται, είσι δέ οίδε δή, ἀέ,_^^j, aov, τοί..... τινός δέ πQocau8£σαι
xa\ ?vtcvtvoucatuxoùs, oiov ἐμπτης, δμως. Eine Wervollständigung oder weitere
Ausführung dieser Lelire vom den Conjunctionen, welche für die byzantinische
Schul-Logik bezüglich der ovyxwv nyoQevuata sicher von grosser Wichtigkeit war,
suchen wir vergebens bei den übrigen späterem Grammatikern; auch die armenische
Uebersetzung des Dionysius Thrax selbst (s. Mémoires et disserlalions sur les anti
quiles nationales et etrangeres, publiés par la sociele royale des anliquaires de France,
Vol. VI, p. 1 ff.), welche übrigens manche Zusätze enthält, bietet hier Nichts dar.
19*
292 XV. Psellus.
rumg und Lösung einzelner Sophismem mit mehreren Capiteln der Lehre
von den proprietates terminorum verbunden wurde (— ganz abzusehen
davon, ob unsere Wermuthung über die dem Sophistici Elenchi ange
wiesene Stelle, Anm. 91, wirklich berechtigt sei —), so muss es uns
immerhin sehr wahrscheinlich dünken, dass auch die Rhetorik ihrer
seits ihren Beitrag zu -jenem neuen Bestandtheile der Schul-Logik ge
liefert habe. Vor Allem ist es die reiche Saat der τgόποι, welchen
zuweilen eine logische Seite abgewonnem werden konnte, und unter
diesen dürfen wir wenigstens die cógnoug ''') um der ampliatio willen
nicht unerwähnt lassem. Es mag aber auch beachtet werden, dass
Hermogenes, an dessem Technik sich bekanntlich eine Menge von Com
mentatören anschloss, bei der rhetorischen Theorie bezüglich der τρόσ
covc. (worin eine Brücke zur suppositio personalis liegen könnte) neben
anderen Momentem namentlich aüch τά όgiou£va, τὰ πρός τι, τά κατά
gvutìowrjv und τὰ τgognyoQixd erwähnt 10*), sowie dass derselbe ge
legentlich der τεgußo\), welche das Gegentheil der καδαρότης ist,
gleichfalls in dem Begriffe des πQogλαμβάνειν einen Gegenstand berührt,
welcher mit der Lehre von der Supposition verwandt ist '"*). Endlich
noch scheint der Begrift der ἐκδετικά (erponibilia) auf einem Momente
zu beruhen, welches zwischen Grammatik und Rhetorik schwankt oder
vielmehr jener stoischen Verquickumg der Dialektik mit jenen beiden
anderem Disciplinen angehört; denm in solchem Simne trafen wir schon
früher die ἐκδετικά άδιαδματα als eine eigene Species des Urthei
les 104).
All das eben Erwähnte jedoch besteht nur in Einzelheiten, und
101) Longin. de subl. 12. (Rhetores graeci, ed. Spengel, I, p. 260.), Longin.
rhetor. (ebend. p. 301. u. 326.), Anon. rhet. (ebend. p. 440. u. 457.) und sonst
noch häufig.
102) Hermog. de arte rhet. 1. (bei Spengel II, p. 133 f.): Tòv ούν πQog
w37των τ ά μὲν ἐστιν oiv xaì òóvcro 9ca ?$st cáéo 8«t; τά δέ ού, τόπου δὲ
άλλως ἐπ€χει προσωπον- τόν δ' αῦ, ἐάειαζομένων ioyvggrάτην μέν έχει
Júvauv τά όQuouév& xgì xúgia, oiov ö Ifsguxlijs, ô Z1nuoö 9évmς καί
τά τοιαύτα ' ἀεντ€Qccv òè τὰ Ἀgός τι, οίον πάτης, viös, όδύλος, δεσπό
της' τQίτην τά διαρερλημένα, oiöv άσωτοι, μοιχοί, κόλακες' τετάgτην τά
j$uxâ, oiov ystogygt, λχνοι , xg τά όμοις' πόuatnv τὰ κατὰ συμπλοκήν
δύο τggsnyogvöv, oiov véos πλοῦσιος ..... §ztmy τά xtztà gvu7τλοxijv 7rgooj
Tov xaì 7tgdyuatos, oiov μειgάxvov xaìàoT Éóu£vov φεύγέι ποgvstvs* §3
douov τά άπλά πQosmyoQtxâ, oiov στgστηyός, άητωg.
103) Hermog. zi. ίδεόν. I, 11. (p. 316. Speng.): Tfysv αι τοίννν πεgußgλ)
xgτ' ἐννοιαν μέν, όταν ήται ἐόδέν τι τgόςλαußáv/jg tovt(p, τεgi όδ
Àóyg$, gigv. yévos εἰδει .... jj άόgro rov ógrojì£vo'..... ij όλον μεget .......
(p. 318.) i όταν μῦ μιλά λεγη τά πgάγματὰ μηδέ x«9' ἐαντά, άλλὰ μετά
τῶν 7r«g«xgλονδούντων,, oióv τόπον, χόόνον, αὐττας, τgogojTov, xai £r.
yvojums τοῦ προσωπον, άπλῶς τ ε πάύτων τῶν τοιούτων. Aehnlich Aristides
de arte rhet. b. Spengel II, p. 472.
104) S. Abschn. VI, Amm. 115. Mit dem aristotelischen oder theophrastischen
Begriffe der éx980, § im kategorischen Syllogismus (Abschn. IV, Anih. 554. und
Abschm. V, Anm. 50.) haben die 8x9ετιxà dieser späterem Logik keinenfalls etwas
zu schaffen. Hingegen bildet die ἐκδεσις als eine ,,Werdeutlichung** wieder ein
;*;;;- Capitel in der Rhetorik, z. B. Aphthon. Progymn. 5 f. 5. Spengel II,
p. -
δ
XV. Johannes Italus. 293
es wäre thöricht, zu glauben, dass hiemit die Entstehung jener ausge
dehnten und völlig schulmässig formulirten Lehre bezüglich der σημασία
etwa nachgewiesem sei. Zwischen der grammatischen und rhetorischen
Litteratur, welche uns noch zugänglich ist, umd dem Compendium des
Psellus muss eine reiche Entfaltung der Schul-Logik stattgefundem haben,
derem geschichtlicher Werlauf uns bis jetzt — vielleicht auch für immer
— verschlosseri ist 1"°). Indem es jedoch wahrscheinlich ist, dass
die schulmässige Consolidirung dieses neuen Zweiges der Dialektik auf
Einem relativ älterem Kern zurückweise, an welehen als an die ursprüng
liche Grundlage das Spätere amsehoss, so darf ich vielleicht die Ver
muthung aussprechen, dass wir möglicher Weise den Themistius (s.
Abschn. XI, Anm. 92 ff.) für diese logische Behandlungsweise gramma
tisch-rhetorischer Momente verantwortlich machen müsstem; denn der
selbe ist unter den älteren Commentatoren wohl derjenige, welcher am
meisten das Studium und die Praxis der Rhetorik mit der Thätigkeit
eines sogenanntem Philosophen verband, und falls unsere obige Annahme
(Anm. 41 u. 64) richtig ist, dass in der Synopsis des Psellus für die
Kategorien ebensosehr wie für die Topik Themistius der ursprüngliche
Führer war, so scheint derselbe für die Schul-Logik überhaupt eim
gewisses Ansehen genossen zu habem, wornach es jedenfalls sehr er
klärlich wäre, wenn man die Lehre von der σημασία und von den
ovyxccvnyoQevuc,vc gleichfalls aus ihm entnommen hätte; ja wenn das
letztere dieser beiden Worte sich auch bei Averroes findet 10°), so
könnten wir auch diess zu Gunsten unserer Wermuthung benützen, indem
eben Themistius es ist, welchen gerade für die Topik Averroes eim
lässlich benützte. Doch bei dem gänzlichen Mangel aller präciseren
Anknüpfungspunkte ist jede derartige Wermuthung von geringer Bedeu
tung 107).
Neben Psellus aber kann auch noeh sein jüngerer Zeitgenosse und
Nebenbuhler J o h a n n e s I t a lu s (s. Abschn. XI, Anm. 111) erwähnt
werden, dessen Schriften möglicher Weise einen Eiufluss auf das latei
nische Abendland ausgeübt haben könnem. Amma Commena spricht aus
führlich über ihn, deutet aber dabei — was für uns beachtenswerth
105) Dnrch allmälige Benützung und Veröffentlichung alles desjenigen, was
in dieser Beziehung noch handschriftlich in den Bibliotheken vorliegt, könnte viel
leicht einiges Licht in die Sache gebracht werden; denn wenn auch die griechi
schen Litteratur-Erzeugnisse der späteren Jahrhunderte meistens in der That noch
so umbedeutend und jämmerlich sind, so bleibt ja immer noch, die . Möglichkeit
offen, dass aus der Masse dieses Schundes irgend ein Compendium der Grammatik
oder der Rhetorik sich erhalten hätte und irgendwo versteckt wäre, aus welchem
mit grösserer Deutlichkeit die zur Beantwortung unserer Frage diememdem geschicht
lichen Fädem erkannt werden könntem.
106) Averroes ad Arist. Top. l, 2. (b. Aristot. 0pp. latine, Venet. 1552, fol.
Vol. I, f. 256 a.): Prout facit Aristoteles in libro Perihermenias distinguendo res
ratione dictionum, quando illas distinguit in nomen, verbum et dictionem syncateg0
|rematicam etc. Vgl. folg. Abschn., Anm. 309.
107) Fände sich in einer Bibliothek eine Handschrift jenes Commentares, wel
chen Themistius zur aristotelischen Topik verfasste, so müsste meine Wermuthung
sofort sich entweder bestätigem oder sich widerlegem.
294 XV. Johannes Italus.
ist — zugleich an, dass Grammatik und Rhetorik nicht die starke Seite
desselben gewesen seien, sondern er sich mehr auf die reine peripa
tetische Dialektik beschränkte 1"*), woraus wir jedenfalls schliessen
müssen, dass, wenn seine lilterarischen Erzeugmisse vom den Laleinern
benützt wurden, sicher nicht eine Wirkung derselben anzunehmen ist,
welche jener des Psellus gleichkäme. Indem von der ausgedehnten
schriftstellerischen Thätigkeit des ltalus durclaus noch Nichts durch dem
Druck veröffentlicht ist, darf ich wohl erwähnen, dass eine in der
Münchner Staatsbibliothek befindliche Handschrift mehrere logische Schrif
ten desselben enthält '"°). Es zeigen uns dieselben in schliehter an
spruchloser Form den ganz gewöhnlichen Inhalt der Schul-Logik oder
108) Anna Commena, Aleaeias V, 8, p. 257. (ed. Schopen): Oίτος δε ό Ίτα
λός .... ögum τα μέν ἐ. 'IraAtgs xgì èv tj xvxe) ίς ἐq' ixttvòv διετQιιμε
- - - - - 'Exsúeí ôè 'ούτος ό Ίταλὸς, οὐχ οὐδ' άττως, την Κονσταντινούπολιν
xxxt&λαβεν ἀπάσης παιδεδας xtx\ τεχνης λoyuxijç oùx èvδεός ἐyovoav .....
(p. 258.) Oüτος ούν τοῦς ἐνταῦ9α Τάχονταζ ό Ίταλὸς εὐgnxóç xaì àvôgê
αιν όμιλήσας σχολαστιχοῖς .... παιδείας τοίννν λoyvxijg èç èx&tvov μετα
oyóv xaì Myójλ £x&tvq tj J{ελλφ ἐν ύστερφ πσοςωμάλησεν ..... Τούτφ
yöÜv ό Ίταλός πQosoplùijoag £v άπαιδεύτφ j9&t xgì 8aQßaguxj oùx ijô
vtao quÀoooq tas sic βά8ος ἐλθεῖν, διδασκάλων όλως ύηό* £v τφ μαν
8ανειν άνεχόμενος , θρέσονς ἄν μεστὸς και άπονοίας ßêgßaQvxijs ft&vtov
τε xg9v7t>êgêîv x«î 7τgò τοῦ μάσεῖν οίόμενος, xaì ngòς αὐτὸν τὸν φελ
Àòv èx agóτης άq ετηQίας άντεί έατο, £u3g9Jvcrs- 6è tj διαλεκτιxj u£9n
μεQuvoùç 9ogößovç èv jtgvöijuotg ovv&àçùóεσιν ἐχτοιεῖτο σοφιστιχάς συνεἰgων
?Qεσχελίας, xccì 7täν εῖ τι τοιούτον πQot. 98)ς και αὐ$ις ύπέχων λόγον
τοιοντότgo7tov ..... (p. 260.) 'Ev9« x«î ` τοῦ φελλοῦ μεταχωgrjgwvtog Bv
ἰαντό{γεν.... σύτὸς φιλοσοφτας άπάσης πQo&ot m διδάσχαλος, ὐπατος τόν
quãoo6qov zgmur: ridcrc, xô tês τε Aquo tot &lixês ßtßÄovg xaì τὰs IIλα
τωνικάς ἐσπουδαίεν' xaì ijv μέν τφ δόζαι τολvuά9£ατατος, δεινός δέ
μάλλον εττεg τις άλλος διεgsùyijogo 8cri tóv άλλων τήν δεινοτάτην πεgu
7ιατητιxijv xù ταύτης πλεού την διαλεκτικήν* τQὸς δὲ τάς άλλας τεχνας
τῶν λόγων οὐ τιάνν τι εὐqvóς είχεν, ἀλλά τεQt t & tìjv yQαμματιxijv £yoj
λενε τεχνην και τού άητοgixoù v€¢r¢gog oùx èyεύσατο, οὐδέ £{;i? ὐ λó
yos τούτφ èq iiguooto x«î éìg xóXo$ άπιζεσío. Hiezu Annae Comn. Supple
menta ed. Th. Fr.Tafel (Tübing. 1832. 4.) p. 1.: Me tà yàg τὸν τιάνυ φελλόν
τὸν ἀς είπ η τις ἀπέσης σοφίας καδηγεμόνει και παντοδας ἰδgtv λογιxijs
7 cadêùαεως Τοῦτος (sc. ό Ίτὰ λός) ἐπῦ ταῖς }4Quotor&λιχαῖς τεχνολοytcri s
μέγας ἐδοζεν είναι, δόεν xaì zváo av quâ opua9ij vsoìatwv εῖς ἐάυτόν ἐπε
ozi docto. -
109) Nemlich Codeae graecus Monacensis 99. fol. enthält zunächst (fol. 279—
386.) 'Iwdvvov σοφωτάταν ύπατον xccì διδασκαλον τόν quÃοσόφων, τοῦ
'IraXoù, ἐκδοσις εἰς διάφορα ζητήuata duà tò xtxi Juc:q ögovg τόύς ταύτα
vagoßczáÀouévovg (ein ähnliches Werk wie die IIccvv oòαπῆ διδασκαλεα des
Psellus), woselbst auch eine grosse Menge logischer Fragen sich erörtert findet;
jedoch muss bemerkt werden, dass dieses Werk wenigstens^ nicht aus erster Hand
von Johannes Italus herstammen kann, denm fol. 314. v. lesen wir: „Ioávyns δ
qt}6ooqos ö 'It gλὸς, ό ju&t egos διδάσκαλος, ούτως ' r.itfav, qnoìv, ö
X4guo tot&λns èTtdy&v u. s. g: Sodamm folgt in der Handschrift (fol. 386—423.)
Toù cxùτοῦ ἐκδοσις εἰς τὸ B, T, A1 τόν To7i uxóy, hierauf (fol. 423—431.)
Toù aùτοῦ πρὸς τὸν ßασιλεα zvg. Atvögövvxov ?gtot ijuavta ^ sgì òιαλεκττ
xijs (ein kurzer Abriss der gesammten Logik), hernach (fol. 431—440.) Toû
aùroù êxδοσις πεgì t ijs τῶν αυλλογισμῶν ύλης xai τῆς ovov do&os αὐτόν,
und endlich noch (fol. 440—447.) Toû ` αὐτοῦ u£9o6oc ἀητοguxiis £xόοδεῖσα
XV. Nicephorus Blemmides. 295
die üblichen Controversen der Commentatorem. Bemerkenswerth ist,
dass Italus bei Besprechung der Syllogistik die oben angeführtem Me
morial-Worte des Psellus anzuführem verschmäht 119); hingegen hätte
nicht bloss allenfalls eine Lücke, welche wir bei Psellus trafen (Anm.
56), aus Italus ergänzt werden können '''), sondern es wäre auch
wenigstens möglich gewesen, aus Letzterem die Kunde davon zu schöpfem,
das Galenus nicht drei, sondern vier Schlussfigurem annahm ''*).
Endlich haben wir noch anzuführem, dass in dem Compendium
des N i c e p h o r u s B le m m id e s (s. Abschn. XI, Anm. 177 ff.), wo
derselbe von den Syllogismen handelt, sich jene nemlichem Memorial
Worte finden, , welehe wir oben (Amm. 47 ff.) in der Synopsis des
Psellus trafen, jedoch mit Ausnahme der letzten fünf Schlussweisen
der ersten Figur, indem bei dieser sich Blemmides auf die Aufzählung
der vier aristotelischen Modi beschränkt 118). Uebrigens ist es selbst
chronologisch nicht wahrscheinlich, dass die Lateimer die Memorial
Worte aus Blemmides geschöpft hätten (denn die litterarische Thätigkeit
desselben dürfte fast in eine etwas spätere Zeit fallen, als jene des
Wilhelm Shyreswood), abgesehen davon, dass bei Psellus diese Dinge,
auf welche von den Lateinern ein übergrosses Gewicht gelegt wurde,
in erwünschter Vollständigkeit vorlagen.
Ueberhaupt concentrirt sich, wie es scheint, der byzantinische Ein
fluss ziemlich ausschliesslich auf Psellus, in dessem Synopsis das latei
nische Abendland wie durch Zufall ein ihm vortrefflich dünkendes Com
pendium erhielt. Und wir können diesen Abschnitt nur mit dem Wunsche
schliessen, dass der gelehrten Forschung dereinst gelingen möge, worauf
wir verzichten musslen, nemlich auch noch jene Fäden machzuweisen,
xcct & συνοιμιν. Einem Nachweis anderweitiger Handschriften, in welchen Werke
des Italus enthalten sind, gibt M. Hase in Notices et Evtraits des manuscrits de la
bibl. impériale, Vol. IX, Abthlg. 2, p. 149 ff.
110) Italus hätte wenigstens häufig genug (in den /1ιάφορα ζητήματα fol.
318 f. und fol. 329 ff., woselbst von dem Syllogismen die Rede ist, sodann wieder
in dem an Andronikus gerichteten Buche fol. 428., und ebenso in der ganzen
Monographie über die Syllogismen) Gelegenheit gehabt, seine kürzerem oder längeren
Erörterungen über die Schlussweisem mit jenem mnemotechnischen Schmucke aus
zustatten, wenn er hiezu geneigt gewesen wäre.
111) Nemlich in jenem an Andronikus gerichtetem Compendium bespricht Ita
lus (fol. 429 f.) jene aus der Analytik entnommenem Momente, welche bei dem La
teinern unter der Bezeichnung de potestalibus syllogismorum vorkommen, . jedoch
allerdings in einer Weise, dass nicht angenommen werden kann, die Lateiner hätten
hier ebenso lediglich nur übersetzt, wie sie mit Psellus verfuhren.
112) In deii Auóqog& &ntjuara fol. 330. y. steht folgende Stelle; T£ 6è
gyijuara τὸν συλλογισμόν ταῦτα : ö TaÂnvὸς óè xc.) féragτον, ἐπι tov τοι ς
£jάσχεν είνει, ἐναντίως τQός τὸν Σταy$igftnv q&göuενός, δς λαμπρό
régov άναφανήναι οίόμενος τόν τὴν λόγικήν τgoeyuάτεέαν ἐ$yovu£vgv
πάλαιῶν αἰς ποggωτάiov εὐ9€wg èxTértòx£. Es kömmt demnach diese Stelle,
welche ich im Jafife 1855 noch nicht kannte, aus der griechischen Litteratur als
zweite zu derjenigen hinzu, welche ich Abschn. IX, Amm. 100. bezüglich der soge
manntem Galenischen Schlussfigur anführen konnte.
113) Nicephori Blemmidae Epitome logica ed. Wegelin (Augsburg 1605, 8),
p. 229 ff. -
296 XV. Nicephorus Blemmides.
welche in den letztem Hauptabschnitt der Synopsis zusammenliefen;
denn vorläufig bleibt uns (abgesehem von Psellus selbst) die wahrhaft
ursprüngliche Herkunfi jenes einem Theiles der lateinischen Logik noch
dunkel, welcher bis zum Sturze des Mittelalters dem Unterschied zwi
schen ,,neuer“ und ,,alter“ Logik begründete und, nachdem er eine
lange und wichtige Rolle gespielt hatte, noch weit hinab seinen Ein
fluss erstreckt.
XVI. ABSCHNITT.
E I N F L U S S D E R A R A B E R.
Sowohl über die geschichtliche Thatsache selbst, dass die Litteratur
der Araber auf das Abendland eine ausgedehnte Einwirkung ausübte,
als auch über die Ereignisse und Zustände, durch welche jene Be
rührung zwischem Orient und 0ccident bedingt war, können wir jede
weitere Erörterumg hier füglich bei Seite lassen, da all Solches theils
allgemein bekannt ist, theils ausserhalb unserer hiesigen Aufgabe liegt.
Hingegem darf wohl schon hier — mit dem Worbehalte der máherem
Erörterung im folgenden Abschnitte — die allgemeine Bemerkung
vorausgeschickt werden, dass der Einfluss, welchen die logischen Lei
stungen der Araber auf das lateinische Abendland seit dem Beginne des
13. Jahrhundertes äusserten, völlig verschieden war vom der Wirkung
der byzantinischen Litteratur; denn während die letztere für die latei
nische Schul-Logik und die Gestaltung der Compendien maassgebend
wurde, brachten die ersteren mehr einen gelehrten Betrieb der Exegese
des aristotelischen Organons in Aufschwung, und mit der hieraus er
wachsenden Litteratur der Controversen stelltem sich nun erklärlicher
Weise wieder die Streitigkeiten über die Geltung der Universalien eim,
jedoch mit dem wesentlichen Untersehiede, dass für diese Erörterungen
jetzt durch die Benützung arabischer Schriften eine weil umfassendere
und tiefer einschneidende Basis dargeboten war.
Während aber die arabische Litteratur in Erklärung des Aristoteles
ebensosehr wie auf anderem Gebieten sich unendlich reichhaltig und
manigfaltig entwickelte, so dass sie nach dem Stadium einer hohen
Blüthe wahrlich gleichsam in ihrem eigenen Fette erstickte, war es nur
ein Bruchtheil derselben, welcher dem lateinischen Abendlande durch
Uebersetzung zugänglich wurde und in solcher Form den genamnten
Einfluss ausübte. Und hiedurch sind wir hier an dem Punkte ange
kommen, wo sich der Titel, welchen ich von vorneherein meiner Arbeit
gab, rechtfertigen muss. Denn indem ich eine „Geschichte der Logik
im Abendlande“ schreiben wollte und will, habe ich aus dem weiten
Umkreise arabischer oder arabisch-jüdischer Logik nur dasjenige beizu
ziehem, was in die damalige Sprache des Abendlandes übertragen wurde.
Alles Uebrige sowie zuletzt auch die richtige historische Würdigung
der in das Lateinische übersetzten arabischen Erzeugnisse muss ich
jenem Gelehrten überlassem, welche diesen Zweig der Kunde des Orientes
•
•
298 XVI. Die lateinisch-arabische Logik.
zu ihrer speciellen und dankenswerthen Lebensaufgabe gemacht habem.
Ja selbst die blosse Kenntniss der arabischen Sprache — wenn ich
sie besässe — würde weder ausreichen noch mich dazu berechtigem,
in fremde Wissensgebiete überzugreifen; denn wenn ein hervorragender
Kenner jener Litteratur sagt, eine wahrhaft gemügende Geschichte der
arabischen Philosophie müsse erst noch in Zukunft einmal geschrieben
werden '), so leuchtet dieser Ausspruch darum sofort ein, weil Alles
erst moch von der Ausbeutung handschriftlicher, bisher unvollständig
oder gar nicht benützter, Quellen abhängt; eine derartige Aufgabe aber,
welche wohl mehr als Ein gelehrtes Menschenleben in Anspruch nimmt,
kann Niemand nebenbei neben einem anderweitigem Werke erledigen.
Somit also verzichte ich, ohne darum die einschlägigem Leistungen der
Fachmänner *) ignorirt zu haben, vollständig darauf, die arabische Logik
als arabis che hesprechem oder darstellen zu wollem, und indem ich mir
mur die arabisch-lateinische Logik zum Gegenstande mache, verfahre
ieli eigentlich nach dem „Relata refero“, d. h. während ich wohl ge
ahnt zu haben glaube, dass die Berichte und die Auffassungen der La
leiner häufig auf unkritischem Boden beruhen, habe ieh nur zu be
richten, welcherlei Doctrin als arabische aufgegriffen und entweder
beifällig aufgenommen oder aber auch bekämpft worden sei. Ja auch
jene Uebersetzungen arabischer Werke, welche im 13. Jahrhunderte
amgefertigt wurden, zeigen, soweit sie in vollständigen Drucken oder
vereinzelten Anführungen vorliegen, einem Text, vor welchem wir häufig
schlechthin rathlos dastehen und auf Erreichung eines Verständuisses
verzichten müssen ; aber auch in dieser Beziehung müssen wir be
denken, dass die Lateiner jener Zeit eben auf jenen nemlichem Ueber
setzungem fussten, und wir kommem hiemit auch hierin auf den Stand
punkt zurück, dass wir das Arabische mur in jener Form und jener
Beleuchtung darstellen, in welcher die Lateiner es besassem.
Dürfte nun diese Beschränkung auf die secundäre lateinische Litte
ratur wohl von dem Leser gebilligt werden, so weiss ich hingegen
nicht, ob das Gleiche auch bezüglich einer abermaligen Abgränzung
des hier zu behandelndem Stoffes der Fall sein werde. Nemlich es
wird allerdings unbestritten zugegeben werden müssem, dass all jene
Einflüsse der arabischen Denkweise, welche einer Emanationslehre oder
einem pantheistischen Grundzuge näher liegem und durch jüdische Litte
ratur sich theilweise bis zu Spinoza hinab erstrecken, ausserhalb der
Aufgabe einer Geschichte der Logik stehen. Hingegen mag als zweifel
1) Munck, Dictionnaire des sciences philos. I, p. 180.
2) S. in dem so eben genannten Dictionnaire (Paris. 1844—1852, 6 Bande)
die von Munck verfassten Artikel: Arabes, Kendi, Farabi , Gazali, Ibn-Badja, lbn
Roschd, Ibn-Sina, Juifs, Maimonide. Ferner: Fliigel, Dissert. de arabicis scriptorum
graecorum inlerpretibus. Meissen 1841. 4. Wenrich, De auctorum graecorum ver
sionibus syriacis, arabicis, armeniacis persicisque. Lips. 1842. 8. Schmölders, Do
cumenla philosophiae Arabum. Bonn. 1836. 8. und desselben Essai sur les écoles
philosophiques chez les Arabes. Paris 1842. 8. (Uebrigens scheint das Ansehen,
welches Schmölders theilweise genoss, durch Munck a. a. 0. I, p. 179 f. u. ll,
p. 506 ff. mit guten Gründen wankend gemacht worden zu sein; vgl. auch untem
Anm. 68.) Anderes wird am geeigneten 0rte noch besonders anzuführen sein.
!|
XVI. Die lateinisch-arabische Logik. 299
haft erseheinem, wie es hier mit der Erkenntmisslehre zu haltem sei.
Und in dieser Beziehung mnss ich selbst auf die Gefahr hin, hierüber
Tadel zu erfahrem, meinen Standpunkt dahin aussprechen, dass ich naeh
reiflichster Erwägung aller Gründe und Gegengründe zur Ueberzeugung
gelangte, die Erkenmtnisstheorie hier ausschliessen zu müssen. Die
Araber hatten durch Porphyrius sämmtlich einen neuplatonischen Kern
eingesaugt, zugleich aber warem sie durch Alexander Aphrodisiensis *)
veramlasst, sich mit den Schwierigkeiten zu beschäftigen, welche die
Psychologie des Aristoteles darbot. Und so entstandem jene zahlreichen
Erörterumgen der Araber über den intellectus (voυς), an welchen wir
durchaus nicht rühmen können , dass sie eine glückliche Versöhnung
des Platonismus und Aristotelismus beigebracht hätten; denn der pla
tonisch ontologische Objectivismus wird mil dem aristotelischen subjec
tiven Werwirklichungs-Processe des Denkems nur äusserlich amalgamirt.
Das Ganze läuft auf eine Stufenfolge hinaus, in welcher die aristoteli
sche Unterscheidumg des voÜg παδητικός und voÜg ποιητικός mit pla
tonischer Ideenlehre verquickt wird, und innerhalb der mancherlei
Wandlungen, welche diese Lehre besonders bei Alfarabi, Avempace und
Averroes *) erfuhr, liegt der Grundton der Erkenntnisslehre im Folgen
den : Während im Gebiete des 0bjectivem die ewigen Wesenheiten der
Himmelskörper das Princip der Formen des Seienden enthalten, wirkt
im Menschen der intellectus activus auf den intellectus passivus oder
intellectus materialis, und im letzterem liegem : als eim Potenzielles die
intelligibilia materialia (auch formae intelligibiles genannt), welche eben
durch den intellectus aetivus zur Enteleehie geführt werden; hiezu aber
wirken als Mittelglied die Einbildungskraft und das Gedächtniss, d. h.
die sogenanntem formae spirituales individuales, um in höchster und
letzter Stufe zu den intelligibilia speculativa zu führen, in welehem
der intellectus acquisitus jene res ipsissima besitzt, welche ihre reine
Entelechie in sich selbst hat. Und num versteht es sich von selbst,
dass nicht etwa der Werth oder Unwerth soleher Erörterungen für uns
der Bestimmungsgrund sei, dieselben hier aufzunehmen oder nicht auf
zunehmen; sondern das Entscheidende liegt darim, dass all diese Dinge
hei den Arabern in der That neben der eigentliehen Logik nebenher
laufen und auch bezüglich der Frage. über die Universalien, welche wir
hier zugleich als ante rem und in re und post rem treffen werden,
sich recht gut mit einem gewissen aristotelischen Intellectualismus ver
tragen, mochte jene Stufenfolge von den Einen so oder von Anderen
anders modifieirt werden. Hiezü aber kömmt auch noch, dass, wenn
ich überhaupt jene erkenntniss-theoretischen Fragen hier beiziehen würde,
ich nothwendiger Weise die gesammte folgerichtige Entwicklung der
3) S. Abschn. XI, Anm. 21, woselbst ich gleichfalls nicht die Aufgabe hatte,
die gesammte Psychologie Alexanders zu entwickelm.
4) Der Leser selbst wird es für irrelevant halten, welche Schreibweise der
arabischen Namen hier und im Folgenden gewählt sei; die Geschichte der mittel
alterlichen Logik darf sich vielleicht der im Mittelalter recipirtem barbarisch-latei
nischen Wortformen bediemen , ohne hierdurch das bessere Wissen über die rich
tige Schreibung verleugnen zu wollen.
300 XVI. Die lateinisch-arabische Logik.
selben darstellen müsste; die, tiefste und richtigste Consequenz aber
liegt in dem aus der Schule des Averroes hervorgehenden Monopsy
chismus, welcher, wie jeder Kenner zugeben wird, sowohl an sich
als auch in seiner manigfaltigem Bekämpfung wahrlich mit der Ge
schichte der Logik Nichts mehr zu schaffen hat. Somit lasse „ich hier
diesen ganzen Zweig arabischer Speculation bei Seite und werde in
gleicher Weise auch bei den Lateinern verfahren, d. h. auch dori dem
Inhalt der zahlreichen Schriftem De intellectu oder De intellectu et im
telligibili (welche grösstentheils der Polemik gegen Averroes gewidmet
simd) nicht erörtern. An der Beschränkung auf meine specielle Aufgabe,
d. h. auf die eigentliche Logik, welche ja ohnediess bei den Laleinern
parallel meben andere Zweige der Philosophie tritt, gedenke ich fest
zuhalten. Wenn ich in dieser meiner Resignation mach dem Urtheile
des Lesers einem Irrthum begehe, so habe ich wenigstens nicht unab
sichtlich gefehlt. *
Die Araber, welche nur durch die Vermittlung der Syrer dazu
gelangt warem, sich mit dem Erzeugnissen der griechischen Litteratur zu
beschäftigen °), zeigem an inmerer Unselbstständigkeit des philosophischen
Impulses eine grosse Aehnlichkeit mit dem abendländischen Mittelalter;
auch sie verhielten sich weit mehr receptiv, als productiv, und im
Ganzen kann bei ihnen weniger von einer Weiterführung oder Fort
bildung der antiken Philosophie, als von einer commentirenden Thätig
keit die Rede sein. Aber sie unterschieden sich von der analogen
Richtung des früheren lateinisehen Mittelalters nicht bloss durch eine
grössere Raschheit der Assimilation, sondern vor Allem durch den Um
fang des von ihnem benützten Materiales. Nachdem nemlich bei den
Syrern in frappantester Aehnlichkeit mit der älteren Epoche des christ
lichem Abendlandes gleichfalls der Umkreis der Logik sich auf die Isa
goge des. Porphyrius, die Kategorien und das Buch De interpretatione
beschränkt hatte, und unter den weniger beachteten übrigen Theilen
des Organons besonders die zweite Analytik fast gänzlieh unbekannt
geblieben war"), überflügelten die Araber in Folge der einmal em
pfangenen Anregung alsbald die syrische Litteratur und übersetzten nicht
bloss die sämmtlichen Schriften des Aristoteles, sondern auch die Com
mentare des Porphyrius, des Alexander Aphrodisiensis, des Themistius,
und des Philoponus. Und während nun die Araber erklärlicher Weise
auf die nemlichen Controversen hingeführt waren, welche sich vom
Anfange an den Lateinern aus dem Porphyrius aufgedrängt hatten '),
fandem hier die aufgeworfenen Frageii ünd Bedenken auf Grumd einer
' reicherem Litteratur-Kenntniss eine Erörterung, welche an Intension und
Extension die Leistungen des Abendlandes weit übertraf. Eben hierin
5) Ueber diesem für die allgemeine Geschichte der geistigen Kultur höchst
wichtigen Punkt, dessen nähere Erörterung jedoch mns hier nicht berührt, s. E.
Renan, De philosophia peripatetica apud Syros. Paris. 1852. 8.
6) S. Renan, ebend p. 40 f.
7) Ausser demjenigen, was aus dem Umkreise der lateinisch-arabischem Logik
im Folgenden anzuführen ist, s. hierüber auch Schmölders , Essai s. l. écoles
philos. p. 146 ff.
. XVI. Alkendi. Alfarabi. 301
aber liegt der Grund- davon, dass das Bekanntwerden arabiseher Schriften
im Occidente für die Exegese des 0rganons epochemachend wirkte.
Versuchen wir mum, die Thätigkeit der Araber, soweit dieselbe
für die Logik einen Einfluss auf die lateinische Litteratur ausübte, näher
darzustellen, so zeigt sich naeh wiederholter Erwägung doch noch jenes
Verfahren als das bessere, *dass wir für die Eintheilung dieses Stoffes
nieht die inhaltlichen Hauptgruppen der Logik zu Grunde legem, sondern
lieber dem chronologischem Faden der einzelnen Autorem folgem (denn
die jedenfalls umvermeidlichen Rüekweise und Wiederholungen beschrän
kem sich hierdurch immerhim auf eine kleinere Zahl).
Der älteste unter den arabischem Philosophen, nemlich A l k e n di
(Abu-Jussuf-Jacub-Ben-Isaac-al-Kendi, in der Mitte des 9. Jahrh. blühend),
berührt uns hier am wenigsten; denn die Nachwirkung, welche seine
Ansichten in den Schriften des Alexander Alesius, des Heinrich von
Gent und 'des Johann Fidanza (d. h. Bonaventura) zeigen, liegt auf
dem Gebiete der speculativen Theologie *), und sowie sehon bei den
Arabern Alkendi's Commentare zum 0rganon durch die umfassenderen
Leistumgen Alfarabi's in Vergessenheit gerathen zu sein scheinen 9), so
findem wir auch nur ein einziges Mal bei Albertus Magnus bezüglich
eines logiselen Punktes eine Erwähnung Alkendi's 1").
Hingegen A l fara h i (Abu - Nazar - Mohammed- Ben-Mohammed. Ben
Tarkham - al- Farabi, gest. i. J. 950) war im Allgemeinen der Begründer
jener Auffassungsweise und jener Controversen, welche bezüglich der
aristotelischen Logik durch Avicenna, Algazeli und Averroes weitere
Erörterungen oder Modificatiomen fanden. Er bleibt, wie sich von
selbst versteht, im Ganzen dem aristotelischen Standpunkte getreu, wenn
er auch in manchen Einzelheitem auf Grundlage der griechischen Com
mentatorem zuweilem Bedenken oder selbst abweichende Meinungen
áussert, welch letzteres ihm hinwiederum von späteren Arabern sehr
verühelt wurde ''). Unter seinen Commentarem zum 0rganon (— denn
vom Inhalte der Schrift De intellectu sehe ich, wie gesagt, hier völlig
ab —) hat entschiedem jener zur zweiten Analytik (s. untem Amm. 50)
die ausgedehnteste Wirkung auf die Lateiner des 13. Jahrhundertes
ausgeübt; doch sind wir auch über seine Gesammtauffassung der Logik
sowie über seine Ansicht betreffs der hauptsächlichsten Controversen
8) Auch was Hauréau, Phil. scolast. I, p. 363 ff. aus dem handschriftlich vor
handemen Tractatus de erroribus philosophorum (13. Jahrh.) mittheilt, liegt ausser
halb unserer hiesigen Aufgabe.
9) S. Munck, Dictionn. III, p. 443.
10) S. unten Anm. 30.
11) Ps.-Averr. (warum ich diesem Autor als Pseudo-Averroes bezeichne, s.
untem Anm. 289.) .Quaes. in Prior. Resolut., f. 366. r. A. (icb citire All dieses
mach Arist. 0pp. laline, Venet. 1552): Non est (sc. Aristoteles) debilioris considera
tionis inter homines vel minoris scientiae, quam ille , qui dubitat contra ipsum et
in suo tractatu respondet per id, quod ei videtur, et praecipue quando non est visum
illi, qui eum praecesserit, prout invenimus fecisse Avicennam in omnibus suis libris,
et deterius, quod hic novus fecisset, est deviare a sua disciplina et progredi alio
itinere praeter suam viam, ut conlingit Alpharabio in suo libro Logicae et Avicennae
in scientiis naturalibus et divinis. Vgl. Anm. 49.
302 XVI. Alfarabi.
ziemlich himreichend dureh die häufigem Anführungem bei anderen Autoren
unterrichtet 1*).
Alfarabi gibt der Logik eine Beziehung zur Ethik (vgl. Absehn. XI,
Anm. 121), indem die menschliche Wernunft, mag sie entweder bloss
innerlich in der Seele haften oder auch äusserlich im Wortausdrueke
zu Tag treten, jedenfalls ihre höhere umd umfassende Function in der
Unterseheidung des Gulem und Bösen habe, und hiemit die Wahrheit,
welche entweder in letzten unbeweisbarem Grundsätzen vorliegt oder
durch logische Erforschung erreicht wird, diesem Ziele dienstbar sei ;
hierin auch erbliekt •er, insoweit die Logik auf dem äusserem spraeh
lichen Ausdruck eingehen müsse, einen Unterschied derselben von der
Grammatik, welch letztere übrigens ausserdem auch nur auf die Spraehe
Eines Wolkes sich erstreeken könne, während die Logik dem Sprach
ausdruck der Wernunft aller Völker betreffe 1°). Und während so Alfa
rabi den Streit, ob die Logik ein Theil oder ein Werkzeug der Philo
sophie sei (s. Abschn. IX, Anm. 5 ff.), als umnütz bezeichnet 1*), er
12) Ich muss es allerdings sehr bedauern, dass ich des äusserst seltenen
Buches ,,Alpharabii, vetustissimi Aristotelis interpretis, opera omnia, quae latina
lingua conscripta reperiri potuerunt. Paris. 1638. 8.** (dasselbe befand sich nicht
einmal in Qnatremère's Bibliothek) trotz mancher Bemühungen nicht habhaft werden
konmte.
13) Vincent. Bellov. Spee.. doctr. III, 2, f. 39. r. B. (ed. Venet. 1591. f. Vol.
I): Alpharabius in libro de divisione scientiarum: Logica intendit dare regulas, qui
bus orationis veritatem deprehendimus vel intus vel apud alios vel alii apud nos ;
non tamen ad verificandum omnem orationem logicae regulis indigemus; eorum enim,
quibus ratiocinando utimur, quaedam sunt, quae probatione non egent, in quibus
scilicet nullus error esse potest, ut ,,omne totum est maius sua parte*' (vgl. untem
Anm. 60.); alia vero, quae probatione indigent, quia p0test in eis h0m0 decipi.
Et ea quidem, de quibus fit probatio, duo sunt, scilicet sermo in voce, ratio in
mente; interpretatio vero fit utraque. Unde id, quod verificat sententiam apud se,
est logos fiaca in mente, id autem, quod verificat èam apud alium, est logos eaeterior
cum voce; logos autem, qua verificatur sententia, vocabant antiqui syllogismum,
sive fiaca sit in anima sive eaeterior cum voce. Interpretatio itaque logicae sumpta
est a summa intentionis nominis, quae tripleæ est; logos enim, i. e. ratio, alia est
eaeterior cum voce , ..... alia fiaca in animis , ..... tertia vero est virtus creata in
homine, quae discernit inter bonum et malum et scientias ac partes earum apprehen
dit ...... Quoniam igitur haec scientia dat regulas de logo eaeteriore et interiore,
quibus certificatur, utramque vero tertia logos regit et comprehendit id quod rectius
est, idcirco logica a logos secundum tres huius nominis intentiones derivatur. Quamvis
autem plures scientiae dent regulas de logo eaeteriore, sicut grammatica, haec tamen,
quae dirigit ad illud, quod omnino necessarium est, dignior est hoc nomine. Prae
terea ..... grammatica non dat regulas nisi de dictionibus unius gentis tantum, .....
logica vero non dat regulas nisi secundum qu0d convenerint in dictiones omnium gen
tium. Uebrigens ist dieses die einzige Stelle, in welcher Wincentius v. Beauvais
auf dem Gebiete der Logik ein Excerpt aus Alfarabi mittheilt, währemd er in an
deren Theilen seiner Encyplopädie jenen Autor vielfältig benützt.
14) Albertus Magnus, De praedicab. I, 2, p. 3 A. (0pp. ed. Lugdun. 1651,
fol. Vol. I.) : Hanc autem contentionem (d. h., ob die Logik Theil der Philosophie
sei oder nicht) Avicenna et Alfarabius dicunt esse frivolam et infructuosam. Frivo
lam quidem, quia in conlradicendo sibi inlenlionem ad idem eodem m0d0 dictum non
referunt; dicentes enim, logicam philosophiae partem non esse, realem et contem
plativam philosophiam vocant; contradicentes autem his et dicentes, logicam partem
philosophiae esse, omnem comprehensionem veritatis qualitercunque eæistentis, sive in
se sive in nobis cognoscentibus vel operantibus, vocant philosophiam. Et sic frivole
XVI. Alfarabi. 303
hlickt er — und hierin folgen ihm alle Araber — die wesentliche
Aufgabe der Logik darin, dass mam durch Anwendung derselben ,,von
Bekanntem aus zur Erkenntniss des Umbekannten* gelange, und dass
eben hiezu die Beweisführung (argumentatio) das Werkzeug sei 1°).
lndem aber das gesuchte Unbekannte entweder ein Einfaches (incom
pleawm, d. h. ein Begrill) oder ein Zusammengesetztes (compleaeum,
d. h. eim Urtheil) sein könne, zerfalle die Logik eigentlich in zwei
Theile, nemlich in die Lehre der Begriffsbestimmung und die Lehre
iler Bewahrheitung, wovom jedoch der erstere Theil bei den Griechen
fehle '°). D. h. Alfarabi nahm in Folge jenes bei den Commentatoren
eingebürgerten Motives, dass vom Einfachen zum Zusammengesetzten
aufzusteigen sei (Abschn. XI, Amm. 122), Alles dasjenige, was im 0r
ganon betreffs der incompleaea enthalten ist, nur als umerlässliche Wor
bereitung zur Lehre von der Argumentation, welche sich auf die com
pleaea bezieht, und innerhalb der traditionellen antiken Logik hat ihm
das Urtheil nur als Bestandtheil des Syllogismus und der Begriff nur
als Bestandtheil des Urtheiles eine Bedeutung ; nemlich die Erwägung,
dass die Begriffe in dem Verhältnisse einer Unterordnung zum Urtheile
zusammengefügt werden, führt ihn zunächst zu den Universalien (d. h.
zur Isagoge) und zu den Kategoriem und zur Lehre von der Einthei
lung, um hierauf die Modalitäten der bejahenden und der verneinenden
Aussage zu untersuchen; und da mur in solcher Form (d. h. im Indi
cativ) der Satz die Möglichkeit des Walirseins oder Falschseins enthält,
so wird er nun Gegenstand der Syllogistik, welehe eben darum auf
die zweifache Urtheilsform, memlich auf die kategorische und die hypo
thetische, hingewiesen ist und in entsprechender Weise auch zweierlei
Syllogismen zu entwickeln hat ; indem aber zur Beweisführung zunächst
die Auffimdung der erforderlichen Gesichtspunkte gehöre, ergebe sich
die Nothwendigkeit der Topik (vgl. Abschn. XI, Anm. 128), und inso
ferme hierauf zur Beurtheilung das Gefundene nach Form und Inhalt in
seine feste Grundlage aufgelöst werden müsse, reihe sich die erste
Analytik und soilann die zweite Analytik an ; endlich aber, um bei AII
diesem vor Täuschung gesichert zu sein, folge die Kenntniss der Sophi
contendunt non ad idem suam referentes intentionem. Infructuosa etiam huius con
tentio, . quia de proposita nihil declarat intentione.
15) Albert. M. ebend. I, 4, p. 5 B.: Argumentati0 igitur logici instrumentum
est, logica autem generalis et docens de hoc est ut de subiect0 , per qu0d utens l0
gicus in scienlium venil ignoti per nolum; argumentatio igitur logicae docenlis pro
prium subiectum est. Et haec est trium philosophorum sententia, Avicennae scilicet,
Alfarabii et Algazelis.
16) Albert. M. ebend. I, 5, p. 6 A.: Divisio autem logicae et quae sunt partes
ipsius, ut dicunt Avicenna et Alfarabius, accipienda sunt eæ intentione ipsius ......
Logica intendit docere principia, per quae per id, quod nolum est, deveniri potest
in cognilionem ignoti; est autem aut incomplerum, de quo quaeritur, quid sit, aut
compleacum, de quo quaeritur, an verum vel falsum sit ....... Istae ergo sunt duae
partes logicae; una quidem , ut doceanlur principia, per quae sciatur diffinilio rei
et quiddilas;...... altera vero, ut doceantur principia, qualiter per argumentationem
probetur orationis 'veritas vel falsitas (vgl. Anm. 60.)....... Sed prima harum par
tium vel ab antiquis non tradita est, vel ad nos non pervenit; hanc etiam partem
dicunt Avicenna et Alfarabius ad Arabes n0n pervenisse.
304 XVI. Alfarabi.
*
stik 47). Doch knüpft sich hieram auel, noch die Berücksichtigung eines
dem Beweisverfahren nachfolgendem Momentes; nemlich in ähnlicher
Weise, wie wir solches bei den griechischem Commentatorem trafem
(Abschn. XI, Anm. 122 f.), wird auch hier darauf hingewiesen, dass
die ganze Theorie der Argumentation sich je nach dem Stoffe modi
ficire, indem sie in anderer Weise bei den erdichtetem Begriffen der
Poesie und wieder in anderer Weise in der Rhetorik auftrete, was
seinerseits mit dem Gegensatze zwischen Wahrscheinlichkeit und Noth
wendigkeit zusammenhänge '°). Ja, was diese Bezugnahme auf Rhetorik
und Poetik betrifft, so müssen wir bedenken, dass nur aus eben jenen
Auffassungen der Commentatorem der Umstand sich ergab, dass die
Araber (hesonders Averroes) ihre Erklärung der aristotelischen Rhetorik
und Poetik enge an das 0rganon anknüpften (vgl. Anm. 51). Eine uns
17) Ebend. c. 7, p. 9. B ff.: Sicut autem logicus docens quaerere scientiam
incompleaci docet instrumentum, quo accipiatur notitia illius secundum diffinitionem
et ea, quae ad diffinitionem faciunt, et quae diffinitionem circumstant, et quae diffi
nitionem perficiunt, et quae diffinitionem mutant, — sic docens accipere scientiam
compleaci docet syllogismum, qui est illius proprium instrumentum, et docet alias
species argumentationum et principia syllogismi et ea, quae circumstant ipsum, et
partes et materiam, in qua poni potest forma syllogismi, et aliarum argumentationum
formas, et quae syllogismum immutant. Et ideo ea, de quibus habet tractare logicus,
secundum ista dividuntur et multiplicantur. Eius compleaci, cuius potest accipi scien
tia, non est differentia, quia sola indicativa oratio est, cuius est esse verum vel
falsum; et ideo tantum illius scientia potest accipi..... Sed haec est dupleæ, cate
gorica scilicet et hypothetica, sive, ut Arabes dicunt, enuntiatio et coniunctio, propter
quod duas species docet constituere syllogismorum, ..... quamvis hypotheticus ad
categoricum habeat reduci. Constructio autem syllogismi dupliciter fit, .... ad in
veniendum scilicet et iudicandum. Inventio autem esse non potest nisi per habitu
dinem noti ad ignotum, quae habitudo topica est et in Topicorum scientia docetur.
Judicandi autem scientia per resolutionem inventi est, quod resolvitur aut in forma
lia syllogismi principia aut materialia, quae sunt principia certificantia rem per hoc,
quod sunt causae eius , quod sequilur .... Et duae sunt partes , Priorum scilicet
Analyticorum et Posteriorum Analyticorum ..... Ne autem fiat deceptio circa ea, quae
dicta sunt, inventa est scientia de sophisticis elenchis; adhuc autem ne fiat impe
dimentum eae parte eius, qui quaerit accipere, inventae sunt cautelae tentatoris ..... .
Quia vero syllogismus non scitur, nisi sciatur, eæ quibus et quot et qualibus est et
qualiter coniunctus, ideo habet agere logicus de enuntiatione et partibus et qualita
tibus et compositione enuntiationis ; non autem potest sic eae uno in aliud discurrere
ratio, ..... nisi accipiatur, unum esse ordinatum ad aliud per se vel per accidens ;
ordo autem est prioris et posterioris secundum naturam vel esse, et sic accipitur
universale et particulare per se vel per accidens, et sic invenit modum praedicandi
unum de altero vel negandi. Et quoad ordinem inventa est scientia universalium
et scientia praedicamentorum, et quoad modum edicendi unum de alio inventa est
scientia divisionum ; rationis enim opus est ordinare, componere, colligere et resol
vere ea, quae collecta sunt, quo opere utitur quasi instrumento in accipiendo scien
tiam, quando procedit a noto ad ignotum ..... Hae igitur sunt partes logicae, quae
generaliter habent docere modum accipiendi scientiam de quolibet scibili incompleaco
vel compleaco; et hoc iam ante nos determinavit Alfarabius.
18) Ebend. p. 10 B. (fortgefahren): Hic tamen modus secundum materiam, in
qua ponitur, variatur secundum diversitatem materiae, in qua quaeritur scientia ;
nam in sermocinalibus aliter est in grammatica ; ..... aliter etiam est in poetica,
quae eae fictis et imaginationibus movere intendit .....; et aliter est in rhetoricis,
quae dicendi docent copiam ad persuadendum iudicem ..... . Etenim în realibus scien
tiis aliter est in probabilibus et aliter in necessariis et demonstrativis et aliter in
coniectantibus.
XVl. Alfarabi. 305
anderweitig aus arabisclier Quelle mitgetheilte kärgliche Inhalts-Ueber
sicht der Logik nach der Auffassung des Alfarabi sieht von dem auf
das Wahrscheinliche bezüglichen Theilem (Topik, Sophistik, Rhetorik),
sowie auch von der Isagoge völlig ab, stimmt hingegen im Uebrigen
mit deum so ebem Angeführten überein '°).
Folgen wir nun dieser Gliederung des 0rganons, so müssen wir
zunächst es als unzweifelhaft bezeichnen, dass Alfarabi sich auch mit
dem Inhalte der l s a g o g e beschäftigte, denm bei der bestehenden Mei
nungsverselìiedenlieit, ob diesellye ein „Theil“ der Logik sei, entschied
er sich für Bejahung dieser Frage 3°). Insoferne mit dem quinque voces
der Begriff der voae significativa (φων) σημαντική, s. Abschn. XI,
Anm. 64) in Frage kam, unterschied Alfarabi auf Grundlage der grie
chischen Commentatorem eine fünffache Function der Bezeichnung der
Worte *'). Was aber die bekannte Kernfrage über die Universalien
betrifft, so finden wir bereits hier jene Werbindung des Platonismus
mit dem Aristotelismus, welche bei den Lateinern, durch arabischen
Einfluss eine bedeulsame Quelle neuer Controversen wurde; nemlich
schon Alfarabi erkennt an, dass das Singuläre nicht bloss in der sinn
lichen Wahrnehmung sich finde, songern auch im Denken (intellectus)
erfasst werde, und ebenso ist ihm T das Universelle einerseits für die
sinnliche Sphäre ein den Einzeldingen Beigemischtes und andrerseits
ein Erzeugniss der Denkkraft, welche es aus der Erfassung des gleich
artigen Wielen als dem einheitlichen Grund heraushebt **). Und wenn
19) Bei Schmülders, Docum. phil. arab. p. 24 f.: Ratiocinatio eæ duabus rel)us
eonstat, quarum ulteru est de praemissis, quibus raliocinatio efficitur, altera vero de
figuka, ad quam ratiocinutio componitur; harum rerum doctrinam praecipit liber
24 valva uxóv. Praemissue constant eæ terminis et figuris (das Wort figuris scheint
Schmölders in umgenauer Weise zur Uebersetzung gewählt zu haben, denn wir
erwartem eher formis), quae ultimae sunt orationis partes. Rerum, quas oratio ea
ponit, simplicium decem sunt genera, .... quae et Aristotelis libro De praedicamentis
petenda sunt; praemissarum figurae ea ponuntur in libro IIegi ἐgunvstcrc: prae
missae discendae sunt eæ eius libro De demonstratione (d. h. aus der zweiten Ana
lytik). Hi libri, priusquam logicae opera navatur, legantur oportet.
20) Averr. ad Porph. f. 10. v. A: Non video, hoc introductorium esse neces
sarium pro initio sumendo in hac arte ; nam ..... non est pars huius artis ; Abu
nazar vero videtur velle, quod sit pars eius.
21) Albert. M. De praedicab. I, 5, p. 6 B: Logica .... considerat de voce
significante ad placitum, et quid et qualiter significet , quod antiquiores Peripatetici,
ut dicunt Alfarabius et Algazel in quinque modis distinacerunl. Primo quidem et
principaliter dictio significat id, ad quod prima institutione significare est instituta,
ut homo hominem ..... Secundo modo ...., quod ev consequenti supponitur in ipsa,
sicut domus significut fundamentum et parietem ..... Tertio modo, quando res comi
talur significationem ipsius , sicut si paries est, fundamentum esse significat .....
Quarto modo unum est in intellectu alterius , sicut homo' significat animal ......
Quinto sicut 0pp0sitio significat 0pp0sitionem, ..... sicut disgregatio albi significat
aggregationem nigri.
22) Ebend. Anal. post. I, 1, 3, p. 518 B: Dicit enim Alfarabius: singulare
quoddam in sensu est, quoddam in intellectu ; singulare quidem in sensu est mate
riale accidente proprio et incommutabili determinatum; singulare autem in intellectu
dicit hanc formam ab hoc singulari abstractam , quae est in anima uccidens, quod
vocatur habitus vel dispositio ...... Universale autem in sensu dicit Alfarabius eo,
quod in singulari est miactum et confusum, quo hic homo est homo, ...... universale
P R A N t L, Gesch. II. 20
306 XVI. Alfarabi.
'•
die Frage, ob das Universale in seinem Ansichsein das memliche sei,
wie in seiner Wervielfältigung in der Erscheinung, dahin beantwortet
wurde, dass es weder völlig das nemliehe noch auch völlig verschieden
sei, sondern der Unterschied nur in der Form der Bestimmtheit (deter
minatio) liege *°), so konnte nun ehenso im Sinne eines aristotelischen
Intellectualismus gesagt werden, dass das Universale zugleich in multis .
und de multis sei **); und hiernach ist es nicht auffallend, wenn uns
beriehtet wird, dass bereits Alfarabi jene dreifache Unterscheidung in
„ante rem“, „in re“, „post rem“ ausgesproehem habe, welehe wir untem
(Anm. 177 ff.) aus Avicenna anführen werden *°). In der Erörterung
über die einzelnen fünf Worte hat Alfarahi offenbar dem Grund zu jenen
zahlreichen Zweifeln und Controversen gelegt, welche wir bei anderen
Arabern (besonders bei Avicenna) antreffen, so z. B. was die Defi
nition der Gallung *°), oder was einen Verwandtschafispunkt der
Galtung und des Unterschiedes betrifft 27), oder in der Frage über
eine doppelte , Bedeutung der Species, je nachdem mam in derselben
die Unterordnung unter die Gattung oder das Moment der Specialisirumg
hervorhehe **), oder insbesondere in den Untersuchungen über das
Accidens nicht bloss bezüglich der Feststellung der Wortbedeutung 29),
autem in intellectu dicit id, quod in universalitate eae singulis apprehensis agit
intellectus ea, hoc, quod unam rationem videt in omnibus singulariter apprehensis,
quae sunt unius generis et speciei. Et hanc opinionem videntur approbare Avicenna
et Algazel et quidam alii. -*
23) Ebend. De praedicab. II, 5, p. 20 B: Si autem quaeratur, utrum idem
esse sit, quod universale habet per se acceptum et quod habet determinatum et par
ticulatum , dicendum, quod nec idem omnino nec diversum omnino ; sed idem vel
unum dupliciter; in substantia enim idem est, dupleæ autem ut idem et unum in
determinatum et determinatum. Et haec est solutio trium philosophorum, Avicennae
el Alfarabii et eiusdem Joannis Grammatici apud Arabes nominati.
24) Ebend. II, 5, p. 19 B: Idem probatur per diffinitionem universalis tam eae
Aristotelis verbis quum ea, verbis Avicennae et Alfarabii. Est enim universale unum
de multis et in multis; si autem est in multis, non habet esse separatum ab illis;
et ideo dicunt, quod universale est, quod est aptum esse in multis et in hoc differt
a singulari.
25) Ebend. IX, 3, p. 93 A: Attendendum autem est, quod omnia quinque tri
pliciter considerari possunt ..... (p. 93 B) ut dicunt Avicenna et Alfarabius.
26) Averr. ad Porph. f. 2. r. B: Vera diffinitio generis est, quod eæ duobus
universalibus ipsum sit illud, quod universalius est, per quod debet fieri responsio
ad interrogationem factam de aliqua re, quid sit, ' ut diffinivit ipsum Alfarabius,
vel quod sit id, sub qu0 ordinala est species, ut diffinivit ipsemet paulo ante.
27) Divers. Arabum Quaesita, f. 380. r. B: Speculemur sermonem Alfarabii
dicenlis, quod genus et differentia conveniant in eo, quod ulrumque eorum notificat
essentium et substantiam speciei, nisi quod genus notificet substanliam speciei, in
;? genium alia, differentia vero notificat substanliam speciei, qua determinalur
quò αt?? S. -
28) Albert. M. De praedicab. IV, 2, p. 37 A: Alfarabius et Avicenna duas
hic inducunt quaesliones. Una quidem, quia cum duae sint assignationes, una spe
ciei subalternae, altera speciei specialissimae, ad quam illarum nomen speciei prius
translalum sit ......; altera autem quaestio est, cum duae sint speciei diffinitiones,
secundum quam illarum species est universale unum de quinque universalibus.
29) Ebend. VII, 1, p. 74 A: Avicenna dicit, antiquos, qui de quinque tracla
verunt universalibus, esse diminutos, qui descriptiones accidentis posuerunt, ante
quam dislinguerent, in qua significatione accidens accipitur, secundum quod est
XVI. Alfarabi. 307
send;; auch in kritisehen Zweifeln über die Angaben des Porphy
rius 30).
Was sodamm die Kat eg o ri e n betrifft, so scheinen bei Bespre
chung der Einleitungsworte über die Verhältnisse des Homonymen,
Synonymen u. dgl. die Araber überhaupt sich an Porphyrius (s. Abschn.
XI, Anm. 65) angeschlossem zu habem und hiedureh dazu gelangt zu
sein, die „analogen“ Begriffe als eigene Species zu zählen *'). In dem
wichtigsten Theile aber, nemlich in der Erörterung der Kategorie der
Substanz und ihres Verhältnisses zu den übrigen Kategoriem, waren ja
die Araber durch ihre Kenntniss der gesammtem Schriften des Aristoteles
und insbesondere der Metaphysik wesentlich unterstützt und konnten
daher Erklärungen beibringen, welehe dem tieferen Sinne des Aristote
lismus treu blieben. So hat sclion Alfarabi völlig richtig gegen die
Auffassung polemisirt, dass das ,,ens“ über die Substanz, hinaus als der
oberste Gattungsbegriff zu betrachten sei (Abschn. VI, Anm. 76 ff. u.
Abschn. XII, Anm. 89), weil bei „ens“ michi von einer Auffassumg einer
Gattung innerhalb einer Species, sondern von dem actuellen Dasein
überhaupt die Rede sei **), und ebenso konnte in aristotelischer Weise
(s. Abschn. IV, Anm. 473 ff.) das eigentliche Wesen der Substanz in
jenes begriffliche Was (quid) verlegt werden, welches darin eine ge
wisse Aehnlichkeit mit dem Stoffe besitzt, dass es in individueller Deter
mination erst das Ziel und die Werwirklichung seimer Bildsamkeit er
reicht **), womit sich dann desgleichen eine richtige Auffassung des
unum quinque universalium ...... (p. 74 B.) Restat ergo quaestio, quid sit accidens,
secundum quod est unum quinque universalium, secundum Avicennam et Alfarabium.
- - - - - (p. 75 A.) Tale ergo universale praedicabile de multis per hoc, quod nolio
tolius est sub esse accidenlali huius accidentis, ut dicit Alfurabius, est universale
quinlum, qu0d v0catur accidens ...... Dicit Avicenna, quod accidentale his accidens
vocatur, quand0 uccidens quintum universale dicitur esse.
30) Ebend. VII, 2, p. 76 B: Assignationes accidentis dalae a Porphyrio et al)
aliis Peripatelicis multipliciter dicuntur esse viliosae et reprehensibiles et dicta 'de
accidente, prout universale est, ab Avicenna et Algazele et Alfarabio et Jacob filio
Alchindi, minus veritatis habere et esse multipliciter imperfecta, in quibusdam non
vera et in quibusdam imperfecta et in quibusdam ad rem non pertinenlia.
31) Ebend. l, 5, p. 7 B: Voci significativae ..... accidunt quinque, scilicet
qu&d sit univoca et quaedam diversivoca, quaedam autem mulliv0ca, eliam quaedam
aequivoca, quaedam vero analogu sive proportiona, quae apud Arabes vocatur con
venientia.
32) Ebend. IV, 3, p. 41 A: Si quis aulem instet et dicat, quod subslantia
habet superius; ens enim est ante substantiam per intelleclum, quia omnis substanlia
est ens, sed non omne ens est substantia, ...... ad praesens sufficiat, qu0d cum ens
praedicatur de substanlia vel res vel unum vel aliquid, non praedicalur praedicatione
generis, cum non sit una ratione praedicatum de his, de quibus praedicatur, sed
per prius et poslerius; sed talia praeducanlur praedicatione principii, non generis.
Et h0c probat Avicenna et Alfarabius et Algazel et omnes Arabes sic: Sequitur enim,
si homo est, animal est, et si animal est, corpus vivum est, et si vivum esl, cor
pus est, et si corpus est, subslantia est, propler intellectum generis in specie. Sed
non sequitur, si subslanlia esl, ens est, quia, sive sit aliquod sive non, semper
genus sequilur. ad speciei p0silionem;..... cum autem dicitur ens absolule, non in
telligitur misi ens actu earistens, et ideo non sequitur, si substanlia est, ems est,
quia esse ens accidit omni ei, quod est.
33) Ebend. De praedicam. II, 1, p. 106 A: Principiu uutem substanliae pro
20 *
308 XVI. Alfarabi.
Entblösstseins (privatio, s. Absehn. IV, Anm. 401 ff.) verbinden kommte,
insoferne dasselbe zwar nicht an sich schon als artmachender Unter
schied bezeichnet werden kann, wohl aber in Folge des sprachlichen
negativen Ausdruckes diese Funetion erhält **). Folgerichtig ist es aueh,
wenn bezüglich der Kategorie der Relation, welche am weitesten von
der Naturhestimmtheit entfernt liegt (Abschn. IV, Anm. 313 u. 533),
der bloss subjective Standpunkt des vergleichendem Denkens hervorge
hoben wird °°). Hingegen entsehied Alfarabi die bei den Commenta
torem vielbesprochene Frage, unter welche Kategorie die Bewegung
falle (Abschn. XI, Anm. 150), auf Grundlage jener dortigen Contro
versen dahim, dass sie zu dem Kategoriem der Substanz, des Wo, der
Qualität und der Quantität gehöre *").
Auch in der Lehre vom U r t h e i I e, d. h. dem Buche De interpr.,
werelen wir dem Alfarabi wohl nur als eimen Commentator betrachten
dürfen. So unterwarf er z. B. die Definitionem des Nomen 37) und
des Verbum *°) einer kritisehem Exegese, oder besprael, die Bedeutung
des Prädicates als das Verhältniss einer begrifflichen Inhärenz im Sub
pria sunt id, qu0d est quid et formabile, quod est non materia quidem, sed mate
riae proportionem habens in e0, quod sustinet se formans, el in eo, quod formabile
est; et secundum principium, quod est dans esse habens proportionem ad actum for
mae, qui est determinare ad esse et finire et distinguere, sicut dicunt Aricenna et
Alfarabius. Haec autem , quae dicta sunt, valde notanda sunt , quia solvuntur per
ea multae quaestiones.
34) Ebend. De praedicab. V, 7, p. 66 A: Quamvis enim, sicut dicit Avicenna
et Alfarabius, irrationale et alia similia privative vel negative accepta non dicant
vero nomine differentias, eo quod differentia nonnisi positive polest significari, tamen,
quia propria nomina differentiarum non habemus , unam notam differentiam ponimus,
et aliam per privationem eiusdem significamus, quae est speciei subalternae, quae
ponitur sub genere. -
35) Ebend. De praedicam. IV, 1, p. 141 A: Avicenna et Alfarabius dicunt,
qu0d nulla forma, quae sit ens , est in re, quae non sit absoluta secundum esse,
quod habet in ipsa ; ..... sed comparatio , quae fit rerum ad invicem secundum
formas quae sunt in rebus, fit actu rationis; ..... comparationis ergo forma, quae
est in his , quae sunt ad aliquid, non est res , sed ratio, ut videtur.
36) Levi Gerson , Praedicam. f. 24. v. A : Sunt quoque aliqui, qui putant,
quod agere et pali dicanlur de generibus motus tantum, videlicet de motu, qui est
in substantia et in ubi et qualitate et quantitale, ...... et videtur esse sententia %l
farabii iudicio meo.
37) Divers. Arab. Quaes. f. 381. r. B : Diffinivit Aristoteles nomen in libro :
Perihermenias, quod sit dictio significans impositione abstracta a tempore ....., et
divit Abunazar Alfarabius: omnes eæpositores convenerunt, quod adiectio dicti ,,im
positione** sit superflua , eae quo dictio non significat nisi impositione, et ideo diaee
runt, quod per dictionem hic ille intelleæerit vocem ...... Abunazar vero divit, quod
detulerit illam, quia aliquando vocantur etiam multa, quae canit animal, dictiones
ob esse illorum eæpressionem proæimam expressioni dictionum hominis.
38) Albert. M., Periherm. I, 3, 2, p. 255 A: Haec autem diffinitio verbi ab
Alfarabi0 sic eaeponilur, quod consignificare tempus dicit duo; unum eæ intentione
principali et alterum eae consequenti; eae principali intentione consignificare tempus
dicit , quod non est significare tempus vel significare rem, quae necessario est in
tempore, sed per modum, quo cum tempore, h. e. per modum agere vel moveri .....
Eae consequenti dicitur hoc , quod praesupponit, scilicet quod verbum est voae signi
ficativa ad placitum, quia, ut dicit Avicenna, verbum, quod hoc modo consignificat
cum tempore, non habet eae se, sed a placito imponentis.
XVI. Alfarabi. - ' 309
*
jecte °°), wobei er sowohl auf jene nemliche Schwierigkeit stiess, mit
welcher schon die äfleren Lateiner (s. Abschn. XIV, Amm. 211) sich
bezüglich eines aristotelischen Beispieles beschäftigt hatten 4°), als aueh
auf jenen Abweg hinwies, welcher sich öffnet, sobald das im Urtheile
versteckt Enthalteme sämmtlich ausgesprochen werden wolle *'). An
dere Controverspunkte scheint er hauptsächlich bei Gelegenheit der Syl
logistik erörtert zu haben. -
Insoferne er aber sodann die T o p ik als die Lehre von der in
ventio noch vor den beiden Analytiken behandelte (s. Anm. 17), so mag
es genügen, zu bemerken, dass wir auch bezüglich dieses Zweiges der
Logik durch Citate Anderer Notizen über eine commentirende Thätigkeit
Alfarabi's besitzen 43). -
Was sodann die e r s t e A n a ly ti k . betrifft, so müssen wir zu
nächst ein äusserliches Moment erwähmen, welches zwar allerdings dem
Alfarabi weder allein nocli aueh als Araber berührt, sondern in der
laleinischen Uebertragung arabischer Litteratur überhaupt liegt; wir
findem nemlieh in jenen Uebersetzungem bei Erörterung der Syllogismen
meben der üblichem Terminologie „propositio“ häufig auch das Wort
„praemissa“ angewendet, welches sich in der ganzen vor-arabischen
Litteratur der lateinisehen I.ogik nicht findet **). Der Inhalt hingegen
der ersten Analytik bot, sowie bei den griechischen Commentatorem,
so auch hier nur in wenigerem Punklem eiiie Gelegenheit zu Meinungs
verschiedenheitem dar. Solcher Art nemlich war zunächst die Frage
über das Dictum de omni und Dictum de nullo (Abschn. IV, Anm. 538),
welches Alfarabi in einheitlich gleichmässiger Weise bei allen Urtheils
formen, d. h. sowohl bei den Urtheilen des Stattfindens als auch bei
jenen der Möglichkeit und der Nothwendigkeit, als den Kern der ge
* samintem Syllogistik betrachtet wissen wollte **). Hieran aber schlossen
39) Ehend. De praedicab. VIII, 8, p. 86 B: Dicunt Avicenna et Algazel, quod
haec semper vera est ,,Socrales est homo“ et haec ,,homo est animal'* .... et omnis
illa propositio, in qua praedicatum est de ratione subiecti et clauditur in intellectu
eius. Ebend. De praedicam. VII, 9, p. 184 A: Et hoc manifestum est per Avicen
nam et Algazelem et Alfarabium dicentes, sicut verum est, quod quando praedicatum
concipitur in ratione subiecti, talis propositio vera est sive re eæistente sive non
earistente. -
40) Ps.-Averr. Quaes. in Periherm. f. 361. r. A: Eremplum illius, quae re
rificatur composita et falsificatur divisa, est, prout dicimus ,, Homerus est poeta“,
- - - - - quia res connera non sit opposita rei , cui connectitur, nec in potentia nec in
actu, sicut est oppositio nominis hominis ipsi morluo, et secundum hunc intellectum
sermonis philosophi hoc loco convenerunt omnes eæpositores, prout retulit Avicenna,
et haec ipsa est opinio Abunazar , sicut videtur de suo sermone in libro Elen
chorum. -
41) Albert. M., Periherm. II, 1, 5, p. 276 A: Quodsi de composito componentia
divisim praedicantur, .... deducetur ad nugationem implicitam ...... Si enim sic
dicatur ,,Socrutes est homo“, per hoc quod dico ,,homo“, ponitur el bipes, et bipes
etiam addilur, ergo Socrates est homo bipes bipes ; similiter .... Socrates est homo
homo, et sic in infinitum. Et scias, quod hunc modum sic ponit Alfarabius.
42) Averr. Top. f. 266. r. A mmd f. 298. v. B, sowie Ps.-Arerr. Epitome f. 348.
v. A m. f. 358. v. A (warum „Pseudo-Averroes“, s. untem Anm. 290).
43) Das Wort ,,pruemissa** s. z. B. Anm. 48, 276, 365 u. s. f.
44) Ps.-Averr., Quaes. in Prior. Resol. f. 367. v. A: Credidit Abunazar, prout
310 XVI. Alfarabi.
*.
sich sodamm auch Bedenken über das Verhältniss an, in welchem , das
Urtheil des Stattfindens zu den beiden übrigen Artem stehe, ob die lelz
teren in ersterem bereius versteckt enthaltem seien u. dgl., wobei. auch
die einschlägigen Stellen aus der Lehre vom Urtheile (Absehn. IV,
Amm. 278 f.) in Betracht kamen 4°). Ein, fermerer Gegenstand der Con
troversen, in welchen Alfarabi erwähnt wird, lag in der Umkehrung
der Möglichkeits-Urtheile und der Nolhwendigkeits-Urtheile *"), sowie
in der Entwicklung jener Schlussformem, welche sich aus Combinationen
der drei Arten der Urtheile ergeben *"). Wichtiger jedoch als diese
letzteren bloss exegelischen Bellenken ist die Auffassung Alfarabi's be
züglich jener. Stelle, in welcher Aristoteles von den Woraussetzungs
Schlüssen spricht (Abschn. IV, Anm. 580 ff.), denn erklärlicher Weise
spielte hier die gesammte Theorie des hypothetischen Syllogismus, wie
sich dieselbe seit Theophrastus und Eudemus entwickelt halle, mit
herein. Und so beansprucht demn auch Alfarabi eine gleichmässige'
Geltung der aristotelischen Definition des Syllogismus sowohl für die
kategorisehe als auch für die hypothetische Form desselben, indem in
heidén Formen die Stellung unâ Bedeutung des Untersatzes wechsel
seilig eine völlig proportionale sei; jedoeh hält er dabei die Bestiinmung
als wesentliehe fest, dass die hypothetische Form mur dann wirklich
als Syllogismus zu bezeiehnen sei, wenn der Untersatz (und hiemit
auch die syllogistisehe Werknüpfung) nicht schon an sich selbst bekannt
sei, sondern ersi als nenes Verbindungsglied hinzukomme *°). Wenn
videtur eae eius sermone, quod conditio ipsius ,,dici de omni** communis huic libro
sit, quod A dicatur affirmative vel negative de inesse vel necessario aut, possibili de
omni eo, quod sit B in actu aut p0ssibiliter aut necessario. , Ebend. f. 363. v. A.
Averr. Prior. Resolut. f. 65. v. B: El hoc est, in quo direvit Abunazar menlem
suam contra Aristotelem; ..... non est conditio dicti de omni in omnibus tribus pro
positionibus, h. e. absoluta et necessaria et possibili, una, veluli eæistimavit Abuna
gar. Gleichfalls über das dictum de omni ebend. f. 72. v. B. u. f. 106. r. A.
45) Ps. Averr. a. a. 0. f. 364. r. A: Quae vero propositio sit propositio de
inesse, eæpositores quidem contendunt in hoc. Quidam enim ipsorum dicunt, quod
ille voluerit per ,,de inesse**, quod praedicatum insit subiecto absolute, et quod haec
contineat necessarium et possibile et ens in actu, et hoc finacit Alfarabius, quod esset
opinio Themistii et Ammonii . .... De Alexandro vero finaeit Alfarabius, quod inten
derit per enuntiationem de inesse illam, quae inest in. actu, quae est naturae con
tingentis, qua est universalis tempore sensato, prout dicimus ,,omnis homo nunc est
albus'*, hoc enim non est impossibile ...... Aleaeander vero, prout concepit de eo
Alfarabius, dicit, quod intendat per absolutum ipsum (d. h durch das Uriheil, in
welchem die Modalität nicht ausgedrückt ist) absolutum secundum dictionem et non
secundum signum, sicut dicit ibi Alfarabius: absentia m0di est indicium modi. Vgl.
ebend. f. 362. r. B u. f. 366. r. B. Was hierüber bei Averr. Prior. Resol. f. 68.
v. A u. f. 74. v. B sich findet, gehört zu jenem verzweifelten Stellen, in wel
chen die Uebersetzung schlechthin sinnlos ist. -
46) Ps.-Averr. Quaes. in Prior. Resol. f. 363. r. A (s. Abschn. IV, Anm.
543 ff.).
47) Ebend. f. 365 r. B. u. f. 370. v. B.
48) Ps.-Averr. Quaes. in Prior. Resol., f. 368. r. A : Circa hoc autem est
non parvum dubium, nam iam putatur, quod diffinitio syllogismi simpliciter con
cludat ambos syllogismos simul , h. e. categoricum et conditionalem, quia· sicut in
syllogismo categorico ponuntur duae praemissae et ea, eis infertur alia res necessario,
sic etiam in syllogismo conditionali ponuntur duae praemissae, quarum una est con
XVI. Alfarabi. 311
aber sodann. auch noch berichtet wird, dass Alfarabi manigfache Be
denken über die arislotelische Begründung der Induction (Abschn. IV,
Anm. 642 ff.) geäussert habe *°), so dürfte auch hieraus hervorgehen,
dass derselbe in solch principiellen Fragen, zu welehem auch jene über
die Berechtigung der hypothetisehen Syllogismen gehört, sich durch
dem Standpunkt der Commentatorem (s. Abschn. XI, Anm. 166 und be
züglich der Induction ebend. Anm. 160) zuweilen zu unaristotelischen
Annahmen verleiten liess (vgl. oben Anm. 11). .
Seine einflussreichste Sehrift aber war entschiedem die Bearbeitung
der z weile n A n a I y ti k, auf welche unter dem Titel „De demon
stratione“ häufig verwiesen wird, wenn aueh Einige dieselhe für un
vollendet hielten °"). Den Ankniipfungspunkt der zweiten Analytik an
die erste fand Alfarahi darim, dass nach der Darlegung der Formen des
Schliessens nun auf den Stoff übergegangen werden müsse; indem aber
dieser in dem Urtheilen liege, sei zu erwägen, dass die Urtheile in
fünf Unterschieden — was in ächt arabischer Weise durch Verglei
chung mit dem Golde klar gemacht wird — sich von dem schleclithin
Wahren zum schlechthim Falschen abstufem, und dass alle diejenigen
Urtheile, deren Wahrheit nicht bereits feststeht, sondern erst auf dem
Wege der Disputation gefunden werdem soll, abermals eine Manigfaltig
keit vom dreizehm Alostufungen zeigen, von welchen jedenfalls die fünf
höheren Grade in dem demonstrativen Wissen ihre Verwendung und
Formirumg finden; kurz die Wissenschaft der Beweisführung (s. oben
Anm. 15) müsse ehen auf die verschiedenem Arten der Urtheile, welche
in dem verschiedenen Zweigen des Wissens ausgesprochen werden, als
ditionalis et repetita est categorica. Ac etiam in scientiis iam reperiuntur multa
quaesita, quae ostenduntur per syllogismum conditionalem simpliciter. Et proinde
ait Abunazar, quod proportio partium illorum, qui conteacuntur eæ demonstrationibus
conditionalibus, sit proportio partium illorum, ex quibus contezuntur categorici, et
divit in libro Priorum Analyticorum, quod syllogismi, qui componuntur per locum
inferentiae conneacionis, .... sint conditionales, et ostendit, quod haec loca sint
demonstrativa, .... et sic de reliquis locis, eæ quibus conteaeuntur syllogismi con
ditionales. Totum itaque hoc est, quod dubitatur circa hunc sermonem. Quod vide
tur autem eae intentione Abumazar et Avicennae, est, quod ipsi concedant, quod dif
finitio syllogismi simpliciter contineat ambos syllogismos ......... (f. 369. v. A.)
Quidam syllogismi sunt orationes procedentes processu conditionis et illi sunt in rei
veritale syllogismi conditionules, quorum repetitum et coniunctio est ignota; sequitur
άutem ..... Abunazar, quod non sit syllogismus conditionalis ille, cuius repetitum
sit per se notum et coniunctio per syllogismum. Vgl, Averr. Prior. Resol. f. 83.
v. A.
49) Averr. Prior. Resol. f. 123. v. A: Secundum hoe solvuntur omnes dubita
tiones , quas est assecutus Abumazar.
50) Averr. Poster. Resolut. f. 212 v. A: Quod autem Abunazar non attigerit
locum istum (d. h. Arist. Anal. post. II, 8.), manifestum utique per verba sua in
libro ipsius De demonstrationibus et eae verbis suis in libro Elementorum. (Jedoch
statt Elemenlorum, welches allerdings in dem hierauf folgenden Zeilem abermals
sich findel, scheint nach einem anderem Citate — s. dasselbe oben Amm. 40 —
wohl Elenchorum gelesen werden zu müssen.) Ps.-Averr. Quaes. in Post. Resol., f.
376 v. B: Totum aulem hoc significat, quod liber Abunazar De demonstratione non
dum fuerit completus, nam polius putandum est hoc de Abunazar, quam qu0d sit
putandum, quod latuerint eum hae res. Vgl. ebend. f. 374. v. B. Hiezu den
Schluss der Stelle ans Albertus Magnus in der folg. Anm.
312 XVI. Alfarabi.
auf ihren Stoff eingehem, und darum folge auf die Syllogistik das demon
strative Verfahren ° 1). Insoferne aber hiebei nicht bloss die Urtheile
als Stoff der Schlussform hetrachtet werden, sondern auch hinwiederum
der Inhalt der Urtheile selbst in Frage kömmt, scheint Alfarabi hier
über das eigentliche Wesen der aristotelischen Apodeiktik aus dem
Gesicht verloren zu haben ; denn er fasste die Urtheile nun nicht mehr
bioss nach jener Seite auf, vermöge deren sie in ilirem verschiedemen
Formen auf verschiedene Weise zur Ergründung der Wahrheit benützt
werden, sonderm er zog auch den sachlichen Inhalt derselben bei, in
welchem sie zu den Einzel-Wissenschaften verarbeitet werden, so dass
Manche sogar glaubten, Aristoteles habe den Einen der beiden Gesichts
punkte übersehen; und insoferne die zweite Analytik nicht bloss das
Werfahren des wissenschaftlichen Beweises, sondern hauptsäehlich auch
das Wesen der Definition bespricht, verfuhr Alfarabi allerdings folge
richtig in gleicher Weise auch bezüglich der Definition, indem er neben
einer allgemein formellen Seite derselben eine specielle und auf die ein
zelnem Zweige des Wissens abzielende Function des Definirens hervor
hob ; sonach also zerfiel ihm das bei Aristoteles zweigegliederte Ganze
in vier Gruppen **). Sowie aber Alfarabi in solchem Sinne sogleich
51) Albert. M. Anal. post. I, 1, 2, p. 515 A : Quod autem iste liber immedi
ale sequatur librum priorum secundum, ..... sic probant Avicenna et Algazel et ante
hos Alfarabius. Scientia enim syllogismorum formativa in figura et ordine prima
est inter scientias, quae sunt de syllogismo. Propositiones enim, ea, quibus fit syllo
gismus, ut dicunt, ad syllogismum se habent in quinque ordinibus, ut quinque modis
se habet aurum ad artificiatum, quod fit eae auro; materia enim syllogismi pr0p0
sitiones sunt ...... Sunt quinque ordines in auro, quod quidem primo in ordine
obrizum eacaminalum et depuratum , u. s. f. ..... Similiter propositio habet quinque
ordines; in primo enim ordine est illa, quae est vere credibilis sine dubitatione et
deceptione ....; in secundo ordine est propositio proæima veritati, ita ut difficile
qccidat fallacia opinionis .....; in tertio autem .... opinabilis opinione plurium non
sapientum ..... ; in quarto .... verisimiles, quae cum dolo et simulatione occulta
habent similitudinem verarum ..... ; in quinto ordine est propositio quae scilur esse
falsa ..... Dicamus igitur, quod omnis propositio, quae non est veritatis stabilitae,
sed sumitur ab opponente, in quantum conceditur a respondente, dividitur in tredecim
partes, scilicet primas, quae sunt insensibiles ...., el in sensibiles ..... et eaeperi
nentales .... et in famosas ...., quae conceduntur magis amore boni quam veri .....
et in propositiones mediatas ..... et eæistimativas .... et maacimas ab omnibus con
cessas .... et syllogizatorias ..... et receptibiles sua probabilitate ..... et eus, quae
videntur esse maæimae, non vero sunt ..... et putabiles apud vulgus .... et imita
torias verorum .... et aperte falsas ...... (p. 516 B.) Et eae omnibus talium gene
Irum propositionibus constituuntur argumentationes diversarum facultatum, quae omnes
sunt sub logica in genere accepta, propter quod eliam poetica secundum Aristotelem
sub logica generali continetur (s. oben Anm. 18.); quinque autem species harum pro
positionum, scilicet primae, sensibiles, eæperimentales , famosae et mediatae, con
gruunt demonstrationi in genere acceptae ....... (p. 517 A.) Ev his omnibus patet,
ad quid se eaetendit logica in genere accepta, et quod immediate consequens scientia
ad scientiam de syllogismo simpliciter est scientia demonstrativa. Et haec, quae dicta
sunt, de scientiis Arabum sunt evcerpta, quorum commentum super hunc posteriorum
librum eae sententia Alfarabi Arabis ad nos devenit. Näheres s. untem Anm. 276 ff.
52) Averr., Poster. Resolut. f. 127. r. A: lntentio libri est, speculari de de
monstrationibus atque de definitionibus ..... Demonstrationes namque eae duobus con
sistunt, qu0rum unum , est pr0p0sitiones et hoc est, quod vicem obtinet materiae,
alterum vero est ipsarum compositio et hoc est, quod vicem eæhibet formae ......
XVI. Alfarabi. - 313
die ersten Zeilen des arislotelischen Buches exegetisch erörterte °°), so
bot sich ihm in jener Stelle, in welcher Aristoteles selbst zwischen
apodeiktischem Beweise und Syllogismus unterscheidet (Abschn. IV,
Anm. 651), die Gelegenheit dar, gleichsam eine Erweiterung und Er
gänzung der aristotelischem Lehre beizubringen ; es seien nemlich jene
Erfordernisse, welche dort Aristoteles für das Zustandekommen des
apodeiktischen Wissens aufzählt, nur auf jener Betrachtungsweise be
gründet, nach welcher der Beweis bereits als die potenzielle Entwick
lungsstufe der Definition angesehen werden müsse und hierin allerdings
seine edelste Function besitze (demonstratio nobilissima), denm nach
dieser Seite könne der wirklich apodeiktische Beweis an keine anler
weitigen Bedingungen ausser den von Aristoteles namhaft gemachten
geknüpft werden; hingegen aber enthalte ja der Beweis noch eine
zweite rein syllogistische Seite in sich, nach welcher er nicht Wor
stufe einer Definition sei, sondern lediglieh die zwingende Nothwendig
keit des Schliessens darbiete, und in dieser Beziehung nun sei zu er
wägen, wie der Mittelbegriff, welcher im Syllogismus die wahre Cau
salität repräsentirt (Abschm. IV, Anm. 656—665), in eimer melrfach
gegliederten formalem Stellung zum Oberbegriffe und Unterbegriffe stehe,
indem hiebei in Anschlag kommen müsse, ob in den Pränissen die
Aussage das Verhältniss der Definition oder des Gattungsbegriffes oder
des artmachenden Unterschiedes oder des eigenthiimlieheu Merkmales
oder des zufälligen Merkmales enthalte **). Durch die nähere Aus
Ideo incipit hoc in loco sermonem facere de .... materia ...... Considerat autem in
istis propositionibus numerum ac dispositionem specierum ipsarum, ut eas assequa
mur, quatenus possunt deducere hominem ad veritatem, non considerat autem ipsas,
quatenus sunt una pars entium ...... Differentiae vero ultimae, in quas dividuntur
species demonstrationum eæ parte materiae, sunt differentiae , quae inveniuntur in
demonstratioiiibus, secundum quod ..... sunt utiles ad acquirendam illorum veri
ficationem, non autem differentiae, quae ipsis insunt, secundum quod sunt unum eae
entibus, quemadmodum fecit Abunazar in libro suo. Et propterea quaesiverunt ho
mines nostri temporis circa speculationem de demonstrationibus et eæistimaverunt,
quod illud, quod adduaeit Abunazar hoc in loco, sit res, quam dimisit Aristoteles
hoc in loco ....... In definitionibus non est aliquid procedens modo formae, puta
aliquid commune, neque aliquid procedens modo materiae, ita ut dividatur speculatio
ipsius duas in partes ..... Qui vero eæistimavit, quod in definitionibus invenitur
pars universalis et communis, cuius speculatio praecedat definitiones appropriatas
unicuique arti, is profecto erravit in hoc errore manifesto, quemadmodum existimatur
fecisse Abumazar ...... Non separavit Aristoteles hoc in lil)ro partem appropriatam,
in qua compiletur qualitas faciendi artes, in demonstratione et definitione, quemad
modum fecit Abunazar ...... Et propterea non dividitur speculatio in libro suo qua
tuor in partes, quemadmodum fecit Abunazar.
53) Ebend. f. 128. r. B (s. Abschn. IV, Anm. 88 ).
54) Ps.-Averr. Epitome, f 351. v. A ff.: Sunt ergo conditiones huius speciei de
monstrationis absolute novem conditiones, quarum una est, quod sit vera, secunda
et tertia, quod sit universalis et necessaria, quarta, quod praedicatio sit per se,
quinta, quod eius praemissae sint causa inventionis conclusionis, .... seaeta, quod
praedicatio in eis sit secundum cursum naturalem, septima, quod cum hoc, quod
sunt priores secundum esse ipsa conclusione, sint etiam priores secundum cognitionem,
..... octava, quod praedicatum in eis sit praedicatum prima praedicatione, nona
autem est, quod sint propriae ...... . Hae itaque sunt omnes conditiones, quas Ari
stoteles apposuit, .... et adiecit has conditiones in eis, quia sunt definitiones pro
314 XVI. , Alfarabi.
führung aber dieses Gesichtspunktes gelangte Alfarabi dazu, den demon
strativen Beweis nach der syllogistischen Seite desselben in acht Gat
tungen zu gliedern, welche zusammen dreiunddreissig verschiedene For
men des Schliessens darbietem °°). Wenn aber sodanm der aristotelische
^priae in potentia et universaliter, eae quo sunt nobilissimae et perfectissimae. Quando
vero caperentur acceptione , qua sunt demonstrationes tantum, non apponeretur eis
conditio nisi quod sint res necessaria , quatenus sunt demonstrationes , non res, qua
sunt demonstrationes mobilissimae ; et si intenditur numerare suas species, prout
fecit Abumazar Alfarabius, non adiicietur eis condifio praeter praemissas novem con
ditiones. Re autem ila se habente et ezistente condilione necessaria ....., ea, quo
sunt demonstrationes causarum et inventionis simpliciter, non eæ quo sunt definitiones
in potentia, et termini medii in eis sunt causae, ..... fiunt propria harum specierum,
quod terminus medius in eis sit causa duarum ettremitatum simul .... aut unius
ipsarum tantum ..... Dum observaveris reliquas conditiones et praecipue conditionem,
qua est praedicatum secundum naturalem modum, sunt ergo termini medii definitio
ambarum eaetremitatum aut alterius ipsarum, aut pars earum definitionis aut alterius
ipsarum. Quando autem intuebimur species combinationum demonstrativarum, in qui
bus est proportio mediorum terminorum duabus eaetremitatibus, ..... fiunt combinatio
nes demonstrativae simpliciter octo species relatae in libro Abunazar ....... Nos autem
numerabimus eae istis combinationibus illas, quae possibiles sunt combinari eae his
quinque praedicatis, videlicet ea, genere et differentia et proprio et accidenle et defi
nitione et eae suis convertentibus, in quibus est proportio medii termini ad duas eae
tremitates ...... Et ordinabimus eas secundum ordinem Abunazar Alfarabii .....
(nun folgen ausführlichst jene acht Arten in ihren möglichen Combinationsweisen,
s. dieselben in der folg. Anm.)..... f. 352. v. B: Hae itaque sunt proportiones
demonstrationum simpliciter ad se invicem, et hae sunt suae partes, sicut patet eae
sermone Abunazar. Vgl. Averr. Poster. Resolut. f. 131. v. A.
55) Es mag genügen, dieselben aus dem Berichte eines Gegners Alfarabi's in
aller Kürze vorzuführen, nemlich: Ps.-Averr., Quaes. in Post. Resol., f. 372. v.
A ff.: Oportet, quod numerentur (sc. species demonstrationum) non eae ea parte,
unde finaeit eas numerare ipse Abunazar et deduvit post se homines in confusiones
et labores inutiles et ambiguitates infinitas ; ..... totius autem huius causa fuit re
motio huius viri a speculatione Aristotelis circa has res et deviatio eius ab itinere
ipsius; et idcirco risum est nobis erpediens perscrutari de illis speciebus demon
strationum, quarum meminerat Abumazar in suo libro, quae sint demonstrationes sim
pliciter secundum opinionem Aristotelis et quae illarum non sit demonstratio. Di
cimus itaque, quod prima species primi generis ...... est, quod A sit definitio ipsius
B, et B sit definitio ipsius 0; ........ secunda vero species, quod A sit genus
ipsius B, et B sit genus ipsius C; ..... tertia est, A est differentia ipsius B, et B
differentia ipsius C;..... quarta vero species contraria est primae et est, quod ipsius
A ipsum B sit definitio, et ipsius B sit G definitio;..... quinta, quod in definitione
ipsius A sit genus ipsum B, et in definitione ipsius B sit genus ipsum C;......
serta, quod A sit in definitione B , et B in definitione 0 ...... Secundum vero ge
mus, quod comperimus in suis libris , procedit processu prologi seu petitionis prin
cipii, nam supponit ipsammet conclusionem, prout dicitur, A et B sunt duae defini
tiones ipsius C ...... Tertii vero generis prima species est: A est definitio ipsius
B, et B genus ipsius C;..... secunda, A est definitio ipsius B, et B est differentia
ipsius C;...... tertia, A est definitio ipsius B, et ipsius B definitio est ipsum C;
..... quarta, A est, definitio ipsius B, et pars eius definitionis est genus ipsius
0..... .... Quartum autem genus est, cuius prima species est , quando A est genus
ipsius B, et B est definitio ipsius C;..... secunda, A est genus ipsius B, et B est
differentia ipsius C;..... tertia, A est genus ipsius B, et B est definitio ipsius
C;...... quarta, A. est genus ipsius B, et pars definitionis ipsius B est C;.....
quinta, A est genus ipsius B, et pars definitionis ipsius B est genus ipsius 0.......
Quinti autem generis prima species est, A est differentia ipsius B, et B est genus
ipsius C; .... secunda, A est differentia ipsius B, et definitio ipsius B est ipsum
ê; ...... tertia, A est differentia ipsius B , et pars definitionis ipsius B est ipsum
XVI. Alfarabi. 315
Begriff des xαδ' αὐτό mach einer dreifachen Abstufung des inneren
Nexus zwischen Subject und Prädicat betrachtet wird *"), und im An
schlusse hieran bezüglich des καδδίον der Begrift des „primum prae
dicatum“ dahin festgestellt wird, dass es die wesentliche Gattungs
Bestimmtheit ausspreche °7), so hat dieses die gleiche Tendenz wie
0biges; denn Alfarabi will auch hier die Angaben des Aristoleles nur
auf jene Betrachtungsweise beziehem, wornach die Demonstration in
ihrer höherem und vollkommnerem Function sich zur Definitiom gestaltet,
während dameben noch die Seite der syllogistischen Nothwendigkeit im
praedicatum primum zur Berücksichtigung kommen müsse *°). Auf dem
C;...... et quarta species est huic consimilis ...... Seaeti autem generis prima spe
cies .... est, ipsius A definitio est ipsum B, et B est genus ipsius 0; ...... se
cunda, definitio ipsius A est B, et B est differentia ipsius 0; ....... tertia , definitio
ipsius A est B, et in definitione ipsius B est C; ..... et similiter est quartu species
- - - - - .. Septimi autem generis prima species est, in ipsius A definitione est B, et B
est genus ipsius C;...... secunda, in ipsius A definitione est B, et B est differen
tia ipsius C; .... tertia, in definitione A est B, et definitio ipsius B est 0; ......
quarla, in definitione A est B, et B est in definitione ipsius 0; ...... quinla est,
ut in definitione B est genus ipsius 0 ........ 0ctavi generis prima species est, A
est pars definitionis generis ipsius B, et B est definitio ipsius 0; ....... secunda,
pars definitionis ipsius A est genus ipsius B, et B est genus ipsius 0;...... lerlia,
pars definitionis ipsius A est genus ipsius B, et B est differentia ipsius C; ......
quarta, in definitione ipsius A est genus ipsius B, et definitio ipsius B est 0......
Reliquae vero species, quae putantur, quae ceciderint eæ ipsis generibus , quae nu
meravit Abumazar, comprehenduntur ipsis generibus, et non est visum protrahere longius
sermonem circa ea, quorum meminit hic.
56) Albert. M., Anal. post. I, 2, 6, p. 541 A : Scias autem, quod Alfarabius
super locum istum (s. Abschn. IV, Anm. 132) in commento aliquantulum sequens
Porphyrium et Alexandrum aliter dicit; dicit enim quod tres sunt modi dicendi per
se subiectum de praedicato et praedicatum de subieclo. Et ponit primum modum,
qui potissimus est, quando in natura principii et principiantis est, ut sit in natura
principiati, et iterum cum hoc in natura subiecti est, ut praedicatum sit in eo, sicut
est, in nalura principiati per essentiam, ut principians ipsum sit in ipso, sicut in
natura animalis est, quod sit in homine, et in natura hominis est, ut animal sit
in ipso ...... Secundus autem modus est, quando in nalura et diffinitione praedicati
quidem est , ut dicatur de subiecto, et non est in natura subiecti, ut praedicatum
dicatur de eo, sicut se habent ad invicem corpus et coloratum ...... Terlius autem
modus est, ut sit quidem in natura subiecli, ut praedicalum de eo dicatur, et non
in natura praedicati et ratione, ut ipsa sit in tali subiecto, sicut mors et decollatio
se habent ad invicem ...... Et haec sunt verba Alfarabii sine additione et diminutione
et sine eaepositione, Vgl. Averr. Poster. Resol. f. 137. r. B. u. f. 138. r. B.
57) Averr., Poster. Resolut. f. 138. v. B: Dicitur autem universale (x«86λον,
s. Abschn. IV, Anm. 132.), cum praedicatum inest omni subiecto et per se ..... -
Jam vero contenderunt de praedicato primo in demonstratione. quid ipsum sit. Quod
autem invenitur in libro Abunazaris, est, quod praedicatum primo eæistens in demon
stratione est, quod non praedicatur de genere subiecti. Et sunt qui dicunt, quod
praedicatum primo est, quod non praedicatur de subiecto eae parte, qua inest rei.
Vgl. ebend. f. 141. v. B. Ps.-Averr. Quaes. in Post. Resol. f. 371. v. A : Dicimus
ilaque, qu0d id, quod reperimus circa haec apud Abunazar Alfarabium in libris De
demonslratione, sit, quod iam eaeposuerit praedicatum primum, quod sit illud, quod
non praedicatur de genere sui subiecti, et secundum hoc genus eius est praedicutum
primum, et similiter accidenlia, in quorum definitionibus est genus ipsius subiecti.
Vgl. ebend. f. 375. r. A.
58) Averr., Post. Resolut. f. 141. v. A: Errauit Abunazar, cum declaravit,
quod praedicatorum demonstrativorum alia sunt appropriata et alia sunt non appro
316 XVI. Alfarabi.
gleichen Standpunkte beruht auch, was über die Uebertragung der
demonstrativem Principien in andere Wissenschaften (Abschn. lV, Anm.
661) gesagt wird, indem Alfarabi aueh hier dem saehlichen Stoffe der
einzelmen Wissenschaftem eine neben der Beweisform herlaufende Be
rechtigung zuerkannte °°); und es stimmt hiemit überein, dass er be
züglich der gemeinsamen Axiome (Abschn. IV, Anm. 162), welche hier
in der lateinischen Uebersetzung unter dem eigenthümlichen , Namen
„dignitates“ auftreten, die Auffassung der Commentatorem (Abschn. XI,
Anm. 22 u. 161) theilt und in formaler Lostrennung gewisse umbe
streitbare Sätze, wie z. B. namentlich das principium contradictionis,
als oberste Principien der Demonstration betrachtet ""). Wieles Andere
hinwiederum kann nur als ein Erzeugniss commentirender Thätigkeit
priata et aliqua eae ipsis sunt prima et aliqua non prima; quodsi haec conditio,
quam tradidit Aristoteles, sit propter melius et non conditio necessaria, oportuisset
Abunazarem addere hanc dispositionem, h. e. quod conditionum ..... aliquae sunt
conditiones necessariae, a quibus non effugit demonstratio omnino, et aliquae sunt
conditiones, per quas est demonstratio melior ...... Quodsi est res ita, igitur per
fectio sermonis de conditionibus demonstrativis erit per aggregationem duarum viarum,
h. e. viae Aristotelis et viae Abunazaris, et scietur haec via eæ parte, quae est
bona, et eæ parte, quae est necessaria. Sed Abubecher Elzaigi (d h. Avempace)
in responsione ad hoc divit, quod intentio Aristotelis est alia ab intentione Abuna
zaris, quoniam Aristoteles, cum intentio ipsius sit, quod demonstrationes sunt defi
nitiones in potentia, ideo posuit in ipsis hanc conditionem; Abunazar vero, quoniam
speculatus est de demonstratione eæ parte , quae est demonstratio simpliciter, ideo
divisus est ab Aristotele, ..... et Aristoteles secundum opinionem Abubecheris Elzaigi
adduæit conditiones, per quas fit demonstratio melior et perfectior, et tacuit de ne
cessariis , Abunazar vero e contrario docuit conditiones necessarias et tacuit eas,
per quas efficiuntur demonstrationes meliores. Propter hoc igitur oportet , ut sint
ambae doctrinae deficientes. Haec igitur res latuit multos eæpositores et magnos.
Ebenso ebend. f. 212. v. B.
59) Ebend. f. 150. v. A: Sermo igitur Abunazaris in libro suo De demon
stratione ad finem, cum diaeit de arlibus et declaravit, quomodo communicant scien
tiae et in quo communicant, et eae hoc declaravit, quomodo et quando transferri
possunt demonstrationes de arte in artem et quomodo non possunt, sermo, inquam,
iste non est verus, quoniam intelleacit per translationem illud, de quo dicitur nomen
translalionis , scilicet quod transferatur propositio maior, et hoc, quoniam apparet
ea sermone Abunazaris, quod fateatur, esse quaesitum unum in duabus artibus, et
tamen non fateatur, quod terminus medius est unus; et hoc mirandum est de ser
mone illius. -
60) Albert. M. Anal. post. I, 3, 4, p. 559 A : 0mnes scientiae demonstrativae
communicantes sunt secundum communia principia, h. e. in hoc, quod principiis
communibus utuntur mnæime in usu principiorum communium, quae dicuntur digni
tates, quae, sicut dicit Alfarabius, demonstrationes specialium scientiarum substan
tialiter non ingrediuntur, sed tantum per illa principia confirmantur. Hiemit stimmt
auch überein, was Alfarabi in seinen ,,Fontes quaestionum“ (c. 2, bei Schmölders,
Docum. phil. ar. p. 44.) ausspricht: Ad notiones probandas omnia illa pertinent,
quae sine rebus aliis antea animo conceptis concipi nequeunt; quando e. g. intelligere
volumus, mundum esse factum, nobis primum probetur oportet, mundum esse com
positum ...... Hoc iudicium denique ad ullimum iudicium progrediatur oportet, quod
nullum, sub quod ipsum iterum cadat, iudicium antecedit; haec sunt iudicia primaria
intelleclui manifesta, v. g. ,,duarum enuntiationum contradictorie sibi oppositarum
semper altera est vera, altera falsa“ et ,,totum maius est eius parte** (vgl. oben
Anm. 13). Doctrina has cogitandi vias nos edocens atque hac via et rerum notiones
et probuliones (die gleiche Zweitheilung s. oben Anm. 16.) nobis parans logica
nuncupalur.
XVI. Alfarabi. 317.
Alfarabi's bezeichnet werden 61). Hingegen müssen wir noch um der
Lateimer willen besonders hervorhebem, dass bei jener Stelle, in welcher
Aristoteles bezüglich des definitorischen Wissens das ,,Dass“ und das
„Warum“ hespricht (Abschn. IV, Anm. 688 f.), Alfaral)i gleichfalls das
jenige distinguirend trenmt, was bei Aristoteles innerlieh tiefer verbun
dem gewesen war ; er stellt memlich auf die Eine Seite die ,,demon
stratio quia“, in welcher der Mittelbegriff in keinerlei Weise Causalität
sei, während andrerseits die „demonstratio propter quid“ lediglich dem
Causalnexus entwickle und hiebei sowohl die Ursache des Wesens des
Subjectes als auch die Ursache der Inhärenz des Prädicates im Subjecte
darlege, so dass in dieser Beziehung wieder wie obem (Anm. 54) die
verschiedene formale Stellung des Mittelbegriffes zu den beidem auderem
Begriffen in Betracht kommen müsse; eine dritte Art, in welcher die
beiden Seitem sich vereinigeh, nemlich eine „demonstratio propter quid
et quia simul“, welche bei späteren Arabern noch hinzugefügt wird,
scheint Alfarabi nicht anerkannt zu haben "*). Dass übrigens die Araber
zu dieser ganzem Distinction möglicher Weise durch Galenus veranlassi
wordem waren, s. oben Abschn. IX, Amm. 101.
Was endlich die S o p h i s t i k betriffi, welche Alfarabi in einem
61) Dahin gehört z. B. was die unmittelbaren 0bersätze (Abschn. IV, Anm.
668.) betrifft, s. Averr. Post. Resol. f. 164. v. A, oder die Angaben über das
è nô tê to ù (ebend. Anm. 131, 276, 660.), s. Albert. M. Anal. post. I, 2, 17,
p. 551. , A; über die im Mittelbegriffe liegende Causalität (eb. Anm. 676.), s.
Albert. M. a. a. 0. II, 1, 1, p. 610. A. u. Ps.-Averr. Quaes. in Post. Resol. f. 375. '
v. A; über das Verhältniss zwischem Demonstration und Definition (eb. Anm. 683 f.),
s. Averr. Post. Resol. f. 204. r. A, 206. v. A, Ps.-Averr. a. a. 0. f. 377. r. A,
380. y. B, Albert. M. a. a. 0. II, 2, 5, p. 624. A; über den Aoytxòς συλλο
yισμός (eb. Anm. 688.), s. Averr. a. a. 0. f. 212. v. A; über die Praxis des
Definirens (eb. Anm. 697.), s. Averr. f. 223. v. B u. Ps.-Averr. f. 379. v. A.
62) Divers. Arabum Quaesita, f. 381. v. B ff.: Quia periti speculatores scien
liae logicae iam perplevi sunt circa cognitionem demonstrationum ,,propter quid** et
demonstralionum ,,quia“, et non fuit eis manifestatus ordo, quo discernuntur demon
strationes ,,propter quid** et ,, quia** cum eo, quod tulit Abunazar circa hoc, pro
quo commendandus est. Causa autem suae perpleaeionis circa id fuit id, quod acci
tlit in editione Demonstrationum eæ sermonibus fallentibus corruptis, qui non sunt
de littera Abunazar ..... Et speculabimur id, quod ille retulerat in eius editione.
- - - - - - - Sicque nunc reassumemus pro conformitate sermonis ipsius Abunazar ..... et
dicamus, quod notilia inessendi praedicatum ipsi subiecto, i. e. ,,quia“, sit una
indivisa; scientia vero causae, i. e. ,,propter quid“, dividilur in scientiam causae
essenuli ipsum subiectum et in scientiam causae inessendi praedicatum ipsi subiecto
et in scientiam essendi praedicatum et subiectum simul, prout retulit Abunazar in
libro Elementorum (Elenchorum ? s. Anm. 40. u. 50.); sed ipse non meminit de
scientia causae essendi praedicatum et subiectum simul, et non est aliquis arguens
hoc ....... Medii termini demonslrationum causarum, i. e. ,,propter quid**, aut sunt
definitiones vel partes definitionum duorum eætrem0rum ipsius syllogismi aut alterius
ipsorum, aut habent communitatem cum definitionibus amborum aliquo modo ...... •
Et totum hoc, quod videtur eæ hoc, est sermo Abunazar ad litteram ...... Demon
. stratio ergo ,,quia“ est, cuius medius terminus penitus non est causa ..... Demon
slratio ver0 essendi et causae, i. e. ,,quia“ et „propter quid“ simul, est ipsamet
demonstratio ,,propter quid“, sed dicitur demonstratio ,,propter quid*' tantum una
comparatione ...... Et salis fuit ipsi Abunazar commemoratio demonstrationum „propter
quid“ et demonstrationum ,,quia“, et reliquit commemorationem demonslrationum
,,propter quid** el ,,quia** simul. Vgl. Averr. Post. Resol. f. 161. r. B.
a. -
318 XVI. Avicenna.
besonderen Commentare erörtert zu haben scheint *°), so fimden wir
hier die älteste Quelle jener Zweitheilung des aristotelischem Buches,
welche von den Lateinern recipirt wurde und maehmals auch in allem
älteren Druck-Ausgabem des 0rgarions zur Anwendung kam. Man liess
nemlich beim 16. Capitel (unserer jetzigen Numerirung) ein zweites
Buch der Sophistici Elenchi beginnem, und insoferne dortselbst aller
dings Aristoteles von dem theoretischen Angabem auf praktische Maass
regeln bezüglich sophistisclier Argumentationen übergeht, so hat Alfarabi
hieraus nicht bloss jene Zweitheilung motivirt, sondern auch die An
sicht ausgesprochen, dass das zweite Buch eigentlich als ein Mittelding
zwischen Topik und Sophistik zu betrachtem sei °*). Bei einigen Ein
zelheiten begegnen uns auch hier wieder Hinweisungen auf Alfarabi's
commentirende oder selbst ergänzende Thätigkeit *°). -
Bei Weitem am , ausführlichsten wären •wir über die Leistungen des
A vi c e n n a (Abu-Ali-al-Hosein-Ibn-Abdallah-Ibn-Sina, geb. 980, gest.
1037) unterrichtet, wenn nicht dasjenige, was unter dem Titel „Logica“
mach älterer lateinischer Uebersetzung (wohl hauptsächlich nach jener
des Juden Johannes Avendeath, s. Anm. 163) gedruckt vorliegt °°),
schon sogleieh mit dem Schlusse der Isagoge ahbräche. Jedenfalls ist
diese Sehrift ein Bruchstück jener allumfassenden und breit angelegtem
Encyclopädie Avicenna's ""), und während wir uns aus der Ausführlich
* keit dieses ersten Theiles eine Vorstellung von der einlässlichen Be
handlung des Uebrigen machen können, besitzen wir in demselben
wenigstens jenen Complex von Controversen, welcher, insoferne er die
Isagoge belraf, stets für die Lateiner der einflussreichste war. Für die
übrigem Bestandtheile der Logik sind wir theils auf die Metaphysica
und die sog. Sufficientia Avicenna's oder auf die Berichte Anderer ver
wiesen, theils aber können wir auch den Plan des Ganzen aus zwei
anderweiligen kürzeren Bearbeitungen der Logik entnehmen, deren eine
von Watlier im 17. Jahrh. in das Französische übersetzt wurde "*), und
63) S. Anm. 40, 50. u. 62.
64) Averr. Elench. f. 332. r. A: Quae autem relinquuntur (d. h. nacb dem
15. Cap. d. Soph. El.), sunt duae res, quarum una est, quomodo respondeat re
spondens, secunda autem est, quomodo conlradicalur , ...... et utraque islarum re
rum iuvat sapientes per se, et ideo sermo de istis duabus rebus est, ac si esset
praeter istam artem , sed artis Topicae , aut, sicut diacit Abunazar Alfarabius, est
artis mediae inter Topicam et Sophisticam.
65) So z. B. Ps.-Averr. Epitome, f. 357. r. A (betreffs der petitio principii) oder
Averr. Elench. f. 326. v. A: Nos autem invenimus Abunazar Alfarabium in suo
libro, quod iam addiderit istis locis octavum locum, qui est locus permulationis et
translationis, h. e. quod loco rei accipiatur eius simile aut consequens ipsum aut ei
amm€;rcu?m.
66) Auf dem Titelblatle der in Wenedig 1508 fol. gedruckten Ausgabe steht:
Avicennae perhypalelici philosophi ac medicorum facile primi opera in lucem redacta,
ac nuper quanlum ars miti p0luit per canonicos emendata. Logyca. Sufficientia. De
coelo et mundo. De anima. De animalibus. De intelligentiis. telligentiis. Philosophia prima. Alpharabius de in- . ■
67) S. Munck, Dictionn. phil. III, p. 174.
68) La Logique du fils de Sina, communement uppelle Avicenne, prince des phi
losophes et medecins Arabes, nouvellement traduite d'Arabe en Frangais par P.
Waltier. Paris 1658. 8. , Wenn übrigens Schmülders, Essai s. l, ecoles phil. p. 103.
XVI. Avicenna. 319
die andere metrisch abgefasste, welche sieh als ein äusserst kurzes
Excerpt erweist, von Schmölders mit lateinischer Uebersetzung und
Commentar veröffentlicht wurde °°).
Wenn auch Avicenna's Thätigkeit bei einzelnen , späteren Arabern
eine scharfe und selbst verwerfende Beurtheilung fand '"), so müssen
wir demselben doch zugestehen, dass er mit seiner Ausführlichkeit ein
gewissenhaftes und fast ängstliches Bestreben verbindet, durch lücken
lose und allseitige Entwicklung das Ganze, für welches ihm hauptsäch
lich Alfarabi der Leilstern ist, in sämmtlichen Einzelpunkten so klar
als möglich darzulegem.
An die Spitze tritt, wie es bei den griechischen Commentatoren
üblich gewesen war, die Frage über die Eintheilung der Philosophie,
wobei er dem Aristotelismus in dem Sinne versteht, dass einerseits die
theoretische Philosophie die nicht aus menschlichem Willen hervor
gehenden Dinge lediglich um des Wissens willen erörtert, und andrer
seits die praktische Philosophie das durch menschlichen Willen hervor
gerufene um des richtigen Handelns willen betrachtet, so dass die erstere
(— und hierim liegt ein Gegensatz gegen Alfarabi's Auffassumg, s. Anim.
13 —) in Folge ihrer Unabhängigkeit von praktischen Zwecken eine
höhere Stellumg einnimmt 71). Jene „Dinge“ aber (,,res“, worin für die
Logik der antike Objectivismus überhaupt hervortritt), welche den Gegen
.stand der theoretischen Betrachtung ausmachen, sind entweder unbe
rührt von Weränderung und Bewegung, oder sie verfallen einer Ver
mischung mit der Bewegung; und Letzteres kann entweder darin liegem,
dass die Dinge ausserhalb dieser Wermischbarkeit auch keinerlei Sein
haben, mögen sie ohne diesen Beisatz zugleich auch undenkbar (lie
Naturdinge) oder wenigstens ohne deiiselben denkbar sein (das Mathe
sagt „Les simplifications et les perfectionnements qu'ils (d. h. die arabischen Aristo
teliker) onl apportés dans les différentes parties de la logique, ont élé déjà s0igneu
sement énumérés par Vatlier, traducteur de la logique d'Ibn-Sina“, so muss der
selbe diese Bemerkung niedergeschrieben haben, ohne Wattier's Buch auch nur zu
kennen, denn dasselbe enthält ausser der Uebersetzung Nichts weiteres als etliche
Worterklarungen, geschweige denn eine sorgfältige Aufzählung der Leistungen der
Araber. -
69) Schmülders, Documenta phil. arab. p. 26 ff. -
70) Ps.-Averr., Quaes. in Prior. Resol., f. 369. v. B: Maior pars libri Suffi
cientiae Philosophiae huius viri est conteaeta ea, talibus sermonibus perversis tam in
logicis quam in aliis, et qui vult initiari in his artubus, eæpediet ei, qu0d fugiat
eius libros, nam illi faciunt errare hominem et ea trahunt ipsum a recto polius, quam
ipsum dirigant et ordinent ad veritatem. Hiezu ob. Anm. 11.
71) Logica (in obiger Venetianer Ausgabe) f. 2. r. A: Prima pars Logycae.
Incipit Logyca Avicennae. Capilulum de intrando apud scientias. Dicimus, qu0d in
tentio philosophiae, est.comprehendere veritatem omnium rerum, quantum possibile est
homini comprehendere. Res autem quae sunt, aut habent esse non eæ noslr0 arbi
trio vel opere, aut habent esse et nostro arbitrio et opere. Cognitio autem rerum
primi membri vocatur philosophia speculativa, sed cognitio rerum secundi membri
vocatur philosophia activa. Finis vero philosophiae speculativae non est nisi per
fectio animae, ut scial, tantum, finis vero praclicae non est, ut sciat tanlum, sed
ut sciat, quid debeat agere et agat. Finis ergo speculativae est apprehensio senlen
tiae, quae non est opus, practicae ver0 finis est cognitio sentenliae, quae est in.
opere; unde speculaliva dignior esl comparari scientiae.
320 XVI. Avicemma.
matische), oder darim, dass die Dinge, während sie jene Vermischung
erleiden, daneben ein hievon unal,hängiges Sein besitzen "*). D. h.
während hiemit sieh die Dreitheilung in Theologie, Naturwissensehaft
und Mathematik von selbst ergiebt 7°), ist es die zuletzt erwähnte Seite,
welche auf die Logik führt; nemlich diejenigen Dinge, welche wohl
in die Bewegung verwickelt werden, aber ihr Sein ohne dieselbe habem,
sind eben die intelligiblen Dinge, und so sagt Avicenna ausdrücklich,
dass die Wesenheiten (essentiae), insoferne sie entweder in dem Dingen
oder im Denken (intellectus) simd, in dreifacher Weise betrachtet werden
können, da mam nach Einer Seite das Wesem in seinem Selbst-Seim
unabhängig von jeglicher Beziehung erfassem und nach einer zweiten
Seite dasselbe in der vielheitlichen Einzel-Erscheinung verfolgen und
endlich nach einer dritten Seite es im Denken selbst erörtern könne ;
damn aber in diesem dritten Falle seien all jene Bestimmungen (dispo
sitiones) in Betraeht zu ziehen, welche dem Denken als solchem eigen
thümlich zukommen, und während ausserhalb des Denkens es keine
Allgemeinheit oder Particularität, keine Wesentlichkeit oder Zufällig
keit, kein Einfaches oder Zusammengesetztes u. s. f. gebe, verbinde
sich das, Wesen im Denken mit diesem und allem derartigen Merkmalem,
derem Betrachtung zum Zustandekommen des Wissens umerlässlich nolh
wendig sei **). So erhält bei Avicenna der antike Objectivismus die
72) Ebend.: Res autem quae sunt , quarum esse non est eae voluntate nostra
vel opere secundum primum membrum, dividuntur in duo, in res quae commiscentur
motui, et res quae non commiscentur motui. Res autem, quae commiscentur motui,
dividunlur in duo, aul in res, quae non habent esse nisi quia p0ssibile est, eas
admisceri molui, .... uut in res, quae habent esse absque hoc. Illa autem, quae
non habent esse , nisi quia possibile est, eas admisceri motui, iterum dividuntur in
duo , quia aut sic sunt, quod nec esse nec intelligi possunt absque materia propria,
sicut forma humana aut asinina, aut sic, qu0d p0ssunt intelligi absque materia, sed
non esse, sicut quadratura ..... Res autem, quae commiscentur motui et habent esse
sine illo, sunt sicut identitas et unitas et multitudo et causalitas.
73) f. 2. r. B: Partes ergo scientiae sunt: aut speculatio de concipiendo ea,
quae sunt cum hoc, quod habent in motu esse et eæistentiam et pendent eæ materiis
propriarum specierum, aut speculatio, secundum quod sunt separata ab his in in
tellectu tantum, aut secundum quod sunt separala ab his in esse et intellectu. Prima
autem pars divisionis est scienlia naturalis ; secunda est disciplinalis pura et scien
tia de numero ; .... pars vero tertia est scientia divina.
74) Ebend.: Essentiae vero rerum aut sunt in ipsis rebus aut sunt in intelleclu,
unde habent tres respectus. Unus respectus essenliae est, secundum quod ipsa est
non relata ad aliquod terlium esse nec ad id, quod sequitur eam secundum quod
ipsa est sic; alius respectus est, secundum quod est in his singularibus ; et alius,
secundum quod est in inlelleclu, et tunc sequuntur eam accidenlia, quae sunt propriu
istius sui esse, sicut est suppositio et praedicatio et universalitas et particularitus
in praedicando et essentialitas et accidentalitas in praedicando et celera eorum, quae
postea scies. • In eis autem, quae sunt eætra, non est essentialitas nec accidentalitas
omnino, nec est aliquod compleacum nec incompleatum nec propositio nec argumen
tatio .... ; cum autem volumus considerare ad hoc ut sciamus eas, necesse est eas
colligere in intelleclu, et tunc necessario accidenl illis dispositiones, quae sunl pr0
priae tantum intellectui. Hiemit stimmt überein Metaph. III, 10, f. 83. v. A:
Multae dispositiones, quae comitantur res, cum intelliguntur, non habent esse nisi
postquam habentur in intelleclu ; cum enim res intelliguntur, advenit eis in intellecli
bus aliquid, quod non erat eis eaetra ; fiunt enim universale et essentiale et acciden
tale et fiunt genus et differenlia et fiunt praedicatum et subieclum et aliu huiusmodi.
XVI. Avicenna. 321
specielle Färbung des aristotelischen Intellectualismus. lndem nemlich
das Nichtwissen oder beziehungsweise das Unbekanntsein der Dinge nur
subjectiv im menschlichen Denken liege, so gehe jede jener Bestimmungen,
dureh welche wir von Bekanntem auf Unbekanntes geführt werden (ob.
Anm. 15), nur vom Denken aus auf die Dinge über, und eben hieraus
ergebe. sich die Nothwendigkeit einer eigenem Wissenschaft, welche
diese Demkbestjmmungen zum Gegenstande habe *°). Die ganze Frage
aber, ob danm diese Wissenschafi der Logik Theil oder Werkzeug der
Philosophie sei, bezeichnet Avicenna ebenso wie Alfarabi als umnütz,
da die Beantwortung derselben nur von der Enge oder Weite der Defi
nition der Philosophie abhänge 7°).
Auch in der grundsätzlichen Haupteintheilung der Logik stimmt er
mit Alfarabi (Anm. 16) überein, imdem er auf den Unterschied zwischen
blossem Werstehen eines Wortes und beifälligem Ueberzeugtsein von- der
Wahrheit eines Satzes hinweist 77) und an ersteres die Definition und
derem Nebenarten, sowie an. letzteres die Argumentation in ihrem ver
schiedemen Formen anknüpft 7°), so dass hiemit der Zweck der Logik
Noch deutlicher aber spricht er das Verhältniss der Logik zu den übrigen Zweigen
der Philosophie aus Metaph. I, 2, f. 70. v. A: Subiectum scientiae naturalis est
corpus, n0n in quanlum est ens nec in quanlum est substantia, ..... sed in quantum
est subiectum motui et quieti ...... Subiectum vero scientiae doctrinalis est mensura
sive intellecta absque materia sive intellecta in materia ..... . Subiectum vero logicae,
sicut scisti, sunt intentiones intellectae secundo, quae apponuntur intentionibus primo
intellectis, secundum quod per eas pervenitur de cognito ad incognitum, in quantum
ipsae sunt intellectae et habent esse intelligibile, qu0d esse nullo m0d0 pendet eæ
materia, vel pendet eae materia, sed non c0rp0rea.
75) Logica, f. 2. r. B: Res autem non sunt incognitae nisi quantum ad nos;
disposilio vero et id, quod accidit rebus eae e0, quod invitamur per eas de cognitis
ad incognita, est disposilio et accidens, quod accidit eis in intellectu, quamvis ipsae
habeant esse praeter hoc. Ergo de necessitate opus est scientia ad cognoscendum
illas disp0sitiones, quot sunt et quales sunt et qu0m0d0 c0nsequatur hoc accidens.
76) Ebend.: Sed ...... tunc secundum quem fuerit philosophia tractans et divi
dens et inquirens res, secundum quod habent esse et dividuntur in duo praedicta
esse, scientia haec secundum eum non erit pars philosophiae , sed secundum quod
prodest ad hoc, erit secundum eum instrumentum in philosophia; secundum quem
vero philosophia fuerit tractans de omni inquisitione speculativa et de omni m0d0,
haec scientia secundum eum est pars philosophiae et instrumentum ceterarum partium
philosophiae ..... (f. 2. v. A.) Et inde deceptiones, quae sunt de huiusmodi quae
stione, frustra et superfluae sunt; frustra, quia non est 0pp0sitio in his diclionibus,
unusquisque enim eorum intelligit de philosophia aliud, quam alius; superfluae vero,
quia sollicitudo de huiusmodi non prodest. Hiezu ob. Anm. 14. -
77) f. 2. v. A: Res scitur duobus modis: uno, ut intelligalur tantum ita,
ut , cum nomen habeat, quo appelletur, repraesentetur animo eius intentio, quamvis
non sit ibi veritas nec falsitas, sicut cum dicitur ,,h0m0** aut cum dicitur ,,fac
hoc** ......; altero, ut in intellectu sit credulitas , sicut cum dicitur tibi , quod
omnis albedo sit accidens, ea, quo non habebis intelligere huius dictionis intentionem
tantum, sed etiam credere ita esse; cum vero dubitaveris ita esse vel non esse,
iam intellezisti quod tibi dictum est; non enim dubitas de hoc, quod non intelligis,
nec de eo, quod ignoras; nondum tamen credidisli.
78) Ebend.: Est ergo hic quoddam, quod solet prodesse ad sciendum id, cuius
intelleclus nescitur ..... Unum enim eorum est diffinitio et aliud descriptio et aliud
eaeemplum et aliud quod est signum et aliud est nomen, sicut postea declarabitur,
sed illud in quo conveniunt, non habet nomen commune .... Deinde per illud c0gn0
scitur aliud ad modum credendi illud; qualecunque fuerit, vocatur ratio; ratio (das
P R AN t L, Gesch. II. 21
322 XVI. Avicemina.
darin liege, nach diesen beidem Seitem , ein festes Wissen über- die
grössere oder geringere Vortrefflichkeit der menschliehen Rede bezüglieh
der Auffindumg der Wahrheit zu erwecken, • da , überall der Abweg zur
sehwankemden blossen Wahrscheinlichkeit oder zum directen Irrthume
möglich sei 7°). Und indem Avicenma wohl daram denkt, dass bisweilen
auf bloss natürlichem Wege ohne weitere Technik eine richtige, Defini
tion oder eine glaubhafte Argumentation gefunden werde, zugleich aber
Solehes als lediglichen Zufall bezeichnet, wohingegen bei der Schwäche
der mensehlichen Natur eine Garantie nur in längerer Uebung gefundem
werden könne, und sonach eine förmliche Technik erforderlich sei *"),
so sagt er, die Logik verhalte sich zum inmerem Denken ebenso wie
die Grammatik zur Sprache oder wie Harmonie zum Metrum *'). Eben
hieram aber knüpft sich die Bemerkung, dass jene beifällige Ueber
zeugung nicht durch Einem Gedanken allein, welcher aus Einem Worte
gefasst werden kamm, sich erwecken lasse, sondern in den allermeisten
Fällen mur aus den zusammiengesetzten Gedanken eines Urtheiles her
vorgehe, daher wie bei allem Zusammengesetzten es sich vorerst um
die Kenntniss der einfachen Bestandtheile handle **). Wenn aber hiemit
Eine Mal fehlt ratio im Texte) alia est syllogismus et alia inductio et alia simili
tudo et alia aliud. -
79) f. 2. v. B: Finis autem scientiae logicae est prodesse omnino ad sciendum
haec duo tantum, hoc est, ut homo sciat, qualiter debeat esse dictio dans intellectum,
qui afferat scientiam veritatis essentiae rei, et qualis sit, qui etiam ostendit illam,
quamvis per eum non pervenialur ad veritatem essenliae ipsius, et qualis sit vitiosa,
quae videtur hoc facere et non facit; et etiam ut homo sciat, qualis sit dictio,
quae facit fidem necessariae veritalis ita , quod non possit infirmari, et qualis sit
faciens fidem verisimilitudinis, et qualiter sit eiusmodi, ut putetur esse aliqua duo
rum modorum, cum ipsa non sit ita, sed sit falsa, et qualis sit ita, quod opinari
et flectat animum et sufficiat absque fide certissima, et qualis dictio operans in
anima, ad qu0d operatur fides, scilicet negationem et affirmationem et prohibitionem
et dilatationem et constrictionem, non eae hoc, quod facit fidem, sed eae hoc, quod
facit verisimilitudinem. (Den gleichen Inhalt s. auch b. Wattier, p. 2 ff.)
80) Ebend.: Contingit autem homini, ut aliquando manifestetur ei diffinitio
naturaliter dans, ei inlellectum et ratio faciens fidem, et ea, hoc est res non doctri
nalis nec sic vera, quin aliquando fallat; si autem natura et intellectus sufficiunt
ad hoc sine doctrina, sicut fit in multis, non contingeret in sententiis tanta diversitas
et contradictio, nec unus homo contradiceret sibi ipsi aliquando et aliquando non,
cum procederet secundum intellectum suum ; natura autem humana est insufficiens ad
hoc, quamdiu non acquirit doctrinam, sicut non est sufficiens in multis aliis rationi
bus, quamvis saepe contingeret, ut faciat rectum, sicut recta iaculatio caeci .....
Sed quamvis ita sit inquirens scientiam, cum habuerit eam et evercuerit eam, non
tantum erroris accidet illi, quantum illis qui non habent eam ..... Per exercitia
enim doctrinalia pervenitur ad securitatem errorum. . Albert. M., De praedicab. I, 1,
p. 2. A: Ut enim dicit Avicenna, modus hic (sc. scientiae) omnibus hominibus per
hoc, quod intellectuales sunt quodammodo, per naturam inditus est; sed imperfectus
est, qui in natura est, perficitur autem per artem adhibitam.
81) f. 3. r. A : Comparatio autem huius doctrinae ad intellectum interiorem,
qui vocalur locutio interior, est sicut comparatio grammatici ad manifestam significa
lionem, quae vocatur locutio, et sicut comparatio melodiae ad metrum ..... Hac
autem doctrina eget homo, qui- acquirit scientiam considerando et cogitando, nisi
fuerit homo divinitus inspiratus, cuius comparatio ad considerantes est sicut compa
ratio rustici arabici ad discentes arabicam. … -
82) Ebend.: Impossibile est, animum moveri ab uno solo intellectu ad creden
dum aliquid; hic enim intellectus non est iudicium faciendi fidem essendi rem vel
, i- •
XVI. • Avicemma. 323
auch zugestandem sei, dass die Logik durch dem Zwang einer Noth
wendigkeit auf die Berüeksichtigung , des Wortausdruckes hingeführt
werde **), so dürfe , dennoch weder, wie von Einigen geschehen sei
(— hieraus sehen wir, dass die Araber zu analogen Controversem wie
die Lateiner durch Abälard veramlassi wurden —), die Logik sofori als
Sache des blossen Sprachausdruckes (sermocinalis) angesehen werden,
da ja der Denkact das Entscheidende sei **), noch aber aueh solle man
hinwieder darum, wie Andere thatem, behaupten, dass die Logik die
Sprachausdrücke insoferne betraehte, als dureh dieselbem Gedanken be
zeichnet werden (intellecta significantur); denn jenes Sein, welches
die Dinge allerdings im Denken haben, sei noch als ein doppeltes zu
unterscheiden, indem eimerseits eben bloss die aus der Aussenwelt
aufgefasstem Dinge im Denken gestaltet werden, andrerseits aber Be
stimmtheitem, welehe in der Aussenwelt michi vorliegem, den gedachlen
Dingen durch das Denkem selbst zukommem (Anm. 74), und sowie micht
diess Beides Sache Einer Wissenschafi sein könne, so falle der Logik
nur die letztere dieser beidem Seitem anheim *°).
Nachdem nun Avicenna durch solehe Betraehtungen bei der I s a
•
non essendi .... Intellectus autem saepe habetur eae uno solo verbo; si autem unum
non sufficit ad intelligendum illud esse vel non esse in essentia sua aut dispositione,
nec faciet fidem de alio ..... Hoc autem, scilicet eae uno verl)0 inlelligere, in paucis
conlingit, et propter hoc in plerisque est diminuti0 el malum. Quod autem in ple
risque dat inlelligere, sunt intellectus c0mp0siti senlentiae ; c0mp0situm autem com
ponitur eæ mullis et inter mulla sunt una; erg0 in omni c0mp0sit0 sunt aliqua una;
vnum autem in omni composito vocatur simpleæ, et quia eius , quod componitur eae
multis, imp0ssibile est sciri naturam ignoratis eius simplicibus, ideo convenientius
est, prius c0gn0scere simplices quam c0mp0sitas.
83) f. 3. r. B: Ad considerationem autem diclionum ducit nos necessitas; logi
cus enim eae hoc, qu0d est logicus, non habet eae hoc prim0 0ccupari circa verba
prima nisi quamtum ad loquendum et agendum; non enim possibile esset, logicum
dicere solo intelleclu ...... Sed quia necessitas ducit nos ad agendum cum verbis
praecipue ......., sequitur, ut verba habeant diversas dispositiones, per quas diffe
rant disp0sitiones intentionum, quae comitanlur esse in anima ita, quod fiant eius
indicia, quae non haberentur nisi per verba, et ideo necessarium est in doctrina
logica, ut una pars eius esset consideratio de dispositionibus verborum.
84) Albert. M., De praedicab. I, 4, p. 5. A: Sunt etiam, qui logicam inter
pretantur idem quod sermocinalem scienliam ..... Quam opinionem impugnat Avicenna
in prim0 logicae suae dicens, quod sermo de se nihil significat; si enim aliquid de
se significaret, semper et apud omnes illud significaret, qu0d falsum est; .... non
ergo significat nisi secundum quod c0nceptus est in intellectu instituentis,
85) Log. f. 3. r. B: Et propter hoc non valet, qu0d ille divit, scilicet quod
logica insliluta est ad considerandum dictionem secundum h0c, qu0d significat in
tellecla, et quod doclrina logicae est loqui de verbis, secundum quod significant in
tellecta ...... Ille autem non deliravit sic, nisi quia non apprehendit certissime
subiectum logicae et modum essendi eius proprium; invenit enim esse, quod habent
res in intelleclu, et ideo posuit, quod considerare esse, quod est eætra, spectat ad
doctrinas physicas, considerare vero esse, quod est in intellectu et quomodo intelli
gitur in eo, spectat ad doctrinam aliam vel partem doctrinae, non distinguens et
nesciens, quod ea, quae sunt in intellectu, aut sunt res formatae in intellectu ap
prehensae ea:trinsecus, aut sunt res accidentes eis, secundum quod sunt in inlellectu,
quae non fuerunt repraesentatae in aliqu0 eactrinsec0; c0gnitio autem horum duorum
spectat (wie Jedermann siebt, ist zu lesen non spectal) ad doctrinam unam, qu0rum
vnum est subiectum doctrinae logicae secundum accidens, quod accidit ei.
21*
324 XVI. Avicenna.
go g e angekommen ist, erörtert er zunächst den Unterschied zwischen
verbundenem (compleaea) und unverbumdemen (incompleaea) Sprachaus
drücken, indem bei ersterem, d. h. dem Urtheilen, der bezeichnende
Gedanke der Bestandtheile selbst eim • Theil des Total-Gedankens des
Ganzen sein müsse *°), bei letzteren aber lediglich das Gegentheil hie
von stattfinde, und sonach ergänzende Bestimmungen, welche von An
deren zur Definition des incomplearum beigebracht wurden, sich als
überflüssig erweisen *"). Die inuere Bedeutsamkeit (intentio) der un
verbumdemen einfachen Worte unterscheidet er nun sofort als eine zwei
fache, je nachdem in derselben entweder kein Hinderniss liege, den
Gedanken auf eine Vielheit von Dingen, welche in ihm zusammentreffen,
zu beziehen, oder je machdem durch die Bedeutung des Wortes eine
solche vielheitliche Beziehung ausgeschlossen sei, und in ersterem Falle,
welcher der häufigere sei, müsse man das Wort, als universale, im
letzteren hingegen als particulare bezeichnen *°), und zwar komme es
hei dieser Definition des Universale nicht darauf am, ob es wirklich
vom thatsächlich vorkommenden Dimgen oder von bloss denkbarem aus
gesagt werde, oder auch ob die Mehrheit selbst nur Sache, derº Denk
barkeit sei (wie z. B. dass es mehrere Sonnen gebe), sondern das Ent
scheidende sei nur, dass die universelle Aussage keine Unmöglichkeit
sei *°). Nach der aus Porphyrius (Abschn. XI, Anm. 39) wiederholtem
86) Ebend.: Capitulum dicendi verbum compleacum et incomplevum et dicendi
universale et particulare et dicendi essentiale et accidentale et id quod respondetur
ad quid et quod non respondetur. Postquam in docendo et discendo necessario indi
gemus verbis, dicemus, quod verbum aut est incomplevum aut compleacum. Com
pleacum autem est, in quo invenitur pars significativa intellectus, quae est pars in
tellectus significati a tota significatione essentiali, sicut est hoc qu0d dicimus „homo
est scriptor“; hoc enim verbum ,,h0m0“ significat unum intellectum, et hoc verbum
,, scriptor** significat alium, quorum unumquodque est pars huius, quod dicimus
,,homo est scriptor** significatione requisita eae verbo. Incompleaeum autem est,
cuius pars non significat partem intellectus totius significatione essentiali, sicut hoc
quod dicimus ,,homo“, quia ,,h0“ et ,,m0** non significant partes intentionis, quam
significat ,,h0m0“.
87) f. 3. v. A: Quod autem invenitur in doctrina antiquorum de descriptione
verborum incompleacorum, hoc est: scilicet quod incompleaca sunt, quorum partes
non significant aliquid; quam descriptionem multi reprehendunt dicentes, debere addi
ei, scilicet incompleva esse, quorum partes non significant aliquid de intellectu totius,
quia contingit aliquando, partes incompleacorum significare aliquos inlellectus, sed non
sunt partes intellectus totius. Ego autem teneo, quod haec reprehensio error fuit,
et qu0d haec additio non fuit necessaria ad supplendum, sed ad ea ponendum.
88) Ebend.: Deinde intentio incompleaci aut talis erit, quod non prohibetur, in
intellectu ea, hoc, quod intelligitur, multa convenire in ea aequaliter, ut unumquod
que eorum dicatur ipsum esse aequaliter, sicut hoc quod dicimus ,,homo** habet in
tentionem in anima , quae comitatur Socratem et Platonem et reliquos uno modo
.......; aut eius intentio est una sic, quod prohibetur, in intellectu multa convenire
in ea, scilicet in eo uno, quod intelligitur de ea, sicut in hoc quod dicimus ,,So
crates“...... Prima autem pars divisionis vocatur universalis, secunda vero parti
cularis, Tu scis autèm, multa esse in verbis ad modum partis primae ...... et haec
est inlentio, de qua id, quod intelligitur in anima, non prohibetur habere compara
tionem similitudinis ad multa.
89) Metaph. V, 1, f. 86. v. A: Universale dicitur tribus modis; dicitur enim
vniversale secundum hoc, qu0d praedicatur in actu de multis, sicut h0m0; et dicitur
vniversale intentio, quam possibile est praedicari de multis, etsi nullum eorum habeat
XVI.. Avicemma. 325
Bemerkung, dass der Logiker auf die tieferen Fragem über das Univer
sale nicht einzugehen brauche °°), folgt nun eine ebenso ausgedehnte
als spitzfindige Erörterung, durch welche die Angaben über die ein
zelnen fünf Universalien vorbereitet werden sollen. , Zunächst wird die
Abgränzung vorausgeschickt, dass es sich hier nicht um die denomina
tive Aussage (welche Dei Adjectiven stattfindet), sondern um dasjenige
handle, was univoce, d. h. nach inmerer Wesensbestimmtheit, ausgesagt
werde *''). Die Wesenheit sonach (essentia) eines jeden Seienden sei
dasjenige, wodurch dasselbe mit Nothwendigkeit ist, was es ist; die
Einheit aber der Wesenheit sei nur bei Uebersinnlichem eine absolute,
d. h. unzusammengesetzte, hingegen bei den sinnfälligen Dingen beruhe
sie auf einer Einigung mehrerer Wesensbestimmungen 9°); während
nemlich in jener Wesens-Einheit die Wahrheit der Einzeldinge beruhe,
seien auch die mehreren Eigenthümlichkeiten zu erwägen, in welchen
die gleichartigem Dinge ebensosehr wie in der Wesenheit selbst zu
sammentreffen, und zwar können diese mehrerem Bestimmtheiten ent
weder derartig sein, dass eben aus ihrer Verbindung die Wesenheit
selbst besteht, oder derartig, dass sie nothwendige Merkmale der , be
reits verbundenen Wesenheit sind, kurz die Universalien sagen entweder
die Quiddität („quidditas“, ein Wort, von welchem allgemeim bekannt
ist, dass es erst durch die Uebersetzung arabischer Litteratur in die
miltelalterliche Latinität eingeführt wurde) oder ein dieselbe Begleiten
des (comitans) aus *°). Nemlich die universellen Worte seien entweder
esse in effectu, sicut intentio domus septangulae; ..... dicitur etiam universale in
tentio, quam nihil prohibet opinari, quin praedicetur de multis, ..... sicut sol et
terra; haec enim eæ hoc, quod intelliguntur sol et terra, non est prohibitum quan
tum ad intellectum, posse intentionem eorum inveniri in multis ...... Possunt autem
haec omnia convenire in hoc, quod universale est id, quod in intellectu non est im
possibile praedicari de multis, et oportet, ut universale logicum et quidquid est simile
ei sit hoc. Vgl. Anm. 150. - -
90) Log. f. 3. v. B: Non cures autem secundum hoc, quod es logicus, qua
liter sit haec comparatio , et an intellectus eae hoc, quod est unus in quo multa
conveniunt, habeat esse in ipsis rebus, quae in ipso conveniunt, vel esse separatum
eaetra ' per se praeter esse, quod habet in uno intellectu; consideratio autem horum
alterius (wohl zu lesen altioris) doctrinae est aut doctrinarum duarum. S. jedoch
untem Amm. 176 ff.
91) Ebend.: Praedicatio autem fit duobus modis, quia aut univoce, sicut hoc
quod dicimus, quod Socrates est homo, „homo“ enim praedicatur de Socrate vere et
univoce ; aut denominative , ut albedo de homine, dicitur enim homo albus et habens
albedinem , nec dicitur esse albedo ..... Nostra autem intentio non est hic nisi de
eo, quod praedicatur univoce. Diess ist principiel] benützt bei Albert. M., De prae
dicam. I, 3, p. 99. A: Ut dicunt Avicenna et Algazel ..... , omne, quod ut univer
sale de multis et de sibi subiectis praedicatur, univoce dicitur. -
92) Log. f. 3. v. B: Enumerabimus ergo partes universalis , secundum quod
comparatur ad particularia univoce et dat eis nomen et diffinitionem ...... Dicemus,
quod omne quod est essentiam habet, qua est id quod est et qua est eius necessitas
et qua est eius esse. Essentia autem uniuscuiusque rei una est; sed quod est unum
absolutum, non est id quod est eae multis intellectibus, eæ quibus coniunctis pro
veniat una essentia (eaeemplum autem huius non invenitur in rebus sensibilibus, debes
ergo nunc credere eius esse); aliquando autem erit unum aliquid non absolutum,
cuius esse et veritas composita est eae rebus et intentionibus, ea, quibus coniunctis
provenit essentia rei, cuius eæemplum est homo.
93) f. 4. r. A: Veritas autem sui esse non est nisi humanitas ; ergo id quod
326 XVI. Avicenna.
die einfache Antwort auf die Frage „was?“, oder sie geben diese Ant.
wort mittelst der Bestimmungen, welche dem einheitlichen. Verbande
der Wesenheit umerlässlich vorausgehen müssen, oder endlich sie emt
haltem jene Eigenthümlichkeiten, welche ausserhalb dieser beidem Mo
mente liegem, und sowie sie im letzten Falle accidentalia heissen, so
* werdem sie im erstem significantia esse und im zweitem essentialia oder
noch besser substantialia genannt **). Die vergleichende Beziehung
aber, welche das substantiale auf die betreffenden Einzeldinge habe,
liege für die Logik darin, dass es eben nur ' als der Wesensgrumd des
Particularen betrachtet werden kann, da durch dessen Aufhebung auch
das Particulare aufgehoben wird °°). Indem aber Letzteres auch von
Einigen so aufgefasst wurde, dass man das Substantiale kurzweg als
constituens bezeichnete und in die Unaufhebbarkeit desselbem den Unter
schied gegenüber dem aecidentale verlegte °°), so erhebt Avicenna hie
gegem Bedenken, da der Begriff des constituens, welcher stets den
eines Anderweitigem in sich involvire, nicht vom eigentlichen Substan
tiale, sondern mur von dem das esse Bezeichnenden gelten könne und
ausserdem bei willkürlicher Identificirung mit dem eigentlichen Substan
-
- *
-
est unumquodque singulare, est eae eius humanitate, sed speciale acquiritur ea, quan
titate et qualitate et ceteris. Et habet etiam alias proprietates praeter humanitatem,
in quibus conveniunt homines .... Sunt verae proprietates hominis communis , sicut
hoc, quod est rationalis seu habens animam rationalem, et sicut hoc, quod est risi
bilis naturaliler. Sed hoc, quod est rationalis, est unum eorum, ea, quibus coniunctis
conflatus est homo ; quod autem risibilis est naturaliter, est quoddam quod , cum
humanitas conflata est eæ his ea, quibus constat , fuit necesse accidere et comitari.
Metaph. V, 6, f. 90. r. B: Praedicabile aliud est praedicabile constituens quiddi
talem subiecti et aliud est praedicubile comitans quidditatem eius, non consti
tuens illud.
94) Log. f. 4. r. A: Jam ergo patet ea, hoc, quod haec est vera essentia rei
et sunt hic proprietates, eae quibusdam quarum et eae aliis constat veritas rei, quae
dam vero (der Text gibt erg0) ea, his sunt accidentia, quae non comitantur in esse
eius. Et verba. universalia, quae significant esse unius rei aut multorum, illa signi
ficant ea, quae respondenlur ad quid, non alio modo; si autem significant ea, quae
necesse est praecedere in esse ad essentiam rei ila, qu0d ea, coniunctione eorum
proveniat esse rei ....., debent vocari verbum essentiale, quia respondentur ad quid;
quod autem significat proprietatem, quae est praeter illa duo, sive sit communitas
sive non, ipsum voces accidentale, et eius intentio vocatur intentio accidentalis ......
Quod putalur , verbum substantiale, convenientius est , ut contineat intentiones consti
tuentes esse rei, et ut verbum significans esse rei non sit substantiale, ut ,,homo“
non est substantiale homini, sed ,,animal** et ,,rationale*' sunt substantialia homini.
95) f. 4. r. B: Hoc autem quod dicimus substantiale, quamvis secundum na
turam locutionis singularis habeat intentionem comparabilem , tamen secundum pla
citum logicorum significat aliam intentionem; et hoc est, quod verbum universale
est, qu0d significat intentionem, cuius comparatio ad singularia talis est, quod cum
putabitur non esse substantia illorum particularium, non habebit esse, non quia
horum substantia particularium debebat primum destrui, ut sic possit putari illa
destrui, sed quia eæ illius destructione sequitur destructio illorum.
96) Ebend.: De discutiendo quod dictum est de substantiali et accidentali, Jam
diaeerunt in distinguendo substantiale ab accidentali, quod substantiale est constituens,
accidentale vero non est constituens. . Sed non discernunt, qualiter est constituens et
qualiter n0n constituens. Diverunt etiam, qu0d substantiale impossibile est putari
destruclum, ut remaneat subiectum, accidentale vero possibile est putari destructum,
ut remaneat subiectum. -
XVI. Avicenna. 327
tiale uns in, den über Letzteres. entstehendem Schwierigkeiten um keimen
Schritl weiter bringe ; und in ähnlicher Weise sei, was die Unaufheb
barkeit des Substantiale betreffe, doch noch erst der Unterschied zwi
schen den wesentlichen Eigenthümlichkeitem (d. h. proprium, z. B. risi
bile bei homo) und den zufälligen Merkmalen zu erwägen, denn erstere
seien in gleicher Weise wie die Substantialia unaufhebbar, woferne nicht
ihr Träger zugleich , mitaufgehoben werden soll, und der wesentliche
Unterschied des Substantiale könne daher nicht in jener Unaufhebbarkeit
liegem ""); auch sei es allerdings richtig, dass bei denkender Betrachtung
der Substantialiem das constituens vom constitutum nicht losgetrennt
werden könne, aber bei den Accidenzen könne eine Lostrennung von
ihrem Träger gleichfalls eine fälschliche sein, sobald nemlich ein Acci
dens ummitlelbar, ohne Mitwirkung eines, anderem Accidens den Träger
ursprünglich begleite, und gerechtfertigt sei es nur dann, ein Accidens
ohne seinen Träger zu denken, wenn dasselbe erst mittelbar durch ein
Anderes mit ihm verbundem ist "*); ja Avicenna dehnt die Distinction
noch weiter aus, indem er von der nothwendig zu denkenden Eigen
97) f. 4. v. A: Potest autem aliquis discutere veritatem et falsitatem in his.
Dicemus ergo, quia hoc quod diacerunt, quod substantiale est constituens, non con
tinet de subslanlialis natura , quod est non significans esse; constituens enim est
continens aliud a se ..... Si aulem volunt constituens intelligere, quod non intelli
gitur eæ significalione sui nominis, sed volunt intelligere idem quod de, substantiali,
contingit eos inducere nomen multivocum, qu0d abstulerunt ab eo, cui primum im
posuerunt, nec signant inlentionem eius, ad qu0d transtulerunt, et erit labor idem
de constituente et de subslanliali, quorum unumquodque tanta egebit eaepositione
quanla et alterum. Contra hoc aulem, quod nituntur de destructione, in opinione
debes meminisse, qu0d praedictum est, scilicet qu0d intenlio universalis hubet pro
prielales, quae sunt prim0 necessariae, quibus postea efficitur, et habet alias pr0
prietates, quae concomitantur et sequunlur eam, cum ipsa intentio fuerit habita,
uihil, autem potest inlelligi esse rem0tis illis proprietatibus ab e0, quae necessariae
sunt ei ad hoc, ut habeat esse ...... Et quandoquidem sic est, tunc proprietates,
quae dicuntur substantiales, eæ intentionibus intelligibilibus debent necessariae in
telligi ad subiectum hoc modo; esse enim non intelligitur in intellectu nisi praecedat
prius eorum intellectus. Accidentia vero alia intelligere non est prius quam intelli
gere ipsum esse, sed sunt concomitanlia et consequentia, quae non sunt constituentia
esse .... ergo esse statuitur sine illis ; postquam autem , statuitur sine illis, tunc
non est longe, quin intelligatur ipsum esse, quamvis non praecesserint ipsa vel non
acciderint intelligi.
L98) Ebend.: Jam autem scis, qu0d h0c intelligere non v0l0 dicere h0c, scilicet
ut cum intelleaceris aliquid et consideraveris in effectu, quod intelligas etiam partes
suorum constituentium in effectu, fortassis enim non considerabis partes in tuo in
tellectu; sed dico, quod si consideraveris constituens et constitulum , n0n erit tibi
possibile removere constitutum a constituente se taliter, ut verum sit c0nstitutum
habere esse in, intellectu non habente esse constituens se; et quumdo quidem ita est,
esse debet impossibile ea removeri ab e0, , im0 debet habere ista sine dubi0. Acci
dentia autem non nego, quin vere slatuantur esse in intellectu, cum non intelligatur
habens illa, sed intellectus removet ista ab e0 falso; h0c autem mon affirm0 de omni
bus accidentibus; accidentium enim quaedam concomitanlur esse principaliler et
manifeste non mediante alio accidente, et tunc impossibile est ea removeri ab esse
remanente esse, ..... sicut hoc, qu0d triangulus est huiusmodi, qu0d aliquod laterum
eius potest protrahi in directum in opinione ....... ;* p0ssibile est autem, qu0d esse
accidentis sit alio mediante, quod si non attendetur, poterit removeri a subiecto,
sicut hoc, quod omnes duo anguli trianguli sunt minores duobus rectis.
328 XVI. Avicemma.
thümlichkeit die nicht-nothwendige in vier Abstufungem unterscheidet °°).
Hieran aber reiht sich nun noch ein anderer Gegenstand der Discussion,
welcher für das Folgende grossem Nutzen habe; nemlich es handelt
sich um die Frage, ob das Universale als significans esse (Anm. 94)
wirklich nach dem gewöhnlichen Sinne das nemliche sei wie dasjenige,
was im Substantiale bezeichnet wird *°°). Hiebei jedoch bleibe es um
erklärlich, warum man dann das Substantiale dennoch micht mit dem
artmachenden Unterschiede identificire ; denn das esse in jener secun
dären Bedeutung, in welcher es das Substantiale ist, werde eben doch
in solchen Wesensbestimmtheitem ausgesprochen, welche von den Logi
kern stets als die in einer Gattung auftretenden Unterschiede bezeichnet
wurden; nach jener Ansicht aber komme das Substantiale in keine Be
ziehung zur Gattung, welche man doch als ein eine Manigfaltigkeit Ent
haltendes bezeichme, sondern indem man das Substantiale auf das blosse
quid beschränke und von dem quale quid lostrenne, wolle man gar
nicht zugeben, dass eine und die nemliche Bestimmtheit als esse auf
trete, insoferne Mehreres in ihr zusammentreffe, und zugleich auch als
quale esse, insoferne jenes Mehrere sich von Anderem unterscheide ;
hingegen klettere man unbekümmert um diese Fragen lediglich von der
Gattung abwärts zu den Arten und dann zu den Unterarten *°*). Das
99) f. 4. v. B: Patet ergo eae hoc, quod proprietatum quaedam est, quam
possibile est negari in actu, et quaedam est, quam possibile est in intellectu negari
habere esse, et quaedam, quam possibile est negari in intellectu absolute, et quae
dam, quam impóssibile (zu lesen possibile) est negari esse aliquo modo, cum sit
accidens, et quaedam, quam impossibile est negari, cum sit substantiale.
100) Ebend.: Id quod significat esse, diverunt esse significativum substantialis
communis quantumcunque fuerit; et non pervenit ad nos de hoc plus discussionis.
Nos ergo perquiramus, an id, quod intelligitur de hoc verbo, secundum sensum vul
garem sit haec intentio annon, et an, quod sciunt minores et consentiunt in eo
tanquam in authentico, significet illud. Cum enim fecerimus hoc, ostendetur nobis
magna utilitas. Idem autem intelligitur secundum sensum vulgarem nunc significan
dum. Significativum enim esse rei est id, quod significat intentionem, qua res est
id quod est; res autem non fit id quod `est, nisi cum omnes suas habet proprietates
substantialiter tam communes quam proprias.
101) f. 5. r. A: Mirum autem est de multis , qui tenent, quod substantiale
et quod significat esse sunt unum, et non ponunt, quod substantiale sit proprium
significativum esse eius, cui est substantiale, scilicet id quod vocabimus postea diffe
rentiam. Hoc autem stultum est. Cognitio autem dispositionis eius, quod significat
esse secundum positionem secundam et sensus maiorum hoc est, scilicet quod inve
nimus animal et sensibile praedicari de homine et equo et bove; deinde invenimus
auctores artis dicentes, quod sensibile et omnino quidquid est huiusmodi eae his,
vocantur differentiae eorum, quae dicuntur genera, et ponuntur substantialia. Et
non ponunt ea esse aliquid illius totius, quod vocatur genus, et omne, quod est
significativum esse et continet multa diversa, ponunt genus ..... Quod enim dicitur
significare quale quid substantiale commune, ponunt diversum ab eo, quod significat
esse substantiale commune. Ergo non tenent congruum esse, ut unum aliquid compa
ratione multorum sit esse et quale esse, ita ut ex eo, quod conveniunt in eo illa
nmulta, sit eorum esse, et in hoc, quod per illud differunt ab aliis multis, sit eorum
quale esse ..... Sed cum inveniunt genus, quaerunt aliud, quod sit differentia, quae
constituat genus, si est quod habet differentiam constitutivam; similiter cum inveniunt
species, quaerunt alia eætra earum essentiam, quae sunt earum differentiae. Si
autem id non esset significativum esse, nisi cum esset genus aut species, tunc, cum
XVI. Avicemina. 329
Richtige hingegen liege in jener obigen Unterscheidumg (Anm. 94), und
es sei nur zu bedenken, dass das significans esse entweder auf eine
Mehrheit von Dingen sich beziehe, welche in ihrem Substantiellen sieh
nieht unterscheiden, wie man z. B. von Sokrates und von Hippokrates
„Mensch** aussagt, oder auf eine Mehrheit, welche inmerhalb ihrer noch
substantielle Unterschiede enthalte, wie z. B. „Thier* vom Pferde und
vom Esel gilt !°°); nemlich im ersteren Falle enthalte das significans
esse das substantielle Wesen des Einzelnen und lasse nur noch acciden
telle Eigenthümlichkeiten offen, im letzterem hingegen sei mit jenem
esse das substantielle Wesem noch lange nieht erschöpft, sondern gerade
die Substantialiem, welehe in den artmachenden Unterschieden liegem,
seien noch im Reste '°°). Bei der Bezeichnung aber (significatio) sei
nicht zu vergessen, dass die primäre immer die wesentliche bleibe 10*),
und so stehe die Bezeichnung der parilitas, d. h. der Wesensgleichheit,
am der Spitze, und andere, wie jene der continentia und der comi
tantia, seien erst abgeleitete 49°). Und was nun die Frage betreffe,
ob nicht das Substantiale zugleieh auf das quid und auf das quale quid
gehen könne, und sonach eine Zweitheilung unhaltbar sei, so löse sich
dieses Bedenken dadurch, dass das quid Eines Dinges zugleich das
quale anderer Dinge involvire, jedoch nie das Substantiale eine acci
dentelle Qualität desjenigen sein könne, dessen Substantiale es eben ist,
est significativum substantialis in quo conveniunt, iudicium eius esset diversum ab
hoc. Sunt autem haec quaedam prohibentia verum esse quod diaeerunt u. s. f.
102) f. 5. r. B: Dicemus, nunc iam ostensum esse, quod verbum incompleacum
-universale aut est substantiale aut accidentale, et quod est substantiale alicui, aut
est aptum significare esse aliquo modo aut non est aptum. Significans autem esse
est aut quod significat esse multorum, quae non differunt substantialiter, aut signi
ficat esse multorum, quorum essentiae differunt substantialiter. Evemplum autem
primi est nomen solis .... aut nomen hominis, quando vocatur homo Socrates et
Hypocras; eaeemplum autem secundi est significatio huius nominis ,, animal“, quum
de equo et asino simul alicui interroganli, quid sunt, respondebitur, quod sunt ani
malia.
103) f. 5. v. A: Differentia autem duorum modorum haec est, quia primus
modus est significans esse collectionis, et tunc uniuscuiusque nomen eam nominis
significat et integre veritatem substantialem, quam habent Socrates et Hypocras, nec
eaccedit eam nec relinquitur ab ea, nisi quod proprium est uniuscuiusque de proprie
tatibus accidenlalibus, sicut iam nosti eae praedictis. De modo vero secundo tu scis,
quod animalitas sola est (zu lesen non est) significativa esse hominis et equi unius
cuiusque per se, eae ea enim sola non est unumquodque eorum id quod est; nec
eaccedunt istam accidentalibus differentiis, sed substantialibus; quidquid autem habent
commune de esse, nomen animalis significat; sensibile vero significat partem totius,
quod complectitur significatio huius nominis ,, animal**; est igitur pars perfectionis
veritatis eorum, in qua conveniunt non integre ; similis est dispositio rationalis com
paratione hominis. -
104) Ebend.: Sensus enim de significatione nominis est, ut nomen sit illius
intentionis, quae est eæ prima impositione, unde etiamsi fuerit alia intentio adiuncta
primae eaetrinsecus, quam percipit intellectus, quando percipit primam, non ideo nomen
erit significativum eius secundum impositionem primam.
105) f. 5. v. B: Si autem volumus hoc totum complecti et acquirere, dicemus,
quod significatio dictionum est tribus modis, quia est significatio parilitatis, ut hoc
quod est animal, significat corpus habens animam sensibilem; et significatio conti
nentiae, ut significatio corporis ab animali ; et significatio comitantiae, ut eae tecti
significatione fundamentum. Alfarabi hatte noch ausführlicher distinguirt, s. Anm. 21.
-
330 XVI. Avicenna.
und ebenso sei auch hinwiederum das quale quid befähigt, nach einer
anderem Seite zugleich ein quid in sich zu schliessen '""). Kurz das
jenige Universale, welehes Substantiale ist, kann nach Seite , des quid
je nach der Grösse des Umfanges als Gatlung oder als Ari auftreten,
aber nach Seite des quale ist es die Differenz, und jenes Universale,
welches Accidentale ist, zerfällt in die eigenthümlichen und in die ge
meinsamen Merkmale ; sämmtliche fünf aber sind nicht in absolutem
unabhängigen Sinne zu verstehen, sondern beziehen sich stels auf einen
bestimmten ihnen angehörigen Umkreis '"").
lndem num Avicenna nach solch ausgedehntem Erörterungen, aus
welchen ich nur das Hauptsächlichste und für die Lateiuer Einflussreiche
hervorgehoben habe, endlich sich an die Besprechung der einzelnen
fünf Universalien machi '"*), hebt er zunächst, was genus belrifft, die
Seite der Wortbedeutung hervor, indem die Auffassung des Gattungs
begriffes ursprünglich von dem Begriffe eines Geschlechtes und auch
vom genealogischen Traditionen im den menschlichen Künstem und Be
schäftigungen ausgegangen und erst hernach auf die logische Bedeutung
im Sinne der Definition des Porphyrius übertragen worden sei 49°).
106) Ebend.: Si quis autem diverit, quod aptum est ad quale quid, ipsum
etiam aptum est ad quid; sensibile enim, quamvis negatur significare esse hominis
et equi et bovis ad modum generis vel speciei, non tamen negatur significare esse
commune audienti et videnti, et tangenti; unde non oportet substantiale dividi in id
quod respondetur ad quid et in id quod respondelur ad quale quid, ita ut alterum
non contineatur in altero; non enim constat, ut quidquid significaverit quid est, non
significet quale quid; unde compellunt concedere, quod diacistis, debere alios dicere.
Respondemus ad illud, quod prima quaestio solvetur, cum scietur, nos non negare,
quod illud , quod significat quid sunt aliquâ, significet quale quid sunt alia, quia
concedimus hoc ; non enim negamus, nisi quia verbi gratia sensibile est significans
esse speciale ..... et per hoc non debet esse conlentio in hoc quod dicimus, qu0d
substantiale non est accidens; nostra enim intenlio est, qu0d non est accidentale ei,
cui est substantiale. Quaestio autem secunda solvilur per hoc, qu0d non intelligimus
significans quale quid aplum tantum ad quale quid absque quid, ita ut eius signifi
catio non sit nisi intentio intrinseca ei in nomine significante esse generale aut spe
ciale, sed intentio constitutiva qua differunt; cum autem dicimus significans quale
quid, intelligimus hanc intentionem.
107) f. 6. r. A: Unde esse substantiale universale aut significut (offenbar aus
gefalIlen im Texte ist esse magis commune et vocatur genus, aut significat) esse
minus commune et vocatur species, aut notat quale esse et vocatur differenlia ; sic
universale accidentale aut est proprium et v0catur proprielas , aut conveniunt in ips0
multa et vocatur accidens commune; hoc autem quod est genus, non est genus in se
nec in comparatione omnium, sed est genus eorum, quae conveniunt in eo; similiter
species non est species in se ipsa nec in comparatione omnium rerum, sed in com
paratione eius, quod est aliquid in ipsa ; praeter hoc etiam differentia non est diffe
fentia nisi comparatione eius, quod dividitur in sua essentia per illam ; similiter
etiam proprietas non est proprietas nisi comparatione eius, cuius naturae accidit
tantum; similiter accidens commune non est accidens nisi comparatione eius, cui acci
dit, et non aliter. (Aehnlich bei Schnylders Doc. p. 29., u. vgl. , untem Anm.
172. *7z-;
108) Ebend.: Nunc ergo loquamur de unoquoque eorum per se, et deinde lo
quemur de eorum communitatibus et differentiis, sicut habet usus, incedentes secundum
viam aliorum.
109) Ebend.: Dicemus, quod verbum significans intentionem generis prius apud
eos secundum primam impositionem significabat aliud et deinde per impositionem se
-*
XVI. - Avicemma. 331
Indem er aberi durchaus von dem Standpumkle der griechischem Commen
talorem (Abschn. XI, Anm. 51 u. 133 ff.) inficirt ist, fühlt er sich ge
drumgen, sofort. vor der mäherem Erörterung des Gattungsbegriffes gleich
hier auf die Lehre von der Definition hinzuweisem (wenn auch mit dem
Vorbehalte einer späterem Auseinandersetzung), und er. wiederholt die
sehulmässige Notiz, , dass bei schlechthim einfachen Wesen die blosse
Namensbezeichnung am Stelle der Definition treten müsse, bei jenen
Wesenheiten aber, welche aus einer Melrheit von Substantialiem ver
flochten sind, die Definition in Angabe des genus und der differentia
bestehe 11°), während die Beschreibung. (Abschn. XI, Anm. 138) sich
nur in den äusserlichen Anzeichen des, Gegenstandes , bewege ''').
Hierauf num folgen Controversen. über dem Gattungsbegriff, indem zuerst
das Bedemken, dass in dem Inhalte eines Gallungsbegriffes wieder andere
Gattungen liegen können, und hiedurch möglicher Weise eine Gallung
von einer ober ihr selbst liegendem Gattung ausgesagt werde, dadurch
seine Erledigung findet, dass eine solche Aussage eine accidentelle sei,
indem der Gatlungsbegriff seinem Wesen mach ebem , ein , collectiver
cundam translatum est ad significandum intentionem, quae apud logicos vocatur genus
(vgl. Abschn. XI, Anm. 40.). Illi autem intentionem, in qua multi conveniebant,
vocabant genus veluti gentem (der Text gibt genus) eorum, ut ,, Caesares“, aut
patriam, ut ,,Aegyptii** ..... Videtur etiam mihi, qu0d officia et artes v0cabantur
genus. Et quoniam haec intentio , quae nunc vocatur apud logicos genus, fuit unum
in intellectu, quod habet comparationem ad multa, quae conveniunt in e0, quia in
lingua sua n0n erat ei nomen, quo appellarentur ea, quae sunt inler se similia,
transtulerunt ad hoc el vocaverunt* genus hoc, scilicet de quo loquuntur dialectici et
describunt dicentes, quod est id, quod praedicatur de pluribus differenlibus specie in
eo quod quid est. Jener Beisatz betreffs der Künste, welcher bei Boethius sich
nicht findet, ist hervorgehoben bei Albert. M. De praedicab. lII, 1, p. 27. B: Est
autem attendendum, qu0d Avicenna in primo libro logicae suae dicit, qu0d isti ambo
modi extenduntur etiam ad artificialia; aliquando enim ..... fabri dicuntur Tubal
cailae a Tubalcaim, qui artem fabrorum invenit.
1 10) f. 6. r. B: Prius autem quam incipiamus eaeponere hanc descriptionem,
involvamus , facile sensum diffinitionis et descriptionis, sed differemus eaepositionem
earum usque ad locum, qu0 0stendemus, quid sit syllogismus demonstrativus (s.
untem Anm. 226 ff.). Dicamus ergo , qu0d primum, quod praedicalur et quaeritur
in diffiniendo hoc est, scilicet ut nomen significet esse rei. Si autem intentio rei
fuerit intentio incompleva non composita eae multis intentionibus, tunc non debet
significari eius substantia nisi n0mine, qu0d tantum significat ipsam substantiam , et
hoc erit nomen eius tanlum nec erit aliquid, qu0 potius significetur esse rei, quam
proprium momen eius ; ...... qu0d ergo est huiusmodi, non habet diffinitionem , sed
habet n0men, quo ostendentur ei eætra et accidentia et comitantia. Si autem intentio
substanliae fuerit composita eae intentionibus, ea, quibus est eius esse ita, quod hae
dent ei esse, quia de substantialibus magis propria sunt ei genus et differentia,
differentiam aulem differentiae et genus generis et quod componitur eæ illis, habet
fmediante alio, quae continentur in genere vel differentia, oportet ideo, ut diffinitio
sit composita. eae genere et differentia; cum autem dederint genus propinquum et diffe
rentiam, quae est p0st ipsum, conficietur eae eis diffinitio, sicut hoc quod dicitur de
diffinitione hominis, quod est animal rationale.
111) Ebend.: In descriptione vero non quaeritur nisi ut componatur oratio ea.
consequentibus rem, quae sunt ei paria, quae habebit quidquid continetur sub ea et
nihil aliud, ita ut significet eam significatione signi; convenientius est autem, ut
prius ordinetur in ea genus aut proæimum, aut longinquum, et deinde apponantur
accidenlia aut proprielales; quod si ita non fuerit, erit tunc descriptio viliosa.
332 XVI. Avicenna.
sei *!*), d. h. das bezüglich des Inhaltes' auftauchende Bedenken wird
sogleich durch jene bei den griechischen Commentatorem allein herr
schende Auffassung (Abschn. XI, Anm. 43) beschwichtigt, wornach die
ganze Lehre vom Begriffe um der Tabula logica willem ausschliesslich
den Umfang im Auge hatte, und so trafen für die Lateiner in dieser
Gorruption der Logik . die Araber nachbarlichst mit der Tradition des
Boethius zusammem. Noch einlässlicher aber beschäftigt sich Avicenna
mit der Frage, ob denn die Definition des genus und jene der species
sich nicht gegenseitig im Kreise drehen, da genus mittelbar durch spe- -
cies und species mittelbar durch genus definirt werde, , was ein unwissen
schaftliches Verfahren sei; über die Lösung aber, welehe von Anderen
auf Grund der Annahme beigebracht wurde, dass genus und species
relative Begriffe seien, welche ebem darum wechselseitig durch sich
selbst erkannt werden müssen, geräth er völlig in Entrüstung, da ab
gesehen von der Werwirrung bezüglich des Begriffes der Relation der
Kernpunkt der Frage (ob nemlich wirklich in jenen beiden Definitionen
Unbekanntes durch Unbekanntes demonstrirt werde) übergangen sei ''*);
denn man müsse doch vor Allem unterscheiden zwischen jenem, eae
quo aliud scitur, und demjenigen, cum quo aliud scitur, indem nur
bei ersterem eine Priorität in der Demonstration bestehe 114). Und so
112) f. 6. v. A: Contingunt autem circa hoc quaestiones multae , quarum una
est, quod si genus habet aliquid, quod sit ei quasi genus et hoc est praedicatum
de multis, tunc genus praedicabitur de genere, quod est supra se. Ad quod respon
demus: quod praedicatur de multis, praedicatur de genere ut genus, sed genus de
eo non ut genus, sed ut accidens; non enim dicitur, quod omni praedicato de multis
accidit genus nisi aliquo respectu , sicut animali accidit generalitas aliqu0 respectu,
scilicel respectu communitatis. - -
113) Ebend.: Item quaeritur de hoc, quod accipimus nomen speciei in diffini
tione generis. Cum enim volueris diffinire speciem, videtur necessario apponendum
nomen generis, sicut postea ostendetur, cum dicitur, quod species est id quod poni
tur sub genere. Sed interroganti videtur esse ignotum; ostendere enim ignotum per
ignotum non est ostendere nec declarare ; omnis autem diffinitio vel descriptio est
declaratio. Ad hoc autem iam responderunt quidam dicentes, quod quia duorum rela
tivorum unum non intelligitur esse nisi comparatione alterius, genus autem et species
relativa sunt, ideo debet unusquisque eorum accipi in descriptione alterius necessario;.
unumquodque enim eorum non est id quod est nisi eae comparatione alterius. Haec
autem descriptio auget dubitationem in aliis, quae sunt praeter genus et speciem, in
quibus est implicatum, quod in genere et specie; augmentum vero implicationis non
est eæplicatio. Indagator etiam dicet tibi: adapta diffinitionem relativorum cum dif
finitione generis et speciei et fac scire, quomodo, cum sint simul incognita, scitur
alterum per alterum. Item in solutione solent considerari propositiones quaestionis
et destrui altera vel utraque ; in hac autem solutione , quam hic inducit, non con
sideravit propositiones; non enim divit, quod genus et species utraque non sunt
incognita apud introducendum, nec divit, cum sciatur alterum eæ altero, quum ipsum
sit ignotum, ,,non est hoc dicere ignotum per ignotum“; hoc enim negare impossibile
erat eum, nec poterit etiam negare, quod docere ignotum per ignotum non est decla
rare, nec diacit, quod eae ordine harum propositionum non provenit, quod quaeritur
eæ eis; quare hic non considergvit propositiones quaestionis nec suum syllogismum
in hoc fecit. Et etiam accidit ei maaeimus error eæ hoc, quod non potuit invenire
differentiam, quae est inter id quod scitur cum aliquo et id eae quo scitur aliud.
114) f. 6. v. B: Id enim eæ quo aliud scitur est id quod per se scitur et fit
pars ostendendi aliud, cui quum adiuncta fuerit alia pars, pervenietur ad cognitionem
alterius , quod iam cognitum fuerat numquam ante illud. Quod autem scitur cum
XVI. Avicenma. 333
raeh löse sich dieses ganze Bedenken dadurch, dass die übliche Defi
nition des genus vollständig richtig sieh verhalte, wenn auch nicht die
species als solche ausdrücklich beigezogen werde, denn die Function
der Form und des artmachenden Unterschiedes, welche im Artbegriffe
zur Erkenntmiss komme, sei kein Correlatives, für den Gattungsbegriff,
und die Definition des letzteren könne daher füglich dahim lautem, dass
derselbe von: Mehrerem, was unter sich substantielle Unterschiede ent
hält, ausgesagt, wird, ohne dass hiemit die Erwähnung des Artbegriffes
nothwendig wäre 11°). Ehen darum aber musste Avicenna in den Gat
tungsbegriff auch die Formfähigkeit und Bestimmbarkeit verlegen, welche
in ihrer Werwirklichung abwärts bis zu jenen Gestaltungen treibt, welehe
nicht mehr Gattungen sein können, und so gilt ihm die Gattung als die
primitive. Gfundlage für Erfassung des Was oder der quidditas, denn
der Galtungsbegriff kann nur dadurch „in eo, quod quid est“ ausgesagt
werden, dass das actuelle und intellectuelle Sein der Gatlung die Mög
lichkeit einer Formbildung durch , substantielle Unterschiede involvirt ''").
Wenn übrigens diese Auffassung durch das traditionelle Beispiel des
aliquo est id quod, cum perfecta fuerit cognitio rei eae conventu ostendentium rem,
simul sicut res etiam scietur ...... Cum autem sciuntur alia eæ aliis , sequitur, ut
cognitio unius sit prior cognitione alterius et non cum cognitione alterius; et ideo
id quod scitur cum aliquo aliud est ab eo ea, quo scitur aliud .... Unde dicimus,
qu0d relativa non diffiniuntur secundum hanc imperitiam, quam inveneral ille, qui
putat per eam solvere huiusmodi quaestionem; sed in diffinilione relalivorum est
quidam modus collationis, per quem removebilur haec perpleacitas, cuius declarationis
alius est locus. -
115) Ebend.: Postquam vero iam ostendimus, illum nihil determinasse, redi
bimus ad id, a quo digressi sumus, dicentes, quod diffinitio generis perfecta est,
licet non accipiatur in eu species secundum hoc quod species est et refertur ad ipsum,
sed secundum hoc quod est essentia. Cum enim intelligitur ea, specie esse et veritas
rei et forma ....., non erit tunc species ad genus; cum enim intelligitur .... diffe
rentia inesse et forma, iam perfecta est diffinitio generis. Cum enim diaceris, , qu0d
genus praedicatum de multis diversis in se ipsis esse et formis et substantialibus
ad interrogationem per quid sunt, iam perfecta est diffinitio generis, et non est ne
cesse, speciem eæ hoc, quod relata est, poni in eius diffinitione, quamvis relatio
aliquo modo haec intelligatur. Sed non est sic , ut propter hoc sit diffinilio, quae
est eorum, quorum unum diffinitur eæ altero, sed relatio, quae est hic, intelligitur
esse haec, quod quum diaceris, quod est praedicatum de multis diversis in esse, iam
posuisti diversa in esse praedicari de ipso, et hoc est, quod innuit de relatione,
quae tibi accidit.
116) Albert. M. Top. I, 2, 4, p. 672. B: Genus enim est primum subiectum in
quolibet, ut dicit Avicenna, formabile et determinabile differenliis , usque quo for
metur in specialissimas, quae differentiis non sunt formabiles, et ideo nullo modo
possunt esse genus ........ Quia vero genus est primum subiectum eius, in qu0 est,
• • - • • ideo oportet, quod in eo quod quid est praedicetur. Ad hoc autem, ut dicunt
Avicenna .et Algazel, tria eæiguntur. Unum quidem , quod genus aclu et inlelleclu
sit, ut quid eius de quo praedicetur .....; secundum aulem, qu0d sic sit per ali
quam potentiam, sed non de necessitate naturae et substantiae, ita quod sic insit
vel ponatur sic inesse, sive sit sic sive non ......;. tertium est, qu0d posito genere
statim potentia ' formali induta ponitur inferius, et in quod formabile est genus.
Ebend. De praedicab. IV, 1, p. 34. B: Avicenna enim dicit, quod genus uniuscuius
que , primum essentiale et informe subiectum est, quod primum dicilur, quia in eo
est prima potentia et prima inchoatio ad esse rei secundum substantiam et quiddi
tatem. w -
334 XVI. • Avicenna.
Porphyrius klar gemacht wurde, so erhoben sieh- hiegegen bei den
Lateinern theilweise theologisehe Bedenken ''").
Mit den spitzfindigsten Distinctionem schlägt sich Avicenna bei Be
sprechung der species herum, welche in der Reihenfolge der fünf Worte
darum den Vortritt vor dem artmachemden Unterschiede bekömmt, weil
in ihr die Wesenheit der Gattung die Grundlage - bilde, auf welcher
erst die Thätigkeit der Form ihre Wirksamkeit beginnen könne 14*).
Den hauptsächlichsten Gegenstand der controvertirenden Erklärung bietet
eine Unterscheidung dar, welehe wir bereits bei Alfarabi (Amm. 28)
wenigstens im Keime vorfanden. Nemlich das Wort, „species“, welches
ursprünglich in gewöhnlichem Sinne zunächst jede Form überhaupt
bezeichnete, sei dann darum, weil das unter eine Gaitung Fallemde ver
schiedene eigenthümliche Wesensformen zeigt, in technisch logischem
Sinne angewendet wordem ; hier aber seien sofort zwei Auffassungen
auseinandergetreten, indem man einerseits in allgemeineren und weiterem
Sinne die Species, in Beziehung zur Gattung bringe und sie als dasjenige
definire, von welehem die Gallung ausgesagt wird, oder andrerseits vim
eigentlicherem Sinne die species specialissima ins Auge fasse als das
jenige, was von mehreren nur numerär verschiedenen Dingen wesent
lich ausgesagt wird ' '°). Welche von beidem Auffassungen, deren keine
weitab hergeholt sei, da beiderseits der Begriff der specialitas sich
leicht einstellen konnte, eime geschichtliche Priorität in Anspruch nehmen
dürfe, lasse sich kaum entscheidem, (loch spreche die Wahrscheinlich
keit für die zweite '*"). Soll aber, nun erörtert werden, in welcher
117) Albert. M. De praedical. IV, 4, p. 42. A: Avicenna el Arabes dicunt, quod
animal rationale est ut genus ad hominem et ad angelos; quod falsum est, quia
angelus nullo modo proprie est animal, sed dicitur animal aliquando propter vivere
secundum intellectum. S. untem Anm. 134
118) Ebend. IV, 1, p. 34. A: Tractaturi de specie tanquam secundo universali
cogimur differre tractatum de differentia et tertio loco inter universalia ponere .....
Cuius tamen aliam rationem dicit esse Avicenna hanc, quia differentia non est, in
qua est genus per essentiam, cum differentia sit actus sive forma simpleæ, in specie
autem per essentiam est genus.
119) Log. f. 7. r. A: Species autem apud graecos dicebatur secundum aliam
intentionem praeter speciem logicam; nomen enim, quod transtulerunt graeci philo
sophi ad intentionem speciei logicae, prius imposuerant secundum primam institutionem
formae uniuscuiusque, et quia postea invenerunt, quod ea quae sunt sub eodem
genere habent formas et esse, quae sunt propria unicuique eorum , ideo vocaverunt
ea eae hoc quod sunt ita species, et sicut nomen generis continebat intentionem vul
garem et logicam, ita nomen speciei absolute continet intentionem vulgarem et logi
cam. Et sic nomen speciei logicae continet secundum logicos duas intentiones, qua
rum una est communior et alia magis propria. Communior autem intenlio haec est,
quam dicunt referri ad genus et diffiniunt dicentes, quod est posita sub genere aut
de qua praedicatur genus substantialiter el alia huiusmodi. Inlentio vero magis
propria est, quam aliquando describunt secundum aliquem respectum dicentes, quod
est species specialissima et haec est, quae significat esse, quod est commune pluri
bus non differentil)us substantialiter ......... Sed inter hos duos actus est differentia,
quum tantum secundum primam intentionem referatur ad genus, sed secundum secun
dam intentionem non referatur ad ipsum; ad hoc enim, ut praedicelur de pluribus
differentibus numero in quid, non est necesse, ut sit aliud quid communius quam
ipsa, quod praedicatur de ipsa. -
120) Ebend.: Deinde certissime nescio, uter eorum modorum secundum logicos
XVI. Avicemma. 335
der heidem Bedeutungen species in der Lehre von den fünf Universalien
zu nehmen sei, so könne die Eintheilumg der letzteren allerdings so
gestellt werdem, dass mur die Eine Bedeutung der Species zulässig ist;
denn theile man die universelle Bezeichnung des esse mach dem Gesichts
punkte, dass das Einzelne entweder der Art nach oder der Zahl nach
versehieden ist, so sei die auf die Gattung bezogene Definition der
Species ohnediess ausgeschlossen, und theile man den ersteren Gesiehts
punkt abermals nach der Möglichkeit einer Zulassung oder Nicht-zti
lassung eines allgemeimeren Gattungs-Prädicates, so liege darim die blosse
Potenz einer Beziehung der eigeutlich strieteren Species auf die Gat
tung '*'); theile man hingegen die Universalien ohne Berücksiehtigung
jener Verhältnisse, in welehen sie durch Vergleichung mit dem Ein
zelnen stehen, so gelange man ausschliesslicl, auf jeme Definition der
Species, welche die relative Bezugnahme auf die Gatlumg enthält '**).
Aber hinwiederum könme ja eine Eintheilung unmöglich alle fraglichem
Gesichtspunkte zugleich berücksichtigem , und so ergebe sich auch hier
erst als eine Folge der Einlheilung die Erwägung, dass die Universalien
fuerit prior; non est enim longe, quod id ad quod primum transtulerunt nomen spe
ciei, sit id quod est supra singularia; et deinde propter hoc, quod accidit ei habere
supra se aliam communiorem, vocaverunt , quod est sub communi huiusmodi, speci
alitatem; nec etiam est longe, quod alia intentio antiquorum sit, scilicet (der Text
gibt sed) quia hanc intentionem comitabatur, ut esset species specialissima, et prop
ter suam relationem restringentem specialitatem tantum absque generalitate posuerunt
digniorem tunc nomine specialitatis, et quia est statim post singularia, vocata est
species. Hoc aulem est quod ego nequeo discernere, quamvis magis foveam, quod
nomen non fuerit prius impositum speciei secundum respectum quo refertur ad genus.
121) f. 7. r. B: Debemus autem scire de specie, quae una est de quinque in
divisione prima, secundum quem istorum modorum est species. Dicamus ergo posse
esse, ut haec quinquemembris divisio fiat taliter, ut includat unum tantum duorum
modorum et non alium. Cum enim dicitur, quod nomen commune substantiale aut
dicitur significare esse aut non, si est significans esse, aul est significans esse com
•mune differentibus (ausgefallem ist: specie, aut est significans esse commune diffe
rentibus) numero non specie, tunc membrum significans esse continebat genus el
speciem, quae est statim post singularia, et eaecludit respectum speciei secundum
intenlionem , quae est in relatione generis secundum membrum primum. ''Et postea
praedicatum de multis differentibus specie in quid dividitur in id, quod est sic de
quo non praedicatur aliquid huiusmodi , et hoc erit quod vocatur genus tantum, et
in id, quod praedicatur de multis, de quo praedicatur aliquid huiusmodi, et secun
dum hunc respectum erit species. Sed haec divisio non attribuit numerum specialitatis
secundum intentionem relatam absolute, sed ostendit nobis potestatem huiusmodi spe
cialitatis secundum hunc respectum, scilicet quod est genus et habet specialitatem,
et ostendit nobis naturam speciei secundum respectum proprium salvam et integram.
122) Ebend.: Et possibile est autem dividi taliter, ut det nobis speciem, quae
est , secundum intentionem communem, et species secundum intentionem propriam sit
in secundo membro ...... Cum autem dividitur universale secundum quod est univer
sale, communicatior consideratio de illo est, ut dividatur divisione, quam habel
comparatione inferiorum suorum, quibus est universale, et tunc removebitur species
secundum intentionem communem et non habebitur postea nisi eae alio respectu, et
tunc species, quae primo percipitur, erit species secundum intentionem propriam. Si
autem mon curaverit de hoc nec de dispositionibus universalium et de accidentibus
eorum, quae sunt inter illa eæ hoc quod sunt universalia, sicut hoc, quod unum est
communius vel magis proprium comparatione alterius et non comparatione singularium,
tunc proveniet tibi species relativa.
336 XVI. Avicenna.
je nach ihrer relativen Allgemeinheit miteinander verglichen werden
können ***); wenn man daher sich auf diesen letzteren Standpunkt
stelle und sage, dass die quidditativem Prädicate nach grösserer oder
geringerer Allgemeinheit sich unterscheidem und hiernach entweder Gat
tung oder Species sind, letzlere aber ilìrerseits entweder abermals als
Gattung anderer Unterarten oder nicht mehr als Gattung auftreten kann,
so sei eine Eintheilung gewonnen, in welcher die relative Definition
der Species enthalten und zugleich die strictere nicht ausgeschlossem
sei '**). Werfe mam sich aber auf die gewöhnliche Eintheilung der
Universalien, wornach in dem von ihnen umfasstem gleichartigen Wielen
entweder Arl-Unterschiede oder mur numeräre Unterschiede bestehem,
und im ersteren Falle entweder das Substantiale sowohl nach Seite
des quid (genus) als auch nach Seite des quale (differentia), oder aber
das Accidentale (accidens) verlreten sein kanm, und ebenso im letzterem
Falle entweder das quid (species) oder das quale (proprium) bezeichnet
sein kann '*°), so gewinne man allerdings die strictere Definition der
Species im Sinne der species specialissima, gerathe aber in Schwierig
keiten betreffs der Differenz und der zu enge gefassten proprietas ;;;
.•
123) Ebend.: Non debet autem quis credere, ut haec quinquemembris divisio
sit includens omne id, in quo dividitur universale; aliquando enim aliquid dividitur
in aliqua, et excluduntur ab e0 alia, quae non includunlur nisi in alia divisione;
animal enim cum dividitur in loquens et in non loquens, .... eaecluditur volatile et
gressibile .... Non debes aulem persistere in dicendo, quod huec divisio quinquemem
bris debeat includere omnem intentionem cuiuscunque universalis et respectum eius,
sed debes scire, quod non ducit nos ad hoc implicitum nisi quia duo membra dis
creta conveniunt in uno nomine, quod est species. Convenientius est autem dicere,
quod cum haec quinque habila fuerint, provenit eae comparatione, quae est inter illa,
aliquid aliud, scilicet dispositio eius, quod est magis proprium inler ea, quae prae
dicantur in quid comparatione magis communis, ita qu0d sit specialitas magis
propria.
124) Ebend.: Si autem voluerit facere divisionem, eae qua detur nobis species
secundum inlenlionem relatam, quae est communior, tunc convenit dici, qu0d nomen
substantiale aut praedicatur in quid aut non; id autem quod praedicatur in quid,
intelligitur commune id, quod convenit responderi ad interrogationem factam de mul
tis, quid sint. Deinde dicemus, quod ea quae praedicantur in quid differant in
communitate et proprietate; quaedam enim eorum sunt communia et quaedam commu
niora; eae praedicabilibus autem in quid id , quod est communius, est , genus minus
communis, et minus commune est species communioris. Inventa autem specie divi
demus aliter dicenles necesse esse , ut aut species fiat genus alii speciei aut non.
Et haec divisio ostendit nobis quinque manifeste, et natura speciei secundum inten
tionem communem continetur in ea; species vero secundum intenlionem secundam
includetur in ea aliquo m0d0 ; sed in divisione prima non fuit ita.
125) f. 7. v. A: Vulgata autem divisio horum quinque affinior est primae divi
sioni; dividitur enim sic: omne nomen. incompleacum aut significat unum aut multa;
significans autem unum est momen singulare ; significans , autem multa aut significat
multa differentia specie aut numero; significans vero multa differentia specie aut est
substantiale aut est accidentale; si aulem est substantiale, aut praedicatur in quid
aut in quale quid; significans autem multa differenlia specie in quid ponitur genus;
significans quale quid est differentia; accidentale vero est accidens commune; deinde
dicitur , quod id, quod significat multa differentia numero, aut praedicatur in quid
et est species, aut praedicatur in quale quid et sic est proprietas.
126) Ebend.: Haec aulem eorum divisio non ingludit speciem secundum inten
tionem relativam nec differentiam secundum quod est differentia ..... Si autem consi
XVI. Avicenna. 337
Jedenfalls aber liege für die Species das Entscheidende darin, dass die
von ihr umfasste Vielheit mur numeräre Unterschiede innerhalb ihrer
selbst zulasse, denn hiedurch unterscheide sich die Species von Gattung
und von Accidens, und man müsse darum die numerären Unterschiede
in strengem Sinne auch nur von dem Numerären verstehen 137); andrer
seits aber unterscheide sich die Species von der Differenz und von
dem eigenthümlichen Merkmale durch dem quidditativen Charakter, und
somit beslehe die strictere Definition zu Recht '*°). Hingegem habe jene
andere weilere Definition ihre Bedenken, sowohl wenn das Verhältniss
der Subordination unter die Gattung zur Hauptsache gemacht wird, da
dann eine Vieldeutigkeit der Subordination möglich bleibt 1*°), als auch
wenn man das Verhältniss der Aussage hervorhebt, da damn die übliche
derarent, quod tu postea scies, non possent reprehendi; sed scies, eos nec conside
rasse nec percepisse, et ideo non possumus eos eaccusare; fortassis autem doctorum
primus (doch wohl Alfarabi?) consideravit; et in hac divisione non distinaverunt
inler proprietatem et differentiam, quam non habet nisi species, et ezcluserunt pro
prietatem , quae est proprietas speciei mediae (s. unten Anm. 151.) et compar eius;
non enim assignaverunt proprietatem secundum quod est proprietas speciei, sed secun
dum quod est proprietas speciei specialissimae, sicut non assignaverunt speciem nisi
specialissimam.
127) Ebend.: Certificemus nunc vulgatas descriptiones speciei dicentes , quod
speciei, secundum quod species non refertur ad genus, perspicitur diffinitio talis,
quod ipsa est quae praedicatur de pluribus numero differentibus in quid; in qua
non convenit cum ea nec genus nec accidens commune ; unumquodque enim eorum
praedicatur de multis differentibus specie, non autem de multis differentibus numero.
Hoc autem quod dicitur de multis differentibus numero debet inlelligi de numero tan
tum. Nisi enim sic intelligatur, eæ hoc, quod praedicatur de multis differentibus
numero, non prohiberetur praedicari de multis differentibus specie; praedicatur enim
de multis differentibus specie aliquando, quod praedicatur de multis differentibus
numero; quare proprielas huius nominis non est speciei, sed tantum eius quod prae
dicatur, nisi sic eaecludatur id, quod praedicatur de mullis differentibus specie, ab
eo, quod inlelligitur de hoc. Et hoc est, per quod differunt a specie genus el acci
dens, aut per quod discernitur, ab ea differre, quae praedicantur de multis differen
tibus specie.
128) f. 7. v. B: Sed non discernitur per hoc species a differentia, quae est
propria speciei, sicut est ralionale ...... Aliqui autem verbosi possunt eæcludere
ab hac diffinitione secundum hunc modum discernendi speciem a differentia. Modus
vero hic est, ut dicatur: eae natura speciei secundum hanc intentionem debet non
praedicari nisi de multis differentibus numero ; sed naturae differentiae non debetur
hoc. Et hic modus est eæceptus. Sed per hoc, quod praedicatur in quid, species
a differentia absolvitur et etiam differt a proprietate, proprietas enim non praedica
tur in quid. Ergo haec descriptio est recte assignata, quae non comitatur nisi in
tentionem, quae dicitur species specialissima.
129) Ebend.: Species vero, secundum quod refertur ad genus, habet duas de
scriptiones, quarum una est haec, qua dicitur, quod est posita sub genere, altera
vero, quod est id de quo praedicatur genus in quid. Debemus autem hoc conside
rare dicentes, quod si ,,posita sub genere“ intelligitur, quod sit magis propria quam
ipsum in praedicatione , ..... si vero intelligatur de eo, quod universale est tantum
et non singulare, ..... si vero intelligatur, quod est propinquius sibi coniunctum in
illo sine medio, ..... si vero intelligatur, quod est sibi coniunctum non in ordine
communitatis tantum, sed in ordine intentionis, .... si vero inlelligatur, quod est in
cuius matura est c0mmume ..... Hoc autem nomen „positum sub genere“ non signi
ficat hanc intenlionem eæpositam tot modis nec secundum impositionem nec secundum
usum ; non enim memini , me aliquo loco librorum auctorum huius artis invenisse,
hoc nomen sic debere inlelligi.
P R A N T l, Gesch. II. 22
338 - XVI. Avicenna.
Formulirung der Definition mangelhaft ist 1°°), — einer dritten un
wissenschaftlichen Definition der Species gar nicht zu gedenken '°').
Auf solcher Grundlage num lenkt Avicenna zur Tabula logica des Por
phyrius ein (s. Abschn. XI, Anm. 41), in welcher zwischen genus ge
neralissimum und species specialissima die Stufenfolge der Mittelglieder
sich bewegt 18*), und er glaubt hiedurch die Werschiedenheit der Auf
fassungen des Artbegriffes in das richtige Licht gestellt zu haben '**).
Die nähere Werdeutlichung der Tabelle des Porphyrius führt ihm auch
hier wieder auf jenen obigen (Amm. 117) für die Lateiner bedenklichem
Punkt 184).
Indem sodann die Erörterung über differentia folgen muss, eröffnet
Avicenna auch diese mit der Frage. über den Sprachgebrauch, welcher
nicht (wie bei genus und species) ursprünglich populär entstanden,
sondern von vorneherein ein Erzeugniss der Logik sei, indem man zu
nächst jedem substantiellen Unterschied mit jenem Worte bezeichnete
130) Ebend.: Descriptio vero secunda haec est, quod species est, de qua prae
dicatur genus eius in quid, aut sic dicitur, quod est id, de qu0 praedicalur genus
eius in quid. Contra tunc, si intelligitur praedicari in quid, quod iam ostendimus,
oportet aliquid addi, quod est, de qu0 et aliud praedicatur genus eius in quid, et
erit hoc proprium speciei .... Si autem ea, hoc, quod intelligitur, inter eam et dif
ferentiam et proprietatem et accidens differentia intelligitur, inter eam et singulare
non est differenlia, nisi contineatur in ea, quod sit universule huiusmodi.
131) f. 8. r. A: Qui autem diffinit dicens, quod species est id, qu0d est: magis
proprium de duobus universalibus praedicabilibus in quid, nescil diffinire speciem.
132) Ebend.: Dicemus autem nunc, quod genus aliud est genus, quod impos
sibile est fieri speciem, quum supra illud non est aliud communius genus, et aliud
est, qu0d secundum alium respectum potest fieri species, quia habet supra se genus
communius quam sit ipsum. Et similiter species, quia alia est species , quam im
possibile est fieri genus, nam non est species minus communis quam ipsa, et alia
est, quae alio respectu potest fieri genus, nam sub ipsa est alia species minus com
munis quam ipsa. 0rdinabitur erg0 genus multis modis, quia aliud est supremum
genus, quod non est species ullo modo ; et genus medium, quod est species et genus,
sub qu0 est species et supra qu0d est aliud genus ; et genus infimum, qu0d est
species el genus, sub qu0 n0n est genus. Similiter et species, quia alia est infima,
sub qua non est species ullo modo, nec est genus aliquo modo; et est species su
prema sub generalissimo genere, et supra eam non est species aliquo modo; et est
species media, quae est, species et genus, sed non unius .est genus et species.
Vulgatum autem exemplum huius est categoria substantiae (d. h. die arbor Por
phyriana).
133) Ebend.: Respectu inferiorum est duobus modis, scilicet in respectu eorum,
qu0d sunt sub ipsa, secundum hoc quod non sunt species, et etiam secundum quod
de illis praedicatur. Respectus vero, quem habet ad id, quod est sub ipsa secundum
praedicalionem , atlribuit ei inlentionem specialitatis non. relalive ad genus, et haec
est inlenlio secunda eius, qu0d dictum est. Alius vero respeclus attribuit ei, quod
est species et non genus el qu0d esl species specialissima, et est species eo modo,
quo diacimus. Intellectus autem eorum trium, quamvis sint comitantes se, sunt
tamen diversi; si autem species dicitur unaquaeque istarum intentionum , dicetur
de his lribus sola participalione nominis, sed diffinitionis ipsarum intellectu erunt
diversae.
134) f. 8. r. B: Illa autem differentia, quam attribuerunt substantiae, perve
niens usque ad hominem, non est recta, quamvis non impediat inlelligi id, quod
intenditur. Corpus enim habens animam, cùm complectitur vegetabilia cum sensibi
libus, non compleclitur angelos nisi sola participalione nominis; ergo corpus habens
animum non erit continens angelos u. s. w.
XVI. Avicenna. - 339
und - hernach eine dreifache Abstufung bemerkte 1°°), insoferne die
Differenz bald im weiteren Sinne 18°), bald in eugerem 137) und bald
in engstem Sinne, d. h. als artmachender Unterschied, betraehtet werden
könne, in welch letzterer Bedeutung die primäre wesentliche Function
der Differenz liege, da das Auftreten der übrigem Differenzen von dem
- Dasein (lieser ersten schlechthin bedingt sei 18*). Hieraus fliesse die
Distinction in trenmbare und untrennbare Differenzen, welch letztere
enlweder die Substanz oder die Merkmale betreffen können, sowie die
Unterscheidung (s. Absehn. XI, Anm. 44) in die bloss alterirende und
in die artmachende essentielle Differenz 189). Insoferne aber die Diffe
renz als eines der fünf Universalien in Betracht komme, müsse daran
festgehalten werden, dass sie von der Species nach Seite einer quali
tativen Bestimmung (in quale quid) der ihr entsprechenden Gattung
ausgesagt wird, wobei zwar jenes qualitative Moment verschiedentlich
gefasst werden könne '*"), aber nie die substantielle Function desselben
135) Ebend.: Differentiae nomen secundum logicos intentionem primam signi
ficat et secundam; hae aulem intentiones non sunt sicut 'intentiones generis et spe
ciei; prima enim posilio generis non fuit nisi a vulgo, translatio ver9 fuit a maio
ribus; sed differenliae nomen primum logici imposuerunt el deinde transtulerunt.
Cuius prima p0siti0 est haec, cum dicitur, quod differentia est, qua differt aliquid
ab aliquo substantialiler; postquam igitur sic fuclum est, debet differentia praedi
cari de tribus secundum prius et poslerius, ita scilicet ut differenlia alia esset com
munis et alia propria et alia magis propriu. Dieses wiederholt Albert. M. De prae
dicab. V, 1, p. 50. A.
136) Ebend.: Communis autem differentia est id, per quod potest aliquid dif
ferre ab aliquo, quod iterum potest differre per illud ab ipso, et per quam aliquid
potest differre a se ipso in duobus temporibus , cuius eaeemplum sunt accidentia
separabilia.
137) Ebend.: Propria vero differentia est id, quod accidentibus est praedicabile
comitans ; cum enim dicitur aliquid differre accidente inseparabili ab e0, qu0d per
ipsum differl, semper erit differenlia propria, ut differenlia hominis ab equ0 hoc,
quod est carnis nilidae.
138) f. 8. v. A: Differentia vero quae vocatur magis propria, est constitutiva
speciei, quae cum adiungitur naturae generis, efficit illud speciem et deinde comi
latur et accidit, quidquid comitatur et accidit; et haec est subslanlialis naturae
generis, quod constituitur in esse speciei, et haec dat esse, et distinguit et designat;
sicut est rationalitas homini, quae differt a ceteris, quue conveniunt cum ea; propria
enim primum concurrit naturae generis et accurrit et perficit, ceterae vero non ad
veniunt naturae communi, nisi postquam advenit haec et adaptat et praeparat ad
omnia, quae accidunt et comitantur; haec enim non adveniunt nec accidunt nisi post
hanc proprietatem, quae est sicut rationalitas homini ..... Debes autem scire certis
sime, quia differentia inter differentiam magis propriam et illas differentias haec est.
139) Ebend.: Unde potest dici, quod differentiarum aliae sunl separabiles aliae
inseparabiles; inseparabilium vero alia est sul)stanlialis et alia est accidentalis. Ilem
potest dici, quod differentiarum alia facit aliud alia alteratum; aliud vero est id,
cuius natura est alia, alteralum vero communius est quam illud ....... Differenlia
ergo, quae est magis propria, est causa essentialis differenliae facientis aliud secun
dum placitum auctorum huius arlis imponentium hoc momen.
140) Ebend.: Nostra autem intentio hic est, considerare hanc differenliam
tantum, quae est una eae quinque, et non alias ; cuis cerla descriptio est haec, quod
est universale simpleae praedicatum de specie in quale quid et secundum essenliam
generis sui. Et hoc etiam, quod praedicatur de specie in quale quid, habet etiam
multas descriptiones divulgatas, sicut hoc quod dicitur, quod differentia est, qua
differt a genere species, et etiam, qua abundat species a genere, et etiam, qua
22*
340 XVI. Avicemma.
zu vergessen sei 14!), sowie andrerseits die Species in ihrer Geltung
als Universale, d. h. in ilirer Aussagbarkeit von Mehrerem, bewahrt
werden müsse 1**), wenn auch die nähere Bestimmung dieses Verhält
nisses theilweise über die Aufgabe der Isagoge hinausgehe ***). Hieram
knüpft sich dann an der Hand des Porphyrius (Abschn. Xl. a. a. 0.) die
Unterscheidumg einer die Gattung theilenden und einer die Arten con--
stituirenden Wirkung der Differenz 144), wobei sich die Erwägung ein
stellt, dass manchen Differenzen nur die erstere dieser beidem ohne die
zweite zugeschrieben werden müsse, da das Entblösstsein (s. oben Anm.
34) nicht als , constituirende Differenz zu betrachten sei ***); irrig hin
differunt quae conveniunt in genere, et, quae praedicatur de pluribus differentibus
specie in quale quid. Ebenso aus Avicenna Albert. M. De praedicab. V, 1, p. 52. A.
141) Ebend.: Debemus autem diligenter considerare has descriptiones et certi
ficare eas. Dicemus ergo, quod cum addiderint unicuique harum descriptionum ali
quid, erit par; hoc autem est, ut dicalur substantialis, et hoc substanliale est id,
per quod differt substantialiter species a genere; proprietas enim, quamvis per eam
species differat, non est talium substantialium.
- 142) f. 8. v. B: Descriptiones vero tres priores, quamvis sint pares cum dif
ferentia, non tamen includunt id quod est in differentia ut genus eius, quo scilicet
completur diffinitio, quamvis sine eo possit haberi significatio substantialis aequalis,
sicut si aliquis diceret, quod homo est rationale mortale ..... Quod autem est quasi
genus differentiae, hoc est universale ; debet ergo addi illi. In descriplione vero iam
nominatur universale, cum dicitur praedicari de multis, praedicari enim de multis
est descriptio universalis, ergo iam attribuitur ei descriptio aliqua, quae est quasi
genus, quamvis non designetur eæ nomine.
143) Ebend.: Hoc autem, quod dicitur de pluribus differentibus specie, habet
tres intellectus: unum , quem non percipit, qui vult legere hunc librum, quem postea
ostendemus in suo loco (s. Amm. 228.); ceteri vero duo prope manifesti sunt,
quorum unus est, ut natura differentiae conlineat praedicatione plures species sine
dubio praeter illam unam speciem, a qua differtur; alius vero est, quod natura
differentiae debet praedicari, quale quid est unumquodque multorum differentium
specie inter se.
144) Ebend.: Deinde differentiae duas habent comparationes, unam ad id,
quod dividunt, sc. genus, et aliam ad id, in quod dividunt ; rationale etenim .....
est divisivum generis et constilulivum speciei; si autem genus fuerit generalissimum,
non habebit differentias nisi divisivas, si vero fuerit sub generalissimo, habebit dif
ferentias divisivas et constitutivas ; et differentiae divisivae constitutivae sunt, quae
dividunt genus eius et constituunt speciem eae eo ..... Divisivae vero sunt, quae
dividunt istud et constituunt speciem sub eo; constitulivae vero generis non sunt
minus communes quam ipsum, sed eius divisivae sunt minus communes quam ipsum
- - - - - - Nulla autem conslitutiva est nisi divisiva; divisivarum autem, secundum quod
videtur, aliqua est non conslituliva ; hoc aulem non est nisi in differentiis negativis
sive privatoriis, quae vere non sunt differentiae. In einer etwas abweichenden Form
berichtet hierüber. Albert. M. De praedicab. V, 6, p. 65 A: Dicendum cum Avicenna,
quod differentia in se tria habet, scilicet quod est simpleae divisiva et per hoc est
differentia; et quod est simpliciter cönstitutiva el hoc habet eo quod est divisiva;
habet et tertio, quod est ad certam speciem determinativa, et hoc non habet eae eo
quod est divisiva nec eae eo quod est constitutiva, sed hoc habet eae hoc, quod est
certa rei specialis natura et forma propria et essentialis.
145) f. 9. r. A: Privativae enim comilantes sunt rerum comparatione intentio
num, quibus carent; irrationale enim non intelligitur nisi respectu rationalis .....
Aliquando autem cogimur, nomen privatorium ponere pro intentione, quam habet res
in sua essentia, cum non fuerit eius nomen; propter hoc autem non oportet, quod
negatio haec sit proprium eius nomen, sed est nomen comitans illam, quod trans
fertur ab eo, cui inditum est, ad hóc ...... Privationes vero, eæ hoc quod sunt
XVI. Avicenna. 341
«
gegen sei es, zu glaubem, dass, wenn zwei Differenzen nacheinander
zur Constituirung eines Wesens wirken müssen, die erstere derselben
bloss eine theilende und hernach die zweite eine constituirende sei 14°),
sondern im Gegentheile bestehe überall eine Gleichzeitigkeit jener beiden
Functionem '*'). lndem aber die Differenz in dieser ihrer artmachenden
Wirksamkeit Wesem erzeuge, welche als solche eine Gradabstufung nicht
zulassen '**), könne ein solches Mehr oder Minder allerdings bei allen
übrigen Differenzen stattfinden, denn sowie bei blossem Qualitäten sich
eine Gradabstufung durch Beimischung der Gegensätze ergebe, so sei
auch bei dem artmachenden Unterschiede die äussere Erscheinung in
hindernde Einflüsse verwickelt, wodurch sich eine Manigfaltigkeit der
Intension der wirkenden Formen ergebe, während die artmachende Form
an sich hievon unberührt und einheitlich bleibe 14°). Endlich was die
privationes, non sunt intentiones constitutivae rerum , sed sunt accidentes et comi
tantes respective , postquùm iam sunt essentiae eorum ; tunc irrationale non est vera
differentia, in qua conveniunt bruta, et quae sit constitutiva eorum. Si autem aliquis
..... voluerit modum, qui habetur verissime, non erant istae differentiae; quomodo
enim essent differentiae, cum non constituant aliquam specierum? Vgl. Anm. 198.
146) Ebend.: De hoc autem, quod quidam putant, quod differentiarum quaedam
sunt conferentes esse, quae dividunlur, et deinde eaespectant, donec alia veniat dif
ferentia et constituat simul, sicut rationale, quod fortasse putatur animal dividere,
sed eaespectat ad constituendam speciem, donec ei adiungatur mortale, haec opinio
falsa est; differentia enim, quae non dividit et provenit eae ea constitulio speciei,
mon est necesse omnino , ut sit constituens speciem specialissimam; interest enim,
an dicamus, quod speciem constituunt, aut dicamus , quod constituunt speciem spe
cialissimam. Hierauf bezieht sich Albert. M. De praedicab. VIII, 8, p. 87 B: Dicit
Avicenna, quod differentiae non eiusdem ordinis conveniunt ad speciei constitutionem,
quarum una est prior et altera posterior, sicut rationale, quod est communius quam
homo, et mortale, quod posterius in eadem rationali natura acceptum est determinans
ad speciem hominis.
147) Log. f. 9. r. A: Animal rationale est, cuius iunctura habet intentionem in
tellectivam, quae est minus quam animal; et non est differentia, sed differentia est
pars eius, sc. rationale, nec est proprium ; ergo sine dubio est species eius ; simi
liter ostenditur, quod sit genus hominis , sicut manifestavit auctor Isagogarum alias
(Porph Isag. 12, s. Abschn. XI,. Anm. 54.); rationale igitur iam constituit speciem,
ad quam erat genus; cum ergo dividit, constituit sine dubio. -
148) Ehend.: Dicemus autem nunc, quod essentia uniuscuiusque rei una est;
oportet ergo, ut essentia rei nec augeatur nec minuatur. -
149) f. 9. r. B: Alias vero differentias, quae adveniunt post essentiam, nihil
prohibet recipere magis et minus, sive sint separabiles .... sive sint inseparabales ....
Et quamvis hominum alius sit subtilior alius vero hebetior, non tamen virtus ratio
nalis recipit magis et minus , licet etiam aliquis esset, qui omnino nihil intelligeret
sicut infans ; hoc enim accidens non esset eius differentia; eius enim differentia est,
quod in sua substantia est virtus, quae, quum nihil prohibuerit, operabitur ratio
males operationes, et haec virtus est una. Hiezu Albert. M. De praedicab. V, 2, p.
54 A: Respondet Avicenna ad primum quidem dicens, quod dupleæ est intensio et
dupleæ est intensionis causa. Una quidem per contrarii maiorem vel minorem ad
miaetionem , ..... sicut est in qualitatibus quae dicuntur sensibiles, ..... verum enim
album est , cuius albedo nihil contrarii habet admiactum ..... Secundus modus est in
his, quae permiaetibilia non sunt, sed causantur a subiectis, in quibus sunt; haec
igitur, quia sunt esse subiecti consequentia, necesse est accidentia esse, ..... et
ideo illis habitudinibus magis et minus eæistentibus necesse est etiam tales formas
intendi , vel remitti, propter quod habilior ad mirandum risibilior est .... Ad hoc
autem, quod de differentiis essentialibus et substantialibus obiicitur, solvit Avicenna
342 - XVI. Avicemma.
Wortform betreffe, in welcher die Differenz ausgedrückt wird, müsse
der gleiche Standpumkt wie bei allem Universalien eingehaltem werden,
d. h. die Differenz müsse von dem unter sie Fallenden als Prädicat,
welches Namen und Begriffsbestimmung enthält, ausgesagt werden können,
und so sei z. B. nicht ,,Vernünftigkeit“, sondern ,,Vernünftig* als con
stituirende Differenz der Speeies „Mensch* zu bezeichnen *°°).
Das proprium oder die proprietas wird gleichfalls zunächst naeh
seiner Wortbedeutung untersucht, wobei Avicenna sowohl den umbe
stimmt allgemeinen Sinn als auch eine allzu enge Abgränzung dieses
Wortes abweist; nemlich für die Lehre von den fünf Universaliem komme
nur jenes eigenthümliche Merkmal in Betracht, welches von den Indi
viduem Einer Species nach Seite der Qualität ausgesagt werde, und
wolle man diess auf diejenigen eigenthümlichem Merkmale beschränken,
welche *allem lndividuem stets gleichmässig zukommen, so müsste dieses
proprium im engstem Simne als sechstes Universale betrachtet werden 1°').
Tritt aber hiemit das eigenthümliche Merkmal mäher an die Differenz
heran '**), so bleibt es auch in einer gewissen Verbimdung mit den
übrigen Merkmalem, welche als begleitende Folgen durch die Substan
sic, quod forma substantialis, a qua sumitur differentia; tripliciter consideratur,
scilicet ut forma esse conferens, et ut differentia, quia una species comparatur ad
aliud alterius speciei, et ut agtionis naturalis sive substantialis principium, u. s. w.
..... (f. 55 A) Declaratum est igitur , quod ..... dicendum est, differenliarum alias
quidem esse separabiles, alias autem inseparabiles.
150) Log. f. 9. r. B: Debes autem scire, quod differentia, quae est una de
quinque, est sicut rationale, quod praedicatur de specie absolute ; rationalitas autem
praedicatur de specie denomihative. Haec quinque sunt unum quoddam, scilicet hoc
nomen ,,universale“, cuius forma nominis in illis omnibus est, ut praedicetur de
omnibus suis singularibus, quae conveniunt in eo, sic ut attribuat ei nomen suum
et diffinitionem suam; rationalitas autem non dat alicui nomen suum vel diffinitionem
suam; hoc autem si vocatur differentia, sit differentia, sed alterius intentionis ab
ea intentione, de qua loquimur. Similiter intellige proprietatem et accidens ; haec
enim quinque debent praedicari ad modum praedicationis generis et speciei secundum
hoc quod est praedicatio. Polemisch erwähnt bei Albert. M. De praedicab. V, 6,
p. 64 B: Dicunt alii, quod cum dicitur, universale est, quod praedicatur de pluribus
sibi subiectis, hoc dictum est, non quod actu praedicetur de multis, sed quod apti
tudinem habet, quod sit in multis ..... Unde cum species subiectum sit, de quo
praedicari habet hoc universale differentia, dicunt, quod aptitudine praedicatur de
pluribus, quamvis aliqua differentia actu non sit nisi in una sola specie. Et hanc
opinionem recitat Avicenna, et est omnino falsa. Vgl. obige Anm. 89.
151) Log. f. 9. r. B: Proprietas autem dicitur secundum logicos duobus modis ;
uno m0d0 , quia dicitur de omni intentione, quae est propria alicui sive absolute
sive comparatione alicuius; alio modo , quia dicitur de aliquo, quod est proprium
alicuius speciei per se et non alteri ; aliquando etiam proprium dicitur, quòd est
speciei omnis et semper. Proprium autem, quod est hic unum de quinque secundum
logic0s, ut puta id quod est medium ipsorum, est quod praedicatur de individuis
unius speciei in quale quid non substantialiter, sive sit commune semper sive non;
quod enim est commune semper, sive sit species specialissima sive media, magis
proprium est quam hoc; si autem hoc esset proprietas, quae esset una de quinque,
tunc maior esset divisio quam in quinque (s. Abschn. XI, Anm 134).
152) f. 9. v. A: Usus autem fuit, proprium accipi id, quod est proprium spe
ciei et dans differentiam. Albert. M. de praedicab. VI, 1, p. 71 B: Cuius eaeemplum
dat Avicenna satis conveniens; ea, hoc enim, quod homo est animal rationale vel
intellectuale per principia homini essentialia, sequitur, quod sit admirativus, .....
est igitur aptus natus ad ridendum , etiamsi actu, non rideat.
XVI. Avicenna. 343
tialität bedingt sind (s. Anm. 97 f.), und es darf sonach in dieser Be
ziehung kein schroffer Gegensatz zwischem proprium und accidens com
mune aufgeslellt werden '°°), sowie die bei Porphyrius (Abschn. XI,
Amm. 46) gegebene Viertheilung des proprium nichi mehr in Anschlag,
kömmt *°*). Bezüglich des Sprachausdruckes kehrt hier die nemliche
Bemerkung wie bei der Species (Amm. 150) wieder, dass nemlich z.
B. nicht ,,risibilitas“, sondern , ,,risibile“ das eigentliche Universale
sei 158). -
In gleicher Weise beruht auf Obigem (Ann. 97 f.) aueh dasjenige,
was über das accidens bemerkt wird '°°), und sowie schon gelegentlich
des proprium die Auctorität des Porphyrius etwas zurückgetreten war,
so steigert sieh diess hier zur directen Polemik. Nemlich wenn acci
dens commune dasjenige ist, was von mehrerem in ihrer Art verschie
denen Dingen qualitativ ausgesagt wird, so sei hiebei nicht sofort eine
Gegensätzlichkeit gegen die Substanz gedacht, denn wenn das accidens
commune zu den fünf Universalien gehören solle, so handle es sich
darum, dass es in gleicher Weise wie die übrigen Universalien aus
sagbar sei, d. h. z. B. in dem Urtheile ,,Sokrates ist weiss“ werde
von Sokrates ausgesagt, dass er ein die Weisse an sich tragendes Ding
sei, eben diese Aussage aber enthalte nicht eimen Gegensatz gegen die
Substanz 1°7). Denn ,,accidens“ sei hier gleichbedeutend mit „acciden
tale“, welch letzteres dem „substantiale“ gegenüberstehe, und sowie
153) Log. f. 9. v. A: Quidam autem voluerunt omnia alia praeter proprium
ponere inter accidentia communia, ita ut non sit nisi unius speciei tantum, sed non
omni aut alicui eius parti, et sit possibile illam partem illud non habere .... Sed
haec dictio est vitiosa non significans rem vel communitatem eius et proprietatem eius
et unitatem eius, sed secundum aliud; nomen enim accidentis communis ponunt op
poni proprio.
154) Ebend.: Acceptio communior facit proprietates dividi in quatuor, scilicet
in proprietatem, quae convenit alicui speciei, sed non soli, ..... et in eam, quae
contingit omni speciei, et in eam, quae convenit soli speciei, sed vel cuique vel non
omni, .... et in eam, quae convenit omni et semper ..... Proprietas autem, quae
dignior est esse una de quinque, est illa quam diavimus.
155) Ebend.: Debes autem scire, quod proprietas quae est una de quinque,
est risibile, non risibilitas, et navigabile, non navigabilitas, et alia huiusmodi, sicut
divimus in differentia ; aliquando tumen concedimus in verbis et accipimus risibili
tatem loco risibilis. Diess ist wiederholt bei Albert. M. De praedicab. VI, 2, p.
73 B. ' *.
156) Albert. M. De praedicam. IV, 1, p. 141 B: Tam Porphyrius quam etiam
Aristoteles et Avicenna dicunt, quod accidens du0bus modis praedicatur;.... quoddam
enim est forma tabsoluta et non per aliquid est accidens, .... et sic quantitas est
accidens et qualitas et huiusmodi; quoddam autem est accidens, non quia sequatur
esse rei perfectum, .... sed eæ aliquo, quod est eaetrinsecus se habens ad rei sub
stantialia.
157) Log. f. 9. v. A: Accidens vero commune est id, quod est praedicabile
de pluribus differentibus specie non substantialiter, ut album, non ut albedo. Non
est autem hoc accidens illud, quod est 0pp0situm substanliae, sicut multi putant;.
ipsum enim non praedicatur de suo subiecto sic, ut sit ipsum, sed denominatur ab
eo nomen; haec autem quinque praedicantur uno m0d0 , sicut iam saepe diacimus;
accidens autem commune, quod est hic, est sicut album et sicut unum et alia huius
modi; dicitur enim ,,Socrates est albus“, i e. Socrates est aliquid et albedo; res
autem habens albedinem est id, quod praedicatur de Socrate praedicatione vera, sed
res habens albedinem non est accidens e0 m0d0, qu0 est oppositum substantiae.
344 XVI. Avicenna.
umgekehrt ein essentiale zuweilen Accidens sein könne (z. B. das essen
tiale des Farbe-Seins überhaupt), ebenso könne ein accidentale zuweilen
Substanz (d. h. allerdings nicht substantiale) sein ; bezüglich dieser
, ganzen Unterscheidung aber habe Porphyrius unbedaehtsam geredet *°°).
Und in der That müssen wir dem Avicenna zugestehen, dass er in
diesen Fragen die Hohlheit der Angaben des Porphyrius (Abschn. XI,
Anm. 44 ff.) sowohl betreffs der Trennung in accidens separabile und
accidens inseparabile !°°), als auch in der ganzen. Einzel-Entwicklung
durchschaute 1°°).
Hiemit schliesst der erste Theil '"'), und es beginnt nun entspre
chend dem Porphyrius (a. a. 0. Anm. 49 ff.) die übliche Erörterung über
die Berührungspunkte und Untersehiede der fünf Universalien unter
sich 1°*), wobei wir beachten müssem, dass die Lateiner ein beson
deres Gewicht auf Avicenna's Berichtigungen und Zusätze legten 1°°);
ja hierim allein liegt auch in der That für uns die Nöthigung, jene Con
troversen, welche für das Abendland einflussreich waren, in möglichster
Kürze anzuführen. Avicenna tadelt zunächst bezüglich des zwischen
158) f. 9. v. B: Accidens autem intelligitur hic pro accidentali, quamvis non
sit accidens secundum veram intentionem; accidentale autem aliud est proprium aliud
commune; accidentale autem est oppositum substantiali et essentiali, accidens vero
opposilum est substantiae. Essentiale vero aliquando est accidens, ut genus acci
dentis, sicut color albedini, aliquando est substantia; accidentale similiter aliquando
est accidens, aliquando est subslantia. Hic autem accidens non intelligitur nisi acci
dentale, quamvis nondum oslendimus dispositionem accidentis , quod est oppositum
substantiae. - Et hoc est, quod primum non consideravit, qui proposuit, assignationem
quinque horum ante logicam. Albert. M. De praedicab. VII, 1, p. 76 B: Anicenna
Porphyrium redarguit, quod omissa determinatione accidentis, cuius intentio nota non
erat, statim processit ad descriptiones ipsius. Hiezu obige Anm. 29.
159) Albert. M. De praedicab. VlI, 2, p. 76 B: Dicit etiam Avicenna, vilium
esse in hoc, quod .... dividunt accidens in accidens separabile et inseparabile, dicen
tes, quod dormire vel sedere est separabile accidens, nigrum vero esse corvo et Aethiopi
inseparabiliter accidit.
160) Log. f. 9. v. B: Deinde accidens commune habet descriptiones divulgatas,
sicut haec, quae dicit, quod accidens est, quod adest et abest praeter subiecti cor
ruptionem, et ..... quod potest idem habere et non habere, et, quod est nec genus
nec species nec differentia nec proprium, semper autem in subiecto subsistens. Con
sideremus ergo has descriptiones divulgatas. Prima autem multis modis vitiosa est
u. s. w. In descriptione autem per negationem tertia .... si addiderint ei, quod est
universale, huiusm0di appropriabitur accidenti communi, .... hic autem non addidit,
nisi quia putavit eae hoc, accidens, quod est hic unum de quinque, esse accidens,
qu0d est oppositum substantiae. Hiezu obige Anm. 30.
161) Ebend.: Eaepleta est pars prima libri collectionis primae, el deo, cui nihil
est simile, sint gratiae infinitae.
162) Ebend.: Cognitio eius, quod dictum est de divisione horum quinque, suf
ficit ad agendum de communitatibus et differentiis , quae sunt inter haec quinque.
Usus autem fuit in libris introductionum agere de his; faciemus ergo, sicut et illi
considerantes diacerunt.
163) Albert. M. De praedicab. IX, 1, p. 91. A: Quamvis in antehabitis iam
determinatum sit id, quod de quinque universalibus tradidit Porphyrius, tamen adhuc
$unt quaedam, quae utile est scire de his, quae eae logicis doctrinis Arabum in
latinum transtulit Avendat Israelita philosophus et maæime , de logica Avicennae.
Primum capitulum huius doctrinae est de comparatione istorum quinqüe inter se, et
haec ad perfectionem doctrinae ponimus.
XVI. Avicenna. 345
Gattung und Differenz bestehenden Berührumgspunktes das von Porphy
rius gewählte Beispiel '"*), sodann findet er Gelegenheit, im Hinblicke
auf die Differenz die quidditative Aussage derartig zu distinguiren, dass
es auch ein praedicari quasi in quid gebe, welehes bei jedem inner
halb der essentiellem Quiddität Enthaltemen stattfinde und somit auch
von der Differenz gelten müsse 1"°); fermer verwahrt er sich einmal
ausdrücklich dagegen, dass die Gattung direct als Stoff und die Diffe
renz als Form bezeichnet werde, da eine solche Auffassumg immerhin
nur gleichnissweise gemeint sein könne '°"). Und sowie er hinwiederum
vom einem Berührungspumkte zwischen Gattumg und proprium bemerkt,
dass derselbe bei Porphyrius an unrechter Stelle besprochen sei '°7),
so. tadelt er auch, dass die Eine jener Werschiedemheiten, welche zwi
schen Differenz und Species bestehen, nur auf Species im engsten Sinne
sich beziehe, sowie dass bei einer anderen ein schiefes Beispiel ge
wäblt sei 1°°); ebenso muss er (vgl. Anm. 159) den Unterschied, wel
chen Porphyrius zwischen Differenz und untrennbarem Merkmale auf
-
164) f. 10. r. A: Genus autem et differentia conveniunt in vulgato; natura
enim generis debet praedicari de speciebus ...... Exemplum autem huius posuerunt
rationale, quod contineat multas species, et tu nosti, quid sit in hoc; quare, sicut
nosti, non bene fecerunt in ponendo hoc eaeemplum rationale; quamvis enim conti
neat plures species, non tamen illae species propinquae sunl illius, sed sunt species
unius speciei, quam constituit rationale, quum adiungitur animali.
165) f. 10. r. B: Modus aulem, secundum quem processimus in ostendendo
id, qu0d est praedicabile in quid et praedicabile in quale quid, ostendet libi, quod
praedicabile in quid non est praedicabile in quale quid ....... Potest autem aliquis
dicere nobis: vos iam saepe aperte divistis, quod differentia aliquando praedicatur
in quid, et praecipue in libro demonstrationis. Contra quem dicemus, quoniam in
terest inter hoc, quod dicimus aliquid praedicari in quid el aliquid praedicari quasi
in quid, sicut interest inter hoc, quod dicimus esse, et hoc, quod dicimus contineri
in esse; praedicabile enim quasi in quid est omne id, quod continetur in intentione
facta de esse, et illud solum non significat esse; praedicabile in quid est id solum,
quod respondetur ad quid; differentia vero continetur in esse et quasi in quid, quo
niam est pars eius, quod respondetur ad quid.
166) f. 10. v. A: Sunt autem hic aliae differentiae , quae nunc differuntur
alias dicendae; quandoquidem genus non est materia nec differentia est forma, sed
est sicut materia eo, quod natura eius in intellectu est recipiens differentiam, cui
quum advenit differentia, fit ipsum aliquid earistens in actu, qualis est dispositio
materiae et formae. Vgl. Anm. 193.
167) f. 10. v. B: Item alia communitas (d. h. generis et proprii) est, quod
nalura generis praedicatur de speciebus sub se contentis aequaliter ...... Haec autem
communitas si designaretur in communitate, quae est inter genus et speciem et dif
ferentiam, melius esset; sed ibi praetermissum ponit hic.
168) f. 11. r. A: Differentia secunda (d. h. differentiae et speciei) est, quod
species non praedicatur nisi de pluribus differentibus numero tantum, differentia vero
plurimum aut frequenter praedicatur de pluribus differentibus specie ; quae discre
pantia est inter differentiam et speciem specialissimam, non inter differentiam et
speciem absolute (dieses wiederholt Alberl. M. De praedicab. VIII, 8, p. 87. A).
Tertia vero discrepantia est, quod differentia est prior specie, et posuit eaeemplum
huius secundum destructionem dicens, quod rationale sublatum removet hominem;
sed non removetur sublato homine , angelus enim rationale ; nec posuit differentiam
et speciem, quae sunt simul, sed accepit differentiam generis hominis et comparavit
homini ; sed si aliquis diceret, quod species est prior differentia, quae est rationale,
esset devius a veritate. -
\.
346 XVI. Avicenna.
stellt, naeh Form und Inhalt bekänpfen 169) und bezüglich des Unter.
schiedes zwischen Differenz und eigenthümlichem Merkmale auf die
Nothwendigkeit hinweisen, dass der Begriff der Differenz genau und
gleichmässig eingehalten werde 17"). Sodann aber folgt die sehr rich
tige Bemerkung (vgl. Abschn. XI, Amm. 53), dass, wenn man überhaupt
die fünf Universaliem in ihrem wechselseitigen Verhältnissen betrachten
wolle, ein weit planmässigeres Verfahren, als jenes des Porphyrius ist,
eingesehlagen werden müsse 171), und nach wiederholter Hinweisung
(vgl. oben Anm. 107) darauf, dass die Universalien wechselseitig in
einem engerem substantiellen Nexus stehen 11*) und gerade hierin sieh
die richtige Auffassung des artmachendem Unterschiedes ergebe 17°),
fügt Avicemma noch eine neue erläuternde Betrachtung hinzu, in welcher
an einzelnen Beispielem gezeigt wird, dass manche Begriffe zwei Univer
salien zugleich (z. B. Gattung und Differenz oder Gattumg und Aecidens
169) f. 11. r. B: Differentia et accidens inseparabile ..... differunt in hoc,
quod differentia semper continet id , cuius est differentia, sed non continetur ab eo.
• • • • • • • 0blitus autem fuit huius quod diaeerat , scilicet quod unum subiectum ali
quando multas habet differentias, quae conveniunt in illo. Nomen autem continendi
est nomen ambiguum, non doctrinale, nec oportet agere de illo; quod autem in
lelligitur de modo continendi, qui attribuitur accidenti et generi, diversum est a
modo, qui negatur ab eis. Erat autem alius modus , quem dicere melius fuerat,
scilicet quod accidens aliquando continetur et aliquando continet; subiectum enim se
cundum aliquid est c0mmunius et secundum aliquid minus commune.
170) f. 11. v. A : Differunt autem (sc. species et proprium) in hoc, quod id,
quod est species alicuius, fit genus alterius, proprium vero non fit proprium alterius.
Haec autem differentia nimis dissoluta est. Primum quidem in praemissis non con
sideravit differentiam, quae est inler speciem, quae est sub genere, et aliud, sed
semper intendit de specie specialissima, nunc autem praetermittit illud et intendit de
specie , quae est sub genere .... Sed si diceret, quod species alicuius aliquando fit
proprium alterius, proprium vero non fit species, conveniens esset differentia, sed
iudicium de specie esset falsum ........ Alia differentia est, quod species est prior
in esse , proprietas vero posterior, et hoc est intelligibile et concedendum; deinde
subiunacit aliam differentiam, scilicet quod species semper est in actu, proprium ali
quando, sed hic est contrarietas.
171) f. 11. v. B: Si enim recte incessisset, debuerat assignare communitates,
quae sunt inter quinque, et deinde quae sunt inter quaterna et quaterna, et deinde
inler terna et terna, et deinde inler bina et bina; similiter debuerat prius assignare
differentias uniuscuiusque ad reliqua quatuor, et deinde duorum ad tria , et deinde
uniuscuiusque ad aliud proprie; et si diligenter ivisset, ut debuit, non esset ibi
communitas vel differentia inter aliqua duo, quas praetermitteret indiffinite et non
assignaret eas inter alia duo, quasi fortasse assignari , ubi praetermisit, convenien
tius esset. -
172) Ebend.: Postquam iam ostendimus haec quinque universalia, debemus scire,
quoniam id, quod eæ illis est genus , non est genus uniuscuiusque rei, sed solius
suae speciei; similiter et differentia non est differentia uniuscuiusque rei, sed secun
dum hoc, qu0d est divisiva unius generis. Debes etiam scire, qu0d unumquodque
istorum potest esse genus vel quasi genus et differentia et species et proprium et
accidens. -
173) Ebend.: Genus autem non est genus differentiae ullo modo, nec differentia
est species generis ; si enim ita esset, tunc differentiae esset alia differentia; diffe
rentia enim est inlentio eaetra naturam generis ; ralionale etenim non est animal
habens rationem, sed quandam habens rationem, quamvis comitetur illud esse ani
mal, animal enim habens rati0nem h0m0 est.
XVI. Avicenna. 347
oder Gattung und eigenthümliches Merkmal u. s. w.) in sich repräsen
tiren können 174).
Hiemit schliesst der zweite Theil 178), und es folgt nun noch eine
Discussion, welche unter Allem die bedeutendste Wichtigkeit für das
lateinische Abendland im sich trägt. Nemlich obwohl Avicenna zu An
fang (Amm. 90) die tieferen Fragen über die Geltung der Universalien
abgelehmt hatte, beruft er sieh nun hier auf den allgemeimen Gebrauch,
wornacli zumeist im Ansehlusse am die Besprechung des Gattungs- und
Art-Begriffes die Frage erörtert wurde, inwieferme die Universalien in
tellectuell und inwieferne matürlich und inwieferne logisch seien '"").
Die Beantwortumg mum, welehe Avicemma gibt, zeigt uns die Durch
führung jenes Intellectualismus, welchen wir bereits bei Alfarabi (Amm.
23 ff.) trafen 177), und welcher von Avicenna schon in dem Angaben
über die Stellung der Logik (s. hes. Anm. 74) zu Grund gelegt war.
Er wähll hier zur näheren Darlegung seiner Ansicht dem Gattungsbegriff
als Beispiel am Stelle aller einzelnen Universalien und beginnt mit der
Bemerkung, dass z. B. „Thier an sich* unabhängig von simnlicher Wahr
nehimung und vom psyehisch-intellectueller Auffassung und ebenso unab
hängig von Universalität und Singularität zu verstehen sei, denn wäre
es an sich universell, so gäbe es kein einzelnes Thier, und wäre es
an sich singulär, so gäbe es mur Eines, und so werde auch im Denken
„Thier** eben nur kurzweg als Thier gedacht, während dieser Begriff
durch Universalität oder Singularität im Denken neue Zusätze erhalte '"*),
174) f. 12. r. A: Debet etiam sciri, quod haec quinque aliquando commiscentur
inter se multis modis. Genus enim cum differentia; ,, apprehendens** enim est quasi
genus differentiae hominis, quae est rationale ...... Aliquando autem commiscetur
genus cum accidente, sicut ,,color“, qui est genus accidentium hominis. Permiaetio
autem generis cum proprietate est, sicut ,,admirans in actu** quod est ut genus
ridentis in actu ...... Differentia etiam aliquando miscetur cum genere, sicut ,, sen
sibile“, quod esl differentia et genus hominis ...... Proprietas aliquando miscetur
cum genere, ,,gressibile** enim est proprietus communis hominis ...... Aliquando
autem miscetur cum accidente communi , ,,visibile** etenim est proprietas colorati.
Accidens autem aliquando miscetur cum genere. ››
175) Ebend.: Completa est secunda pars libri primi, et ei, qui dedit scire,
sint gratiae infinitae.
176) Ebend.: Usus fuit, ut, cum quinque haec distinguerentur, diceretur se
cundum hoc, quod uno respectu sunt naturalia et alio respectu logicalia et alio in
tellectualia , et fortassis etiam diceretur, quod uno respeclu sunt absque multiplici
tate et alio cum multiplicitate ; et fuit usus, ut tractatus de his poneretur continuus
cum tractatu' generis et speciei, quamvis hoc commune sit quinque universalibus.
177) Die in Anm. 23, 24. u. 25. angeführten Stellem aus Albertus Magnus
erhalten hiemit hier, insoweit sie neben dem Alfarabi auch dem Avicenna betreffen,
von selbst ihre Werwendung.
178) f. 12. r. A: Dicemus ergo imitantes priores, quod unumquodque eorum,
quae ponuntur eaeempla pro aliquo istorum quinque, est in se aliquid aliud .....
Ponamus autem in hoc eaeemplum generis dicentes, quod animal est in se quoddam
et idem est, utrum sit sensibile aut sit intellectum in anima, in se autem huius nec
est universale nec est singulare. Si enim esset universale ita, quod animalitas eae
hoc, quod est animalitas, est universalis , oporteret , nullum animal esse singulare,
sed omne animal esset universale; si autem animal eae hoc, quod est animal, esset
singulare, impossibile esset, esse plus quam unum singulare, scilicet ipsum singulare,
cui debetur animalitas, et essel impossibile, aliud significare esse animal. Animal
348 XVI. Avicemma.
denn lediglich im Denkem, nicht aber von Aussem her, werde die Ver
gleichung' einer einheitlichen Form mit dem unter sich ähnlichen Wielen
vollzogen 17°). So sei ,,Thier* ein intelleeluelles Etwas, aber etwas
Anderes wieder sei seine Allgemeinheit, und abermals etwas Anderes
dasjenige, was das allgemeine Thier ist, memlieh die Allgemeinheit sei
der logische Gattungsbegriff, und andrerseits liege die natürliche Gattung
darin, dass ,,Thier* von Natur aus befähigt ist, dass mit ihm jenes
intellectuelle Etwas mach dem Gesichtspunkte der Allgemeinheit vergli
ehen werde 1°°), und somit sei bei dem logischen Gattungsbegriffe trotz
seiner intellectuellen Quelle das intellectuell Erfasste durchaus micht
identisch mit dem an ihm logisch Erfasstem, denm das Denken bethätige
erst die Allgemeinheit in der Denkform — „intellectus agit universalita
tem in formis“ — 1°!); ebenso aber unterscheide sieh die logische
Gattung von der natürlichen, denn während erstere dem unter sie Fal
lenden ihren Namen und ihre Definition aufpräge, verleihe letztere dem
selben nur die naturgemässe Fähigkeit hiezu '**), und man könne somit
allerdings „Thierheit“ (animalitas) einerseits als Gatlungs - Form und
autem in se est quoddam intellectum, quod sit animal, et secundum hoc, quod in
telligitur esse animal, non est nisi animal tantum ; si autem praeter hoc intelligitur
esse universale aut singulare aut aliquid aliud, iam intelligitur praeter hoc quod
dam , scilicet id, quod est animal, quod accidit animalitati. -
179) f. 12. r. B: Non fit singularis, nisi addiderit intellectus aliquid, per
quod fiat singularis .... Non accidit eaetrinsecus, ut sit universale ita, ut sit una
essentia verissime, quae est animal, cui accidit in universalibus eaetrinsecus, ut ipsa
eadem habeat esse in multis, sed in mente accidit huic formae animalitati intellectae,
ut ponatur comparatio ad multa, et ut ipsius unius formae sit comparatio certa ad
multa quae similantur in illa. -
180) Ebend.: Animal in intellectu quoddam est, et eius universalitas sive gene
ralitas aliud quoddam, et hoc, quod est animal generale, aliud quoddam. Et gene
ralitas vocatur genus logicum, de qua intelligitur, quod praedicetur de multis diffe
rentibus specie ad interr0gationem factam per quid ..... . Naturale autem genus est
animal, secundum qu0d est aptum ad hoc, ut ei, qu0d intelligitur, de illo ponatur
comparatio generalitatis.
181) Ebend.: Cum autem generale est in intellectu, hoc est, quod intelligitur
de genere naturali, scilicet compositum ; generalitas autem intellecta per se secundum
hoc, quod' est per se sola in intellectu et est genus intelleclum, ..... est genus lo
gicum; hoc autem genus logicum, quamvis non habeat esse nisi in intellectu, non
tamen oportet, ut id, quod intelligitur eæ hoc quod est intellectuale, sit. id, quod
intelligitur eae hoc quod est logicum; et non est idem , cum ostensa sit diversitas
utriusque respectus. Albert. M. De praedicab. II, 3, p. 15. B: Illud Amicennae dictum,
quod intellectus in formis agit universalitatem. Ebend. c. 6, p. 21. B: Adhuc autem
Averroes et Avicenna dicunt, quod intellectus in formis agit universalitatem (s. Averr.
De anima I, 8). -
182) Ebend.: Item infra genus logicum duo sunt: unum species eius eae hoc
quod est genus , alterum subiecta sua, quibus accidit ..... Ergo ipsum attribuit
unicuique eorum generum determinalorum, quae sunt sub ips0 , diffinitionem suam
et nomen, et unumquodque eorum dicitur esse genus et diffinitur diffinitione generis,
speciebus vero subiectorum eius non attribuit diffinitionem suam nec nomen ; .....
hominem enim non 0p0rtet fieri genus nec nomine nec diffinitione secundum hoc, quod
praedicatur de eo animalitas ..... Et omnino cum dicitur, quod genus naturale dat
ei, quod est sub se , nomen suum et diffinitionem, hoc non est satis verum, nisi
accidenlaliter ; non enim dat ea, hoc, quod est genus naturale, sicut etiam non dedit
ei hoc, quod est genus logicum, quia non dedit nisi naturam , quae est apta esse
genus naturale.
XVI. Avicemna. 349
andrerseits als Denk-Form bezeichnem, aber Gattungsbegriff selbst werde
sie erst durch einem vergleichenden Beisatz, sei es dass derselbe in
Natürlichen oder im Denken liege 1°°). Indem aber alles Seiende nach
Analogie des Kunstwerkes in eine Beziehung zu dem künstlerischen
Urheber gesetzt werde, habe das Seiemde ein Sein vor aller Werviel
fältigung (ante multitudinem) in der Weisheit des Schöpfers, welches
Sein jedoch nicht mehr Gegenstand der Logik (sondern der Metaphysik)
sei, und zweitens sodann werde das Sein des Seiendem innerhalb der
Vielheit der Erscheinung (in multiplicitate) erfasst, worauf drittens nach
dieser Particularität (post multiplicitatem) das Sein als ein im Denkacte
festgehaltemes folgt '**), und in diesem Sinne müsse man nun nicht
bloss den bisher beispielsweise (Anm. 177) gebrauchten Gattungsbegritf,
sondern sämmtliche fünf Universalien verstehen 1°°). In dieser Drei
theilumg aber, welche als solehe auch von dem lateinischen Abendlande
aufgenommen wurde '*"), wirkt das Motiv des Intellectualismus auch
dahim, dass die ontologisehe Auffassumg einer Subordination, in welcher
nach der Tabula logica Individuum und Art und Gattung stehen, in
den Hintergrund tritt, und der Unterschied dieser drei Stufem nicht in
183) f. 12. v. A: Convenientius aulem est, ut animalitas in se aliquando v0
celur forma generalis et aliquando forma intelligibilis; sed ea, hoc, quod est ani
malitus, non est genus ullo modo nec in intellectu nec eaetra inlellectum, quia non
fit genus nisi cum adiungitur ei aliquis respectus aut in inlellectu aut eætra.
184) Ebend.: Sed quia omnium quae sunt comparalio ad deum et ad angelos
est, sicut comparatio artificialium, quae sunt apud nos , ad animam artificem, ideo
id quod est in sapientia creatoris et angelorum et de verilale cogniti et comprehensi
ea rebus naturalibus, habet esse ante multitudinem ; quidquid autem intelligitur de
eis, est aliqua intenlio, et deinde acquirilur esse eis, qu0d est in mulliplicitate, et
cum sunt in mulliplicitate, non sunt unum ullo modo, in sensil)ilibus enim forinsecus
non est aliquid commune nisi tantum discretio et dispositio; deinde iterum habentur
inlelligentiae. apud nos, postquam fuerint in multiplicitate. Hoc aulem, quod sunt
anle multiplicitatem, ..... noster tractatus non sufficit ad hoc, quia ad alium tracta
lum sapientiae pertinet. Metaph. V, 1, f. 87. r. B: Animal ergo acceptum cum acci
denlibus suis est res nuturalis, acceptum ver0 per se est natura , de qua dicitur,
quod esse eius prius est quam esse naturale, sicut simpleæ prius est composito , et
hoc est , cuius esse proprie dicilur divinum esse, quum causa sui esse .... est dei
inlenlio. Ipsum vero esse cum maleria et accidenlibus et ipsum esse hoc individuum,
quamvis sit divina inlentio, allribuitur tamen naturae parliculari. Unde sicut animal
in esse habet plures modos, sic etiam in , intellectu ; in intellectu etenim est forma
animalis al)stracta .... et dicitur ipsum hoc modo forma intelligibilis ; in intellectu
autem forma animalis taliter est, quod in intellectu convenit ea, una et eadem diffi
nitione mullis particularibus, quippe una forma apud intellectum erit relata ad mul
titudinem , et secundum hunc respectum est universale ....... (c. 2, f. 87. v. A)
Manifestum est, quid sit universale in eis, quae sunt, scilicet haec natura, cui acci
dit unus de intellectibus, quem appellamus universale, qui inlellectus non habet esse
per se solum in sensibilibus ullo modo.
185) L0g. f. 12. v. A: Debes autem scire, quia hoc, quod dicimus de genere,
eaeemplum est speciei et differentiae et proprietatis et accidentis , quod deducet te ad
viam comprehendendi, qualiter haec sunt intellectualia et logica et naturalia, et qu0d
eae eis est in multiplicitate et ante multiplicitatem et post multiplicitatem.
186) Albert. M. De praedicab. I, 2, p. 3. B: Horum autem, quae dicta , sunt,
rationem ponit Avicenna dicens, res omnes tripliciter esse accipiendas, scilicet quod
primo accipiantur in essentiae suae principiis, secundo in esse, quod habent in sin
gularibus propriis, tertio autem secundum quod acceptae sunt in intellectu.
350 XVI. Avicenna.
die objectiven Dinge, sondern in die subjective Denkauffassung (respectus)
verlegt wird '*'); ja Avicenna scheint diesen seinen aristolelischen. Stand
punkt, wornach das Universale in multis et de multis ist, auch seinem
platonischen Gegnern gegenüber durch specielle Beweise gerechtfertigt
zu haben 1°°). -
Es bietet ein eigenthümliches Interesse dar, wenn wir aus dieser
Auffassung der Universaliem ersehem, dass die Araber bei ihrer voll
ständigen Kenntniss des Aristoteles auf Erwägungen und Ausdrucks
weisem gerielhen, welche sich sehr hahe mit demjenigen berühren,
was das frühere lateinische Mittelalter auf besehränkterer Grundlage in
einer bunt sich kreuzenden Parteispaltung ausgesprochem hatte ; denn
sowie uns der Ausdruck „quae similantur“ (Amm. 179) an die Indiffe
renz-Lehre (Abschn. XIV, Anm. 132) und das Wort „respectus“ (Anm.
181 u. 187) insbesondere an Adelard von Bath (ebend. Amm. 141)
erinnert, so dürfen wir bei jenem „aptum esse“ (Amm. 182) an Abälard
(ebend. Anm. 286) und bei „natura“ (Anm. 184) an Gilbert (ebend.
Anm. 461) vergleichsweise demken. Aber dass die Araber über solchen
verschiedenem Wendungem nicht jene höhere Eimheit aus dem Auge ver
loren, welche in dem aristotelischen Intellectualismus liegt, und dass
sie trotz alledem den platonischen Realismus des Porphyrius hiemit
amalgamirten , d. h. dass sie den Universalien eine metaphysische Exi
stenz im Geiste Gottes (ante rem) und zugleich eine intellectuelle Existenz
im menschlichem Denken zutheiltem, welch letztere aus der vielheitlichen
Erscheinung (in re) zum Begriffe (post rem) sicli erhebt, darin liegt
der entscheidende Einfluss der Araber auf die Lateiner des 13. Jahr
humdertes. Demn diese dreifache Betrachtungsweise der Universaliem,
187) Log. f. 12. v. B: Ergo individualitas est de dispositionibus, quae acci
dunt naluris subieclis generalilati et specialitali, sicut accidit ei generalitas et spe
cialitas. Differentia autem, quae est inter hominem, qui est species, et individuum
hominis, quod est commune non tanlum nomine sed et praedicalione de multis, haec
est: dicimus enim, quod intellectus de homine, qui est species, est, quod sit animal
rationale; quod autem dicimus de homine individuo, est, quod haec natura accepta
cum accidente, quod accidit ei, coniuncta est alicui maleriae designatae ..... Gene
ralilas ergo et specialilas et individualitas non sunl subiectorum particularium, quo
rum unum sit sub altero, sed sunt respectus, qui contingunt ei. •
188) Albert. M. a. a. 0. II, 3, p. 13. B: Hi qui dicunt, in solis nudis puris
que inlelleclibus posita esse (sc. universalia) septem pro se fortiores inducunt ratio
nes. Dicunt enim, quod Boethius et Aristoteles et Avicenna dicunt, quod omne, quod
separatum in natura est, ideo est, quia unum numero ést; universale aulem, quod
est genus et species, non unum numero est, eo quod universale est unum in multis
et de multis ...... Secundam adducunt rationem; dicunt enim, quod omne , quod
separalum a natura est separatum habens esse eætra intelligenliam, hoc aliquid est.
Et hoc quidem dictum est Aristotelis et Avicennae et probatur per inductionem ......
(p. 14. A) Quinto opponunt dicentes , quae Avicenna divit et Algazel, quod univer
sale, quod est genus vel species, si eætra intellectum est, aut coepit esse aut non
coepit esse; si dicatur, quod non coepit esse, sequitur, quod aeternum sit, quod
esse n0n p0test, cum causum habeat intelligentiae lumen, quod facit et dat omnes
formas; si autem coepit esse, aut coepit esse a se ipso aut ab alio; non autem
coepit esse a se ipso, quia nihil incipit a se .....; si autem ab alio coepit, per
aclum agentis coepit, nihil autem fit per aclum agentis nisi particulare et individuum,
quia omnis actus circa particularia est.
XVI. . Avicemna. 351
aus welcher. ermeuerte Streitigkeitem sich erhebem, haben die Lateiner
aus keiner anderweitigen Quelle, sondern mur aus arahischer Litteratur
geschöpft, und, um von dem überhaupt bormirtem Albertus Magnus ab
zusehen, auch Thomas von Aquin hat in diesen Fragen keimen einzigen
Gedanken selbstständig aus, sich erfasst.
Ueber die Isagoge aber erstreckt sieh der uns überlieferte lalei.
nische Text der Logik Avicemma's nicht himaus, und während wir aus
dem Bisherigen wohl enlnehmen könnem, mit welch ängstlicher Ausführ
lichkeit wahrscheinlich sämmtliche im ganzen Gebiete der Logik anf.
tauchende Fragen behandeft gewesen seiem, sind wir für alles Uehrige
entweder auf gelegenlliche Angaben in Avicenna's Metaphysik oder auf
seeundáre Berichte angewiesem. *.
Was hiemii zunächst die K a te g ori e n betrifft, so *könnte sich
uns allerdings darüber ein Bedemken erhebem, welche Stelle denselben
Avicenna innerhalb der Logik angewiesen habe, da er in Einer Bear
beilung ersl gegen den Schluss des Ganzen die Kategorien mit der
Lehre von der Definition verflicht 4°°). Doch spricht jenes zweite me
trische Compendium (Anm. 69) für die gewöhnlich übliche Ordnung 190),
welche Avicenna auch jedenfalls in seinér commentirenden Thätigkeit
eingehaltem haben muss. Die Begriffe des Synonymen u. dgl. scheint
er ziemlich als Beiwerk der Kategorienlehre betrachtet zu haben, indem
ihm wohl die hauptsäehliche Bedeutung der prädicamentalen Aussage in
einer näheren Beziehung auf den in der Isagoge besprochenen Verwirk
lichungs-Process des Gallungsbegriffes liegem mochte '*''), daher er auch
dem Grundsatz, dass das Prädicat des Prädicates vom Subjecte gelte
(die sog. regula de quocunque, vgl. vor. Abschn. Anm. 32) in umfassen
dem Sinne sowohl für bejahende als auch für verneinemde Urtheile ver
standen wissen wollte '"*). Dass er bezüglich der Kategorie der Sub
stanz die aristotelische 'Auffassung vertrat,. erhellt schon theils aus
0bigem (Amm. 32 f.), wo ihn in dieser Beziehung der Bericht des
Albertus dem Alfarabi gleichstellt, theils besitzen wir hierüber auch
einzelne nähere Notizen. So hat er namentlich den Galtungsbegriff als
eim potenzielles Sein gefasst, aus welchem der artmaehende Unterschied
zur Actualität heraustrete (vgl. Anm. 116 u. 166), bediente sich aber
dabei noch einer feimerem Distinctiom, indem er hiefür liel)er das Wort
„potestas“, als „potentia“, wählen wollte '°°). Und indem ilhm allerdings
189) Bei Vallier (s. obem Anm. 68.), p. 232 ff.
190) Bei Schmölders, Docum. p. 30.
191) Albert. M. De praedicam. I, 3, p. 99. B: Quamvis multivoca sive syno
nyma et diversivoca non sunt de his, quibus praedicabile ordinatur in linea generis,
..... tamen, quia Avicenna et Algazel et Joannes Damascenus in suis praedicamenlis
ponunt ista, et nos ea hic ponemus.
192) Ebend. I, 6, p. 102. A: Quaecunque de e0, quod praedicatur, dicuntur
recto ordine et substantiali, omnia eliam dici de subiecto necesse est ..... (p. 102. B)
Et sicut Avicenna et Algazel dicunt, in negatione est similiter, dummodo negentur ea
de praedicato, quaecunque sunl secundum formam speciei aut generis praedicato
opposita. -
193) Ebend. De praedicab. V, 4, p. 60. B: Et haec est Avicennae determinatio,
sicut colligi p0test in prima philosophia ipsius, propter qu0d dicilur genus p0testate
352 XVI. Avicenna.
die Substanz als das Substrat aller übrigem Bestimmungen galt, welche
in dieser Beziehung danm Accidentien seiem '°*), so konnte er doch
hierüber seinem obigen Begriff des substantiale (Anm. 94 ff.) nicht ver
gessem, sondern er erbliekt in dem bleibenden- Einheitlichen z. B. der
Qualitäten eim Mittleres zwischen Substanz und Nicht-Substanz 1°°), und
ebenso gründet er auf das Substantiale den Umstand, dass die Substanz
als solche keiner Gradabstufung fähig ist '°°). Ebenso musste auch bei
Avicenna (vgl. Anm. 34) die aristotelische Auffassung des Entblösstseins
zur Tage treten, und sowie er die versehiedenen Wortbedeutungen dieses
Begriffes aus Aristoteles (Abschn. IV, Amm. 404) erörtert 1°7), so suchte
er so sehr als möglich eine ldentificirung des Entblösstseins mit dem
artmachenden Unterschiede zu vermeidem '"*). Ganz besonders aber
beschäftigte ihn die durch Andere hervorgerufene Frage, ob die Quan
tität und die Qualität — denn bei den übrigen Kategorien sei diess
selbstverständlich — zu den Accidentien gerechnet werden können 1°°),
habere differentias potius, quam potentia; quia potenlia , ad esse et non esse indiffe
rens est, potestas aulem est potentia stans per actus inchoationem.
194) Ebend. V, 4, p. 58. A: Dicit Avicenfia, qu0d subiectum est ens in se
complelum, quod est 0ccasio alteri, h. e. accidenti eæistenti in e0. Ebenso Anal.
post. I, 4, 11, p. 583. A.
195) Ebend. Top. I, 2, 5, p. 674. B: Cum dicitur ,, album est coloratum dis
gregativum visus“, hoc est quidem substantiale, non est substanlia; dicit enim Avi
cenna, quod subslantiale medium est inter substantiam et non substantiam, et neque
est accidens neque subslantia proprie.
196) Ebend. De praedicam. II, 10, p. 117. B: Substantia non potest suscipere
fmagis et minus, ..... quia, sicut probat Avicenna , si magis susciperet, sequeretur
quod ipsum esse substantiale plus formae substantiali appropinquaret per ipsius for- .
mae adeptionem; quod falsum est, cum nihil medium habeat; inter esse enim et
non esse nihil est medium ; ..... et ideo secundum esse substanliale non potest esse
intensio neque remissio in aliqu0.
197) Metapli. VII, 1, f. 95. v. A: 0portet autem, ut scias, quod privatio dici
tur multis modis. Dicilur enim privalio id, quod debet esse in aliqu0 nec est in
eo, non quod non sit illius modi, ut sit in eo , quamvis sit illius naturae, ut sit
in aliquo. Et dicitur privalio id, cuius natura est esse in genere alicuius rei nec
esl in ipsa re, quia n0n est illius modi, ut sit in ea, sive illud sit genus proæimum
sive longinquum. Et dicitur privatio id, cuius nalura est esse rei n0m absolute,
sed in sua hora, .quae praeteriit, sicut senex; edentulus. Prior ver0 modus nimium
convenit negationi, alii modi differunt ab ea. Et dicitur privatio amissio per violen
tiam. Et dicitur privatio id, per quod amisit res integritatem suam, monoculus
enim non dicitur caecus nec eliam videns absolute ...... Deinde de privatione prae
dicatur negatio, sed non convertitur; privalio vero non praedicatur de conlrario .....
Privatio enim aliquando est in materia, aliquando est comes essentiae. Vgl. Suffic.
I, 2, f. 14. v. B.
198) Albert. M. De praedicab. V, 3, p. 56. B: Avicenna etiam hanc differen
tiam, quam ,,mortale** diacimus , impugnare videtur dicens , quod a privatione non
tantum secundum nomen, sed etiam secundum rem nomen accipit; privatio autem
non est forma ; cum igitur omnis differenlia a forma aliqua sumpta sit, videtur mor
tale differentia non esse. Vgl. Anm. 145. -
199) Metaph. III, 1, f. 78. r. A: Dico igitur, quod in principio logicae iam
cognovisti, quidditatem decem praedicamentorum; et ideo non dubitas, quia id, quod
ea, eis est ad aliquid, in quantum est ad aliquid, est res accidens alicui; simililer
comparationes , quae sunt in ubi et quando et in situ et in agere et pati et in ha
bere ; sunt enim dispósitiones accidentes aliquibus, in quibus sunt, sicut id, quod
est in subiecto. Si quis aùlem diacerit, qu0d agere non est sic, e0 quod esse aclionis
XVI. Avicemna. 353
und gegen jene pythagoreisch- platonischen Annahmen, wornach die
Quantität entweder als continuirliche (in letzter Instanz der Punkt) oder
als discrete (zuletzt die Eins) zu constituirenden Wesensheits-Principiem
gemacht werden wollten *""), setzt er in ausführlicher Begründung
auseinander, dass die Quantität Accidens sei, da die Einheit, welche
der Substanz sicher zukomme, von dersellen weder als Gallung noch
als Differenz, sondern mur als ein sie Begleiténdes ausgesagt werde,
bei Accidentien aber überhaupt mur die Namen-Gleichheit in ihr liege,
und dass sonach jedenfalls die Zahlen als von der Einheit abgeleitete
gleichfalls nur Accidentien seien *"'), sowie in gleicher Weise die
non est in agente, sed in patiente, etsi hoc diacerit et concesserimus, illi tamen non
nocebit ad hoc, quod modo intendimus, scilicet quod actio habet esse in aliquo sicut
in subiecto , quamvis non sit in agente. De praedicamentis igitur, de quibus est *
quaestio, an sint accidentia an non, duo remanent, scilicel praedicamentum quantitatis
et praedicamentum qualitatis.
200) Ebend.: Sed de praedicamento quantitatis multis visum fuit, lineam super
ficiem et mensuram corporalem ponere esse in praedicamenlo substantiae, nec suffecit
eis h0c, sed etiam posuerunt haec esse principia substantiae. Quibusdam vero eae
eis visum est, hoc sentire de quantitatibus discrelis, scilicet numeris, et posuerunt
eas principia substantiarum ....... Sed eæ his , qui tenent subslantialitatem , quanti
talis, illi qui dicunt, quod continuae quantitates sunt substantiae et principia sub
stantiarum, iam diverunt, quod hae sunt dimensiones constituentes substantiam cor
poream ..... et posuerunt punctum eae tribus dignius substanlialitate. Qui vero tenent
sentenliam de numero, posuerunt hunc principium substantiae, ipsum vero posuerunt
compositum eæ unitalibus ita, quod fecerunt unitates principia principiorum; deinde
diverunt, qu0d unitas est natura non pendens in sua essenlia ea, aliqua rerum,
scilicet quia unitas est in omni re, et quod unitas in ipsa re est ipsa quidditas
vpsvus rem.
201) Ebend. c. 2, f. 78. r. B: Dicam igitur, quod unum dicitur ambigue (die
betreffenden Angaben des Aristoteles über das êv s. Abschn. IV, Anm. 451 ff.).....
f. 78. v. B: Dicam iterum, quod, postquam unitas dicitur de rebus, quae sunt
multae numero, et dicitur de re una numero, iam aulem oslendimus divisiones eius,
qu0d est unum numero, procedemus nunc ad aliam partem ; dicam igitur, quod ea,
quae sunt mulla numero, non dicunlur una alio modo nisi propter convenienliam,
quam habent in intentione aliqua; convenienlia enim eorum vel est comparationis vel
est praedicati praeter comparationem vel est in subiecto, praedicatum vero vel est
genus vel species vel differentia vel accidens ..... .. c. 3, f. 79. r. A: Dico igitur,
quod unitas vel dicitur de accidentibus vel dicitur de substantia; cum autem dicitur
de accidentibus , non est substantia , et hoc non est dubium; cum vero dicitur de
substantiis, non dicitur de eis sicut genus nec sicut differenlia ullo modo ; non enim
recipitur in certificalione quidditatis alicuius substantiarum, sed est quoddam comi
tans substantiam; ...... ergo dicitur de eis .... sicut accidens. Unde unum est sub
stantia, unitas vero est inlentio, quae est accidens ....... (f. 79. r. B) Sed unilas
substantialiter est ipsum esse, quod non dividitur, eo quod illud esse constituitur
esse non in subieclo ..... Si autem accidentibus fuerit unitas, profecto eorum unitus
erit praeter unitatem substantiae, et illa unitas dicetur de eis communione nominis.
Igitur conlingit eliam, qu0d eae numeris alii ordinal)unlur eæ unitate accidentium et
alii ordinabuntur eae unitate substantiarum ...... Manifestum est, quod certitudo uni
tatis est intentio accidentis et est de universitate eorum, quae comitantur res ......
(f. 79. v. A) Jam enim ostendimus, quod unilas non est intrans in diffinitione sub
stantiae nec accidentis, sed fortasse est comitans eam ....... Cum igitur certum
fuerit, quod non est separata, cerlificabilur, quia id, quod praedicatur de intenlione
comitante communi nomine derivato a nomine simplicis inlentionis, ipsum est intentio,
quae est unitatis; ipsum vero simplex est accidens. Postquam igitur unitas est acci
dens, tunc numerus, qui accidens est, necessario provenit ea, unitate. -
P R AN T l, Gesch. II. 23
354 - XVI. Avicenna.
Maassverhältnisse der continuirlichen Quantität am den Stoff der Sub
stanzen gebunden seien und nur durch subjective Schätzung, nicht aber
als objective Wesen von demselben getremnt werden können *°°). Und
wenn hinwiederum bezüglich der Qualitäten von Einigen behauptet wurde,
dass sie selbstständige Substanzen seien, welche nicht etwa an den
substantiellem Wesen entstehem und verschwinden, sondern nur mit
ihmen gemischt und wieder von ihnen getrennt werden (wie z. B. Wasser
verdumste), und dass sie in solcher Weise die constituirenden Substanzen
der sinnfälligen Dinge seien *°°), so weist Avicenna die Unrichtigkeit
dieser Annahme durch ihre eigenem Consequenzen nach *"*); und indem
ihm hiedurch feststeht, dass die Qualitäten nur Accidentien sein können;
hebt er noch besonders jene Qualitäten, welche im Gebiete des Quan
202) Ebend. c. 4, f. 79. v. A: Quantitates conlinuae sunt mensurae continuo
fu?ll . . . . . Sed hanc mensuram iam manifestum est esse in materia, et quod ipsa
augmentatur et minuitur substantia permanente eadem, igitur est accidens sine dubio.
Sed est de accidentibus , quae pendent ea, materia et ea re, quae est in materia;
haec enim mensura non separatur a materia nisi aestimatione, nec separatur a
forma, quae est. maleriae, eo quod ipsa est mensura rei, quae recipit dimensiones
huiusmodi.
203) Ebend. c. 1, f. 78. r. A: De qualitate autem quibusdam eae naturalibus
visum est, qu0d non subsistunt in aliquo ullo modo, sed quod color per se est sub
stantia et odor alia subslantia, et quod tunc sunt constituentia substanlias sensibiles;
et plures eæ his, qui tenent sententiam, de occullo intendunt hoc. Ebend. c. 7, f.
81. v. A: Loquamur igitur nunc de qualitatibus; sed qualitates sensibiles et córpo
rales esse, non est dubium ..... Nunc autem non dubilatur de eis nisi an sint acci
dentes an non. Quibusdam enim visum fuit, quod ipsae sint substantiae, quae com
miscentur corporibus et diffunduntur per eas; color itaque per se substantia est et
calor et similiter unumquodquè aliorum. Igitur apud eos qualitates sunt huius digni
tatis, nec sufficit eis, quod hae habent esse, ..... ipsi enim dicunt, qu0d non amni
hilantur istae res, sed paulatim separantur, sicut aqua, qua humectetur pannus et
paulo post non invenitur aqua in panno ipso habente esse secundum modum suum,
tamen 0b hoc non fit aqua accidens, quia aqua substantia est, quae separatur ab
alia substantia, cui coniuncta fuit ....... Dicunt autem alii, quod occultantur.
204) Ebend. c. 7, f. 81. v. B: Dico igitur, quod si haec sunt substantiae,
necessario vel sunt substantiae, quae sunt corpora, vel sunt substantiae, quae non
sunt corpora. Si autem sunt substantiae non corporeae, tunc vel sunt huiusmodi,
quod potest eae eis componi corpus, et hoc est absurdum, quum ea, eo, quod non
partitur in spatia corporea, non potest corpus componi, vel non potest ea eis corpus
componi, sed earum esse non est nisi propter coniunctionem sui cum corporibus et
propter infusionem sui in illa. Primum autem de hoc est, quod hae substantiae ha
bebunt situm, sed omnis substantia habens situm divisibilis est. Secundum est, quod
unaquaeque harum substantiarum necessario eae natura sua vel potest separari a cor
pore, in quo est, vel non potest. Si autem fuerit sic, ul non possit separari, .....
nec habet ipsa de substantialitate nisi nomen tantum. Si autem possunt separari a
suis corporibus, tunc separatio vel talis erit, quod per eam moventur de hoc corpore
ad aliud corpus, ..... et sequetur ea, hoc, quod, cum unum corpus calefacit aliud
corpus, transferat calorem a se in illud, unde infrigidabitur, quod calefaciebat
aliud; ...... si autem .... consideratur posse transferri ad aliud subiectum sic, ut
non ea spolietur ab illo, profecto haec consideratio non est nisi post eæistentiam in
subiecto ....... (f. 82. r. A) Si quis autem posuerit, quod albedo est vere in se
aliquid habens mensuram, tunc habebit duo esse, scilicet quod est albedo et esse,
quod est habens mensuram; si autem albedo eius fuerit alia numero a mensura cor
poris, in quo est, tunc .... spatium intrabit in spatium; sed si ipsa fuerit ipsum
corpus per se, tunc ratio redibit ad id, quod albedo est corpus et habet albedinem
et ita albedo est in albo corpore inseparabiliter. -
3.
XVI. Avicenna. 355
titativen auftreten können, z. B. Gleichheit oder Ungleiehheit u. dgl.,
hervor *"°). Die Kategorie der Relation, deren verschiedene Arten des
Auftretens er angibt, belrachtet er vorerst bezüglich der Frage, ob sie
inmerhalb der beidem Relativa einheitlich sei oder jedes der beidem durch
sie seine eigene Bestimmtheit erhalte, wobei er sich für Letzteres ent
scheidet ; sodann aber hebt er insbesondere an der Relation, wie wir
es schon bei Alfarabi sahen (Anm. 35), die Subjectivität der Denkauf
fassung hervor, da in der Definition des Relativen- selbst bereits die
Rücksichtnahme (respectus) auf ein Anderes enthaltem sei, und auch
dann, wenn noch ein anderweitiges wesentliches Sein des Relativen
angenommen werde, jedenfalls es sich (loch um das Werständniss jener
Rücksichtnahme handle *""); in der concreten Erscheinung aber musste
er, wie sich von selbst versleht, das Relative als zeitlich coexistiremd
anerkennen *"'). Bezüglich der Frage, zu welcher Kategorie die Be
205) Ebend. c. 9, f. 82. v. A: Remansit unum genus qualitatum, et oportet
stabilire suum esse et assignare, quod est qualitas; et hae sunt qualitates, quae
sunt in quantitatibus, scilicet quae sunt in numero, ut paritas et imparitas et cetera
huiusmodi; iam autem notum est esse quorumdam ea, eis, et in arithmetica stabilitum
est esse remanentium; sunt enim accidentes eae e0, quod pendent eæ numero, et sunt
proprietates eius; .... eorum autem quae accidunt mensuris, esse non est adeo notum;
circulus enim et linea curva et sphaera et pyramis et columna talia sunt, quod nul
lius eorum esse manifestum est, et impossibile est geometrae, probare esse eorum.
206) Ebend. c. 10', f. 83. r. B: 0portet loqui de ad aliquid et ostendere,
quomodo debeat certificari quidditas relati et relationis et eorum diffinitio; sed quod
praemisimus in logica, posset sufficere intelligenti. Si autem posueris, relationem
esse, profecto erit accidens, et hoc non est dubium, quia est res, quae non intel
ligitur per se, sed intelligitur semper alicuius ad aliud ...... Relativa vero non pos
sunt comprehendi uno modo; alia enim sunt relativa, quae non egent aliquo eæ his,
quae solent stabilire relationem, sicut deaetrum et sinistrum, in deaetro enim non est
qualitas nec aliquid aliud certum, per quod fiat relatum comparatione, nisi ipsa
deaetrarietas ; et alia sunt relativa, quorum unumquodque opus habet aliquo, per
quod referatur ad aliud, sicut amator et amalum ...... Quod autem remansit de
relatione , hoc est, scilicet ut sciamus , an relatio una numero et subiecto sit inter
duo habens duos respectus, sicut quidam et plures eæ hominibus putaverunt, quod
(zu lesen aut) in relalione unumquodque relativorum habeat proprietatem. Dicam
igitur, quod unumquodque relativorum in se habet intentionem respectu alterius, quae
non est illa intentio, quam habet in se aliud respectu illius ; et hoc est manifestum
in rebus diversis, secundum quod patet per diversitatem nominum z...... (f. 83. v. A)
Quod autem diligenter considerandum est, hoc est, scilicet ut cognoscamus, si relatio
in se habet esse in singularibus vel est aliquid, quod non formatur nisi in intellectu.
...... Ex hominibus autem quidam fuerunt, qui tenuerunt, quod certitudo relativorum
non est nisi in anima, cum intelliguntur res; et alii diacerunt, non, imo relatio est
quoddam, quod est in singularibus ..... Id autem, per quod solvuntur istae duae
viae, hoc est, ut redeamus ad diffiniendum ad aliquid absolute. Dico igitur, quod
ad aliquid est, cuius quidditas dicitur respectu alterius, et quidquid fuerit in signa
tis hoc modo, ut secundum quidditatem suam non dicatur nisi respectu alterius,
illud est ad aliquid. Si autem ad aliquid habuerit aliam quidditatem , tunc restat,
ut determinemus, quod habeat: de intentione intellecta respectu alterius;, illa -enim
intenlio certissime est de intentione intellecta respectu alterius, alterum enim non.
intelligitur nisi respectu alterius causa huius intentionis.
207) Albert. M. De praedicam. IV, 7, p. 149 A: Simul sunt (sc. relativa) na
tura in hoc, quod secundum quod relata sunt, in esse et non esse sicut in ortu et
occasu, ut dicit Avicenna, simul sunt ita, quod posito uno in esse, secundum quod
relativum est, et positum est aliud, secundum quod refertur ad illud.
23 *
356 XVI. Avicenna.
wegung gehöre, äussert sich Avicenna abweichend von Alfarabi (Amm.
36), indem er den Begriff des Ueberganges von Möglichkeit zu Wirk
lichkeit nieht mit jenem der Bewegung verwechselt wissen will und es
sonaeh verneint, dass die Bewegung in der Kategorie der Substanz auf
trete, wohingegen er zu den auch schon bei Alfarahi beigezogenen
Κalegorien der Quantität und der Qualität und des 0rtes auch noch die
Kategorie der Lage hinzufügt *°°), unter welch letztere (nicht unter die
des 0rtes) er die' Bewegung der Himmelskörper subsumirte *°°).
In der Lehre vom U r th e i I e begegnen wir auch bei Avicenna
den üblichen exegetischen Erörterungen über die Definitionen der voae *'')
oder des nomen *11), wobei bemerkt werden mag, dass er bezüglich
des nomen infinitum die sog. Infinitation (d. h. Hinzufügung des non)
bei den allgemeinsten Worten nicht mehr für zulässig hielt, da ober
halb derselben es keine allgemeineren Begriffe gibt *1*). Die Inhärenz
des Prädicates im Subjecte scheint er wie Alfarabi (Anm. 39) gefasst
208) Suffic. lI, 1, f. 23. r. A: Nulla enim categoria est, quae non habeat evi
tum de potentia sua ad suum effectum, aut in sul)stantia, sicut eacitus hominis ad
effectum, postquam fuerit in potentia, aut in qualitate, ..... aut in ad aliquid, .....
, aut in ubi , sicut elevatio sursum in effectu post potentiam , aut in quando, sicut
evitus antiqui ad effectum de potentia, aut in situ, .... similiter in habere, similiter
in agere et pati. Sed intellectus, in quo convenerunt antiqui in usu appellandi m0
tum, non est ille , in qu0 conveniunt omnes isti modi eaeeundi de potentia ad effec
tum, sed ille, qui est motus eæeundi non subito, sed gradatim, et hic n0n convenit
nisi certis categoriis ...... et nos declarabimus postea, quae sunt calegoriae, in
quibus possibile est cadere hunc eacitum ...... (c. 2, f. 24. v. B) Jam dissenserunt
in collatione motus ad categorias ; quidam enim diacerunt, quod motus est praedica
mentum patiendi; alii vero diacerunt, quod hoc nomen motus cadit super maneries
(über dieses Wort s. Abschn. XIV, Anm. 87.), quae sunt in illo sola casuuli par
ticipatione nominis; quidam etenim diacerunt, quod hoc nomen motus est nomen com
mune, sicut verbum esse et accidentis ..... Maneriae vero, quae conlinentur sub
nomine molus, sunt species aut maneriae praedicamentorum, quia de uhi .... est
motus in l0c0 , et de quali ..... est motus alterationis, et de quanto .... est motus
augmenti et diminutionis ; et forlasse aliquis eorum perdurabit in sententia sua ita,
wt dicat, quod ..... est motus in substantia, scilicet generatio et corruptio ......
(f. 25. r. A) Possumus autem declarare falsitatem utriusque sententiae .........
(c. 3, f. 27. r. A) Jam enim eae praemissis patuit, quod motus non cadit nisi in
quatuor praedicamentis, quae sunt quantitas et qualitas et ubi et situs. Jam autem
cognovislis collationem motus ad praedicamenta. …
209) Levi Gerson , Praedicam. f. 30. v. A: Divit Avicenna , quod motus corpo
rum coelestium est in praedicamento situs.
210) Albert. M. Periherm. I, 2, 1, p. 242. A: Propter quod dicit Avicenna,
qu0d voae litterata sine placito instituentis nihil significat penitus ; quia tamen alteri
non facit signum de re nisi sub determinata figura vocis certificativa, ideo oportet
talem vocem esse litteratam, quia nonnisi sub elemenlis litterarum habent figurae
certitudinem, sine qua certitudine non potest esse rei certum signum. .
211) Ebend. 2, 4, p. 247. B: Quod autem dicitur ,,cuius nulla pars est signi
ficafiva separata*', .... haec causa est, ut dicit Avicenna, quia institutio est causa
significationis in nomine, non est autem institutum, ut pars aliquid significet sepa
rata, sed ut totum significet totum, et ideo pars nihil significat.
212) Ebend. 2, 5, p. 251. A: Cum nomen infinitum privet inferiorem formam
finitam et relinquat superiorem infinitam, et hoc nomen ,,ens“ superius nihil habeat,
proprie infinitari n0n p0test; similiter autem est de aliis nominibus ,,unum, res,
uliquid“, ut dicit Avicenna.
XVI. Avicemma. 357
und ebenso betreffs eines controversen aristotelischen Beispiel-Satzes
sich an denselben (Anm. 40) angeschlossen zu haben. Die sog. logi.
sche Qualität der Urtheile besprach er im Hinblicke auf den factischen
Bestand des Ausgesagten in einer Wiertheilung *1°), bei der Quantität
aber kam er zu der gleichen Auffassung, welche wir schon I)ei Abälard
(Abschn. XIV, Anm. 318 u. 327) in allgemeimerer Anwendung , trafen;
nemlich Avicenna bezeichnet die Worte „omnis“ und „nullus“ ent
schieden als hlosse Zeichen (signa) einer Art und Weise des Ausspre
chens, wornach dieselben nur ausdrücken, dass irgend Particulares
universell verstanden sei ?14). Von noch grösserer Wichtigkeit für die
Lateiner war es, dass Avicemma bei der Frage über die Einheit des
Urtheiles die Unterscheidung aufstellte, dass sowohl im hypothetischen
als auch im disjunctivem Urtheile ein einheitlicher Gedanken-Nexus be
stehe, hingegen das copulative Urtheil nicht als Eines, sondern als
blosses Aggregat bezeichnet werden dürfe *'°).
Was den Inhalt der e r s t e n A n alyti k betriffi, so äussert er sich
einmal gelegentlich darüber, dass im Syllogismus nicht die Prämissen
für den Stoff des Schlusssatzes oder letzterer für die Form der ersteren
gehalten werden dürfe, sondern die Prämissen nur der Stoff des ganzen
einheitlichen Syllogismus seien *1°). Sodann aber begegnen wir bei
ihm jemen nemlichen exegetischen Controversen, welehe wir bei Alfarabi
(Anm. 45 f.) trafen , nemlich sowohl über das Verhältniss der Urtheile
des Stattfindens zu den modalen *'") als auch über die Umkehrung der
Möglichkeits: und Nothwendigkeits-Urtheile *'*). Bei Erklärung der be
treffendem aristotelischen Stelle über die hypothetischem Schlüsse gieng
213) Ebend. 5, 1, p. 260. A : Dicit enim Avicenna, quod ista qualuor sic di
versificantur, quia contingit, quod est, enuntiare esse , in affirmativa enuntiatione;
et conlingit, quod est, non esse enuntiare, in eiusdem negativa; et contingit enun
tiare, quod non est, esse, in affirmativa negative opposita ; et contingit enunliare,
quod non est, non esse, in negatione negationi opposita.
214) Ebend. p. 261. A : Hoc enim signum distributivum, qu0d est ,,0mnis“,
non est universale proprie loquendo, sed est signum, per quod slat pr0 particularibus
universaliter universale, cui tale signum est adiunctum ...... et ide0 ,,0mnis“ et
,, nullus** et huiusmodi signa universalia non sunt, sed sunt signa designantia, utrum
universale sit acceptum universaliter vel particulariter secundum sua supposita. Et
haec sunt verba Avicennae.
215) Ebend. 4, 2, p. 258. B: Coniunctione autem unae sunt (sc. enuntiationes),
in quibus consequentia, quam notat coniunctio, facit unitatem, et hoc non est nisi
in conditionali et disiunctiva, ..... et secundum Boethium et Avicennam et Algazelem
istae duae solae coniuncliones faciunt unam coniunctione enuntiationem, et non copu
lativa, quia in copulatis nulla est unilas nisi aggregationis, quae simpliciter est
pluralitas et non unitas.
216) Metaph. VI, 4, f. 93. v. A: Jam autem posuerunt quidgm propositiones
similiter materiam conclusioni. Et est error; immo propositiones sunt materia fiendi
syllogismi, conclusio vero non est forma propositionum, sed quoddam, qu0d conse
quitur eæ illis, quae propositiones efficiunt in anima.
217) Ps.-Averr. Quaes. in Prior. Resol. f. 362. r. A u. 364. r. A. -
218) Ebend. f. 363. r. A: Avicenna dubitat contra philosophum, quando diacit,
quod particularis affirmativa contingens convertatur contingens, et quod necessaria
particularis affirmativa convertatur necessaria u. s. f...... et contradicit su0 sermoni
per materias.
358 XVI. Avicenna.
Avicenna noch viel weiter als Alfarabi (Anm. 48), mit welchem er in
diesem Punkte auch nicht übereinstimmte ; . er warf sich nemlich mit
höchst spitzfindiger Einseitigkeit auf eine Erklärung der Urtheilsform,
wormach er nur das einfache Dictum de omni als kategorisches, hin
gegen die Form „Alles, was B ist, ist A* als ein zusammengesetztes
und hypothetisehes Urtheif betrachtete, sowie entsprechend beim Dictum
de nullo eine disjunctive Urtheilsform sich einstelle, und indem er auf
solche Weise die kategorischen Urtheile in hypothetischer Form aus
drückte, ordnete er dieselben nach den drei Schlussfigurem, wobei er
auch Mischungen aus kategorischen und hypothetischen Prämissen zu
liess, so dass diese unnatürlichen Schlussweisen, welche er ,,combina
tiones“ nannte, sowohl von ihm selbst als aueh von Anderen für eine
bedeutsame meue Ergänzung der aristotelischen Syllogistik gehalten
wurden 219). Wirklich angewendet finden wir diese Neuerung in dem
einen ausführlicheren Compendium Avicenna's **"), während er in dem
kürzeren nur die bei den Commentatoren (Abschn. XI, Anm. 166) üb
lichen hypothetischen Schlüsse aufzählt **'). — In einer völlig verein
zelten Notiz ist uns berichtet, dass Avicenna die logische Bedeutsamkeit
219) Ebend. f. 363. v. B: Dicere enim A de omni B est praemissa una cate
gorica ....... , dicere vero ,,omne quod est B, est A** est praemissa conditionalis et
secundum veritatem composita eæ duabus categoricis ...... Et hinc erravit Avicenna
et opinatus est, qu0d invenianlur alii syllogismi praeter syllogismos categoricos et
praeter conditionales et vocavit illos combinationes et posuit numerum illorum secun
dum numerum categoricorum aut prope categoricos; ille enim consideravit proposi
tiones categoricas et eas eaepressit evpressione conditionalium et c0mp0suit eae illis
orationes ad compositionem trium figurarum et immiscuit etiam categoricas cum his,
scilicet cum conditionalibus et constituit illud compositione quodam modo, quo opi
natus est ipse et omnes, qui eum imitati sunt, quod superaddiderit Aristoteli multas
species syllogismorum. Hos autem syllogismos non invenit noviter Avicenna, cum
illi inveniantur apud quosdam Christianos philosophos, non apud aliquem peripate
ticum (möglicher Weise könnte der unkritische Berichterstatter aus dritter Hand
Einiges über Boethius gehört haben und somit falschlich hier die oben Abschn.
XII, Anm. 155 ff., angeführten Schlussweisef meinen). Ebend. f. 369. v. A :
Avicenna vero consentit huic rei, sed non admittit eaepositionem ipsius Abunazar ......
(B) Constituto autem hoc de propositionibus conditionalibus, videlicet quod quaedam
ipsarum sit simpleae et est illa, cuius vis est vis unius propositionis categoricae, et
quaedam est composita et est, cuius vis est vis syllogismi categorici, propinquum est
intelligere, quod id, quod Avicenna putat, quod hic sit tertia species syllogismorum
non categoricorum nec conditionalium, non sit sermo verus ....... (f. 370. r. B)
Mirum autem est de Avicenna, quod ipse posuerit ambas res, scilicet quod ipse con
fiteatur, quod omnis propositio conditionalis possit reddi categorica et similiter omne
quaesitum conditionale possit reddi categoricum, et iterum ponit, quod sint quidam
syllogismi, qui componuntur eæ congruentia syllogismorum, qui sunt eæ categoricis.
• • • • • Et mora circa hoc est supervacanea, prout fecit Avicenna ..... Devenit in con
fusionem circa boc capitulum, nam induacit in ipsum syllogismos praeter naturam,
h. e. quibus non utitur humana cogitatio naturaliter ..... et similiter hic vir numerat
inter species conditionalium coniunctarum quasdam propositiones praeter naturam,
quas vocat allhaphkias, i. e. conne vas , prout dicitur ,, dum homo est , equus est“,
et ait, quod hae sint verae contingentes ........ et sic etiam numerat inter proposi
tiones contradictorias tales propositiones, prout est oratio dicentis ,,aut homo est
aut vacuum**.
220) Bei Vattier p. 129 ff.
221) Bei Schmülders, Doc. p. 35.
XVl. Avicenna. 359
des bei Aristoteles besprochenen Indiciums (σημεῖον, s. Abschn. IV,
Anm. 649) bestriti 223).
Für den Umkreis der zweite n A n a lyti k besass er sicher eine
umfassende Vorarbeit in der oben erwähnten Schrift Alfarabi's, scheint
sich jedoch derselben gegenüber auch die Freiheit eigener Ueberzeugung
bewahrt zu haben. Während er sich betreffs des Zusammenhanges
der zweiten Analytik mit der ersten (s. Amm. 51), sowie in commen
tirenden Erörterungen über die im Mittelbegriffe liegende Causalität 223)
und über das sog. praedicatum primum ***) an Alfarabi (Anm. 54 u.
57 f.) anschloss und mit demselben (Anm. 60) auch die Auffassung
oberster Principien der Demonstration theilte *°°), stand er in einer
ziemlich principiellen Frage (vgl. Anm. 62) ganz allein, insoferne er die
Gültigkeit der ,,demonstratio quia“ von vorneherein darum hestritt, weil
in derselben der Mittelbegriff nur Accidens des Unterbegriffes sei, und
hiermach ausschliesslich die „demonstratio propter quid“ als alleiniges
demonstratives Verfahren geltem liess **°). In dem Erörterungen über
die Definition selbst, welche er in seinen Compendiem an den Schluss
des Ganzen stellte **"), musste er wieder auf seine Auffassung der
Universalien zurückkommen, und dass er das definitorische Wissem in
aristotelischem Sinne verstand, ersehen wir aus seinen hierauf bezüg
lichem Aeusserungem in der Metaphysik, denn er bekämpft dort die
Annahme, dass die Definition das Product eimer blossen Zusammensetzung
aus Gattungsbegriff und artmachendem Unterschiede sei ***), und ebenso
222) Averr. Poster. Resolut. f. 146. r. B: Negavit Aben Sina hanc speciem de
monstrationum, h. e. signa. - -
223) Averr. a. a. 0. f. 131. v. A. Ps.-Averr. Quaes. in Post. Resol. f. 375. v.
A u. f. 380. r. A.
224) Ps.-Averr. a. a. 0. f. 373. r. B.
225) Albert. M. Top. I, 1, 2, p. 663. B: Fides enim est assensus in ipsum
respondentis, propter qu0d talia principia prima communes animi conceptiones vocan
tur, ut dicit Avicenna, qu0d statim assentit eis animus audientis, propter quod
eliam indemonstrabilia talia dicuntur; haec igitur sunt principia demonstrationis, ev
quibus demonstrativus fit syllogismus. Vgl. bei Schmülders p. 37. und bei Vattier
p. . 19282.6) Averr. Poster. Resolut. f. 158. v. B: Et haec divisio demonstrationum est
res per se nota ; hanc enim posuerunt omnes homines istius artis praeterquam ipse
Aben Sena, qui mentionem fecit de demonstratione eæistentiae et eæistimavit, quod
est demonstralio non vera, et voluit h0c, cum diacit, qu0d posteriora c0mp0sita ea,
rebus prioribus non constant esse essenlialia rebus prioribus, nisi cum c0nstiterit
causa, propter quam constat p0sterius eæ priori. Ps.-Averr. Quaes. in Post. Res. f.
377. v. B: Avicenna non meminit de dem0nstrationibus ,,quia“, et haec est, dum
subiectum ipsarum fuerit c0mp0situm, non simpleae ; nam ipse putavit, qu0d demon
strationis ,,quia“ medii termini sint accidentia min0ris eætremi ..... . (f. 378. r. A)
Sermo aulem Avicennae dicens , quod, cuiuscunque necessitas est 0b aliquam causa
rum, illa necessilas sit illius, dum noverimus illam causam, est pr0p0siti0, quam
nos concedimus ...... Avicenna itaque , eae qu0 implicita est apud ipsum in demon
stratione ,,quia“ scientia per.causam, putavit, qu0d ibi n0n 0ccurrat ei nomen verae
scientiae. Vgl. bei Watlier p. 228. . -
227) Bei Valtier (p. 232 ff.) folgt nur noch die Sophistik nach der Lehre von
der Definition, hingegen bei Schmülders (p. 41.) bildet letztere, nach der Sophistik
folgend, den Schluss.
228) Metaph. V, 5, f. 89, r. B: Potest aliquis dicere, quod diffinilio secundum
360 XVI. Avicenna.
wiederholt er die Angaben des Aristoteles (Abschn. IV, Anm. 496 fr.)
in der Frage über die Theile der begrifflichen Form und die Theile
des Stoffes 229). -
Was endlich die T o pik und S o p h is tik betrifft, so ist zu beaeh
tem , dass Avicenna, obwohl. er bezüglich des wechselseitigen Verhält
nisses zwischen der ersten und der zweitem Analytik mit Alfarabi über
einstimmte (Anm. 223), dennoch zwischen beide das ganze Gebiet der
Dialektik darum einschieben wollte, weil auch in der praktischem Am
wendung des logischen Denkens das demonstrative Verfahren erst nach
dem Dialektischen den Schlussstein bilde *°°). Auch mag etwa noch
erwähnt werden, dass er unter dem Vorbehalte der traditionellen Ge
sichtspunkte der blossen Wahrscheinlichkeit oder beziehungsweise der
Unsittlichkeit der beidem Disciplinem, memlich der Topik und Sophistik,
eine Universalität der Gegenstände, welche in sie beigezogen werden
können, zugesteht 291), sowie dass er ähnlich wie Alfarabi bei einzelnen
hoc, quod consentiunt auctores artis, composita est eae genere et differentia, quorum
unumquodque discretum est ab alio, et utraeque partes sint diffinitionis, diffinitio
autem non est nisi quidditas diffiniti ; ergo intentiones, quae significantur per genus
et differentiam, taliter se habent ad naturam speciei, qualiter ipsa ad diffinitionem,
• • • • • unde cum ita sit, non erit verum, praedicari naturam generis de natura speciei,
quoniam pars eius est. Ad quod dicimus, quia cum nos diffinimus dicentes verbi
gratia ,,homo est animal rationale“, non volumus in hoc, qu0d sit coniunctio eae
animali et-rationali, sed volumus in hoc, quod ipse est animal, quod est rationale;
quasi enim animal in se quoddam est, cuius esse non est determinatum , nisi cum
ipsum animal fuerit rationale. -
229) Ebend. c. 7, f. 90. v. B: Dicemus, quod plerumque in diffinitione sunt
partes diffiniti; cum autem dicimus, quod genus et differentia non sunt duae partes
speciei in quidditate , non est hoc, quasi dicamus , quod species non habet partes;
species enim partes habet, cum fuerit ea, aliquo m0dorum rerum, scilicet vel eae
accidentibus secundum quantitates vel eae substantiis secundum composita. Unde,
secundum quod videtur, partes diffinitionis sunt priores diffinito; contingit autem
alicubi fieri e contrario; cum enim voluerim diffinire portionem circuli, diffiniemus
eam per circulum, et cum voluerim diffinire digitum hominis, diffiniemus per homi
?e???, . . . . . Haec igitur omnia non sunt partes rei secundum quidditatem eius, sed
secundum materiam et subiectum eius. - -
230) Averr. Poster. Resolut. f. 127. v. A : Evistimaverunt autem nonnulli, quod
quemadmodum melius est, ut primo inquiramus de aliquo intelligibili et investigemus
per viam dialectices, postea sequatur inquisitio demonstrativa, ita melius sit in
doctrina, ut incipiamus a libro dialectices post partem communem, deinde sequatur
liber de demonstratione. Sed quod eæistimaverunt, non se habet ita, ...... ut prae
cedat cognitio modorum propositionum probabilium cognitionem modorum propositionum
verarum, quoniam conditiones, quibus propositiones verae ordinantur, sunt aliae a
conditionibus, quibus propositiones probabiles ordinantur, quoniam ordines probabilium
sunt secundum consue{udinem civitatum et populorum (vgl. Anm. 13.), ordines autem
verarum sunt secundum conditionem unam, ut videlicet sint essentiales ;.... et prop
terea consimiliter cognitio ordinum propositionum probabilium non est universalis (s.
Anm. 318.) respectu ordinum propositionum verarum ...... Et ideo erravit Ali Sena
errore manifesto, quod eæistimavit, quod dialectica praecedat artem demonstrationis,
eo quod accidit, propositiones primas intelligibiles esse , etiam probabiles. Dass eine
solche Anordnung des Stoffes schon bei den griechischen Commentatorem in Wor
schlag kam, s. Abschn. XI, Anm. 128.; jedoch dürfen wir auch nicht unerwähnt
lassen, dass Avicenna wenigstens in jenen beidem Compendien, welche uns vor
liegen (bei Vattier und bei Schmölders) sich an die gewöhnliche Reihenfolge hielt.
231) Metaph. I, 2, f. 71. r. A: Haec autem scientia (d. h. prima philosophia)
*.
XVI. Algazeli. 361
Punkten wegen seiner commentirenden Thätigkeit von Anderen erwähnt
wird 232).
Die Leistungen Alfarabi's und Avicenna's scheint A l g a zeli (Abu
Hamed-Mohammed-Ibn-Mohammed-el-Gazali, geb. 1058, gest. 1111) le
diglich nur herübergenommen und benützt zu haben, denn seine Ten
denz lag in einem Skepticismus, welcher als Mittel zum Mysticismus
dienen sollte, und in, diesem Sinne bearbeitete er auch die üblichen
Zweige der theoretischen Philosophie nur als eine Vorstufe seiner „ De
structio philosophorum“*°°). Somit werden wir in demjenigen, was
von Algazeli dem Mittelalter bekannt war und auch uns in lateinischer
Uebersetzung vorliegt *°*), nur eine Wiederholung und Bestätigung der
bisher betrachteten arabischen Auffassumgen findem, und selbst da, wo
scheinbar Neues sich zeigt, dürfen wir wohl nur Ergänzungen jener
Berichte erblicken, welche über Alfarabi oder Avicenna uns theilweise
unvollständig zur Hand sind.
So stimmt Algazeli nicht bloss in der Frage über die Eintheilung
der Wissenschaften vollständig' mit Avicenna (Amm. 71 ff.) überein *°°),
sondern folgt auch seinen Vorgängern in der principiellen Zweitheilung
der Logik (Amm. 16 u. 77); indem nemlich auch er däs ummittelbar
sinnliche Werständniss (imaginatio) auf das : einzelne Wort und ent
spreehend das beifällige Ueberzeugtsein (credulitas) auf die Satz-Wer
bindung bezieht 23") und bei beidem die doppelte Möglichkeit berück
communicat cum topica et sophistica simul in aliquibus. et differt ab eis simul in
aliquibus ..... Communicat enim cum eis in hoc, quod de eo, quod hic inquiritur,
nullus actor singularum scientiarum tractat nisi topicus et sophisticus. Differt vero
ab eis simul in hoc, quod philosophus primus, in quantum est philosophus primus,
non loquitur de quaestionibus singularum scientiarum, isti vero loquuntur. Differt
etiam a topico per se in fortitudine vel potentia eo, quod verbis topici acquirunt
opinionem, non certitudinem, sicut nosti eae magisterio logicae. Differt qtiam a so
phistico in voluntate eo, quod hic quaerit ipsam veritatem, ille vero quaerit putari
sapiens in dictione veritatis, quamvis non sit sapiens. S. Anm. 380.
232) Z. B. Averr. Top. f. 298. v. B und Ps.-Auerr. Epitome f. 357. r. A.
233) S. Munck, Dictionn. II, p. 506 ff., woselbst nicht bloss schlimme Irr
thümer, welche Schmülders (Essai sur l. écol. phil. p. 220.) begieng, machge
wiesem werden, sondern auch die Annahime Heinr. Ritter's, dass Algazeli bei Ab
fassung seiner Logik noch nicht auf seinem spáteren ekstatisch-mystischen Stand
punkte gestandem sei, ihre Berichtignng findet; denn Munck theilt aus dem arabischen
Originale des Makácid (d. h. der Logik) die Eingangs- und die Schluss-Worte
mit, aus welchen hervorgeht, dass Algazeli auch in der Logik nur Referent sein
wolle, um hernach alle theoretische Philosophie zu bekämpfen; dieselben lauten
nach Munck's Uebersetzung: Il m'a donc paru necessaire, avant d'aborder la réfu
tation des philosophes, de composer um traité où j'erposerai les tendances générales
de leurs sciences, savoir de la Logique, de la Physique et de la Metaphysique, sans
pourtant distinguer ce qui est vrai de ce qui est fauae, car mon but est uniquement
de faire connaitre les résultats de leurs paroles, und am Schlusse: Nous commen
cerons après cela, le livre de la ,,Destruction des philosophes“, â fin de montrer clai
rement tout ce que ces doctrines renferment de fauae. Die ,, Destruclio philosopho
rum** selbst jedoch behandelt keine logischen, sondern nur sechzehn metaphysische
und - vier physikalische Fragen.
234) Logica et Philosophia Algazelis Arabis. Venet. 1506. 4. (übersetzt von
Liechtenstein). -
235) De divisione scientiarum als Cap. 1. der ,,Philosophia“.
236) Logica, Cap. 1. (das Buch ist nicht paginirt): Incipit Logica Algazelis
362 XVI. Algazeli.
siehtigt, dass sie entweder an sich selbst schon Klarheit und Gewissheit
enthalten oder erst noeh einer weiteren Begründung bedürfen 237), so
führt ihn der letztere dieser beidem Fälle auf die Nothwendigkeit des
Definirens für das Werständniss umd des Argumentirens für das Ueber
zeugtsein ***), wornach für diese beiden Functionem eine specielle
Wissenschaft, welche allen übrigen vorausgehe, auf Grundlage der Natur
des menschliehen Denkens erforderlich sei 289). Nemlich wenn vom
Bekanntem zum Unbekanntem fortgeschritten werden solle (vgl. Anm. 15
u. 80), und hiebei jedwedes gesuchte Unbekannte aus dem ihm ver
wandten und eigenthümlichen Bekanntem zu erörtern sei, so gebe es
für das Zustandekommen des Wissens zwei Wege, deren Einer zur
Definition und Beschreibung und der andere zu Syllogismus, Induction
und Exemplificatiom führe 349), und für beide werde in der · Logik die
Regelrichtigkeit dargelegt ***), so dass, wenn der Zweck aller Wissen
schaft in Wervollkommnung der Seele und hiemit in ewiger Glückselig
keit liege (vgl. Anm. 13), auch die Logik mittelbar diesem höchsten
Zwecke diene 243). I.
Indem aber unter jenen beiden Aufgaben der Logik die zweite,
de his, quae debent praeponi ad intelligentiam logicae et ad ostendendum utilitates
eius et partes eius. Capitulum primum. Quamvis scientiarum multi sint rami, duae
tamen sunt proprietates, imaginatio et credulitas ; imaginatio est apprehensio rerum,
quas significant singulae dictiones ad intelligendum eas et ad cerlificandum .....;
credulitas vero est sicut quod dicitur ,,mundus cepit** ..... Necesse est autem, omnem
credulitatem praecedant ad minus duae imaginationes.
237) Ebend.: Quod autem imaginatur statim sine inquisitione, est sicut ,,ens**,
,,aliquid“, ,,res“ et similia; quod vero non imaginatur sine inquisitione, est .....
imaginatio rerum, quarum essentiae sunt occultae. Credulitas vero, quae statim
apprehendit sine inquisitione, est velut scientia haec, quod duo sunt plus quam
umtum , ..... et multa alia de sententiis, in quibus retinendis omnes conveniunt sine
praecedente inquisitione, quae comprehenduntur in tredecim speciebus, de quibus
postea loquemur (Amm. 276 ff.); credulitas autem, quae non apprehenditur sine in
* quisitione, est velut haec, quod mundus cepit.
238) Ebend.: Quidquid autem non potest imaginari sine inquisitione, non potest
apprehendi sine diffinitione, et quidquid non potest credi sine inquisitione, non po
test apprehendi sine argumentatione.
239) Ebend.: Manifestum est igitur eae hoc, quod omnis scientia .... non ac
quiritur nisi per aliquam scientiam, quae praecedit, et hoc non tendit ad infinitum,
nam necesse est, ut haec perveniant ad . prima, quae sunt stabilia in natura in
tellectus. -
240) C. 2.: Postquam autem manifestum est, quod ignotum non potest sciri
nisi per notum, et constat, quod per unum aliquid notum non potest sciri quodlibet
ignotum, sed quodlibet ignotum habet aliquid proprium notum sibi conveniens, quod
est via perveniendi ad aliud, .... tunc quod inducit ad cognoscendas scientias ima
ginativas, vocatur diffinitio et descriptio, quod vero inducit ad scientias credulitatis,
dicitur argumentatio, argumentatio autem alia est syllogismus alia induclio alia
eaeemplum.
241) Ebend.: Scientia vero logicae dat regulam, qua discernitur, an diffinitio
et syllogismus sint vitiosa annon ad hoc, ut discernatur scientia vera a non vera.
242) Ebend.: Dicemus, quod omnis utilitas vilis est in comparatione felicitatis
aeternae, quae est felicitas alterius vitae, haec autem felicitas pendet eae perfectione
animae ...... Non est autem via deveniendi in scientiam nisi per logicam ; erg0
utilitas logicae est apprehensio scientiae, utilitas scientiae est acquisitio felicitatis
qetermae.
XVI. Algazeli. - 363
nemlich die Argumentatiom, die hauptsächlichere sei, alle Beweisführung
aber auf einer Zusammensetzung von Urtheilem beruhe, so ergebe sich
die Gliederung der Logik nach dem Motive des Aufsteigens vom Ein
fachen zum Zusammengesetzten *4°). Somit bezeichnet Algazeli als
materia prima der Logik die signific aJio di c t i o n u m, welche er
nach fünffacher Eintheilung (vgl. Anm. 21) in grosser Ausführlichkeit
erörtert, indem er als ersten Gesichtspunkt das von Avicenna (Anm.
105) hierüber Gesagte vorführt ***), sodann die Unterscheidung in ein
fache und zusammengesetzte dictio folgen lässt ?4°), hierauf aber als
dritte die Theilung in das Universale und das Singuläre anreiht, wobei
er bezüglich der Definition des ersteren sich wörtlich am Avicenna an
schliesst***); der vierte Gesichtspunkt beruht auf der grammatischen
Eintheilung der Worte 247), der fünfte aber betriffi die Begriffe des
Synonymen u. dgl.***), auf welche er für die Kategorienlehre wohl
ebenso wenig Gewicht legte wie Avicenna (s. Anm. 191); hingegen
mochte er durch dieselben den Uebergang zur Isagoge angebahnt findem,
insoferne er in gleicher Weise wie Avicenna daran festhielt, dass die
fünf Universalien nur nach inmerer Wesensbestimmtheit, d. h. univoce,
ausgesagt werdem **°).
Jedenfalls liess er als materia secunda hierauf dem lnhalt der
Is a go g e folgen, wobei er wieder an Avicenna nicht bloss in der ver
gleichendem Bezugsetzung der Universaliem auf das Particuläre (vgl. Anm.
107), sondern auch in der principiellem Unterscheidung zwischen essen
tiale und accidentale (Anm. 92 (f.) sich anschloss, jedoch in letzterer
Beziehung einige Momente hervorhob, deren Erörterung bei seinen Wor
gängerm sicher gleichfalls sich gefundem haben muss, wenn auch unsere
243) C. 3. : Partes logicae et ordo earum cognoscuntur eae ostensione suae in
tentionis; intentio vero est diffinire et probare et discernere vitiosa a non vitiosis
sive vera a falsis. Eæ his autem quod est magis necessarium, probatio est, quae
quidem composita est..... Inquisitor scientiae compositi dicitur primum apprehendere
scientiam partium. Unde sequitur, ut primum loquatur de dictionibus et quomodo
significant intellectus, deinde de intellectibus et eorum divisionibus, deinde de enun
tiatione composita, scilicet de praedicato et subiecto et de eius speciebus, ad ultimum
de probatione, quae fit eae duabus enuntialionibus.
244) Ebend.: Materia prima est de significatione dictionum, quae certificatur
quinque divisionibus. Divisio prima est, quod dictiones significant inlellectum tribus
modis. Uno secundum parilitatem .... alio secundum consequentiam .... tertio secun
dum concomitantiam. -
245) Ebend.: Divisio secunda est, quod dictio dividitur in complexum et in
compleacum.
246) Ebend.: Divisio tertia: dictio dividitur in singulare et universale; sin
gulare est, cuius significatio prohibet illud a multis participari;..... universale est,
cuius significatio non prohibet illud a multis participari (auch die Sonne wird wie
bei Avicenna, Anm. 89., als Beispiel eines möglichen Universale angeführt).
247) Ebend.: Divisio quarta est: dictio dividitur in actionem, nomen et con
iunctionem, logici autem actionem verbum vocant ; unumquodque autem nomen et
verbum differunt g coniunctione, eo quod significatio cuiusque eorum plana est per
se, quod non habet per se coniunctio.
248) Ebend.: Divisio quinta est, quod dictiones in esse rationum sunt quinque
modis, sunt enim univoca, multivoca, diversivoca, aequivoca, convenientia.
249) S. die in Anm. 91. angeführte Stelle.
364 XVI. Algazeli.
lückenhaftem Quellen hierüber schweigen; nemlich das essentiale sei
dasjenige, was nothwendig gedaeht werden müsse, während die Existenz
das gleichgültige Zufällige sei, und ferner nehme das Universale eine
Priorität des Gedachtwerdens für sich in Anspruch, sowie auch andrer
seits das Essentielle einen Gegensatz gegen die concrete Position des
Daseins in sich schliesse *°°). Indem sodann die nähere Eintheilung
des essentiale und des accidentale folgt, lässt sich hinwiederum Algazeli
bezüglich des Letzteren durch die wohlbegründeten Bedenken Avicenna's
(Anm. 156 ff.) nicht beirren, sondern hält sich an die Angaben des
Porphyrius *°'), hingegen was das essentiale betrifft, stellt er das bei
Avicenna Entwickelte als zwei Eintheilungs-Gesichtspunkte nebeneinander,
indem er zuerst die relative Abstufung der Gemeinsamkeit, welche in
der Tabula logica liegt (Anm. 132), hervorhebt *°°), und sodann den
Unterschied der Fragen quid und quale (Anm. 101 ff.) zum Eintheilungs
grunde macht***), woram sich ihm ebenso wie bei Avicenna (Anm.
110) die Besprechung der Definition anreiht, bezüglich deren er sogar
250) Ebend.: Materia secunda est de intentione universalium et de diversitate
suarum compositionum vel comparationum inter se et divisionum suarum ....... Di
cimus ergo , quod omnis intentio universalis, cum comparatur ad particulare con
tentum sub eo, vel est essentialis vel accidentalis. Intentio vero non est essentialis
nisi ut conveniant sibi tria. Primum est .... (folgen völlig unverständliche Worte)
...., cum enim intelligis, quid est homo et quid est animal, non potes intelligere
hominem sine intellectu animalis .....; cum intelleaceris, quid est. homo, non est
necesse te intelligere, eum esse .... et manifestabitur tibi, quia esse accidgntale est
omnibus ..... Secundum est, ut possit intelligi, universale necessario esse prius,
posterius verò particulare contentum sub eo vel in esse vel in intellectu; ..... non
potest autem dici? quod necesse est, prius esse risibile, deinde homo; ..... eae hac
autem prioritate non intelligitur ordo temporalis, sed ordo intellectualis, quamvis
sint paria in tempore. Tertium est, quia possibile non est, essentiale esse positi
vum; ..... homo enim essentialiter est animal non propter positionem alicuius; si
enim propter positionem alicuius homo esset animal, tunc possibile esset, imaginari
nos posse, ponere illum hominem et non animal; ..... etenim (der Text gibt et non)
risibile accidentale positivum est, nam potest dici ,,quae res posuit hominem habere
esse. risibile?“, et haec interrogatio vera est, sed non est vera interrogatio, qua
quaeritur ,,quae res posuit hominem esse animal?“ ..... dicemus ergo, quod homo
est homo essentialiter et homo est animal essentialiter.
251) Ebend.: Alia divisio solius accidentalis; accidentale enim dividitur in
communicans separabile et in communicans omnino inseparabile ...... Separabile vero
dividitur in tarde separabile, ut pueritia ...., et in cito separabile, ut rubor ....
Inseparabile vero dividitur in inseparabile in aestimatione non in esse, ut nigredo
aethiopi, et inseparabile in esse, ut paritas quaternario et indivisibilitas puncto ......
Item accidentale dividitur in id, quod est proprium subiecto, .... et in id, quod est
commune multis.
252) Ebend.: ftem essentiale secundum considerationem magis universalis et
minus universalis dividitur in illud, quod .... dicitur genus, et in id, quod ....
dicitur species, et in id, quod est medium .....; id autem, sub quo, non est minus
commune, dicilur species specialissima, et id, super quod non est communius, dicitur
genus generalissimum ..... Substantia ergo genus est generalissimum (folgt die arbor
Porphyriana).
253) Ebend.: Item essentiale secundum aliam considerationem dividitur in id,
quod respondetur ad ,,quid est?'', cum interrogans intendit certificari de essentia
rei, et in id, quod respondetur ad ,,quale quid est?**; primum autem vocatur genus
vel species , secundum differentia.
XVI. Algazeli. 365
gleich hier die üblichen praktischen Regeln zur Wermeidung von Feh
lern einfügt *°*). Sodann schliesst er mit kurzer Nennung der fünf
Universalien diesen Stoff ab *°°); dass er aber dennoeh anderweilig
auch die controversen Erörterungen über die einzelmen Universalien
berücksichtigt haben muss, ersehen wir aus obigen Quellenstellen, wo
or sowohl bezüglich des Gatlungsbegriffés neben Avicemma (Amm. 116)
als auch in dem Fragen über das Accidens neben seinen beiden Wor
gängern (Anm. 30 u. 160) angeführt wird. Was aber die Kernfrage
über die Universalien betriffi, so simd wir, wenn auch das uns erhallene
logische Compendium Algazeli's hierüber schweigt, dennoch darüber
unterrichtet, dass derselbe trotz und neben aller mystischen Tendenz
die Universalien auf Grundlage eines Intellectualismus auffasste ; denm
es ist uns diess nicht bloss durch obige anderweitige Anführungen
(Anm. 22 u. 188), sondern auch durch eine Stelle seiner Metaphysik
bezeugt, in welcher er ähnlich wie Avicenna die Annahme bekämpft,
dass das Universale als Eines im Singulären existire, denn als Univer
sale habe dasselbe nur im Denken seine Existenz *°°).
Wenn uns aber bezüglich der Kate g o r i e n schon bei Avicenna
(Anm. 189) sich ein leises Bedenken aufdrang, wo dieselben in der
Logik einzureihen seien, so findem wir mun. bei Algazeli die beachtens
werthe Erscheinung, dass in dem ganzen Compendium seiner Logik die
Kalegorien nicht mit Einem Worte erwähnt sind, wohl aber ihre Be
sprechung in der 0ntólogie, d. h. in der Metaphysik finden. Und so
dürfen auch wir uns auf die Mittheilung beschränken, dass Algazeli
sowohl mit seinen Vorgängern die Auffassumg des ens theilte (Amm. 32)
254) Ebend.: Diffinitio est id, quod facit imaginari quidditalem rei in ánima
interrogantis .....; diffinitione vero acquiritur veritas essentiae rei, unde nec potest
fieri diffinitio nisi eae differenliis substanlialibus tantum. Descriptio ver0 sequilur,
póstquam aliquando sit apposita una differentia ; sed veritas rei certissime non cog
noscitur nisi multis differenliis ...... Postquam autem facta est cognilio diffinitionis,
faciam te c0gn0scere, quot modis sit error in illa ...... Haec sunt, quae in diffini
tionibus caveri debent.
255) Ebend.: Palet aulem eae praediclis, quod essenliale dividitur in tria, quae
sunt genus, species et differentia ; accidens vero dividitur in duo, proprium accidens
et commune accidens. Manifestum est igitur, quod universule dividilur in quinque,
quae dicuntur incompleta quinque.
256) De divis. entis, c. 7.: Ens dividitur in universale et particulare .....
Primum est quidem intentio, quae dicilur universalis. Suum esse est in inlelligibili
bus, non in singularibus. Quidam vero audientes hoc, quod dicimus, quod omnes
homines unus sunt in humanitate, ...... putaverunt, quod ..... homo universalis sit
aliquid ens unum numero eæistens in singularibus ..... Hic autem primus error est;
...... intellectus enim recipit formam hominis, ..... singuli enim homines non diffe
runt in humanitate ullo modo ..... Id vero, quod concipitur de individuo Petro, est
forma singularis in intellectu ; secundum quod ipsa intelligitur, universalis est eae
hoc, scilicet quod eius comparatio ad omne individuum, quod est et fuit et erit,
unum est ..... Universale igitur, secundum hoc quod est universale , , eaeislit in in
telleclibus, non in singularibus;.... veritas enim humanitatis est in singularibus et
est in inlelligibilibus utrisque ...... Universale non potest habere plura singularia,
nisi unumquodque eorum discernatur ab alio differentia vel accidente; si enim acci
piatur universalitas per se nuda sine aliquo superaddito, quod adiungatur ei, non
potest imaginari in ea numeratio et singularitas.
366 XVI. Algazeli.
-
als auch an Avicenna (Amm. 199 ff.) in der Erörterung der Accidenta
lität der übrigen meun Kategorien sich anschloss *°").
Somit reiht er am die Isagoge unmittelbar als materia tertia der
Logik die Lehre vom U r t h e ile an, wobei er zunächst in der üblichen
Weise von den übrigen Satzartem das indicative, d. h. logische, Urtheil
heraushebt *°°), in welchem er ebenso wie Alfarabi (Anm. 39) das
Verhältniss der Inhärenz des Prädicates besonders beachtet zu haben
scheint. Sodann aber wirft er sich für die nähere Darlegung sogleich
wieder auf das Motiv des Eintheilens, welches überhaupt bei ihm das
überwiegende ist. Zunächst theilt er die Urtheile in kategorische und
hypothetische, welch letztere in das verbumdene (d. h. conditionale) und
in das getrennte (d. h. disjunctive) zerfallen sollen, und zwar bestehe
zwischen sämmtlichen drei Formen eine Analogie (vgl. Anm. 219), in
dem das Verhältniss zwischem Subject und Prädicat demjenigen zwischen
den zwei Gliedern des conditionalem und disjunctivem Urtheiles ent
spreche *°°). Dass auch Algazeli wie Avicenna das copulative Urtheil
ausschied, s. oben Anm. 215. Eine zweite Eintheilung beruhe auf dem
inmerem Gehalte des Prädicates, nemlich jene in bejahende und ver
neinende Urtheile, wobei jedoeh micht bloss bezüglich des kategorischen
das scheinbar negative Urtheil (privativa) positiven Gehaltes zu beachten
sei, welches durch privative Sylben ausgedrückt werde, sondern auch
daram festgehaltem werden müsse, dass bei dem conditionalen und dis
junetiven Urtheile die Negation zur Aufhebung der Werknüpfung diene *°°).
257) Ebend. c. 5.: Necessarium dividere accidentia ..... Primum autem dividi
tur in duo, quoniam quaedam eorum sunt, quorum essentia nullo modo per se potest
intelligi, nisi aliquid aliud eaelrinsecus intelligatur, et quaedam eorum sunt, quae
per se intelligi possunt; et haec dividuntur in duas species, quantitatem scilicet et
qualitatem ........ Ea vero, quae n0n p0ssunt inlelligi nisi respectu aliorum, septem
sunt, scilicet relatio, ubi, quando, situs, habere, agere et pati. Hierauf folgt c. 6.
der Nachweis, dass sämmtliche meum Kategorien, namentlich Quantität und Qualitât,
wirklich Accidentien seien.
258) Log. c. 3.: Materia tertia est de coniunctione incompleatorum et de parti
bus enuntiationis. Intenliones incompleacae cum componuntur, proveniunt eæ eis
nultae species, de quibus omnibus non intendimus nisi de ea sola, quae est enun
tiatio, quae vocatur indicativa vel dictio diffinitiva, et haec est, in qua contingit
veritas vel credulitas vel contradictio vel falsitas.
259) Ebend.: Divisio prima est, quod enuntiativa alia est categorica, .....
alia hypothetica, hypothelica alia coniuncta, ut haec ,,cum sol est super terram,
dies est“, alia hypothetica disiuncta, ut haec ,,aut mundus coepit aut est aeternus“;
..... categorica constat eae duabus partibus, quarum una dicitur subiectum, ....
secunda dicitur praedicatum ..... .; simililer hypothetica coniuncta constat eae duabus
parlibus, quarum unaquaeque est enuntialiva; prima autem pars .... dicitur anle
cedens, ..... pars secunda .... dicitur consequens; ...... disiuncta etiam constat eae
duabus partibus , quurum unaquaeque est enuntiativa , cum ablata fuerit coniunclio
disiunctiva, quae est ,,aut“, partes aulem eius non habent ordinem nisi sola pro
batione.
260) Ebend. : Secunda divisio est, quod enuntiativa dividitur secundum inten
tionem praedicati in affirmativam .... et in negativam ..... Negatio vero hypothetica
coniuncta fit, ut negatio apponatur coniunctioni sic ,,non, cum sol est super terram,
stellae 0ccultantur**; negatio vero disiunctiva fit, ut negetúr coniunctio disiunctiva
sic ,,non est asinus vel masculus vel niger** ...... Errant in categorica et putant,
quod haec ,,Petrus est insipiens“ sit negativa ; est autem affirmativa, eius enim
XVI. Algazeli. . 367
Entsprechend beruhe die Eintheilung nach der Quantität auf dem imneren
Gehalte des Subjectes ; indem aber das singuläre Urtheil keine Anwen
dung finde und von dem unbestimmtem entweder das Gleiche gelte
oder dasselbe als particulares genommen werde, bleiben durch Combi
mation mit der Qualität nur die vier allbekannten Urtheilsformen übrig ;
hingegen seien auch die conditionalem und disjunctiven Urtheile je nach
Kraft und Umfang ihrer Geltung in allgemeine und particulare zu unter
scheiden *"'). Sodann führe noch das zwischen Subject und Prädicat
bestehende Verhältniss zu einer vierten Einlheilung, nemlich zu jener
in Möglichkeits- und Unmöglichkeits-Urtheile, wozu bei engerer Begrän
zung des Begriffes des Möglichem noch als drittes das Nothwendigkeits
Urtheil hinzukomme *"*). Hierauf folgt noch die Erörterung des contra
dictorischem Gegensatzes zweier Urtheile mit Angabe der Bedingungem,
unter welchen ein solcher stattfinden kann *°°), und die Aufzählung
der gewöhnlichen Regeln der Umkehrung *°*); jedoch bei letzterem
beidem ist inconsequenter Weise nur mehr vom dem kategorischen Ur
theile die Rede.
intentio est, significare, eum esse stultum ;.... et haec propositio privativa dicitur,
cum re vera sit affirmativa. -
261) Ebend.: Item alia propositionis divisio, quod secundum intentionem sub
iecti dividitur in singularem .... et in non singularem; non singularis autem divi
ditur in indefinitam et definitam;..... definita est, quae determinatur aliquo signo
universalitatis vel particularilatis; quae est quadrupleæ, scilicet affirmativa univer
salis ..... et affirmativa particularis, .... negativa universalis .... et negativa par
ticularis .... Secundum hoc igitur fiunt propositiones octo cum his quatuor, quae
sequuntur: singularis affirmativa et singularis negativa, indefinita affirmaliva et in
definita negativa; his aulem qualuor non multum utimur in scientiis; indefinitae
vero accipiuntur in sensu particularium, quoniam sine dubio de parte significant.
- - - - - - Hypothetica vero coniuncta dividitur in universalem, ut ,, si semper sol est
super terram, semper est dies“, et particularem, ut ,, si aliquando sol esl super
terram, erit dies**. Disiuncta vero fit universalis, cum dicitur ,,omne corpus aut
movetur aut quiescit**, parlicularis etiam, cum dicitur ,, quidam homo aut est in
navi aut est mersus.**
262) Ebend.: Item propositio secundum intentionem compositionis sive habitu
dinis praedicati ad subiectum dividitur in possibile .... et in impossibile ..... Possi
bile autem duobis modis intelligitur; intelligitur enim possibile, quod non est im
possibile, sub quo comprehenditur etiam necessarium, et secundum hoc res dividilur
in duo, in possibile scilicet et in impossibile; intelligitur etiam possibile id, qu0d
potest esse et non esse, et hic est eius usus proprius; secundum hanc igitur consi
derationem erunt tria genera rerum, scilicet necessarium, p0ssibile et impossibile.
263) Ebend.: Item omnis proposilio videtur habere contradictoriam diversam a
se in affirmatione et negatione; sed si diversa est ab ea veritate vel falsitate, revera
dicilur contradictoria ..... Vera autem contradictio esse non potest nisi adsint ista
seae: quorum primum est, ut subiectum utriusque sit unum sicut voce sic et signi
ficalione ..... ; secundum est, ut praedicalum utriusque sit unum et idem ..... 5
tertium est vero, ubi non differant gn parte et toto, sicut cum dicis ,,oculus Petri
est niger“, intelliges de pupilla ..... ; quartum est, ubi non differant potentia et
effectu ..... ; quintum est, ubi non sint diversae relationes ......; sevta conditio,
ut non discernantur quantitate.
264) Ebend.: 0mnis propositio est convertibilis secundum quod videtur, sed
conversio dividitur in comitantem suae veritatis* et in non comitantem ....... Nega
tiva universalis convertitur in negativam universalem; negativa autem particularis
non convertitur ......; affirmativa universalis convertitur , in alteram particularem
.....; affirmativa autem particularis convertitur in similem sibi.
368 - XVI. Algazeli.
Nun kanm sich als materia quarta die Lehre von der A rgumen
tatio n anreihem, bezüglich deren Algazeli moch einmal an seine princi
pielle Eintheilung der Logik erinnert, zugleich aber eine Unterscheidumg
zwischen Form und Stoff der Argumentation an die Spitze stellt 265).
Der Form nach ist die erste Species der eigentliche Syllogismus, wel
cher sofort in dem kategorischen und dem hypothetischen Schluss ge
theilt wird, woran sich unter Angabe der üblichen Terminologie und
der Dreizahl der Schlussfiguren abermals (vgl. Anm. 259) eine Paralle
lisirung der kategorischen und hypothetischen Urtheilsform anknüpft *°°).
Sodann werden die gewöhnlichen Regeln über die für alle kategorischen
Syllogismen gültigem Bedingungen sówie über die Tragweite. der drei Fi
guren vorausgesckickt*"), um sodann die Entwicklung der sämmtlichen
Modi der letzteren folgen zu lassen, wobei- wir nur zu bemerken haben,
dass Algazeli in der ersten Figur die fünf theophrastischen Schluss
weisen nicht erwähnt, sowie dass er überhaupt von den mathematisch
möglichen sechzehn Combinationen der vier kategorischen Urtheilsformen
ausgeht, und hiernach im Hinblicke auf die für die Schlussfigur geltende
Regel die unzulässigen Combinationem ausscheidet *°°). Während er aber
hierauf die aristotelische Entwicklung jener Modi, welche auf Verbin
dungen der Urtheile des Stattfindens und der Möglichkeit und der Noth
wendigkeit beruhen, gänzlich ignorirt, bildet ihm einen wichtigen Gegen
265) C. 4.: Materia quarta est de coniunctione propositionum ad faciendam
argumentationem, et haec est nostra intentio ..... Consideratio vero haec est circa
duo, quorum unum est forma et alterum est materia. Primum quidem est forma
argumentationis. Supra diacimus autem (s. Anm. 235 ff.), quod scientia aut est
imaginationis aut credulitatis, et quod imaginatione non comprehenditur nisi in diffi
nitione, credulitas vero nonnisi argumentatione. Argumentatio est vel syllogismus
vel ezemplum vel induclio.
266) Ebend.: Syllogismus dividitur in categoricum et hypotheticum ..... . Eac
coniunctione partium utriusque propositionis proveniunt tres partes, quae vocantur
termini ..... Enunliatio aulem , cum fuerit pars syllogismi, vocalur propositio .....
Disp0silio ver0 duarum propositionum vocatur compleacio; qualitas duarum proposi
tionum ad medium vocatur figura. Eae hac ergo propositionum dispositione fiunt tres
figurae ...... Judicium aulem antecedentis et consequentis in hypotheticis coniunctis
simile est iudicio subiecti et praedicati secundum ordinationem eorum in his tribus
figuris. Vgl. Abschn. W, Anm. 56 ff. -
267) Ebend.: Conveniunt etiam in hoc tres figurae, quod in nulla earum con
cluditur aliquid ev duabus negativis nec ea, duabus parlicularibus nec eae minore
negativa et maiore particulari ..... Figura autem prima .... concludit quatuor finitas
..... figura vero secunda nullo modo concludit affirmativam ; tertia figura nullo modo
concludit universalem. -
268) Ebend.: Post hos qualuor (sc. modos primae figurae) sequuntur duodecim
commiactiones, quae non concludunt. Eo qu0d in unaquaque figura possunt fieri sea
decim conneaeiones; minor enim potest esse affirmativa universalis vel parlicularis vel
negativa universalis vel particularis, et sic fignt quatuor, quarum unicuique etiam
possunt adiungi qualuor maiores ..... Cum autem posuerimus, ut minor sit negativa
universalis vel particularis, ..... non concluditur aliquid, et per hoc eæcluduntur
octo conneaciones ..... Et remanebunt duae affirmativae ; affirmativae , vero universali
minori possunt adiungi qualuor maiores; duae illarum non concludunt ..... eo quod
in hac figura posuimus , ut maior sit universalis. Remanent ergo in hac figura seae.
Affirmativae vero particulari minori nunquam adiungitur particularis maior nec affir
fmaliva nec negativa ..... Eaecluduntur ergo de sea, remanentibus aliae duae. Et sic
remanent quatuor tantum.
XVI. Algazeli. 369
stand die Lehre vom hypothetischem Syllogismus, welcher naeh 0bigem
(Amm. 259) in einen conditionalem und einem disjunctiven zerfallen muss.
Bezüglieh , des ersterem gibt er allerdings die gewöhnliche Regel, dass
durch Annahme des Wordersatzes der Nachsatz angenommen und durch
Aufhebung des Nachsatzes der Vordersatz aufgehoben sei, aber er fügt
noch dem höchst läppisehen Einfall hinzu, dass, wenn der Umfang des
Wordersatzes und jener des Nachsatzes einander völlig gleich seiem, auch
umgekehrt gesehlossem werdem könne umd es dann hiemit vier conditio
male Schlussweisen gebe *°°); in ähnlicher Weise denkt er auch bei
dem disjunetiven Schlusse, welcher in der Regel in vier Weisen sich
gestaltet, an die Möglichkeit, dass nichl eine dichotomische Alternative,
sondern eine Mehrgliederung von Fällen im Obersatze vorliege*7°). In
dem er aber hierauf die Entwieklung der Formen der Argumentation
noch vervollständigen will*7!), besprieht er zunächst noch den indirectem
Beweis *7*), sodann die lnduction unter dem üblichen Worbehalte be
treffs ihrer Tragweite *7°), und zuletzt die Exemplification, bei welcher
er völlig in das Gebiet der Rhetorik hinüberstreift, während er Momente,
welche eben dort ihre geeignete Stelle haben, als logische Stützen der
Exemplification betrachtet *7*). In solcher Weise ist hei Algazeli an
269) Ebend.: At modo de syllogismis hypotheticis, quorum duae. sunt species:
hypothelicus coniunctus et disiunclus .... Hypothetici vero coniuncti hoc est eaeemplum
,, si mundus est factus, factorem habet“; haec est propositio, cuius si posueris
antecedens, sequitur consequens; ..... si ver0 posueris negativam consequentis, sequi
tur negatoria antecedentis ...... Ad positionem vero consequentis vel ad destruclionem
antecedentis non fit conclusio nisi in paribus tantum, in quibus consequens non est
communius antecedenle, et tunc possunt concludi quatuor hypotheticae, ut ,,si hoc
est corpus, hoc est compositum, sed est corpus, ergo est compositum“, vel ,,est
compositum, ergo est corpus“, vel ,,non est corpus, ergo non est compositum“, vel
,,non est compositum, ergo non est corpus**. Si vero consequens fuerit communius
antecedenle, ..... tunc ad remotionem communioris removetur minus commune .....»
sed ud remotionem minus communis non removetur magis commune ...... ; sed ad
positionem minus communis ponitur magis commune ..... et non e contrario.
270) Ebend.: Species secunda est de hypothetica disiuncta, ut hic ,,aut mundus
coepit aut mundus est aeternus“, hic concluduntur quatuor hypotheticae hoc modo:
,,sed mundus coepit, ergo non est aeternus“, vel ,,non coepit, ergo est aeternus“,
vel ,,est aeternus, ergo non coepit*', vel ,,non est aeternus, erg0 coepit'' ..... . Hoc
autem non fit nisi in , contruriis immediatis; sed in mediatis, si fuerint tria, ad
positionem unius eorum removentur reliqua duo ..... ; si vero enuntiatio fuerit plu
rium partium, ..... ad positionem unius eorum removentur ceteri.
271) Ebend.: Haec sunt principia syllogismorum. Sed ad complendum hunc
tractatum adiicimus etiam quatuor (zu lesen tria), quae sunt ratiocinatio indirecta
et inductio et ea:emplum. -
272) Ebend.: Ratiocinatio composita ratiocinationis indirectae forma est, probare
propositionem destruendo contrarium, dicendo illud ad inconveniens, scilicet adiungere
illi aliam propositionem manifeste veram et concludere eae eis manifeste falsum.
273) Ebend.: Inductio est oralio , in qua eae multis particularibus infert uni
versale illorum ...... Inductio autem non valet nisi in auctoritatibus logicis non
necessariis, in quibus, quo magis fuerit induclio diligentius composita et plenior,
faciet maiorem fidem.
274) Ebend.: Exemplum est illud , quod doctores legis argumentationem vocant,
scilicet iudicium de uno singulari in aliud propter aliquam similitudinem ...... Post
quam autem dialectici apprehenderunt debilitatem huius argumentationis, adinvenerunt
P R A ntl, Gesch. II. 24
370 XVI. Algazeli.
Stelle einer , getreuem Auffassung der aristotelischen Logik bereits ein
sehr steriler Abhub griechisch-arabischer Schul-Logik getreten, welcher '
allerdings für seine skeptisch-destructive Tendenz eim, geeigueterer Gegen
stand sein mochte, als wenn, er die ächte Lehre des Aristoteles ent
wickelt hätte. - -
Indem, aber hierauf noch der Stoff der Argumentation seine nähere
Erörterung findet, so hat Algazeli hierim , nicht bloss wie. seine Vor
gänger (Anm. 51 u. 223) die Anknüpfumg der zweitem Analytik. an die
erste erblickt*7°), sondern er folgte , hiebei auch völlig dem Alfarabi,
offenbar im der Ueberzeugung, dass die aristotelische Lehre einer we
sentlichen Ergänzung bedürfe (s. Amm. 52), und zwar in einer. Weise,
dass wir je mach Befund unserer Quellen erst durch Algazeli eine
gemauere Eimsicht in jene arabische Zuthat erlangen. Nemlich indem
derselbe Alfarabi's Gleichniss mit dem Golde (Amm. 51) wiederholt,
bringt. er mit jenem , dortigem fünf Abstufungen der Urtheile zunächst
dem Unterschied , zwischen dem demonstrativem, dialektischen, rhetori
schen, sophistischem und poetischen Verfahren (vgl. Absehn. XI, Anm.
122 f.) in Verbindung, und zählt hierauf, jene nemlichen dreizelin Artem
von Urtheilen, welche den , Stoff der Beweisführung , bilden können,
auf *7°), um sodann dieselben höchst ausführlich in Beispielen zu er
läutern — ihre Namen sind: primae, sensibiles, eæperimentales, famosae,
quae naturaliter secum habent probationem, aestimativae, maæimae,
receptibiles, concessae, simulatoriae, maaeimae in apparentia, putabiles,
immutatoriae — *"), worauf noch die Zurückführung derselben auf
aliam viam ...... et in stabiliendo hoc processerunt duabus viis, quarum una dicitur
,,simile et contrarium“..... Alia viu ,,coniectatio“ est.
275) Albert. M. Anal. post. I, 1, 1, p. 514. B: Multa autem sunt propositionum
genera, ut dicit Algazel, in quibus nihil proæimius est syllogism0, quam necessitas
in materia propositionum; et ideo haec scientia (sc. demonstraliva) immediate post
scientiam de syllogism0 est 0rdinanda. -
276) L0g. c. 5.: Materia syllogismi sunt propositiones, quae si fuerint cre
dibiles et verae, erunt conclusiones credibiles et verae ..... Sicut aurum est materia
nummi et rotunditas forma eius, ..... similiter syllogismus est vitiosus aliquando
vitio formae, scilicet cum non fuerit secundum aliquam figuram praemissarum, ali
quando est vitio materiae, quamvis forma sit recta ..... Sed sicut aurum habet
quinque ordines, ..... similiter propositio habet quinque ordines; primum ordinem
habet illa, quae est vera el credibilis sine dubietate sive deceptione, et argumentatio
eae talibus composita dicitur demonstrativa ..... proæima veritati, ut difficile p0ssit
falsitas esse in illa ..., , et argumentatio eae ea vocatur dialectica; tertium habet ea,
quae opinabilis, ..... rhetorica; quartum habet propositio formata ad modum verarum
cum similalione et dolo, ..... et syllogismus, qui. fit eae ea, dicitur deceptivus , et
sophisticus; quintum habet propositio, quae scitur esse falsa ...... 0pus autem,
de his propositionibus, latius disseram. 0mnis igitur propositio, eæ qua componitur
argumenlatio, quae propositio nondum stabilita est ratione, ...... dividitur, in tre
decim partes, scilicet in primas, sensibiles, eæperimentales, famosas, propositionem,
quarum medium terminum el probationem intelligere in promplu est, et in aestimativas,
maacimas, receplibiles, concessas, simulatorias, eas quae videntur maæimae, et pula
biles et immutatorias.
277) Ebend.: Primae sunt, quas per se necesse est naturaliter intelleclui cre
dere, ut haec ,,duo sunt plus, quam unum** ...... Sensibiles sunt, ut haec ,, sol
est lucidus'* ..... Ea perimentales sunt propositiones, quas acquirimus in sensu et
inlellectu, ut haec, quod scimus, quod ignis adurit...... Famosae sunt, sicut quas
XVI. Algazeli. 371
obige fünf Verfahrungsweisen (facultates) folgt, insoferne die ersten
fünf der Demonstration, die 7. und 9. der Dialektik, die 6., 8. und 11.
der Rhetorik, die. 10. und. 12. der Sophistik, und , die 13., der Poetik
zugewiesem werden *"*). - Wenn aber , hierauf unter der Ueberschrift
,,De fallaciis“ sich eine Aufzählung möglicher Fehler der Beweisführung
abreiht, so ist hiedurch ebensowenig der Inhalt der Soph. Elenchi be
rührt, als etwa in das Worhergehende die Topik verflochten wäre, son
dern das Ganze enthält nur in der Angabe von zehn Punkten eine zer
splitterte Wiederholung dessen, was Aristoteles noch in der erstem
Analytik bezüglich der Wahrheit des Erschliessbaren. (Abschn. IV, Anm.
611—614), sowie. über das Erschleichen des Ausgangspunktes (ebend.
•; .
vulgo dicente didicimus, sicut haec, quod Aegyptus est, quamvis nunquam vidimus.
- - - - - Propositiones vero, quae sequuntur, habent probationem suam naturaliter, sunt
illae, quibus , non acquiescit animus nisi per medium terminum ........ 0pinabiles
sunt pr0p0sitiones falsae, quae ita fiace adhaeserunt in animo, ut nemo possit dubi
tare, de his, quae contingunt eæ actione aestimationis in ea, quae sunt praeter
sensibilia ..... Manifestae sunt propositiones, quae non recipiunlur nisi in quantum
sunt manifestae, et putat vulgus et simplices • doctores, esse primas comitantes in
tellectus naturam, ut haec ,,mendacium est turpe'' (demnach ist, was oben aesti
maliva genannt war, hier in opinabilis und manifesta zerlegt) ...... Malvinae
autem differunt secundum maiorem et minorem evidentiam sui et secundum diversi
tates usus et modorum et terrarum et artificum ...... Receptibiles sunt illae, quae
habentur a sanctis hominibus vel a maioribus sapientum ..... . Concessae sunt, quas
concessit adversarius vel sunt manifestae inter ambos tantum ...... Simulatoriae sunt,
quas studet homo assimilare primis vel eæperimentalibus vel maæimis .... Maximae
in apparentia sunt, quas qui audit statim recipit in principio, sed cum diligenter
attendit, audit, non esse recipiendas ..... Putabiles sunt, quae faciunt putare ali
quid, quamvis, animus percipiat, posse esse eius oppositum, sicut ,,qui nocte ambu
lat, malefactor est“ ..... Imaginariae vel transformatoriae vel immutatoriae sunt,
quas scimus esse falsas, sed imprimuntur in animo vel appetenda vel respuenda,
sicut ,,mel videlur esse stercus**.
278) C. 6.: De acceptione propositionum in facultalibus. Quinque primae spe
cies, scilicet primae, sensibiles, eæperimentales, famosae et quae secum habent natu
raliter probationem (der Text gibt propositionem) suam, congruunt argumentationibus
demonstrativis; ulilitas aulem demonstrationis est manifestatio veritatis et acquisitio
certitudinis. Maaeimae vero et concessae aptae sunt argumentationibus dialecticis;
..... utilitas autem dialecticae multipleæ est; prima est, convincere praesumptuosum
et iactantem se scire, quae nescit;..... secunda est, ut cum voluerimus docere illum
aliquam scientiam veram, .... nec sit contentus orulione rhetorica, .... nec tamen
ascendit adhuc ad gradum superiorem veritatis .....; tertia est, quod introducendi
in singulis arlibus .... n0n p0ssunt prius addiscere principia artis .....; quarta est,
quod natura dialecticae argumentationis est, posse concludere duas eætremitates con
tradictionis in quaestione, quod cum fecerit et consideraverit locum erroris, aliquando
manifestabitur ei veritas ..... Putabiles autem et simulatoriae pr0p0sitiones sunt
aptae argumentationi sophisticae, nec prosunt alio modo nisi ut sciantur ad cavendum
eas, .... et aliquando tentamus per eas inlellectum .... et vocabitur argumentatio
tentativa, aliquando vero inducemus eas ad inferendum sibi verecundiam, qui simulat
vulgo se sapientem esse .... et tunc vocabitur argumentatio decepliva ....... Maacimae
vero in apparentia et putabiles (wie sich von selbst versteht, ist hiefür opinabiles
oder aestimativae zu lesen) et receptibiles aptae sunt fieri argumentationis proposi
tiones rhetoricae et legalis ..... ; utilitas autem rhetoricae manifesla est, flectere sci
licet animos ...... Transformatoriae autem sunt propositiones argumentationis poeticae
- - - - - - - Eae his autem omnibus negoliis nihil est opus cognoscere nisi demonstratirum
ad inquirendum et sophisticum ad cavendum; intentio nostra erit admodo loqui de
his duobus.
24*
372 XVI. Algazeli.
Amm. 628), über den Cirkel-Beweis (ebend. Anm. 615), und über die
Stufe des blossen Meinens (ebend. Anm. 634) entwickelt hatte *"°).
Erst nun aber nach dieser ganzen Digression betreffs des Stoffes,
welche offenbar aus Alfarabi entnommen ist, kömmut Algazeli auf die
materia quinta der Logik, d. h. auf die aristotelische zweite An a
lyti k selbst, wobei er vorerst die Frage des ,,0b** betreffs der Exi
stenz selbst oder eines blossen Zustandes, und die Frage des „Was“
mach Seite der Namenserklärung und der Wesens-Definition, und die Frage
des „Wie beschaffen“ bezüglich des artmachenden Unterschiedes, und
die Frage des ,,Warum“ im Sinne des Realgrundes und auch des Er
kenntnissgrundes bespricht*°°), und sodann in seiner Manier des Ab
theilens als zweiten Punkt den Unterschied der „demonstratio quia“
und der „demonstratio quare“ (vgl. Anm. 62 u. 226) erörtert ***); hier
auf folgt als dritter Gesichtspunkt ein Excerpt aus den Angaben des
Aristoteles über das Zustandekommem des apodeiktischen Wissens (s.
Abschn. IV, Anm. 184 ff.) bezüglich der den Einzel-Wissenschaften eigen
thümlichen Gegenstände und desjenigen, was denselben wesentlich zu
kömmt, sowie der wissenschaftlichen Fragen und der obersten Princi
pien, welch letztere auch Algazeli im Sinne mathematischer Axiome
279) C. 7.: De fallaciis. Nunc autem ostendemus species erroris ad cavendum
eas, quae sunt decem. Prima est, quod disputationes saepe fiunt confusae .....,
unde 0p0rtet, .... ut scias, si est syllogismus annon ..... et `cuius figurae et cuius
fm0di ..... Secunda, ut diligenter observes medium terminum ..... Tertia est, ut
diligenler observes, ne inter utrumque terminum, maiorem scilicet et minorem, et
eaetremitates conclusionis sit aliqua diversilas ..... Quarta est, ut observes duos vel
tres terminos et duas eaetremitates conclusionis, ne sit in eis aequivocum ......
Quinta est, ut observes copulationem et nomina ...... Seacta est, ut non recipias
indefinitas ...... Septima est, quia aliquando credes propositionem in syllogismo eo,
quod, quodcunque quaesiveras, eius conlradictorium in intellectu tuo non invenis,
sed hoc non facit necessitatem credendi ..... 0ctava est, ut quaestio non fiat pr0p0
sitio in syllogismo ...... Nona est, ut non probetur aliquid per id, quod non pro
batur nisi per ipsum ...... Decima est, ut fugias propositiones putabiles maarimas
et simulatorias, nec credas nisi primas et sensibiles et alias, quae cum eis sunt.
280) C. 8.: De demonstratione. Materia quinta est de his, quae sequuntur
librum argumentationis de Analecticis (vgl. Abschn. XIII, Anm. 288. u. Abschn. XIV,
Anm. 23.) posterioribus, in qua est utilitas demonstrationis. Haec dividitur in
quatuor species. Prima species est de quaestionibus disciplinabilibus et eorum. parti
bus, scilicet de quatuor quaestionibus, quae versantur in scientiis, quarum prima
est ,,an est*', ..... secunda est ,,quid est“, ..... tertia est ,,quale est*', ..... quarta
est ,,quare est“. Inlerrogatio vero ,,an est** fit duobus modis, uno quo quaeritur,
an res habeat esse, .... secundo, cum quaeritur dispositio rei, ut .... an mundus
coepit. Interrogatio vero ,,quid est** similiter duobus modis fit, uno cum quaeritur
de interpretatione nominis, ..... alio modo quaeritur veritas rei in se; ..... interro
9atio vero ,,quid est** secundum primum modum praecedit interrogationem „an est“.
...... Interrogatio vero ,,quale** quaerit de differentia vel de proprio. Interrogatio
vero ,,quare est** fit duobus modis, uno quaeritur causa esse rei, ...... alio quaeritur
causa scientiae ....... Interrogatio vero „quid est“ et „quale est“ pertinet ad ima
ginationem, sed interrogatio ,,an est“ et ,,quare est** pertinet ad credulitatem.
281) Ebend.: Secunda eius species est de syllogismo demonstrativo; syllogismus
demonslralivus dividitur in eum, quo acquiritur causa esse conclusionis, et in eum,
quo acquirilur fides eius, quod est esse; primus vocatur ,,demonstratio, quare est“,
secundus vocatur ,,demonstratio quia est“..... Demonstratio est de „quare“, quando
nedius terminus causa est inveniendi minorem et. maiorem terminum.
XVI.. Avempace. 873
(vgl. Anm. 60) aufgefasst zu haben scheint***). Endlich als vierter
und letzter Punkt begegnet uns hier die Erörterung über das aristote
lische καδόλον und xαδ' αὐτό, welche bei Alfarabi und Avicenna (vgl.
Anm. 57 u. 224) zu den Untersuehungen über das praedicatum primum
geführt hatte, hier aber in ziemlich sehulmässiger Formulirung und mit
starker Betonung der Bedeutung des Prädicates auftritt ?°°).
So beschränkt sich Algazeli wenigstens in seinem uns zugänglichen
Compendium auf den Umkreis. der Apodeiktik , ohne die Topik oder
Sophistik beizuziehen ; es dürfte aber aueh dieses mit seiner skeptischen
Tendenz übereinstimmen, da er bei Bekämpfung des eigentlich wissen
schaftlichen Verfahrens das dialektische Gebiet der blossen Probahilität
völlig ignorirem konnte. -
Ueber Ave m p a c e (Abu-Bekr - Mohammed - Ben-Jahya- Ibn-Badscha,
gest. 1138) können wir hier nur äusserst Weniges berichten. Seim
Einfluss , auf das Mittelalter liegt hauptsächlich in seinen Bearbeitungen
der physikalischen Schriften des Aristoteles oder mittelbar durch Aver
roes in der Entwicklung der Erkenntnisslehre, welch beiderseitige Thä
tigkeit uns hier nicht berührt. Und wenn derselbe sich aueh mit dem
Umkreise der Logik im engerem Sinne beschäftigte ***), so seheinen
von dergleichen Schriften desselben dem Mittelalter durchaus keine
Uebersetzungen vorgelegen zu sein, und auch wir finden ihm nur ein
paar Mal gelegentlich erwähnt, memlich in der ohen, Anm. 58, ange
führtem Stelle bezüglich jener principiellem Frage über die doppelle
282) Ebend.: Tertia species est de his, in quibus potius continentur scientiae
demonstrativae, et haec sunt quatuor, seilicet subiecta, accidentia essentialia, quae
stiones, principia. Per primum quidem, quod est subiectum, intelligitur, quod omnis
scientia subiectum habet sine dubio, de qu0 tractat ...... , speculator ergo cuiuslibet
scientiae non debet probare in sua scientia suum subiectum ...... Per secundum
autem, quod est accidentia essentialia, intelliguntur proprietates accidentales illi sub
iecto tantum et non alii; ...... necesse est autem in principiis cuiuslibet scienliae
intelligere haec accidentia essentialia cum suis diffinitionibus secundum imaginationem,
sed hoc evistere in suis subiectis non cognoscitur, nisi eæ comprehensione vel com
pleacione totius scientiae ...... Per tertium autem, quod est quaestiones, inquirimus
cohaerentiam ipsorum accidentium essentialium cum suis subiectis; et hoc, quod est,
petitur in omni scientia ; .... secundum vero quod interrogatur de eis in ea, nomi
nantur in ea quaestiones huius , vel illius scientiae, sed secundum quod petuntur,
dicuntur petitiones, secundum ver0 quod concluduntur in demonstrationibus, dicuntur
conclusiones; in quibus omnibus nominatum est, unum, sed variantur nomina ....... -
Ipsa vero principia non probantur in ipsa arte, sed vel sunt prima et vocantur per
se nota, ut h0c, quod dicitur in principio Euclidis, ...... vel non sunt prima, sed
sunt recipienda a magistro.
283) Ebend.: Species quarta est de omnibus conditionibus propositionum de
monstrationis, quae quatuor sunt, scilicet qu0d sunt verae et necessariae et propriae
et essentiales ...... Essentiale enim hic accipitur duobus modis, uno ut praedicatum
intret diffinitionem subiecti, .... secundo ut subiectum intret diffinitionem praedicali.
- • • • • .. Essentiale autem secundum primum m0dum supervacuum est ...... Prior est
cognitio praedicati cognitione subiecti ...... Quisquis enim intelligit triangulum cum
diffinitione sua secundum imaginationem, non inquiret ea, quae praedicantur de eo ;
postea autem potest quaerere, si omnes eius , anguli sunt aequales duobus rectis;
quaerere autem, an sit figura vel non, supervacuum est. -
284) Munck, Dictionn. III, p. 154. berichtet, dass logische Tractate des Avem
pace sich im Escurial befindem. -
374 - XVI. Averroes.
Funetion der Demonstratiom, sodann wieder bei- den Brörterumgen über
praedicatum primum *°°), und einmal in der Sophistik ***), — ledigliehe
Einzelheitem, aus , welchen wir, wie sich von selbst versteht, njchts
Näheres entnehmen können.
Einen gewissen Abschluss aber erhielt die arabische Philosophie
überhaupt, wie bekannt, dureh A v e r r o e s (Abul-Walid-Mohammed
Ibn-Achmed-Ibn-Roschd, gest. 1 198), dessem commentirende Thätigkeit
die sämmtlichen Werke des Aristoteles umfasste **"). Er stand hiebei
allerdings nur , auf dem Boden seiner arabischem Vorgänger, denn er
selbst verstand weder grieehisch noch syrisch, aber mit peniblem, ja
fast bornirtem Fleisse nahm er in stets ' wiederholtem Ueberarbeitingen
den gleichen Gegenstand vor, und so verfasste er auch zu jenem Zweige
der Philosophie, welehen wir hier. zu besprechen habem, nemlich zum
0rganon, dreierlei Commentare, unter welehen die einfachsten blosse
Paraphrasen waren, zu welchen ebendeshalb noch sog. „mittlere“ und
zuletzt sog. „grosse“ Commentare kamen. Indem wir unserer Aufgabe
gemäss von anderen Schriften des Averroes, welehe dem Mittelalter
bekannt waren , absehem, wie naméiitlich von der „Destruetio destruc
tionis“ (gegen Algazeli) und von seiner Darstellung der Erkenntnisslehre
(Epist. de conneae. intellectus abstr. cum homine, worauf der Monopsy
chismus der Averroistem in 0beritaliem wurzelt), müssem wir erwähnem,
dass die Scholastiker sämmtliche drei Artem der Commentare zur zweiten
Analytik, zu den übrigem Büchern des 0rganons aber (mit Einschluss
der Rhetorik und Poetik, vgl. oben Anm. 18) nur die Paraphrasen und
die mittleren Commentare kannten, wozu noch eine „Epitome“ des
Organons und „Quaesita in libros log. Arist.“ kommen *°°); die beiden
letztgenannten Schriften jedoch scheinen sicher mit Unrecht für Werke
des Averroes gehalten worden zu sein, denn sowie die Quaesita durch
formelle Momente einen sehr gegründeten Werdacht erregen *°°), so
liegt die Epitome im Inhalte in Widerspruch mit den ächten Sehriften
des Averroes *°°).
285) Ps.-Arerr. Quaes. in Poster. Resolut. f. 373. r. B (vgl. Anm. 57. u. 224.).
286) Ps.-Averr. Epitome, f. 352. r. B.
287) S. über denselben Munck, Dictionn. III, p. 157 ff. und vor Allem E.
Reman, Averroes et l'Averroisme. Paris 1852. 8.
288) Die dem Mittelalter zugänglichen Schriften des Averroes sind in mehreren
alterem Ausgabem der lateinischen Uebersetzung des Aristoteles gedruckt; ich citire,
wie bemerkt (Amm. 11.), mach der Wenetiamer v. 1552, fol.
289) Es mag allerdings als misslich erscheinem, wenn ich ohne weitere Kennt
niss der arabischen Originale lediglich aus ' den lateinischen Uebersetzungen ein
derartiges Urtheil falle, und ich darf aus diesem Grunde wohl kein grosses Ge
wicht auf jenen Unterschied des Stiles und der Behandlungsweise legen, welcher
zwischen den Quaesita und anderem unzweifelhaftem Schriften des Averroes zu be
stehen scheint, obwohl ich überzeugt bim, dass jeder aufmerksame Leser sofort
den gleichen Eindruck empfangen würde. Hingegen won entscheidenderera Belange
dürfte es sein, dass der Werfasser der Quaesita seinem Tadel gegen Andere in sehr
verallgemeinertem und fast schmähenden Ausdrücken ausspricht, ein Ton , welchen
Averroes bei aller Meinungswerschiedenheit nie einschlägt. Belege hiefür finden
sich in obigen Anm. 11. 55. u. 70. - -
290) Nemlich abgesehen von einer abweichenden Terminologie,* für welche
XVI. Averroes. 375
Die Leistungen des Averroes auf dem hieher' gehörigen Gebietè ent
haltem an sich durchaus Nichts, was ihm • selbst eigenthümlich wäre,
sondern er ist lediglich Gommentator des Aristoteles, dessen riehtiges
und klares Werständniss er dem Leser ohne irgend welche Abweichungem
'zugänglich machen will. Daher wir gera de mach jener Seite hin, in
welcher sein verdienstlicher Einfluss auf das lateinische Abendland liegt,
uns über ihn am kürzestem fassen können und müssem; denm es dürfte *
in der That fast genügen, wenn wir kurzweg im Allgemeinen über ihn
sagem, dass er ein fleissiger und getreuer Erklärer des Aristoteles war,
und es gilt dieses vollständig auch bezüglich der Metaphysik, welehe
die Lateiner gleichzeitig im aristotelischen Texte und in der erläuternden
Darstellung des Averroes erhielten, so dass es eine umnöthige Verdopp
lung wäre, wenn wir bei jenem Erörterungen der Metaphysik, welche
(z. B. betreffs des Werwirklichungs-Processes des Artbegriffes oder der
individuellen Substanz) im die Logik hinüberspielem, die Angabem des
Averroes besonders anführen wollten, da ja- dieselben mur in exegeti
scher Form das Nemliche darbietem, was zugleich aus Aristoteles selbst
zu schöpfen war. Ein äusserliches Moment aber fällt dem Leser der
Commentare des Averroes sofort in die Augem, memlich das fortgesetzte
Bemühen, jedem Stoff zur leichterem Uebersicht in Abtheilungen : und
Unter-Abtheilungen mit ausdrücklicher Numerirung zu gliedern *°4), und
wir können aueh bemerken, dass hierin Averroes einen äusserem Ein
fluss auf die Lectüre der aristotelischen Schriften ausübte, welcher sich
bis in das 16. Jahrhundert erstreckt ?9?).
Indem sich Averroes bezüglich der Frage, wie sich die Logik zu
den übrigen Wissenschaften verhalte, , an eine viellesprochene aristote
lische Stelle (Abschn. IV, Anm. 177) anschliesst, wornach die logische
Disciplinirung des Denkens vorantreten soll *°°), sucht er, wie gesagt,
sicher nicht der Uebersetzer verantwortlich gemacht werden kann (Amm. 346.),
widerstreitet den ausdrücklichen Angaben des Averroes nicht bloss die ganze Ein
theilung des Stoffes (Amm. 348.), sonderm auch im Einzelnen die Beurtheilung der
Isagoge (Aom. 350 f.), sowie insbesondere die der Dialektik angewiesene Stelle
(Anm. 372.). Hiernäch mnss unsere Ueberzeugung auch dahin gehen , dass wir
die von Levi Gerson (f. 7. r. B, s. unten Anm. 413.) erwähnte Summula logicalis
des Averroes in jener Epitome nicht besitzen. Dass aber hinwiederum aueh nicht
die Quaesita und die Epitome Produkte Eines und des nemlichen • Autors sein
• können, zeigt die Vergleichung obiger Anm. 54. u. 55., woselbst uns beide unbe
kannte Werfasser als Berichterstatter über den memlichen Gegenstand dienten.
291) So werden z. B. (f. 15. r. A) die Kategorien im 6 partes, und dann
die Substanz in 14 particulas, die Quantität (f. 17. v. B) in 7, die Relation (f.
20. r. A) in 8, die Qualität (f. 22. v. B) in 11, die Gegensätze (f. 22. r. A) in
11 particulas abgetheilt, und jedesmal geht die vorläufige Aufzählung dieser Ab
theilumgen , dem Delail-Commentare voraus, welcher dann wieder die Numerirung
stets im Auge behält.
292) Nemlich nicht bloss durch Franc. Patricius, Discuss. Peripat. I, f. 98,
ist nns bezeugt, dass die Aristoteliker in Oberitalien jene von Averroes durchge
führten Abtheilungen recipirten, sondern es weist auch die in den älterem Drucken
der aristotelischen Werke (auch , Metaph. u. De anima) übliche Eintheilung in Ca
pitel und Paragraphen auf die nemliche Quelle zurück. *.
293) Albert. M. De praedicab. I, 1, p. 1. B: Et Aristoteles ..... et similiter
Averroes , dicunt, omnis scientiae modum esse ipsam scientiam, quae est et vocatur
376 XVI. Averroes.
das Werständniss des 0rganoms durch seine Commentare zu erleichtern.
Aber schon bei .dem ersten recipirten Theile desselben, memlich bei der
Isagoge des Porphyrius, zeigt er sich uns als jenem strengen und reinem
Aristoteliker, welcher er überall ist; denn er will das Büchlein des
Porphyrius lediglich darum besprechem, weil er hiezu im Hinblicke auf
die einmal bestehende Gewohnheit von wissenschaftlichen Freunden
gedrängt worden war, währemd er selbst die entschiedene Ueberzeugung
hegt, dass die Isagoge gar nicht zum 0rganon gehöre, indem ihr auf
die Definition bezüglicher Inhalt weder unter das demonstrative noch
unter das rhetorisch-topische Werfahren untergebracht werden könne,
sondern nur den Sprach-Ausdruck der fünf Worte betreffe, abgesehen
davon, dass sie überhaupt keiner weiteren Werdeutlichung bedürfe *°*).
Und da somit Averroes gleichsam widerwillig an diesen Theil seines
Commentares geht, so beschränkt er sich auch auf das bei Porphyrius
Angegebene und lässt jede anderweitige oder tiefere Frage bei Seite.
So gibt er sowohl über dem Gattungsbegriff ?°°) als auch bezüglich der
Relativität der Definitionen des Gattungs- und des Art-Begriffes (vgl.
Anm. 113) und über die doppelte Definition des letzteren (Anm. 119)
nur karge Referate, ohne in die dargebotene Polemik einzugehen *°°),
während er allerdings bei Erklärung der Metaphysik sich für die engere
Definition der species specialissima entschied 3°"). Er lenkt daher schnell
auf die Tabula logica des Porphyrius ein *°°), wobei er die Definition
logica, et quod non simul addisci potest scientia et scientiae modus, sed oportet
prius discere modum et deinde per modum iam perfecte apprehensum addiscere ten
tare scientiam.
294) Ad Porph. f. 1. r. A: Propositum huius tractatus est, eaeponere ea, quae
in introductorio ad scientiam logicam libro Porphyrii continentur, propterea quia
iam adolevit consuetudo, ut initium librorum logicalium ab ipso sumatur. Ebend.
am Schlusse f. 10. r. B: Et hic ezpliciunt ea, quae in hoc introductorio continen
tur; instigatus aulem a quibusdam sociis nostris eruditis ac de hoc negotio diligen
tibus de secta Murgitana, quorum deus misereatur, ut ea ea ponerem, ea eæposui;
alias enim ego abstinuissem ab huiusmodi eæpositione propter duo; primum , quidem,
quoniam non video, hoc introductorium esse necessarium pro initio sumendo in hac
arte, nam id, quod in eo dicitur , non potest esse sub ratione illius partis , quae
est communis huuc arti, ut aliqui sunt opinali; nam id, quod in eo dicitur de defi
nitionibus harum rerum, si esset demonstrativi generis, tunc esset pars libri Demon
strationis, et si esset generis probabilis, tunc esset pars libri Topicorum ; sed Por
phyrius fecit mentionem de his rebus, prout sunt eæpositiones eorum, quae significant
illa n01nina; ...... secunda vero causa erat, quia verba huius viri sunt per se
manifesta in hoc introductorio.
295) Ebend. f. 2. r. B.
296) Ebend. f. 3. v. B.
297) Albert. M. De praedicab. V, 6, p. 63. B: Aristoteles in septimo primae
philosophiae et ibidem Averroes in commentario (f. 92. v. A) eaepresse dicunt et
probant, quod ultima differentia cuiuslibet speciei constitutiva convertibilis est cum
ea ita, quod non convenit eam nisi de illa specie praedicari, .... non ergo praedi
catur de pluribus differentibus specie, ut videtur ...... Hoc autem dicit Averroes
dicens, quod omnia intermedia inter genus et ultimam differentiam circumlocutio sunt
pro vimi generis, qua circumlocutione non opus esset, si nomina proæimorum generum
haberemus.
298) Ad Porph. f. 4, r. A, woselbst sowohl die Angaben über ,,ens'* (s.
Anm. 32) als auch (f. 4. r. B) die sog. regula de quocunque (Anm. 192.) siéh
XVI. Averroes. • 377
des Individuums etwas stärker hervorhebt?°°), aber- damn wieder völlig
in der üblichen Weise die Einlheilung der Differenz anwendet 3°°),
wobei ihm jedoch sein ächter Aristotelismus ebensosehr wie den Avi
cenna (Amm. 166) daran hindert, Gattungs- und Art-Begriff direct mit
Stoff und Form , zu identificiren 301). Bezüglich des eigenthümlichen
Merkmales °°°) verfährt er ebenso wie beim Accidens schlechthin nur
referirend °"°), und das Gleiche gilt betreffs der üblichen Zusainmen
stellung der Werwandtschafts- und Unterschieds-Punkte der fünf Univer
salien *°*); ja ganz gelegentlich lässt er ebendort seine principielle Auf
fassung der Universalien durchblicken, insoferne er sich, ohne auf die
Frage näher einzugehen, bei einem einzelnen Punkte gegen die Plato
niker erklärt 308).
Der Commentar zu den Kategorien, welcher sich durchweg nur
als eine eintheilende Paraphrase zeigt, bietet nichts Bemerkenswerthes
dar; höchstens mag erwähnt werden, dass bei Erklärung der Stelle
über „de subiecto“ und „in subiecto“ durch Averroes eine versinmlichende
finden; auch der schon oben (Anm. 117. u. 134.) erwähnte Gegenstand theologi
scher Bedenken fehlt nicht. -
299) Ebend. f. 4. r. B: Hoc autem, quod Porphyrius dicit, est verum de in
dividuis accidentium, nam individua substantiae de nulla praedicantur re secundum
usum naturae, et ideo vera descriptio individuorum est, quod individuum est id,
quod non praedicatur de pluribus , non id quod praedicatur de uno, ut ipse de
scripsit.
300) Ebend. f. 5. v. B: Genus supremum habet differentias dividentes ipsum,
sed non habet differentiam, quae ipsum constituat ..... Species vero ultima habet
differentiam constitutivam , sed non divisivam.
301) Ebend. f. 6. r. A und Albert. M. a. a. 0. V, 4, p. 60. A: Ut dicit Aver
roes in commento primae philosophiae (Metaph. I, 17, f. 7. v. B), genus non est
materia, sed forma generalis et confusa et indistincta et diffusa in materia non
determinata per formam, quam diffusam formam et confusam vocant quidam formae
inchoationem.
302) Ebend. f. 6. v. B. -
303) Ebend. f. 7. r. A: Definiunt insuper ipsum accidens sic : accidens est,
quod potest inesse uni et eidem rei et non inesse, vel : quod non est genus nec
differentia : nec species nec proprium et quod semper sit in subiecto. Prima ergo defi
nitio amplectitur accidens separabile et inseparabile , secunda vero separabile tantum
continet accidens. Eine anderweitige Notiz jedoch s. umten Anm. 413.
304) Ebend. f. 9 f. -
305) Ebend. f. 9. v. B: Et hoc quod dicit Porphyrius, est verum iurta sen
tentiam ponentium ideas, h0c est, si dantur genera et species eætra intellectum.
378 : XVI. Averroes.
Figur üblich wurde °°°), denn in allem Uebrigen finden wir mur die
allgemein recipirten Angabem; selbst bei Besprechumg der Bewegung
lässt Averroes die Frage, unter welche Kategorie dieselbe , falle, bei
Seite liegen *"'). Auch die Erörterung über die vier Arten des Gegen
satzes verweilt in einer blossen Paraphrase, und nur bei anderen Ge
legenheiten spricht er seine Ansicht aus, dass alle Gegensätzlichkeit
ursprünglich auf Anschauungen des örtlichem Abstandes beruhe °"°).
Bezüglich der Lehre vom Urtheile kann hervorgehoben werden,
dass dem Lateinern aus einer anderweitigen Stelle des Averroes die
Eintlieilung der Redetheile in Substantivum, Verbum und syncategoreu
mata (s. Abschn. XIV, Amm. 174, 206, 348 und Abschn. XV, Anm. 9
u. bes. Anm. 106) vorgeführt wurde *"'), sowie dass aus dem Com
mentare zum Buche De interpr. sich eine Bemerkung über das arabische
Verbum einbürgerte *'"). Auch hielt Averroes ebenso wie Avicenna
(Amm. 215) das conditionale Urtheil für ein durch den innerem Nexus
einheitliches, fügte aber, ohne das disjunctive oder das copulative Ur
306) Praedicam. f. 12. v. B, woselbst die betreffenden Lehrsätze folgender
maassen in eine Figur zusammengestellt sind:
Substantia inconsistens Accidens
§- 3
• 2 \.
s. %. o$ $
§. • . VS .Se
se 23, §* *§
<> “& ^» «•
S. %, <s
S* <22, J* .§
s: e vo •-.
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.;§ <*>
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S. § <22, se
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se. §. «2. <s
c. NS %»; *
s 3. .•
§ N® 2. 3S
-S $
3. -§
Universale inconsistens - Particulare
307) Ebend. f. 30. r. B.
308) Albert. M. De praedicam. III, 12, p. 138. A: Averroes in duobus locis,
scilicet super physicam (V, 99.) et super primam philosophiam (Melaph. I, 45, f. 12.
v. B) dicit, ad contrariorum diffinitionem ab his, quae in loco sunt contraria, di
stantiam esse transsumptam.
309) Topic. f. 256. r. A : Aristoteles in libro Perihermenias distinguit res ratione
dictionum, quando illas distinguit in nomen, verbum et dictionem syncategorematicam.
D. h. der Gebrauch dieses technischen Ausdruckes fällt auf Rechnung des jüdischen
Uehersetzers Abraham (s. Renan, Averr. et. l'Averroisme , p. 150.), welcher irgend
woher die hiezu erforderliche Kenntniss besessen haben muss; hingegen Mantini
wählt in seiner Uebersetzung das Wort ,,consignificantia“.
310) De interpr. f. 36. r. B: Apud Arabes praesens et futurum tempus confun
duntur; .... in lingua Arabica non datur propria nota temporis praesentis, sed est
communis nota tam praesenti quam futuro.
XVI. Averroes. 379
theil zu erwähnem, die Bemerkung hinzu, dass zwei kategorisehe Ur.
theile durch die syllogistisehe Werknüpfung zu Einem Urtheile werdem 811).
Bei der näherem Erörterung des kategorischen Urtheiles fimden wir die
Bezeichnung ,,duales“ und „ternales“, je nachdem ein Urtheil bloss aus
Substantivum und Verbum oder aus Subject, Prädicat und Copula be
stehe *!*), sowie die Wiederholung einer von Alfarabi (Amm. 41) ge
machten Bemerkung *!*) und abermals (vgl. Anm. 40) die Besprechung
jenes aristotelisehen Beispieles, in welchem der Satz ein nicht existiren
des Subject betrifft 314). Die Bemerkungen über das modale Urtheil
und insbesondere über die Stellung der Negation in demselben gehen
nicht über den Wortlaut des aristotelischen Textes hinaus 31°), und die
Erörterung über die Schwierigkeiten, welche das letzte Capitel des
Buches darbietet (Abschn. IV, Anm. 286 ff.), müssen wir sogar direct
als schwach und ungenügend bezeichnen ° 1°).
Am Eingange der ersten Analytik stellt Averroes bereits jene Zwei
theilumg nach Form und Stoff an die Spitze, welche wir bei Alfarabi
(Anm. 51) und bei Algazeli (Anm. 265) bezüglich des Verhältnisses
beider Analytiken trafen, und es knüpft sich ihm hieram die Unter
scheidung des demonstrativen und des dialektischen Urtheiles *'"), sowie
die Bemerkung, dass das im Syllogismus liegende Motiv der Form im
Vergleiche mit dem Inhalte der Beweisführung das allgemeinere sei***).
Abgesehen von der durch die Uebersetzung dargebotenen Terminologie
„propositio absoluta* für das übliche „propositio de inesse“°'°) ist zu
erwähnem, dass Averroes bei den kategorischen Syllogismen sich gleich
falls (wie Algazeli, Anm. 268) auf den Standpunkt (ler möglichen Com
311) Ebend. f. 37. r. B: Conditionales sunt una eæ coniunctione, quae est
signum conditionis, ut cum dicimus ,, si est supra terram sol, dies est**; ..... prae
dicativae vero orationes sunt quidem una per coniunctionem, quae est terminus me
dius, ut cum dicimus ,,homo est animal et animal est corpus**.
312) Ebend. f. 43. r. B: Vocantur autem illae, quarum praedicatum est ver
bum, duales, quia constant subiecto et praedicato tantum, et illae , quarum prae
dicatum est nomen, dicuntur ternales, quia constant subiecto et verbo copulanle et
praedicato.
313) Ebend. f. 46. v. B: Constat ergo, quod non omne id, quod verificatur
divisim, oporteat ipsum verificari coniunctim.
314) Ebend. f. 47. r. A.
315) Ebend. f. 48. v. B.
316) Ebend. f. 52. r. A.
317) Prior. Resolut. f. 54. r. A: Hae divisiones (d. h. in allg. bej., allg.
vern. u. s. f. Urtheile) sunt propositiones eæ parte formae , h. e. divisiones utiles
ad cognitionem syllogismi simpliciter. Divisiones vero eæ parte materiae sunt, quo
niam ipsius alia est demonstrativa alia dialectica ac reliquae, in quas partitur se
cundum artium sermocinalium materias ...... Ac propositio quidem demonstrativa
et dialectica re a se invicem differunt, .... quod demonstrativa propositio altera est
contradictionis pars et ea quidem vera, dialectica vero esse potest utralibet eæ par
tibus contradictionis ..... Erit itaque propositio syllogistica veluti genus demonstra
livae ac dialecticae.
318) Ebend. f. 56. v. B: 0portet sermonem de syllogismo praecedere sermonem
de demonstratione; syllogismus namque universalior est demonstratione, omnis enim
demonstratio syllogismus et non est omnis syllogismus demonstratio. Vgl. Anm. 333.
319) Ebend. f. 54. v. A ff.
380 XVI. • Averroes.
bimationem der Urtheile stellt, um damn die , syllogistisch untauglichen
auszuscheiden, dabei aber durch ein anderes Verfahren auf • 36 Combi
nationen kömmt **"), sowie dass er völlig richtig und in ächt aristote
lischem Sinne die fünf theophrastischen Schlussweisen der ersten Figur
als unnatürliche abweist **'). Und sowie- er dieselben durchaus saeh
gemäss, mit der sog. Galenischen vierten Schlussfigur in Verbindung
hringt, so müssen wir hier daran erinnern, dass er hetreffs dieser an
geblichen Erfindung des Galenus uns schon oben (Abschn. IX, Anm. 99)
als hauptsächliche Quelle diente, und es bleibt uns mur die Bemerkung
übrig, dass Averroes in sehr vernünftiger Weise und in aristotelischem
Geiste die Berechtigung der vierten Figur überhaupt bestreitet ***). Mit
320) Ebend. f. 56. v. B: Quoniam igitur omnes duae propositiones aut sic se
habent, quod ambae sunt universales aut particulares aut indefinitae, aut una ipsa
rum universalis et altera in parte, aut una ipsarum universalis et altera indefinita,
aut una ipsarum indefinita et altera in parte, et unaquaeque harum trium specierum
bifariam variatur, velut sit universalis maior et particularis minor vel e converso,
et similiter üniversalis cum (der Text gibt non) indefinita ac particularis cum inde
finita, et unaquaeque harum novem specierum ita se habet secundum compositionem,
aut ut ambae simul affirmativae sint aut negativae simul, aut una ipsarum affirma
tiva et altera negativa, et hoc duobus modis, uno quod sit minor negativa et maior
affirmativa, secundo in contrarium huius , eae quo planum, si multiplicatae fuerint
illae quatuor in has novem, efficientur hac in figura (sc. prima) sea, ac triginta con
iugationes, Et Aristoteles eæponit, quae concludat quaeve non concludat. -
321) Ebend. 57. r., B: Is, qui eae binis negativis construitur in hac figura
nihil penitus concludit ..... Si vero minor in ipso eaestiterit negativa, iam eæisli
matur, qu0d concludat negativam in parle, posteaquam propositiones conversae fue
rint; atqui haec species conclusionis non est eae syllogismo, super quem cogitatio
naturaliler radil; nimirum concluderet, si in quartu figura syllogismus naturaliter
construeretur. Ebenso im Folgenden bei den übrigen theophrastischen Schluss
weisen, nemlieh insbesondere betreffs der durch Umkehrung des Schlusssatzes
gewonnenen (f. 58. r. A): Quod vero priores ea cogitaverunt, quod tres modi figurae
istius binas conclusiones colligunt, hoc est modus concludens universalem negativam
concludit eliam converlentem, et concludens particularem affirmativam consimiliter,
et concludens item universulem affirmalivam, quod videlicet isti etiam convertentes
suas concludunt, h. e. affirmativam in parte, hoc, inquam, illi asserunt, quia in
tentionem ignorant Aristotelicam; Aristoteles namque hoc loco intendit connumerare
conclusionum species, quae per se et primo in syllogismis inveniuntur naturalibus,
non autem qui sunt secundum intentionem secundam et non secundum cursum syl
logismi.
322) Ebend. f. 83. r. A: Quod autem non invenialur figura quarta, planum
eæ medio termino, qui accipitur communicare cum ambabus eætremitalibus; quemad
modum si accipiatur C communicare cum B et A, quae sunt eætremitates quaesiti,
ea, necessitate sequetur unum ea, tribus, vel ut subiectum maioris eaetremitatis sit
praedicatum minoris, quemadmodum si A praedicetur de C et 0 de B, et haec figura
prima, aut praedicetur de utrisque simul, et haec figura secunda, aut ipsis subii
ciatur, et haec figura tertia. Si vero accipiatur praedicatum maioris subiici minori,
non conveniet, propterea quod praedicatum maioris praedicatur de minore, quoniam
maior praedicatur in quaesito secundum naturam de minore, et ita erit idem praedi
catum de se ipso, qu0d fieri non potest , si interpretetur terminus medius secundum
quaesitum positum; quod si earponatur secundum participationem, concludet aliud a
quaesito, puta conversum suum, et hoc secundum modum, qui numeratur complicatio
figurae quartae, quam posuit Galenus ; atqui erit syllogismus super alio a quaesito
posito, sed in hoc non cadit cogitatio secundum naturam, neque accipitur in sermone
syllogistico neque demonstrativo neque eæistimativo. Gelegentlich der Erklärung der
XVI. Averroes. 381
der gleiehen Strenge hält er sich aueh , in anderen Fragen gegenüber
seinen Vorgängern an die Angabem des Aristoteles, und so bekämpft er
den Alfarabi (Anm. 44) bezüglich der syllogistischen Bedeutung der
Möglichkeits- und Nothwendigkeits-Urtheile ***), sowie er auch den Be
griff des Möglicheh nur nach aristotelischer Lehre fasst ***); ja in
gleicher Weise verfährt er selbst dem Theophrastus gegenüber, insoferme
derselbe (s. Abschn. V, Anm. 51) bei den aus modalen Urtheilen com
binirten Syllogismem, dem Grundsatz aufgestelli hatte, dass der Schluss
satz der schwächeren Prämisse folge °*°). Und sogar da, wo er be
züglich der aristotelischen Angabem iìber die Woraussetzungsschlüsse
(Abschn. IV, Anm. 580 ff.) sich durch die Commentatoren und den con
stanten Schulgebrauch dazu verleiten liess, in ähnlicher Weise wie
Algazeli (Anm. 269 f.) die conditionalen Schlüsse in zwei Formen und
die disjunctiven in vier Formem anzuführen **"), lenkt er ziemlich be
sonnen auf den aristotelischen Standpunkt zurück, insoferne er den
wesentlichen inneren Unterschied zwischen diesem hypothetischen und
den kategorischen Syllogismen anerkennt, dass in ersteren der Schluss
satz nicht eine eigentliehe Errungenschaft des Schliessens sei, sondern
gerade der 0bersatz zu seiner eigenem Begründung noch eines kategori
schen Schlusses bedürfe *?7). Zu jener aristotelischen Stelle aber
aristotelischem Stelle, welche in der Topik (1, 9.) das problema dialecticum be
trifft, führt Averroes diese Frage über die Zahl der Schlussfigurem als ein Bei
spiel der nützlichen Probleme an (Topic. f. 260. v. A): iuvans logicam est, ut, an
figurae categoricae sint tres aut quatuor, et an definitio acquiratur divisione aut
compositione aut demonstratione..
323) Prior. Resol. f. 65. v. B u. f. 72. v. B.
324) Ebend. f. 68. v. A. -
325) Ebend. f. 65. r. B: Theophrastus vero atque Eudemus eæ antiquis Peri
patelicis et inter posteriores Themistius , qui eos secutus est, eæistimaverunt, quod
modus conclusionis sequatur viliorem eae duobus modis , h. e. ut semper in tali com
plicatione sequatur propositionem absolutam, quoniam absoluta est vilior necessaria.
- - - - - - - Sed in hoc sermone est confusio manifesta ..., quoniam ..... modus con
clusionis sequetur modum proposilionis maioris, secundum quod eæistimavit Ari
stoleles.
326) Ebend. f. 83. r. A: Syllogismorum conditionalium duo sunl genera prima.
Unum est syllogismus coniunctus , is videlicet, qui componitur eae consequentibus et
coaptalur per notas conditionis facienles coniunclionem; ..... istius vero sunt binae
species, una, ut ponatur ipsius antecedens per se et concludatur consequens , .....
altera vero, cum ponitur in ipso oppositum consequenlis et concluditur oppositum
antecedentis ..... Sed genus secundum est conditionalis divisus; hic autem compo
nitur eæ conlradictoriis perfectae contradictionis, et coaptanlur illi notae conditionis
significantes partitionem; ...... huius autem sunt quatuor species, et hoc, quia po
nitur antecedens et concluditur oppositum consequentis, et ponitur consequens et con
cluditur 0pp0situm antecedentis, et ponitur oppositum antecedentis et concluditur
consequens, et ponitur oppositum consequentis et concluditur antecedens.
327) Ebend.: Si perscrutabimur ipsorum dispositionem, planum nobis fiet, quod
quaesitum in ipsis id est, quod monstratur per modum conditionis, sed positum est
illud, quod oportet monstrare per syllogismum praedicativum in conditionali diviso
et coniunclo, p0steaquam fuerit coniunctio et contradictio per se manifesta, et hoc,
quoniam, si fuerit coniunctio in ipsis manifesta per se et positum manifeslum per
se, erit etiam consequens manifestum per se ....... Nec dici potest, quod, quemad
modum sunt pr0p0sitiones in syllogism0 praedicativo per se notae et conclusio ignota,
382 XVI. • • Averroes.
(Abschn. IV, Anm. 588 f.), welche sieh auf die Praxis der Syllogistik
und hiemit auf die Auffindung eines passenden Mittelbegriffes bezieht,
wurde durch Averroes dem iateimischen Mittelalter eine neue veran
schauliehende Figur an die Hand gegeben ***). Eine ebenso sorgfältige
als breite Erklärung widmet er dem zweiten Buche -der ersten Analytik,
hält sich aber dabei durchaus so strenge an Aristoteles — z. B. auch
consimiliter accidat, ut res sit in syllogismo conditionali, h. e. ut sint ambae pr0
positiones per se notae , i. e. conditionalis et p0sita, et sic conclusio ignota, ......
sed propositiones in syllogismo conditionali non requiruntur ad compositionem, ut eae
ipsis sequatur id, quod sequitur. -
328) Ebend. f. 87. r. (wobei ich nur der Kürze wegen , die Bezeichmung der
Schlussmodi wie in Abschn. IV, Anm. 588 f. wähle):
XVI. Averroes. 383
|
|
Figura methodi pro medio in singulis coniugationibus, inveniendo.
Inconsistens in II eae duabus affirm.
!
* |
384 XVI. Averroes.
bezüglich der Induction **°) — dass es völlig unnöthig ist, Einzelnes
besonders anzuführen. -
Ebenso können wir, was die zweite Analytik betrifft, vor Allem
von dem sog. mittleren Commentare °°°) Umgang nehmen, indem der
selbe als ein Mittelding zwischen Paraphrase und Commentar allerdings
das Ganze recht klar und mit guter Betonung des Hauptsächlichen dar
legt, aber nirgend Eigenthümliches bietet. Auch der sog. grosse Com
mentar hält sich überwiegend an den Text, und während in demselben
wohl zuweilem Themistius, seltener aber Alexander Aphrodisiensis er
wähnt ist, fimden wir auffallender Weise nur sehr selten andere Schrif
tem des Aristoteles zur Erklärung beigezogen **'). Somit ist es nur
Weniges, was wir hervorlebem miissen. Zunächst begegnet uns, was
das Verhältniss der zweiten zur erslem Analytik betriffi, auch hier
wieder die bei allem Arabern übliche Auffassumg, dass es sich um den
Unterschied von Form und Stoff der Schlüsse handle ***), und indem
Averroes dem unmittelbarem Anschluss der zweiten Analytik an die erste
dadureh begründet, dass danm auf das allgemeinere und wesentlichere
Element der Form der Inhalt ohne lästige Wiederholungen folgen
könne *°°), bekämpft er ausdrücklich die Ansicht Avicenna's, welcher
zwischen beide Analytiken das Gebiet der Dialektik einschallete ***).
Und sowie er gegen obige Auffassung Alfarabi's (Anm. 52) polemisirt *°°),
so verfährt er el)enso bei allem jemen Controversen über die im Mittel
begriffe liegende Causalität **"), über καθ' αὐτὸ und xo 8óìov 337),
über praedicatum primum ***), indem er überall jede Abweichung vom
329) Ebend. f. 124. r. B.
330) f. 240—255.
331) So z. B. ist nicht einmal bei Erörterung der Stelle über die vier Prin
cipien (f. 217.) die Metaphysik citirt.
332) Poster. Resolut. f. 127. r. A: Intentio libri est, speculari de demonstra
tionibus atque de definitionibus. De demonstrationibus vero tractat quoad ea, quae
vicem eæhibent materiae ipsarum et haec in summa sunt propositiones verae, demon
straliones namque eae duobus constant, quorum unum est propositiones et hoc est,
quod vicem obtinet materiae, alterum vero est ipsarum composilio et hoc est, quod
vicem eaehibet formae, quae cum iam monstrata fuit in libro syllogismi, ideo incipit
hoc in loco sermonem facere de eo, quod supererat ea cognitione syllogismi demon
strativi, h. e. de materia, eae qua componitur, et propterea vocavit ambos libros
tumaco m0mame.
333) Ebend.: 0rdo autem ipsius est post librum de syllogismo procul dubio
tribus de causis, quarum una est, quoniam universale notius est particulari et opor
let praecedere in ordine doctrinae magis notum, quemadmodum oportet etiam in de
duclione quaesiti procedere ...... Causa autem secunda est, quoniam speculatio essen
tialis est, cum speculamur de aliquo universali, secundum quod inest subiecto uni
versali, non autem subiecto particulari ..... Causa autem tertia est, quia sic non
contingit iteratio in doctrina, propterea quod, qui facit doctrinam per hunc modum,
monslrare poterit per se eae propositionibus veris seorsim et probabilibus seorsim et
reliquis etiam speciebus proposiiionum.
334) Die Stelle ist oben, Anm. 230., angeführt.
335) Poster. Resol. f. 127. r. A. -
336) Ebend. f. 131. v. B.
337) f. 137. r. B.
338) f. 138. v. B u. f. 141. v. A.
XVI. Pseudo-Averroes. 385
aristotelischen Texte, welche bei Alfarabi oder bei Avicenna zu Tag
kam, zurückweist. Ebenso strenge hält er an der ächten aristoteli
schen Lehre bei Erklärung der Stelle (Abschn. IV, Anm. 655 f.), welche
die syllogistische Nothwendigkeit betrifft °°°), bei der Frage über das
Beweisen der Principien in einer Wissenschaft **®), bei der vielbe
sprochenen Stelle (Abschn. IV, Anm. 162), aus welcher man das prin
* cipium identitatis herausgelesen hatle ***), bei der „demonstratio quia“
und der „demonstratio propter quid“ ***), und insbesondere bei den
Erörterungen über das Verhältniss zwischen Demonstration und Defini
tion 848).
Endlich der Commentar zur Topik ist gleichfalls nur als eine ein
theilende und numerirende Exegese des aristotelischem Textes zu be
zeichnen, und das einzig Bemerkenswerthe dürfte sein, dass hiebei sich
Averroes häufig auf den uns verlorenen Commentar des Themistius
(Abschn. XI, Anm. 96) stützte 84*). Ehenso bleibt die Erörterung der
Soph. Elenchi, welche auch er nach dem Worgange Alfarabi's (Anm. 64)
in zwei Bücher theilte 34°), innerhalb der bloss exegetischen Aufgabe.
Lassen wir hiernach zunächst jene Epitom e folgen, welche von
den Lateinern für eine Schrift des Averroes gehalten wurde (s. Anm.
290), so kann man über dieselbe im Allgemeinen kein ungünstiges
Urtheil fällen, denn der Werfasser versteht es, in einer klarem und über
sichtlichen Darstellung, welche zuweilén nur durch den Uebersetzer
verdorben zu sein scheint, den Hauptiphalt des 0rganons (mit Einschluss
der Rhetorik und Poetik) zu entwickelm. Manche Eigenthümlichkeiten
aber dieses Buches machen es nothwendig, dasselbe etwas näher zu
betrachten. Die Aufgabe der Logik, welche die Geltung einer Hilfs
wissenschaft habe (s. unten Anm. 380), wird in der bei den Arabern
üblichen Weise, aber mit neuer Terminologie, darein gelegt, dass sie
die Regeln über formatio und verificatio, d. h. über Definition und Ar
gumentation, zusammenstelle °*°). Und indem für diese beiden Zweige
339) f. 143. r. A.
340) f. 151. r. A.
341) f. 154. v. B.
342) f. 159. r. A.
343) f. 199 ff.
344) Z. B. Top. f. 266. r. A u. B, f. 274. v. B, f. 275. v. A, f. 291. r. A,
u. s. f.
345) f. 332. r. A.
346) Epitome, f. 341. r. A: Intentio in hoc sermone est, colligere sermones
necessarios in hac arte logicae ad cognitionem regularum partium formationis et veri
ficationis, quae fiunt in tota arte logicae (diese Terminologie ,,formatio** und ,,veri
ficatio**, für welche wir bisher stets ,,definitio** und ,,demonstratio** trafem, scheint
der späteren arabisch-jüdischen Litteratur anzugehörem; s. untem Anm. 419.)........
Dicamus itaque, quod, eae quo fuerunt omnes quaestiones, quarum cognitio appetitur
in omnibus artibus speculativis, duarum specierum est, videlicet formatio et verifi
catio; et fuit formalio id, quod est intellectus rei per id, quod constituit substan
tiam suam, vel per id, quod eæistimatur, quod constituat substantiam suam, et erit
id, de quo quaeritur ut plurimum dictione ,,quid*'; et verificatio est intellectus rei
per id, quod dicitur ipsius dispositio quaedam, et est id, de quo quaeritur ut plu
rimum dictione ,,utrum** .... et cum dictione ,,an**.
PRAn t l, Gesch. II. 25
386 XVI. Pseudo-Averroes.
ein doppeites Moment in Betracht komme, deren *einés " die Richtung
bezeichne (dirigens), während das andere (agens) die Verwirklichung
mit sich bringe 847), so ergibt sich zunächst eine Viertheilung des
Stoffes, insoferne in der Wortbezeichnung (significatio dictionum) die
Richtung und in der Isagoge nebst den Kategorien die Bethätigung der
Definition liege, sowie entsprechend das Urtheil mit seiner Gegensätz
lichkeit des Wahr- und Falsch-Seins die Richtung umd der Syllogismus
die Bethätigung der Argumentation enthalte, und erst mach dieser- vier.
fachen Erwägung folge die Betrachtung desjenigen, wodurch die' ein
zelnen Definitionem und Argumentationen je nach ihrem topischen oder
apodeiktischen oder rhetorischen oder sophistischen oder poetischen
Charakter bestimmt seien ***). - -
Der erste die blosse significatio als solche betreffende Abschnitt
bespricht die Begriffe des Synonymen u. dgl. in grösster Vollständigkeit,
indem nicht bloss neben. den üblichen auch das disparatum, das trans
latum, das accommodatum, erwähnt werden, sondern unter der Bezeich
mumg commune et speciale auch die fünf Universalien ihre * formelle Be
rücksichtigung finden ***). -
Die materielle Geltung aber der Universalien, welche- von Averroes
als unnöthiges Beiwerk des 0rganons bezeichnet wordem waren (Anm.
294), bildet den ersten Theil des Absehnittes, welcher. sich auf das
agens der Definition hezieht, und auf eine Begriffsbestiinmung des Uni
versale und des Singulare, welche genau mit jener des Avieenna (Amm.
88) übereinstimmt *°°), folgt die nähere Angabe der fünf Worte, wobei
z. B. erwähnt werden mag,* dass jene bestrittene. Relativität der Defini
tionem des Gattungs- und Art-Begriffes. (Anm. 113 u. 296) hier ohne
347) Ebend.: Ei oportuit, quod praecedat quamlibet istarum disciplinarum (der
Text gibt discipulo) duae partes notitiae, aut agens aut dirigens. Dirigens quidem
ad formationem est, quae significatur per dictionem separatam; agens vero est ev
rebus, quibus sibi constat res, et illae sunt partes definitionum et definitiones. Veri
ficutionis vero dirigens est detentio veritatis apud quaestionem duarum partium oppo
sitionis; sed agens ipsam est syllogismus. - .**
348) Ebend.: Sicque dividehmus perscrutationem huius artis, necessario. ad has
quatuor partes. Et incipiemus a tractatu significationis diclionum in universali;
deinde procedemus ad sermonem de rebus simplicibus (ausgefallen ist et, compositis)
agentibus formationem. Ullerius, procedemus ad sermonem de rebus, quibus, opposita
sunt opposita adeo, qu0d veritas transeat in unam earum ; postea loquemur de .syl
logism0 et speciebus eius simpliciter. Rursus progrediemur ad id, quo proprie ter
*minantur singulae formationes et verificationes simpliciter, et illa est disciplina
propria, quae fit in singulis quinque , artium, dico demonstrativam et topicam et
ceteras.
349) Ebend. f. 341. r. B: Sermo de significatione dictionum. Nomina quae
dam sunt aequivoca; ..... et eorum sunt nomina synonyma, ...... univoca, ......
disparata, ..... translata, ..... accommodata, ..... et eorum sunt, quae diountur se
cundum commune et speciale, ...... et eorum sunt nomina denominativa. Vgl. Anm. 91.
350), f. 341. v. A: Sermo de rebus agentibus formationem. Et res- incompleacae
vel sunt universales vel particulares. Et universale est res , cui possibile est eae
substantia formationis eius in intellectu solo, quod praedicetur de pluribus, quam
de una re ....... Verumtamen singulare est id, quod impossibile est ea, substantia.
formationis eius, quod praedicetur de plus quam singulari uno.
.XVI. Pseudo-Averroes. 387
allen Argwohn zu Grunde gelegt wird *°!). - Der zweite Theil dieses
Absehnittes enthält (im Gegensatze gegem die Einfachheit der Univer
salien)- bereits Zusammengesetztes, aber nicht dasjenige, welches im
Urtheile eine wahre oder falsche Verbindung darbietet, sondern jenes
Zusammengesetzte, welches in den verschiedenem Formen der Definition
ausgesprochen werde, indem dieselbe entweder als eigentliche Definitiom
das gesammte substantielle Sein eines Gegenstandes darlege oder als
Beschreibung demselben nur aus einzelnem Wesensbestimmungen erkläre,
otler endlich keimes von beidem thue, sondern nur eim Accidentelles am
άem Gegenstande heraushebe 352). Nur ein Behelf aber zur Definition
seien die Kategorien, deren Kenntniss an sich nicht zur Logik gehöre
(vgl. Algazeli, Anm. 257), und nachdem der Werfasser in einer an Avi
cenna (Anm. 93) erinnernden Weise den Unterschied zwischen dem
quidditativen Sein und dem einzelnen Wesensbestimmungen sowohl für
das Universale als auch für das Singuläre als gültig bezeichnet und
somit die Kategoriem an den Begriff des Universale knüpft, um dieselben
dann in üblicher Weise kurz zu erörtern *°°), schliesst er diesen Ab
schnitt mit der Bemerkung ab, dass die Kategorien zugleich eine logische
und eine reale Bedeutung habem, jedoch nach der ersterem, in welcher
sie Erzeugnisse der denkenden Seele sind, eim Moment enthalten, wel
ehes gemeinschaftlich sowohl der Definition als auch der Argumentation
angehöre ***).
351) Ebend.: Et universalia incompleaca sunt quinque: genus, species, diffe
rentia, proprium et accidens. Genus quidem et species dicitur utrumque eorum in
ordine ad alterutrum u. s. w. ..... Accidens est .... duarum specierum, separabile
et inseparabile n. s. f. -
352). f. 342. r. A: Sermo de rebus compositis. Res quidem compositae eae istis
incomplearis sunt duarum specierum. Una est, cuius compositio est compositio enun
tiationis, et ipsa est, cuius viae est, quod verificetur et falsificetur, et sermo iste
est ev appropriatis (über diesem Ausdruck vgl. Anm. 52.) sermonibus veris. Et
species secunda compositionis est compositio conditionis et copulationis , et ipsa est
c0mp0silio, quae non verificatur neque falsificatur, sed utimur ea in formatione. Et
est trium specierum, videlicet definitio et descriptio et sermo, qui non est definitio
neque descriptio. Sicque definitio est sermo, cuius compositio est conditionis et copu
lationis ad intellectionem definiti per res substantiales, quibus est sui consistentia, et
ipsa componitur eæ genere et differentia. Et descriptio est sermo, cuius compositio
est conditionis et declarationis declaranlis rem, super quam significat, non per omne
id, quod constituit substantiam sui ..... Et sermo, qui non est definitio neque de
scriptio, componitur eae specie et accidente, sicut est dictum nostrum de Socrate,
quod ipse sit homo albus.
353) Ebend.: Et quoniam decem praedicamenta adiuvant formationem, decet,
quod loquamur et reminiscamur de eis quidquam, licet non sit notitia eorum neces
saria isti intentioni, quam intendimus. f. 342. r. B: Et universalia sunt duarum
specierum: praedicatum, quod praedicat de eis praedicatione naturali substantiam
suam et quidditatem suam ...... Et alia species notificat de subiectis aliquibus.....
res eæeuntes a quidditate eorum ...... Et singularia etiam sunt duarum specierum:
singulare, quod praedicatur de aliqu0 omnin0 praedicatione secundum viam naturalem
et ipsum est singulare substanliae ; et singulare, quod non notificat in praedicatione
aliquid de aliquo quidditatis suae, sed rem eæeuntem a quidditate sua, et ipsum est
singulare accidentis ...... Et genera istorum universalium suprema ipsa sunt, quae
vocantur praedicamenta, et secundum quod numeraverunt ea antiqui, sunt decem:
substantiae, et novem accidentium.
354) f. 343. r. A: Sermo de rebus communibus formationi et verificationi sim
25*
388 XVI. Pseudo-Averroes.
Der dritte Abschnitt, dessen Gegenstand das dirigens- der Beweis
führung, nemlich das der Gegensätzlichkeit des Wahren und Falschen
fähige Uriheil ist *°°), bewegt sich überwiegend in dem fortgesetzten
Gesichtspunkte des Eintheilens; nemlich vorerst werden die Urtheile
wie bei Averroes (Anm. 312) unter Wiederholung. einer dortigem Be
merkung über das arabische Verbum (Anm. 310) in binaria und ter
naria eingetheilt *°°), worauf die Unterscheidung nach der Qualität in
bejahende (simplices), verneinende (remotivae) und privative (vgl. Anm.
260) folgt *°7), um hierauf die Eintheilung nach der Modalität (mit der
Terminologie „inventiva* für „de inesse“) anzureihen *°°), und all diese
sich kreuzenden Eintheilungen abermals durch den Gesichtspunkt der
Quantität zu durchkreuzen, wobei beachtet werden mag, dass auch hier
(vgl. Anm. 214) die Bestimmungen der Quantität als, ,,signa* bezeichnet
werden *°°). Sodann folgt die Erörterung der Gegensätzlichkeit, je mach
dem die Urtheile singulär, conträr, contradictorisch, subconträr oder
unbestimmt sind °°°), und es wird die Untersuchung hierüber sowohl
pliciter. Ista itaque sunt genera magis universalia rebus sensatis, et species istorum
et genera eorum sunl subiecta in scientiis. Sed islud est duobus modis distinctis,
quia .... eae e0, quod contingunt eis in intelleclu secunda, quorum inventio est certe
in intellectu, solum erunt logicalia, quia ars logicae certe tribuet regulas de istis
generibus ab inlellectis ......, et ista omnia sunt res inlellectae, quarum invenlio
n0n est eætra animam .... Verumtamen dum accipiuntur eae e0, quod sunt intellecta
rerum sensalarum eaclra animam, \ erunt realia, vel mathematica vel alia, ab islis.
Et hic perficiam sermonem de rebus communibus formalioni et verificationi simpliciter
et procedemus ad id, quod limitat proprie verificationem, -
355) f. 343. r. B: De dirigentibus ad verificationem. Formae autem, quae
limitant verificationem, sunt duorum generum: genus verificationis quaestionis et
distinctionis ipsius in duo opposita adeo, quod detineatur veritas alterius illorum ;
el genus secundum est verificationis sermonis compositi agentis verificationem, et est,
qu0d nominatur syllogismus. Et incipiemus in genere primo, quia ipsum est primum,
quod verificabitur ante omnem rem in quaestione et est notitia praesupposita verifica
tioni; deinde procedemus ad verificandum per syllogismum.
356) Ebend.: Enuntiationum quaedam est binaria et quaedam est trinaria ;
binaria autem est, cuius praedicatum (der Text gibt praeteritum) est verbum, et
ista est trium specierum, vel quod fuerit eius verbum praeteritum vel futurum vel
praesens, sed non invenitur in lingua Arabum impositio significans super significalum
praesens; ternaria autem est, cuius praedicatum est nomen.
357) Ebend.: Et utrarumque istarum, et binariarum et trinariarum, quaedam
sunt simplices, ..... et earum sunt remotivae, quarum praedicatum est nomen vel
verbum imperfectum, sicut si diacerimus ,,Socrates non est sanus“, ..... et quaedam
sunt privativae, ..... privatio autem universaliter est, quod deficiat habitus, cuius
c0nsuetudo est. -
358) f. 343. v. A: Et cuiuslibet speciei istarum enuntiationum .... quaedam sunt
non habentes modum et quaedam halentes modum ...... Et modi primi sunt tres:
Possibile .... et necessarium ..... et inventiva.
359) Ebend.: Et unaquaeque istarum enuntiationum vel erit habens signum vel
non habens signum, et sunt enuntiationes, quarum subiecta sunt res universales, et
signa sunt quatuor: ,,0mne“ et ,,Nullum“, ,,Aliquod“ et ,,Non aliquod** et ipsum
est in gradu dicti noslri ,,Non omne“.
360) Ebend.: 0mnes autem species enunlialionum, quarum consuetudo est,
quod opponantur, aliquando sunt oppositae secundum affirmationem et negationem
4deo, quod secernant veritatem et falsitatem, et aliquandó non sunt oppositâe secun
dum affirmalionem et negationem ...... 0rationum âutem 0pp0sita*um sunt quinque
XVI. Pseudo-Averroes. 389
bezüglich der modalen Arten 8°1) als auch nach der Qualität der Ur
theile in Verbindung mit der Modalität derselben geführt 862). -
Indem sodann als vierter Gegensland, nemlich als agens der Argu
mentation, der Syllogismus sich anreiht *°°), kann bemerkt werdem,
dass der Werfasser ebenso wie Averroes (Anm. 320) 36 mögliche Com
binationem der Urtheile annimmt *°*) und auch in der Polemik gegen
die vierte Galenische Schlussfigur sich an denselben (Anm. 322) an
schliesst, ja noch ein tieferes Motiv hinzufügt, indem er hervorhebt,
dass die feste Bestimmtheit des Mittelbegriffes bezüglich des. im Syllo
gismus beabsichtigten Beweises das Entscheidemde sei *°°). Jene Syllo
gismen, welche auf Verbindung der Urtheile des Stattfindens mit modalen
beruhen, bleiben hier ebenso wie bei Algazeli (Anm. 269) weg, hin
gegen eine ausführliche Erörterung finden auch hier die hypothetischen
Schlüsse, derem Vorhandensein hereits in der aristotelischen Definition
des Syllogismus liege *°°); und mit der üblichen Zweitheilung in con
ditionale und disjunctive finden wir hier, was die ersterem betrifft, eine
Wiederholung der Theorie Algazeli's (a. a. 0.), womit sich jedoch auch
eine Berücksichtigung der logischen Qualität des Wordersatzes und Nach
satzes verbindet, so dass hiedurch die Zahl der conditionalen Schlüsse
auf 24 steigt °°"); in ähnlicher Weise wird , bei den disjunctiven auf
species ; quaedam sunt singulares ..... et quaedam sunt contrariae ...... et quaedam
sunt contradictoriae ..... et quaedam sunt subcontrariae ..... et quaedam sunt, cum
quibus non coniungitur signum omnino .... et ipsae sunt indefinitae.
• 361) f. 343. v. B: Et eæpedit, considerare, qualiter secernant species istarum
oppositarum veritatem et falsitatem in omnibus tribus materiis, quae sunt possibilis
et inventi et necessarii.
362) Ebend.: Quoniam autem enuntiationes simplices et remotivae et privativae
sunt etiam oppositae, postquam simplices significant super dispositionem et habitum
et remotivae et privativae super privationem, iam convenit, quod comparetur inter
eas et inter oppositionem affirmativae et negativae et consideretur, an ipsarum discretio
veritatis et falsitatis sit secundum unum eaeemplum nec ne. Natürlich wird letztere
Frage verneinend entschiedem, und zwar in einer höchst ausführlichen Darlegung
(f. 344. r.), welche bei jeder Species des Gegensatzes wieder die drei Arten der
Modalität berücksichtigt.
363) f. 344. w. A — 346. r. B.
364) f. 345. r. A.
365) Ebend.: Nisi eveniret necessitas conclusionis, quando accepta fuerit illa
habitudo, quae est inter duas praemissas ad quaesitum indeterminatum, et qualiter
cunque contigerit, sufficeret huic, quod sit una earum, quaecunque fuerit, affirma
tina, qualiscunque fuerit secundum quantitatem suam, et altera universalis , qualis
cunque fuerit secundum qualitatem suam. Verumtamen dum accipietur ista habitudo,
quae est inter duas praemissas in respectu ad quaesitum determinatum, quod est in
ientum in hoc libro, maior necessario erit universalis et minor affirmativa ; et ideo
reliquit Aristoteles figuram quartam, quam posuit Galenus.
366) f. 346. v. A: Quoniam autem iam acceptum est in definitione syllogismi,
quod ipse sit oratio, in qua positae sunt res plus quam una, et fuit modus posi
iionis dupleæ, quorum unus est modus praedicationis et alter est modus conditionis,
iam utique decet, qu0d sermonem transferamus in h0c ...... Syllogismi quidem c0n
ditionales dividuntur secundum partes dictionum conditionis in coniunctum et dis
iunctum. -
367) Ebend.: Quoniam consequentia quaedam sunt perfecta consecutione .....
et quaedam sunt, quae non sunt ' perfecta consecutione, ..... illa , quidem, quae
390 XVI. Pseudo-Averroes.
die vier Arten des Gegensatzes hingewiesen- und auch eine Dreitheilung
der Disjunction aufgestellt, je nachdem dieselbe bloss dichotomisch oder
in begränzter oder unbegränzler Zahl der möglichen Mittelstufem poly
tomisch ist *°°). Von dem übrigen lnhalte der ersten Analytik wird
nur noch die deductio ad absurdum °°°) und die Werflechtung mehrerer
Syllogismen zu Einer Beweisführung erwähnt °"°), hingegen die Lehre
von der Induction, sowie von der logischen Geltung des Beispieles und
des Indiciums ausdrücklich abgewiesen *"!).
Soll aber nun dasjenige, was die übrigen Araber dem Stoff der
Argumentation genannt hatten, folgen, so stelli sich der Verfasser auf
den Standpunkt, dass es sich nach Erörterung des Bisherigen noch um
die praktische Werwirklichung handle, und da in dieser Beziehung für
die unvollkommnerem Stufen der Wissenschaften die Argumentations
Weise der Topik ebenso zweckdienlich sei, wie für die vollkommnem
das apodeiktische Werfahren, so stellt er im Gegensatze gegen Averroes
(Anm. 334) mit aller Entschiedenheit die Topik zwischen die erste und
zweite Analytik ***), und entwickelt hiemit sofort jene Topen, welche
componuntur eæ duabus imperfectis (der Text gibt perfectis) concludentibus, sunt
duarum specierum, quarum una est repetens antecedens per se et concludens conse
quems per se, ...... in secunda autem specie repetitur oppositum consequentis et con
cluditur oppositum antecedentis ..... (f. 346. v. B) Verumtamen species, quae com
ponuntur eæ c0mp0sitis, quae sunt perfectae conseculionis, sunt quatuor omnes species
concludentes ...... Quoniam coniunclionis quaedam est coniunctio affirmationis cum
affirmatione, ..... et quaedam negationis cum affirmatione, .... et quaedam affir
malionis cum negatione, .... et quaedam negationis cum negatione, ....... dum *yul
tiplicabuntur per divisionem primam seae species, erunt species concludentes viginti
quatuor.
368) f. 347. r. A: Syllogismi quidem conditionales disiuncti sunt, qui c0mp0
nuntur eae contradictoriis, el contradictoria sunt, quae impossibile est quod coniun
gantur simul in un0 subieclo et ea, una parte et in uno tempore; sicque in summa
species oppositorum in eis sunt affirmatio et negatio, privatio et habitus, et contraria
et relativa. Istarum autem quatuor specierum quaedam sunt perfectae contradictionis
et quaedam sunt imperfectae ..... Et istarum quaedam sunt, quae opponuntur duobus
solum, ...... et illa est secunda species, in- qua componuntur contraria, inter quae
est medium determinati numeri, ...... qui vero componuntur eæ oppositis, quae sunt
imperfectae contradictionis, est species tertia ipsius speciei syllogismi; illi ut pluri
num componuntur eæ contrariis, inter quae est medium indeterminati numeri.
369) f. 347. r. B (s. Abschn. IV, Anm. 623.).
370) f. 347. v. A (Abschn. IV, Amm. 586 f.).
371) f. 348. r. A: Sed sermo de inductione et eaeemplo et signo est eæ his,
quae propria sunt unicuique arti et unicuique verificationi.
372) Ebend : Et dicemus , quoniam normae eæhibitae in hac arte sunt duarum
specierum, species agens et species notificans; sicque iam praecessit sermo de rebus,
quibus sciuntur species syllogismorum et modi eorum; iam itaque convenit, quod
loquamur de normis, quibus poterunt fieri syllogismi, quia iam semita scientiae for
mae rei est alia a scientia operationis eius ........ (f. 348. r. B). Et propter hanc
eandem rem non faciemus mentionem de his sermonibus nisi de illis, quorum consue
tudo est, ut veniant in usum demonstratiqnis ...... Normarum vero, quibus fiunt
syllogismi topici, certe opus est apud perscrutationem artium, quae nondum sunt
perfectae; sed ad illas , quae perfectae sunt, iam non est opus eis nisi eae parte
illius, quod melius est. Verumtamen alia intentio, qua visum est nobis, quod refe
ramus istas normas, est, ea, quo demonstratio est ea, quae est praestantissima
rerum, quas intendimus, sicque visi sumus nobis, ne abbreviemus in normis suis res
XVI. .. Pseudo-Averroes. 391
sich auf die Definition und auf die Gegensätze beziehen 37*). Erst hier
auf geht er mit der Bemerkung, dass dieses Letztere gemeinschaftlich
der Definition und der Argumentation diene, auf dem Inhalt der zweiten
Analytik und auf die dortigen Begriffe des Allgemeinem und Nothwen
digen über *"*). Eigenthümlich ist ihm die Eintheilung des demonstra
tiven Verfahrens in drei Arten, deren erste den ol)jectiven Realgrund
und zugleich den subjectiven Erkenntnissgrund enthalte, während eine
zweite nur den ersterem und eine dritte nur den letzteren Causal-Zu
sammenhang darbiete, wobei es sich von selbst versteht, dass bezüglich
der ersten Art alles Gewicht auf den Mittelbegriff fällt *7°); bei dem
zweitem Verfahrem, welches nur auf den objectivem Realgrund geht,
drängt sich eine Verwahrung gegen das „post hoc, ergo propter hoc“
auf, und in dieser Beziehung ' werden vier Modalitäten des Zusammen
hanges zwischen Früherem und Späterem unterschieden, wovon nur die
Eine vollständig syllogislisch genügt, in welcher eine Umkehrbarkeit der
Abfolge stattfindet *7°); die dritte jener Arten gehört dem Gebiete an,
welches Aristoteles (Alschm. IV, Anm. 272 ff. u. 546) als das ,,Meisten
theils“ bezeichnet hatte *77). Nachdem hierauf die Erörterung des defi
necessarias ad atlingendum ipsam, immo cum eis meminerimus de rebus, quibus erit
comprehensio melior et nobilior, et non est dubium, quod optimum in cognitione de
monstrationis sit, quod secernamus ipsam et meditemur super operationem eius. Haec
ergo est utilitas, quam intendimus in hac parte l0gueae, et manifesta est ex his,
quae divimus , intentio sua et ordo suus et proportio sua, et hoc est, quia haec
est pars sermonis syllogismorum, et quae conveniat, quod legatur post cognitionem
syllogismi et specierum eius et suorum modorum et ante librum Demonstrationis.
373) f. 348. v. A — 350. v. B, nemlich f. 349. r. B De locis compositionis,
f. 349. v. A De locis definitionis, f. 350. r. A De locis oppositorum.
374) f. 350. v. B: Postquam autem iam locuti sumus de rebus communibus
speciebus formationis et verificationis, dicemus itaque ea, quae propria sunt unicui
que illarum, et incipiemus a verificatione vera et formatione perfecta. De demon
stratione. Dicimus, quod demonstratio universaliter sit syllogismus compositus eae
duabus praemissis veris universalibus necessariis per se.
375) f. 351. r. B: 0portet, quod dividatur syllogismus demonstrativus in, tres
species .....; prima itaque , species scitur per demonstrationem simpliciter et est de
monstratio causae et inventionis simul, et secunda scitur per demonstrationem causae,
et tertia per demonstrationem inventionis et signi. Inchoabimus itaque primo a de
monstratione causae ei inventionis, quia ipsa est nobilissima harum specierum. Et
dicimus, quod oportet necessario in hac specie syllogismi cum h0c, qu0d est utilis
scientiis veris, qu0d tradat cum hoc causam adeo, qu0d medius terminus in eu sit
causa duarum rerum simul, i. e. c0gnitionis rei et causae rei.
376) f. 352. v. B: Species vero demonstrationis causae sunt quaedam specierum
demonstrationis essendi et causae simul, et illarum conditiones sunt istae eaedem
conditiones et sua proprietas est haec proprietas, sed differentia inter eas est, qu0
niam in hac esse est notum apud nos per primam notitiam aut per syllogismum,
sed per illam quaeritur notitia causae tantum ..... ... Quoniam autem nom contingit
ostendere per quodvis posterius, quod contigerit, quodlibet prius, qu0d contigerit,
convenit, eaeponere hoc quadam eæplicatione. Dicimus itaque, quod prius et posterius
sunt secundum quatuor partes, quarum una est, qu0d eae essendo utrumlibet eorum
sequatur alterutrum, et haec sunt, quae sunt praedicatione convertibilia; ...... se
cunda autem pars est, quod prius sequatur ad esse ipsum posterius et non conver
tatur;...... tertia pars est, quod séquatur posterius ad esse prius et non sequatur
prius ad esse posterius ; ...... quarta pars est, quod non sequatur ad esse unum
eorum *alterulrum.
377) f. 353. r. B: Demonstratio vero evidentiae pro maiori parte eveniet in hac
,
392 XVI. Spätere Araber.
nitorischen Wissens ***) und der Praxis des Definirens *7°) gefolgt ist,
reiht sich an einer hier unerwarteten Stelle durch Anknüpfung an die
Theorie über das Zustandekommen der Wissenschaften eine Notiz über
die Eimtheilung der Wissensehaft an, wobei neben den praktischen und
den theoretischen Disciplinem die Logik den Beruf erhält, das Denken
zur Erforschung jener anderen beiden Wissensgebiete zu unterstützen,
und zugleich jene obige Bemerkung aus Avicenna (Anm. 231) sich
wiederholt, dass Metaphysik und Topik und Sophistik in der Allgemein
heit des Gegenstandes zusammentreffen, während sie sich nach dem
ihnen eigenthümlichen Aufgaben unterscheiden *°°).
Hernach folgt die Erwähnung des rhetorischen Verfahrens der
Argumentation ***), woran sich die Sophistik knüpft ***), bezüglich
deren erwähnt werden kann, dass eine von Alfarabi (Anm. 65) einge
führte Ergänzung , welehe die „translatio“ zum Gegenstande hat, hier
als vollständig recipirt ausführlich besprochen wird *°°).
Endlich nach der Hinweisung darauf, dass nun Wahrheit und Täu
schung bezüglieh der Definition und Argumentation hinreichend erörtert
seien, folgt noch eine Darlegung des topisehen Beweisverfahrens ***),
und eine Inhalts-Uebersicht der Rhetorik 38°) sowie der Poetik 38°) bildet
den Schluss des Ganzen.
Sehr kurz hingegen dürfen wir uns über die dem Averroes zuge
schriebenen Q u a e s i t a fassen, und insoferne wir von der Unächtheit
derselben überzeugt sind (s. Anm. 289), stehen sie uns jenem ,,Diver
materia in accidentibus, quae esse sequitur rem consecutione pro maiore parte, ut
verbi gratia, quando homini patienti torturam oris accidit apopleacia.
378) f. 353. r. B: Formationum autem perfectissima est, quae intelligitur per
definitionem, et definitio tandem est, cuius compositio est compositio clausulae con
ditionis et meacus eæplicans significatum definiti per res essentiales.
379) f. 353. v. B: 0rdo vero partium definitionum in compositione est, quod
praeponamus universale et id, cuius modus est modus materiae, et postponamus
particulare et id, cuius modus est modus formae.
380) f. 354. r. B: Artes .... dividuntur in tres partes, scilicet in artes, quarum
finis est solum operatio, ..... et in artes, quarum finis est solum scientia, .....
et in artes adiuvantes istas, quae sunt artes, quae dirigunt intellectum ad perscru
talionem harum duarum artium, et est ars logicae aut ei proportionalis ....... Quae
dam sunt artes universales et illae sunt trium partium, ars primae philosophiae,
ars topica, et ars sophistica ...... Modus vero considerandi in prima philosophia
est intellectio entis secundum dispositionem, qua est secundum esse ...... Artis vero
topicae considerationis de ente eæemplum est consideratio vulgati, quo quaeritur rei
confirmatio aut ipsius confutatio ........ Ars vero sophislica habet sua principia,
quae sunt ea, de quibus aestimatur, qu0d sint vera, cum non sunt vera, et de
quibus aestimatur, quod sint divulgata, cum non sunt divulgata.
381) f. 355. r. A.
382) f. 355. v. A.
383) f. 357. v. A: Translatio vero et permutatio est, quod translatio. sem
per sit ad id, quod potest capi vice rei et putatur, quod sit ipsa res, et fallit,
u. S. W.
384) f. 357. v. B: Postquam autem iam locuti sumus de rebus, eae quibus
cognoscitur verificatio vera et formatio perfecta, et postea locuti sumus de rebus,
quae fallunt in eis, loquemur itaque de verificationibus topicis.
385) f. 358. v. B. -
386) f. 360. v. B.
XVI. Spätere Araber. ,• 1.' 393
sorum Arabum Quaesita“887) völlig gleich, welche ebenfalls den Latei
nern kund geworden waren. Beide gehören der controvertirendem Exe
gese des 0rganons an, und indem wir auch hier micht die Absicht
haben können, in die Litteratur - Geschichte der späteren arabischen
Epoche einzugreifen, müssen wir uns hei der Bemerkung begnügen,
dass durch jene verschiedemen Quaesita, welche uns obem häufig als
Quelle gedient hatten, das lateinische Abendland manche einlässlichere
Besprechungen jener hauptsächlichen Controversen empfieng, welche uns
bereits bisher fast bei allen arabischen Logikern begegnet waren. So
handelt es sich um die Definitionem des Gattungs- und Art-Begriffes ***)
oder um das Werhältniss der Namenserklärung zur Definition °°°), sowie
in der Lehre vom Urtheile um jene schon von Anderem (Amm. 40 f. u.
313 f.) besprochenen Schwierigkeiten bei Häufung der Prädicate und
bei Urtheilen über nicht-existirende Subjecte 890), oder um die Stellung
derº Negation bei Möglichkeits- oder Nothwendigkeits-Urtheilem °°'). Aus
dem Umkreise der ersten Analytik begegnen wir hier wieder den Fragen
über das Verhältniss der Urtheile des Stattfindens zu den modalem °°°),
über die Umkehrung 398), über die aus Urtheilem versehiedemer Moda
lität gemischten Syllogismen 3°*), und über die Berechtigung der hypo
thetischen Schlüsse *°°). In der zweiten Analytik war es hauptsächlich
die Controverse über Alfarabi's (Anm. 51 ff.) Auffassung des demonstra
tiven Werfahrens 3°°), woram sich dann die Erörterung über praedicatum
primum °°") und über die syllogistische Nothwendigkeit anschliessen
musste *°°), und ebendahin gehörte selbstverständlicher Weise die Frage
über die im Mittelbegriffe liegende Causalität*°°). Ausser dem Grund
satze (Anm. 340), dass die Principien einer Wissenschaft nicht in eine
andere zu übertragem sind 409), war ein gebotenes Thema von Contro
887) f. 380 ff.
388) Divers. Ar. Quaes. f. 380. r. A.
389) Ebend. f. 381. r. B.
390) Ps.-Averr. Quaes. f. 361. r. A.
391) Div. Ar. Quaes. f. 383. r. A.
392) Ps.-Averr. Quaes. f. 362. r. A. n.
393) Ebend. f. 363. r. A.
394) Ebend. f. 363. v. A, f. 364. r. A, f. 370. v. B. Divers. Ar. Quaes. f.
381. w. A. «*
395) Ps.-Averr. Quaes. f. 368. r. A.
396) Ebend. f. 371 ff. Div. Ar. Quaes. f. 382. v. B.
397) Ps.-Averr. Quaes. f. 380. r. A.
398) Ebend. f. 375. r. A.
399) Ebend. f. 375. v. A. Div. Ar. Quaes. f. 383. r. B. Albert. M. Soph. El.
I, 1, 1, p. 840. A: Dicit enim Isaac, quod ratio est virtus collectiva faciens coire
causam in causatum, secundum qu0d causa sumitur in communi pro causa conse
quentiae et non pro causa consequentis, sicut causa est, quae causat decursum syllo
gisticum per dici de omni et dici de nullo; sic enim logica est scientia de ratione
argumentativa. Ebend. De praedicab. I, 1, p. 1. B: Et hic modus (sc. scientiae)
est per actum rationis, qui ratiocinatio sive argumentatio est, de cognitione cogniti
procedens in scientiam eius, quod erat incognitum (s. Anm. 15.), secundum quod
Isaac in libro de diffinitionibus rationem. diffiniens dicit, quod ratio est animae in
tellectudlis virtus faciens currere causam in causatum.
400) Ps.-Averr. Quaes. f. 376. r. A.
394 XVI. Moses 'Maimonides. Levi Gerson.
versen der Unterschied der „demonstratio quia“, und der „demonstratio
propter quid“*"'), sowie das Verhältniss zwischen Demonstration und
Definition *"*) und die , näheren Bestimmungen über , die Definition
selbst 408). -
Auch das fast berüchtigte Bueh De causis, welches jedemfalls auf
arabische Litteratur , als seine letzte Quelle zurückweist (s. d. folg.
Abschn.), konnte in der logischen Controverse über- die Universalien als
Auetorität für eine bestimmte Parteistellung benützt werden *°*). •
Die Leistungen der Araber und namentlich des Averroes wurden,
wie bekannt, hauptsächlich in Spanien durch die J u d e n dem abend
ländischen Betriebe der Philosophie vermittelt *°°). Sowie aber dieselben
überhaupt in völliger Abhängigkeit , von ihren arabischen. Vorgängern
litterarisch thätig waren, so- ist es auch auf dem speciellen Gebiete der
Logik nur : Weniges, was wir hier über sie berichten müssem. *
Wenn auch M o s e s M ai m o m i des (geb. 1135, gest. 1204), wel
cher fälschlich für einen Schüler des Averroes oder des Avempace ge
halten wurde *"°), auf jüdisehe und christliehe Theologie einen ziemlich
bedeutenden Einfluss ausübie, so ist seine hieher gehörige Schrift
„Vocabularium logicae* *"") in der That kaum erwähnenswerth, da sie
lediglich ein Excerpt der gewöhnlichsten Schuldoctrin enthält *°°).
Einigermaassen bedeutender ist L e vi- B en • G er s o n (genannt Ma
gister Leon, in der Mitte des 14. Jahrh. blühend), dessen Commentare
zur Isagoge, zu den Kategorien, und zu De interpr. bereits von den
ihm gleichzeitigen Lateinern benützt wurden 49°). Er folgt. bei seiner
Exegese allerdings Satz für Satz, und. Zeile für Zeile dem Averroes,
ohne jedoch die Auffassung desselben stets zu seiner eigenen zu machen.
Mit Entschiedenheit vertritt er die Ansicht, dass die Logik Nichts wei
401) Ebend. f. 377. w. B. Div. Ar. Quaes. f. 381. v. B. •
402) Ps.-Averr. Quaes. f. 377. r. A u. f. 379. v. A.
403) Ebend. f. 378. r. B u. v. A. •
404) Albert. M. De praedicab. II, 3, p. 14. A: Etiam per hoc confirmant hoc,
quod dicunt, quod in Libro de causis multipliciter probatum est, quod res in causa
non est nisi per modum et virtutem effecti per causam ....... Effectus autem indivi
duus et singularis est; ergo forma, sive substantialis sive accidentalis, in effectu
procedens ab inlelligentia* individua est et singularis. Universale autem nec indivi
duum nec singulare est; universale ergo in effectu naturae eætra intelligentiam pro
cedens non est; in solis ergo et nudis purisque intellectibus positum est.
405) Ueber. diese Werdienste der Judem s. Renun, Averr. et I'Averroisme, p.
148 ff. und Munck, Ductionn. III, p. 362 f. Munck's Artikel ,,Juifs** hat B. Beer
unter dem Titel ,,Philosophie und philos. Schriftsteller der Judem etc.“ - Lpzg.
1852. 8. besonders herausgegeben. - -
406) S. über ihn Munck, Diclionn., IV, p. 21 ff.
407) Gedruckt Venet. 1550. 4. ,
408) Auch wenn z. B. Albert. M. De praedicam. III, 1, p. 122. A sagt: Inter
praedicabilia, quae sunt de natura accidentium substantiae, primum occurrit praedi
cabile, quod est quantitas, eo quod hoc immediate sequitur, ut dicit Rabbi Moyses,
so lohnte es sich nicht der Mühe, sich hiefür eigens auf Moses zu berufen (vgl.
Amm. 205). - -
409) S. über ihm Munck a. a. 0. III, p. 364. Gedruckt sind die genanntem
Commentare zusammen mit jemem des Averroes in, den Ausgaben des Aristoteles
(Anm. 11. u. 288). .! .* . . . . -
XVI., ; Levi Gersom. 395
teres als blosses Werkzeug der. Wissenschaften sei *'"), und er bietet
den Lateinern die vom denselben reichlich befolgte gute Lehre dar, dass
der Logiker von aller übrigen Wissenschaft sich fern , halten könne, so
dass , auch diejenigen sich hierauf berufen durften , , welche, den Streit
über die Universalien für die Logik bei Seite liessen *''). Bezüglich
der Aufnahme der Isagoge in das 0rganon bestreitet er direct obige
(Amm. 294) Ansieht des Averroes und schliesst sich an die übliche
Weise der Commentatoren an *!*); die Erörterung der gewöhnlichen
Controversen über die fünf Universalien bielet ausser einem Citate aus
Averroes Nichts hemerkenswerthes. dat * 1°). Die drei zunächst nach
der Isagoge folgenden Bücher, nemlich Kategorien, Lehre vom Urtheile
und erste Analytik, bezeichnete er ebenso wie der Verfasser der Epi
tome (Anm. 348) als Erörterungen, welche allen fünf nachfolgenden
Werfahrungsweisen gemeinschaftlich seien, so dass das den letzteren
Eigenthiimliche den zweiten Haupttheil der Logik bilden muss *'*).
Bei den Kategorien selbst, welche er ausschliesslich nur in realistischem
Sinne verstanden wissen will 41°), beschäftigt ihn unter Anderem haupt
sächlich die Eintheilung in Substanz und neun Accidentien, sowie die
Frage über die Priorität der Quantität vor der Qualität **"); auch mag
410) Ad Porph. f. 1. r. B: Dicamus itaque , quod haec ars dirigit intellectum,
ut diiudicet inter verum et falsum, .... et sic hanc artem non esse scientiam, sed
organum ad scientias, est perspicuum.
411) Ebend. f. 1. v. A: Haec ars est principium ad omnes scientias, el ideo
non oportet professorem huius scienliae habere notitiam de aliis scientiis, et idcirco
non debet considerare in hoc libro de his nominibus nisi quatenus sunt logicalia;
nam circa esse ipsorum, universalium variae eaestant 0piniones apud sapienles.
412) Ebend.: Sed apud nos est quidem necessarium, ut sumatur initium ab
ipso (sc. introductorio) in hac arte, quoniam, cum initium huius artis sit de signi
ficatione simplicis locutionis et dentur in ea quaedam nomina, quae univoce dicuntur,
..... hac ratione nomina - entium possunt reduci in eaciguum numerum ...... Adde .
etiam, quod quicunque aliquem librum ediderit, profecto debet praeponere universalia
particularibus.
413) Nemlich gelegentlich der verschiedenen Definitionem des Accidens sagt
Levi (f. 7. r. B): Tertia definitio est, quae dicit, quod non est genus neque species
neque differentia neque proprium et semper eæistit in subiecto, et haec definitio est
data in arte topica vel dialectica, ut dirit Averroes in summula sua logicali; et re
vera est descriptio et non definitio. Jedemfalls suchen wir diese Notiz in der Epi
tome (s. Anm. 290.) vergeblich.
414) Ad Praedicam. f. 12. v. A: Aristoteles praeposuit in hac arte logica tres
libros, qui sunt communes quinque artibus (s. Anm. 275.), quarum sententias decla
ravit in reliquis quinque libris, et illi tres libri, qui sunt communes cunctis artibus,
sunt liber Praedicamentorum et Perihermenias et Priorum.
415) Ebend. f. 13. v. B: Aristoteles ...... vult tractare de his (sc. categoriis)
in hoc loco, quatenus ezistunt eætra animam, non quatenus significant affirmationem
vel negationem, quae est in anima.
416) Ebend.: Hic tamen posset , quis dubitare, cur Aristoteles non divisit entia
in duo genera suprema tantum, nempe in substantiam et accidens, cum videatur
accidens univoce dici de omnibus praedicamentis accidentis; ad quod dicendum est,
• • • • • quod hoc nomen ens dicitur secuiidum prius et posterius de cunctis praedica
mentis, nam per prius dicitur de subslantia et per posterius de eorum ordine, ut si
diaceris, quantitatem esse primum accidens, quod recipiat ipsum corpus et per ipsam
recipiat qualitatem ...... Dignum praeterea investigatione videtur, quodnam acciden
tium sit prius in substantia, utrum scilicet quantitas vel qualitas ..... Sed veritas
396 XVI. Levi Gerson.
noch erwähiit werdem, lass er ähnlich wie Gilbertus Porretanus (Absehn.
XIV, Anm. 491) die Kategorie des facere durch alle übrigen Kategoriem
hindurchführt* 17) und sehr ausführlich über quando, ubi und situs
spricht ***). Bei Erklärung des Buches De interpr., woselbst er ge
legentlich die übliche arabische Eintheilung der Logik in der Termino
logie „formatio“ und „verificatio“ (vgl. Anm. 346) vorbringt *1°), be
zeichnet auch er (vgl. Anm. 260 u. 357) das privative Urtheil als eine
eigene Species **°), schliesst sich aber, sowie er die das arabische
Verbum betreffende Bemerkung (Anm. 310 u. 356) erklärlieher Weise
auch für das Hebräische wiederholt ***), in allem Einzelnen völlig an
Averroes an.
Somit liegen nun sämmtliche Ingredienzien jenes logischen Betriebes
vor ums, welcher mit dem Eintritte des 13. Jahrhundertes im Abend
lande beginnt, umd der erste Abschnitt des folgendem Bandes wird dar
legen müssen, wie die boethianische Tradition des früheren Mittelalters
und die erwachende Leclüre sämmtlicher Schriften des Aristoteles und
die Aufnahme byzantinischer Litteratur und die Kenntniss der Leistungen
der Araber manigfach mebeneinander treten oder sich vermischen, und
hiedurch eine neue Epoehe, und zwar die üppigste und extensivste,
für die mittelalterliche Logik eintritt.
huius negotii est, quod qualitas individua est prior in ipso subiecto ipsa quantitate
propria, ..... sed absolute et simpliciter loquendo quantitas ipsa absoluta est prior
in ipso subiecto qualitate absoluta.
417) Ebend. f. 24. v. A.
418) Ebend. f. 25 f.
419) De interpr. f. 35. v. A: Scientia vel habetur per eonceptum simplicem et
nominatur apud Arabes formatio, vel per nolitiam complezorum et nominatur apud
Arabes verificatio; simpleae igitur conceptus est notitia rei per dictionem simplicem
significatae, i. e. quidditatis unius rei etc.
420) Ebend. f. 36. r. A.
421) Ebend. f. 36. v. A.
R E G I S T E R.
A, E, I, 0 275.
Abälard 160 ff. -
Abbo v. 0rleans 51.
abstractio 209, 248.
Abumazar 301 ff.
accidentale 326, 343.
Adalbero 58.
Adam v. Petit-Pont 104, 211 f.
Adelard v. Bath 140 f. -
adiacenter 130.
adiacentia 179.
aequipollentia 197, 268.
agens 386. -
Alamus v. Lille 258 f.
Alberich 229.
Albericus v. Casino 76.
Alcuin 14 ff.
Alexander Aphrodisiensis 299.
Alfarabi 301 ff.
Algazeli 361 ff.
Alkemdi 301.
ampliatio 288.
Anna Comnema 263, 293.
Anonymus De gener. et specieb. 143 ff.
De intellectibus 205.
De interpret. 204.
De unit. et uno 228.
Sangall. De part. loicae 63 f.
De syllog. 64 ff.
sec. XI, 59 f.
Anselmus v. Canterbury 85 ff.
Antepraedicamenta 76, 169, 273.
anliqui 229.
und moderni 116.
appellatio 288.
Araber 297 ff.
Aristoteles, neue Uebersetzungen des
106 ff. -
Arnulph v. Laon 77.
Avempace 373.
Averroes 374 ff.
Avicenna 318 ff.
Bartholomäus 230.
Berengarius 72 ff. -
Bernhard W. Chartres 125 f.
v. Clairvaux 111.
Bernward v. Hildesheim 51.
Burgundio v. Pisa 106.
Byzantiner 261 ff.
catasyllogismus 257.
Collegium Constantinopolitanum 263.
colligere 140 ff., 219.
combinationes 358.
conceptio 205.
conceptus communis 26.
conformitas 220, 250.
consimilitudo 179.
Constantin der Karthager 83.
contingens u. possibile 198.
copula 196, 266.
copulatives Urtheil 357, 366.
Cornificius 231 f.
credulitas 361.
Damiani 68.
David v. Hirschau 230.
Definition 134 ff., 192.
demonstratio nobilissima 313.
quia u. propter quid 317,
359, 372, 394.
Differenz s. Porphyrius.
dignitates 316.
Dionysius Thrax : 290.
dirigens 386.
disjunctive Schlüsse 369, 381.
disparatum 386.
distributio 289.
398 Register.
dividentia 197.
dividuum 221.
Drogo v. Troyes 107.
dualis 379. .
eloquentia 235 ff.
peripatetica 168.
ens 307.
Eric v. Auxerre 41 f.
Esels-Beweis 210.
essentiale 364 f.
eæponibilia 289.
facultates 371.
fallaciae 371.
Farabi 301 ff.
forma substantialis 217.
formae nativae 218.
formatio 396.
Formelbücher 71.
Franco v. Lüttich 67.
Fredegisus 17 f.
Fulbert v. Chartres 59.
Galenische Schlussfigur 295, 380, 389.
Garmumd 123. - - , •
Gattungsbegriff s. Universaliem. • • , , ,
Gaumilo 86. • • • .
Gauslenus v. Soissons 142. * * *
Gazali 361 ff. - -
Gerbert 53 ff.
Gersom 394. -
Gilbertus Porretanus 215 ff.
Gislbert v. Rheims 53. , • • *
Gunzo Italus 49 f. . , *
Honorius v. Autum 97. .
Hrabanus Maurus 19 ff.
Hugo' v. St. Victor 111.
Huguccio 125. -
ù7τέ9εσις 280 ff. - -
hypothetische Schlüsse 310, 358, 381.
u. disjunct. Schlüsse 369,
381, 389. v .
Jacobus v. Wenedig 99.
Ibn-Badscha , 373.
—Roschd 374 ff.
-Sina 318 ff. - - -
identitas 220. : -. . . .
Jepa (?) 43 f. * •*. •
imaginatio 361. . * ' , '•' ',
indifferentia 243. •* • . ; *
Indifferenz-Lehre 138 f. *, *
individualiler 129 f.
inesse 189.
informare . 129,
Intellectualismus, 205, 347 f., 365.
intellectus 182 ff. -
b. d. Arabern 299.
eonceptus, 182. -
coniungens et dividens 208,248.
Johannes v. Gorz. 49.
Italis 293 f. . . . .
v. Salesbury 232 ff. „,, , . .
Johannes Scotus Erigena 20 ff. -
Serlo 230.
Joscellinus v. Soissons 142.
Irnerius 71.
Isidorus Hispalensis 10 ff.
Juden 394.
Jurisprudenz 69.
Kategorien 152, 188, 223, 307, 351, 365.
Kendi 301.
Lamfrancus 70 ff.
Levi Ben Gerson 394 ff.
Logik, alte u. neue 116.
maneries 124, 356.
Mamerius 230.
Mapes 230.
materialiter imposita 156.
materiatum 145, 177.
Memorial-Worte 272, 275.
m0dalis 157.
moderna via 262.
moderni 82, 195, 241.
u. antiqui 116.
monstra 251. • I • • • . \
Nicephorus Blemmides 295. ' ;
Nominalismus 122. , -
u. Realismus 35 ff., 118.
nominaliter 30.
notio 251.
Notker Labeo 61 ff.
0thlo v. Regensburg 68.
0tto v. Cambrai 82 f.
v. Clugny 45. -
v. Freising 105, 227.
Papias 69.
parilitas 329.
Parteispaltung betr. d. Universalien 118 ff.
perihermeniae 12. -
Petrus Hispanus 264 ff.
Lombardus 110.
v. Poitiers 213 f.
Platomiker 125.
Poppo 48. -
Porphyrius, Isagoge des 7 f., 117 ff., 324,
330 ff.
p0ssibile und contingens 198.
post hoc, ergo propter hoc 391.
Postpraedicamenta 169, 274.
potentia u. potestas 351.
praedicabilia 272.
praedicamentalis 243.
praedicari 181 ff.
in quid 147.
quasi in quid 345.
praedicatum primum 315.
praemissa 309.
privatio 352.
propositio absoluta 379.
proprium s. Universalien.
Psellus. 264 ff. . . ;
Pseudo-Abàlard 204 ff.
Register. 399
Pseudo-Averroes 385 ff.
-Boethius De trin. 20, 108 f.
De unit. et uno 228.
-Eric 43 f.
-Hrabanus 37 ff.
Quaesita Arabum 392.
quiddilas 325.
Raimbert v. Lille 82 f.
rationale 13, 55.
Realismus 128 f.
u. Nominalismus 35 ff , 118.
Rechtswissenschaft 69.
Reginaldus 230.
regula de quocunque 273, 351.
Reinhard v. Würzburg 49.
Remigius v. Auxerre 41.
res- de re non praedicatur 175, 252.
Rhabanus Maurus 19 ff.
Rhetorik 292.
Robert Amiclas 230.
v. Melun 214.
W. Paris 77.
Pulleyn 213.
Roscellinus 77 ff., 122 f.
Salomonis Glossarium 47.
Sanct Gallem 46 f., 61 ff.
Scotus Erigena 20 ff.
onucroto. 279 ff.
Sensualismus 123.
sermo 66, 174 ff., 236.
sermocinalis 112, 323.
Sertorius 230.
seae principia 223 ff.
significatio 279 ff.
dictionum 363.
significatum 123.
Simeon 3.
Sophist. Elenchi 318.
species s. Universalien.
status 137 f.
substantiale 326 ff.
sumptum 184.
suppositio 280 ff.
Syllogismen, Lehre von dem 158, 199 ff.,
256, 275 f., 310 ff., 357 ff.,
368 ff., 380 ff.
hypothetische 203, 310, 358,
381 u. disjunct. 361, 389.
syllogismi imperfecti 199.
Sylvester II. 53 ff.
syncategoreumata 148, 191, 256, 266,
279, 289, 378.
Syrer 300.
terminorum proprietates 279 ff.
ternalis 379.
Theilbegriff 135, 193.
Themistius 293, 385.
Theologie 72 ff., 108.
theophrastische Schlussmodi 380.
Topik 159, 200 f.
universale intelligitur, singulare sentitur 29.
Universalien, Streit über die 118 f.
ante rem, in re, post rem
306, 349 f.
in re 249.
Urtheil 148, 154, 182, 195, 308, 356,
366, 379. -
verbaliter 30.
verificatio 396.
via moderna 262.
vocalis 31.
voces signativae 60.
vocis flatus 79. .
vocum imposilio 166, 181.
Walter Mapes 230.
v. Mortaigne 137 f.
Walther v. St. Victor 221.
v. Speier 52.
Wilhelm v. Champeaux 128 fr.
v. Conches 127 f.
v. Hirschau 83.
v. Shyreswood 264 ff.
Williram v. Soissons 229.
Wolfgang v. Regensburg 51.
Druck von C. P. Melzer in Leipzig.